Mode, Mord und Schneegestöber - Gerhard Spitz - E-Book

Mode, Mord und Schneegestöber E-Book

Gerhard Spitz

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Beschreibung

In einem kleinen Ort bei Tübingen wird die Chefin eines Brautmodenhauses erschossen aufgefunden. Martha Österle war mit den Tageseinnahmen auf dem Weg zur Bank. Es sieht nach einem Raubmord aus. Doch in ihrem Leben gab es einen dunklen Punkt, über den ihre Angehörigen nichts wissen. Auch die übrigen Österles haben Geheimnisse. Und sie haben sich Feinde gemacht: Schaufensterscheiben wurden eingeworfen, Familienmitglieder tätlich angegriffen. Je mehr die Tübinger Kriminalisten herausfinden, umso chaotischer und verwirrender wirkt der Fall. Chaotisch geht es auch im Privatleben des jungen Kriminalkommissars Stefan Balck zu, als er sich in Hannah verliebt, der kompliziertesten Frau, der er je begegnet ist.

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Gerhard Spitz

Gerhard Spitz wurde 1955 in Ulm geboren und ist promovierter Physiker. In den Achtzigerjahren hat er an einem damals sehr erfolgreichen Buch über Computeranwendungen in der Theoretischen Physik mitgearbeitet. Schon in seiner Schulzeit hat der Autor sich für fiktionales Schreiben interessiert, dies jedoch zugunsten seines Studiums und einer anschließenden Karriere in der IT-Industrie zurückgestellt. Inzwischen ist er im Ruhestand und widmet sich verstärkt dem Schreiben.

Der Autor hat in Tübingen nicht nur studiert und promoviert, er hat dort auch seine Frau kennengelernt und geheiratet. Inzwischen lebt er in Ulm, doch Tübingen ist für ihn nach wie vor die schönste Stadt Süddeutschlands. Als er begonnen hat, Kriminalromane zu schreiben, war für ihn klar, dass die Handlung in Tübingen und Umgebung spielen muss.

Gerhard Spitz

Mode, Mord und Schneegestöber

Krimi

Oertel+Spörer

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel + Spörer Verlags-GmbH + Co. KG 2022Postfach 16 42 · 72706 ReutlingenAlle Rechte vorbehaltenTitelbild: © Adobe StockGestaltung: PMP Agentur für Kommunikation, ReutlingenLektorat: Bernd StorzKorrektorat: Sabine TochtermannSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-96555-140-4

Besuchen Sie unsere Homepage und informierenSie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.oertel-spoerer.de

FREITAG

Wie meistens in den letzten Jahren hatte sich die Kälte erst im Februar im Land festgesetzt.

Der Kollege in Uniform, der mich zu Hause in Bühl abholte, klapperte demonstrativ mit den Zähnen, als ich aus der Tür kam. Da es im Streifenwagen warm war – für mein Gefühl zu warm – hatte er gar nicht mitbekommen, wie kalt es draußen war.

»Warum müssen wir Sie eigentlich dauernd abholen, wenn es nachts zu einem Tatort geht?«, maulte er, als wir im Auto saßen. »Haben Sie kein eigenes Auto?«

»Schon, aber es ist ein Oldtimer. Gute vierzig Jahre alt. Ich bin mir nicht sicher, ob er bei der Kälte überhaupt anspringen würde.«

Glücklicherweise war der Kollege nicht in der Laune, mit mir über Oldtimer zu reden. Sonst hätte ich ihm erklären müssen, dass ich kein besonderes Interesse an Autos hatte und dass ich diesen Wagen, einen Peugeot 304 aus dem Jahr 1977, nur deshalb fuhr, weil mein Bruder seine Oldtimersammlung aufgelöst hatte. Das Auto hatte mir leidgetan. Es hatte fünfunddreißig Jahre lang in einer trockenen Garage gestanden und war beinahe neuwertig gewesen, als ich es übernahm.

Wenigstens waren die Straßen frei. So gelangten wir in weniger als zwanzig Minuten nach Kirchentellinsfurt.

Als wir am Tatort eintrafen, standen schon ein halbes Dutzend Streifenwagen da. Ihre Abblendlichter leuchteten die Szene nur unzureichend aus. Zwei Polizisten in Uniform waren gerade dabei, die Leiche auf das Rollgestell zu heben, auf dem sie zur Gerichtsmedizin gebracht werden sollte. Andere versuchten vergeblich, das Gelände abzuriegeln und die Neugierigen, die sich trotz Dunkelheit und Kälte eingefunden hatten, nach Hause zu schicken. Die Beamten, die mich hergebracht hatten, stiegen aus, um ihren Kollegen zu helfen.

Zwischen all den Uniformierten stand ein untersetzter, nicht allzu großer Mann mit schütteren Haaren und einem auffälligen Schnurrbart, der einen dicken Mantel trug. Mund und Nase waren tief im hochgeschlagenen Kragen verborgen: mein Chef, Hauptkommissar Günter Hackerle.

»Ich konnte wieder mal nicht einschlafen. Hab mir grade einen Tee gemacht, als der Anruf kam«, sagte er. Hackerle litt schon seit drei Jahren an einer schmerzhaften Bronchitis, die vom November bis ins Frühjahr anhielt und die ihn die Hälfte seines Nachtschlafs kostete. Die Ärzte konnten angeblich nichts finden. Wenn wir nachts gerufen wurden, war Hackerle immer als Erster anwesend. Bei jedem Außeneinsatz im Winter hustete er eine halbe Packung Papiertaschentücher voll.

Mein Chef deutete auf einen Minivan, der am Straßenrand geparkt war: »Dort wurde die Tote gefunden.«

»Wie ist sie gestorben?«, fragte ich.

»Erschossen. Ins Herz«, sagte Hackerle. »Ich denke, Sie sollten sich die Tote ansehen.«

Er gab einem der Schutzpolizisten am Rollgestell ein Zeichen. Der öffnete noch einmal den Reißverschluss der Plastikplane, in der die Tote lag, und leuchtete ihr mit einer Handlampe ins Gesicht.

Ich schnappte unwillkürlich nach Luft. Leichen sehen immer schrecklich aus, doch diese hier bildete eine Ausnahme. Die Ermordete war eine schöne Frau gewesen – rotblonde, leicht gewellte Haare, aparte ovale Gesichtsform, keine auffälligen Hautunreinheiten oder Falten, Alter Mitte dreißig.

»Bitte alles ausleuchten«, rief Hackerle.

Der Polizist ließ den Strahl seiner Handlampe über die ganze Länge der Leiche wandern. Die Ermordete trug ein Kleid mit einem eng geschlungenen Gürtel, das knapp über den Knien endete und ihre Figur gut zur Geltung brachte. Ein Blutfleck im Brustbereich wies darauf hin, dass sie durch einen Schuss direkt ins Herz getötet worden war.

»Hatte sie keinen Mantel an?«, fragte ich.

»Den hat ihr der Notarzt ausgezogen«, erklärte Hackerle. »Die Schusswunde war zunächst nicht sichtbar. Er hat versucht, sie wiederzubeleben.«

Ein Hustenanfall hinderte ihn am Weiterreden. »Der Mantel ist übrigens von sehr guter Qualität«, fuhr er schließlich fort. »Alles Markenkleidung. Nichts vom Discounter.«

Die Beamten, die die Leiche hochgehoben hatten, schoben sie nun zum Laderaum eines Transporters.

»Sollen wir noch auf den Rest der Truppe warten?«, fragte ich. Hackerle hatte zwei weitere Mitarbeiter, Fred Unglert und Silke Maurer. Unglert wohnte mit seiner Familie am anderen Ende des Landkreises Tübingen in einem Dorf hinter Rottenburg. Silke Maurer war über sechzig und stand kurz vor der Pensionierung.

Hackerle verneinte: »Gibt keinen Sinn, wenn die extra herkommen. Was hier noch zu tun ist, kann die Spurensicherung erledigen. Es reicht, wenn wir uns morgen früh mit den anderen treffen. Im Moment will ich noch nicht zu viel Wind um die Sache machen. Sie wissen ja …«

Ich wusste, was mein Chef meinte, auch wenn er es nicht aussprach. Hauptkommissar Adrian Schmal, ein karrieregeiler Wichtigtuer aus der Kriminalpolizeidirektion Esslingen, der andauernd über Hackerle und seine Truppe herzog, hatte seine Ohren überall. Sobald er von dem Mord erfuhr, würde er herbeieilen und seine Hilfe anbieten.

»Wir treffen uns morgen früh um halb neun im Kommissariat«, fuhr Hackerle fort. »Ebner ist schon informiert und hat eine Besprechung einberufen.«

Hackerles kleine Dienstgruppe war mit diesem Fall deutlich überfordert. Kriminaldirektor Ebner würde eine Sonderkommission einsetzen, das war klar. Vermutlich würden wir doch noch mit Schmal und seinen Leuten zusammenarbeiten müssen.

Der Hauptkommissar zog noch einmal sein Taschentuch hervor und hustete hinein, dann gab er mir eine kurze Zusammenfassung über das, was bisher über den Fall bekannt war. »Die Tote wohnt hier in Kirchentellinsfurt und ist am Ort gut bekannt. Sie heißt Martha Österle. Ihr Mann besitzt eine kleine Kette von Modegeschäften. Die Tote war seine zweite Frau. Sie hat ein Brautmodenhaus in Metzingen geleitet. Sie ist hierhergefahren, um die Tageseinnahmen in den Banktresor der Sparkasse zu werfen. Als sie aussteigen wollte, wurde sie erschossen. Das Geld fehlt. Ein unglaublich brutaler Raubmord. Die Familie wohnt hier in Kirchentellinsfurt.«

Der Mord war um Viertel nach neun am Abend passiert, und so fragte ich: »Ich nehme an, das Brautmodenhaus hat spätestens um acht geschlossen. Warum hat sie so lange hierher gebraucht?«

Hackerle zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Wir haben versucht, jemanden im Brautmodenhaus zu erreichen, aber es war niemand mehr da.«

»Waren denn die Tageseinnahmen so hoch, dass sich ein Überfall gelohnt hat? Die meisten Kunden zahlen doch heute per Scheck.«

»Gleiche Antwort«, sagte Hackerle knapp.

»Woher wissen Sie das mit dem Banktresor?«

»Der Sparkassendirektor wohnt gleich um die Ecke. Er ist hergelaufen, als er den Schuss gehört hat. Frau Österle hat es jeden Tag so gemacht. Er hat sie sofort erkannt. Die Familie ist Kunde in dieser Filiale, seit ihr Unternehmen existiert.«

In diesem Moment fuhr ein Motorroller vor die Polizeiabsperrung. Er hielt direkt unter einer Straßenlaterne an. Eine Person in einer Warnweste mit dem Aufdruck Notfallseelsorge Tübingen stieg ab. Als sie den Helm abnahm, sah ich, dass es sich um eine junge Frau handelte. Sie musste ziemlich taff sein, wenn sie bei der Kälte mit dem Motorroller fuhr.

»Die Pfarrerin, die unsere Arbeit koordiniert, hat mich angerufen«, sagte sie. »Jemand hat ihr berichtet, hier sei ein Großeinsatz. Sie hat gemeint, ich solle lieber nachsehen. In letzter Zeit vergisst man immer öfter, uns zu verständigen.«

»Auf einen derart vagen Hinweis hin haben Sie sich auf den Motorroller gesetzt und sind durch die Kälte gefahren?«, fragte einer der Streifenbeamten, die an der Absperrung standen, entsetzt.

»Ich komme gerade von der Arbeit. Ich bin Sozialarbeiterin an einem Schulzentrum in Reutlingen, aber ich wohne in Tübingen. Kirchentellinsfurt liegt beinahe auf meinem Nachhauseweg, wenn ich nicht über die Autobahn fahren will.«

»Schulsozialarbeitern – da haben Sie so lange zu tun?«, fragte der Kollege.

»Ich musste zwei Familien ins Gebet nehmen, die ihre Kinder aufeinandergehetzt haben. Anscheinend eine persönliche Feindschaft. Einer der beiden Väter hatte erst ab acht Zeit. Vermutlich ein Versuch, den Termin abzubiegen. Aber so leicht entkommt man mir nicht.«

Der Uniformierte schien beeindruckt. »Mit dieser Haltung würden Sie gut zur Polizei passen«, sagte er. »Haben Sie schon daran gedacht zu wechseln? Besseres Gehalt, Beamtenstatus, sichere Pension.«

»Danke. Aber bei der Polizei sind Sie hauptsächlich damit beschäftigt, die Scherben zusammenzukehren, wenn das Unglück schon passiert ist. Ich versuche lieber, die Vase noch aufzufangen, ehe sie am Boden zerschellt.«

»Um bei ihrem poetischen Bild zu bleiben: Hier ist die Vase leider schon zerschellt«, erklärte der Kollege. »Es geht um ein Kapitalverbrechen, nicht um einen Unfall. Für Sie gibt es hier nichts zu tun. Bitte verlassen Sie unseren Einsatzort.«

Die Frau wollte schon ihren Helm aufsetzen, da rief Hackerle: »Einen Moment! Die Angehörigen sind noch nicht verständigt. Vielleicht brauchen wir Ihre Dienste noch. Können Sie trotz der Kälte noch etwas warten?«

Die Notfallseelsorgerin nickte und ging zögernd auf Hackerle zu.

Gerade, als sie ihn ansprechen wollte, wurde es laut. Ein junger Mann und eine junge Frau waren zur Absperrung gekommen und argumentierten mit den Polizisten, die den Tatort absicherten. Schließlich durften sie passieren. Die Frau lief voraus. Als sie vor Hackerle stehenblieb und die Hand zur Begrüßung ausstreckte, konnte ich sie deutlich im Scheinwerferlicht eines Streifenwagens sehen. Sie war jung und schlank, vielleicht Mitte zwanzig, mit langen, schwarzen Haaren, hübsch, aber anders als die Tote keine auffällige Schönheit.

Anstatt sich vorzustellen, sagte die junge Frau nur: »Wir haben von dem Polizeieinsatz gehört. Eine Freundin hat mich angerufen. Wir warten immer noch, dass Martha heimkommt. Ist ihr etwas zugestoßen?«

Hackerle fragte sofort zurück: »Entschuldigung, aber Sie haben mir Ihren Namen nicht genannt. Wer sind Sie?«

»Oh, tut mir leid, aber ich bin ziemlich durcheinander. Mein Name ist Nicole Österle. Wir warten seit über einer Stunde auf meine Stiefmutter, Martha Österle. Sie wollte kurz nach neun zu Hause sein, um mit der Familie zu essen.«

»Frau Österle, ich muss Ihnen leider eine schreckliche Mitteilung machen«, sagte Hackerle. »Ihre Stiefmutter ist erschossen worden. Offenbar ein Raubüberfall.«

Nicole Österle sackte in sich zusammen, wurde aber von ihrem Begleiter aufgefangen.

Hackerle gab der Notfallseelsorgerin ein Zeichen, worauf sie näher herantrat.

Doch Nicole Österle hatte sich inzwischen gefasst. »Es geht schon wieder.« Sie sah ihren Begleiter an. »Er ist ja da.«

Hackerle wandte sich an den jungen Mann: »Darf ich fragen, in welcher Beziehung Sie zur Familie Österle stehen?«

»Ich bin der Verlobte von Nicole Österle. Kevin Lauber mein Name.«

Nicole Österle hatte sich inzwischen weinend an ihren Begleiter gelehnt. »Wir haben dann mit dem Essen angefangen, obwohl Martha noch nicht da war. Die anderen warten immer noch auf sie. Ich … ich bringe es nicht fertig, ihnen das zu sagen.«

»Die anderen, wer ist das?«, fragte Hackerle.

»Mein Vater und meine Mutter, außerdem mein jüngerer Bruder und … niemand sonst. Eigentlich wollte mein älterer Bruder auch kommen, aber er hatte länger an der Uni zu tun. Es war ihm dann zu spät. Er hat ein kleines Appartement in der Stadt.« Nicole Österle fing an zu schluchzen.

Die Ex-Frau hatte also mit der Familie zu Abend gegessen. Ein ungewöhnliches Arrangement.

»Ich denke, es ist unsere Aufgabe, Ihre Angehörigen zu benachrichtigen«, seufzte Hackerle. Eine Aufgabe, vor der sich bei uns jeder drückte. Der Hauptkommissar winkte mich zu sich. »Können Sie das übernehmen, Herr Balck?«

Er schaute die Rollerfahrerin an: »Könnten Sie Herrn Balck begleiten, Frau …«

»Ensinger. Hannah Ensinger«, stellte sich die Notfallseelsorgerin vor. »Aber natürlich. Das ist schließlich meine Aufgabe.«

»Wir gehen am besten zu Fuß«, schlug der Verlobte von Nicole Österle vor. »Es sind gerade mal achthundert Meter.«

Auf dem Weg zum Haus der Österles berieten Hannah Ensinger und ich kurz, wie wir uns vorstellen sollten. Wir beschlossen, dass ich die aktive Rolle übernehmen sollte. Wenn die Österles damit konfrontiert würden, dass eine Notfallseelsorgerin anwesend war, würden sie sofort wissen, dass das Schlimmste eingetreten war. Hannah Ensinger zog ihre Warnweste aus, faltete sie zusammen und verstaute sie in einer der Taschen ihrer Winterjacke.

Bis zu diesem Mordfall war ich nur ein oder zwei Mal in Kirchentellinsfurt gewesen. Im unteren, relativ flachen Ortsteil gab es etwas Industrie und eine ordentliche Infrastruktur. Weiter oben dominierten Ein- und Zweifamilienhäuser. Einkaufsmöglichkeiten und Lokale waren rar. Ein Ort für Menschen, denen die Mieten in den beiden großen Städten der Umgebung zu teuer waren: Studenten und junge Wissenschaftler aus Tübingen, Arbeiter und kleine Angestellte aus Reutlingen.

Die Straße, in der die Österles wohnten, war typisch für diesen Teil von Kirchentellinsfurt. Die Häuser waren gepflegt, aber nicht mehr ganz neu. Die meisten stammten wohl aus den Sechziger- und den Siebzigerjahren. Der Straßenrand war voller geparkter Autos, viele davon älteren Datums. Offensichtlich mussten sich einige Hausbesitzer etwas hinzuverdienen, indem sie Zimmer an Studenten vermieteten. Eine wohlhabende Familie wie die Österles hätte ich in dieser Gegend nicht vermutet.

Das Haus der Österles lag ganz am oberen Ende der steil ansteigenden Straße. Es hatte die beste Lage von allen, mit Blick auf die umliegenden Hügel und Wälder. Überall sonst sah man nicht über die Häuserreihen hinaus, die den Ort ausmachten.

Es war das bei Weitem größte und schönste Haus in der Umgebung. Trotz der Dunkelheit sah man, dass es erst vor wenigen Jahren gründlich renoviert worden war. Dennoch passte es in die Straße. Es hatte nichts von einer Villa oder einem Herrenhaus an sich. Bei einem späteren Besuch würde ich feststellen, dass die Südseite des Dachs ganz mit Solarzellen bedeckt war. Die Familie hatte etwas für Umweltschutz übrig. Der Garten war riesig, allerdings – nach schwäbischen Maßstäben – etwas ungepflegt.

Nicole Österle und Kevin Lauber wollten direkt in ihre eigene Wohnung gehen, die einen separaten Eingang hatte.

»Ich kann nicht damit umgehen, wenn meine Mutter heulend aufs Sofa fällt«, begründete die Tochter ihre Entscheidung.

Eigentlich wäre jetzt eine gute Gelegenheit gewesen, sich nach der seltsamen Familienkonstellation der Österles zu erkundigen. Es war mindestens ungewöhnlich, dass die aktuelle und die Ex-Ehefrau eines Mannes gemeinsam zu Abend aßen. Vor allem aber wollte ich prüfen, ob die Aussagen der Familienmitglieder zum Verlauf des Abends übereinstimmten. Ich fragte nach.

Nicole und ihr Verlobter behaupteten, die Familie habe sich Viertel vor neun im Esszimmer versammelt und auf Martha gewartet. Niemand sei für längere Zeit weggewesen.

Nachdem sich die beiden in ihr eigenes Appartement zurückgezogen hatten, läutete ich am Haupteingang der Österles. Uns empfing eine Frau, die ich auf Mitte bis Ende fünfzig schätzte. Früher hatte sie wohl eine gute Figur gehabt, war inzwischen allerdings etwas mollig geworden. Sie trug ein Kleid, das unaufdringlich ihre Figurprobleme kaschierte. Man sah ihm an, dass es teuer und von hoher Qualität war. Ganz offensichtlich eine Frau, die sich mit Mode auskannte, also wohl Nicoles Mutter, die Ex-Frau des Firmenbesitzers.

Ich zeigte meinen Dienstausweis und fragte: »Frau Österle?«

Die Frau im Eingang nickte, sah sich meinen Ausweis an, zuckte kurz zusammen und sagte: »Ich hoffe, Sie kommen nicht mit schlechten Nachrichten zu uns.«

»Leider doch«, sagte ich. »Dürfen wir reinkommen?«

Die Frau zögerte, gab dann aber den Weg frei. Im Vorraum legten wir rasch unsere Winterjacken ab. Zum ersten Mal hatte ich Gelegenheit, meine Pseudokollegin bei Licht zu sehen. Schon auf dem Weg hatte ich festgestellt, dass sie eine ausgesprochen große Frau war, etwa einen Meter achtzig groß, vielleicht einen oder zwei Zentimeter kleiner als ich selbst. Sie hatte ein hübsches ovales Gesicht, braune Haare und grüne Augen. Auf ihr Aussehen schien sie nicht viel Wert zu legen. Ihre Kleidung wirkte alltäglich und etwas langweilig. Sie trug eine mittellange Zweckfrisur, die sicher nicht viel Pflege erforderte. Vermutlich waren die Haare gerade so lang, dass sie noch unter ihren Helm passten. Ihre schlanke Silhouette gefiel mir.

Wir wurden in ein Esszimmer geführt. Um einen großen Tisch herum standen acht gepolsterte Stühle. Die Einrichtung wirkte gediegen, aber nicht protzig. Zwei Gedecke standen unberührt auf dem Tisch.

Auf einem kleinen Sofa saß ein etwa sechzigjähriger Mann mit markanten Gesichtszügen, offensichtlich der Ehemann der Toten. Er hielt sich kerzengerade, strahlte Autorität aus. Trotz seiner grauen Haare war er noch ein attraktiver Mann. Ich vergewisserte mich seines Namens und wiederholte:

»Ich habe Ihnen eine schlimme Nachricht zu überbringen. Ihre Frau wurde in ihrem Minivan vor der Sparkassenfiliale tot aufgefunden. Anwohner haben kurz vorher einen Schuss gehört. Wir müssen davon ausgehen, dass sie einem Raubüberfall zum Opfer gefallen ist.«

Nun geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.

Frau Österle rief: »Martha! Nein! Das kann nicht sein!« Sie setzte sich auf den nächsten Stuhl, sackte in sich zusammen und fing an zu weinen.

Der Mann schien sich zuerst besser zu halten. Dann merkte ich, dass er verständnislos in die Welt schaute. Plötzlich fing er an, keuchend zu atmen, bekam offensichtlich keine Luft mehr. Seine Ex-Frau fing sich für einen Moment, rief: »Ein Asthma-Anfall. Schnell, sein Cortison-Spray! Auf dem Sideboard.« Dann begann sie wieder zu weinen.

Ich nahm den Spray vom Board und gab ihn Herrn Österle. Er griff danach, steckte sich das Spray in den Mund und gab ein paar Sprühstöße ab. Er atmete weiter keuchend.

Hannah Ensinger ging vorsichtig auf Frau Österle zu und begann, leise und beruhigend auf sie einzureden. Diese reagierte zunächst kaum, schien sich aber dann zu beruhigen, sagte gelegentlich einen Satz.

Während ich den medizinischen Notruf verständigte, verfluchte ich die Feigheit meines Chefs, die mich in diese Lage gebracht hatte. Die Situation war völlig außer Kontrolle geraten. Was die Notfallseelsorgerin mit Frau Österle besprach, konnte ich nicht verstehen. Zwar verfügte sie über keine polizeilichen Informationen, aber sie war am Tatort gewesen. Möglicherweise hatte sie etwas beobachtet und verriet gerade Details, die nicht an die Öffentlichkeit dringen sollten.

Nach etwa fünfzehn Minuten erschienen ein Notarzt und eine Sanitäterin. Sie bestätigten, dass es sich nur um einen Asthmaanfall handelte und dass Herr Österles Zustand nicht kritisch war. Als sie von der Ursache des Anfalls hörten, beschlossen sie, ihn trotzdem in die Klinik zu bringen.

Frau Österle hatte sich inzwischen einigermaßen gefasst.

Ich teilte ihr mit, dass wir den Angehörigen routinemäßig einige Fragen stellen mussten. »Ich weiß, dass die Situation für Sie psychisch sehr belastend sein muss«, sagte ich. »Falls Sie erst morgen mit uns sprechen möchten, habe ich volles Verständnis.«

»Ach, bringen wir es gleich hinter uns«, entschied Frau Österle. »Ich bin normalerweise eine robuste Natur.« Sie sprach mit einem leichten schwäbischen Akzent, der ihre Stimme bedächtig und freundlich klingen ließ.

Sie stellte sich ohne Umschweife selbst vor. »Damit Sie wissen, mit wem Sie sprechen: Mein Name ist Christine Österle. Ich bin die erste Frau von Alex Österle. Wir waren bis vor drei Jahren miteinander verheiratet. Gleich nach unserer Scheidung hat er Martha geheiratet. Ich führe nach wie vor gemeinsam mit Alex die Kette von Modeläden, die wir gemeinsam aufgebaut haben. Martha gehört ebenfalls zur Geschäftsführung, sie leitet unser Brautmodenhaus in Metzingen. Alex und ich haben drei gemeinsame Kinder. Gerd, unser Ältester, hat Mathe studiert und promoviert gerade. In der Firma hilft er nur gelegentlich mit. Er hat eine eigene Wohnung in Tübingen. Nicole, unsere Tochter, ist zwei Jahre jünger. Sie haben sie wohl schon kennengelernt und ihren Verlobten auch. Tom, unser Jüngster, geht noch zur Schule. Er macht dieses Jahr Abi.«

Ich befragte sie nach dem Verlauf des Abends. Sie machte im Wesentlichen die gleichen Angaben wie zuvor ihre Tochter. Etwa Viertel vor neun hatte sich die Familie im Esszimmer versammelt: Alex, Christine, Nicole und Tom Österle sowie Kevin Lauber. Gerd war erwartet worden, hatte jedoch kurz vor neun abgesagt. Gleich darauf hatte Martha angerufen und berichtet, dass im Brautmodenhaus ungewöhnlich viel los gewesen war und dass die Mitarbeiterinnen immer noch dabei waren, Kleider in die Schränke zu hängen und Accessoires wegzuräumen. Sie würde vermutlich zwischen Viertel nach neun und halb zehn nach Hause kommen. Die Familie hatte daraufhin beschlossen, gleich mit dem Essen zu beginnen.

»Als Martha um zehn immer noch nicht da war, haben Alex und ich schon befürchtet, dass etwas passiert sein könnte«, berichtete Frau Österle. »Wir haben natürlich an einen Unfall gedacht, nicht an ein Verbrechen. Martha fährt manchmal etwas zu schnell … das ist ihr einziger Fehler. Damit Tom von unserer Unruhe nichts merkt, haben wir ihm gesagt, er soll früh zu Bett gehen. Bitte lassen Sie ihn heute in Ruhe. Wir müssen ihm die Nachricht schonend beibringen. Er hat Martha sehr gemocht. Er ist seelisch nicht sehr stabil. Er macht dieses Jahr Abi, und die Schule stresst ihn sehr.«

Ich bat um ein Glas Wasser. Frau Österle ging in die Küche, holte ein Glas aus dem Küchenschrank und schenkte mir aus einer Flasche stilles Wasser ein. Ich folgte ihr in die Küche.

Die Spülmaschine lief, doch auf dem Spültisch standen in Reih und Glied sechs Sektgläser. Sie waren vermutlich zu empfindlich, als dass man sie der Maschine anvertraut hätte. Schwäbischer Ordnungssinn. Selbst das schmutzige Geschirr wurde noch sorgfältig aufgestellt.

»Sie haben vor der Mahlzeit alle ein Glas Sekt getrunken?«, fragte ich.

»Das gehört zu unserem Feierabendritual«, sagte Frau Österle. »Sonst trinken wir praktisch keinen Alkohol.«

Einen Moment lang ging mir ein Gedanke durch den Kopf, doch er war sofort wieder weg.

Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, Christine Österle über die Besonderheiten ihres Familienlebens auszufragen.

»Entschuldigen Sie, Frau Österle, aber das wollte ich Sie doch fragen: Gab es einen besonderen Anlass, dass Sie heute am Abendessen teilgenommen haben oder ist das in Ihrer Familie so üblich?«

Christine Österle lachte kurz auf, sagte dann: »So fragen mich alle, die unsere Familie nicht kennen. Es gab nie Streit zwischen Martha und mir. Sie war nicht der Grund für unsere Scheidung, nicht einmal der Anlass. Mein Mann war ganz alleine schuld. Alex und ich haben unsere Modekette gemeinsam aufgebaut. Anfangs hatten wir nur einen einzigen Laden und gerade mal genügend Geld, um jeden Monat die Pacht zu zahlen. Aber wir haben uns hochgearbeitet, durch Fleiß, durch Glück, vor allem aber auch, weil wir beide ein Gespür dafür haben, was den Menschen steht und wie man mit Kunden umgehen muss. Mode verkaufen ist eine Kunst. Unsere Modekette ist in Wirklichkeit ein ziemliches Sammelsurium von unterschiedlichen Läden. Jede Stadt hat einen anderen Charakter und andere Kundinnen. Die Läden müssen passen, und das Personal muss passen. Das ist oft das Schwierigste: Man muss die Mitarbeiter halten, die wissen, wie man Mode an die Frau und an den Mann bringt, und diejenigen diskret vergraulen, die einfach routiniert ihr Verkaufsprogramm abspielen wollen.«

Einen Moment lang schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Ihre ersten Jahre als Geschäftsfrau waren offensichtlich die glücklichsten ihres Lebens gewesen.

»Alles ging gut – so lange, bis mein Mann vor ungefähr zehn Jahren die Midlife-Crisis gekriegt hat«, erzählte sie weiter. »Plötzlich hat er angefangen, Mitarbeiterinnen und Kundinnen anzubaggern. Einmal hat er sich an die Ehefrau eines Konkurrenten herangemacht. Und leider hat er sich besonders für sehr junge Frauen interessiert. Mehrmals hätte es beinahe einen Skandal gegeben. Er hat immer wieder versprochen, sich zu bessern, und immer wieder hat er sein Versprechen gebrochen. Ich hatte dauernd Angst, wir könnten ernstliche Schwierigkeiten bekommen. Vor fünf Jahren hatte ich es endgültig satt. Ich wollte die Scheidung. Wir waren uns einig, dass wir eine gütliche Trennung wollen und dass wir die Firma weiter gemeinsam führen. Wir haben unseren Anwalt beauftragt, eine Scheidungsvereinbarung aufzusetzen.«

Sie machte eine Pause: »Aber dann fing Tom an zu kränkeln. Er war schon immer ein zartes Kind. Mit vierzehn, fünfzehn hatte er einen Wachstumsschub, war dauernd krank, verlor ein Schuljahr. Wir haben beschlossen, dass wir ihm keine Trennung zumuten können, und haben unsere Scheidung aufs Eis gelegt. Dann kam Martha.«

Frau Österle holte Luft, um rasch weiterzuerzählen: »Sie war nicht einfach hübsch, sie war eine wirkliche Schönheit. Das ist normalerweise nicht gut für eine Modeverkäuferin. Eine Verkäuferin muss gepflegt wirken, aber wenn sie zu hübsch ist, wird sie von vielen Frauen als Rivalin angesehen. Sie fühlen sich unwohl, wenn sie von ihr bedient werden. Aber Martha konnte sich ganz rasch in eine graue Maus verwandeln, wenn es nötig war. Keine Ahnung, wie sie das gemacht hat. Sie war so tüchtig, sie konnte so viel …«

Frau Österle war kurz davor, wieder in Tränen auszubrechen.

»Zuerst war sie einfach nur eine weitere Affäre meines Mannes. Er war so charmant, er konnte beinahe jede Frau bekommen. Er sieht immer noch gut aus. Seine grauen Haare stehen ihm, lassen ihn wie einen Gentleman alter Schule wirken. Aber in Martha war er ernstlich verliebt. Ich habe ihn ins Gebet genommen. Ich habe ihn gefragt, ob er seine dauernden Affären aufgeben kann, wenn er mit dieser Frau lebt. Er hat ja gesagt und ich habe beschlossen, ihm zu glauben. Wir haben Martha nach Hause eingeladen, und sie hatte sofort einen guten Draht zu Tom. Danach war uns klar, wie es weitergehen musste. Ich hatte mir meinen Lebensabend anders vorgestellt, aber ich habe die Angst nicht mehr ausgehalten, die Angst, dass es einen Skandal gibt, die Angst, dass die Firma, die wir gemeinsam aufgebaut haben, vor die Hunde geht. Inzwischen habe ich Martha liebgewonnen. Ich denke, jeder in der Familie hat sie liebgewonnen. Sie hat so gut zu unserer Familie gepasst – und zu unserer Firma. Ich weiß, es klingt herzlos, aber die Firma ist mir beinahe ebenso wichtig wie die Familie. Ich könnte es nicht ertragen, wenn sie zugrunde geht.«

Christine Österle fing an zu schluchzen: »Ich kann nicht weiterreden. Bitte lassen Sie mich jetzt allein!«

Ich musste trotzdem fragen: »Sie wohnen immer noch hier? Zusammen mit Ihrem Mann und seiner neuen Frau?«

»Das hätte dann doch nicht gepasst«, sagte Frau Österle. »Wir haben ein etwas kleineres Haus ganz in der Nähe gekauft. Tom lebt bei mir – aber er geht in beiden Häusern ein und aus, wie es ihm gefällt. Wenn er etwas nicht von mir bekommt, bekommt er es von Martha, und umgekehrt. Ich denke manchmal, Martha lässt ihm zu viel durchgehen. Sie hat ein arg gutes Herz. Aber ich bin ja genauso. Tom weiß, wie er uns um den Finger wickeln kann. Er ist eben ein Filou – so wie sein Vater.« Ihre Stimme wirkte plötzlich warm und verträumt.

Eines hatte Christine Österle noch auf dem Herzen: »Können Sie bitte Gerd verständigen? Am besten noch heute Abend. Ich möchte nicht, dass er es am Telefon erfährt. Er hat Martha sehr gemocht. Er ist jetzt sicher zu Hause.«

Sie gab uns die Adresse, dann fing sie wieder an zu weinen. Wir verließen lautlos das Haus.

Als wir langsam zum Tatort zurückgingen, fragte ich die Notfallseelsorgerin: »Was halten Sie von Frau Österle?«

»Zunächst mal: Sollten wir uns nicht besser duzen? Ich heiße Hannah.« Sie streckte mir ihre behandschuhte Hand hin. »Hannah Ensinger, wenn du meinen vollen Namen wissen willst.«

»Ich heiße Stefan. Stefan Balck. Balck mit ce-ka.«

Hannah holte etwas Luft, sagte dann: »Weißt du, ich bin Seelsorgerin, keine Hilfskraft der Polizei. Ich kann dir nicht berichten, was Christina Österle und ich miteinander beredet haben. Was da gesprochen wurde, ist vertraulich.«

»Gut. Aber vielleicht kannst du doch sagen, was für einen Eindruck sie auf dich gemacht hat.«

»Meinen Eindruck?« Hannah tat, als hätte sie mich nicht verstanden.

»Ja, deinen Eindruck. Ich verlange nicht, dass du mir irgendwelche Fakten verrätst.«

»Du lässt nicht locker. Als Polizist darfst du das ja auch nicht.«

»Du lässt auch nicht so leicht locker, habe ich gehört.«

»Also gut, mein Eindruck. Den darfst du erfahren. Er ist ganz eindeutig: Ihr Schmerz und ihre Tränen waren echt. Was da passiert ist, hat sie sehr mitgenommen.«

»Sie hat also wirklich um ihre Nachfolgerin getrauert?«

»Trauer würde ich es nicht nennen. Eher Verzweiflung.«

»Verzweiflung?«

»Ja – Verzweiflung darüber, dass sie endgültig aus ihrer Komfortzone vertrieben worden ist. Denk doch daran, was sie gesagt hat. Sie und ihr Ehemann haben zwanzig Jahre lang sehr komfortabel miteinander gelebt. Klar, sie haben viel Fleiß und Energie gebraucht, um ihr kleines Modeimperium aufzubauen. Aber Frau Österle hat nicht das übliche Jammerlied der Selbstständigen gesungen, dass sie zu viel Steuern zahlen müssen, dass sie so schrecklich viel arbeiten müssen, dass die faulen Arbeitnehmer einfach ihr Gehalt kassieren und schon nach fünfunddreißig Stunden nach Hause gehen dürfen. Die beiden haben gern gearbeitet. In ihrem kleinen Modehaus haben sie mit viel Liebe und Freude die Menschen eingekleidet. Später haben sie mit viel Liebe und Freude für jede Stadt den passenden Laden, das passende Sortiment und das passende Verkaufspersonal gefunden. Ich wette, wenn du eine ihrer Verkäuferinnen aus Tübingen und eine aus Reutlingen nebeneinanderstellst, würdest du nie dahinterkommen, dass sie für dieselbe Modekette arbeiten. Es war ein wunderbares Leben für die beiden. Aber plötzlich wird ihr Glück bedroht. Der Ehemann wird untreu, hat Affären mit Verkäuferinnen, mit Kundinnen, viele davon sehr jung, ein Skandal droht. Es sieht so aus, als würde die Komfortzone zerbrechen. Dann kommt Martha. Christine gibt ihren untreuen Mann nur allzu gerne an sie ab, auch, weil diese einen guten Draht zum jüngsten Sohn, ihrem Sorgenkind, hat. Und Martha bekommt den Mann tatsächlich unter Kontrolle. Vielleicht wäre das auch von allein passiert. Jede Midlife-Crisis hat einmal ein Ende. Aber Christine ist überzeugt, dass Martha ihre Komfortzone und die Familienfirma gerettet hat, und sie ist ihr dafür dankbar. Doch jetzt ist Martha tot. Die Komfortzone ist endgültig zerstört. Daher die Verzweiflung.«

»Meine Güte, was du in der kurzen Zeit alles herausgefunden hast«, rief ich.

Hannah lachte kurz auf. Ihr Lachen gefiel mir. Hell und melodisch. »Ich muss es ja nicht beweisen. Das ist deine Aufgabe.«

Inzwischen waren wir am Tatort angekommen. Dort waren nur noch einige Spurensicherer, die die Umgebung absuchten – angesichts des Tathergangs vermutlich eine völlig sinnlose Aktivität – und ein Streifenwagen aus Reutlingen, dessen Besatzung Neugierige fernhalten sollte.

»Deine Kollegen haben dich vergessen«, rief Hannah. »Was machst du jetzt?«

»In Tübingen anrufen. Das geht so nicht. Sie müssen mich heimfahren.«

»Werden sie gleich kommen?«

»Wohl kaum. Es stinkt ihnen sowieso, dass sie mich immer abholen müssen, wenn es eilig ist. Mein Auto ist nicht wintertauglich. Ich habe einen Oldtimer.«

»Ich habe eine bessere Idee«, sagte Hannah. »Wir fahren gemeinsam mit dem Motorroller zu diesem Gerd Österle. Du bist ja gut eingepackt. Bist du denn schon mal Sozius gefahren?«

»Das ist lange her. Aber ich bin eine Zeit lang selbst mal Roller gefahren. Mein Bruder hat einen zum sechzehnten Geburtstag bekommen. Als er endlich den großen Motorradführerschein machen durfte, hat er ihn an mich weitergegeben. Ich hatte grade das passende Alter.«

»Kleines oder großes Kennzeichen?«

»Großes. Ein 125er von Honda.«

»Okay, dann wird es schon klappen. Du musst keine Angst haben, ich nehme öfter mal eine Freundin auf dem Roller mit.«

»Aber ich habe keinen Helm. Ohne, ist mir doch etwas zu riskant.«

»Als Nicole Österle ihre Tür aufgemacht hat, habe ich im Flur zwei Helme liegen sehen. Die haben wohl auch einen Motorroller oder ein Motorrad. Wir fragen nach. Die beiden können sicher noch nicht schlafen.«

Ich hatte meine Bedenken, doch Hannah Ensinger fuhr los, mit mir auf dem Sozius, und sie erhielt tatsächlich das Gewünschte. Der Helm passte einigermaßen. Ich hatte seit ewigen Zeiten nicht mehr hinten auf einem Motorroller gesessen. Anfangs war ich nervös, vor allem in Kurven, doch Hannah war eine gute Fahrerin. Bald fühlte ich mich hinter ihr völlig sicher.

Kalt war es trotzdem. Als wir in Tübingen ankamen, war ich völlig durchgefroren.

Gerd Österle wohnte in der Quenstedtstraße, was mir gar nichts sagte, doch Hannah Ensinger kannte sich offensichtlich aus. Es handelte sich um eine Wohnstraße mit mehrstöckigen Appartementhäusern, etwas nördlich vom Universitätsgelände gelegen.

»Wieder einmal eine Komfortzone«, sagte Hannah. »Die Österles lieben es praktisch. Das Matheinstitut ist auf der Morgenstelle, vielleicht anderthalb Kilometer von hier. Gerd Österle kann ohne Weiteres zu Fuß zu seinem Arbeitsplatz und zurück laufen. Ein angenehmer Spaziergang.«

Ich fühlte mich etwas unwohl. Ich war zwar froh, dass die Notfallseelsorgerin mich begleitete, doch ich hatte auch Gerd Österles Alibi zu prüfen und musste vielleicht weitere Fragen stellen. Das konnte leicht zu Interessenkonflikten führen. Ich ärgerte mich wieder einmal über Hackerles Feigheit, der mich allein zu den Angehörigen losgeschickt hatte. Ich sprach Hannah auf das Problem an.

»Keine Sorge«, sagte sie. »Ich bin Seelsorgerin. Notfallseelsorger können sich zwar nicht auf das Beichtgeheimnis berufen, aber was wir erfahren, ist trotzdem vertraulich. Notfalls gehe ich auch kurz raus, wenn es dir lieber ist.«

Wir klingelten und ich stellte mich über die Türsprechanlage vor.

Gerd Österle ließ uns ein – ein Mann Ende zwanzig mit lockigen schwarzen Haaren, gut aussehend, aber nicht allzu groß. Ich schätzte ihn auf einen Meter fünfundsiebzig.

»Ich bin etwas überrascht, dass die Polizei zu mir kommt«, sagte er.

Wir legten wieder unsere dicken Jacken ab. Diesmal sah ich Hannah etwas genauer an und musste meine Meinung über sie revidieren. Vielleicht legte sie tatsächlich keinen besonderen Wert auf ihr Aussehen – dann aber nur deshalb, weil es nicht nötig war. Ihre Kleidung wirkte zwar auf den ersten Blick langweilig, war auch nicht körperbetont geschnitten, doch passte sie zu ihrem Typ, unterstrich, dass sie eine ausgesprochen hübsche Frau war. Vermutlich wählte sie ihre Sachen sehr sorgfältig aus, sodass sie alltäglich aussahen, aber ideal zu ihrer Figur passten. Vielleicht gab es irgendwo einen Spezialladen für große, schlanke Frauen, so wie die Läden für Mollige, die man heute in jeder größeren Stadt findet.

»Ich habe Ihnen leider eine schlimme Mitteilung zu machen«, begann ich und sagte dann die standardisierten Sätze auf, mit denen wir Menschen über den Tod eines Angehörigen informieren.

Gerd Österles Reaktion überraschte mich.

»Die arme Martha«, rief er. »Immer war sie der Mülleimer für uns alle, und jetzt hat sie auch noch ihren Kopf für uns hingehalten.«

»Wie meinen Sie das?« fragte ich. »Wieso hat sie den Kopf für Sie hingehalten?«

»Nun, Sie wissen es sicher schon. Meine Eltern sind sehr erfolgreiche Geschäftsleute. Da macht man sich Feinde.«

»Entschuldigung, aber das ist mir zu allgemein«, sagte ich. »Wenn Sie so reagieren, muss es doch wohl einen konkreten Vorfall gegeben haben.«

»Darf ich mich setzen?«, fragte Gerd Österle. »Ich muss die Nachricht erst verarbeiten.«

Er warf sich auf einen Sessel. Währenddessen hatte ich Zeit, mich im Zimmer umzusehen. Es war ein kombiniertes Wohn-/Esszimmer, das ohne Tür in den Vorraum überging. Die Ausstattung wirkte funktionell und freundlich, doch etwas steril, ohne persönliche Note. Wir setzten uns ebenfalls, ohne auf eine Einladung zu warten.

Gerd Österle stierte eine Weile vor sich hin, dann stieß er hervor: »Ja, es gab einen Zwischenfall. Meine Eltern sind ehrliche Geschäftsleute, kein Zweifel, aber sie verhandeln sehr hart. Vor ein paar Jahren haben sie einem Geschäftsmann aus Reutlingen, der sich aus Altersgründen zurückziehen wollte, das Ladenlokal abgekauft. Der starb wenig später, und der Erbe war mit dem Preis nicht einverstanden. Er war der Meinung, meine Eltern hätten ihn um einen Teil seines Erbes betrogen. Alle Anwälte haben ihm von einer Klage abgeraten. Da hat er meinen Vater vor dem Geschäft abgepasst und ihn bedroht. Glücklicherweise sind unsere Verkäufer dazwischengegangen, und so ist nichts passiert. Aber mein Vater hatte noch wochenlang Angst, wenn er in Reutlingen unterwegs war. Der Mann war sehr kräftig, stark tätowiert und sehr cholerisch.«

»Wie lange ist das her?«

»Zwei, drei Jahre, würde ich sagen.«

»Kam es zu einer Anzeige?«

»Ich denke nicht. Jedenfalls hat mein Vater nicht erwähnt, dass er deswegen bei der Polizei war.«

»Das ist alles sehr vage und schon ziemlich lange her.«

Gerd Österle zögerte.

»Ich bin selten zu Hause, aber vor ein paar Wochen ist mir aufgefallen, dass mein Vater sich komisch benimmt. Ein bisschen so wie damals, als er Angst hatte. Darum denke ich, dass wieder etwas passiert sein muss.«

»Aber jemand, der sich betrogen fühlt, würde doch auf Ihren Vater oder Ihre Mutter losgehen«, wandte ich ein. »Oder hat Martha sich selbst Feinde gemacht?«

Gerd Österle überlegte einen Moment, dann sagte er rasch: »Ich denke nicht. Aber das ist vielleicht auch nicht nötig.«

»Wie meinen Sie das?«

»Wir haben drei gleiche Minivans als Firmenwagen. Citroën C4 Picasso, rot lackiert und mit dem Logo unserer Firma. Wenn einer von uns ein Auto braucht, nimmt er einfach den Wagen, der gerade frei ist. Ein Außenstehender könnte denken, dass es nur eines dieser Autos gibt und dass es immer von meinem Vater gefahren wird.«

»Wer fährt denn alles diese Picassos?«

»Wir alle. Mein Vater, meine Mutter, Martha, Nicole, ihr Verlobter und, wenn ich für die Firma unterwegs bin, auch ich. Tom hat noch keinen Führerschein. Er will ihn erst nach dem Abi machen.«

Gerd Österles Stimme wurde weinerlich. Er stieß ein paar Worte hervor, die ich nicht verstand, die aber in etwa klangen wie »Oh, Martha!«

Ich wartete, bis er sich etwas gefasst hatte, dann fragte ich: »Wenn Sie mit Ihrer Idee Recht haben: Warum denken Sie, dass gerade Ihr Vater Ziel des Anschlags sein sollte?«

»Er ist das Gesicht der Firma. Bei geschäftlichen Entscheidungen zieht zwar oft meine Mutter die Fäden, aber mein Vater ist der, der sie nach außen verkündet. Außerdem – Sie haben wahrscheinlich schon von seiner Vergangenheit als Schürzenjäger gehört. Da gibt es sicher einige Ehemänner, Ex-Geliebte und andere Betroffene, die immer noch einen Groll auf ihn haben.«

»Das alles ist aber schon ein paar Jahre her.«

»Das stimmt natürlich. Aber irgendwie – ich kann nicht glauben, dass jemand Martha umbringen wollte. Sie war eine so gute Seele.«

Er starrte kurz vor sich hin, nickte dann und wiederholte: »Ja, eine gute Seele.«

Ich wartete einen Moment, griff dann seine Worte auf:

»Die ›gute Seele‹ – hat das etwas mit diesem Mülleimer zu tun, von dem Sie vorher gesprochen haben?«

»Bei Martha haben sich alle ausgeweint. Ich – wenn meine Mutter mal wieder nicht einsehen wollte, dass die Wissenschaft für mich das Wichtigste ist und dass ich nur dann in der Firma aushelfen kann, wenn an der Uni gerade nicht viel los ist. Nicole – sie hat eine Neigung, immer wieder an die falschen Männer zu geraten. Ich weiß nicht, ob dieser Kevin Lauber für sie der Richtige ist. Er kommt mir ein bisschen zu weich vor. Mein Vater – keine Ahnung, aber ich bin sicher, dass er auch oft ihren Zuspruch benötigt hat. Seit er immer wieder diese Asthmaanfälle bekommt, ist er seelisch nicht mehr sehr stabil. Meine Mutter – wahrscheinlich hat sogar sie manchmal bei Martha Hilfe gesucht. Sie ist nicht so stark wie sie tut. Nur Tom – er ist der Liebling meiner Mutter und gleichzeitig Marthas Liebling. Er brauchte keinen Extra-Zuspruch. Er hat oft seine schwache Gesundheit ausgenutzt, um zu bekommen, was er wollte.« Gerd Österle seufzte: »Am einfachsten könnte man es so ausdrücken: Martha war die gute Seele der Familie, meine Mutter der scharfe Verstand.«

»Das klingt jetzt aber ziemlich hart gegen Ihre Mutter«, sagte ich.

»Sollte es eigentlich nicht. Meine Mutter hat sehr unter den Eskapaden meines Vaters gelitten. Es war nicht nur die Untreue – sie hatte dauernd Angst, dass seine Vorliebe für junge Frauen zu einem schlimmen Skandal führt. Irgendwann einmal hat sie beschlossen, sich nur noch auf ihren Verstand zu konzentrieren, zu schauen, dass sie die Familie und die Firma heil durch die ganzen Probleme bringt. Sie wollte das, was sie zusammen mit meinem Vater aufgebaut hat, an uns Kinder vererben – unbeschädigt. Auf dem Höhepunkt seiner Midlife-Crisis war mein Vater leider auch in geschäftlicher Hinsicht beinahe ein Totalausfall.«

Gerd Österle setzte ein paar Mal zum Sprechen an, suchte nach den richtigen Worten und erklärte schließlich: »Vielleicht kann man es so sagen: Martha und meine Mutter zusammen haben in unserer Familie das abgedeckt, was früher meine Mutter alleine konnte. Beide zusammen waren eine gute Ehefrau, eine gute Familienmutter und eine gute Firmenchefin. Ich denke, die beiden haben das auch so verstanden.«

»Dann kann es mit Ihrer Familie und Ihrer Firma jetzt eigentlich nur noch bergab gehen.«

»Es sei denn, meine Mutter findet wieder zu ihrer alten Stärke zurück. Mein Vater hat seine Midlife-Crisis wohl inzwischen überwunden.«

Er starrte wieder ins Leere, war nicht in der Stimmung, weiter über seine Familie zu reden.

Hannah hatte bisher geschwiegen, nun sah sie mich an und meldete sich zu Wort: »Eigentlich wolltest du doch etwas ganz anderes fragen.«

»Da hat Ihre Kollegin wohl recht«, sagte Gerd. »Sie sind sicher nicht gekommen, um sich das Psychogramm unserer Familie anzuhören, verfasst von einem absoluten psychologischen Laien.«

War ich nicht. Aber aufschlussreich war es doch.

»Ich denke, ich weiß, was Sie fragen wollten«, unterbrach mich Gerd Österle. »Ich schaue auch Krimis. Sie wollen wissen, ob ich ein Alibi habe. Dazu müssen Sie mir erst sagen, wann die Tat genau passiert ist.«

»Zwischen neun und halb zehn.«

»Da war ich hier. Ich habe kurz nach acht an der Uni Schluss gemacht und bin nach Hause gegangen. Anschließend war ich zu müde, um noch zum Essen wegzufahren. Ich habe bei meinen Eltern angerufen, dass ich nicht komme. Das muss ein paar Minuten vor neun gewesen sein.«

»Sie waren allein hier? Niemand hat Sie gesehen?«

»Gleich nach dem Anruf bei meinen Eltern habe ich mit meiner Verlobten telefoniert. Ziemlich lange, von neun bis beinahe um zehn. Sie ist Amerikanerin und lebt in Kalifornien. Sie können sie fragen. Das Telefonat sollte auch aus meinem Einzelverbindungsnachweis hervorgehen.«

»Übrigens – ich bin keine Kollegin von Herrn Balck«, sagte Hannah. »Ich bin Notfallseelsorgerin. Herr Balck hat mich freundlicherweise mitgenommen für den Fall, dass Sie meinen Beistand brauchen.«

Gerd Österle überlegte einen Moment. »Ich denke, ich werde Hilfe brauchen. Irgendwann einmal. Aber zuerst muss ich die Nachricht für mich selbst verarbeiten.«

Hannah drückte ihm eine Karte in die Hand. »Ich weiß nicht, wer von uns dann zur Verfügung stehen wird. Sie können gern die Pfarrerin anrufen, die unsere Einsätze koordiniert. Falls Sie Mitglied einer Kirche sind, können Sie sich auch direkt an Ihren eigenen Pfarrer wenden.«

Sie schaute gedankenverloren aus dem Fenster. Plötzlich rief sie laut: »Mist!«

»Was ist los?«, fragte ich.

»Es hat angefangen zu schneien. Und zwar nicht gerade wenig. So stand das nicht im Wetterbericht.«

»Das Wetter ist eben ein chaotisches System«, meinte Gerd Österle.

»Sonderlich chaotisch ist die Wetterlage noch nicht gerade«, widersprach ich. »Es schneit, weiter nichts.«