Mitsukoshi - Frank Schlender - E-Book
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Mitsukoshi E-Book

Frank Schlender

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Beschreibung

Japan, 1543: Als sein Lehrmeister, der Holländer Cornelis Vanderveer, stirbt, macht sich der junge Samurai Mitsukoshi Shinji auf den Weg, um dessen Erbe anzutreten. Doch die Reise durch die Fürstentümer Nippons ist gefährlich und Mitsukoshi wird in die politischen Ereignisse verstrickt: Denn Fürst Takayama Tomoteru plant die feindliche Übernahme des Shogunats. Ihm steht der portugiesische Mönch Xaverius zur Seite, der neuartige Handfeuerwaffen in das Land der aufgehenden Sonne gebracht hat, gegen die die traditionellen Schwerter der Samurai machtlos sind. Doch nur Mitsukoshi scheint zu begreifen, was auf dem Spiel steht. Er setzt alles daran, Takayama aufzuhalten. Eine geheimnisvolle Schriftrolle aus dem Nachlass Vanderveers scheint ihm den Weg weisen zu können - doch wird Mitsukoshi sie rechtzeitig entschlüsseln? Ein historischer Jugendroman, der in die turbulente Geschichte Japans eintaucht!

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Seitenzahl: 355

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Frank Schlender

Mitsukoshi

Roman

Buntstein

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen, oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile.

Alle Akteure dieses Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.

Copyright © 2015 by Buntstein Verlag, ein Imprint von Bookspot Verlag GmbH

1. Auflage 2015

Satz/Layout: Martina Stolzmann

Covergestaltung: Nele Schütz Design, München

Lektorat: Saskia Wagner

E-Book: Mirjam Hecht

Made in Germany

ISBN: 978-3-95669-032-7

www.buntstein-verlag.de

Beginn

Myn liver jong.

Nachdem unsere Wege sich getrennt hatten, habe ich die letzten Jahre mit dem Wiederaufbau des zerstörten Klosters Kongobu-ji verbracht. Doch nur noch wenige trockene Blätter sind an meinem Schicksalsstrauch verblieben. Wie ich Dich kenne, wirst Du Dich meinem Wunsch widersetzen und trotzdem versuchen, Dich hierherzubegeben. Doch Du wirst zu spät kommen.

Ich habe den Abt des Klosters Kongobu-ji gebeten, meinen Wünschen zu entsprechen. Er kennt die Bräuche meiner Heimat und wird die richtige Wahl der nötigen Handlungen treffen. Ich habe Dich zum Erbe meiner wenigen Besitztümer bestimmt. Der Oberpriester wird sie für Dich aufbewahren. Zögere nicht, sie in Deinen Besitz zu bringen, sollte sich Dir eine Gelegenheit dazu bieten. Du bist noch jung, aber das Auskommen auch langgedienter Samurai reicht heutzutage oft gerade mal für eine Handvoll Katayaki-Kekse im Monat und niemand sollte gezwungen sein, aus Stolz zu verhungern.

Diese Erkenntnis gehört jedoch zu den weniger wichtigen Werten meines schmalen Erbes. Darunter findest Du auch ein Geheimnis von großer Tragweite für das gesamte japanische Volk. Dieses Geheimnis kann ich niemand anderem als Dir anvertrauen. Ich weiß, Du wirst dieses Wissen weise verwenden.

Cornelis Maurits Vanderveer

Teil 1

Daimyo Takayama Tomoteru hatte eine schlechte Nacht hinter sich gebracht. Mit Anfang Vierzig, seinem Übergewicht, schütterem Haar und langsam faulenden Zähnen gehörte der Fürst bereits zum alten Eisen. So schätzte er sich zumindest selbst ein. Ihm lief die Zeit davon. Nicht mehr viele Jahre würden ihm vergönnt sein, sein Lebensziel zu verwirklichen. Den Titel des Shoguns zu erringen, füllte sein Denken fast vollständig aus. Eine lange Spur getilgter Seelen pflasterte seinen Schicksalsweg zum Herrn der Burg Fukashi. Zehn endlos lange Jahre hatte er nun seine Armeen immer weiter nordwärts geführt, von der heimischen Burg Sawa tief im Süden quer durch das halbe Land, hatte ein Fürstentum nach dem anderen niedergerungen und wenn nötig, die eingenommenen Burgen wieder aufbauen lassen. Das hatte vor allem viel Zeit gekostet; Zeit, die ihm inzwischen fehlte. Alles andere zählte für Daimyo Takayama nicht. Bitternis hatte das wenige, das noch von seiner Seele übrig war, zerfressen. Er war umgeben von einer Schar heimtückischer Speichellecker und Intriganten. Schlangen und Skorpione, die jeden seiner Tage voller Arglist und Missgunst beobachteten.

Finster blickte Daimyo Takayama beim Morgentee drein. Schlechte Kunde hatte sein Ohr erreicht. Immer auf dem neuesten Stand der Dinge zu sein, gehörte zu den wenigen offenen Geheimnissen seiner Macht. Seine Kundschafter hatte er über Dutzende Fürstentümer gestreut. Die ganze Nacht hatte er über die Neuigkeiten seiner Spione aus der Nachbarprovinz gegrübelt. Burg Hikone, nur wenige Tagesritte entfernt von Burg Fukashi, hatte angeblich seit einiger Zeit einen neuen Herrn. Warum, war unklar. Daimyo Nagao Kagetora hatte nun die Macht inne und erstaunlicherweise sagte Fürst Takayama dieser Name nicht das Geringste. Mit dem Vorgänger, Daimyo Nagao Sasaki, verband ihn eine lebenslange Fehde, die über die Jahrzehnte immer wieder mit kleineren Scharmützeln gepflegt wurde, ohne sich jemals auf dem Schlachtfeld persönlich gegenübergestanden zu haben. Nun war dieser Schicksalsfaden gerissen. Dieser Kagetora war aus dem Nichts aufgetaucht, behaupteten die Spione. Hatte Fürst Nagao ihn an Sohnes statt angenommen und zu seinem Nachfolger ernannt? Vielleicht war er ein Bastard einer der Kurtisanen Nagaos. Und da war doch noch Kagetoras Neffe Harukage, angeblich ein junger Hitzkopf, der wäre Daimyo Takayama nur recht gewesen. Junge Leute ließen sich viel einfacher beeinflussen. Harukage gab sich seltsamerweise damit zufrieden, nur in zweiter Reihe zu stehen. Ein schwaches Geschlecht, diese Nagao.

Fürst Takayama verzog angewidert sein Gesicht und röchelte in seine Trinkschale. Ein Tropfen Blut löste sich von seiner Nasenspitze und zog wirbelnde Fäden in der Tasse. Der Zeremonienmeister eilte herbei und reichte ihm mit einer tiefen Verbeugung eine neue Schale, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Fürst Takayama zog ein seidenes Tuch hervor und tupfte seine wunde Nase ab. Seine Zeit lief ab.

Ein weiterer Kundschafter war zum Rapport erschienen. Der Mann im schmucklosen, schwarzen Gewand saß seit seiner Ankunft geduldig am anderen Ende des Empfangsraumes hinter einem mit aufwändiger Bemalung aus goldfarbenen Fasanen verzierten Wandschirm.

Der Zeremonienmeister klatschte in die gepflegten, schmalen Hände und winkte ungeduldig. Der Kundschafter huschte heran. Fürst Takayama bemerkte sehr wohl den katzenhaften, lautlosen Schritt des Mannes. Der verharrte in seiner Verbeugung und wartete auf ein Zeichen, mit dem Rapport zu beginnen. Der Fürst zog das kleine gepolsterte Omaku für seinen Ellbogen heran und stützte sich auf.

Mit gesenkter Stimme, nahezu flüsternd, rasselte der Kundschafter seinen Rapport herunter. Der neue Herr auf Burg Hikone am nordöstlichen Ufer des Biwa-Sees hatte vor zehn Tagen mehrere Dörfer mit Hunderten Bauern zwangsverpflichtet, aber noch nicht zusammengezogen. In den Schmieden rund um die Burg war man damit beschäftigt, massenweise Lanzen herzustellen, kaum Bögen, nur wenige Katana.

Takayama winkte ab. Das alles war ihm schon bekannt. Ihn interessierte vielmehr die Kunde von schweren Waffen. Selbst die erfahrensten Krieger stürzten durch sie in den Tod, wie von den Göttern mit Blitz und Donner zu Boden gerissen. Feuer und Verderben spuckende Kanonen nach chinesischer Bauart wurden inzwischen immer wichtiger. Diese bedrohliche Macht wurde bereits in den Annalen der Vorfahren in düsteren Farben geschildert, vor allem in der Farbe Rot, der Farbe der Freude – und des Blutes.

Der Kundschafter wusste von Kanonen nichts zu berichten. Daimyo Takayama grübelte. Keine neuen schweren Waffen, keine marschbereiten Fußtruppen. Das waren eigentlich keine schlechten Nachrichten. Vielleicht reichte schon eine kleine, schlagkräftige Truppe von ein- oder zweitausend Mann aus, um Burg Hikone einzunehmen und den neuen Daimyo zu vertreiben. Damit wäre der Weg frei nach Kyoto. Niemand konnte Takayamas Heer dann mehr in den Rücken fallen. Falls auch noch das Wetter mitspielte, konnte er in zwei Monaten vor den Toren Kyotos stehen. Erstaunlicherweise hatte der Shogun bisher nicht reagiert. Mit den eroberten Legaten standen Fürst Takayama genug Reserven zur Verfügung, um ein wirklich beeindruckendes Heer auszuheben.

Der Daimyo nahm heimlich seine Finger zu Hilfe. Er träumte von einer Streitmacht aus mindestens dreißigtausend Mann, mit einem kleineren Aufgebot brauchte er es gar nicht wagen, Shogun Ashikaga in Kyoto aufzuscheuchen. Der Kaiser saß zurzeit weit weg in Edo in seinem goldenen Käfig und würde vermutlich dieses Jahr nicht mehr nach Kyoto zurückkehren, erst recht, wenn die Hauptstadt belagert wurde. Das Kaiserhaus war sich der Treue des Shoguns und seiner Generäle nicht immer sicher gewesen. In seinen Tagträumen sah sich Daimyo Takayama schon über dem leblosen Körper des Shoguns stehen und lachend dessen Platz einnehmen.

Es klopfte erneut. Der Zeremonienmeister schlüpfte herein. Er näherte sich dem Daimyo mit den vorgeschriebenen drei Verbeugungen.

»Herr, der weit gereiste Besucher ist nun da und bittet um Gehör.«

»Welcher Besucher? Etwa dieser Fremde?«

Ein Kurier mit einer Geheimdepesche war vor einigen Wochen eingetroffen. Der Brief enthielt eine beunruhigende Neuigkeit: Fremde aus einem weit entfernten Land waren tief im Süden bei Tanegashima mit einem chinesischen Schiff in einem Sturm gestrandet und hatten dort ihr Lager aufgeschlagen. Obendrein hatten sie eine Art primitiven Tempel errichtet, was geduldet wurde. Diese Fremden waren nicht nur simple Kaufleute, sondern auch Gesandte ihres Herrschers und Botschafter ihres Glaubens. Ihr Mon, so wurde berichtet, sollte ein schlichtes Kreuz sein. Das Zeichen des Hauses Takayama waren sechs in einem Kreis angeordnete, schwarze Sonnen mit einer siebten in der Mitte. Die Fremden, die angeblich kein Japanisch beherrschten, wurden von mehreren Einheimischen begleitet, die deren Sprache erlernt hatten und für sie sprachen.

»So – die Fremden sind also da.« Fürst Takayama nickte gnädig.

Die Wachen öffneten auf ein Zeichen des Zeremonienmeisters hin die breite Saaltür und ließen vier Personen herein. Die drei Männer, die vorausgingen, trugen schlichte, blaue Reisekimonos und waren unverkennbar Japaner. Die Gestalt dahinter überragte sie um mehr als einen Kopf und war in eine schwarze Kutte gehüllt wie ein Kulissenschieber beim Kabuki-Theater, einem Vergnügen, dem sich der Daimyo in letzter Zeit immer häufiger hingab. Auf seiner privaten, extra dafür im Garten errichteten Bühne ließ er sich vor allem Komödien vorführen. Kundschafter reisten durchs Land und engagierten Theatergruppen in fernen Städten. Wenn der Fürst ihrer Spielkunst überdrüssig geworden war, entlohnte er sie und sie wurden hinausgeworfen.

Die drei Japaner verharrten kniend auf dem Boden, der Fremde beließ es bei einem eher nachlässigen Nicken. Ein Samurai der Leibgarde sprang auf, bereit den Fremden in die Knie zu zwingen. Doch der Daimyo überging diese Frechheit ausnahmsweise großzügig.

Eine seltsame Gestalt – hager und bis zu den Füßen von einer Kutte bedeckt, die schmale Brust steckte in einer blechernen Hülle. Takayama bemerkte wohl die Ähnlichkeit mit den ledernen Rüstungen seiner Krieger, nur war die des Fremden offensichtlich vollständig aus Metall gefertigt. Unter der Kapuze quoll langes, strähniges Haar heraus. Die eng stehenden, dunklen Augen unter dünnen, steil aufragenden Brauen funkelten in Richtung des erhöhten Sitzes, auf dem der Fürst thronte. Unter einer gewaltigen, hervorstehenden Nase spross ein erstaunlich schmaler Schnurrbart, das spitze Kinn war hinter einem ebenso spitzen Bärtchen verborgen. Er glich einem Oni, einem bösen Geist. Fürst Takayama verlagerte langsam sein Gewicht.

Mitsukoshi Shinji am anderen Ende der Halle im Schatten einer breiten, blutroten Säule tat es ihm nach und spannte kurz seine Gesäßmuskeln an. Seit dem frühesten Tageslicht hatte er in der Kühle des Morgens auf Einlass gewartet. Als die Wächter ihre Runde machten und die Diener den Saal für die Audienz vorbereiteten, hatte er sich zusammen mit den Leibwächtern unauffällig hineingeschmuggelt und war hinter der ersten Säule in Deckung gegangen. In seiner Aufmachung unterschied er sich nicht von den anderen Männern der Garde. Niemand beachtete ihn. Das war ihm ganz recht. Gebannt verfolgte er den Auftritt dieses Fremden.

Dessen Besuch war auch Fürst Takayama nicht ganz geheuer. Persönlich war er vorher nur selten Fremden von außerhalb der Gestade Nippons begegnet. Diese düstere Figur war nicht das, was er erwartet hatte. Die fahle, ungesund wirkende Haut, der kümmerliche Spitzbart und dann diese Nase – als gehörte dieser riesige, krumme Zinken gar nicht zum Rest des Gesichtes. Absurd hässlich. Takayama ließ seinen rechten Zeigefinger kreisen. Der Zeremonienmeister trat exakt auf drei Schritte Abstand an den Stuhl heran. Die vier Leibwächter, die den Daimyo rund um die Uhr bewachten und zu beiden Seiten der langen Halle ihre angestammte Position hielten, legten ihre Hände auf die Griffe ihrer Klingen, deutlich sichtbar für den Fremden.

Der Fremde verzog keine Miene, lediglich seine Augenlider senkten sich halb herab, als ob er jeden Moment einschliefe. Außer dem Daimyo konnte dies niemand sehen, also war es wohl Absicht. So etwas hatte unter diesem Dach und an diesem Ort noch niemand gewagt, der mit seinem Kopf auf den Schultern den Saal wieder verlassen wollte – wofür es keinerlei Garantie gab. Niemand würde es wagen, den Zorn des Daimyo leichtfertig zu wecken. Aber statt Verachtung verspürte der Fürst amüsiert eine winzige Spur Respekt aufkeimen. Im gleichen Moment tat er es wieder ab; der Fremde wusste es einfach nicht besser.

Nach einer ausreichenden Weile gab der Zeremonienmeister das Zeichen des Daimyo weiter. Die drei Japaner in den dunkelblauen Reisekimonos erhoben ihre Häupter, hielten aber ihre Blicke gesenkt.

»Herr, wir bringen frohe Kunde. Ein fernes Königreich sendet einen Abgesandten, einen Mann des Handels und des Glaubens. Seine Heimat liegt viele Wochen beschwerlicher Reise entfernt am Ende der Welt, sein Herrscher sendet in seiner Weisheit Grüße und Präsente.«

Daimyo Takayama beachtete die Kisten und Schachteln nicht weiter, die hastig von Dienern in der Mitte des Saales vor dem Besucher aufgestapelt wurden. Er warf einen fragenden Blick auf seinen Zeremonienmeister. Der eilte nach einer kurzen Verbeugung zu den Kisten, hob bei einer den Deckel an und wühlte kurz darin herum.

»Und?«, knurrte Takayama.

»Tand. Kleine Spiegel, Hornkämme, Broschen, Perlenketten – und dies.« Der Zeremonienmeister hob ein kleines Holzkreuz aus der Kiste.

Takayama hatte so etwas schon einmal gesehen. In der geheimen Depesche war dieses Kreuz abgebildet gewesen. Das Mon des Gottes der Fremden. Nicht besonders eindrucksvoll, dieses Zeichen. Takayama nickte dem Zeremonienmeister kaum sichtbar zu. Der eilte mit dem Kreuz in der Hand zu seinem Herrn und übergab das Objekt mit einer tiefen Verbeugung. Takayama wog das Kreuz in der Hand. Es war ungewöhnlich schwer für ein Stück geschnitztes Holz. Er drehte es zwischen den gepflegten Fingern. Es war sogar lackiert. Nicht so kunstvoll wie japanische Holzarbeiten, aber doch eine schöne Arbeit. Es duftete leicht nach bitterem Baumharz. Am oberen, kurzen Ende war eine kleine Metallöse eingelassen. Sehr schlicht, eher plump denn elegant. Ein Lächeln umspielte die Miene des Daimyo.

»Das muss ja ein armer Herrscher sein, wenn er solche Geschenke schickt.«

Das Gesicht des Gesandten blieb versteinert, während einer der Japaner leise flüsternd übersetzte. Der Fremde erhob seine Stimme – unerhört. Niemand durfte sich an den Daimyo wenden, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Leises Zischen drang aus der Reihe der Leibwächter durch den Saal. Der Zeremonienmeister blickte erschrocken den Fürsten an und schlug den Blick nieder.

In diesem Moment öffnete sich an der Seite des Thronraumes eine Schiebetür zum Nachbarraum. Tomonaga, der jüngste Sohn des Daimyo, platzte herein mit einer Papierlaterne an einer Stange in den winzigen Fäusten. Hinter ihm eilte seine Kinderfrau heran und erstarrte in einer tiefen Verbeugung. Der Junge stolperte über seinen Hakama und plumpste der Länge nach hin. Während er tapfer einen Aufschrei unterdrückte, rappelte er sich wieder hoch. Die Kinderfrau zauderte, ihrem Zögling zu helfen, dann entschied sie sich weise, auf ihrem Platz zu verharren. Der Junge, er mochte wohl drei Jahre alt sein, tapste zu seinem Vater hinüber, der den Vorgang seines Sprösslings ohne jegliche Regung beobachtete. Stolz präsentierte ihm der Kleine die Papierlaterne mit dem Zeichen des Hauses Takayama und erhielt im Austausch dafür das kleine Holzkreuz, das er interessiert zwischen den kleinen Fingern drehte. Lachend hieb er mit dem neuen Spielzeug mehrmals auf den Fußboden ein. Das hölzerne Pochen hallte durch den Saal.

Daimyo Takayama blickte von seinem Sohn wieder zu dem Gesandten, dessen Augen das Geschehen sorgfältig verfolgten.

Der kleine Fürst trappelte strahlend zu seiner Kinderfrau zurück, die rasch hinter ihm wieder die Wand verschloss.

Der Fremde setzte seine Ansprache ungerührt fort, bis ihm der Zeremonienmeister energisch Einhalt gebieten wollte.

»Nein, nein, er kennt unsere Etikette nicht, lasst ihn sprechen«, murmelte der Daimyo gnädig.

Doch der Fremde war offenbar bereits zum Ende seiner Ansprache gekommen. Er rang sich eine kleine Verbeugung ab. Auf einen Wink des Zeremonienmeisters hin übersetzte einer der Japaner das Gesprochene.

»Xaverius ist ein Diener seines Gottes, genannt Kristos. Er ist ein frommer Gottesdiener, der Euch mit den Worten seiner heiligen Schrift erfreuen möchte. Sein Herrscher sendet diese Geschenke, nicht sein Gott. Xaverius bringt wichtigere Geschenke, das Wissen seiner Welt.«

Daimyo Takayama gähnte demonstrativ. »Wissen haben wir genug, also ist sein Geschenk ein wertloses Geschenk.«

Der Fremde sprach erneut, noch bevor der japanische Begleiter seine Übersetzung beendet hatte.

»Ehrenwerter Fürst Takayama. Der Gesandte hat viele Dinge bemerkt auf der Reise hierher, vor allem fand er die Waffen der Krieger bemerkenswert schwach. Die Kriegerkaste in seinem Land verfügt über wesentlich mächtigere Waffen.«

»Was?«

Der Tonfall des Daimyo bewirkte, dass die Leibwächter mit gezogenem Schwert aufsprangen. Die drei Japaner zuckten zusammen und stolperten fast übereinander. Der Fremde zog langsam die Kapuze seiner Kutte herunter. Seine Haare waren dunkelbraun, fast schwarz, und oben auf dem Schädel kreisrund abrasiert. Wirklich hässlich.

Der Daimyo hätte jetzt den lästigen Besucher ein für alle Mal zum Schweigen bringen lassen können, aber er tat es nicht. Wer es wagte, den Fürsten so offen zu beleidigen, war ein Narr. Oder schlimmer noch: Er sprach die Wahrheit.

»Wartet, lasst ihn.«

Die Leibwachen zogen sich ungläubig wieder auf ihre Plätze zurück. Die drei ängstlichen Übersetzer sammelten ihren Mut und verbeugten sich tief.

»Schwerter sind Waffen der Vergangenheit. In seinem Land werden immer seltener die Klingen gekreuzt, mächtigere Waffen haben sie abgelöst.«

Der Daimyo stutzte. »Erklärt Euch oder meine Männer überzeugen Euch von der Macht unserer Schwerter!«

»Xaverius wird dieser Bitte mit Freuden nachkommen.«

Auf ein Zeichen des Fremden öffnete einer der Japaner eine der länglichen Holzschachteln, die zwischen den anderen Kisten gestapelt waren. Der Zeremonienmeister eilte heran und nahm dem Mann die Schachtel ab. Vorsichtig setzte er sie vor dem Fürsten ab. Takayama konnte nicht erkennen, was sich, in roten Stoff gehüllt, darin befand. Er machte eine ungeduldige Handbewegung mit seinem Fächer. Der Zeremonienmeister brachte die Kiste zurück zu dem Fremden. Der griff hinein und entfaltete den Stoff. Dann entnahm er der Kiste einen länglichen, unförmigen Knüppel, den er in seine Armbeuge bettete.

»Diese Waffe zerstört auf fünfzig Schritte alles. Sie ist leicht und kann von einem Mann bedient werden. Selbst von einem Bauerntölpel. Und davon habt Ihr ja reichlich in den Reihen Eurer Armeen.«

Alle in dem Raum hielten den Atem an. Der Daimyo fixierte die unheimliche Gestalt in der dunklen Kutte. Erst hörte es sich an, als ob er sich verschluckt hätte, aber er lachte leise.

»Dann lasst Euren großen Worten doch mal Taten folgen. Beeindruckt mich! Nur zu!«

Der Fremde lächelte zum ersten Mal – ein unheimlicher Anblick. Er hantierte eine Weile mit dem Gerät herum, dann zog er einen Feuerstein aus der Kutte und schlug ein paar Mal gegen die Metallröhre, die aus dem Knüppel herausragte. Ein Funken sprang über und zischend entbrannte der Geist der Waffe am unteren Ende der Röhre. Der Fremde warf sich herum und zielte damit auf die Eingangspforte. Ein ohrenbetäubender Krach fegte alle Anwesenden von ihren Sitzen, gefolgt von einem feurigen Blitz wie in einer Sturmnacht. Die Leibwächter hielten sich geblendet die Hände vor die Augen, der Zeremonienmeister stolperte seitwärts und stieß sich den Kopf an einer Säule, viele krabbelten bäuchlings in alle Richtungen und vor Schreck wimmernd davon. Daimyo Takayama war am weitesten entfernt von der Explosion und somit als Erster wieder bei Sinnen. Hastig tastete er nach seinem Schwert und fuchtelte damit abwehrend vor sich in der Luft herum.

Mitsukoshis Puls raste. Vor seinen Augen tanzten bunte Sterne und sein Gehör hatte ausgesetzt. Er rollte bis zur hinteren Seitenwand. Instinktiv wollte er die Papierwand durchschlagen und von diesem schrecklichen Ort fliehen, aber seine Ausbildung hielt ihn davon ab. Behände sprang er auf die Beine und stürmte mit gezogener Waffe gemeinsam mit den anderen Samurai der Garde in Richtung des Fremden.

»Halt!« Die durchdringende Stimme des Daimyo hielt sie von weiteren Taten ab.

Dichter Pulverdampf wallte in der Luft und biss in den Lungen. Der Fremde war schemenhaft nach wie vor in der Mitte des Raumes zu erkennen, er hatte sich nicht einen Schritt bewegt. Mitsukoshi erschrak. Das war ein mächtiger Zauber, schoss es ihm durch den Kopf. Dieser Kristos schien eine mächtige Gottheit zu sein, wenn seine Anhänger solche Magie beherrschten. Der Dampf lichtete sich langsam. Wo sich vorher die breite Eingangspforte befunden hatte, ragte nur noch der Stumpf einer Säule aus dem lädierten Boden. In der zerfetzten Türbespannung gähnte ein gewaltiges Loch. Vor der Pforte lagen hingestreckt die Körper der beiden Wachen, die dort gestanden hatten. Ihre leichten Lederpanzer waren am Rücken aufgerissen.

Mitsukoshi biss sich auf die Zunge und drehte sich langsam in Richtung des Fürsten um. Der stand mit gezogenem Katana vor seinem umgekippten Omaku und lachte schallend. Hinter ihm waren mehrere Krieger durch die Seitentüren hereingestürmt, um ihn abzuschirmen. Der Zeremonienmeister scheuchte einen Diener herbei, damit er die Armstütze des Fürsten wieder aufrichtete. Der ließ sich langsam wieder nieder und schickte seine Wachen mit einer Kopfbewegung fort. Der Fremde senkte die immer noch rauchende Waffe zu Boden und sprach ganz ruhig weiter. Der Zeremonienmeister trat einem der Übersetzer in den Allerwertesten.

»Ich hoffe, diese Waffe gefällt Euch, Fürst. Ich mache sie Euch zum Geschenk.«

Der Daimyo fächelte sich Luft zu und überlegte. »Was habt Ihr noch zu bieten?«

Mitsukoshi war wieder hinter der Säule in Deckung gegangen und traute seinen Ohren nicht. Sein Herr ging wirklich auf den Fremden ein? Das war sehr ungewöhnlich. Zwei Diener zogen draußen hastig die Leichen aus dem Blickfeld. Zurück blieben zwei dunkle, feucht glänzende Blutschlieren zwischen den herumliegenden Holzsplittern und Papierfetzen.

»Ich denke, Ihr werdet dieses Geschenk sehr nützlich finden, wenn Eure Männer erst einmal damit umgehen können.«

»Es wäre unhöflich, solch ein außergewöhnliches Geschenk ohne eine Gabe an den Überbringer anzunehmen. Habt Ihr einen Wunsch?«

Mitsukoshi schluckte. Das war jetzt langsam unerhört, wenn nicht unheimlich. Er verharrte stocksteif außer Sichtweite hinter der Säule. Die Sprache der Politik war ungewohnt für Mitsukoshi, genauso wie ihre Spielregeln, also sperrte er seine pfeifenden Ohren so weit auf, wie er vermochte. Nutze jede Gelegenheit etwas zu lernen, war einer der drögen, oft wiederholten Leitsprüche seines Meisters gewesen. Auf einmal ergab dieser Spruch einen Sinn.

»Empfangen zu werden ist bereits zu viel der Ehre. Xaverius wäre damit zufrieden, Euch mit dieser Demons-tration erfreut und Euer Interesse geweckt zu haben. Die Kriegskunst ist auch in seiner Heimat hoch angesehen und hat viele Meister und nützliche Erkenntnisse hervorgebracht. Er wäre hocherfreut, Euch mit seinem Wissen dienen zu können.«

Mitsukoshis Ohren pulsten langsam, so strengte er sich an, die Worte durch den dumpfen Schleier, der sich auf sein Gehör gelegt hatte, zu verstehen. Wissen ist eine zweischneidige Sache. Schon wieder so eine stets wiedergekäute Litanei Sensei Vanderveers. Es kam auf die Verwendung an, nicht auf das Wissen an sich. Das leuchtete sogar Mitsukoshi ein. Während er noch darüber nachgrübelte, bemerkte er nicht, dass auf einmal der Zeremonienmeister vor ihm stand.

»Auf die Füße, Bursche!«, herrschte dieser ihn an. »Was machst du hier?«

Mitsukoshis Nasenspitze schlug fast auf dem Fußboden auf, so schnell verbeugte er sich. »Ich habe die ganze letzte Woche auf eine Audienz gewartet. Heute hatte ich das unvorstellbare Glück, vorgelassen zu werden.« Mi-tsukoshi wagte nicht, den Kopf zu heben.

Der Zeremonienmeister blickte kurz auf die Wachstafel in seiner Hand. »Ah, Mitsukoshi – nicht? Du bist erst seit Kurzem im Dienst des Fürsten. Sprich!«

»Das trifft zu. Seit nunmehr einem Mond bin ich ein treuer Diener des Hauses Takayama.«

»Und was hat dich dazu gebracht, kaum dass du hier Unterschlupf gefunden hast, um eine Audienz zu bitten?«

Mitsukoshi hob seine Nasenspitze vom Boden. Sein Gehör war immer noch nicht vollständig zurückgekehrt. Also konnte es dem Zeremonienmeister nicht besser gehen. Vermutlich brüllte er deshalb so. »Mein Sensei ist verstorben und ich habe eine Nachricht erhalten, dass er mir sein Erbe hinterlassen hat. Nun bitte ich um die Gunst, dieses Erbe antreten zu dürfen. Ich weiß, dies ist ein verwegener Wunsch, zumal ich erst so kurz im Dienste des Fürsten stehe.«

»Schweig! Du schwatzt viele unnütze Worte.« Der Zeremonienmeister huschte affektiert zurück zum Daimyo.

Mitsukoshi blieb auf seinem Platz.

Nach einigen Augenblicken kehrte der Zeremonienmeister zurück. »War dein Meister nicht ein Gaijin?«

Mitsukoshi hob seinen Kopf.

Der Fremde war an die Seite zurückgetreten, einer seiner japanischen Begleiter flüsterte ihm etwas zu.

»Mein Meister war Sensei Vanderveer Cornelis aus den fernen Niederen Landen von Brabant, Baumeister und Meister der Sternkunde, der Mathematik und der alchemistischen Künste.« Mitsukoshi spürte förmlich den durchdringenden Blick des Fremden auf sich ruhen.

»Und was ist das für ein Erbe?«

»Das weiß ich leider nicht. Ich vermute, er hat mir einen Teil seines großen Wissens hinterlassen. Den Teil, den ich nicht mehr verdauen konnte, als ich vor drei Jahren in das ehrwürdige Kashima Shinto Ryu als Samurai-Adept eintrat, um danach in die Dienste meines gnädigen Fürsten Takayama treten zu können.«

»Verdauen ist gut«, spottete der Zeremonienmeister und eilte zurück zum Fürsten.

Mitsukoshi linste quer durch den Saal. Daimyo Takayama ließ sich frische Luft zufächeln und brummte etwas Unverständliches. Darin mischte sich das Zischeln des Fremden.

»Was hat unser explosiver Gast zu bemerken?«, erkundigte sich der Fürst, nachdem das Zischeln nicht aufhörte.

»Xaverius sagt, dass Holländer gottlose Menschen, niederträchtige Ungläubige sind. Meister der Lüge und der Zwietracht, Schlangen gleich, die zertreten werden müssen und unwürdig unter Euren Augen wandeln zu dürfen, mein Fürst.«

»Soll wohl heißen, er mag sie nicht besonders«, murmelte Takayama leicht belustigt. »Warum nur?«

Mitsukoshi tat etwas Unerhörtes, was ihn seinen Kopf oder zumindest seine Stellung kosten konnte: Er erhob seine Stimme. »Das ist eine Lüge!«

Alle Augen richteten sich auf ihn, auch die des Fremden, der ziemlich erstaunt über die plötzliche, lautstarke Unterbrechung seiner Hasstirade schien. Der Zeremonienmeister rollte mit den Augen. Mitsukoshi war aufgesprungen, ebenso die Leibwächter, ihre Katana griffbereit.

»Sensei Vanderveer war der ehrlichste, gütigste, wenn nicht sogar der weiseste aller Lehrmeister, den man sich vorstellen kann. Nicht eine verachtenswerte Lüge ist ihm je über die Lippen gekommen, nie ein falsches Wort!« Das stimmte zwar nicht, aber das war im Moment egal. Meister Vanderveer war ein Meister zweideutiger Sprüche und absurder Flüche gewesen.

»Hatte dein hochgelobter Meister auch Kenntnis von solchen Waffen?«, erkundigte sich der Daimyo zur Verblüffung aller Anwesenden.

»Bestimmt!« Im gleichen Moment erschrak Mitsukoshi über seine vorschnelle Antwort, aber er ließ sich nichts anmerken. »Nun – so genau weiß ich es nicht, darüber habe ich nie mit ihm gesprochen.« Mitsukoshi klappte zusammen, seine Nase fest auf die polierten Dielen gepresst. Sein Herz pochte lautstark in den Ohren.

Fürst Takayama überlegte nur kurz. Die Reaktion des Fremden war irritierend. Er winkte einen seiner Generäle heran, der die Truppen am Hofe kommandierte.

»Was wissen wir über diesen …?«

»Vanderveer. Ein Mönch, soweit ich weiß. Er hat diesen Burschen vor Jahren aufgelesen und ihn unterrichtet. Dann ist dieser undankbare Jüngling ausgerissen und hat sich im Dojo nördlich von Edo eingeschlichen. Er ist noch nicht lange in Euren Diensten.«

»Eingeschlichen? Was heißt das?«

Der General zuckte mit den Schultern. »Er trug alle erforderlichen Schriftstücke bei sich. Die Siegel schienen nicht gefälscht.«

Die Augenbrauen des Daimyo wanderten nach oben. »Das wird ja immer interessanter.«

Der General nickte. »Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, ihn in Eure Dienste aufzunehmen. Das Dojo hat einen guten Ruf. Dieser Frischling wurde sogar in der Kunst der Shinobi ausgebildet, wenn auch nur kurz. Selbst schreiben, lesen und rechnen kann er. Nicht besonders gut, aber immerhin.«

»Erstaunlich.«

»Fragt sich, was er noch alles bei seinem Meister gelernt hat«, brummte der General. »Ein ungewöhnlicher junger Mann, aber ein Hitzkopf. Seine Schwertkünste sind ausgezeichnet. Ich werde ein Auge auf ihn haben, mein Fürst.« Auf einen Wink hin zog er sich zurück.

»He, Bursche. Ich höre, du hast Talent. Um was genau bittest du mich?«, fragte der Fürst.

Mitsukoshi traute seinen Ohren nicht. Er hob langsam seinen Kopf. »Ich erbitte Freigang, um zum Kloster meines Sensei in den Bergen Yamatos zu reisen. Dort kann ich sein Erbe antreten.«

»Wie lange wird dies dauern?«

»Nicht mehr als zwei Monde. Dann kehre ich zurück.«

»Gestattet.«

Mitsukoshi war überrascht.

Fürst Takayama wedelte mit seinem Fächer. »Hinfort! Und halte auf der Reise Augen und Ohren offen. So wie du es gelernt hast. Verstanden?«

Mitsukoshi hatte verstanden. Jetzt war er obendrein auch noch geheimer Kundschafter. Das kam unerwartet und schmeichelte ihm ein wenig. Er verbeugte sich tief und verließ rückwärts den Audienzsaal.

Der General beugte sich zu seinem Herrn hinüber. »Was kann das Erbe dieses Gaijin schon Großartiges sein, mein Fürst?«

Fürst Takayamas Blick wanderte zu dem finsteren Ausländer hinüber, der das Gespräch mit zusammengekniffenen Augen aufmerksam verfolgt hatte. »Es muss etwas Außergewöhnliches sein, sonst wäre dieser dort nicht so außer sich. Um ganz sicherzugehen, entsendet einen Shinobi, der den Burschen im Auge behält. Wählt einen guten Mann, einen erfahrenen, der dafür sorgt, dass das Geheimnis dieses toten Sensei auf jeden Fall in unsere Hände gerät, was immer es auch sei.«

Beim Verlassen des Audienzsaals stieg Mitsukoshi vorsichtig und breitbeinig über die Blutlachen. Er trug nur Zoris, die sich vollgesaugt hätten. Gutgelaunt stieg er hinab zu den Samurai-Quartieren auf der anderen Seite des Hofes. Dort teilte er sich mit drei anderen eine Kammer. »Das war ja einfach«, murmelte er, als er sein leeres Quartier betrat. Seine Kameraden waren vermutlich gerade mit Waffenübungen auf dem Burghof beschäftigt. Ein kurzer Blick aus dem Fenster bestätigte diese Vermutung.

Seine Kameraden auf dem weiten Platz waren gerade mit Tameshigiri beschäftigt. Zahlreiche zerhackte Tatamirollen lagen verstreut über dem Sandplatz. Dutzende junge Samurai der Wache standen schwer atmend um ihren Kommandanten, der die Ergebnisse der Hiebversuche kopfschüttelnd auf einer Wachstafel festhielt. Nach jedem Hieb kamen Helfer angerannt, zogen die zerhackten Tatamirollen von den mittlerweile arg zerschlissenen Pfählen und stülpten neue Rollen über. Der Vorratsstapel war schon auf wenige Exemplare geschrumpft.

Meister Hayashi, der einäugige Hofschmied, hielt sich im Hintergrund. Wie immer hockte er bei den Schwertübungen auf einem Baumstumpf vor seiner Schmiede, das weißbärtige Kinn auf beide Hände gestützt. Mitsukoshi wunderte sich, wie der alte Mann mitansehen konnte, wie seine Schwerter bei dieser Übung so misshandelt wurden. Ganz abgesehen davon, dass er danach die Hakobore aus den Schneiden auswetzen musste. Oft waren die Scharten so tief, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als die Schwerter wegzuwerfen und neue zu schmieden. Seine rußbedeckten Helfer wachten argwöhnisch über den schwindenden Vorrat an Rohklingen. Ihre Augen leuchteten wie Sterne am Nachthimmel aus ihren schwarzen Gesichtern. Bei jedem Hieb auf die Tatamirollen zuckten sie deutlich sichtbar zusammen. Oft wurden heimlich Wetten darüber abgeschlossen, wem es wohl als Erstem gelang, ein Schwert gleich mit dem ersten Hieb zu zerbrechen. Das mündete jedoch unweigerlich in einem todlangweiligen Vortrag des Kommandanten, warum ein sorgfältig gepflegtes Katana der wertvollste Besitz eines jeden Samurai war.

Mitsukoshi wunderte sich zunächst darüber, warum keiner der rund hundert Samurai der Wache, alarmiert von der Explosion, mit ihrem wertvollsten Besitz in der Hand zum Audienzsaal hinaufgestürmt war. Doch dann ließ ein dumpfer Knall den Boden vibrieren. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tales stieg hinter den Bäumen eine kleine Rauchwolke auf. Die Kanoniere des Daimyo waren mit Zielübungen beschäftigt. Seit Wochen hatten die Aktivitäten rund um Burg Fukashi immer weiter zugenommen. Was dies bedeutete, lag auf der Hand. Fürst Takayama bereitete mal wieder einen Feldzug vor. Dafür zog er alle möglichen Truppen zusammen – Samurai und andere Reiter, Fußvolk, Bauern mit Knüppeln und Lanzen. Nach Berichten älterer Samurai versuchte Fürst Takayama seit nunmehr zehn Jahren, sich möglichst viele der benachbarten Fürstentümer einzuverleiben. Mal gelang es ihm, und er hinterließ Besatzungstruppen, die ihm beim nächsten Feldzug wieder fehlten. Mal scheiterte er und musste sich wieder hinter die Mauern einer Burg zurückziehen. Dann wurden ihm große Teile seiner Truppen abspenstig, weil er sie mit hohlen Versprechen allein nicht an sich binden konnte. Eigentlich konnte er sich nur der Loyalität seiner Samurai sicher sein. Aber die waren dafür teuer im Unterhalt. Ein Grund, warum man den Schatzmeister des Fürsten stets nur mit finsterer Miene antraf.

Mitsukoshi schob den Shoji gleich neben dem Eingang beiseite, in dem sich sein Tansu befand. Er nahm den Deckel des Kastens ab und wühlte in seiner Kiste nach dem Lederbeutel, der sein gesamtes Barvermögen enthielt. Nachdenklich ließ er die wenigen Münzen in seine Hand gleiten. Auch nach erneutem Nachzählen wurden es nicht mehr. Er versuchte zu kalkulieren, ob es für die lange Reise zum Kloster und zurück reichen würde.

Er überlegte, was noch zu bedenken war. Er musste sich tarnen, denn er würde Fürstentümer durchqueren, von denen er gar nicht wusste, ob sie mit dem Haus Takayama befreundet waren. Vermutlich nicht – mehrere davon hatte der Fürst vergeblich versucht einzunehmen. Dann gab es da noch marodierende Banditengruppen und zahllose herrenlose Samurai, die durch das Land streiften und vor denen man sich lieber in Acht nehmen sollte. Also war es wohl weiser, nicht in den Farben des Hauses Takayama aufzufallen.

Leichter gesagt als getan. So gut wie alle Kleidungsstücke Mitsukoshis trugen das aufgestickte Mon seines Herrn. Er konnte die Reise ja schlecht nur in Unterkleidung antreten. Kurz entschlossen löste Mitsukoshi die aufgenähten Zeichen von Hitatore und Haori. Das hinterließ zwar kreisrunde dunkle Flecken, aber das war Mitsukoshi im Moment nicht so wichtig. Das Stichblatt seines Schwertes mit dem Zeichen des Hauses Takayama konnte ihn noch verraten.

Mitsukoshi legte seinen schlichten, dunkelgrauen Alltagskimono an, band ihn mit dem gleichfarbigen Obi zusammen und schlüpfte in den ebenfalls grauen Haori. Er strich noch einmal mit der Hand über seine bisher unbenutzte Rüstung und schloss sorgfältig die Kiste. Dann band er sich eine zusammengerollte Decke auf den Rücken und griff sich seine ledernen Stiefel, eigentlich seinen einzigen wertvollen Besitz. Fußbekleidung, die wie angegossen passt, ist wertvoller als ein eigenes Schwert. Eine weitere Weisheit des Sensei Vanderveer.

Mitsukoshi trat in die pralle Mittagssonne und überquerte den Hof, hinüber zur Schmiede. Er verbeugte sich vor Meister Hayashi. »Meister, ich benötige ein anderes Tsuba, eines ohne Zeichen des Fürsten.«

Der alte Mann schaffte es auch mit nur einem Auge skeptisch dreinzublicken. Mitsukoshi übergab ihm sein Schwert. Der Meister zog es aus der mattschwarzen Scheide und ließ seinen Blick prüfend die Schneide entlanggleiten. Dann nickte er, brummelte etwas in seinen zauseligen Bart und ging nach hinten in die Schmiede. Mitsukoshi blieb respektvoll am Eingang stehen.

Der Schmied riss eines der wenigen Fenster auf, um besser sehen zu können. Er spannte die Klinge in einen Klemmbock ein, griff zu einem Holzhammer und einem Kugelstift, dann fühlte er entlang des lederumsponnenen Tsuka, um die Mekugi zu finden. Er setzte den stählernen Kugelstift auf die Haltestifte, die die Nakago im Tsuka verankerten. Zwei gezielte Hiebe und die Mekugi fielen auf der anderen Seite heraus. Mit einem flachen Metallhammer klopfte er daraufhin leicht entlang des Griffes, um die Schwertangel darin zu lösen. Mit einer offensichtlich jahrelangen und viele tausend Mal geübten Handbewegung zog er den gesamten Griff von der Schwertangel, ohne den Gashira zu lösen. Der Endknopf blieb, wo er war. Der Meister steckte den Griff auf ein anderes, noch nicht fertiggestelltes Schwert und zog nach dem Lösen der Griffzwinge das Tsuba von der Angel. Mit einem seiner knochigen Finger fuhr er über die eingepunzten Symbole auf der Angel. Sein eigenes Werk kommentierte er mit einem zufriedenen Grunzen. Er blickte prüfend auf das bronzene Stichblatt mit dem Mon des Hauses Takayama und dann zu Mitsukoshi hinüber. Der nickte aufmunternd. Wieder brummelte der Alte etwas in seinen schlohweißen Bart, ging hinüber zu einem Regal und wühlte in einem Korb. Er suchte klimpernd nach einem anderen Tsuba. Rund ein Dutzend Stichblätter nahm er aus dem Korb und hielt sie unter sein einziges, offenbar kurzsichtiges Auge. Dann hatte er anscheinend gefunden, was er suchte. Brummelnd kehrte er zu seiner Werkbank zurück und schob das gerade ausgewählte Tsuba auf die Schwertangel. Es folgten das Fuchi und nach der Griffzwinge gleich der alte Griff, in das er wieder die Haltestifte mit dem Hammer versenkte. Schließlich kontrollierte er sein Werk noch einmal gründlich und fuhr mit einem ölgetränkten Stück Papier und seinem zerschrundeten Daumennagel entlang des Hamon.

Die Helfer des Meisters hatten von ihrer Arbeit nicht einmal aufgesehen. Sie pumpten eifrig Luft in den Schmiedeofen, der gleißend hell aufglühte und fauchend Funken versprühte. Nur einer der Helfer hämmerte gleichförmig auf ebenfalls rotglühende Schwert- und Lanzenspitzenrohlinge ein, die sich neben ihm zu einem Berg türmten. Auf der anderen Seite hingen hunderte fertiger Katana in hölzernen Gestellen, die von den Polierern stoisch geschliffen und poliert wurden. Also wäre die Zeit der Übungen bald vorbei und es würde ernst mit dem Feldzug.

Mitsukoshi hatte genug von der Hitze und dem bitter ätzenden Gestank und wartete lieber draußen vor der Tür. Meister Hayashi kam herangeschlurft und hielt Mi-tsukoshi die Scheide mit dem umgebauten Schwert hin. Das Tsuba zeigte nun zwei ineinander verschlungene Drachen. Mitsukoshi steckte das Schwert in seinen Obi und ein Wakizashi gleich daneben.

Hayashis Auge blinzelte mit einem Anflug von Neugier. »Warum?«, nuschelte er in seinen struppigen Bart.

»Ich habe einen langen Weg vor mir und will Schwierigkeiten vermeiden.«

Der alte Mann nickte. »Verstehe.« Dann zeigte er in Richtung der Übungspfähle. »Na, dann zeig mal, was du kannst.«

Das hatte Mitsukoshi eigentlich gar nicht vorgehabt, aber seltsamerweise legte er Wert auf die Meinung dieses halbblinden, fast zahnlosen alten Mannes, der aus allen Poren nach Sake stank. Inzwischen war Mitsukoshi offenbar wegen seines ungewöhnlichen Aufzugs auch ins Blickfeld des Kommandanten geraten. Na klasse!, dachte Mitsukoshi, als die Helfer gerade die letzte Tatamirolle auf den Pfahl aufzogen und nun ungeduldig darauf warteten, endlich alle Überreste der Tatamischlacht einsammeln zu können.

»Mi-tsu-ko-shi«, notierte der Kommandant auf seiner Wachstafel. »Erscheint bei der Übung ohne vorschriftsmäßige Kleidung. Gibt es dafür einen Grund?«

Mitsukoshi kannte diesen Tonfall nur zu gut. Er richtete sich auf und ließ sein Genick knacken. »Das könnt Ihr ja den Fürsten mal fragen, wenn er Euch lässt.« Damit ließ er den Veteranen einfach stehen, machte blitzschnell zwei Ausfallschritte nach vorne links und drehte sich ebenso rasch einmal um sich selbst. Noch in der Drehung zog er sein Schwert und traf dadurch unglücklicherweise die Tatamirolle etwas zu weit unterhalb der Mitte. Prompt blieb die Klinge im Pfahl darunter stecken. Bereits während er den Wakige-Hieb durchführte, ahnte er den Ausgang des Manövers. Er ließ den Schwertgriff fahren, machte einen Ausfallschritt zur anderen Seite, zog im gleichen Moment das Wakizashi und hackte die Rolle auf gleicher Höhe nun mit einem Kurumasike von der Seite ab. Abschließend rupfte er sein Schwert wieder aus dem Hartholzpfahl heraus. »Olé!«

Der Befehlshaber starrte ihn an. »O-was? Was soll das denn heißen?«

Mitsukoshi zuckte mit den Schultern. »Das hat mein Meister immer von sich gegeben, wenn ihm etwas gut gefallen hat.«

Der Kommandant schielte Mitsukoshi argwöhnisch von der Seite an. »Verliert Waffe während der Übung«, notierte er.

Mitsukoshi seufzte still. Diesem Schinder würde er es nie recht machen können, da war er sich sicher.

Meister Hayashi hockte wieder auf seinem Baumstumpf und hielt sich kopfschüttelnd das Auge zu. Unter dem verhaltenen Kichern und leise geflüsterten Olés seiner Waffenbrüder reckte Mitsukoshi die Brust heraus und stiefelte auf das Haupttor zu.

Er kam am Stall vorbei und schaute ein wenig wehmütig hinein. Ein Pferd würde die Reise schon erheblich erleichtern, aber das Risiko war zu groß, dass es bei einem Kampf in die Hände des Gegners fiel. Schließlich reiste Mitsukoshi allein und Daimyo Takayama hielt Pferde immer noch für wertvoller als Samurai. Wenn Mitsukoshi sich richtig an den Taktikunterricht seines Meisters erinnerte, hatte der Fürst damit gar nicht so unrecht.

Die Torwachen schauten erst argwöhnisch, aber die Bewaffnung und die Haltung des jungen Mannes ließ keine Zweifel aufkommen, dass sie es mit einem Samurai zu tun hatten, wenn auch einem äußerst schlecht gekleideten. Die Flügel des riesigen Haupttores ächzten und knackten, als sie aufschwangen, um Mitsukoshi hindurch zu lassen. Der reckte erst mal seinen Hals, als er vor die hohe Mauer trat. Zu seiner Verblüffung verspürte Mitsukoshi ein Gefühl von Freiheit, das er lange Zeit vermisst hatte. Für einen Moment schloss er die Augen, bevor er losging. Seine Augenlider glühten rot.

Nach hundert Schritten band er sorgfältig die Schnüre seiner Schuhe nach. Einen Stein im Stiefel konnte er jetzt wirklich nicht brauchen. Dem Stand der Sonne nach war die Mittagszeit schon vorbei. Als er die Stadtgrenze erreichte, schaute er kurz hinter sich. Burg Fukashi erhob sich in einiger Entfernung düster und dunkelgrau über die flachen, einstöckigen Gebäude, die sich im Schutz der Burg duckten und entlang der Hauptstraße aufgereiht waren wie Perlen auf einer Kette. Mitsukoshi rückte noch einmal seine Waffen zurecht und schritt mit weit ausholenden Schritten voran. Den Schatten hinter dem vierten Haus auf der linken Seite hatte er wohl bemerkt.

Der ausgetretene Pfad, dem Mitsukoshi für eine Weile folgte, war übersät mit den Hufabdrücken zahlreicher Pferde, Ochsen und tief eingegrabenen Karrenspuren. Nach einer Weile war er es leid, über die von der Sonne steinhart gebackenen Furchen zu balancieren. Mitsukoshi schätzte vierzig bis fünfzig Pferde. Die Hufe hatten nicht so tiefe Eindrücke hinterlassen wie die Karren, was darauf schließen ließ, dass die Reiter nicht in voller Rüstung unterwegs waren. Wenn es sich dabei überhaupt um Samurai handelte. Da die Spuren nicht verwischt waren, hatten die Reiter sich anscheinend dem gemächlichen Tempo der Fußtruppen angepasst. Also waren sie gemeinsam unterwegs.

Mitsukoshi kannte die Berichte über Scharen mordgieriger Marodeure, die im Auftrag des Fürsten hinter den Grenzen kräftig für Unruhe sorgen sollten. Ein zusammengewürfelter Haufen finsterer Gestalten war das angeblich. Darunter Ronin, Abenteurer, Krüppel, Totschläger und entlassene Strafgefangene, die gerade mal einen eisengespickten Knüppel schwingen konnten und die es der Gnade des Fürsten verdankten, ihr kümmerliches Leben nicht unter der Klinge eines Scharfrichters ausgehaucht zu haben. Alles verlorene Seelen, wie Sensei Vanderveer sie immer bezeichnet hatte. Mit der ganzen Verachtung der versammelten Samurai im Nacken und Geläster in den ungewaschenen Ohren waren Aberhunderte dieser verlorenen Seelen durch das Haupttor gezogen. Lediglich ausgestattet mit ein paar erbärmlich lausigen Waffen aus Meister Hayashis Abfalltonnen und einigen alten Mähren, die der Stallmeister hatte loswerden wollen, waren sie rasch in der Ferne verschwunden.

Mitsukoshi wechselte auf den dicht mit ausgebleichtem Gras bedeckten Seitenstreifen. Hier fiel das Marschieren wesentlich leichter. Im Verlauf des Tages wurde aus dem Marschieren ein kultiviertes, immer weniger strammes Gehen. Die frühsommerliche Hitze setzte Mi-tsukoshi schwerer zu, als er gedacht hatte. Darum war er erleichtert, als er an einen schmalen Bach kam. Gut gelaunt tauchte er sein Halstuch in das plätschernde Nass und kühlte seinen Nacken. Das gluckernde Wasser schmeckte frisch und stillte seinen Durst. Der Bach übertönte sogar das Zirpen der zahllosen Zikaden, das ihn bislang begleitet hatte.

Mitsukoshi fiel ein, dass er außer ein paar Katayaki, die er in seiner Kiste gefunden hatte, nichts Essbares bei sich trug. Er konnte wohl kaum mit den paar drögen Keksen als Wegzehrung die lange Reise hinter sich bringen. Aber er hatte auch keine Lust, den langen Weg zurückzugehen, nur um sich in der Burgküche mit Vorräten einzudecken. So würde er einen ganzen Tag verlieren.

Ein unbekanntes, rhythmisches Geräusch zupfte beharrlich an Mitsukoshis Bewusstsein und riss ihn aus seinen Gedanken. Es vermischte sich mit dem Sägen der Zikaden, nur klang es tiefer. Erst kämpfte er ein wenig mit sich, dann folgte er dem Geräusch. Ab und zu setzte der Klang aus, dann waren nur noch die Zikaden zu hören. Je näher er dem Waldrand kam, umso mehr nahm der Lärm zu. Der Wald hier bestand aus mächtigen Eichen und nicht minder stämmigen Ahornbäumen. Mitsukoshi erklomm einen kleinen Hügel. Als Erstes sah er den großen Karren mit den beiden gelangweilt schnaubenden Ochsen davor, die sich ständig schüttelten, um die beharrlichen Fliegen loszuwerden. Der harzige Duft von frisch geschnittenem Holz stieg ihm in die Nase. Bei dem Gedanken an Sägemehl widerstand Mitsukoshi nur schwer der Versuchung zu niesen. Als er dem Ochsengespann näher kam, sah er auch die offene Sägemühle, die zwischen den Baumriesen fast schmächtig aussah. Bis zum Waldrand war das Feld übersät mit kurz über dem Boden abgesägten Baumstümpfen, auf denen bereits wieder die ersten grünen Sprossen und Blätter blühten. Mit der linken Hand gelassen auf dem Schwertgriff, schlenderte Mitsukoshi auf die Mühle zu.