Gefährliche Leidenschaft - Nora Darcy - E-Book

Gefährliche Leidenschaft E-Book

Nora Darcy

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Beschreibung

Es ist der ganz besondere Liebesroman, der unter die Haut geht. Alles ist zugleich so unheimlich und so romantisch wie nirgendwo sonst. Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen, Vampire und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen ziehen uns wie magisch in ihren Bann. Moonlight Romance bietet wohlige Schaudergefühle mit Gänsehauteffekt, geeignet, begeisternd für alle, deren Herz für Spannung, Spuk und Liebe schlägt. Immer wieder stellt sich die bange Frage: Gibt es für diese Phänomene eine natürliche Erklärung? Oder haben wir es wirklich mit Geistern und Gespenstern zu tun? Die Antworten darauf sind von Roman zu Roman unterschiedlich, manchmal auch mehrdeutig. Eben das macht die Lektüre so fantastisch... Seine Nerven lagen blank, auch wegen letzter Nacht. Er war nahe einer Panikattacke gewesen, als Mary ihn geweckt hatte. Natürlich hatte er keinen Einbrecher gefürchtet. Doch wusste man, wie das Schicksal spielte, und man hatte ihn doch in seinem Versteck ausfindig gemacht? Er hatte geglaubt, bereits die Handschellen klicken zu hören, als er das Schlafzimmer verlassen hatte. Doch die Haustür war verschlossen gewesen und nirgends in den wenigen Räumen seines Großvaters hatte sich jemand aufgehalten, der nicht hierher gehörte. In einem Anflug von Zynismus hatte er sich vorgestellt, der Geist des alten Mannes schliche vorwurfsvoll durchs Haus. Doch den hätte man wohl kaum laufen hören. Bestimmt hatte Mary geträumt. David versuchte, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Mary Connor wuchtete ihre Reisetasche in den Kofferraum ihres Renaults und zog mit Schwung die Klappe des betagten Fahrzeugs herunter, die geräuschvoll aufschlug. Sofort schnappte der Deckel wieder auf und hob sich ein kleines Stück. Ungehalten drückte sie mit beiden Händen auf die Kofferraumklappe, bis das Schloss geräuschvoll einrastete. Die Sonne schien warm und aus dem Gebüsch seitlich der Straße zwitscherte ein Vogel. Ein kleiner Junge, der höchstens drei Jahre alt war, radelte eifrig tretend auf seinem Dreirad die verkehrsberuhigte Seitenstraße entlang, in der Mary ihren Wagen vor dem Mehrfamilienhaus geparkt hatte, in dem sie wohnte. Das Kind kam näher. Ein bunter Sicherheitswimpel, der am hinteren Teil des Rades befestigt war, schwang hin und her. Ein junger Mann, vielleicht der Vater des Kleinen, joggte hinter dem Jungen her. Der Mann lächelte ihr zu, als er an ihr vorüber eilte. Der Versuch, die Freundlichkeit zu erwidern, misslang.

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Moonlight Romance – 33 –

Gefährliche Leidenschaft

Wer ist dein Lover wirklich, Mary?

Nora Darcy

Seine Nerven lagen blank, auch wegen letzter Nacht. Er war nahe einer Panikattacke gewesen, als Mary ihn geweckt hatte. Natürlich hatte er keinen Einbrecher gefürchtet. Doch wusste man, wie das Schicksal spielte, und man hatte ihn doch in seinem Versteck ausfindig gemacht? Er hatte geglaubt, bereits die Handschellen klicken zu hören, als er das Schlafzimmer verlassen hatte. Doch die Haustür war verschlossen gewesen und nirgends in den wenigen Räumen seines Großvaters hatte sich jemand aufgehalten, der nicht hierher gehörte. In einem Anflug von Zynismus hatte er sich vorgestellt, der Geist des alten Mannes schliche vorwurfsvoll durchs Haus. Doch den hätte man wohl kaum laufen hören. Bestimmt hatte Mary geträumt. David versuchte, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren.

Mary Connor wuchtete ihre Reisetasche in den Kofferraum ihres Renaults und zog mit Schwung die Klappe des betagten Fahrzeugs herunter, die geräuschvoll aufschlug. Sofort schnappte der Deckel wieder auf und hob sich ein kleines Stück. Ungehalten drückte sie mit beiden Händen auf die Kofferraumklappe, bis das Schloss geräuschvoll einrastete. Die Sonne schien warm und aus dem Gebüsch seitlich der Straße zwitscherte ein Vogel. Ein kleiner Junge, der höchstens drei Jahre alt war, radelte eifrig tretend auf seinem Dreirad die verkehrsberuhigte Seitenstraße entlang, in der Mary ihren Wagen vor dem Mehrfamilienhaus geparkt hatte, in dem sie wohnte. Das Kind kam näher. Ein bunter Sicherheitswimpel, der am hinteren Teil des Rades befestigt war, schwang hin und her. Ein junger Mann, vielleicht der Vater des Kleinen, joggte hinter dem Jungen her. Der Mann lächelte ihr zu, als er an ihr vorüber eilte. Der Versuch, die Freundlichkeit zu erwidern, misslang. Mary schnürte es die Kehle zu. Es wurde Frühling und das Leben hätte so leicht und schön sein können. Doch ihres lag in Scherben. Tränen verschleierten ihr die Sicht. Mary schniefte und trocknete sich mit dem Ärmel ihrer dünnen Strickjacke die Augen. Nur nicht nachdenken, davon wurde nichts besser. Kilian war ein Schuft und es war gut, dass sie noch vor der für den Spätsommer geplanten Hochzeit die Wahrheit über ihn erfahren hatte. Tatsächlich hatte vor einigen Tagen am frühen Abend eine junge Frau an ihrer Wohnungstür geklingelt, während sie mit Kilian beim Abendessen saß, und sie angefleht, ihn endlich freizugeben. Schließlich würde sie ein Kind von ihm erwarten. Unter Mary war der Boden eingebrochen. Sie hatte nicht den geringsten Verdacht gehabt, dass er sie betrog und der Frau die Tür vor der Nase zugeschlagen. Beim anschließenden Gespräch mit Kilian hatte dieser alles zugegeben. Mary hatte die Beziehung umgehend beendet. Seither nahmen Tränen und Liebeskummer kein Ende.

Nun setzte sie sich ans Steuer ihres klapprigen Wagens, den sie vor einigen Monaten bei einem Gebrauchtwagenhändler erstanden hatte, ließ die Seitenscheibe herunter und tippte anschließend die Adresse ihrer Freundin Sara in das Navigationsgerät, bei der sie für ein paar Tage Zuflucht suchen wollte. Von Plymouth aus dauerte es zwischen einer guten Stunde bis zu knapp zwei Stunden, je nachdem welche Strecke sie wählte. Über die Autobahn ging es am schnellsten. Dennoch entschied sich Mary die Route quer durch Dartmoor zu nehmen. Ein leichtes Frösteln lief ihr über den Rücken, wenn sie an die einsame Verbindung dachte. Immer wieder sollte auf der Strecke Eigentümliches geschehen. Erst vor ein paar Wochen war dort eine junge Frau verschwunden, die mit ihrem Fahrrad unterwegs gewesen war. Man hatte das Rad nach intensiver Suche ein Stück abseits der Straße gefunden, nahe der Ruine eines verfallenen Hauses. Von der Frau aber fehlte jede Spur. Ein Spaziergänger behauptete, sie wenige Tage nach ihrem Verschwinden in der Nähe der Ruine gesehen zu haben. Als er sie hatte ansprechen wollen, wäre sie hinter ein paar Gesteinsbrocken verschwunden. Er sei ihr nachgegangen, aber sie hatte sich quasi in Luft aufgelöst.

Auch vergangenen Winter hatte es einen schauderhaften Vorfall gegeben. Auf mit feinem Schnee bedeckter Straße war der Kleinwagen eines Studenten frontal auf ein entgegenkommendes Fahrzeug geprallt. Nur hatte es vor Ort keinen zweiten Unfallwagen gegeben und auch auf der verschneiten Straße sah man nur die Reifenspuren des zertrümmerten Kleinwagens. Der Student, der schwerverletzt überlebte, hatte ausgesagt, das andere Fahrzeug wäre eine Pferdekutsche gewesen. Man hatte seine unvorstellbare Aussage dem Schock zugeschrieben, wobei noch immer die Frage nach den fehlenden Reifenspuren ungeklärt war.

Mary verdrängte diese unliebsamen Gedanken. Sicher gab es für alle Vorkommnisse eine realistische Erklärung. Den Menschen gefiel wohl die Vorstellung unerklärlicher Ereignisse, die sie schaudern ließen. Unwillkürlich schauderte sie auch. Trotzdem, sie hatte einige beinahe schlaflose Nächte hinter sich, und ihre Gedanken weilten ständig bei Kilian. Sie war müde und unkonzentriert und so oder so froh, wenn sie die Fahrt hinter sich gebracht hatte. Es war besser, sie nahm die ruhige Strecke durch Dartmoor. Zudem war es ein heller frühlingshafter Tag, der jeden Gedanken an mysteriöse Begebenheiten absurd erscheinen ließ. Was sollte schon passieren? Das Schlimmste war schon passiert. Kilian hatte sie hintergangen. Wieso hatte er ihr überhaupt einen Heiratsantrag gemacht? Mit Kindern hatte er noch warten wollen, dabei wäre sie so gerne bald Mutter geworden. Und dann stand die Andere vor der Tür und behauptete, schwanger von ihm zu sein. Mary legte den Kopf aufs Lenkrad und schluchzte auf. Er war so ein Schuft!

»Alles in Ordnung meine Liebe?«, hörte sie eine Stimme neben sich. Erschrocken hob sie den Kopf. Die alte Misses Closter stand neben ihrem Wagen und musterte sie mit besorgter Miene. Hastig trocknete sich Mary das Gesicht und zwang sich zu einem kläglichen Lächeln.

»Hallo Misses Closter. Ja, alles in Ordnung«, log sie. Sorgenvoll neigte die betagte Dame den Kopf zur Seite. Silbergraue Löckchen lugten unter ihrem hellen Fellhut hervor.

»Das sieht mir aber gar nicht so aus. Möchten Sie mit zu mir kommen? Ich koche uns eine schöne Tasse Tee und ein paar Kekse habe ich auch eben gekauft.« Sie hielt ihren blauen Stoffbeutel hoch, in dem sie stets ihre Einkäufe nach Hause trug. Jetzt musste Mary wirklich lächeln.

»Das ist ganz lieb von Ihnen, vielen Dank. Aber ich muss nach Exeter zu meiner Freundin Sara. Gilt das Angebot nächste Woche auch noch? Dann würde ich mich sehr freuen.«

Misses Closter lächelte gütig und nickte.

»Aber natürlich. Kommen Sie einfach, wie es für Sie passt. Gute Fahrt.«

»Danke«, antwortete sie und versuchte möglichst fröhlich zu klingen. Ihr fiel noch etwas ein.

»Ach, Misses Closter?«

»Ja?« Die alte Dame beugte sich wieder zu dem geöffneten Fenster.

»Würden Sie die nächsten Tage nach meiner Post sehen und die Blumen gießen?«, bat sie.

»Aber natürlich, sehr gern«, versicherte die Nachbarin und lächelte ihr zu.

»Danke. Das ist ganz lieb.«

»Ich lege Ihre Briefe wie immer auf den Wohnzimmertisch«, plapperte die alte Dame.

»Danke«, wiederholte Mary. Viel Post würde sie nicht bekommen. Aber die Tageszeitungen verstopften immer so rasch den Briefkasten.

»Haben Sie ein paar gute Tage«, fuhr Misses Closter fort. Mary rang sich ein klägliches Lächeln ab.

»Bis nächste Woche«, sagte sie. Misses Closter nickte, wandte sich ab und setzte mit ungleichmäßigen Schritten ihren Heimweg fort. Mary putzte sich die Nase und ließ den Motor an. Wie unangenehm, von der alten Dame bei ihrem Gefühlsausbruch überrascht worden zu sein. Misses Closter war zwar eine herzensgute Frau, doch Mary hatte im Augenblick weder Bedarf an Smalltalk noch daran, ihr von ihrem Liebeskummer zu erzählen.

Sie folgte den Anweisungen des Navigationsgerätes. Nachdem sie die letzten Häuser von Plymouth hinter sich gelassen hatte, fuhr sie zunächst Richtung Buckfastleigh. Sie versicherte sich, froh zu sein um die Ruhe, die an diesem Samstagvormittag auf den Straßen außerhalb der Stadt herrschte. Nur selten kam ihr ein Auto entgegen, und einmal wurde sie von einem ungeduldigen Fahrer überholt. Sie schaltete das Radio ein, in dem kläglichen Versuch, sich ein wenig abzulenken, doch bei den meisten Sendern war der Empfang hier außen schlecht, und es rauschte und knisterte nur. Lediglich ein Sender der klassische Musik spielte, war nicht gestört. Mary schaltete das Radio wieder aus. Links der Straße erstreckten sich hügelige Wiesen, in einem eingezäunten Bereich weidete eine Schafherde. Auch einige Lämmer waren dabei. Der Anblick der Jungtiere drohte Mary erneut die Tränen in die Augen zu treiben. Wie hatte Kilian ihr das antun können! Und nun wurde er auch noch Vater, während sie… Mary bremste ab, wischte sich die Tränen fort und sah auf den Navi. Die kleine Landkarte, die bis vor kurzem auf dem Display zu sehen gewesen war, war verschwunden. Stattdessen stand auf schwarzem Hintergrund: Schlechter Empfang – bitte warten. Sie rieb sich mit zwei Fingern die Schläfe, wie so oft, wenn sie nachdachte. Ganz ruhig. Dies hatte absolut nichts zu bedeuten, außer, dass hier eben der Empfang des Gerätes schlecht war. Nur ausgerechnet jetzt gabelte sich die Straße und es gab keine Beschilderung. Sie warf einen Blick in den Rückspiegel. Die Fahrbahn lag völlig verlassen hinter ihr. Die Einsamkeit legte sich wie eine schwere kalte Decke um ihre Schultern. Mary kramte ihr Handy aus den Tiefen ihrer Handtasche. Es gab keinen Grund in Panik zu verfallen. Sie würde Sara anrufen und fragen, ob sie die linke oder rechte Abzweigung nehmen sollte. Doch auch das Mobiltelefon hatte hier in der Einsamkeit keinen Empfang. Nun, das war nicht verwunderlich in dieser Einöde. Genervt warf sie es auf den Beifahrersitz. Und jetzt? Sie konnte sich auf gut Glück für eine der Gabelungen entscheiden, wobei es mit ihrem Glück ja derzeit nicht weit her war. Sie konnte ein Stück zurückfahren, in der Hoffnung wieder Empfang auf dem Navi oder dem Handy zu haben, bestenfalls auf beiden Geräten. Mary entschied sich für Letzteres und wendete den Wagen. Nach wenigen Minuten zweigte zu ihrer rechten Seite erneut eine Straße ab. Hier stand ein Schild mit der Aufschrift ›Princetown‹. Erneut hielt sie an. Diese Kreuzung hatte sie vorhin gar nicht bemerkt. Ihr Herz pochte hart gegen die Rippen. Wo befand sie sich eigentlich? Navi und Handy hatten noch immer keinen Empfang. Wann war überhaupt das Navigationsgerät ausgefallen? Sie konnte sich gar nicht erinnern. Möglicherweise fuhr sie schon eine ganze Weile in die verkehrte Richtung. Oder auch nicht. Ein kühler Windstoß fuhr durch das noch immer geöffnete Seitenfenster. Erschrocken stellte Mary fest, dass auch die Sonne weg war. Stattdessen türmten sich finstere Wolken am Himmel und in aller Ferne zuckte ein grellgelber Blitz durch die bedrohlichen Gebilde. Sie presste die Handballen gegen die Schläfen. Bloß nicht die Nerven verlieren, stattdessen nachdenken. Sie sah auf die Uhr. Sie war jetzt etwa eine Stunde unterwegs. Angenommen, sie hatte sich bislang nicht verfahren, hatte sie etwa die halbe Strecke zu Sara geschafft. Erste Regentropfen fielen auf ihr Auto. Es half nichts hier stehen zu bleiben und auf ein Wunder zu warten. Sie würde noch einmal umkehren und in die ursprüngliche Richtung weiterfahren, bis der Navi wieder Empfang hatte und sie sich orientieren konnte. Bis sie gewendet hatte, prasselte der Regen so heftig nieder, dass die Scheibenwischer kaum hinterher kamen. Auch Blitz und Donner kamen immer näher, der Himmel wurde noch dunkler. Es war erst Nachmittag und doch schien es, als würde die Nacht hereinbrechen. Mary hatte Mühe, die Straße zu erkennen, zumal das Regenwasser mittlerweile hier und da gleich kleinen Bächen darüber lief. Durch die Düsternis näherte sich das Licht zweier Scheinwerfer. Ein Wagen kam ihr entgegen. Der Fahrer war viel zu schnell unterwegs. Mary durchfuhr eisiges Entsetzen. Umgehend hatte sie das Bild eines zertrümmerten Kleinwagens vor Augen. Das andere Fahrzeug schien direkt auf sie zu zukommen. Sie riss das Steuer herum, das Auto pfiff förmlich an ihr vorbei, ein Schwall Spritzwasser traf die Seitenscheiben, ihr eigener Wagen kam von der Straße ab und fuhr in die Böschung. Mary bremste hart. Sie zitterte von Kopf bis Fuß. Verdammt! Die Rücklichter des Straßenrowdies waren bereits verschwunden. Eine Pferdekutsche war das jedenfalls nicht gewesen. Sie stand nun halb im Graben und Gebüsch. Hoffentlich hatte der Wagen keinen Schaden genommen. Sie legte den Rückwärtsgang ein und gab Gas. Das Auto bewegte sich kein Stück weit, stattdessen hörte sie durch das Rauschen des Regens wie die Reifen auf dem vermutlich schlammigen Untergrund durchdrehten. Sie saß fest. Es war nicht zu fassen. Für einige Sekunden weigerte sich ihr Verstand, dies zu akzeptieren. Ob eine unsichtbare Riesenhand ihr Auto an Ort und Stelle hielt? Ungehalten schlug sie mit der flachen Hand aufs Lenkrad. Genug der wirren Phantasien! Sie war schlichtweg in den Graben gefahren. Sie atmete tief durch. Immerhin entfernte sich das Grollen des Donners und auch der Regen ließ etwas. Sie zog ihre dünne Strickjacke fester um sich. Sie musste raus aus dem Auto und sich die Bescherung ansehen. Eventuell fand sie ein Brett um es hinter die eingesunkenen Reifen zu legen, damit diese Halt fanden. Doch wo um Himmels willen sollte sie jetzt und hier ein Brett finden? Vielleicht ein paar starke Äste. Vielleicht auch nichts und sie musste hier sitzen bleiben bis zufällig ein weiteres Auto vorbeikam, und man ihr half. Der Navi hatte noch immer schlechten Empfang, doch der nutzte ihr im Augenblick ohnehin nichts. Auch das Handy konnte sie nach wie vor nicht benutzen. Zudem fiel ihr auf, dass der Akku fast leer war. Sie bekam ein flaues Gefühl im Bauch. Es sah so aus, als säße sie gründlich in der Patsche. Im wahrsten Sinn des Wortes. Diese Erkenntnis war ganz real und keineswegs Übersinnlich. Wenigstens klemmte die Autotür nicht, wie sie gleich darauf feststellte. Über eine weitere Widrigkeit hätte sie sich nicht mehr gewundert. Mary stieg aus und sank augenblicklich mit ihren cremefarbenen Ballerinas in den Schlamm. Die kalte nasse Pampe rutschte in ihre Schuhe. Irgendetwas in ihr resignierte. Ihr war nicht einmal mehr danach, vor Wut und Frust zu heulen. Sie wollte nur noch einen warmen trockenen Platz finden. Obwohl der Regen im Moment ein wenig nachgelassen hatte, saugte sich die Feuchtigkeit rasch durch ihre dünne Frühjahrskleidung. Der Himmel wurde jedenfalls nicht heller, doch vermutlich ging der Nachmittag inzwischen in den Abend über. Ein Blick auf ihr Handy sagte ihr, dass es inzwischen gleich sechs Uhr abends war. Mary riskierte das letzte bisschen Energie auf dem Akku des Mobiltelefons und schaltete die Taschenlampe des Gerätes ein. Sie hielt den Lichtstrahl zu den Vorderreifen. Beide waren bis zur Mitte der Felgen im Morast eingesunken. Sie hatte keine Chance den Wagen alleine aus dem Schlamm zu befreien. Sie richtete sich aus ihrer leicht gebückten Haltung auf. Für einen Augenblick senkte sich eiserne Ruhe über sie. Sie hatte zwei Möglichkeiten. Entweder sie setzte sich zurück ins Auto und hoffte, dass sie jemand rettete. Oder sie machte sich zu Fuß auf den Weg, und sei es nur, um vorwärts zu kommen.

*

David Bennett wachte auf und registrierte ein paar Plagen gleichzeitig. Sein Mund und sein Hals waren absolut ausgetrocknet, und seine Zunge fühlte sich pelzig an. Zudem hatte er einen schalen Geschmack im Mund. Ein wenig übel war ihm auch, und sein Kopf schmerzte zum Zerbersten. Außerdem lag er offenbar nicht in seinem Bett. Er zwang sich die Augen zu öffnen und kniff sie augenblicklich wieder zu. Er lag im Wohnzimmer auf dem Sofa. Die Frühlingssonne schien durchs Fenster und auch wenn sie ihn nicht direkt blendete, war es doch eindeutig zu viel für ihn, in das helle Morgenlicht zu sehen. War es überhaupt ‚Morgen‘? Oder schon Mittag, oder gar noch später? Und welcher Tag war heute? Er brauchte unbedingt einen Schluck Wasser. David tastete über den Teppichboden. Er hatte immer eine Flasche Wasser neben dem Sofa stehen. Tatsächlich fand er sie und erfreulicherweise war sie auch noch halbvoll. Er stemmte sich in halb sitzende Position, was seine Kopfschmerzen nicht besser machte, schraubte mühsam den Verschluss von der Flasche und trank gierig, wobei er sein Hemd und die Couch vollkleckerte. Er sah an sich hinunter. Er trug ernsthaft noch seine Jeans und sein Hemd. Erschöpft ließ er sich wieder in liegende Position fallen und schloss die Augen. Hinter seiner Stirn hämmerte es und etwas lag ihm bleischwer auf der Seele. Aber was? Irgendwas war katastrophal schief gelaufen. Es hatte mit der Firma zu tun, daran konnte er sich erinnern. Er brauchte unbedingt eine Tablette gegen die Kopfschmerzen. Ehe diese wirkte konnte er nicht denken. Dazu musste er aufstehen und er fürchtete, seine Beine würden den Dienst verweigern. Er würde noch einen Augenblick liegen bleiben. Trotz sämtlicher Missstände spürte er den Schlaf zurückkommen.

Das anhaltende Klingeln an der Haustür holte ihn eine Weile später zurück in die Wirklichkeit. Auch diesmal bekam er die Augen nur schwer auf. Das Klingeln ließ nicht nach. Normalerweise wäre er wütend geworden, doch in seiner lädierten Verfassung gelang ihm das nicht. Er wollte nur, dass das Läuten aufhörte und derjenige, der vor der Tür stand, wer auch immer es war, sich von dannen machte. Er stemmte sich vom Sofa hoch und sah an sich herunter. Sogar seine Straßenschuhe hatte er noch an. Liebe Zeit, er war gestern förmlich in den Alkohol hineingefallen. Der Grund dafür rumorte in der Tiefe seines Gehirns, ohne zum Vorschein zu kommen. Er tappte zur Haustür und versuchte, nicht in den Garderobenspiegel zu sehen, an dem er dazu vorbei musste. Ungehalten öffnete er und starrte die beiden Polizeibeamten an, die außen standen. Einen der beiden kannte er.

»Morgen«, murmelte er in der Hoffnung, dass es immer noch Vormittag war.

»Hallo David«, erwiderte der kleinere Beamte.

»Ethan, hey.« Er versuchte zu grinsen. Mit Ethan war er bereits zur Schule gegangen. Was wollte er hier? Zudem in Uniform und mit einem Kollegen im Schlepptau, den er nie zuvor gesehen hatte.

»Können wir reinkommen?«, fragte Ethan. Seine Miene war unbewegt.

»Klar«, brummte David und trat zwei Schritte zurück um Platz zu machen.

»Was ist denn los?«, erkundigte er sich und bemerkte, dass beide Beamte sich in seinem Flur umsahen. Sein Kopf plagte ihn immer noch. Durst hatte er auch schon wieder. Was für ein Absturz. Vermutlich brauchte er Tage um sich zu erholen. Ethan räusperte sich.

»Es ist… ähm… wegen deinem Kompagnon. Charlie Baker«, erwiderte er und zupfte an seinem Ärmel. David war es, als schlüge eine Faust in seinen Magen. Sie waren wegen Charlie hier. Blitzartig tauchten Bilder in seinem Kopf auf. Er und Charlie im Büro. Eine hitzige Debatte. Handgreiflichkeiten. Charlie hatte etliche Kunden in großem Stil betrogen, und sich geweigert seine Schuld einzusehen. Stattdessen hatte er sich über ihn und seine Ehrlichkeit lustig gemacht.

»Mister Bennett«, schaltete sich der zweite Beamte ein und störte damit Davids Erinnerungen. »Sie und Mister Baker besitzen gemeinsam hier in South Brent eine Firma für Anlageberatung?«

»Ja.« Er nickte schwerfällig.

»Wann haben Sie Mister Baker zum letzten Mal gesehen?«, fuhr der Mann fort, straffte die Schultern und hielt sich sehr gerade.

»Gestern Abend.« Er musste sich räuspern.

»Wann genau?«

»Himmel, das weiß ich nicht mehr. Worum geht es denn nun?« Sein Puls ging zu schnell und er hatte noch immer das Gefühl nicht klar denken zu können. Hatte ein erzürnter Kunde Anzeige erstattet?