Mord am Main - Tödliche Liebe - Monika Rielau - E-Book

Mord am Main - Tödliche Liebe E-Book

Monika Rielau

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Beschreibung

Über Kommissar Saleh vom Frankfurter Polizeipräsidium bricht ein Albtraum herein. Ausgerechnet auf seiner eigenen Hochzeitsfeier in einem Frankfurter Luxushotel wird der Vater des Kommissars brutal ermordet. Damit nicht genug, kurz darauf findet die Polizei die Leiche einer schönen jungen Frau. Es stellt sich heraus, dass sie die Geliebte seines Vaters war. Sofort wird ihm von seinen Vorgesetzten kategorisch untersagt an der Aufklärung der beiden Straftaten mitzuarbeiten. Der Grund: Befangenheit. Mit diesem Verbot kann sich Kommissar Saleh nicht abfinden. Er versucht eigenmächtig die Wahrheit herauszufinden. Dabei stößt er in seinem eigenen Umfeld auf Abgründe, die er nie für möglich gehalten hätte.

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 1

Wie anmutig sie im Bett lag. Ihr langes blondes Haar flutete das nachtblaue Kissen wie flüssiges Gold. Die Hände hatte sie artig auf der Bettdecke wie zu einem Gebet gefaltet. Ihre Augen waren geschlossen, als würde sie schlafen. Sie sah so unschuldig aus. Ein Engel konnte nicht schöner sein. Mit brennendem Verlangen schaute er sie an. Er liebte sie, er liebte sie so sehr, dass er seine Augen nicht von ihr abwenden konnte. Von all den Frauen, in die er sich jemals verliebt hatte, war nur sie seine wahre Liebe gewesen. Und sie, ja, sie hatte ihn auch bis zum Wahnsinn geliebt. Das jedenfalls hatte sie ihm immer versichert. Sie liebte seinen makellosen, durchtrainierten Körper, an dem nicht ein überflüssiges Gramm Fett war, seine kurzgeschnittenen vollen dunkelbraunen Haare, in denen sie sich festkrallte, wenn sie sich liebten. Sie mochte seine Art, sie zu lieben, wenn er seinen harten Körper an ihren presste und sie in die rauschhaften Höhen der Leidenschaft führte. Nicht dass sie ihm das sagte, aber er wusste es, wenn sie wie ein zufrieden schnurrendes Kätzchen, dem alle Wünsche erfüllt worden waren, an seiner Seite lag.

Ihre Liaison dauerte schon an die zwei Jahre. Er war zu feige, fürchtete sie zu verlieren, wenn er seine wahren Wünsche geäußert hätte. Als er einmal sagte, er würde sie gerne heiraten, reagierte sie seltsam zurückhaltend, so dass er sie nicht weiter bedrängen wollte. Er hätte sie gerne mit allen Konsequenzen geehelicht und ihr seine Liebe zu Füßen gelegt. Aber das war es nicht, was sie wollte.

Bedauerlicherweise waren seine finanziellen Möglichkeiten als einfacher Angestellter in einem Warenhaus beschränkt und konnten ihre Wünsche nach ein bisschen mehr Luxus nur unzulänglich erfüllen. Nicht dass sie ihm das vorwarf. Es boten sich ja andere Möglichkeiten, ihre Sehnsucht nach all diesen schönen Dingen zu erfüllen, die einer Frau ihres Aussehens zustanden, wie sie meinte. Er wusste von dem Verhältnis zu ihrem ehemaligen Arbeitgeber, dem wohlhabenden Arzt mit jordanischen Wurzeln, in dessen Praxis sie viele Jahre als Arzthelferin ihren Dienst verrichtet hatte. Dessen eifersüchtige Ehefrau hatte vor einem halben Jahr Wind von dem außerehelichen Verhältnis bekommen und ihren Mann gezwungen, ihr umgehend zu kündigen. Natürlich hatte sie sofort einen neuen Job in einer anderen Praxis gefunden und die Beziehung zu dem Arzt weitergeführt. Sie ließ sich doch von einer missgünstigen Ehefrau nicht ihre Pfründe abjagen.

Er wusste auch, dass sie den Arzt nicht wirklich liebte, sondern nur von seiner großzügigen Art, sie zu verwöhnen, geschmeichelt war. Er tolerierte ihr doppeltes Spiel mit zusammengebissenen Zähnen, fühlte sich ohnmächtig und erniedrigt, wagte aber nicht, es ihr zu verbieten. Er wollte sie nicht verlieren.

Jetzt aber hatte sie ihm erzählt, dass ihr ehemaliger Arbeitgeber sich von seiner jordanischen Frau scheiden lassen wolle, um sie heiraten zu können. Daher könnten sie ihr Verhältnis nicht weiterführen, und sosehr sie es bedauere, ihre Wege müssten sich für immer trennen.

Während ihr diese tödlichen Worte mit einer verstörenden Gleichgültigkeit aus dem Mund strömten, glaubte er, der Boden tue sich auf, um ihn zu verschlingen. Sein Herz fing an zu rasen, er bekam keine Luft. Eine Panikattacke ergriff ihn, in seinem Kopf drehte sich ein dumpfer Schwindel. Er musste das Fenster öffnen und frische Luft schöpfen. Ein Leben ohne Viviane? Unvorstellbar! Nein, das konnte er nicht zulassen. Nur weil ein reicher, in die Jahre gekommener Mann ihr mehr vom Leben bieten konnte als er, sollte er auf sie verzichten müssen? Nein, unmöglich! Ohne sie hatte sein Leben keinen Sinn. Wenn es denn sein müsste, hätte er Viviane zähneknirschend weiterhin mit dem Arzt geteilt, aber sie überhaupt nicht mehr sehen und lieben zu können, das war zu viel von ihm verlangt.

Sie aber bestand auf ihrer neuen Lebensplanung und bat ihn, ihren Wunsch zu respektieren und sie ab sofort nicht mehr zu besuchen oder zu treffen.

An ihrem verabredeten Abschiedsabend klingelte er an ihrer Wohnungstür in einem großen Wohnblock in Frankfurt-Bornheim. Sie hatte ein paar Häppchen vorbereitet und sich selbst schon ein Glas Weißwein eingegossen. Er gab ihr nicht die Hand und küsste sie auch nicht. Ihr war es gleich.

»Lass es uns kurz und schmerzlos machen«, sagte sie lächelnd zu ihm, als sie die Tür öffnete.

Schmerzlos?, dachte er. Wie kannst du nur dieses falsche Wort in den Mund nehmen? Ihre unerhörte Leichtigkeit im Umgang mit seiner tiefen Liebe traf ihn ins Herz.

»Was willst du trinken? Ich habe Bier, oder willst du vielleicht lieber etwas Stärkeres, einen Whisky oder einen Schnaps?«

»Bring mir einen Whisky und gib ein paar Eisstückchen dazu.«

Während sie in der Küche mit dem Eis hantierte, stand er vom Sessel auf und goss mit zitternden Händen die ihm genannte Menge des Medikaments in ihr Weißweinglas und setzte sich wieder hin.

Es kam so, wie es ihm der Typ beschrieben hatte. Nachdem sie das Glas geleert hatte, war sie nach wenigen Minuten bewusstlos zusammengesackt. Er streifte sich die mitgebrachten Latexhandschuhe über, zog ihr die Schuhe aus, legte den reglosen Körper ins Bett, drückte ihr ein Kissen auf Mund und Nase und schloss seine Augen fest zu. Nur ein leichtes Aufbäumen hob ein einziges Mal ihren Körper ein paar Zentimeter vom Bett hoch, sonst kam kein Widerstand von ihr. Er presste das Kissen so lange auf ihr Gesicht, bis sie nicht mehr atmete. Er musste ihr keine Gewalt antun, sagte er sich. Als er das Kissen von ihrem Gesicht entfernte, schaute er sie aufmerksam und voller Liebe an. Sie lag da, als ob sie fest und friedlich schliefe. Jetzt war sie für immer sein, er musste sie mit keinem mehr teilen. Er schüttelte das Kissen kräftig aus, das er von einem Sessel im Wohnzimmer genommen hatte, und legte es wieder an seinen Platz.

Dann wischte er alles ab, was er in der Hand gehabt hatte, so dass man keine Fingerabdrücke von ihm finden konnte. Dass man seine Spuren sonst überall in der Wohnung finden würde, das wusste er und nahm es in Kauf.

Die Tropfen würden in ein paar Stunden nicht mehr nachweisbar sein. Jetzt war Freitagabend. Am Samstag war die Praxis ihres Arbeitgebers geschlossen. Niemand würde sie auf der Arbeit vermissen. Es würde dauern, bis man ihre Leiche fände.

Die Ärzte würden rätseln, an welcher Krankheit sie gestorben war. Es gäbe keine Wunden, keine blauen Flecke, keine Würgemale, überhaupt keine Hinweise auf ein Verbrechen Wahrscheinlich würden sie sagen, dass sie sich plötzlich ins Bett legen musste, weil ihr unwohl war. Unerwarteter Herztod! Warum sonst hätte sie sich angezogen ins Bett gelegt?

Noch einmal schaute er sie mit stiller Wehmut an, als er bemerkte, wie sich ihr rechtes Auge wie in Zeitlupe öffnete und ihn direkt ansah. Gleich darauf öffnete sich auch das linke Auge und starrte ihn, ebenso wie das rechte, vorwurfsvoll an. Mit einem Schrei des Entsetzens sprang er drei Schritte zurück und beobachtete geschockt das wiederbelebte Gesicht. Gleich würde sie aufstehen und ihn zur Rechenschaft für sein mörderisches Tun ziehen. Doch sie blieb liegen. Es war nur eine Reaktion des toten Körpers. Nach einigen Minuten überwand er sein Grauen und versuchte ihre Lider über die Augäpfel zu ziehen. Das linke Auge blieb schließlich geschlossen, aber das rechte Auge wollte sich selbst nach mehrfachen Versuchen nicht schließen lassen und schaute ihm still und anklagend bei seinen verzweifelten Bemühungen zu.

Nach einer halben Stunde verließ er erschöpft die Wohnung, verschloss sorgfältig die Tür, zog die Latexhandschuhe aus und verschwand aus dem Haus, ohne dass ihn jemand gesehen hatte. Sein unantastbares Alibi hatte er schon lange vorbereitet.

Das Auto hatte er weit weg vom Hochhaus geparkt, in dem Viviane wohnte. Auf den Weg dorthin taumelte eine graue Wolke auf ihn zu und legte sich wie ein erstickender Mantel um seinen Körper. Er hatte das Gefühl, durch schweres Wasser zu waten. Trotz des Beruhigungsmittels schlug sein Herz so schnell und laut, dass jeder Schlag in seinen Ohren dröhnte. Im Wagen ergriff ihn ein starkes Zittern. Es war ihm nicht möglich, die Pedale zu bedienen. Nach ein paar Minuten stieg er aus, ging langsam in Richtung des nahe gelegenen Günthersburgpark und drehte dort ein paar Runden. Danach fühlte er sich besser. Jetzt konnte er sich seinem eigentlichen Anliegen widmen.

Kapitel 2

Uli stand vor dem großen Spiegel in der Herrentoilette des Hilton Hotels in Frankfurt und richtete sich die verrutschte weiße Fliege. Der schwarze Frack stand ihm gut, das musste selbst er zugeben. Aber war er wirklich die Person, die er im Spiegel sah, oder nur eine Karikatur seiner selbst? Er fühlte sich unbehaglich. Ihm fehlte die gewisse Lässigkeit für das Tragen eines solchen Kleidungsstücks. Nein, der Mann da im Spiegel, das war nicht er. Das war ein verkleideter Pinguin. Nur gut, dass Siggi den weißen Frack trug, denn darin wäre er sich noch seltsamer vorgekommen. Im Gegensatz zu ihm trug Siggi den Frack, als wäre er damit auf die Welt gekommen, und er sah verdammt gut darin aus, das musste Uli neidlos anerkennen. Die fünf Zentimeter mehr, um die ihn Siggi überragte, und die Pose eines Mannes von Welt, in die er mit dem Anziehen des Fracks geschlüpft war, verliehen ihm die Aura eines weltläufigen Dandys. Wenn Uli nicht sowieso in Siggi verliebt gewesen wäre, dann hätte er sich noch an diesem Tag hoffnungslos in ihn verknallt.

Wieso war er nur auf die verrückte Idee gekommen, dass sie im Frack heiraten sollten? Es war sein ureigener Vorschlag gewesen, nicht einmal Siggi hatte ihn dazu gedrängt. Später, als er darüber nachdachte, hätte er liebend gerne einen Rückzieher gemacht. Aber das konnte er seinem Freund nicht antun, der sich wie ein Kind gefreut hatte, als Uli die Heirat im Frack vorschlug. Siggi hätte es gefallen, wenn sie beide im weißen Frack geheiratet hätten, aber das wollte Uli auf keinen Fall, da käme er sich wie eine Schnee-Eule vor, hatte er Siggis Idee abgeschmettert. Nur gut, dass der Frack nur ausgeliehen war. Nie wieder schwor er sich, würde er sich in so ein einengendes Kleidungsstück zwängen. Er warf noch einen Blick auf die jetzt wieder gerade sitzende Fliege, verließ die Toilette und machte sich auf den Weg in den Festsaal, in dem sie ihre Heirat, die sie vor ein paar Tagen auf dem Standesamt in Frankfurt besiegelt hatten, hier im Hilton mit ihren Freunden und Bekannten feierten. Auf dem Weg dahin begegnete er Siggi, der mit federnden Schritten und einem selbstsicheren Ausdruck im Gesicht um die Ecke bog. Es gefiel Uli, wie Siggi mit dem Gang eines geschmeidigen Tigers auf ihn zukam.

»Hallo, schöner unbekannter Mann, wo soll es denn hingehen?«, Uli stellte sich Siggi in den Weg. »Kann ich Sie begleiten?«

»Hast du schon zu viel vom Sekt getrunken?« Siggi musste laut über die komische Anmache von Uli lachen.

»Komm, mein Geliebter, mein Gemahl, mein Ehemann, lass dich küssen, du siehst heute umwerfend aus.«

Bereitwillig ging Siggi auf Uli zu und ließ sich von Uli einen Kuss auf den Mund drücken. In diesem Moment bog ein Mann um die Ecke und blieb vor dem Paar stehen.

»Was ist denn das für ein Verhalten? Schämen Sie sich nicht, dass sich zwei erwachsene Männer wie Sie auf den Mund küssen?«

Die barsche Stimme riss Uli und Siggi aus ihrer Festtagslaune. Sie blickten sich um und sahen einen grauhaarigen älteren Mann, der sich vor ihnen aufgebaut hatte und sie mit zorniger Verachtung betrachtete.

»Wird man nicht mal im Hilton vor dieser widerlichen Zurschaustellung verschont? Ich werde mich bei der Direktion darüber beschweren.« Dann spuckte er vor ihnen aus.

»Was geht es Sie an, was wir hier machen? Und machen Sie sich nicht lächerlich! Das Mittelalter haben wir hinter uns gelassen. Lassen Sie uns einfach in Ruhe, Sie alberner Sittenwächter.« Uli wurde zornig. Was sollte das? Wer war der Scharfrichter, der sich anmaßte, die gleichgeschlechtliche Liebe zu verurteilen? Er musste sich zurückhalten, dem Alten nicht eine Ohrfeige zu verpassen.

Der Mann ging davon und murmelte Verwünschungen vor sich hin. Uli meinte, dass er einen arabischen Eindruck auf ihn gemacht hatte, obwohl er fast perfekt Deutsch gesprochen hatte.

»Komm, Siggi, lassen wir uns von diesem Idioten nicht unser Fest verderben.«

Sie gingen in den Saal zurück zu ihrem Fest, waren aber doch so aufgewühlt, dass sie ihren engsten Freunden von dem Vorfall erzählten. Es gab einen empörten Aufschrei über das Verhalten des Mannes und eine erregte Diskussion darüber, dass die Akzeptanz von Schwulen noch immer keine Selbstverständlichkeit sei.

Uli schaute sich im Saal um. Gerade wurden die Teller des Hauptgangs abgeräumt. Das Rinderfilet Wellington mit Sauce Périgord, verschiedenen in Butter gedünsteten Gemüsesorten und Pommes Duchesse war ausgezeichnet gewesen, wenn auch das Fleisch schon etwas kalt war, als es serviert wurde. Jetzt wartete man auf den Nachtisch. Er konnte sich nicht beklagen. Das Essen war wirklich vorzüglich und hatte sicher den meisten Gästen gut geschmeckt. Siggi in seinem weißen Frack saß neben ihm und unterhielt sich angeregt mit Annalene Waldau, der rehabilitierten Polizeipräsidentin, die vor einigen Tagen wieder ihre alte Position im Frankfurter Präsidium eingenommen hatte. Uli war zufrieden. Seine Gäste schienen das Hochzeitsmenü zu genießen.

Kapitel 3

Hauptkommissar Khalil Salehs Hochzeitsfeier sollte am Valentinstag stattfinden und ganz im Zeichen der Liebe stehen. Brigitte Fresenius hatte nur verliebt gelächelt, als er sie über diesen Umstand in Kenntnis setzte. Ihr war jedes andere Datum genauso lieb.

Offenbar schien es für dieses Datum noch andere Heiratswillige zu geben, denn im Hilton, das sie für die Feier ausgesucht hatten, waren sie an diesem Tag nicht die einzige Hochzeitsgesellschaft. Die Feier sollte in einem Hotel stattfinden, damit die auswärtigen Gäste, insbesondere die zahlreiche jordanische Verwandtschaft des Kommissars, dort übernachten konnte.

Die Feier war in vollem Gange. Alle amüsierten sich prächtig. Es wurde gescherzt, gelacht, gegessen und getrunken.

Khalil im schwarzen Anzug, der wie immer perfekt saß, konnte keinen Blick von seiner Frau wenden. Sie sah einfach hinreißend aus in dem altweißen hochgeschlossenen langärmeligen Taftkleid. Voller Stolz betrachtete Khalil seine schöne Braut. Selbst seine Mutter musste zugeben, dass ihre neue Schwiegertochter, wenn sie schon keine Muslima war, der Familie wenigstens optisch keine Schande machte. Brigitte erntete jede Menge Komplimente von der angereisten Verwandtschaft.

Nur Khalils Vater, Dr. Yasin Khalil, ein in die Jahre gekommener Gastroenterologe mit einer florierenden Praxis im Herzen Frankfurts, nahm wenig Notiz von seiner Schwiegertochter. Er schien etwas nervös zu sein.

Immer wieder erhob er sich und sagte, dass er gleich wieder da sei. Eben wollte er wieder den Saal verlassen. Schon stehend ergriff er sein Weinglas und trank es in einem Zug aus, während seine Frau Leyla ihn strafend anschaute und murmelte, dass er aber sehr häufig die Toilette aufsuchen müsse.

»Ist etwas mit dem Essen nicht in Ordnung?«, fragte sie. »Vielleicht ist die Küche überlastet.«

»Was für ein Schmutz findet sich hier.« Ihr Mann war schlecht gelaunt in den Saal zurückgekommen. Leyla dachte, dass er mit dieser Bemerkung dem Essen mangelnde Hygiene unterstellte. Sie fragte nicht weiter, da sie ihrem Sohn nicht das Fest verderben wollte, auch wenn Khalil gegen ihren Willen eine Christin geheiratet hatte.

In diesem Moment erhob sich auch ihr Schwiegersohn Omar, der seit Jahren mit ihrer Tochter Fatma verheiratet war. Er winkte Fatma und seiner Mutter mit einer bedauernden Geste zu und verließ das Festzimmer. Fatma eilte zu ihrer Mutter und sagte ihr, dass Omar sich nicht wohlfühle und daher nach Hause gehe.

»Was sind denn das für Geschichten? Erst dein Vater und jetzt Omar. Sind die Männer in unserer Familie so empfindlich, dass sie das Essen nicht vertragen? Was sollen denn unsere Verwandten denken? Ich wusste es von Anfang an, diese Hochzeit steht unter keinem guten Stern«, empörte sich Leyla.

»Ich glaube nicht, dass es am Essen liegt. Omar ging es schon heute Morgen nicht gut. Er dachte wohl, dass sich seine Übelkeit mit der Zeit legt, aber jetzt wurde es so schlimm, dass er nicht länger bleiben konnte.«

Leyla blickte missbilligend in die Runde und ganz besonders auf ihren reizbaren Mann, der bereits wieder von seinem Stuhl aufgestanden war.

Yasin Saleh wollte nicht erneut die Waschräume aufsuchen. Er wollte ungestört telefonieren. Seit Stunden hatte er keine Nachricht von seiner Freundin erhalten. Sie nahm nicht ab. Er war zutiefst beunruhigt. Als er die Eingangshalle des Hilton betrat, fragte er die Rezeptionistin unbeherrscht, wie er am schnellsten wieder zu der Hochzeitsgesellschaft kommen könne. Die junge Frau wies ihm den Weg. Noch immer in Gedanken riss er die Saaltür auf und sah sich den beiden Männern gegenüber, die er zuvor in einem Kuss vorgefunden hatte. Sie schwebten in einem langsamen Walzer versunken direkt an ihm vorüber. Ihre Schritte wurden von der Musik aus dem Hintergrund und dem Klatschen der anderen Anwesenden begleitet, die festlich gekleidet an einer hufeisenförmig arrangierten Tafel saßen. Trotz des gedämpften Lichts funkelten die Gläser tausendfach.

Dr. Saleh sah rot. »Verlassen Sie sofort diese Hochzeit. Was fällt Ihnen ein, sich in die Feier anderer Menschen zu mischen? Khalil, unternimm etwas, sofort!«

Yasin Saleh sah sich suchend um. Von seinem Sohn war keine Spur zu sehen. Er blickte in unbekannte lächelnde Gesichter, die sich köstlich zu amüsieren schienen. Schließlich bemerkte der elegant gekleidete grauhaarige Jordanier seinen Irrtum und verstand, dass hier zeitgleich zur Hochzeit seines Sohnes zwei Männer ihre Vermählung feierten.

»Verlassen Sie sofort das Hotel und nehmen Sie gleich das ganze Gesindel mit.«

Er machte eine kurze Pause und holte tief Luft, wobei er Uli am Frackrevers zu fassen bekam und schüttelte.

»Sie haben kein Recht zu heiraten. Sie sind nicht Mann und Frau. So etwas darf es nicht geben.«

Uli befreite sich mit Siggis Hilfe. »Raus hier. Stören Sie unsere Feier nicht länger. Wir sind alle gleichberechtigt. Lassen Sie uns in Ruhe!«

Siggi schüttelte leise lächelnd den Kopf. Annalene war aufgesprungen und trat auf den vor Wut schäumenden Mann zu. »Sie sind ganz offensichtlich in die falsche Gesellschaft geraten. Ich begleite Sie zur Rezeption, und wir fragen, wo Sie tatsächlich hingehören.«

Dr. Saleh wurde nur noch wütender. »Man hätte es mir sagen müssen, dass sich hier gleichzeitig eine Schwulenparade abspielt. Niemals hätte ich unter diesen Umständen unsere Feier in diesem Hotel ausgerichtet. Was für ein korrupter Laden.«

Annalene holte tief Luft und versuchte den alkoholisierten Arzt aus dem Saal zu bugsieren. Siggi riss die Tür auf. Irgendetwas kam ihr an dem älteren Herrn bekannt vor. Sie wusste nur nicht, was es war.

Der Arzt drehte sich noch einmal um und rief in den Saal zurück, dass die Angelegenheit ein Nachspiel haben würde. Diese Beschmutzung seiner Feier würde er nicht hinnehmen. Sie seien eben nicht gleichgestellt. Er würde den Schwulenpakt zu zerstören wissen.

Vor der Tür schüttelte er Annalene ab. »Gehen Sie! Ich finde mich alleine zurecht.« Dr. Saleh hatte die Orientierung wiedergefunden und betrat die Räumlichkeit, in der seine Familie feierte. Anstatt neben seiner Frau wieder Platz zu nehmen, ergriff er zum zweiten Mal sein gefülltes Glas Wein, das seine Frau Leyla mit Abscheu betrachtete, und verlieh unbeherrscht seinem Unmut Ausdruck. »Dass es hier eine Schwulenhochzeit gibt, hätte ich nie gedacht. Ich habe gesehen, wie sich zwei Männer küssten. Das kann man nur noch herunterspülen.« Damit trank er das volle Glas mit einem Zug aus und kündigte an, dass er dringend an die frische Luft müsse und verließ erneut den Saal. Leyla sah ihn verärgert nach.

Er öffnete eine Tür, von der er annahm, dass es sich um den Hintereingang handeln müsse, denn er wollte noch einmal unbeobachtet telefonieren. Erstaunt starrte er auf die spiegelglatte Wasserfläche des hoteleigenen Schwimmbads, die sich vor ihm ausbreitete.

Das Wasser übte eine eigenartige Faszination auf ihn aus. Zu seinen schmerzlichen Defiziten gehörte es, dass man ihm nie das Schwimmen beigebracht hatte. Die Ruhe des Wassers und die glänzende Oberfläche zogen ihn magisch an und erschreckten ihn zugleich. Die Hallenbeleuchtung spiegelte sich im Wasser.

Er trat an den Beckenrand, als er plötzlich schnelle Schritte hinter sich hörte. Noch bevor er den Blick wenden und sich umdrehen konnte, rammte ihm jemand ein Messer in den Rücken und warf ihn mit einem kräftigen Stoß weit in das Becken hinein. Während er wild um sich schlagend und laut schreiend unterging, dachte er nur daran, dass das Wasser sein Mobiltelefon zerstören würde und er Viviane nicht sprechen könnte. In immer größer werdenden konzentrischen Ringen breitete sich das blutig gefärbte Wasser bis an die Wände des Schwimmbades aus. Niemand hörte seine verzweifelten Rufe. Schließlich wurde es totenstill.

Der hochgewachsene kräftige Täter in seinem schwarzen Mantel verließ eilends das Schwimmbad und verschwand durch eine Nebentür auf die Straße. Er schien sich mit den lokalen Gegebenheiten des Hotels bestens auszukennen.

Aus dem Schatten einer halbgeöffneten Badekabine löste sich kurz darauf eine Gestalt, die fassungslos auf den zunächst noch zappelnden und dann in einem langsamen Todeskampf sich windenden Mann starrte. Sie machte allerdings keine Anstalten, die vor ihren Augen ertrinkende Person aus dem Wasser zu ziehen. Nach einem letzten Blick auf das Opfer verließ sie kopfschüttelnd das Hotel auf dem gleichen Weg wie der Mörder.

Kapitel 4

Der Sicherheitsbeauftragte des Hilton gähnte herzhaft und dehnte sich, lehnte sich weit im Stuhl zurück und streckte die Arme aus. Als er sich wieder seinem Playboy zuwenden wollte, den er bereits dreimal durchgesehen hatte, warf er einen kurzen Blick auf die ihn umgebenden Monitore. Alles schien ruhig zu sein. Er hatte die Lage wie immer unter Kontrolle. Doch dann stutzte er. Befand sich da nicht eine Person im Schwimmbad? Sie schien im Wasser zu treiben. Sofort verständigte er den Portier. Er sollte ihn in die Schwimmhalle begleiten. Er fürchtete sich, alleine dahin zu gehen.

Zunächst sah es so aus, als ob einer der Hochzeitsgäste ein Bad nahm und sich treiben ließ. Doch in der Halle bemerkten die beiden Männer sofort das rotgefärbte Wasser. Der Sicherheitsbeauftragte setzte umgehend einen Notruf bei Polizei und Feuerwehr ab, während der Portier zur Rezeption eilte, um die Direktion zu informieren.

Keine fünf Minuten später kamen Polizeiwagen, die Rettung, ein Notarzt, die Feuerwehr und ein Gerichtsmediziner. Ihnen folgten die Spurensicherung und ein Beamter in Zivil. Vor dem Hilton durchzuckten Blaulichter die Nacht. Alle Beteiligten begaben sich im Laufschritt in das Hotelschwimmbad, gefolgt von dem aufgeregten Manager. Zwei der Feuerwehrleute sprangen ins Wasser, um den treibenden Körper zu bergen. Als sie ihn mit Hilfe weiterer Kollegen auf den Fliesen abgelegt hatten, war nur noch der Tod festzustellen.

Annalene Waldau, die ehemalige und nach ihrer zeitweiligen Suspendierung jetzt wieder amtierende Polizeipräsidentin von Frankfurt, hatte ein feines Gespür für die sich in ihrer Nähe ausbreitende Unruhe. Beim Öffnen der Saaltür durch einen Kellner meinte sie ein Blaulicht gesehen und eine gewisse Hektik auf dem Flur bemerkt zu haben. Sie stand auf und begab sich in die Empfangshalle, durch deren Fenster sie zu ihrem Erstaunen die vielen Einsatzfahrzeuge sah. Ein Blaulicht warf seine hektischen Zuckungen auf den Eschersheimer Turm. Die Dame an der Rezeption wollte ihr zunächst keine Auskunft geben. Annalene zeigte ihr den Dienstausweis und wurde in die Schwimmhalle geschickt. Sofort erkannte sie den auf dem Boden liegenden arabisch aussehenden eleganten älteren Herrn wieder, der sich in die Hochzeitsgesellschaft von Uli und Siggi verirrt hatte. Sie forderte den herbeigeeilten Manager des Hotels und den ebenfalls hinzugetretenen Kommissar dazu auf, alle Hoteleingänge abzuriegeln. Niemand solle das Haus verlassen.

Erst danach begrüßte sie Kommissar Horst Müller. Sie war erstaunt, dass er den Einsatz leitete. Müller erklärte ihr, dass sein Kollege Saleh heute geheiratet hatte und jetzt die Hochzeitsfeier im Hilton stattfand, deshalb hätte er dessen Schicht übernommen.

»Ach so«, meinte die Polizeipräsidentin und ließ sich zu der zweiten Gesellschaft bringen, zu der der Tote gehören musste. Sie öffnete die Tür und sah sich um. Eine Sekunde später trafen ihre Augen auf Khalil Saleh. Sie erschrak, als sie die Ähnlichkeit mit dem Toten erfasste.

»Herr Saleh, zuerst einmal meine herzlichen Glückwünsche zur Hochzeit.« Lächelnd gab sie auch Brigitte die Hand. Dann kam die Polizeipräsidentin übergangslos zur Sache. »Herr Saleh, vermissen Sie einen Ihrer Gäste?«

Hier mischte sich Fatma, die Schwester von Kommissar Saleh, in das Gespräch ein.

»Mein Mann Omar hat ungefähr vor einer halben Stunde die Hochzeitsfeier verlassen. Er hatte starke Kopfschmerzen und ihm war übel, deswegen ist er nach Hause gefahren.«

Saleh schaute verblüfft auf seine Schwester. Ihm war der Abgang seines Schwagers gar nicht aufgefallen. Ein weiterer Blick zeigte ihm, dass auch sein Vater nicht anwesend war. Was war geschehen?

Seine Augen weiteten sich. »Ist, ist … etwas passiert?«

Seine Chefin legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich fürchte ja, kommen Sie bitte mit.«

Gemeinsam betraten sie die Schwimmhalle. Im kalten Licht des hell erleuchteten Schwimmbads erkannte Khalil sofort seinen Vater. Mit zwei Schritten war er bei ihm. Weinend kniete er nieder und warf sich über den Leichnam.

»Kal, bitte, steh auf! Du verwischst sonst mögliche Spuren.« Sein Kollege Horst Müller musste Khalil mit strenger Stimme an die notwendigen kriminalistischen Maßnahmen erinnern.

Betroffen stand Khalil auf. Natürlich wusste er als Polizist, wie er sich in einem solchen Fall zu verhalten hatte. Angesichts seines toten Vaters hatte er einen Augenblick vergessen, seine persönlichen Gefühle zu beherrschen.

Die Polizeipräsidentin stand neben ihm und sprach ihn an. »Es tut mir so leid, was passiert ist. Es ist unsagbar traurig.« Sie machte eine Pause.

»Sie müssen jetzt alle Ihre Kräfte mobilisieren, um diese Situation durchzustehen. Ich hätte Sie gerne für eine Weile beurlaubt, um alles zu regeln. Ihr Kollege wird inzwischen sein Bestes tun, um den Fall schnell zu klären.« Annalene Waldau kam sich etwas rüde vor. In ihrem Amt musste sie nicht oft den Angehörigen den Tod eines Familienmitglieds übermitteln.

»Ich bringe Sie jetzt zu Ihrer Familie und werde die Sachlage darstellen. Leider müssen sich alle Anwesenden für eine erste Befragung bereithalten. Aber das kennen Sie. Sie selbst müssen sich wegen der verwandtschaftlichen Verhältnisse natürlich strikt aus diesem Fall heraushalten, das muss ich Ihnen nicht besonders ans Herz legen.«

Als sie das sagte, warf sie ihm einen scharfen Blick zu. »Siewissen doch, wohin es in meinem Fall geführt hat. Bitte halten Sie sich genau an die diesbezüglichen juristischen Vorgaben.«

Kapitel 5

Frau Waldau wandte sich Kommissar Horst Müller zu. »Sie müssen jetzt zu der anderen Hochzeitsgesellschaft gehen, um dort die Zeugenaussagen aufzunehmen. Ich zeige Ihnen den Weg.«

Sie drehte sich zu dem noch immer wie betäubt wirkenden Khalil Saleh um. Behutsam nahm sie ihn am Arm. Er gehorchte willenlos. Sie hielt ihn untergehakt fest. Bevor sie ihn wegführte, gab sie Kommissar Müller einen Hinweis mit auf den Weg zu seiner Vernehmungsrunde.

»Das Hochzeitspaar, also die beiden Herren, haben sich ziemlich aufgeregt über einen Auftritt des Ermordeten in ihrer Gesellschaft. Danach haben wir jedoch schnell wieder fröhlich weitergefeiert. Nur Herr Ulrich Reinhold war einmal kurz unterwegs. Fragen Sie ihn doch, ob ihm dabei etwas aufgefallen ist. Ich komme später dazu. Jetzt habe ich die schwere Aufgabe, Herrn Saleh zu seiner Familie zu begleiten.«

Horst Müller folgte dem ausgestreckten Arm seiner Chefin. Der Geräuschpegel tat sein Übriges als Wegweiser. Er öffnete die Saaltür. Niemand nahm von ihm Notiz. Er räusperte sich. Schließlich griff er sich einen Löffel und klopfte an ein herrenloses Glas. Jetzt wandten sich ihm alle Blicke zu.

»Meine Damen und Herren, bitte entschuldigen Sie die Unterbrechung. Ich stehe im Auftrag von Frau Waldau, der Frankfurter Polizeipräsidentin, vor Ihnen mit der traurigen Pflicht, einen Todesfall anzuzeigen. Der Gast einer anderen Hochzeitsfeier hier im Haus wurde tot aufgefunden. Er wurde ermordet. Vor kurzem muss er sich in Ihre Gesellschaft verirrt haben.«

Dieser Ankündigung folgte ein betroffenes Schweigen. Uli sah Siggi an. Dieser erwiderte seinen Blick.

»Ich darf mich vorstellen. Ich bin Hauptkommissar Horst Müller und werde jetzt der Reihe nach Ihre Personalien und Ihre Beobachtungen aufnehmen.«

Horst Müller begann an dem Tischende, an dem die blasse Alina saß.

Uli hatte lange überlegt, ob er seine ehemalige Köchin überhaupt einladen sollte, sich aber schließlich doch dazu durchgerungen. Noch immer hatte er ihr nicht verziehen, dass sie ihm vor einigen Monaten wegen ihres neuen Freundes, einem Bestatter, kurzfristig die Arbeit aufgekündigt hatte. Er hatte aber darauf bestanden, dass sie ohne Alban Erdreich, ihrem neuen Partner und Arbeitgeber, zur Feier kam. Uli vermisste seine ehemalige Köchin immer noch. Neben ihr saß Anna, eine in den Ruhestand getretene Wirtin aus der Klappergasse, die Uli schon lange kannte und die ihn einmal während seines Urlaubs vertreten hatte. Uli mochte ihr lautes Lachen, das Gläser zum Klirren bringen konnte.

Horst Müller notierte alle Angaben und hörte unisono, dass der elegante arabischstämmige Irrläufer sehr ausfallend geworden war.

Schließlich hatte sich Kommissar Müller zu Uli und Siggi, dem Hochzeitspaar, vorgearbeitet. Seine grauen Haare klebten schon nass geschwitzt an seinem Kopf. Müller überlegte kurz, ob auch Männer in die Wechseljahre kommen konnten. Er deutete auf Uli. »Ihr Name?«

Uli nannte ihm seine Daten. Horst Müller erinnerte sich an den Hinweis seiner Chefin.

»Wie ich hörte, waren Sie einmal kurz abwesend. Wann war das genau? Wo waren Sie? Ist Ihnen etwas aufgefallen.«

Uli meinte, dass er kurz nach dem beleidigenden Auftritt des schwulenfeindlichen Herrn einen Ort gesucht habe, um sich zu beruhigen, denn der Vorfall hatte ihn mehr aufgeregt, als er zugeben wollte. Da sei ihm eingefallen, dass er sich zur Entspannung ein Weilchen auf die Terrasse des Hotels setzen könnte, von der man einen schönen Blick auf den netten kleinen Park auf der Rückseite des Hilton hatte. Außer ihm sei keiner da gewesen. Er wäre auch sicher nicht länger als zehn Minuten weggeblieben.

Kommissar Müller schrieb alles emsig mit. Abschließend gönnte er Uli einen vielsagenden Blick. Dann wandte er sich Siggi zu. »Nennen Sie mir bitte Ihre Personalien? Können Sie die Aussage Ihres Partners bestätigen?«

Siggi sagte ihm, dass er jetzt Siegbert Reinhold hieße, geborener Ranke, und dass sein frisch angetrauter Mann alles wahrheitsgemäß wiedergegeben hätte.

Dann wandte sich Horst Müller einem gutaussehenden Asiaten zu. Vauki von Kiliansfürsten, ein guter Freund von Uli und Siggi aus Wiesbaden, war der exotischste Gast der Gesellschaft. Er trug ein extravagantes graues Gewand des japanischen Modeschöpfers Kenzo, als hätte man es ihm auf den grazilen Leib geschneidert. Angesichts dieser Eleganz blickte Horst Müller an sich herunter und stellte fest, dass seine Schuhe wieder einmal geputzt werden mussten.

Es dauerte eine Weile, ehe alle Teilnehmer der Gesellschaft befragt worden waren. Viele der Anwesenden waren Stammgäste in Ulis Lokal Kleines Wirtshaus. Auch die kapriziöse Mira Schönfelder und ihr Anwalt waren der Einladung gefolgt. Horst Müller war sehr überrascht, unter den Hochzeitsgästen auch den Ehemann seiner Chefin, Annalene Waldau, zu treffen. Er wusste, dass sie in Scheidung lebte. Das ganze Präsidium sprach darüber. Nicht nur das wunderte ihn, sondern auch, dass die Polizeipräsidentin an der Hochzeitsfeier der beiden Schwulen teilgenommen hatte. Eher hätte er vermutet, dass sie Gast bei der Hochzeit seines Kollegen Khalil Saleh war.

Er konnte nicht wissen, dass Siggi und Annalene Waldau schon eine längere Freundschaft pflegten, die noch daher stammte, als Siggi mit dem Cousin der Polizeipräsidentin eine Liaison unterhielt, die allerdings tragisch geendet hatte.

Kapitel 6

Annalene Waldau, die wieder in Amt und Würden eingesetzte Polizeipräsidentin von Frankfurt, führte den gebrochenen Khalil Saleh zu seiner Familie. Die Gespräche verstummten, als das ungleiche Paar direkt auf Khalils Mutter zuging.

Annalene erklärte mit sachlichen Worten, dass es einen schrecklichen Vorfall gegeben habe. Sie blickte Leyla direkt in die Augen und sagte, dass ihr Mann tot sei. Leyla zuckte zusammen. Auch Khalil sah seine Mutter ernst an. Sie verstand. Ein Zittern ergriff ihren Körper, und sie begann sich hin und her zu wiegen. Fatma sprang auf und kam um den Tisch. Sie nahm ihre Mutter fest in die Arme. Khalil erklärte seiner Schwester, was passiert war.

Fatma wandte sich an die Anwesenden. »Papa ist tot. Er wurde im Hotelschwimmbad umgebracht.«

Ein Aufschrei ertönte einstimmig, bevor die Frauen aus Jordanien in einen Klagegesang verfielen.

Annalene Waldau schaltete sich schnell ein, bevor ein Tumult losbrach. »Liebe Familie Saleh, ich bin bestürzt über die Tatsache, dass Herr Dr. Saleh vor wenigen Minuten gewaltsam zu Tode gekommen ist. Mein Beileid gilt der Familie und allen Freunden. Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen eine Befragung nicht ersparen kann. Bitte beschreiben Sie der Reihe nach, was Ihnen an Herrn Dr. Saleh an diesem Abend aufgefallen ist. Gab es außergewöhnliche Vorfälle? Ich schicke Ihnen gleich meinen Mitarbeiter, Hauptkommissar Müller, er wird alles notieren«, sagte Frau Waldau.

Brigitte sprang auf und befreite den noch immer von der Präsidentin gestützten Khalil aus den Fängen seiner Chefin und hielt ihn nun fest umschlungen. Bevor die Polizeipräsidentin den Saal verließ, erinnerte sie Saleh noch einmal daran, dass er bei dieser Ermittlung nicht mitarbeiten könne.

»Sie erhalten von mir alle Zeit, die Sie benötigen, um sich um Ihre Familie zu kümmern.«

»Nein, ich muss arbeiten. Ich brauche die Arbeit, ich kann nicht untätig zuhause sitzen. Dann bricht die Welt über mir zusammen«, stammelte er.

Brigitte schüttelte stumm den Kopf, aber irgendwie verstand sie ihren Mann.

»Ich erwarte Sie morgen Vormittag in meinem Büro, zusammen mit dem Kollegen Müller.« Annalene rief Horst Müller auf seinem Mobiltelefon an und beorderte ihn zu der Hochzeitsgesellschaft Saleh.

Die Polizeipräsidentin lächelte Brigitte aufmunternd zu und verließ den Saal.

Bevor Annalene Waldau wieder zur Hochzeitsgesellschaft Reinhold ging, betrat sie noch einmal die Schwimmhalle. Die Spurensicherung war noch am Werk. Der Tote war allerdings bereits auf dem Weg in die Rechtsmedizin. Der Leiter der Spurensicherung teilte ihr mit, dass Videoaufzeichnungen aus den Überwachungskameras sichergestellt worden seien. Sobald diese ausgewertet wären, erhielte sie einen Bericht. Die Polizeipräsidentin dankte, drängte auf Schnelligkeit und verließ das Schwimmbad.

Zurück im Festsaal nickte sie kurz ihrem Mann zu. Wolfgang Waldau sah nicht sehr begeistert aus. Annalene ging mit energischen Schritten auf Uli zu.

»Herr Reinhold«, sagte sie streng. »Ich hoffe, dass Sie sich im Griff hatten angesichts der Beleidigungen.«

Uli wollte aufbrausen, verstand aber im letzten Moment, dass er genau das nicht durfte. »Ich habe mit der Sache nicht im Mindesten etwas zu tun, das können Sie mir gerne glauben.« Er blieb ganz ruhig.

Annalene nahm diese Äußerung kommentarlos zur Kenntnis und setzte sich zu ihrem von ihr eigentlich getrennt lebenden Mann. Sie lächelte ihn an. »Immer kommt etwas dazwischen, wenn ich gerade mit dir ein bisschen flirten will.«

»Ja, meine Liebe, aber leider muss ich dich jetzt deinem Schicksal überlassen. Maria wird bestimmt ungeduldig, wenn ich nicht bald komme.«

Ein Schatten huschte über Annalenes Gesicht.

»Sei froh, dass sie überhaupt zugestimmt hat, dass ich dich begleite. Ich konnte es nur durchsetzen, dich zu diesem ›offiziellen‹ Termin zu begleiten, indem ich ihr versprochen habe, bei der Gelegenheit mit dir über die Beschleunigung der Scheidung zu reden. Das Gespräch verschieben wir aufgrund der misslichen Umstände.«

Wolfgang Waldau grinste, stand auf und küsste die noch mit ihm verheiratete Annalene zum Abschied, so wie man seine Frau küsst.

Kapitel 7

Es hatte lange gedauert, bis Uli und Siggi von Kommissar Müller entlassen wurden. Erst lange nach Mitternacht kehrten sie in ihre Wohnung in Ulis Lokal »Das kleine Wirtshaus« in der Klappergasse zurück. Ihr Hund Tim verbrachte die Nacht bei Ulis betagter Nachbarin Frau Gerber, die sich freute, wieder einmal einen Hund zuhause zu haben, nachdem ihr eigener weißer Westi vor kurzem verstorben war.

»Welches miese Karma lässt uns eigentlich immer wieder mit diesem Kommissar Saleh zusammentreffen?« Uli war verärgert. »Die ganze schöne Hochzeitsfeier versaut. Dabei haben wir ein Vermögen dafür ausgegeben. Langsam glaube ich wirklich, dass die Sterne schuld daran sind, weil sie uns immer wieder in die Umlaufbahn dieses Kerls ziehen. Irgendwas muss da noch eine tiefere Bedeutung haben. Was will uns das Schicksal damit sagen?«

»Ach Quatsch, alles Zufall! Wenn wir gewusst hätten, dass dieser Saleh auch seine Hochzeitsfeier im Hilton feiert, wären wir doch nie und nimmer in dieses Hotel gegangen. Aber hast du seine Frau gesehen? Die sah wirklich toll aus, wenn ich das mal so aus meiner Sichtweise sagen kann«, Siggi kam ins Schwärmen.

»Na, der Saleh ist ja bedient. Ausgerechnet auf seiner Hochzeitsfeier wird sein Vater abgestochen. Das hat ihn ganz schön getroffen. Er war kreidebleich, als ich ihn gesehen habe. Wenigstens wird er dieses Mal nicht ermitteln. Ich hab gehört, wie deine Freundin Annalene gesagt hat, er wäre von den Ermittlungen entbunden, weil sein Vater das Opfer ist und er sich als Sohn wegen möglicher Befangenheit aus den ganzen Ermittlungen raushalten muss. Ich glaube, dass wir mit dem neuen Kommissar besser auskommen werden als mit diesem Saleh, der uns ja nicht leiden kann und das nur, weil wir schwul sind. Trotzdem habe ich ein bisschen Mitleid mit ihm. Am schönsten Tag seines Lebens geht sein Vater einfach für immer baden.« Uli ließ sich herab, ein bisschen Milde mit Kommissar Saleh walten zu lassen.

»Hast du gehört, was für ein Tumult ausbrach, als man der Hochzeitsgesellschaft sagte, dass das Mordopfer der Vater des Bräutigams sei. Diese Schreie und das Wehklagen, so etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gehört. Da müssen ein paar professionelle Klageweiber dabei gewesen sein. Das Geheule hat ja kein Ende genommen.« Siggi war von der lautstarken Leidensbekundung von Salehs Gästen tief beeindruckt.

»Das wird seine jordanische Verwandtschaft gewesen sein, die sich so aufgeführt hat. Kommen den ganzen weiten Weg nach Frankfurt, und auf dem Höhepunkt der Feier wird der Vater des Bräutigams umgebracht. Das muss man erst einmal verdauen. Nur gut, dass wir dieses Mal nichts mit dem Mord zu tun haben können. Das hoffe ich zumindest, denn so wie ich den Saleh einschätze, kriegt der es fertig und findet noch einen Grund, uns für den Mord an seinem Vater verantwortlich zu machen. Du wirst sehen, dass der seinen Kollegen so zusetzen wird, dass wir wieder als Mörder herhalten müssen.

Im Übrigen, hast du gesehen, wie blass unsere liebe kleine Alina war? Außerdem sah sie so, ja wie soll ich es sagen, so unproportioniert aus. Ich hatte schon einen Moment gedacht, dass sie schwanger sei. Richtig verhärmt sah sie aus. Das Zusammenleben mit diesem Alban, diesem Totengräber, scheint kein Zuckerschlecken für sie zu sein. Wenn sie weiter bei uns als Köchin im Kleinen Wirtshaus geblieben wäre, sähe sie auf jeden Fall gesünder aus. Dafür hätten wir schon gesorgt. Vielleicht bereut sie es schon, dass sie damals gekündigt hat. Ob ich sie mal ansprechen sollte?«