Möbelhaus - Robert Kisch - E-Book
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Robert Kisch

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Beschreibung

Ein renommierter Journalist verliert durch die Wirtschaftskrise seinen Job. Er hat einen kleinen Sohn. Er muss Geld verdienen. Und strandet als Möbelverkäufer in einem Industriegebiet in der Provinz. In einem der größten Möbelhäuser der Republik. Er trifft auf ehemalige Maurer, Musiker, Hoteldirektoren, Architekturstudenten – alles dabei im Kreis seiner Kollegen. Robert Kisch berichtet mit spitzer Feder von seinem neuen Leben: absurd, beklemmend, entlarvend.

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Robert Kisch

Möbelhaus

Ein Tatsachenroman

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Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

Frühling1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. KapitelSommer1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. KapitelHerbst1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. KapitelWinter1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel
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Frühling

1

Waren Sie nicht mal im Fernsehen?«

Ertappt, denke ich. Wie ein Stromstoß pulst das Wort durch meine Hirnlappen.

»In irgend so einer Talkshow …«

Ertappt. Ich halte eine Lasche mit Ledermustern in meiner linken Hand und wollte gerade zurück zu einem Kunden mit schwachsinnigen Extrawünschen, deren Komplexität mich völlig in Beschlag nimmt und deren Absurdität mein Resthirn mit komplizierten Herstellerverzeichnissen und Materialeigenschaften blockiert.

Währenddessen stellt sich mir das fragende Ehepaar einfach in den Weg. Ohne Begrüßung, ohne Höflichkeitsabstand. Sie müssen mich lange vorher schon auf dem Gang beobachtet haben.

Und sie warten auf eine Antwort.

»Sie haben uns letzte Woche ein Sofa verkauft«, sagt der neugierige Mann und strahlt mich an. »Und gestern Nacht war eine Wiederholung im Fernsehen, und da sag ich zu meiner Frau: Das ist doch der Verkäufer aus dem Möbelhaus!«

Prima, denke ich, jetzt ist alles vorbei. Ausweichen.

Bis vor wenigen Monaten noch habe ich mit Hollywood-Größen gealbert oder mit deutschen Show-Stars geflirtet, habe mich tatsächlich auch selber vor der Kamera herumgetrieben, wenn ich nicht dahinter beschäftigt war. Bis vor wenigen Monaten habe ich vor allem für die wichtigsten Magazine und Zeitungen geschrieben, habe dafür als sogenannte Edelfeder fast alle wichtigen deutschen Journalismus-Preise gewonnen; notorisch unrasiert und geistreich. Jetzt allerdings trage ich eine seriöse Krawatte, eine Bundfaltenhose und bin selbstverständlich glatt rasiert. Dabei habe ich zwischenzeitlich nichts Schlimmes verbrochen. Ich bemühe mich lediglich darum, dass mein Sohn regelmäßig essen kann. Weil die ganze Edelfederei inzwischen kein Geld mehr bringt, genauso wenig wie das Albern mit Hollywood-Größen oder Partybesuche mit Show-Sternchen. Und gleichzeitig ist mir das alles unsagbar peinlich. An Hollywood-Maßstäben gemessen bin ich nämlich mal eben grandios gescheitert. Und wenn das jemand erfährt von meinen ehemaligen Kollegen in den Redaktionsstuben – dann folgt bald ein freudiges Zerfleischen und Vierteilen. Dann bin ich endgültig erledigt.

Denn man tritt auf den Gefallenen. Nicht nur in Hollywood.

»Jugendsünden …«, sage ich lächelnd und hebe die Ledermuster vor mein Gesicht.

 

Der Rest des Tages ist gelaufen.

Was mache ich hier?

Die Frage quält mich weniger, weil ich nach einer Antwort suche (die doch offensichtlich ist: Junge, du musst Geld verdienen!), als vielmehr, weil sie sich als Sehnsucht meldet: nach einer vergangenen Welt.

Hier … In der Realität …

In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts (und ungefähr so lange kommt es mir auch vor) war ich für eine Pressekonferenz von Hape Kerkeling akkreditiert – in einem Möbelhaus. Hape Kerkeling wollte eine »bescheuerte Location«, eine skurrile Szenerie, und all das passte damals prima zusammen. Ich amüsierte mich köstlich, zwischen Betten und Schrankwänden, inmitten einer Horde von aufgewühlten Berichterstattern, und vorneweg ein scheinbar chaotischer Fernsehstar. In einem Möbelhaus …

Die Vorstellung, einmal selber genau dort Geld verdienen zu müssen, quasi auf der anderen Seite, wäre mir völlig lächerlich vorgekommen. In den Neunzigern, mit Aufkommen des Privatfernsehens, vor den Zeiten des Internets, wurde noch Papier bedruckt und verkauft, wurde Fernsehen gemacht und verkauft, und Journalisten – junge Journalisten, hungrige Journalisten, gewitzte Journalisten – waren gefragt. Sie wurden hofiert und bezahlt. Und ich war einer der gefragtesten.

Die Tatsache, dass Zeitungen sich einmal einfach so auflösen, Tausende Journalisten auf der Straße stehen, international renommierte Magazine keine Leser mehr finden, dass man in den USA ohne Häme davon spricht, dass Journalismus eine aussterbende Berufsgattung ist (siehe auch: Gerber, Kupferstecher etc.), wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen.

Zumindest bei mir.

Wie allerdings auch bei allen Freunden, Feinden, Kollegen oder sonstigen Analytikern, die noch in Lohn und Brot stehen. Es trifft bekanntlich immer die anderen. Und das sind immer die Schlechteren oder zumindest die, die es nicht anders verdient haben. Oder bei denen irgendwas nicht ganz stimmt.

Deshalb stehe ich also mit meinen angekündigten Ledermustern vor Herrn Zacharias, besser: vor seiner Frau, die sich nicht entscheiden kann. Die sich überhaupt nie entscheiden wird, denke ich, die aber angeblich ein neues Sofa braucht. »Obwohl das alte noch wie neu ist«, wie sie unentwegt betont.

»Also, welche Lederfarbe?«, frage ich zum schätzungsweise fünfunddreißigsten Mal. »Vielleicht Schwarz?«

»Ich weiß nicht«, murmelt Frau Zacharias zum ungefähr siebenundneunzigsten Mal, und die Schwere der Entscheidung steht ihr ins Gesicht geschrieben. »Ich glaube, Stoff wäre vielleicht doch besser … obwohl … Leder ist pflegeleichter … heißt es ja immer … obwohl … Leder ist kalt, sagt meine Schwester … Wilfried! Sag doch auch mal was!«

Aber Wilfried schweigt.

2

Einer war Hoteldirektor. Einer Gitarrist in einer Heavy-Metal-Band. Julia hat Augenoptikerin gelernt. Auf die Schnelle schnappe ich noch auf: abgebrochenes Architekturstudium, abgebrochenes Irgendwas. Andererseits aber auch: Maurer, Hauptschüler ohne Abschluss. Und der Gipfel: ehemaliger Millionen-Erbe.

Diese Aufzählung deckt den biographischen Horizont meiner Mitstreiter ab. Ich kann mich nicht entsinnen, jemals zuvor derart viele soziale Schichten in einem Berufsfeld erlebt zu haben.

Weil es hier nur ums Quasseln geht. Nicht um Diplome oder Abschlüsse.

In meiner Vorstellung war ein Möbelverkäufer eher ein ältlicher Herr mit korrekten Manieren, der irgendein Fachwissen über Hölzer und den Aufbau von Sitzpolstern vor sich herträgt. Vielleicht ein wenig schrullig, auf jeden Fall aber kompetent, bemüht und auf sein Metier konzentriert. In einem Wort: Loriot.

Vielleicht war das früher tatsächlich einmal so, aber die Realität sieht heutzutage anders aus. Es gibt weder hier in diesem Haus – und es ist eines der größten Möbelhäuser der Republik – noch in irgendeinem der sogenannten Marktbegleiter (der Ausdruck »Konkurrent« ist verpönt) auch nur einen einzigen gelernten »Möbler«. Trotzdem gibt es eine Gemeinsamkeit: Meine neuen Mitarbeiter sind allesamt verkrachte Existenzen. Keine Kriminellen, wohlgemerkt. Aber kaum einer, der in so einem Haus arbeitet, hat sich das freiwillig ausgesucht. Es ist ein Auffangbecken deutscher Mittelschichtsbiographien, gewissermaßen der Kaffeesatz gekündigter und nicht mehr vermittelbarer Randexistenzen. Ehemals stolze Berufsveteranen, die sich nun mehr oder minder schweigend und gebrochen um ihr Tagwerk kümmern.

»Wenn das ein Kunde wüsste«, sage ich zu Eulenberg, der insofern eine gewisse Ausnahme darstellt, weil er schon seit fünfzehn Jahren hier anschaffen geht. Er hatte mal ein gutgehendes Elektronik-Fachgeschäft in einer Kleinstadt, bis der zunehmende Preiskampf der Marktgiganten ihn zur Aufgabe zwang.

»Mach den Leuten nicht ihren Mythos kaputt«, antwortet er.

Denn: Verkaufen ist Geschichtenerzählen, das habe ich schon am ersten Tag gelernt. Und jedes Nebengeräusch, das den Erzählfluss stört, behindert den Umsatz. Todesstrafe!

Beiläufig streut Eulenberg im Verlauf des Tages dann doch noch einige Anekdoten über ehemalige Mitarbeiter ein. Weil die Fluktuation gigantisch ist, wie ich erfahre, ist dieser Story-Schatz unerschöpflich. »Beinahe monatlich wechselt in einer Abteilung ein Gesicht«, warnt er mich vor, »und oft bleiben es auch nur Gesichter …«

Ich gehöre doch selber dazu, denke ich. Vom ersten Tag an suche ich nach einer Möglichkeit, diesen Bunker wieder zu verlassen. Erstaunlich ist für mich nur, dass hier anscheinend fast alle so denken. Bis auf die Geschäftsführung und die Besitzer. Für sie ist das Areal ein steingewordenes Paradies.

»Nein, das hier ist ein Gefängnis«, sagt Eulenberg. »Wenn du es schaffst, hau wieder ab. Die Arbeit macht dich kaputt, und wenn es nicht die Arbeit ist, dann ist es einer der Besitzer.« Eulenberg selber hat sich inzwischen in die innere Emigration begeben. Er zählt die Tage bis zur Frührente.

3

Am ersten Tag schon lerne ich: Vergiss das Gute.

»Unsere Kunden leben in einer Scheinwelt«, sagt Krupp, der mich ein wenig einarbeiten soll, »aber sie wollen gar nicht eines Besseren belehrt werden.«

Krupp hat freundliche Augen, ein angenehmes Wesen, wirkt hilfsbereit, vor allem aber ist er ein sogenannter Top-Verkäufer. Meistens sprechen wir uns nur mit dem Nachnamen an, kaum jemand duzt sich. Ich habe das immer für eine blödsinnige Marotte in deutschen Kriminalfilmen gehalten, für eine verunglückte Übernahme aus amerikanischen Serien. Aber es heißt wirklich: »Kisch, komm mal her!«

Ursprünglich kommt Krupp aus der Gastronomie, hat dort erfolgreich als Geschäftsführer mehrerer großer Betriebe gearbeitet, aber irgendwann, so sagt er, habe man es sich dort angewöhnt, ihn vierundzwanzigstündig anzurufen. Und der Verdienst sei nicht zu vergleichen.

Krupp steht damit für eine Berufsbiographie, die ich von nun an täglich erlebe: so ein Durchwurschteln, Durchschlagen, auf der Suche nach einem Ankerplatz. Irgendwas halt. Wo es vielleicht weniger schlimm ist und Verachtung nicht zum Alltag gehört. Eine Wurschtelwelt jenseits süßlicher Karriere-Ratgeber, in denen es vor allem um Verwirklichung und Selbsterkenntnis geht. Oder um Gleichberechtigung und um Betreuungsplätze für den Nachwuchs.

In dieser neuen Mittelstandsrealität bewegt vor allem der eine Wunsch, nicht pausenlos angepinkelt zu werden. Bevor wieder mal die nächste Fusion ansteht. Und damit die nächste Kündigungswelle.

»Der Verdienst kann dich über vieles hinwegtrösten«, sagt Krupp. Wobei unser Gehalt sich ausschließlich aus Provisionszahlungen zusammensetzt, und dieses mysteriöse P-Wort soll sich mir bald schon als ein Universum aus verschiedensten sozialen Möglichkeiten und unsozialen Unmöglichkeiten eröffnen.

Erst einmal aber lerne ich die Grundlagen.

»Unsere Kunden«, sagt Krupp ohne jeden Zynismus, »leben in gesicherten beruflichen Verhältnissen, in sicheren Wohnvierteln, mit einem gefüllten Sparbuch. Obwohl sie dir die Ohren volllügen werden, wie arm sie angeblich seien und wie verarmt angeblich das ganze Land ist. In Wahrheit hat der Wohlstand sie wehleidig und unverschämt gemacht, voller Selbstmitleid. Irgendwann kannst du das Gesülze nicht mehr hören. Diese Leute glauben wirklich, dass der ganze Wohlstand in Deutschland nur daher stammt, weil wir Deutsche so gute Menschen sind. Und weil wir so ein gutes Herz haben. Unsere Kunden haben völlig den Zusammenhang verloren, dass dieses Land reich ist, weil es Waren produziert und diese verkauft. Und dass es dabei um Mord und Totschlag geht …«

»Du meinst, so wie wir alle nicht mehr an ein Tier denken, wenn wir ein Stück Fleisch essen …« Ich schaue ihn mit einem verkniffenen Lächeln an, weil ich mir nicht so recht vorstellen kann, dass er seinen Anfall ernst meint. Andererseits ist er kein dumpfer Schwätzer. Krupp hat einen Ruf im Hause und in der Branche, er ist ein Top-Verkäufer, das heißt, er verkauft mal eben für zweieinhalb Millionen Euro Möbel pro Jahr.

»Letztlich geht es in dieser Abteilung doch um guten Geschmack und um Qualität …«, sage ich, um ihm den Ball zuzuspielen. Okay, wenigstens ein bisschen Zynismus.

»Mach deine eigenen Erfahrungen, aber wenn du mich fragst, geht es auch in dieser Abteilung nur darum, gute Laune zu verbreiten.«

Damit spricht er das Zauberwort des deutschen Mittelstandes an: Optimismus.

Gefolgt von: positive Energie. Mit solchen Granaten wurde ich schon nach den ersten Minuten vom Geschäftsführer Eisenherz (so sein Spitzname) persönlich zugenebelt. Ich solle mich von »negativen Stimmungen« fernhalten und den »negativen Stimmungsmachern« die kalte Schulter zeigen. Stattdessen: Einsatz zeigen! Und noch mal: Einsatz! Und vor allem: Einsatz!

»Guten Geschmack«, sagt Krupp, »findest du in vielen Zeitschriften und in vielen Fernsehsendungen, unwidersprochen … Nur, Schöner Wohnen hat mit der Realität hier nichts zu tun. Wir leben von Erbsensuppe. Design und Kunst – das ist eine Scheinwelt.«

»Wenn die Leute so wohnen wollen, ist doch alles in Ordnung …«

»Das ist noch die große Frage«, antwortet Krupp, wobei er auch bei einem solchen Gespräch immer unruhig mit den Augen umherschweift.

»Was wollen die Leute überhaupt? Den bewussten Verbraucher wirst du hier nicht finden – nur den bewussten Geizhals. Gier schlägt Verstand, das ist der tägliche Wahnsinn …«

»Glaub ich nicht«, antworte ich. (Ja, die berührende Naivität des Einsteigers …)

Krupp zuckt mit den Achseln. »Ein Tipp noch, bevor ich dich unter die Wölfe lasse: Kunden lügen. Vergiss das nicht. Und zwar alle! In diesen Verbrauchersendungen sind Kunden immer liebe, arme, betrogene Lämmer … Du wirst aber ganz schnell merken: Kunden betrügen, Kunden suchen nur ihren Vorteil, und vor allem lügen sie wie gedruckt.«

 

Einige Zeit später spreche ich einen älteren Herrn an. Er ist mein erster Kunde. Und ich gebe mir alle Mühe, um Krupp zu widerlegen. Wie gesagt, Krupp ist kein Zyniker, aber sein Menschenbild ist mir zu einseitig. Zumindest in diesen ersten Tagen. Also setze ich mich zu dem netten Mann, und wir plaudern über das Leben im Besonderen und im Allgemeinen, über eine Vernissage in der Nachbarstadt, das Wetter und letztlich über stilvolle Ledermöbel. Er ist ein gebildeter Witwer mit einem angenehmen Humor. Wir plappern bestimmt eine gute Stunde. Ich mache all das, was ich mir von einem guten Verkäufer wünschen würde. Ich bin zuvorkommend, unterhaltsam, und ich berichte ihm von den Vorteilen einer bestimmten Marke (über die ich glücklicherweise in einer Architekturzeitschrift mal etwas gelesen habe). Der Kunde hört interessiert zu und bedankt sich anschließend überschwenglich. Das Gespräch habe er sehr genossen, er fühle sich in diesem Haus ausgesprochen wohl und komme gerne wieder.

»Ich muss noch mal darüber schlafen, ob ich mir dieses Sofa leiste«, sagt er, »aber ich komme nur zu Ihnen. Sind Sie in den nächsten Tagen im Haus?«

»Selbstverständlich!«

Um Krupp gleich anschließend ins Gesicht zu lachen.

»Fantastisch gelaufen!«, strahle ich. »Diesen Kunden habe ich durch Seriosität überzeugt, er hat auch mehrmals betont, wie sehr es ihm hier gefallen habe und dass er das Gespräch toll fand.«

»Ja, und?«

Krupp verzieht keine Miene. Vor allem strahlt er nicht.

»Wo ist der Auftrag? Oder willst du von Freundlichkeiten leben?«

»Der Mann kommt wieder«, antworte ich, »man kauft doch nicht sofort so ein teures Sofa. Der Mann denkt nach und kommt morgen wieder, oder übermorgen …«

Daraufhin ernte ich eine Lachsalve. Krupp kriegt sich gar nicht mehr ein. »Junge, wach auf, du sitzt nicht mehr in einem geheizten Büro! Merk dir eins: Raus ist raus! Das ist ein sehr alter und unverändert richtiger Verkäufer-Spruch. Diesen ach so freundlichen Mann wirst du nie mehr wiedersehen. Jede Wette, der fährt jetzt zur Konkurrenz, mit deinen ganzen Informationen, und kauft sich dort ein Sofa …«

4

Ein wenig Sonne, denke ich, wenigstens ein wenig Frischluft spüren.

Fenster sind »unter Tage«, wie Eulenberg unser Gefängnis nennt, nur am äußersten Zipfel einer entfernten Halle zu sehen. Also nicht vorhanden. Ob es draußen regnet, schneit oder die Sonne knallt – ich spüre den ganzen Tag nur das gleiche Neonlicht. Bis mir abends die Augen brennen. Vermutlich wüsste Braun, der Hausleiter, auch für diesen Umstand eine fantastische, beeindruckend positive Erklärung abzugeben.

In meinem vorigen Leben, in meinem festangestellten Leben, ging es eher darum, ein schönes Restaurant für die Mittagspause zu finden. Und einen guten Spruch zum Nachtisch. Begleitet von ein wenig Klatsch und Tratsch über die Branche, über verpfuschte Reportagen oder neue Aufträge.

In meinem vorigen Leben las meine Frau abends meine Artikel und gab ihre Meinung zum Besten. Zusammengefasst: Es war ein nettes Leben. Unbeschwert, unbedarft, ein wenig oberflächlich. Eben: normal.

Ich war ein Reporter, dessen Texte inhaliert wurden. Umstritten mitunter, aber auch geliebt. Mitunter. Denn ich war kein simpler Mitläufer, sondern ein sogenannter Name. Der mir Aufträge einbrachte, die mich kreuz und quer über den Globus trugen. Beinahe wöchentlich im Mietwagen, im Flugzeug, in irgendeinem Hotel der gehobenen Preisklasse.

Ich war ein Reporter, der ungebeten zu Filmpremieren eingeladen wurde, obwohl sie mich langweilten. Was ich auch deutlich zum Ausdruck brachte, woraufhin ich erst recht wieder einbestellt wurde, weil solcherlei Rebellentum allzu steife Partys aufmischt. Und weil natürlich jedem klar war, dass ich am allerwenigsten auf diesen Blitzlichtkitzel verzichten wollte.

Denn ich mochte mich nicht langweilen.

Ich war in den besten Jahren (wie man das gerne nennt), jünger aussehend, sportlich, voller Energie und Pläne.

Inzwischen, freigesetzt, hat sich das ein wenig geändert. Jetzt gelte ich nur noch als: alt.

Als: zu alt. Mit Ende vierzig.

Vielleicht brennen mir deshalb auch so die Augen.

Es ist ein unangenehmes Brennen, weil die Hornhaut durch Reiben mit einem Taschentuch nur noch stärker gereizt wirkt. Tatsächlich sitze ich später vor einer Kundin, blättere in den umfangreichen Mappen, um eine Frage zu beantworten, und plötzlich laufen mir dicke Tränen die Backen hinab. Was die Kundin ein wenig irritiert.

»Schon wieder eine Preiserhöhung …«, sage ich, um die merkwürdige Situation aufzulockern. Aber es gelingt mir nicht vollends.

Genauso wenig, wie ich es schaffe, mich an die Temperaturskala der Klimaanlage zu gewöhnen. In einigen Kojen windet es derart kalt, dass ich befürchten muss, mich umgehend zu erkälten, in anderen wiederum bleibt es brütend heiß. Aber das ist alles noch nichts gegen die grandiose Musikschleife! Von morgens bis abends hallt mir ein Chart-Muckebrei in den Trommelfellen. Es gibt natürlich Variationen innerhalb der Schleife, ungefähr alle vier Stücke, aber auch diese bieten nur einen erbarmungslosen Grundkonsens an melodischer Fröhlichkeit.

Und das vor allem: knapp zehn Stunden am Stück.

Jeden Samstag arbeiten, denke ich, daran werde ich mich nie gewöhnen können. Jeden Monat zusätzlich ein Freitag, an dem bis 23 Uhr geöffnet ist, denke ich. Und alle drei Monate sonntags arbeiten.

Nicht falsch verstehen, ich bin an langes Arbeiten gewöhnt. Ich bin auch an hartes Arbeiten gewöhnt, und ich kann mich an Nächte am Schreibtisch erinnern, auch an Wochenenden im Schnittraum, um einen Film zu kürzen. Ich kann mich an vieles erinnern, das mich vor allem begeistert und das mein Leben bereichert hat. Ich habe gern geschrieben, gefilmt, dokumentiert, in den Neunzigern vielleicht sogar etwas zu gerne – weil ich stattdessen besser eine Promotion abgesetzt hätte, wie es heute zur Grundausstattung eines Redakteurs gehört. Aber ich war gebucht, begehrt, gesucht …

All diese früheren Überstunden erfüllten auf jeden Fall irgendwie einen Sinn. Weil eine Reportage abgeschlossen, eine Nachricht bearbeitet werden musste – oder weil es ganz einfach Spaß machte, mit den Kollegen zusammen im Büro zu sitzen.

Jetzt – ist das lange Arbeiten Vorschrift.

Es gibt keinen Sinn dabei. Es gibt lediglich Öffnungszeiten.

Jetzt – geht es nur noch ums Arbeiten. Um den monatlichen Gehaltsscheck. Um eine Tätigkeit, die mich nicht interessiert. Die keinen Mitarbeiter hier interessiert.

»Herr Kisch«, ermahnt mich der Hausleiter, Herr Braun, weil mir bei der Aufzählung der bevorstehenden Überstunden die Mundwinkel herabfallen. Und weil ihm bei mir offensichtlich die Begeisterung fehlt, die positive Einstellung.

»Diese zusätzlichen Arbeitstage sind vor allem zusätzliche Möglichkeiten!«, doziert er. »Damit Sie mehr Umsatz generieren können! Wir tun das alles nur, damit Sie mehr Geld verdienen können!«

Ach, es geht doch immer wieder ans Herz, wenn man von solchen Wohltätern umgeben ist.

5

Hinter dem riesigen Gebäudekomplex gibt es einen Tümpel mit Parkbank. Und drei Bäumen. Aber dieses Paradies ist für Kunden nicht einsehbar und damit der einzige Ort, um wenigstens einige Minuten lang Frischluft zu atmen, die Sonne zu spüren und die Augen zu schließen.

Mittags schleiche ich mich durch einen Seitengang dort hin. Geheime Verbindungsgänge haben mich immer schon fasziniert, und in einem Kaufhaus dieser Größenordnung gibt es überall Verbindungstüren zwischen den Hallen, Werkstätten und Büroetagen.

Innen sind alle Möbelhäuser, weltweit, nach dem gleichen Prinzip aufgebaut. Angepasst an das Zuhause gibt es eine Wohnzimmerabteilung, Schlafzimmer, Küche, Bad, Kinderzimmer, manchmal Jugendzimmer. Einige Häuser sind in den einzelnen Abteilungen noch mal thematisch gestaffelt, manchmal, je nach Größe des Hauses, sind diese Abteilungen in einen hochpreisigen und in einen billigeren Bereich aufgeteilt. Und fast überall gibt es inzwischen einen Billig-Discounter als zweites Haus angegliedert. Oft unter einem anderen Namen, aber es gehört natürlich zur gleichen Gesellschaft.

Ich bin für den Bereich »Modernes Wohnen« eingeteilt, zusammen mit neunzehn anderen Kollegen. Laut Hausleiter Braun sind wir die Elite, wahlweise auch »Champions League«, auf jeden Fall irgendwas Mega-Besonderes. Weshalb wir ja auch nicht mehr als »Verkäufer« tituliert werden, sondern als »Einrichtungsfachberater« herumstampfen. Zumindest aber sind wir der Hauptumsatzbringer des Unternehmens, zusammen mit der Küchenabteilung und den Schlafzimmerleuten. Und wir gehören selbstverständlich auf eine höhere Evolutionsstufe als die schnöden Mäuschen aus der Boutique oder aus der Kissenabteilung. Diese Damen bekommen ein Gnadenbrot, einen ausgehandelten Tariflohn – aber wir tragen das »P« auf der Stirn. Provisionsverkäufer können nämlich ihr Einkommen selber bestimmen, wiederholt Guru Braun beinahe täglich, ihnen lauert Reichtum auf und gesellschaftliches Prestige. Zumindest in der Vorstellung des Hausleiters.

Unter dem Begriff »Modernes Wohnen« finden sich Polstermöbel der mittleren bis gehobenen Preisklasse, also beispielsweise Rolf Benz, Musterring, Machalke, Ewald Schillig, Frommholz, Himolla, Koinor (um nur einige zu nennen), aber auch Schrankwände von Hülsta, Wöstmann, Hartmann, nebst Italienern. Der klassische Zuschnitt, den fast alle Großen präsentieren.

Und vor dem ich mich mittags an meinen Tümpel verdrücke. Merkwürdigerweise bin ich hier fast immer alleine. Obwohl alle unter dem künstlichen Licht leiden und die Klimaanlage hassen, verbringen die meisten Verkäufer, Entschuldigung: Einrichtungsfachberater, ihre Pausen in verqualmten Raucherräumen.

In den ersten Wochen saß ich meist auf der Tümpelbank und dachte an mein Bewerbungsgespräch zurück. Und an mein vergangenes Leben.

Ich vermisse die stundenlangen Autofahrten mit exzentrischen Fotografen auf fremden Autobahnen, auf der Suche nach einem guten Bild oder zumindest einem eloquenten Gesprächspartner für eine wieder mal abstruse Reportage. Ich vermisse die Einblicke in das Leben anderer Menschen. Deren Offenheit. Ich vermisse sogar das schlechte Essen in heruntergekommenen Kaschemmen und zu viel warmes Bier zum Runterspülen. Sonnenuntergänge in Industriebrachen, am Rande der Zivilisation. Und immer wieder: Stille.

Ich vermisse das Abklatschen mit meist betrunkenen Fotografen beim Betrachten der ersten Ausbeute. Und die gemeinsame Vorfreude auf den nächsten Tag. Um die eine, endlich die entscheidende Reportage zu schreiben, auf die ich immer gewartet habe.

»Was möchten Sie denn verdienen?«

Aufwachen …

Das war die zentrale Frage. In dem Einstellungsgespräch ging es weniger um meine Vorstellungen oder Kenntnisse, erst recht nicht um Schulbildung oder Familienstand. Und es war völlig egal, womit ich bislang mein Geld verdient hatte. Hauptsache: Ich wollte von nun an welches heranschaffen.

Im Vorfeld hatte ich mich zwar über einige Zahlen informiert, aber die halfen mir nun auch nicht wirklich weiter. Ich wusste, dass der Möbelhandel in Deutschland seit Jahren für einen jährlichen Umsatz von dreißig Milliarden Euro steht und dass es eine große Bandbreite an Vertriebsformen gibt, vom Mitnahmemarkt über Fachgeschäfte bis zum Wohnkaufhaus. Vor allem hatte ich gelesen, dass in dieser Branche nur noch ein Ziel herrscht: Expansion. Immer mehr Verkaufsfläche, immer mehr Filialen. Keine andere Einzelhandelsbranche verfügt über so große Verkaufsareale. Die zwölf größten Einrichtungshäuser haben eine Fläche von mindestens zwölftausend Quadratmetern. Umsatzsteigerung erfolgt dann nur noch durch immer mehr Neueröffnungen. Was in etlichen kleineren Städten zu Problemen führt, wenn sich zwei Möbelhäuser bekriegen. Denn das erklärte zweite Ziel dieser Strategie ist: regionale Marktstärke durch Verdrängung.

»Also, was möchten Sie denn verdienen?«

Ich dachte daran, dass ich die Stellenanzeige in der Zeitung bis zum letzten Tag liegen gelassen hatte. Sie wäre mir auch gar nicht aufgefallen, wenn meine Frau nicht mit dem Finger darauf geklopft hätte. Völlig absurd! Möbelverkäufer!

Ich wollte lieber noch ein wenig abwarten.

»Worauf?« (Gefolgt von erneutem Fingerklopfen)

»Möglicherweise hat Christian etwas in Hamburg …« Ich war schließlich eine Edelfeder. Mit meiner Vita konnte man drei Journalisten ausstatten (wenngleich nicht mal einen damit bezahlen).

»Du wartest jetzt schon sechs Monate …«

Ulrikes Ton war hart und fordernd. Sie hatte Existenzangst. Und meine Edelfederei hing ihr zum Hals heraus. Wenn es nicht mal für den Lebensunterhalt reichte.

Ich schrieb also die Bewerbung und hoffte doch in Wahrheit auf ein rettendes Telefonat. Oder auf eine rettende Mail. Ich wartete auch noch, als die Einladung zum Bewerbungsgespräch eintraf. Und ich wartete sogar dann noch, als mich der Geschäftsführer nach meinen Verdienstwünschen fragte.

Meine beiden Gegenüber, Geschäftsführer und Hausleiter, entsprachen übrigens auch nicht meinem Klischee. Sie hatten Stil, waren modern gekleidet, und sie wirkten humorvoll. Zumindest an diesem einen Tag. Für fünfzehn Minuten.

»Ja …«, sagte ich, »was will ich eigentlich verdienen?«

Eingedenk der Tatsache, dass im Einzelhandel schlecht bezahlt wird (zumindest wusste ich das aus den Medien), wollte ich mutig pokern.

»Ich brauche schon mindestens dreitausend Euro …« Wenig im Vergleich zu meinem vergangenen Leben. Aber es würde die kleine Familie retten.

»Netto oder brutto?«

»Brutto …«

Geschäftsführer und Hausleiter begannen daraufhin zu lachen, als hätte ich einen schmutzigen Witz erzählt.

»Dreitausend«, prustete Braun, »das ist ein Witz, Sie können hier ganz andere Zahlen verdienen …«

6

Eins wirst du schnell merken: Du bist hier im Krieg. An der Front.«

Krupp meint das ernst.

»Und es fließt auch Blut …«

Krupp meint auch das völlig ernst. Die Einheitsformel dafür heißt: Provision.

Langsam begebe ich mich tiefer in die geheimnisvollen Abgründe dieser diabolischen Esoterik. Ich merke es daran, dass Frau Birnbaum über mich herzieht. Sie gibt sich nicht einmal Mühe, das Tuscheln zu verheimlichen. Ich hätte angeblich ein Sideboard an einen Kunden verkauft, den sie gestern bedient zu haben glaubt (um es in dieser Verdrehtheit stehen zu lassen). Und ihre Kollegin Frau Pommerencke nickt.

»Arschloch«, höre ich.

Ansonsten habe ich übrigens bislang nicht viel mit den beiden gesprochen. Auch mit den anderen sogenannten Kollegen nicht. Arbeiten ist hier ernst. Es geht um Geld.

»Das stimmt nicht«, sage ich zu Krupp. »Der Mann hat keinen Ton gesagt, dass er schon mal hier war.«

»Hatte er eine Visitenkarte von Frau Birnbaum dabei?«

»Nein …« Wobei mir jetzt einfällt, dass der Mann einige Fragen stellte, die darauf hindeuten könnten, dass er sich möglicherweise auskennt. Vielleicht hätte ich da nachhaken sollen?

Krupp verneint.

»Die da oben …« Er dreht sich um und wirft einen Blick hinauf zum zweiten Stock, auf die Gänge, ob ihn vielleicht jemand von der Geschäftsführung beobachtet. »… die lieben es, wenn die Verkäufer sich untereinander bekriegen. Dann laufen ihre Verkäufer nämlich mehr. Und vor allem: Sie entwickeln dann keine Solidarität untereinander.«

»Das scheint geglückt zu sein«, sage ich mit Blick auf Frau Birnbaum. »Von einem Zusammengehörigkeitsgefühl sind wir ungefähr so weit entfernt wie Nord- und Südpol.«

»Was du überall in dem Haus merken wirst«, setzt Krupp fort, »ist diese latente Unzufriedenheit, denn der Job killt dich! Verkaufen auf Provision ist das härteste Gewerbe der Welt. Schlimmer noch als Prostitution.« Diesen Druck könnten »Normalos« überhaupt nicht nachvollziehen.

Also frage ich Krupp, warum er und Eulenberg ständig von »Normalos« reden und warum sie sich von den Kunden so extrem abgrenzen.

»Weil der Normalbürger nicht mehr weiß, was wirklich Druck und Stress ist«, sagt Krupp. »Normalos gehen morgens zur Arbeit, tun da was oder auch nicht, trinken Kaffee, telefonieren ein bisschen, und dann gehen sie wieder nach Hause, und wenn sie Kopfschmerzen haben, hui, dann machen sie eine Woche krank. Das stört weder groß, noch fällt es auf.«

»Wissen denn die Kunden nicht, dass wir von Provision leben?«

»Wusstest du das vorher?«, fragt Krupp.

»Ich habe mir darüber nie Gedanken gemacht …«

»Genau so ist es … Kaum einer weiß das. Es ist übrigens auch nicht gewollt, von Unternehmensseite, darüber zu reden. Man will schließlich ein sympathisches, freudiges Image. Von einsatzwilligen sympathischen Mitarbeitern. Voller Freude … (angedeutetes Finger-in-den-Hals-Stecken). Provision könnte da schaden. Hat ein schlechtes Image. Aber mach dir nicht zu viele Gedanken über solche Sachen. Für dich ist nur eines wichtig: Du bist für die da oben eine Nummer. Mehr nicht. Du hast zu funktionieren, das ist alles. Und mach möglichst viel Umsatz, dann darfst du bleiben.«

7

Kann ich Ihnen helfen?«

Eine belanglose Frage, an zwei Kunden gerichtet. Eben genau diese Art von unterwürfiger Liebenswürdigkeit, die ich bislang immer mit Verkäufern assoziiert habe. Zudem eine Frage, die mir auch selber schon in Geschäften gestellt wurde.

Ich merke allerdings, dass mit dieser Ansprache etwas nicht in Ordnung ist, denn Frau Birnbaum tuschelt wieder. Und sie zeigt mit dem Finger in meine Richtung.

»Um Gottes willen!«, sagt plötzlich auch Krupp, der durch das Tuscheln aufmerksam wurde, und nimmt mich zur Seite.

»Niemals wieder«, sagt er. Dieser Satz sei so ziemlich das Schlimmste, das ich von mir geben könnte. »Vielleicht in einer Metzgerei … aber nicht bei einem wirklichen Verkaufsgespräch. Keine Sorge: Du wirst noch geschult!«

Es klingt wie eine Drohung.

»Was ist denn daran so schlimm?« Mir ist zwar aufgefallen, dass alle Verkäufer sich hier wie ferngesteuert bewegen und ähnliche Floskeln benutzen, aber die Art und Weise, wie über meine Einstiegsfrage geurteilt wird, scheint mir völlig übertrieben.

»Du hast keine Chance auf einen zweiten Eindruck«, erklärt Krupp. »Die ersten Sekunden sind entscheidend. Und wenn du dann mit so einem Satz ankommst, Kann ich Ihnen helfen, bewirkst du in den Köpfen der Kunden die Vorstellung, sie seien krank, schwach oder hilflos. Bestenfalls kriegst du einen Konter. So was wie: Mir ist nicht mehr zu helfen …«

»Und was soll ich sonst sagen? Man muss doch erst mal ins Gespräch kommen?«

»Beiläufig in ein Gespräch einsteigen. Du kannst zum Beispiel sagen: Sie kommen zurecht?«

Was für ein epochaler Unterschied, denke ich. Aber Krupp schwört auf diese Feinheiten. Von denen es bislang geschätzte siebentausend gibt. Manchmal komme ich mir schon wie in einer Sekte vor.

Jeder Schritt, jeder Satz, tatsächlich jede Bewegung in so einem Möbelhaus (und das wiederum: weltweit) ist durchdacht und folgt einer klaren Strategie. Während die Kunden lediglich schlendern, vielleicht einfach nur ihre Zeit vertrödeln und einen gemütlichen Nachmittag erleben wollen, absolvieren die Verkäufer abgesprochene Laufwege.

Wie bei einem militärischen Einsatz. Sobald ein Kunde (idealerweise ein Pärchen) sich bei einer Schrankwand oder einem Polstermöbel länger aufhält, wird zugeschlagen. Anpirschen, sagt Krupp. Am besten unterstützt durch »Klopfen und Schütteln«. Es würde die Kunden erschrecken (und damit vom Kaufen abhalten), wenn ich zielstrebig auf sie zulaufe, also soll ich damit beginnen, in deren Umgebung ein Kissen zu verrücken oder Stoffmuster zu zählen. Um mich langsam näher und näher zu arbeiten. Um das Gespräch der Kunden zu belauschen, und wenn sich eine Gelegenheit ergibt: zuschlagen.

»Du kannst zum Beispiel sagen: Den Schrank gibt es auch in Kernbuche. Oder: Die Rundecke gibt es auch in anderen Maßen …«

Streng genommen dürfte ich auch sagen: Das Weltall dehnt sich aus. Es geht lediglich darum, einen ersten Kontakt aufzubauen. Um dann möglichst dranzubleiben.

Also schleiche ich auch herum. Und klopfe Kissen.

Ich belausche das Gespräch eines Ehepaars, Mitte fünfzig, Typus: Verwaltungsangestelle. Runde Hornbrille, Günter-Grass-Schnäuzer, Wanderschuhe.

Und ich springe hinzu.

»Das ist ein Ausstellungsstück, Sie können …«

»Danke«, unterbricht mich die Frau in herrischem Ton, »wir schauen uns nur um.« Ihr Mann würdigt mich nicht mal eines Blickes. Ich soll verschwinden, das ist offensichtlich.

Wow, denke ich, eine neue Erfahrung. Du bist jetzt ganz unten. Du bist Dienstpersonal. Lästig, zudringlich, ein Insekt.

Gleichzeitig ertappe ich mich bei einer Erkenntnis. Das ist genau der gleiche Tonfall, mit dem du früher selber auf die Menschheit losgegangen bist. Als Arbeitsplatzinhaber. Ironisch, feuilletonistisch, überlegen. Als die Menschen alle noch ihren Platz, ihren gesellschaftlichen Rang innehatten wie in einer indischen Kastenordnung. Und Verkäufer dabei, irgendwie merkwürdig, auf jeden Fall unten angesiedelt waren.

Wo ist Krupp?

Er lächelt. Nicht über mich diesmal, sondern einer Kundin entgegen, die ihn ähnlich angiftet, wie ich es eben erlebt habe. Dieser Tonfall gehört anscheinend zum zwischenmenschlichen Standard.

»Du kannst noch lächeln?«, frage ich ihn später. »Nach so einem Schlag in die Fresse?«

»Das sieht nur nach außen so aus.«

Die Frustration der Verkäufer prallt offensichtlich tagtäglich gegen den vorgeschriebenen Optimismus der Geschäftsführung. Und vor allem gegen das bedingungslos geforderte positive Denken.

»Du musst sofort lächeln!«, sagt Krupp und schaut sich hektisch nach allen Seiten um. »Wenn Braun oder Eisenherz dich dabei beobachten, dass du nicht lächelst, kriegst du einen Rieseneinlauf. Du wirst diese Schizophrenie noch bis zum Erbrechen mitbekommen. Alles ist gut hier. Alles ist prima. Natürlich ist überhaupt nichts gut …«

Aber das Unterbewusstsein verkauft, sagt die Unternehmensführung. Die sich diese Art des Denkens selber von Verkaufstrainern predigen lässt. Also muss es immer wieder und immer wieder darum gehen, das Unterbewusstsein zu steuern. Und zu prägen: Alles ist gut.

»Wow«, sage ich zu Krupp, »das ist wie in einer Sekte.«

»Nicht wie …«, antwortet Krupp und schmunzelt.

Wobei der größte Witz darin besteht, dass ich vor Dienstantritt eine Erklärung unterschreiben musste, nicht zu Scientology zu gehören.

»Du musst das hier wie ein Schauspieler sehen, sonst gehst du kaputt. Viele Verkäufer hier wollten oder wollen immer noch ins Showgeschäft. Und das sind die guten. Die das Kaufhaus als eine Theateraufführung sehen, wo die Kunden sich amüsieren sollen. Das ist auch die einzige Methode, um dich gegen die unentwegten Verletzungen zu schützen: Du spielst eine Rolle.«

8

Die Nachricht, dass Marc Fischer sich umgebracht hat, erreicht mich in der Mittagspause.

Ohne meinen Sohn, denke ich, wäre mir das auch passiert.

Um mich danach für diesen melodramatischen Scheiß zu ohrfeigen. Und trotzdem bleibt ein Körnchen Wahrheit.

Wir haben nur wenig miteinander gesprochen, obwohl wir uns als Schreiber seit fast zwanzig Jahren kannten und wir uns in Berlin immer wieder über den Weg gelaufen sind. Merkwürdigerweise war Marc der Erste, dem ich von meiner Kündigung erzählt habe, und umgekehrt war er auch der erste Autor, der mir gegenüber zugab, kaum etwas zu verdienen.

Der Unterschied war nur: Marc lebte dieses Prekariat.

Er fand es eher amüsant, dass ich ein Kind versorgte und liebte. Mit dieser Vaterschaft hatte ich für ihn vermutlich meine Reputation verloren. Journalismus und Elternschaft, das schließt sich für weite Kreativenkreise aus. Erst recht in der Freiberuflichkeit.

Ohne meinen kleinen Sohn würde ich allerdings genauso weiterleben, denke ich. Oder sterben. Ich würde genau dieses gleiche Leben zelebrieren, wie all die hundert oder tausend Verrückten, die ich in den vergangenen Jahren in Köln, Berlin oder Hamburg kennengelernt habe. Dieses Durchwurschteln, dieses Betteln um Aufträge, um dreihundert Euro, vielleicht tausend Euro, die dir inzwischen gönnerisch offeriert werden, als sei es die Eintrittskarte in ein Leben voller Freiheit und Abenteuer.

Früher (klingt wie einer dieser Kriegsheimkehrer) konnte man sogar als freier Autor fantastisch leben. Es gab vernünftige Honorare, und vor allem gab es überall vernünftige Honorare. Ich habe für das Fernsehen gearbeitet, ich habe Radio-Reportagen gemacht, und sogar eine Zeitungsstory wurde dankbar angenommen. Deshalb war ich glücklicher Besitzer einer Eigentumswohnung, zusammen mit Ulrike, deshalb sind wir überhaupt nur auf die Idee gekommen, ein Kind zu zeugen. Gleichgültig, was passiert, dachte ich, du bist ein vielfach prämierter Schreiber, du wirst immer eine Möglichkeit finden, dein Auskommen zu finden.

Du bist klug, originell, du bist kreativ.

Auch wenn überall um dich herum Magazine und Zeitungen eingestellt oder Redaktionen entlassen werden – du bist prämiert.

Und vor allem hatte ich eine Festanstellung.

Es war eine Zeit der theatralischen Brillanz, der Abgründigkeit, der vielleicht sogar zynischen Besonderheit. Aber es war eine Zeit der Möglichkeiten. Ein Anruf, ein Auftrag. Selbst das Internet war in seiner Anfangsphase eine Bereicherung, ein weiterer Vertriebskanal.

Bis sich die wirtschaftliche Situation radikal verschärfte, wie es dann gerne heißt, und »harte Einschnitte« zwingend erforderlich werden.

Wie ein Kopfschuss, erinnere ich mich.

Und ich bald zwei, zehn, zwanzig Anrufe benötigte, um einen Auftrag einzutreiben. Und sich die Empfängnisbereitschaft für Originalität reduzierte. Das war deutlich spürbar.

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Welt sich einmal nicht mehr für meine Gedanken interessieren könnte. Und für meine innere Jugendlichkeit. Schließlich hatte ich doch all diese tollen Preise.

Ich hatte nicht damit gerechnet, irgendwann einer von vielen zu sein. Einer von vielen Bewerbern, von vielen Bittstellern. Von zu vielen Schreibern.

Und vor allem: von zu vielen alten Bittstellern.

Ich komme immer noch nicht drüber hinweg, als alt zu gelten. Zumindest sagen das die Menschen, die sich meine Bewerbungsunterlagen zu Gemüte führen.

Das Boot ist voll, heißt es dann heute. Und sie meinen das freundlich.

Wir brauchen niemanden. (Freundlich) Und soo gut bist du nun auch wieder nicht …

Wie ein Kopfschuss.

Also öffne ich jetzt morgens meine Augen und stehe auf. Punkt. Ich mache eine Tasse Kaffee. Punkt. Ich freue mich nicht mehr auf den Tag, ich interessiere mich schlichtweg nicht für den Tag. Ich bin nicht einmal depressiv. Ich bin lediglich ein ganz normales Mitglied der Gesellschaft. Mein Leben dreht sich nur noch darum, ob das Hemd gebügelt ist und die Hose sitzt. Und die Krawatte muss akkurat gebunden werden. Ein Glas Bier am Abend, manchmal Wein, am Samstag Sportschau.

Es darf mich nicht mehr interessieren, wie der Kaffee in einem arabischen Wüstenzelt schmeckt oder welches Hemd zu welcher Fernsehsendung passt …

Alles vorbei, denke ich, und winke Suse aus der Schlafzimmerabteilung zu, die sich über meinen glasigen Blick wundert.

»Alles ist gut«, sage ich.

9

Niemals setzen, niemals gähnen, immer ansprechbar sein: Wir stehen unter permanenter Beobachtung der Geschäftsleitung.

In meinem vorigen Leben, denke ich, war Freiheit mein kostbarstes Gut. Und meine Individualität.

Heute: laufe ich.

Ein fleißiger Verkäufer geht bis zu zehn Kilometer am Tag. Und er bewegt sich umso schneller, wenn sich Braun, Eisenherz oder noch schlimmer: einer der Besitzer zu ihrem Rundgang aufmachen.

Dieser Aufmarsch hat keinen erkennbaren Sinn, und man könnte sich auch fragen, ob ein Geschäftsführer eigentlich nichts anderes zu tun hat, als sich demonstrativ in den Gang zu stellen und Verkäufer zu beobachten. Anscheinend nicht.

Oder genau das ist offensichtlich die Hauptaufgabe des Geschäftsführers in einem mittelständischen Unternehmen: rumstehen und kontrollieren.

Aber die Warnhinweise der anderen Verkäufer kann ich inzwischen auch schon interpretieren. Grusitzky, ein eher schlichter Schwätzer, hält dann beide Hände wie ein symbolisches Fernglas vor seine Augen. Und wir übrigen rennen! Nur weit weg.

Es gibt verschiedene Eingänge in jede Halle hinein, verschiedene Treppen hinunter, aber dadurch auch genauso viele Ausgänge. Also: Fluchtmöglichkeiten. Kommt einer der Herrschaften links die Treppe runter, rennen alle Verkäufer (sofern sie nicht in Verkaufsgespräche verwickelt sind und damit alles richtig machen) wahlweise hinter Säulen oder sie hechten in gebückter Haltung in eine andere Halle hinein.

Der Nachteil dabei ist, dass der Senior, der ohnehin nicht mehr ganz den geistigen Überblick hat, nun erst recht das Gefühl hat, er beschäftige zu wenige Verkäufer. Es ist schließlich keiner zu sehen.

»Ausbeuter«, ruft Eulenberg, als der Aufmarsch vorüber ist und die Halle wieder freigegeben werden kann.

»Du verstehst deren Denke nicht«, sagt Krupp ironisch. »Der Geschäftsführer und vor allem die beiden Besitzer sind davon überzeugt, dass sie hier alles richtig und gut machen. Weil ihnen hier alles gehört. Auch du gehörst ihnen, mit Haut und Haaren. Die sind richtig beleidigt, die fühlen sich angegriffen, wenn sie hören, dass sich hier jemand nicht wohl fühlt.«

»Oder wenn wieder einer vors Arbeitsgericht zieht«, jault Eulenberg, »und dort auch noch gewinnt.«

Zumindest halten uns diese Gespräche über Wasser, wenn kein Kunde kommt. Dann ist es unerträglich langweilig.

Langeweile bedeutet aber vor allem: kein Geld.

»Wie machst du das?«, frage ich Krupp. »Wenn du einen ganzen Tag hier herumstehst, und am Abend hast du nicht mal was verdient?«

Ich ahne Schreckliches. Denn noch bekomme ich einen Garantielohn, egal, wie viel ich verkaufe. Drei kurze Monate hindurch.

»Das ist hart«, antwortet Krupp, »und ich kenne keinen, den das kaltlässt. Auf Provision zu verkaufen, das schaffen auf Dauer nur die Stärksten. Weil du auch mit niemandem darüber sprechen kannst. Wer diesen Druck nicht selbst erlebt hat, kann das nicht nachempfinden.

Dein ganzes Denken verändert sich … Du kannst nicht mehr unbefangen mit einem Menschen sprechen, du musst schließlich einen Auftrag schreiben. Kauft er, der verehrte Kunde, oder schaut er sich nur um? Das ist die einzige Frage, die mich zehn Stunden täglich bewegt …«

Währenddessen stromert Frau Birnbaum an unserer Gesprächsrunde vorbei, im Schlepptau ein Rentnerpaar, das sich aber nach einer langwierigen Beratung doch nicht zu einem Kauf entschließen möchte.

»Das ist völlig in Ordnung«, flötet Frau Birnbaum, »kein Problem, schauen Sie sich ruhig noch einmal um, in aller Ausführlichkeit …« Die Süßlichkeit ihrer Aussprache wird immer zuckriger, bis sie sich von den Leuten abwendet, mit dem rechten Daumen in deren Richtung deutet und unhörbar mit den Lippen ein Wort bildet: Arschloch.

Diese Ausdrucksweise wird bei ihr langsam zur Gewohnheit, denke ich, gleichgültig, ob Einzahl oder Mehrzahl. Wir sagen uns ansonsten kaum einmal »Guten Tag«.

»Das musst du ihr nachsehen«, sagt Krupp, der offensichtlich Gedanken lesen kann. »Grundregeln menschlichen Zusammenlebens, also das, was eine Demokratie ausmacht, zählt in so einem Haus nicht mehr. Es geht einzig und allein um die Unterschrift unter einen Vertrag …«

10

Jeden Morgen gibt es eine sogenannte Besprechung. Es gibt nichts zu besprechen, aber wir dürfen dafür weitere fünfzehn Minuten unserer Lebenszeit verschenken. Unbezahlt, versteht sich. Das ergibt mal eben fünf Stunden pro Monat, aufgerundet sechzig Stunden im Jahr. Anders gesagt: Eine weitere Woche kostenlos arbeiten.