Mord à la Française. Rache, Rosen und Rosé - Charlotte Fondraz - E-Book

Mord à la Française. Rache, Rosen und Rosé E-Book

Charlotte Fondraz

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Beschreibung

Tod im Périgord: Geheimnisse, Aperitifs und ein Skelett im Kellneranzug Endlich Urlaub! Für die selbsternannte Hobbyarchäologin Marlene klingt eine Auszeit im französischen Périgord wie ein Paradies auf Erden. Im malerischen Brantôme angekommen, freut sie sich auf laue Abende am Fluss, historische Denkmäler – und möglichst wenig Drama. Doch gleich an ihrem ersten Tag muss sie vor einem liebestollen Dorfbewohner fliehen und stolpert in einer alten Grotte über ein Skelett im Kellneranzug. Kurz darauf erschüttert ein weiterer Todesfall die kleine Gemeinde, und Marlene findet sich auf einmal in einem Netz aus Lügen, Eifersüchteleien und gut gehüteten Geheimnissen wieder. Zwischen Roséwein, alten Gemäuern und jeder Menge skurriler Dorfbewohner beginnt sie zu ermitteln – und stößt dabei auf mehr Verdächtige, als ihr lieb ist.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Mord à la Française. Rache, Rosen und Rosé

Charlotte Fondraz schreibt feminhistorische Altertumsromane und Cosy-Krimis (Reihe Mord à la française, Ullstein) und lebt abwechselnd in Südfrankreich sowie in Bremen. Bevor sie sich der Schriftstellerei widmete, studierte sie Biologie und Anthropologie und war als Offsetdruckerin, Paläopathologin und Übersetzerin tätig. Charlotte ist Mitglied bei den BücherFrauen e. V., bei den Sisters through Time und bei Amnesty International, wo sie ebenfalls schreibt, nämlich Briefe für die Freiheit. Auf ihrer Webseite www.charlotte-fondraz.com berichtet sie in einem Blog über sich und ihre Arbeit. Aktuelle Informationen verschickt sie mit Charlottes Chronik, ihrem Newsletter.

Charlotte Fondraz

Mord à la Française. Rache, Rosen und Rosé

Ein Frankreich-Krimi

Ullstein

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Originalausgabe bei Ullstein eBooksUllstein eBooks ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin August 2025© Ullstein Buchverlage GmbH, Friedrichstraße 126, 10117 Berlin Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an [email protected]: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic®E-Book powered by pepyrusAutorinnenfoto: © Pierre WetzelISBN978-3-8437-3606-0

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

Vorwort

Personenregister

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Danksagung

Leseprobe: Tod auf dem Campingplatz

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Vorwort

Vorwort

Der allererste Roman, den ich in meinem Leben geschrieben habe, ist leider nicht fertig geworden; es war ein Cosy-Krimi mit einer Bremer Ermittlerin. Damals hatte ich noch keine Ahnung davon, wie man eine Handlung plant, und auf halber Strecke ging mir die Luft aus. Als ich viele Jahre später dann bei Schreibkursen lernte, wie eine Geschichte konzipiert und auch zu Ende gebracht wird, habe ich mich auf Altertumsromane spezialisiert. Starke, aktiv handelnde Frauen in antiken Welten, das war und ist immer noch ein Thema, das mich begeistert. Doch als sich die Gelegenheit bot, einen Cosy-Krimi zu schreiben, habe ich sie sofort ergriffen.

Marlene, die Bremer Ermittlerin, habe ich von meinem allerersten Roman übernommen. Aber da ich inzwischen den französischen Süden mit seinen gastfreundlichen Menschen, seinen faszinierenden Geschichten und der reizvollen Landschaft kennengelernt habe, lag nichts näher, als meinen Krimi ins Périgord zu versetzen. Brantôme zählt zu den schönsten Städten Frankreichs und hat viele interessante Details zu bieten, die ich in diesem Roman verarbeitet habe. Ähnlichkeiten mit existierenden Personen sind zufällig, keine meiner Figuren gibt es in Wirklichkeit. Außer VanGogh, den Kater mit dem abgebissenen Ohr. Ihn habe ich fast eins zu eins aus dem echten Leben übernommen, nur dass sein Vorbild eine andere Fellfarbe hat.

Noch eine große Bitte: Wenn dir der Roman gefällt, wäre es super nett, eine Bewertung auf deiner Verkaufsplattform zu hinterlassen (und auch woanders, wenn du magst). Damit erweist du mir einen Riesendienst, denn mein Buch rückt dadurch weiter nach vorn in der Sichtbarkeit. Merci!

Charlotte Fondraz, April 2025

Personenregister

Marlene Herman

, Übersetzerin und Hobbyarchäologin aus Bremen

Susan Bright

, Pensionsinhaberin von

Susan’s Place

und gebürtige Britin

Céline

, selbstständige Immobilienmaklerin

Laetitia

(Letty), Angestellte von Susan

Jojo

, Gendarm in Brantôme

Tom

, Inhaber der Kneipe

Bran’Tom

Jean-Claude

, Kleinunternehmer und Hilfsarbeiter

Élodie

, Hotelbesitzerin vom

Lion d’Or

Nico

, Bootsführer und Ehemann von Élodie

Kate

, geborene Britin, Immobilienmaklerin

Kapitel 1

»Abtei von Brantôme«, ertönte eine resolute Computerstimme, die Bustür öffnete sich, warme Luft drang herein, und der Duft nach frischem Weißbrot stieg in Marlenes Nase. Sonne fiel auf ihr Gesicht. Urlaub, endlich!

Den Rucksack in der einen, den Koffer in der anderen Hand trat sie auf den Gehsteig. Hinter einer steinernen Brüstung floss zwei Meter in der Tiefe ein seichter Fluss. Meterlange Schlingpflanzen wiegten sich in der Strömung und auf dem Wasser dümpelten Enten. Die hatten es vielleicht gut! Die Füße im kühlen Nass. Auf dem gegenüberliegenden Ufer erhob sich majestätisch mit zwei Türmen die Abtei von Brantôme.

Ein paar Schritte weiter führte eine Brücke über die … Dronne. Das stand zumindest auf einem Schild am Brückenpfeiler.

Marlene stellte ihr Gepäck ab und stützte sich auf die Brüstung. Der raue Stein strahlte Wärme aus. Unten, im klaren Wasser, schwammen nicht nur Enten, sondern auch ein Kanu glitt vorbei. Zwei Frauen mit bunten Kopftüchern saßen darin und paddelten so gemächlich, wie es wohl nur zwei tiefenentspannte Urlauberinnen konnten. Bei ihrem Anblick fühlte sich Marlene, als hätte sie selbst schon ein paar arbeitsfreie Tage hinter sich, und das, obwohl sie ihre letzte Übersetzung erst vor gerade mal drei Stunden fertiggestellt und abgeschickt hatte. Und zwar vom Hotelzimmer in Périgueux aus, bevor sie zur Bushaltestelle aufgebrochen war und den Bus nach Brantôme genommen hatte.

Hinter den hellen Sandsteinmauern der Abtei ragte eine mit Büschen und Bäumen bewachsene Steilwand auf. Am liebsten wäre Marlene gleich über die Brücke hinübergelaufen, um die Abtei zu besichtigen, von der der hintere Teil im Inneren des Felsens lag. Das hatte sie in irgendeinem Reiseblog gelesen. Die Steilwand beherbergte auch Wohnhäuser, sogenannte Abris, in denen sogar heute noch Menschen lebten. Wie spannend! Das uralte Gestein des Périgords war voll mit Höhlen. Darunter solche mit Malereien aus der Steinzeit wie die berühmte Grotte von Lascaux mit ihren braunschwarzen Pferden, Rindern und Hirschen. Und für die nächsten zwei Wochen standen diese Höhlen ganz oben auf ihrer To-do-Liste.

Marlene blickte dem Bus hinterher, der nun die Dronne überquerte. Die Brücke sah mit ihren großen Steinquadern aus, als stammte sie noch aus dem Mittelalter. Oder aus einem romantischen Abenteuerfilm. Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken. Urlaub in der geschichtsträchtigen Dordogne; heute ging ihr Traum endlich in Erfüllung.

Sie schulterte den Rucksack und zog den Teleskopgriff ihres Koffers aus. Ihre Pension lag auf dieser Seite des Flusses, das hatte sie sich gemerkt. Von der Haltestelle aus musste sie nach rechts laufen, und dann sollte sie nach ein paar Schritten auf den Marktplatz kommen, an dem Susan’s Place lag, ihre Bleibe für die nächsten zwei Wochen. Suchend sah sie sich um.

An einer gepflasterten Straße reihten sich verschiedene Geschäfte aneinander: Boutiquen, eine Bäckerei und ein Immobilienmakler.

Einen Marktplatz jedoch konnte Marlene nicht entdecken. Vielleicht musste sie doch mehr als nur ein paar Schritte laufen. Im Nachhinein wäre es vielleicht klüger gewesen, nicht gerade heute die neuen Flipflops anzuziehen, deren Zehensteg sich noch wie ein Fremdkörper anfühlte. Aber heute Morgen beim Ankleiden hatte sie diesen Urlaubsschuhen einfach nicht widerstehen können.

Geradeaus, auf der anderen Straßenseite, parkten ein paar Autos im Fischgrätmuster, jedoch die meisten der Parkplätze waren – Wunder über Wunder – noch frei. Na ja, es war eben noch Vorsaison, obwohl die Sonne hier schon so warm schien wie im Hochsommer in Bremen, Marlenes Wohnort. Hinter den Parkplätzen drängten sich mehrere Bistro-Terrassen aneinander, und ein Schild am Kai wies auf Bootstouren hin.

Vielleicht war dies der Markt, den sie suchte, und er hatte auf Google Maps nur viel größer ausgesehen, als er eigentlich war. Dass sie rechts und links durcheinanderbrachte, war ja keine Seltenheit. Besser, sie fragte jemanden, sonst verlief sie sich noch mit ihrem schweren Gepäck. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Kann ich Ihnen behilflich sein, Mademoiselle?«, fragte eine Männerstimme auf Französisch neben ihr.

Sie wandte den Kopf und blickte in ein grinsendes Dreitagebartgesicht. Was fiel dem Typ ein, sie Fräulein zu nennen! Aus seinem bunt karierten Kurzarmhemd schauten zwei sonnengebräunte Arme heraus, ein paar Falten zeichneten sich um seine Augen ab. Sein Grinsen sollte wohl als entwaffnendes Lächeln durchgehen.

»Suchen Sie ein Hotel?«, fragte er auf Französisch und wies dabei auf ihren Koffer. Bei der Bewegung machte sein dünner Pferdeschwanz einen kleinen Hüpfer.

Bevor Marlene ihm antworten konnte, versuchte der Mann es erneut: »You look for ’otel? Need ’elp?« Er brachte die verstümmelten englischen Worte mit einer solchen Selbstverständlichkeit heraus, dass Marlene lachen musste.

»Ich will zu Susan’s Place, eine Pension nicht weit von hier«, sagte sie in ihrem Französisch, das keinen deutschen, sondern einen lothringischen Akzent hatte. Den hatte sie von ihrem Vater geerbt.

Nun warf der Typ sich in Pose, als wollte er Gewichte heben. »Das ist gleich da drüben.« Er zeigte auf den Parkplatz und die Terrassen dahinter. »Ich bringe Sie hin«, sagte er in einem Ton, als hätte sie ihn darum gebeten, und streckte tatsächlich die Hand nach ihrem Koffer aus.

Bloß nicht. Sie zog den Koffer bis an ihre Beine zu sich heran und hielt den Griff gut fest. »Nein, danke!«, antwortete sie schroff. »Ich finde es schon allein.« Ohne auf seinen verdutzten Gesichtsausdruck zu reagieren, drehte sie sich um und steuerte die Terrassen an, während ihr Koffer über das Kopfsteinpflaster hinter ihr her rumpelte.

Unter einer blau-weiß gestreiften Markise saßen zwei Frauen und prosteten sich mit ihren Weingläsern zu. Oh ja, jetzt ein Glas kühlen Rosé, der französische Urlaubswein schlechthin. Dazu einen Salatteller, wie ihn ein paar Schritte weiter, im Schatten eines Sonnenschirms mit Heineken-Bier-Werbung, ein älterer Herr verspeiste. Und zum Nachtisch einen Café, klein und stark, und eine Zigarette. Nur eine einzige.

Sie tastete nach der Packung in der Tasche ihrer Cargoshorts. Sie war schon etwas zerdrückt, acht Zigaretten waren noch darin. Ihre Sargnägel. Die letzten. Wenn sie die aufgeraucht hatte, gewöhnte sie sich das Qualmen ab, das war beschlossene Sache. Als Nichtraucherin würde sie nach Bremen zurückfahren. Mit Nikotinpflastern und vor allem ohne Arbeitsstress würde sie es schon schaffen.

Ein schmaler Durchgang trennte die Terrasse mit der blau-weißen Markise von der mit den Heineken-Sonnenschirmen und führte auf eine dritte. Diese war mit Rosenhochbeeten gesäumt und gehörte zu einem alten Sandsteinhaus. Vor den Fenstern hingen Blumenkästen mit roten und weißen Zwergrosen, und zwischen der zweiten Etage und dem Dachgeschoss prangte in schnörkeligen Lettern die Aufschrift Susan’s Place.

Bingo, Ziel gefunden! Ohne Handy. Mit nur einmal Nachfragen, wer sagt’s denn! Stolz setzte sie ihren Weg fort.

Auf dem Sims eines geöffneten Fensters im ersten Stock saß eine Katze. Größer als Kleopatra, Marlenes eigene Fellnase, aber genauso schwarz. Na ja, und ihr fehlte der kleine weiße Fleck an der Nase, mit dem Kleo immer so aussah, als hätte sie gerade Joghurt genascht.

Die Katze auf dem Fenstersims schlug mit der Tatze nach einem Schmetterling, bevor ihr Blick auf Marlene fiel. Augenblicklich hielt sie inne und legte den Kopf schief, so, als würde sie Marlene erkennen. Auf jeden Fall vergaß sie offenbar die Jagd auf den Schmetterling, der nun zu den Rosen des Nachbarfensters flatterte.

Aus der Entfernung gab der zitronengelbe Falter vor den roten Rosen ein hübsches Bild ab, aus der Nähe machte das unkoordinierte Geflatter dieser Tiere Marlene jedoch nervös. Sie hatte immer das Gefühl, sie könnten jederzeit auf ihrem Kopf landen und sich dann in ihren Haaren verheddern. Bei dem Gedanken bekam sie eine Gänsehaut. Widerlich. Als Kind hatte eine Möwe sie angegriffen, und auch wenn sie sich daran nicht mehr erinnern konnte, wirkte das Trauma nach, wie ihre Mutter immer sagte.

Die Katze beobachtete Marlene noch immer. Ihr wuscheliges Fell sah selbst aus der Entfernung weich und seidig aus, sodass Marlene es förmlich zwischen den Fingern fühlen konnte.

Wenn diese Pension neben einem privaten Bad auch noch eine zimmereigene Schmusekatze im Servicepaket hatte, war sie hier im Paradies gelandet. Oder zumindest in einem Ableger davon.

Auch im Erdgeschoss wuchsen rote und weiße Rosen; die hölzernen Hochbeete säumten eine Terrasse. Marlene trat zwischen die runden Bistrotische. Angekommen! Zwei lange Wochen lagen vor ihr. Vierzehn Tage ohne Computer und ohne drängelnde Kunden, die am liebsten ihre Übersetzung schon geliefert bekämen, bevor sie überhaupt den Auftrag erteilt hatten. Marlene atmete tief durch. Aber jetzt würde sie Urlaub machen, so richtig, so wie früher, bevor sie sich selbstständig gemacht hatte. Genial!

Die meisten Stühle auf der Terrasse waren frei, doch am Tisch neben der Eingangstür saßen zwei Frauen, die Marlene entgegenschauten: eine Blondine mit Pagenschnitt und eine Brünette mit Rotstich, aus deren Steckfrisur sich ein paar Locken herauskringelten. Witzig, die Haarfarben passten zu den Rosen, wie bei Schneeweißchen und Rosenrot.

Die Blonde trug eine Halskette mit einem großen blauen Glasherz als Anhänger. Hinter ihr lehnte eine Krücke mit rosafarbenem Griff an einem Verkaufstisch aus Weidengeflecht, auf dem sich Marmeladengläser stapelten. Vor den Frauen dampfte in zwei Espresso-Gedecken der Kaffee. Ein roter Schriftzug »Malongo« zierte die winzigen Tassen, und in der Mitte des Tisches war auf einen flachen weißen Kiesel in roter Farbe das Wort FOUR gepinselt.

Die Blondine nahm einen tiefen Zug von ihrem Vaporizer und wischte sich, als Marlene näher kam, schnell mit dem Zeigefinger unter den Augen entlang. Als wollte sie verschmierte Wimperntusche entfernen.

»Bonjour!« Die Brünette stand auf und trat Marlene entgegen. Ihre Bluse war unter dem üppigen Busen abgesetzt. Der rot-orange gemusterte Stoff sah handgewebt und edel aus, große rote Perlmuttknöpfe rahmten den Halsausschnitt der Bluse ein. Freundlich reichte die Brünette Marlene die Hand, ihr makelloser Nagellack glänzte wie poliert. »Sie sind sicher Madame Herman.« Nach ihrem Akzent zu urteilen, könnte diese Frau die britische Wirtin sein.

Marlene nickte. »Ja, ich bin eben mit dem Bus angekommen.«

»Herzlich willkommen! Ich bin Susan.« Feine Lachfältchen brachten ihre Augen zum Strahlen.

Auch die Blonde grüßte sie nun und legte ein fröhliches Gesicht auf, das ein bisschen übertrieben und steif wirkte.

Doch der Himmel leuchtete in einem echten südlichen Azurblau, im Bistro nebenan stimmte ein Mann einen französischen Schlager an: »Allumeeeeer le feu, allumeeeeer le feu.« Das war einfach Urlaub pur!

»Wir sind gerade beim Café, aber Sie könnten bei diesen Temperaturen bestimmt etwas Kühles gebrauchen.« Susan bot ihr mit der Hand den Stuhl neben der Blonden an. »Setzen Sie sich zu Céline. Sie ist mein erster Gast in dieser Saison.«

Céline lächelte schief. »Ich bin sozusagen zur Pflege hier.« Sie hob ihren rechten Fuß, der in einem Verband steckte. »Zimmer Nummer fünf.«

»Genau, zur Pflege. Und damit du dich mal richtig ausruhen kannst.« Susan strich Céline über die Schulter. »Was möchten Sie trinken?«, fragte sie Marlene.

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. »Ich würde gern vorher meinen Koffer aufs Zimmer bringen.«

»Ach, dabei hilft Ihnen Laetitia gleich. – Was sagen Sie zu einem Gläschen Rosé?«

Als könnte Susan Gedanken lesen. Aber wahrscheinlich wurde hier jeder Urlaub mit diesem Sommerwein eingeleitet.

»Na ja, da kann ich wohl nicht nein sagen.« Das Gepäck lief ihr ja nicht weg.

Schnell trank Céline zwei große Schlucke Café und setzte die leere Tasse ab. »Ich nehme auch ein Glas.« Sie nickte Marlene zu. »In Gesellschaft schmeckt es ja für gewöhnlich besser, nicht wahr?« Kräftig zog sie ein weiteres Mal an ihrem Vaporizer, und der Duft nach orientalischen Gewürzen stieg Marlene in die Nase.

So ein Ding könnte sie sich ja vielleicht auch besorgen, anstelle der Nikotinpflaster. Doch neben Céline lagen auch eine Schachtel Zigaretten und ein rotes Einwegfeuerzeug.

Hm, vielleicht sollte sie doch lieber die Finger davon lassen. Womöglich half so ein Vaporizer gar nicht, wenn man sich das Rauchen abgewöhnen wollte, sondern hielt einen im Gegenteil bei der Stange. Nein, diese Anschaffung würde sie sich sparen.

Susan griff nach Marlenes Koffer. »Aber zuallererst stellen wir Ihr Gepäck mal rein.« Mit dem Koffer in der Hand betrat sie das Bistro. Marlene folgte ihr mit dem Rucksack auf dem Rücken. Aus Susans Steckfrisur kringelten sich auch hinten am Nacken ein paar Locken heraus, es sah so natürlich-akkurat aus wie bei einer Haarspraywerbung.

Eine Treppe mit gedrechseltem Geländer führte nach oben in den ersten Stock. Neben der Treppe erstreckte sich ein Tresen mit geschnitzter Täfelung. Wie die Stühle und Tische in dem Raum war er aus dunklem Holz gefertigt. Auf dem blank polierten Tresen spiegelte sich das Licht eines Kronleuchters, der aus Hirschgeweihen zusammengesetzt und so grausam kitschig war, dass er als Werk eines veganen Kunstkollektivs durchgehen konnte. Überall anders hätte er albern ausgesehen, doch in dieser rustikalen Atmosphäre war er einfach nur ein toller Hingucker.

Hinter dem Tresen putzte eine hochgewachsene Frau Gläser. Sie mochte Mitte dreißig sein, etwa im selben Alter wie Marlene, und hatte Haare wie Rapunzel. In einem dicken geflochtenen Zopf hingen sie ihr über die weiße Bluse bis zur Gürtellinie.

»Zwei Rosé, bitte, Laetitia. Und ein Perrier für mich.« Susan stellte Marlenes Koffer neben den Tresen. »Und danach setz dich doch auch raus zu uns!«, fügte sie hinzu. »Du hast sowieso schon Feierabend.«

Laetitia nickte und begrüßte freundlich Marlene, die ihren Rucksack neben den Koffer stellte. Wie gut, dass sie ihr Zimmer in einer Pension gebucht hatte. So nett und familiär ging es in einem Hotel sicher nicht zu. Neugierig sah sie sich um.

Stillleben in dunklen Holzrahmen hingen neben bemalten Wandtellern; eine Serie in Blau zeigte Flussauen und Bauernhöfe, eine andere war Wildvögeln gewidmet, und auf einem Kunstdruck prangte ein Stonehenge im Sonnenuntergang. Rosen zierten die Tischdecken, und zwischen einer Kommode und einem Büfett, bestückt mit unzähligen Milchkännchen, wartete ein dunkelgrüner Kachelofen auf den Winter. Chapeau! Hier sah es aus wie in einem altenglischen Landhaus. Oder wie in Hogsmeade, dem Zaubererdorf aus den Harry-Potter-Romanen.

»Was für eine coole Deko!«, sagte Marlene bewundernd zu Laetitia und wies mit der Hand in die Runde. »Einfach genial!«

Laetitia nickte ihr zu und lächelte routiniert. Na klar, wahrscheinlich hörte sie das Kompliment nicht zum ersten Mal. Marlene hielt trotzdem kurz den Daumen nach oben und folgte dann Susan wieder auf die Terrasse.

Während Susan an den anderen Tischen Aschenbecher austeilte und die Kiesel mit den Tischnummern in die Mitte der Tischplatten schob, nahm Marlene Céline gegenüber Platz. Sie rückte ihren Stuhl so zurecht, dass sie einen schönen Blick auf den Marktplatz und die Abtei dahinter hatte.

Um den Glockenturm der Abteikirche kreisten Schwalben. An der Stelle, an der ein Schild mit der Aufschrift Bootstouren – Les Tours de Nico stand, führte eine Treppe vom Kai hinunter bis ans Wasser der Dronne. Dort glitten gerade wieder Kanus vorbei, und in einem von ihnen saß ein Kind, das zu den Gästen auf den Terrassen hinaufwinkte. Marlene winkte zurück, obwohl das Kind schon wieder nach vorn aufs Wasser schaute. Diese Aussicht war einfach herrlich.

Ein dunkelblauer Renault Mégane mit der Aufschrift Gendarmerie fuhr über den Marktplatz und langsam an der Terrasse vorbei. Der Fahrer, typisch Gendarm in hellblauem Hemd und kurz geschorenen Haaren unterm Käppi, schaute zu Susan’s Place herüber. In seinem runden Gesicht prangte ein breiter dunkler Schnauzbart.

»Salut, Jojo!«, rief Céline ihm zu.

Und auch Susan wandte sich zu dem Renault. »Ist alles klar für heute Abend?«

Er nickte. »Sicher! Ich bring Käse und Brot mit, wie versprochen!« Mit ausgestrecktem Arm winkte er aus dem Renault heraus, während er in die Gasse hinter dem Marktplatz einfuhr und aus Marlenes Blickfeld verschwand.

»Jojos Nichte hat Ziegen und eine Käserei«, sagte Céline zu Marlene. »Deswegen ist Jojo meist für den Käse zuständig.«

Hmm, lecker, Ziegenkäse. Am liebsten in Kräutern oder Gewürzen gewälzt. Und vom Gendarmen geliefert, dem französischen Freund und Helfer. Marlene lehnte sich zurück. Sogar die Polizei wirkte hier wie aus dem Bilderbuch.

»Sie haben Ihren Urlaub genau zur richtigen Zeit gebucht.« Céline legte ihre Vape neben die Zigarettenschachtel. »Im Juni ist es hier immer am schönsten. Schon gutes Wetter, aber noch nicht so viel los. In ein paar Wochen allerdings, das müssten Sie mal sehen! Im Juli beginnt die Hauptsaison bei uns und dann ist Brantôme rappelvoll. Vor einer Woche hingegen war hier noch absolut tote Hose.« Sie seufzte leise. »Das ist leider so: Im Winter ist das Périgord sterbenslangweilig.«

Susan trat an den Tisch heran. »Jetzt ist aber mal Schluss mit der Schwarzseherei!« Wieder strich sie Céline über die Schulter. »Es geht auch wieder aufwärts, ma Grande.«

Marlene richtete ihren Blick zur Abteikirche am anderen Flussufer, als hätte sie nicht zugehört. Auf keinen Fall wollte sie neugierig wirken. Vielleicht war Susans Bemerkung eine Anspielung auf die Krücke und den Grund, warum Céline sie brauchte. Genau, und deshalb hatte die arme Céline eben geweint und sich die Wimperntusche verschmiert.

»Hör zu, ein Altersheim darf niemanden einfach so vor die Tür setzen«, sagte Susan leise zu Céline. »Die müssen dir Zeit geben, bis du etwas anderes gefunden hast.«

»Bei drei Monaten Zahlungsverzug geht’s aber ab auf die öffentliche Pflegestation«, antwortete Céline sehr viel lauter. »Ich sag dir’s doch, und …«

»Aber vorher kriegst du die Provision vom Hausverkauf und deshalb bleibt deine Mama im Aliénor. Ende der Diskussion!«

Ach, es ging also um Célines Mutter. Aliénor, der Name einer bekannten französischen Königin, könnte in der Tat gut der Name eines Altersheims sein. Der Aufenthalt in so einem Etablissement ging ganz schön ins Geld. Als Marlenes Großmutter nach dem Oberschenkelhalsbruch in ein Pflegeheim kam, hatte Marlenes Mutter auch einen Kleinkredit aufnehmen müssen.

Maunzend kam die schwarze Katze aus dem Bistro. Sie war schlank, fast ein wenig mager, nicht so rund und mit Hängebäuchlein wie Kleo.

Sie strich Céline um die Beine, worauf Céline sich zu ihr hinabbeugte und sie streichelte. »Na, ist wenigstens bei dir alles klar, VanGogh?«

Ein Kater also.

»Er hat mir heute Morgen eine tote Eidechse ans Bett gebracht.« Susan drehte sich um und ergriff die metallene Gießkanne, die an der Hauswand stand. »Insofern: Ihm geht es blendend.«

Mit einem lauten »Miau« verabschiedete sich VanGogh von Céline und rieb seinen Kopf nun an Marlenes Knie. Sein Fell fühlte sich wirklich so flauschig an, wie es aussah. Die kantigen Schultern ließen sich jedoch gut ertasten. Der Jüngste war VanGogh wohl nicht mehr. Sie kraulte ihn zwischen den Ohren. Vom rechten fehlte ein Stück. Deswegen also der Name. Vorsichtig strich Marlene über den Ohrstummel. Armer VanGogh! Vielleicht hatte ein Rivale das obere Drittel des Ohres abgerissen.

Als sie wieder aufsah, überquerte ein Mann den Platz und hielt zielstrebig auf die Terrasse zu. Er trug ein buntkariertes Hemd, sein dünner Pferdeschwanz schwang im Takt seiner Schritte hin und her.

Der Charmeur von eben! Céline saß mit dem Rücken zu ihm, und als er näher kam, legte er sich grinsend den Zeigefinger auf den Mund. Die letzten Meter legte er in gespieltem Schleichschritt zurück und stoppte direkt hinter Célines Stuhl. Marlene ahnte, was gleich kommen würde. Und tatsächlich: Mit beiden Händen hielt der Typ Céline die Augen zu.

»Mon dieu, Jean-Claude!« Sie nahm seine Hände von ihrem Gesicht. »Musst du mich immer so erschrecken?«

»Hab ich dir Angst gemacht, ma Belle?« Jean-Claude reckte sich und zwinkerte Marlene dabei zu.

Céline verdrehte die Augen, musste dann aber doch lachen und ließ sich bereitwillig von Jean-Claude auf beide Wangen küssen. Auf dieselbe Art, mit der französischen Bise, begrüßte er auch Susan, die begonnen hatte, mit der Gießkanne die Rosen zu wässern.

Marlene reichte er Gott sei Dank die Hand. »Wir haben uns ja schon gesehen.« Er deutete eine Verbeugung an. »Jean-Claude.«

Offenbar nahm er ihr die Abfuhr von vorhin nicht übel.

»Das ist Marlène«, stellte Susan sie vor. Obwohl sie Britin war, sprach sie den Namen auf die französische Art aus. Und sie nannte ihren Vornamen, anstatt Madame Herman zu sagen. Ja, familiäres Ambiente gehörte hier tatsächlich zum Service dazu.

»Marlène wohnt zwei Wochen in ihrem Urlaub hier«, fügte Susan hinzu und goss weiter ihre Rosen.

Mit einem vollen Tablett auf dem Arm kam Laetitia aus dem Bistro. »Ich hab noch schnell die Getränke im Kühlschrank aufgefüllt.« Ihr Blick fiel auf den Neuankömmling. »Ach, hallo, Jean-Claude«, begrüßte sie ihn. Es klang wie du schon wieder.

»Salut, la Gazelle!« Jean-Claude dagegen hörte sich an, als begegnete er dem achten Weltwunder. »Neue Ohrringe? Die stehen dir außerordentlich gut!«

Recht hatte er aber. Die kleinen Ohrringe mit den blau blitzenden Steinen brachten Laetitias schöne graue Augen noch mehr zur Geltung.

Laetitia quittierte das Kompliment mit einem müden Lächeln. Sicherlich hatte sie solche Sprüche von Jean-Claude schon oft genug gehört und war sie leid.

Sie servierte die Getränke. »Wissen Sie schon, was Sie an Sehenswürdigkeiten besichtigen wollen?«, fragte sie Marlene, als sie ihr das Glas Rosé hinstellte.

Das hörte sich so an, als ob kaum jemand nur wegen der Bootstouren und der malerischen Landschaft in diese Gegend reiste. Wie schön, vielleicht konnte Marlene hier Bekanntschaften machen und mit ihnen dann gemeinsam die archäologischen Sehenswürdigkeiten besichtigen.

»Ich will mir auf jeden Fall die Höhlenmalereien ansehen«, antwortete sie. »Und den Roque Saint-Christophe.« Das war ein Felsen mit eingehauenen Behausungen, diesen Abris, und zwar auf fünf Etagen. Troglodytisch nannte man das. »Und eigentlich würde ich auch ganz gern Lascaux sehen, falls man da mit dem Bus hinkommt.« Die berühmte Höhle mit den vielen Malereien lag leider ganze siebzig Kilometer von Brantôme entfernt.

»Lascaux IV«, sagte Jean-Claude abschätzig. »Das ist nur die nachgemachte Grotte. Dieses Ding ist die Fahrt nicht wert.«

»Doch, auf jeden Fall!« Laetitia stellte das leere Tablett mit einem Ruck auf dem Nebentisch ab. »Man musste die Originalhöhle schließen, weil der Atem der Besucher die Bilder angegriffen hat«, sagte sie zu Marlene. »Aber Lascaux wurde eins zu eins nachgebaut.« Sie holte ihr Handy aus der Hosentasche. »Es gibt sechshundert Tierdarstellungen auf den Wänden! Pferde, Auerochsen, Hirsche. Sogar ein Einhorn! Letzten Sommer war ich da.« Sie suchte in ihrem Handy herum.

Jean-Claude schüttelte den Kopf. »Originalhöhlen haben ein ganz anderes Flair.« Aus seiner Hemdtasche zog er ein Paket Tabak heraus und entnahm ihm eine fertige, selbstgedrehte Zigarette. »Eine kleine Grotte mit ein paar schönen Original-Malereien ist jedenfalls interessanter als die Kopie von einem steinzeitlichen Megatempel.« Er trat hinter Céline, beugte sich über ihre Schulter und angelte nach ihrem roten Feuerzeug.

Marlene nickte. Endlich sagte der Mann mal etwas Vernünftiges. Tatsächlich freute sie sich sehr auf die Grotte von Villars, die weniger spektakulär als Lascaux, aber im Original zu besichtigen war.

»Ich find’s gut, dass die echten Malereien geschützt werden«, sagte Laetitia ernst. »Und Lascaux ist da auch keine Ausnahme. Bei vielen Höhlen ist der Zutritt verboten.«

Jean-Claude zuckte nur mit den Schultern, während er seine Zigarette anzündete. Mit übermäßigem Schwung legte er das Feuerzeug auf den Tisch zurück, es rutschte bis an Marlenes Glas.

Susan begoss mit dem restlichen Wasser aus der Gießkanne einen Basilikumtopf, der unter dem Verkaufstisch mit den Marmeladen stand, und murmelte: »Na ja, verboten … Wenn du die Führerin kennst, kann sie dir nach ihrer Arbeit bestimmt auch mal eben eine private Besichtigung gestatten.« Sie griff nach ihrem Perrier, das neben den Roségläsern auf dem Tisch stand.

Marlene nickte. Klar wäre es genial, in eine für den Besuch freigegebene Höhle außerhalb der Öffnungszeiten hineinzudürfen. Ohne das Fußgetrappel und Stimmengewirr der anderen Touris könnte man die Stimmung in der Höhle so richtig schön in sich aufnehmen.

»Mademoiselle«, wandte sich Jean-Claude an Marlene. »Wenn Sie es mir erlauben, würde ich Ihnen sehr gerne eine Höhle mit der Ritzzeichnung eines Eichhörnchens zeigen. Es handelt sich dabei wirklich um ein einzigartiges Kunstwerk!« Breitbeinig wie ein Cowboy stand er da und zog an seiner Zigarette. »Gibt’s sonst nirgendwo in der Dordogne.« Er blies den Rauch aus. »Nirgendwo auf der Welt.«

Sensationell! Darstellungen von Bären, Rindern und Hirschen gab es viele. Von einer Eichhörnchen-Zeichnung hatte Marlene noch nie gehört. Jean-Claude kannte sich mit den touristischen Spots hier offenbar aus.

Aber diese Höhle, von der er da erzählte, würde sie selbstverständlich allein besichtigen. Sie griff nach ihrem Weinglas und nahm einen Schluck. Hmm! Der Wein schmeckte fruchtig und unglaublich lecker.

»Wie heißt die Höhle denn?«

Jean-Claude zuckte mit den Schultern. »Eichhörnchenhöhle? Keine Ahnung. Fürs Publikum ist sie nicht geöffnet.«

Wie jetzt? Eben hatte er doch gesagt, er könnte ihr die Höhle zeigen.

»Aber Sie haben Zutritt?« Sie setzte ihr Glas so heftig ab, dass der Fuß gegen den Alutisch klirrte. Laetitia warf ihr einen Blick zu, der wohl bedeuten sollte: Glaub diesem Idioten kein Wort.

Jean-Claude kratzte sich am Kinn.

Sie hatte Laetitias Blick also richtig gedeutet. Das hätte sie sich denken können, dieser Möchtegern-Indiana-Jones hatte nur angegeben.

Mit ihrem Perrier in der Hand setzte sich Susan an den Tisch. »Sprichst du von der Höhle, in der wir Toms Vierzigsten gefeiert haben?«

Jean-Claude schüttelte den Kopf. »Nein, die Eichhörnchenhöhle habe ich erst letzten Sommer entdeckt.«

»Aha«, sagte Laetitia. Sie lehnte sich an die Hauswand, während sie noch immer durch die Fotos ihres Handys scrollte.

Vielleicht erzählte Jean-Claude Unsinn. Oder aber er hatte die Höhle noch niemandem gezeigt. Es gab sicher viele Sehenswürdigkeiten, die in den Reiseführern nicht erwähnt wurden. Diese namenlose Höhle, in der der erwähnte Geburtstag gefeiert worden war, gehörte ja offenbar auch dazu.

Jean-Claude drückte seine Zigarette in dem Aschenbecher am Nebentisch aus. »In eineinhalb Stunden erwartet mich eine Kundin zum Rasenmähen.« Er blickte Marlene an. »Wenn Sie wollen, Mademoiselle, kann ich Ihnen aber vorher noch die Höhle zeigen, und Sie machen ein Foto vom Eichhörnchen!«

»Salut, alle zusammen!«, rief in diesem Augenblick ein Mann in Jean-Claudes Alter, der die Terrasse überquerte. Er trug einen Bürstenhaarschnitt und sah mit seinen breiten Schultern und den muskulösen Armen so aus, als würde er täglich im Fitnessstudio trainieren.

Als er an den Tisch trat, erhob Céline sich. »Salut, Tom!« Sie begrüßte ihn mit der Bise, den zwei Wangenküssen. »Tom ist der Inhaber vom Bran’Tom, der Kneipe dort drüben«, sagte sie zu Marlene und wies auf das Wirtshaus mit der blau-weiß gestreiften Markise. Die Stühle und Tische waren weggeräumt worden, nur vor dem Eingang stand noch ein kleiner Tisch mit einem Reserviert-Schild und einem Aschenbecher darauf. Darüber, zwischen der roten rautenförmigen Reklame für Tabakwaren und dem vierblättrigen Kleeblatt der Französischen Lotterie, hing ein kupferfarbenes Eingangsschild. Mit fetten, eckigen Buchstaben verkündete es den Namen: Le Bran’Tom.

Eine witzige Idee, den eigenen Namen mit dem der Stadt zu verbinden!

Tom gab zuerst Jean-Claude und dann Marlene die Hand. Sein Händedruck war fest und passte zu Toms Erscheinung. Fast als hätte er ihn einstudiert, so wie manche Leute ihre Unterschrift übten; als Jugendliche hatte Marlene Stunden damit verbracht. Der Gedanke daran ließ sie grinsen, woraufhin Tom sie kurz anlächelte.

»Was ich euch noch sagen wollte wegen der Joute …«, wandte er sich an Céline. »Ich hab das geregelt. Ich steche.«

»Wie cool!« Céline hob den Daumen. »Dann hat Nico natürlich keine Chance.« Sie strahlte Tom an.

»Och nö!« Susan dagegen machte ein Gesicht, als hätte VanGogh gerade ein Geschäft in ihren Rosen verrichtet.

Marlene hatte keine Ahnung, worum sich das Gespräch drehte. Was ihr offenbar auch deutlich anzusehen war, denn Céline erklärte ihr:

»Es geht ums Fischerstechen. Wir haben hier zwei Mannschaften, die Blauen, die wohnen im Stadtkern, und die Roten, die von außerhalb kommen. Auf der Dronne treten wir jeden Freitag in Booten gegeneinander an. Einer aus der Mannschaft, der sogenannte Fischerstecher, muss den anderen Fischerstecher mit einer Stange ins Wasser befördern. Eigentlich war ich an der Reihe mit Stechen, aber ich habe mir ja leider den Fuß verknackst.«

Susan lächelte Céline gespielt vorwurfsvoll an. »Deswegen ist Madame Tollpatsch auf das Ding da angewiesen.« Mit dem Kinn deutete sie auf die Krücke am Verkaufstisch hinter Céline. »Und wenn Tom jetzt für sie einspringt, dann hat mein armer Nico gar keine Chance mehr zu gewinnen.«

Tom blickte zum Verkaufstisch. Er ging hinüber, doch er sah sich nicht die Krücke an, sondern hob eins der Marmeladengläser hoch. »Dieser Wettkampf heißt Joute. Eins meiner Hobbys.« Er blickte auf das handgeschriebene Etikett. »Rote Vollmondbeeren. Aha.« Kurz hielt er das Glas in Susans Richtung. »Probier ich mal.«

Sie reagierte nicht, aber offensichtlich hatte er auch keine Antwort erwartet. Mit dem Marmeladenglas in der Hand schaute er auf seine Armbanduhr, ein analoges Modell mit dunkelviolettem Zifferblatt. »Können wir dann los?«, fragte er Laetitia, die immer noch am Scrollen war.

Sofort stellte sie ihr Handy aus und steckte es wieder in die Hosentasche. »Susan, bist du sicher, dass du den Rest allein schaffst?«

»Hab ich doch gesagt.« Sie wedelte mit den Händen, als wollte sie Laetitia verscheuchen. »Und jetzt ab mit dir.«

»Ich hol nur meine Handtasche«, rief Laetitia und lief noch mal zurück ins Bistro.

Jean-Claude starrte daraufhin erst Tom an und schaute dann zu Susan.

Doch diese reagierte nicht und trank ganz gemächlich in kleinen Schlucken ihr Glas aus, bis nur noch die Zitronenscheibe übrig war.

Jean-Claude machte ein Gesicht, als hätte man ihm Strom und Wasser gleichzeitig abgestellt.

Ach, bestimmt war er in Laetitia verliebt und ärgerte sich jetzt, dass diese etwas mit Tom unternahm.

Céline zog eine Zigarette aus ihrer Packung und zündete sie mit dem roten Feuerzeug an. Fast hätte sie die Packung wieder zurück auf den Tisch gelegt, da überlegte sie es sich offenbar anders. Sie drehte sich um und hielt Tom die offene Schachtel hin. »Willst du auch eine?«

Er zog eine Zigarette aus der Schachtel und nahm Céline auch das Feuerzeug aus der Hand. Marlene wartete auf ein Merci, doch Tom nickte Céline nur kurz zu. Als stände sie in seiner Schuld.

Oder die beiden waren seit langer Zeit zusammen, und er hatte sich die Höflichkeit ihr gegenüber längst abgewöhnt. So etwas gab’s auch; Marlene hatte leider so ein Paar in ihrer Bekanntschaft.

Céline lehnte sich zum Verkaufstisch und griff nach ihrer Krücke. »Soll ich morgen gegen 15 Uhr bei dir vorbeischauen?«

»Wieso?« Tom zündete die Zigarette an.

»Na, wir müssen noch ein paar Angaben im Vertrag ergänzen.«

»Jaja.« Er steckte das Feuerzeug ein.

Deins ist auch meins, bestimmt hatten die beiden mindestens ein Verhältnis.

Ach nein, wohl eher nicht, denn sie hatten sich eben mit der Bise begrüßt. Ein Paar hätte sich definitiv anders geküsst.

Oder das Verhältnis war geheim. Marlene überlegte kurz. Bisher hatte Céline noch kein Wort mit Laetitia gewechselt. Möglicherweise war Céline eifersüchtig auf Laetitia, weil Tom sie abholte. Marlene verkniff sich ein Grinsen; witzig, was man aus dem Verhalten der Leute schließen konnte.

Sofort schämte sie sich. Neugier war keine schöne Charaktereigenschaft, besonders wenn man sie für Analysen auf Soap-Opera-Niveau einsetzte.

Laetitia kam aus dem Bistro zurück auf die Terrasse. Die weiße Bluse, die sie getragen hatte, hing über ihrer Handtasche, einem grauen Wildlederteil mit Fransen, und ihr ärmelloses Top ließ den Blick frei auf eine tätowierte Feder, die sich um ihren Oberarm rankte. Sie hakte sich bei Tom unter, und die beiden schlenderten über den Platz davon. Jean-Claude schaute ihnen verdattert hinterher.

Susan legte Céline die Hand auf die Schulter. »Sobald du sein Elternhaus verkauft hast, bringst du deine Mutter in ein anderes Heim.«