Mord am Main - Monika Rielau - E-Book

Mord am Main E-Book

Monika Rielau

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Frankfurts Bezirk Sachsenhausen, eigentlich bekannt für seinen Ebbelwoi, wird von einem grausamen Mord erschüttert. Im »Kleinen Wirtshaus« feierte der örtliche Bestatter bis spät in die Nacht seinen fünfzigsten Geburtstag. Am nächsten Morgen stolpert der Wirt im Schankraum über die Leiche eines jungen Mannes. Kriminalhauptkommissar Khalil Saleh ist über den Toten alles andere als begeistert. Er will den Fall schnell abschließen und sich wichtigeren Dingen widmen. Zum Beispiel der Versöhnung mit seiner Freundin Brigitte. Oder soll er es doch lieber bei der hübschen Polizeipräsidentin Annalene Waldau versuchen? Für Saleh ist klar: Der Wirt muss der Mörder sein! Doch als es zu einem weiteren Angriff kommt, schwebt der Gasthausbesitzer plötzlich in Lebensgefahr … Von Monika Rielau und Angela Neumann sind bei Midnight erschienen: Mord am Main (Fall 1) Mord am Main - Tod eines Schriftstellers (Fall 2)

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Die AutorinnenAngela Neumann, geboren 1953 in Gießen, studierte in Frankfurt am Main Germanistik. Sie arbeitete viele Jahre in der Universität. Nach dem frühen Tod ihres Mannes zog sie mit ihren beiden Töchtern in Frankfurts literarischsten Stadtteil, nach Bergen-Enkheim. Dort fing sie an, Geschichten zu schreiben. Das half ihr, die weniger schönen Erlebnisse ihres Lebens zu verarbeiten. In der »Schreibwerkstatt« in Bergen-Enkheim traf sie ihre Autorenkollegin Monika Rielau und verfasste gemeinsam mit ihr ihren Debütroman.Monika Rielau, geboren 1945 in Dereisen, wuchs mit fünf Geschwistern in einem glücklichen Elternhaus in Darmstadt auf. Sie studierte an der Universität Heidelberg Englisch, Spanisch und Volkswirtschaft. Nach einem kurzen Intermezzo bei einem großen deutschen Chemiekonzern ging sie nach Barcelona zu einer bekannten Pharmafirma. Hier arbeitete sie viele Jahre und verbrachte die interessanteste und glücklichste Zeit ihres Lebens. Mit ihrem Mann zog sie später nach Frankfurt. Seit 2009 ist sie Mitglied in der »Schreibwerkstatt« in Bergen-Enkheim. Hier traf sie auf eine Gleichgesinnte, Angela Neumann, mit der sie gemeinsam ihren Debütroman verfasste.

Das BuchFrankfurts Bezirk Sachsenhausen, eigentlich bekannt für seinen Ebbelwoi, wird von einem grausamen Mord erschüttert. Im »Kleinen Wirtshaus« feierte der örtliche Bestatter bis spät in die Nacht seinen fünfzigsten Geburtstag. Am nächsten Morgen stolpert der Wirt im Schankraum über die Leiche eines jungen Mannes. Kriminalhauptkommissar Khalil Saleh ist über den Toten alles andere als begeistert. Er will den Fall schnell abschließen und sich wichtigeren Dingen widmen. Zum Beispiel der Versöhnung mit seiner Freundin Brigitte. Oder soll er es doch lieber bei der hübschen Polizeipräsidentin Annalene Waldau versuchen? Für Saleh ist klar: Der Wirt muss der Mörder sein! Doch als es zu einem weiteren Angriff kommt, schwebt der Gasthausbesitzer plötzlich in Lebensgefahr …

Monika Rielau, Angela Neumann

Mord am Main

Ein Hessen-Krimi

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.  Originalausgabe bei Midnight Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Februar 2016 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016  Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat  ISBN 978-3-95819-064-1  Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.  Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Kapitel 1

»Heribert, mach auf!«

Panisch hämmerte Mira auf die Klingel ihres Hauses.

»Heribert, um Gottes willen mach auf!«

Immer wieder drehte sie sich um, voller Angst, ihr könnte jemand gefolgt sein. Als sich endlich die Tür öffnete, warf sie sich ihrem völlig verdutzten Mann an die Brust.

»Wo kommst du denn her?« Er packte ihre Arme, die ihn angstvoll umschlangen, und versuchte, sich aus ihrem Griff zu befreien. Mira begann zu schluchzen und klammerte sich nur noch enger an ihn.

»Warum klingelst du mich aus dem Bett? Hast du keinen Schlüssel? Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«

Es war ihr in diesem Moment egal, was Heribert sagte, Hauptsache, sie war nicht mehr schutzlos dem namenlosen Grauen auf der Straße ausgesetzt. Erst als er die Tür von innen abschloss, beruhigte sie sich und ließ ihn los. Benommen betrachtete sie das zornige Gesicht ihres Mannes, dessen Mund immer weitere Vorwürfe ausspuckte, und fühlte sich unglaublich schuldig.

Ihr fiel nicht ein einziger mildernder Grund ein, den sie zu ihrer Rechtfertigung hätte anbringen können, nur dass der dicke Willy, einer der hiesigen Bestatter, seinen fünfzigsten Geburtstag im Kleinen Wirtshaus gefeiert und in Spendierlaune eine Lokalrunde nach der anderen ausgegeben hatte und sie aufgrund der zwei Gläser Rotwein und der zwei bis drei Mispelchen einfach die Zeit vergessen hatte.

»Du willst also sagen, dass du hickehackevoll warst, als du dich so spät in der Nacht, um nicht zu sagen am frühen Morgen, auf den Weg nach Hause gemacht hast?«, fuhr Heribert sie an.Auch das musste sie eingestehen. Was sie ihm nicht beichtete, war, dass es durchaus noch einige Mispelchen mehr gewesen sein könnten, aber sie wollte nicht zusätzlich Wasser auf die Mühlen seiner Erregung geben. Mit steigendem Alkoholkonsum war die Runde der Gäste immer lauter und lustiger geworden, ja zum Schluss steigerte sich die Stimmung gar ins Übermütige, als ein Bekannter den Bestatter süffisant fragte: »Na Willy, wie gehen denn die Geschäfte?«, und er dies nach kurzem Überlegen mit dem Satz kommentierte: »Es könnten ein paar mehr sein.« Die Gäste waren bei diesem an sich harmlosen Satz zunächst still, weil sie ihn nicht gleich begriffen, um im nächsten Moment in einen gigantischen Lachanfall auszubrechen, der das kleine Lokal in Wellen durchschüttelte. Auch Mira, die auf einem Barhocker vor dem Tresen saß, lachte vor sich hin. »Es könnten ein paar mehr sein.« Soviel Sprachwitz hätte sie dem eher einfältigen Willy gar nicht zugetraut. Nach zwei Gläsern Rotwein, die sie aus Vernunftgründen immer mit einem kleinen Selters kombiniert hatte, war sie auf Einladung von Willy zum Spezialtrunk des Wirtes gewechselt, den er »Mispelchen« nannte. Das Heimtückische an diesem Getränk war, dass die in ihrem süßen Sirup liegende Mispel den hochprozentigen Calvados, in den Uli, der Wirt des Kleinen Wirtshaus, sie tauchte, so elegant kaschierte, dass Mira nicht merkte, wie sie der Alkohol langsam, aber wirkungsvoll alle Vorsicht vergessen ließ.

Sie war heute wieder ohne ihren Ehemann dort gewesen. Das Verhältnis zu Heribert war in letzter Zeit etwas angespannt. An diesem Abend war auch ein ihr flüchtig bekannter Rechtsanwalt unter den Gästen. Er war nicht häufig bei Uli. Schon immer hatte sie den großgewachsenen, schlanken Mann mit seinen blonden, etwas längeren Haaren und seiner gediegenen braunen Hornbrille äußerst attraktiv gefunden. Im Laufe des Abends und der wechselnden Sitzplatzierungen stand er auf einmal direkt neben ihr. Sie begrüßten sich freundlich und wechselten Belanglosigkeiten, während seine Augen ein unverhohlenes Interesse an ihr erkennen ließen.

Die Unruhe in der immer stärker alkoholisierten Runde ließ ihre intime Zweiergemeinschaft jedoch bald wieder auseinandergehen und andere Personen in ihre Nähe rücken. Es entging ihr aber nicht, dass seine Blicke immer wieder zu ihr zurückkehrten. So blieb sie fast bis zum Schluss, als schließlich der große Aufbruch begann. Sie ging mit den Letzten, darunter auch der dicke Willy und Anna, die Wirtin des in der Nähe gelegenen Apfelweinlokals, die nach Schließen ihres eigenen Lokals in das vor Lebensfreude überschäumende Wirtshaus von Uli hereingeschaut hatte und dort hängengeblieben war. Ihr trompetengleiches Gelächter, das noch die letzten verborgenen Spinnfäden zum Tanzen brachte und bis in die hintersten Winkel des Lokals drang, heizte die ausgelassene Stimmung noch mehr an. Es war ein denkwürdiger Abend und viele bedauerten, dass kurz nach ein Uhr die letzte Runde ausgerufen wurde.

Mira stolperte aus dem Lokal. Um ein Haar wäre sie über Willy gefallen, der im Türrahmen stand und sich mit Uli und den letzten Zechern noch ein kleines Wortgefecht lieferte. Sie verstand nicht ganz, worum es ging. Fast schien es ihr, als ob Willy seinen Arm um Uli legen und ihn eng an sich drücken wollte. Aber Uli schob energisch den Arm von Willy zurück. Mira meinte, sogar ein gezischtes »widerliche fette Sau« gehört zu haben.

Mehr konnte Mira in ihrem fortgeschrittenen Zustand der Alkoholisierung nicht erkennen. Ihr war ganz klar, dass sie zu viel getrunken hatte. Zwei Rotwein und etliche Mispelchen, das war definitiv zu viel für ihren untrainierten Magen. Das kleine Abendessen, das sie noch zu Hause zu sich genommen hatte, zeigte sich etwas labil und schien den Rückwärtsgang einlegen zu wollen. Sie schluckte einige Male, um ihren Magen zu beruhigen. Etwas unsicher wankte sie in Richtung ihres Hauses, das ungefähr dreihundert Meter von Ulis Lokal entfernt lag. Sie fing an zu frösteln. Diese Frühlingsnacht war doch kälter als gedacht. Seltsam, vorhin hatte sie nicht so gefroren. Sie ging etwas schneller, um sich Wärme zu verschaffen. Als sie mit unsicheren Händen den Schlüsselbund aus ihrem grünen Anorak ziehen wollte, fiel ihr schmerzlich auf, dass sie ihn gar nicht trug.Wo hatte sie ihn gelassen? Sie überlegte angestrengt, bis es ihr wieder einfiel. Oh Gott, auch das noch! Der hing noch über dem Barhocker in Ulis Kneipe. Sollte sie nochmal umkehren oder den Anorak morgen abholen? Ihr vom Alkohol leicht schwerfälliges Gehirn sagte ihr nach ein paar Sekunden intensiven Nachdenkens, dass es besser wäre, den Anorak zu holen, denn unter keinen Umständen wollte sie Heribert wecken. Seine dramatischen Anschuldigungen wollte sie sich ersparen, und außerdem brauchte sie die Jacke dringend am nächsten Morgen, weil sie mit ihrer Kollegin Iris ausgemacht hatte, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren.Sie drehte um und ging leicht schwankend zur Kneipe zurück in der Hoffnung, dass Uli noch nicht abgeschlossen hatte.Als sie kurz darauf beim Lokal ankam, war die Tür nur angelehnt und ein diffuses Licht drang nach außen. Gott sei Dank war Uli noch wach, sie hörte von innen ein leises scharrendes Geräusch.»Uli, Uli«, rief sie halblaut. Sie wollte keinen Lärm machen. »Gut dass du noch da bist, ich hole mir nur meinen grünen Anorak, den ich vergessen habe. Dann kannst du abschließen.«Mit diesen Worten ging sie ins Innere des nur schwach beleuchteten Lokals, als sie plötzlich stolperte und über ein am Boden liegendes Hindernis fiel. Beim Stürzen griff ihre rechte Hand blindlings nach einem Gegenstand, einer großen, schweren Stabtaschenlampe, die ihr allerdings mit lautem Getöse aus der Hand fiel. Das Hindernis, das jetzt von der am Boden liegenden Lampe angeleuchtet wurde, war ein auf der Seite liegender, lebloser junger Mann mit schwarzgelocktem Haar, der sie reglos anblickte und der auf keinen Fall Uli sein konnte.Mira ergriff ein solcher Schrecken, dass sie schlagartig nüchtern wurde, sich aufrichtete, die Hand vor den Mund presste, um nicht laut aufzuschreien, und panikartig das Lokal verließ. Mehrfach drehte sie sich um, um festzustellen, ob ihr jemand folgte. Aber das Klappern ihrer Schuhe war das einzige Geräusch, das sie bis an ihr Haus begleitete.

Als sie nun zitternd Heribert ins Haus folgte, war es ihr gleichgültig, was er zu ihrer späten Rückkehr und dem verlorenen Schlüssel sagen würde. »Da liegt jemand in Ulis Kneipe«, brach es aus ihr hervor. »Ich weiß nicht, wer es ist, aber ich glaube, der ist tot. Der lag ganz still am Boden, nur seine Augen waren so merkwürdig offen.«

Heribert betrachtete seine aufgelöste Frau und dachte, dass sie wirklich unter alkoholischen Wahnvorstellungen leiden musste, denn wie sonst könnte sie sich solche verrückten Ideen ausdenken.

»Ach was, das hast du dir nur alles eingebildet. Ich sehe doch, dass du betrunken bist. Das wird wahrscheinlich auch nur ein Besoffener gewesen sein.«

Er wollte nicht glauben, dass seine Frau in einen Mordfall verwickelt war, und Mira wollte nicht wahrhaben, dass sie ausgerechnet bei ihrem Alleingang ohne Heribert in eine dermaßen schreckliche Geschichte hineingeraten war. Nur zu gern wollte sie ihrem Mann glauben, dass sie sich etwas einbildete, was jeglicher Realität entbehrte. Ja richtig, die Gestalt am Boden könnte sehr wohl ein Betrunkener gewesen sein. Davon, dass sie ihren Anorak samt Schlüssel in Ulis Kneipe liegen gelassen hatte, sagte sie kein Wort.Widerstandslos ließ sie sich von Heribert ins Wohnzimmer führen, sank dort in einen Sessel und schaute ihn angstvoll an.

»Ja, was ist? Willst du dich nicht ausziehen und ins Bett kommen? Ich bin jetzt viel zu müde, um mich mit dir herumzuzanken. Aber das wird noch ein Nachspiel haben. Morgen früh werden wir uns ausgiebig über dein verantwortungsloses Verhalten unterhalten, und glaub ja nicht, dass ich das so hinnehmen werde.«

Mit diesen Worten ging Heribert ins Schlafzimmer, griff sein Deckbett, wickelte sich sorgfältig darin ein und versank alsbald in einen tiefen Schlaf.

Mira war jetzt alles egal und der Wunsch zu schlafen wurde übermächtig. Still zog sie sich aus und legte sich neben Heribert ins eheliche Bett, schaute noch einmal erleichtert und dankbar auf den ihr so vertrauten und heute auch durchaus geschätzten Ehemann und sank ebenfalls augenblicklich in einen komaähnlichen Schlaf.

Kapitel 2

Als Uli an einem sonnenklaren Frühlingstag seine umfangreichen Einkäufe vom Großmarkt vor der Tür seines Lokals abstellte und den Schlüssel in das Schloss steckte, ahnte er nicht, dass dieser Tag ihm für lange Zeit die Freude an seiner Arbeit verderben würde.

»Hallo Uli, grüß dich. Na, da hast du ja einen Großeinkauf gemacht«, rief Mario, der Pizzabäcker von nebenan, der gerade auf seinem Fahrrad vorbeikam. In diesem Moment bog seine Nachbarin, die alte Frau Gerber, mit ihrem Hund um die Ecke. Timmy, ein geltungssüchtiger Westi, dem Fahrradfahrer verhasst waren, nutzte eine kleine Unaufmerksamkeit seines Frauchens und sprang dem Pizzabäcker mit lautem Gekläff ans Bein. Der kam ins Straucheln und konnte sich nur mit einem raschen Sprung vom Rad vor einem Sturz retten.

»Oh, um ein Haar wärst du gefallen«, Uli packte Mario am Arm.

»Maledetto cane pazzo«, rief Mario verärgert, »beinahe wäre ich hingefallen.«

»Na, na, dass du dich von so einem Winzling vom Rad reißen lässt, ist ja wohl lächerlich. Timmy ist doch kein Pferd.«

Frau Gerber entschuldigte sich wortreich und zerrte Timmy eiligst weg.

Uli musste laut vor sich hin lachen. Gut gelaunt öffnete er die schwere, einbruchssichere Tür und die kleinen, braunen Fensterläden, stellte die Stühle von den Tischen auf den Boden, als sein Blick auf einen grünen Anorak fiel, der vor seinem Tresen lag.

»Herrgott, Mira«, brummelte er vor sich hin, »eines Tages vergisst du noch deinen Kopf, du vergessliches Huhn. Letzte Woche dein Lippenstift in der Toilette, vor Kurzem dein Schal und jetzt dein Anorak. Das nächste Mal ist beim dritten Glas Mispelchen Schluss. Du dusseliges Gänschen verträgst einfach nicht so viel. Ja, wieso hab ich gestern Nacht denn nicht gesehen, dass der Anorak da lag? Ich hab doch die Hocker auf den Tresen gestellt. Ja, werd ich denn langsam senil?«

Er bückte sich und wollte den Anorak aufheben, als er sah, dass versteckt unter dem Anorak ein zusammengekrümmter, lebloser Körper lag. Schlief da etwa ein Betrunkener seinen Rausch aus? »Hast du Suffkopp denn kein eigenes Bett? Musst du es dir ausgerechnet in meiner Kneipe gemütlich machen? Wie kommst du überhaupt hier rein? Diese Kerle werden immer unverschämter. Na warte, ich werd dir Beine machen.«Mit einem Ruck drehte er die auf der Seite liegende Person auf den Rücken. Ausdruckslose Augen in einem jungen, gut geschnittenen Gesicht mit schwarzgelocktem Haar starrten ihn an. Der Schreck ließ ihn abrupt nach oben fahren. Schmerzhaft stieß seine Stirn an den Zapfhahn auf dem Tresen. Bevor ihn seine nachgebenden Beine im Stich ließen, griff er sich einen Stuhl und setzte sich schwerfällig darauf. Er fuhr sich über das Gesicht. Lag er etwa noch im Bett und hatte einen Albtraum? Mehrfach öffnete und schloss er die Augen, aber der seltsam verkrümmte Körper war noch immer da. Was war denn gestern Abend los gewesen? In rasender Eile durchforstete sein Gehirn den Ablauf des letzten Abends. Gab es irgendeinen Streit unter seinen Gästen? Hatte er sich mit jemandem angelegt? Er wurde nicht fündig. Gestern Abend war alles normal gewesen. Wieso lag jetzt diese Person vor seiner Bar? Schlief sie ihren Rausch aus oder war sie tatsächlich tot?Mit zitternden Fingern stupste er das reglose Bündel noch einmal an. Keine Bewegung! Schien doch tot zu sein. Ihm graute vor dem Toten – oder war es etwa eine tote Frau? Er wollte es gar nicht genau wissen, stürzte nach draußen, rannte in die daneben liegende italienische Eisdiele und schrie: »Ich glaube, bei mir liegt ein Toter unterm Tresen!«»Haha, eine Bierleiche«, johlte ein beleibter junger Mann, der sich gerade einen Riesenbecher Eis gekauft hatte und amüsiert den völlig aufgelösten Wirt beobachtete.Giuseppe, der Eigentümer der Eisdiele, kam hinter der Theke hervor und legte dem Wirt die Hand auf die Schulter.

»Uli, beruhige dich. Was ist los? Was erzählst du da von eine Tote? Ist das eine Witz?«»Nein, nein, ich schwöre dir, da liegt ein Toter in meinem Lokal. Komm mit, ich zeig ihn dir.«Zusammen gingen sie zurück und betrachteten den reglosen Körper unter dem Anorak. »Hast du schon die Polizei angerufen?«»Nein, wann denn? Ich bin ja eben erst gekommen. Aber jetzt ruf ich sie an.«Uli fingerte sein Handy aus der Hosentasche, fast fiel es ihm aus den zitternden Händen, und wählte die Nummer der Polizei. »Sie kommen gleich.«

Kapitel 3

Hauptkommissar Khalil Saleh rührte in seinem Kaffee und versuchte vergeblich, ein Gähnen zu unterdrücken. Es war früher Montagmorgen und die übliche Hektik des Tages war noch nicht bei ihm angekommen, so dass er Zeit hatte, über das vergangene Wochenende nachzudenken.

Das Frühlingsfest im Frankfurter Polizeipräsidium war viel interessanter verlaufen als befürchtet. Für Mitte Mai war das Wetter ungewöhnlich heiß gewesen. Es konnte sich zwar etwas Schöneres vorstellen als im durchgeschwitzten Hemd in einem stickigen Zelt zu sitzen und mit mehr oder weniger geschätzten Kollegen Belangloses zu plaudern. Dann hatte er sich doch dazu aufgerafft, schon um den Vorwurf zu entkräften, sich als etwas Besseres zu fühlen, seit er zum Kriminalhauptkommissar der Mordkommission befördert worden war.

Natürlich hatte er sich über diese unerwartete Beförderung sehr gefreut und es zuerst seiner Schwester Fatma erzählt, die ihn dazu überschwänglich beglückwünschte. Als er es seinen Eltern sagte, kräuselte sein Vater nur die Oberlippe und seine Mutter lächelte gequält. Sie hatten sich für ihren Sohn eine andere Karriere gewünscht als die eines Polizisten. Schließlich betrieb sein Vater eine gutgehende Privatpraxis für Gastroenterologie in der Nähe des Goetheplatzes, in der auch seine Mutter, eine ausgebildete Allgemeinmedizinerin, arbeitete. Sie hätten es gern gesehen, wenn ihr Sohn auch Arzt geworden wäre. Aber sein Abiturzeugnis sprach dagegen. Dass es ausgerechnet die Tochter war, die die ärztliche Tradition der Familie weiterführte, hatten seine Eltern zwar zur Kenntnis genommen, aber durch ihr beredtes Schweigen ließen sie ihn spüren, dass er in ihren Augen versagt hatte. Sollten sie ihn doch mit ihren Ansprüchen in Ruhe lassen, dachte Khalil. Er liebte seinen Job.

Er war gerade nicht gut auf seine Eltern zu sprechen, speziell nicht auf seine Mutter. Auf ihre Bitte hatte er ihnen zum ersten Mal seine deutsche Freundin Brigitte vorgestellt, und seine Mutter hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als ihr zu verstehen zu geben, dass eine deutsche Frau, noch dazu geschieden, mit zwei Kindern und keine Muslima, für ihren Sohn ein Missgriff sei. Brigitte, eine emanzipierte, berufstätige Frau und Mutter zweier fast erwachsener Kinder, spürte die kaum verhohlene Ablehnung und war zutiefst erbost. Sie spürte auch, dass Khalil sie nicht unterstützte, sondern als gehorsamer Sohn bei den Fragen seiner Mutter hinsichtlich ihrer hausfraulichen Qualitäten nur nachsichtig lächelte. Der nachfolgende Streit war voraussehbar und Brigitte so empört, dass sie ihn vorerst nicht mehr zu sehen wünschte. Vielleicht seien ihnen ja in letzter Zeit die Gemeinsamkeiten ausgegangen, hatte sie ihm noch nachgeworfen. Mehrmals hatte er versucht sie anzurufen, um sie zu besänftigen, aber sie nahm nicht einmal den Hörer ab.

Seine Wohnung in der Hansaallee lag nicht weit vom Präsidium entfernt, so dass er zu Fuß dorthin gegangen war. Das Fest war schon in vollem Gange. Rauchschwaden vom Grill zogen durch den Innenhof. Er hatte keinen großen Hunger, nahm aber dann doch eine Bratwurst mit viel Senf und Ketchup, von der er wusste, dass seine Mutter, die recht gläubig war, dies missbilligen würde. Es war ihm egal. Ihm schmeckte es. Er hatte sich im Laufe seines Lebens unter Ungläubigen, wie seine Mutter zu sagen pflegte, eine eigene Philosophie von den Religionen und ihren unterschiedlichen Vorschriften zu eigen gemacht. Und der durch seinen Beruf bedingte Kontakt zu Menschen unterschiedlichster Herkunft, aller Hautfarben und aller Glaubensrichtungen hatte ihn tolerant werden lassen. Brigitte hatte das ihre dazu getan, sein Gesichtsfeld zu erweitern.

Er blickte sich um und sah, wie seine Kollegen ihm zuwinkten. »Kal, hierher, hier sitzen wir, Kal.«

Khalil hatte sich daran gewöhnt, Kal genannt zu werden. Es klang so hessisch und war ihm nicht unangenehm.

Mit der Bratwurst in der linken Hand schlenderte er zu ihnen und setzte sich auf eine Bank. Wider Erwarten wurde es doch ein schönes Fest. Die Kollegen und Kolleginnen zeigten sich von ihrer unterhaltsamsten Seite und überboten sich im Erzählen witziger und aberwitziger Episoden, die sich bei ihrer täglichen Polizeiarbeit abspielten. Selbst Khalil wischte sich die Lachtränen aus den Augen und holte sich noch einen eisgekühlten Riesling beim Getränkeausschank. Davor hatte sich eine kleine Schlange gebildet. Wenn das seine glaubensstrenge Mutter wüsste! Zu seinem Erstaunen sah er seine oberste Chefin, die Polizeipräsidentin Annalene Waldau, die sich brav vor ihm in der Schlange eingereiht hatte. Er betrachtete sie von hinten und fand sie in ihrer sommerlich luftigen Kleidung äußerst attraktiv.

»Oh, nein, nicht das auch noch«, hörte er sie plötzlich laut klagen und sah, wie sie auf den Boden starrte. »Ich habe meine linke Kontaktlinse verloren. Bitte kommen Sie nicht näher, ich muss die Linse finden, bevor jemand auf sie tritt.«

»Ich helfe Ihnen«, bot sich Khalil an und lag schon auf dem Boden. Er trug auch Kontaktlinsen und wusste um das Elend, wenn man sie verlor. Gerade als sie sich auch bücken wollte, gab ein Windstoß ihre makellosen, strumpflosen Beine preis. Das ist ihr sicher nicht angenehm, dachte Khalil. Aber tolle Beine hat sie. Währenddessen hatte Annalene Waldau Zeit, das gut gebaute Hinterteil von Khalil von oben zu bewundern.

Die anderen in der Schlange sahen sich stumm an und zogen sich etwas zurück. Zu Annalenes Verwunderung und großer Erleichterung dauerte es tatsächlich nicht lange und Khalil fand die Linse im Sand.

»Jetzt müssen Sie sie nur noch ein bisschen unter Wasser halten und dann wieder einsetzen«, meinte er.

»Oh, ich danke Ihnen vielmals, Herr, Herr …«

Er klopfte sich die Hosen ab. »Khalil Saleh«, unterbrach er sie. »Ich heiße Khalil Saleh.«

»Ach ja, jetzt erinnere ich mich wieder an Sie. Damals, bei Ihrer Beförderung … Nochmals herzlichen Dank, Herr Saleh. Ja, das mit dem Spülen wird nicht so einfach sein. Ich benutze eine spezielle Reinigungsflüssigkeit. Auf Leitungswasser reagieren meine Augen allergisch.«

»Ach, Ihre auch? Das ist ja seltsam. Normalerweise habe ich diese Spezialflüssigkeit immer dabei. Nur heute nicht. Aber ich wohne hier ganz in der Nähe. Wenn Sie wollen, kann ich sie holen. Oder Sie kommen einfach mit und wir reinigen die Linse bei mir. Ganz, wie Sie wollen.« Er sah sie freundlich lächelnd an.

Annalene betrachtete Khalil einen Moment unschlüssig. Er machte eine gute Figur in seinen Jeans, dem weißen Hemd und mit seinem gut geschnittenen, markanten Gesicht mit der geraden Nase. Zu ihm gehen? Konnte sie das als Polizeipräsidentin so einfach tun?

Aber sie fühlte sich mit nur einer Kontaktlinse halb blind. Auch wegen der stark eingeschränkten Sehfähigkeit ihres rechten Auges. Zu allem Überfluss hatte sie ihre Brille zu Hause liegen gelassen.

»Eigentlich könnte ich genauso gut bei Ihnen vorbeikommen. Ich wollte sowieso bald gehen.«

Der Weg zu ihm war kurz und seine Wohnung leidlich aufgeräumt. Er führte sie ins Bad und gab ihr das Reinigungsset. Die Enge des Raums ließ sie sich nahe kommen und ihre Hände berührten sich zufällig. Beide zuckten zurück und lachten albern. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel und nahmen aufmerksam das Bild des anderen in sich auf.

Nachdem die Kontaktlinse wieder richtig saß, wusch sich Annalene sorgfältig die Hände und bat Khalil, ihr ein Taxi zu rufen. Die Einladung zu einem Getränk schlug sie aus.

Khalil begleitete sie nach unten zum wartenden Taxi. Bevor sie die Tür schloss, deutete er eine Verbeugung an.

Erschöpft ließ sich Annalene auf die Rückbank des Taxis sinken und nannte dem Fahrer die Adresse. Er hielt vor einem Haus in der Untermainanlage, in dem ihre Mutter eine Wohnung gehabt hatte, als sie noch zum festen Ensemble der Oper Frankfurt gehörte. Es war ein Segen für Annalene, dass sie in das nicht mehr von ihrer Mutter genutzte Appartement einziehen konnte, als ihr Mann Wolfgang Waldau sich von ihr trennte.

In ihren eigenen vier Wänden dämpfte ein großes Glas kühler Weißwein die Wirkung der Augen des jordanischen Kommissars, dessen Blick ihr das Blut durch die Adern getrieben hatte. Gleichzeitig war sie erleichtert, dass sie der Versuchung widerstanden hatte, sich in seinen Armen wiederzufinden, auch wenn sie eine männliche Umarmung nach der Trennung von ihrem Mann immer öfter vermisste.

Khalil dagegen war wieder auf das Frühlingsfest ins Präsidium zurückgekehrt. Auf den Weg dahin begleitete ihn das Bild der hochgewachsenen, blonden Polizeipräsidentin. Er wusste, dass er den Titel des Hauptkommissars, den er zu seiner eigenen Überraschung relativ früh in seiner Karriere erhalten hatte, hauptsächlich ihr verdankte. Am Tag der Beförderung war ihm vor lauter Aufregung nicht aufgefallen, wie attraktiv sie war. Er fragte sich, wie eine so gut aussehende Frau den Weg bis ganz nach oben geschafft hatte. Ob ihren Gönnern neben ihrem Können auch ihr gutes Aussehen imponiert hatte? Ihn jedenfalls hatte sie damit nachhaltig beeindruckt. Eine tolle Frau.

Ertappt wanderten seine Gedanken zu seiner Freundin Brigitte und er schwor sich, alles zu tun, um sie zurückzugewinnen.

Ein lautes Gespräch vor seiner Tür ließ ihn aufschrecken. Der Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass gleich die übliche Dienstbesprechung um neun beginnen würde. Er streifte die Montagslethargie ab und machte sich auf den Weg zum Besprechungszimmer.

Dort erreichte ihn kurz vor elf Uhr ein Anruf aus der Zentrale, dass beim 9. Polizeirevier in Sachsenhausen ein Toter in einem Gasthaus gemeldet worden war. Khalil benachrichtigte sofort zwei seiner Kollegen und raste mit Blaulicht zum Tatort. Als sie ankamen, sahen sie, dass die Spurensicherung schon vor ihnen dort gewesen und der Ort großräumig abgeriegelt und ein Sichtschutz aufgebaut worden war. Khalil wunderte sich, wie sie es schafften, immer einen Tick vor ihm an Ort und Stelle zu sein.

Er bahnte sich einen Weg durch die dichte Traube Neugieriger, die sich vor dem Lokal gebildet hatte.

»Bitte nichts anfassen, nichts verändern!«

Khalil betrat das Gasthaus. Links in der Ecke an einem Tisch saß ein Mann, der ihm mit weit aufgerissenen Augen entgegen sah.

»Guten Tag, ich bin Hauptkommissar Saleh. Sind Sie der Wirt, der bei uns angerufen hat?«

»Ja, ich hab die Polizei angerufen.«

»Wie heißen Sie?«

»Mein Name ist Ulrich Reinhold, mir gehört dieses Lokal.«

Khalil ging zunächst um das Opfer herum und besah sich genau, wie und in welchem Zustand der schwarzgelockte junge Mann auf dem Boden lag. Dann befragte er die Spurensicherung nach den Details ihrer Untersuchungen. Er war immer wieder überrascht, in welcher Kürze sie mit präzisen Daten aufwarten konnten. Anschließend wandte er sich wieder dem verstörten Wirt zu.

»Haben Sie den Körper angefasst? Wem gehört der grüne Anorak? Erzählen Sie mal, was hier passiert ist. Äh, zeigen Sie mal, Ihre Stirn blutet ja. Soll unser Arzt Sie untersuchen? Hatten Sie Streit mit dem Opfer? Haben Sie noch mehr Verletzungen am Körper? Wurden Sie angegriffen?«

Uli, dem unverhofft ein Gewaltdelikt angehängt werden sollte, ergriff die Panik. Der Griff an seine Stirn ließ ihn erbleichen. Ungläubig betrachtete er das frische Blut auf seiner Hand. Er ein Mörder? Er, der sonst immer für sein loses Mundwerk gefürchtet war und der prinzipiell immer das letzte Wort hatte, fing an zu stammeln und zu stottern. »Nein, nein, Herr Wachtmeister, äh, äh, diese Wunde da, diese Blessur da, da an meiner Stirn, die hab ich mir zugezogen, als ich den Toten betrachten wollte, der vor meinem Tresen lag. Ich war so arg erschrocken, als ich den toten Mann sah, dass ich mit der Stirn an den Zapfhahn gestoßen bin.«

»Woher wussten Sie denn, dass die Person tot ist und dass es ein Mann ist?«

Uli sah sich plötzlich in einem Netz falscher Anschuldigungen gefangen und erzählte stockend, welches Bild sich ihm beim Öffnen seines Lokals geboten hatte.

»War die Tür verschlossen?«

»Ich glaube ja, aber beschwören könnte ich es nicht.«

Khalil wandte sich wieder an die Spurensicherung: »Können Sie schon erkennen, wie und womit das Opfer zu Tode kam?«

Nach einer ersten Untersuchung hatte man festgestellt, dass es sich um einen jungen Mann handelte, der wahrscheinlich durch einen oder mehrere Schläge auf den Hinterkopf getötet worden war. Anhand der Inaugenscheinnahme des Opfers musste der Totschlag schon vor ein paar Stunden stattgefunden haben. Als Mordwerkzeug hätte man eine schwere Stabtaschenlampe mit Blutanhaftungen und Fingerspuren identifiziert.

»Hat der Mann bei Ihnen verkehrt, ich meine, war er Gast bei Ihnen?«

Uli zog die Brauen hoch. »Nein, den kenne ich nicht. Ich glaube nicht, dass der schon einmal hier war.«

»Wie kommt der Mann in Ihr Lokal?«

»Ja, wenn ich das wüsste.«

»Hat außer Ihnen noch jemand einen Schlüssel zum Lokal?«

»Nur mein Freund Siggi, Siegbert Ranke.«

»Wo wohnt der?«

»In Wiesbaden.«

»In welchem Verhältnis stehen Sie zu Herrn Ranke?«

»Er ist mein Freund und Lebenspartner.«

Khalil zog die Augenbrauen hoch. Aha, ein Schwuler!

»Ist das eine Schwulenkneipe?« Diese Frage kam Khalil etwas unbedacht aus dem Munde. Er hatte seine eigene Meinung zu Schwulen und Lesben, konnte diese aber wegen der political correctness, zu der auch die Polizei verpflichtet war, jedenfalls offiziell, nicht offen aussprechen. Über seine eigenwillige Meinung zu dem Thema gab es schon einen Eintrag in seiner Personalakte. Damals hatte er Besserung gelobt.

Uli war empört, schließlich war er seit Jahrzehnten Wirt und noch keiner hatte sein Lokal je eine Schwulenkneipe genannt. Was maßte sich dieser unverschämte Kommissar eigentlich an?

»Ich führe ein bürgerliches Lokal und nicht das, was Sie vermuten. Ich verbitte mir diese Unterstellungen.« Uli sah Khalil trotzig in die Augen.

»Ja, ja. Ist ja schon gut«, ruderte Khalil zurück.

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und Alina, die Köchin, stürzte aufgelöst auf Uli zu, die Polizisten, die draußen den Tatort bewachten, im Gefolge.

»Unmöglich, diese Frau aufzuhalten«, rief einer von ihnen.

»Uli, Uli, was ist passiert?« Alina drängte sich an den Polizisten vorbei.

»Herr Reinhold, wer ist diese Person?« Khalil war ungehalten.

»Das ist meine Köchin, Frau Alina Stankovic.«

»War sie gestern Abend auch dabei?«

»Ja, aber nur bis zehn Uhr, dann ist sie gegangen.«

»Hier, Frau Stankovic, meine Visitenkarte. Wir werden Sie auf jeden Fall auch verhören, aber wenn Ihnen im Laufe des Tages zum Mordfall etwas einfällt, können Sie sich direkt bei mir melden. Aber jetzt bitte ich Sie, den Raum sofort zu verlassen.« Khalil mochte keine Unterbrechungen.

Die Visitenkarte in der Hand stolperte Alina geschockt aus dem Lokal. Ein Mord! Das konnte doch nicht wahr sein.

Die Spurensicherung war inzwischen fertig und informierte den Kommissar, dass die Rechtsmedizin unterwegs sei, die Leiche des jungen Mannes abzuholen.

»Herr Reinhold, wir fahren Sie jetzt ins Polizeipräsidium zum Verhör. Dort erstellen wir ein genaues Protokoll des Hergangs, soweit es Sie betrifft. Es wird eine Weile dauern. Ihr Lokal wird versiegelt und auch Sie werden es vorerst nicht betreten können.«

Khalil zog Uli am Arm aus dem Lokal und bahnte sich einen Weg durch die gaffende Menge in das bereitstehende Polizeiauto. Sein Kollege fuhr sie zum Polizeipräsidium. Dort führte man Uli in einen Raum und bat ihn, sich zu setzen.

»Möchten Sie einen Kaffee? Hier ist ein Automat. Bitte bedienen Sie sich.«

Uli hatte einen trockenen Hals und bat Khalil um ein Glas Wasser.

»Herr Reinhold, erzählen Sie bitte ganz genau, wie der Abend gestern bei Ihnen abgelaufen ist.«

Uli gab sich Mühe, alles zu erzählen, was sich gestern Abend bis zum Schließen seines Lokals zugetragen hatte. Da sei nichts vorgefallen, was als Ursache für den Totschlag eines jungen Mannes, noch dazu eines ihm völlig unbekannten Opfers, in Frage kommen könnte. Es sei eine zwar lautstarke, aber völlig harmlose, ausgelassene Feier gewesen, in der reichlich Alkohol geflossen sei, aber es hätte weder Streitereien noch Schlägereien oder gar Beleidigungen gegeben, rein gar nichts. Er habe überhaupt keine Ahnung, wie der junge Mann in sein Lokal gekommen sein könnte. Woran er sich aber auf jeden Fall erinnern könne, sei, dass er noch die Fensterläden geschlossen, alle Stühle hochgestellt und die Tür verschlossen hätte. Niemals würde er das Lokal verlassen, ohne das Sicherheitsschloss abzuschließen.

»Der junge Mann heißt übrigens Alexander Wienhold«, unterbrach ihn Khalil, »und wie wir aus den ersten Untersuchungen herausgefunden haben, könnte er sich im homosexuellen Milieu bewegt haben. Könnte Ihnen also durchaus bekannt sein.« Dabei schaute er Uli mit herausfordernder und, wie Uli meinte, auch etwas abschätziger Miene an.

»Ich kenne weder den Mann noch habe ich jemals den Namen Wienhold gehört. Das habe ich Ihnen doch schon mehrfach gesagt.« Uli riss es vor ohnmächtigem Zorn fast vom Stuhl.

»Wenn Sie das Opfer nicht hereingelassen haben, wie soll es denn sonst in Ihr Lokal gekommen sein, durch die Wand etwa?« Khalils Stimme bekam einen sarkastischen Unterton.

»Das ist mir ja gerade so unerklärlich. Ich jedenfalls habe das Lokal so gegen zwei Uhr zugeschlossen und bin dann in meine Wohnung im ersten Stock gegangen und sofort eingeschlafen. Es muss jemand einen Zweitschlüssel benutzt haben, denn es gab keinerlei Beschädigungen am Schloss.«

Uli bemühte sich, sachlich zu bleiben und den ironischen Ton des Kommissars an sich abprallen zu lassen.

»Das ist schon eine sehr seltsame Geschichte mit dem Schlüssel«, bemerkte Khalil. »Ich bekomme von Ihnen schnellstens eine Namensliste aller Gäste, die gestern in Ihrer Kneipe waren. Wem gehört eigentlich der grüne Anorak? Wir haben festgestellt, dass es sich dabei um ein weibliches Kleidungsstück handeln muss?«

»Der Anorak könnte Frau Mira Schönfelder gehören. Die hat aber sicher nichts mit dem Mord zu tun. Die hat den nur einfach da liegen lassen.«

»Woher wollen Sie denn wissen, dass diese Frau nichts mit dem Mord zu tun hat? Unsere Spurensicherung hat festgestellt, dass die Fingerabdrücke auf der Tatwaffe von einer Frau stammen könnten.«

Uli riss die Augen auf. Mira eine Mörderin? Er starrte den Kommissar an. »Wie, was? Von einer Frau? Das kann ich mir nicht vorstellen. Diese Frau kann doch keiner Fliege was zuleide tun. Nee, das glaub ich Ihnen nicht.«

»Das glauben Sie nicht? Sie haben ja keine Ahnung, zu was Frauen fähig sind, wenn man sie zum Äußersten treibt.«

Khalil schaute den Wirt nachdenklich an. Da hatte er ihm nun einen Rettungsanker hingeworfen und er nahm ihn nicht an. Ob der Wirt vielleicht recht hatte und wirklich nichts mit dem Mord zu tun hatte? Natürlich waren seine Fingerabdrücke überall, aber eben nicht auf der Stabtaschenlampe. Die Geschichte war verworren. Wo sollte er nur ansetzen?

Uli schüttelte nur den Kopf. Ihm kam es vor, als wäre er im falschen Film oder in einem Traum, aus dem er gleich erwachen müsste. Und dieser windige Kommissar, der ihn die ganze Zeit aufs Glatteis führen wollte! Aber eines musste Uli sich eingestehen – der Kerl sah verdammt gut aus.

Khalil versuchte, den Wirt in die Enge zu drängen, ihn zu überrumpeln, zu drohen, auf eine falsche Fährte zu lenken, denn eigentlich war die Geschichte ja einfach: mangels anderer infrage kommender Personen konnte nur der Wirt der Täter sein. Nichts fruchtete. Der wiederholte nur immer stur das Gleiche, dass er während der Tatzeit dank einer übergroßen Dosis diverser Alkoholika in seinem Bett geschlafen und erst am nächsten Morgen, als er vom Einkauf zurückkam, die tote Person in seiner Kneipe vorgefunden habe.

Am frühen Abend entließ man Uli mit der Auflage, sich am nächsten Tag wieder zur Verfügung zu halten. Man wolle zunächst von seiner Festnahme absehen, da die Situation noch nicht endgültig geklärt sei und im Prinzip keine Fluchtgefahr bestehe.

Kapitel 4

Ulis Köchin Alina hatte Siggi angerufen, gleich nachdem Uli abgeführt worden war. Aufgeregt hatte sie von dem Toten erzählt. Vorsichtig hatte Siggi sie gefragt, ob man schon wisse, wer es war.

»Der Mörder?« fragte Alina zurück. Nein, so schnell ginge das nicht und der Uli wäre es doch nicht gewesen.

»Nein«, sagte Siggi unwirsch. »Den Toten meine ich.«

In der einen Hand hielt er den Telefonhörer, mit der anderen fuhr er sich durch sein dunkelblondes Haar. Immer wieder erschreckte ihn die kahle Stelle am Hinterkopf. Obwohl er sein Haar sorgfältig nach hinten kämmte, fiel es immer wieder nach vorne. Siggi hatte sich bereits angewöhnt, den Kopf etwas zurückzulegen, was ihm bei seiner Größe etwas Gebieterisches gab. War ja auch nicht schlecht, die Kunden zu beeindrucken, wenn er hocherhobenen Hauptes mit wehendem Trenchcoat auf sie zuschritt. Seine langen Beine steckten meistens in grauen Stoffhosen und bequemen Slippern. Heute beschäftigte ihn die drohende Kahlköpfigkeit nicht so sehr wie die Sorge um Sascha. Er kannte ihn nun schon fast ein Jahr. Siggi wusste nicht genau, wie Engel aussahen, aber ein anderer Vergleich war ihm nicht eingefallen für Saschas ebenmäßiges, von schwarzen Locken umgebenes Gesicht.

Aus dem Hörer tönte immer noch Alinas Stimme. Siggi riss sich zusammen.

»Was sagst du, Alina? Uli wird immer noch im Polizeipräsidium verhört? Sag ihm, er soll mich unbedingt anrufen. Halt nein, ich komme nachher vorbei. Ich ruf dich an, wenn ich da bin.«

Siggi wohnte immer noch in seiner überteuerten Wohnung in Wiesbaden, die er sich eigentlich gar nicht leisten konnte. Nachdem er das Gespräch mit Alina beendet hatte, ging er ruhelos auf und ab, den Blick auf das Panoramafenster gerichtet, ohne die Aussicht wahrzunehmen. Die Hand hielt er wieder instinktiv am Hinterkopf, um seinen beginnenden Haarverlust zu bedecken.

Wieder nur die Mailbox. Seit über vierundzwanzig Stunden ging Sascha nicht ans Telefon. Natürlich sahen sie sich manchmal länger nicht, wenn Siggi mit Uli oder geschäftlich unterwegs war. Um Saschas Abwesenheiten in Grenzen zu halten, hatte Siggi ihm schon manches Mal finanziell unter die Arme gegriffen.

Siggi fragte sich, warum er überhaupt noch an Uli festhielt. Es war sicher nicht dessen braunes Haar, das immer etwas nach Küchenfett roch. Seit Siggi seine Nase in Saschas duftenden Locken vergraben hatte, fand er Ulis braune Locken nachgerade unappetitlich. Aber er schätzte Ulis Zuverlässigkeit und Beständigkeit. Er würde ihm nicht weglaufen. Bei Sascha stellte er sich jeden Tag die Frage, ob sie zusammenblieben oder nicht. Nie machten sie gemeinsame Pläne. Uli dagegen war, wie seine Mutter, ein Teil seiner Familie. Familienmitglieder musste man nicht so attraktiv finden, sie waren einfach da.

Siggi rechnete kurz nach, wie viele Jahre er nun schon mit Uli verbracht hatte. Es mussten schon fast fünfzehn Jahre sein. Er ging kurz ins Bad, griff seinen Trenchcoat, Schlüssel, Handy und Geld und lief die Treppe hinunter. Krachend ließ er die Haustür ins Schloss fallen. Er wusste, wie sehr die alte Frau Maier, die im Erdgeschoß wohnte, dies hasste. Heute musste er sich einfach abreagieren. Im Moment war alles ein bisschen zu viel für ihn.

Mühsam kämpfte Siggi sich durch den nachmittäglichen Verkehr auf der Autobahn nach Frankfurt. Unterwegs versuchte er mehrfach vergeblich, Sascha zu erreichen. Wo steckte der bloß? Er fing an, sich Sorgen zu machen. Außerdem wunderte er sich, dass er den Kneipenschlüssel, den Uli ihm vor langer Zeit gegeben hatte, noch immer nicht wiedergefunden hatte. Er hatte bereits alle Jacken- und Hosentaschen danach abgesucht. Siggi befürchtete, dass er in die Sache mit dem Toten hineingezogen werden würde, wenn er nicht schon mittendrin hing. Um jeden Preis wollte er vermeiden, dass es wegen des Schlüssels Ärger mit Uli gab.

Er gab noch ein wenig mehr Gas. Ein lautes Hupen riss ihn aus seinen Gedanken. Im Rückspiegel sah Siggi einen schwarzen Wagen heranbrausen. Es gelang ihm gerade noch, auf die mittlere Spur auszuweichen, bevor der Phaeton an ihm vorbeizog. Siggi fühlte sich schäbig in seinem mittlerweile zehn Jahre alten Audi. Sehr wohl erinnerte er sich daran, dass Uli den Wagen mitfinanziert hatte, weil Siggis Geschäfte damals eine ähnliche Flaute hatten wie jetzt.

Ein Gefühl von Dankbarkeit gegenüber Uli beschlich ihn. Er fuhr jetzt rechts zwischen den Lastwagen, um in Ruhe nachdenken zu können. Die Sonne blendete ihn. Ihr schräger Lichteinfall erinnerte ihn an den Tag, als er letztes Jahr im Frühling Sascha kennengelernt hatte. Auch damals herrschten bereits sommerliche Temperaturen und Siggi hatte im Frankfurter Westend einen Kunden vor einem Objekt in der Mendelssohnstraße getroffen und war anschließend im Café Metropol gelandet. Alle saßen draußen, das wollte er auch, aber es gab keinen freien Tisch mehr. Also setzte er sich zu einem jungen Mann, der in die Lektüre des SPIEGELs vertieft war und nur kurz aufgesehen hatte, als Siggi fragte, ob noch ein Platz frei sei. Trotz seines Hungers bestellte Siggi nur einen Latte macchiato. Uli erwartete ihn vor Lokalöffnung zu einem gemeinsamen Essen in seiner Kneipe.

Es kam, wie es kommen sollte. Irgendwann legte der junge Mann den SPIEGEL aus der Hand und betrachtete Siggi für einen Moment, der ein wenig zu lang dauerte, aus großen, sanften blauen Augen, bevor er den Abglanz des Himmels hinter einer dunkelgrünen Sonnenbrille verbarg. Sie kamen ins Gespräch. Siggi gab ihm seine Karte.

Wie war es eigentlich mit Uli gewesen? Er konnte sich gar nicht mehr genau daran erinnern, wie er ihn kennengelernt hatte. Er musste ihn unbedingt danach fragen. Uli würde ob dieser Nachfrage bestimmt gerührt sein. Siggi lächelte vor sich hin. Aber wo war Sascha, wieso konnte er ihn nicht erreichen? Er beschleunigte kurz vor der Autobahnabfahrt nach Sachsenhausen und zog noch einmal auf die Überholspur. In einer Viertelstunde, schätzte er, würde er vor der Volksbank in der Nähe von Ulis Lokal parken können. Aus den fünfzehn Minuten wurden zwanzig Minuten. Bevor er Alina anrief, versuchte er es ein letztes Mal auf Saschas Handy.

Alina stand vor dem Kleinen Wirtshaus in einer Menschengruppe und erteilte wieder und wieder bereitwillig Auskunft über den Toten und Ulis Verhaftung. Es machte ihr Spaß, im Mittelpunkt und nicht unsichtbar in der Küche hinter dem Herd zu stehen. Sie war durchaus bereit, der Sensationsgier entgegenzukommen, und dramatisierte die Sache noch ein wenig. Siggi hörte staunend zu. Endlich gelang es ihm, Alina in den Hof der Kneipe zu ziehen.

»Wo ist Uli?«

»Bei der Polizei. Seit ungefähr einer Stunde.«

»Schließ auf«, herrschte er sie an.

»Das geht nicht, die Polizei hat die Tür versiegelt. Außerdem habe ich keinen Schlüssel, wie du weißt«, entgegnete Alina beleidigt.

»Alina, was ist hier wirklich passiert? Wer ist der Tote und was hat Uli damit zu tun?« Er griff nach Alinas Handgelenk und hielt sie fest.

»Au, du tust mir weh.« Alina machte sich los und stapfte davon.

Siggi ging zurück zu seinem Auto. Er hatte eine Verabredung mit einem Kunden, dem er statt der Rückzahlung der Maklerprovision ein neues Objekt andienen wollte. Uli wollte er später noch einmal anrufen. Langsam fing er an sich Sorgen um ihn zu machen.

Unterwegs versuchte er wieder ohne Erfolg Sascha anzurufen. Gestern Abend waren sie in Wiesbaden verabredet gewesen, aber Sascha war nicht gekommen.

Kapitel 5

Als Mira und Heribert am Abend zu Ulis Kneipe gingen, um den grünen Anorak abzuholen, blieben sie verblüfft vor der versiegelten Tür stehen. Mira wurde schlagartig klar, dass sie gestern den Anblick der toten Person nicht nur geträumt hatte. Ein hektisches Rot setzte sich auf ihre Wangen. Noch bevor sie ein Wort zu Heribert sagen konnte, fuhr ein Polizeiauto vor. Verblüfft sahen sie, wie zunächst Uli und dann zwei Polizisten ausstiegen.

»Hallo Mira«, sagte Uli und schaute zu den Polizisten, ohne Heribert zu beachten oder ihn zu grüßen. »Herr Saleh, das ist Frau Mira Schönfelder. Sie war gestern auch in meinem Lokal.«

Interessiert wandte sich der Polizist an Mira. »Vielleicht können Sie mir etwas Näheres über die Identität des Toten erzählen.«

Mira schaute hilfesuchend zu Heribert, der nur noch stammeln konnte: »Ein Toter? Ist einer gestorben? Und wie und wieso?«

»Ja, das wüssten wir auch gerne. Also, Frau Schönfelder, dann steigen Sie mal ein. Ich hätte mich sehr gerne mit

Ihnen auf dem Polizeirevier unterhalten.«

»Nein, das geht doch nicht. Warum meine Frau? Die hat doch nichts getan und wissen tut sie auch nichts.« Heribert versuchte, sich dem Kommissar in den Weg zu stellen.

Mira aber, das Bild des reglosen jungen Mannes vor Augen, ließ sich willenlos in das Auto lotsen.

»Mira, ich komme mit.« Heribert wollte sich in das Polizeiauto quetschen, aber der Kommissar drängte ihn zurück.

»Wenn wir etwas von Ihnen wissen wollen, dann melden wir uns.«

Damit setzten sie sich ins Polizeiauto und fuhren mit Mira davon.

Heribert konnte nur noch »Mira, ich besorge dir einen Rechtsanwalt!« schreien, als das Auto um die Ecke bog und aus seinen Augen verschwand. Fassungslos schaute er dem Wagen nach. Dann wandte er sich an Uli, der die ganze Szene teilnahmslos betrachtet hatte.

»Was soll das denn? Verstehst du das? Was hat Mira denn mit der ganzen Sache zu tun?« Heribert war außer sich.

»Deine Frau war doch Sonntagnacht bei mir. Hast du denn nicht gehört, dass bei mir im Lokal ein Toter gefunden wurde?« Uli erzählte in knappen Worten, was er wusste, und ließ Heribert dann ohne weitere Erklärungen vor dem versiegelten Lokal stehen. Er hatte selbst genügend Sorgen und wollte sich nicht auch noch mit Miras Mann auseinandersetzen.

Heribert stand wie vom Donner gerührt. Es dauerte eine Weile, bis er sich wieder gefasst hatte. Mit schleppenden Schritten trat er den Weg nach Hause an.

Kapitel 6

Als Uli nach dem langen Verhör und dem Zusammentreffen mit Heribert und Mira in sein Haus zurückkehrte, wagte er nicht, noch einmal in das Lokal zu gehen. Es war sowieso versiegelt. Er konnte den Anblick des toten jungen Mannes nicht aus seinem Gedächtnis bannen, dessen Gesichtsausdruck so friedlich und, mit den offenen Augen, auch ein wenig überrascht ausgesehen hatte. Über den Seiteneingang schlüpfte er in seine Wohnung, legte sich erschöpft auf sein Sofa und wünschte sich sehnsüchtig, dass sein Hund Punk, ein kräftiger, Respekt einflößender Rottweiler, noch am Leben wäre. Jetzt wäre die Nähe seines geliebten Hundes ein großer Trost für ihn gewesen. Für andere war Punk eine bedrohliche Bestie gewesen, aber für Uli war er der verlässlichste, anhänglichste und mit der zartesten Kinderseele gesegnete Hund. Punk war wie ein Kamerad für ihn gewesen. Uli dachte daran, wie Punk instinktiv gemerkt hatte, wenn ihn etwas bedrückte. Er war dann zu ihm gekommen, hatte seine rechte Pfote auf sein Knie gelegt und ihn fragend angeschaut und Uli hatte gewusst, sein Hund sorgte sich um ihn und wollte ihn trösten. Tränen über den frühen Tod des geliebten Hundes schlichen sich in seine Augen. Mit Punk an seiner Seite würde er alles leichter ertragen. Manchmal hoffte er, dass er aus diesem Albtraum doch wieder erwachen würde. Er wischte sich die Augen. Komisch, wieso dachte er in seiner größten Verzweiflung und Not zuerst an Punk und erst dann an Siggi?

Er musste Siggi unbedingt anrufen, aber heute Nacht fühlte er sich dazu nicht mehr in der Lage. Das Verhör war hart gewesen. Sie hatten ihm nichts erspart und ihn rüde in die Mangel genommen, obwohl er zur Tatzeit friedlich in seinem Bett über der Gastwirtschaft den Schlaf des Gerechten geschlafen hatte. Verzweifelt hatte er das den Beamten im Polizeipräsidium immer wieder gesagt. Leider hatte er dafür keinen Zeugen, denn Siggi war entgegen ihrer ursprünglichen Abmachung, sich an diesem Abend in seiner Kneipe zu treffen, in Wiesbaden geblieben.

Aus diesem Grund hatte Uli die zwanzigtausend Euro, die er auf Siggis Wunsch an diesem Tag von seinem Konto abgehoben hatte, in seinem kleinen Tresor unter dem Tresen verschlossen. Sein Freund Siggi war in der unangenehmen Lage, aufgrund eines geplatzten Immobiliengeschäftes einem Interessenten die Provision zurückzahlen zu müssen, die er allerdings leichtsinnigerweise schon ausgegeben hatte. Für Uli war es selbstverständlich, dass er Siggi das Geld leihen würde. Aber dieser eigenartige Interessent hatte darauf bestanden, das Geld in bar ausgezahlt zu bekommen. Uli wunderte sich einmal wieder über die undurchsichtigen Geschäfte der Immobilienmakler. Das waren doch alles Betrüger.

Er hatte wirklich keine Ahnung, was sich in seiner Kneipe zugetragen haben musste, nachdem er sie abgeschlossen hatte. Er hatte ein paar Gläser Wein und dazu wohl einige Calvados zu viel getrunken. Die Stimmung im Lokal war im Laufe des Abends immer ausgelassener geworden und er hatte ein Bombengeschäft gemacht. Das passierte nicht jeden Abend. Seitdem das Rauchen in Esslokalen verboten war, hatte sich ein Teil seiner rauchenden Stammkundschaft anderen Etablissements zugewandt, in denen sie weiterhin ihre Lunge malträtieren konnten. Diese Einnahmen fehlten in seiner Bilanz. Schon mehr als einmal hatte er sich gefragt, ob sein Lokal dem gegenwärtig grassierenden Kneipensterben entgehen würde. Aber gestern Abend hatte alles gestimmt. Schließlich war sein Stammgast Willy mit den letzten Gästen nach ein Uhr nachts aus dem Lokal gewankt und Uli hatte rasch sein Wirtshaus abgeschlossen und war dann in seiner Wohnung todmüde ins Bett gefallen.

Ein Umstand machte ihm allerdings schwer zu schaffen. Wie war der Täter in den Besitz eines Schlüssels zu seinem Lokal gekommen? Er musste einen Nachschlüssel gehabt haben, denn heute Vormittag beim Aufschließen der Tür wäre es ihm doch aufgefallen, wenn der Täter mit Gewalt die Tür aufgebrochen hätte. Es gab keine Spuren einer gewaltsamen Öffnung. Ein Diebstahl war es aber auch nicht, denn seltsamerweise war das Geld, das er für Siggi in seinem kleinen Tresor aufbewahrt hatte, unberührt. Das hatte er während der ersten Vernehmung durch die Polizei im Lokal noch feststellen können. Vor den Augen der Polizei hatte er den Inhalt geprüft und dann in seine Wohnung gebracht. Er konnte sich auf den Vorfall mit dem Toten überhaupt keinen Reim machen. Das ergab doch alles keinen Sinn!

Außer Siggi hatte niemand einen Schlüssel zum Lokal. Selbst Alina, seine ukrainische Köchin, kam immer erst, wenn er das Lokal aufgeschlossen hatte. Unaufhörlich kreisten seine Gedanken um das Geschehen, bis endlich sein Schlafbedürfnis den endlos vor sich hin ratternden Erinnerungsfilm seines Gehirns stoppte und ihn in einen unruhigen Schlaf entließ.