Mord an der Rheinbrücke - Andreas Graf - E-Book

Mord an der Rheinbrücke E-Book

Andreas Graf

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Beschreibung

In Konstanz am Bodensee wird in einer Villa bei der Rheinbrücke die Leiche einer jungen Frau gefunden. Erste Spuren der Ermittler führen nach München. Dort hatte sie in einem Hotel gearbeitet, in dem auch ihr Arbeitskollege Opfer eines brutalen Mordes wurde. Kommissar Emeran Schächtle findet Hinweise auf ein junges Liebespaar, das ins Allgäu geflohen ist. Schächtle weiß, dass sie Zeugen des Konstanzer Mordes waren. Im Zuge weiterer Ermittlungen stellt sich heraus, dass das Münchner Mordopfer einer Bande von Kriminellen angehört hat, gegen die das Opfer aussagen wollte. Schächtle gelingt es mit einer List, die ganze Bande nach Konstanz zu locken, um sie dort dingfest zu machen und den Fall zu lösen.

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Andreas E. Graf

wurde 1954 in Konstanz am Bodensee geboren.

Der Wunsch, einen Kriminalroman zu schreiben, der in seiner Heimatstadt Konstanz spielt, sowie die Idee zur Figur des Emeran Schächtle hatte er schon länger.

Andreas E. Graf lebt mit seiner Familie in Konstanz.

Ich danke …

… meiner Frau Barbara für die Unterstützung und Ratschläge während des Entstehens dieses Bodenseekrimis;

… meiner Tochter Jasmin Graf für die hilfreichen Vorschläge und die konstruktive Kritik;

… dem Oertel+Spörer Verlag für die gute Zusammenarbeit und die Möglichkeit zur Veröffentlichung eines weiteren Konstanz-Krimis;

… Der Pressestelle der Polizei Konstanz für die fachlichen Informationen zur Polizeiarbeit.

Andreas E. Graf

MORD AN DER RHEINBRÜCKE

Krimi

Oertel+Spörer

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel + Spörer Verlags-GmbH + Co. KG 2022

Postfach 16 42 · 72706 Reutlingen

Alle Rechte vorbehaltenTitelbild: ©adobe stock

Gestaltung: PMP Agentur für Kommunikation, Reutlingen

Lektorat: Ingeborg Kunze

Korrektorat: Sabine Tochtermann

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-96555-130-5

Besuchen Sie unsere Homepage und informieren Sie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.oertel-spoerer.de

PERSONEN

Kriminalpolizei Konstanz

KHK Emeran Themmes Schächtle

KK Karin Regina Reissner

KHM Angelika Fischer

KOR Eugen Schmitz, Leiter der Kripo Konstanz

Oberstaatsanwältin Lisa Marie Kreiser

Staatsanwalt Andrea del Monte

Kriminalpolizei München

KHK Josef Alois Freimoser

KK Peter Weiss

KHM Jakobine Loibl

Kriminalpolizei Sonthofen

KHK Karl Mairhofer

KK Anton Bruckner

KOM Franziska Tröndler

Huber-Bande München

Sven Huber, Bandenchef

Michaela Weberhof

Oleg Petrowka

Igor Petrowka

Frank Dieter Keiler

A&O Hotel Hackerbrücke München

Peter Steinpichler, Portier

Katharina Widmann, Reinigungskraft

Lisa Wernike, Reinigungskraft

Fischen/Allgäu

Alois Krieger, Bergbauer

Marlies Krieger, seine Frau

Franz Josef Krieger, Sohn

Magdalena Haller, Tochter

Hubert Haller, Schwiegersohn

Konstanz/Bodensee

Hans Dieter Hagensack, Fuhrunternehmer

Gisa Hagensack, seine Frau

Susanne Hagensack, Tochter

Eberhard Widmann, Bruder von Katharina

Wolfgang Ambs, Kriminalhauptkommissar a. D.

Franziskus Schächtle, Vater von Emeran

OSTERMONTAG, 9. APRIL 2012, 10.30 UHR

München

Blauer, wolkenloser Himmel und erste wärmende Sonnenstrahlen über der bayerischen Landeshauptstadt. Reger Straßenverkehr auf der Arnulfstraße. Ein großer renovierungsbedürftiger Betonbau ragt hoch empor. Vor dem Eingang des A&O Hotels, der zurückversetzt an der Straße liegt, stehen rauchende Gäste. Das Hotel ist wie immer ausgebucht. Etliche Jugendliche nutzen dieses Osterangebot, das für Münchner Verhältnisse sehr preiswert ist.

Stimmengewirr in der Eingangshalle. An der Rezeption drängen sich mehrere Hotelgäste. Der Portier hat alle Hände voll zu tun, um die Ungeduldigen zu bedienen. Ein 20-Jähriger geht an den Getränkeautomat neben der Rezeption und zieht sich ein alkoholfreies Getränk, um die Wartezeit zu verkürzen.

Katharina Widmann, eine von sechs Hotelangestellten, für das Reinigen und Aufräumen der Zimmer zuständig, läuft durch die Empfangshalle.

Seit fast fünf Jahren ist sie in München in diesem Hotel angestellt. Nicht ihr Traumjob, aber sie musste Geld verdienen. Sie kommt aus Konstanz, studierte dort Betriebs- und Volkswirtschaft. Doch das Nachtleben in der Bodenseestadt hat sie wie viele andere Studenten vom Lernen abgehalten. Hier traf sie auch Moritz, ihre große Liebe. Der hatte keine Arbeit, zog ihr das Geld aus der Tasche. Als er immer mehr wollte, entwendete sie ihren Eltern aus dem Tresor 10.000 Euro und gab sie ihrem Freund. Der Vater kam dahinter, verzichtete auf eine Anzeige, wenn sie Konstanz verließe. Er wollte mit seiner Tochter nichts mehr zu tun haben. Als sie das ihrem Liebhaber sagte, weil sie meinte, zu ihm ziehen zu können, jagte der sie fort. Sowieso wollte er nur ihr Geld, und sagte ihr ins Gesicht, zu mehr tauge sie nicht. Katharina war fassungslos, wusste nicht, was sie tun sollte. Wütend nahm sie eine Vase und zerschlug sie auf seinem Kopf. Wegen schwerer Körperverletzung wurde sie zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Das alles ist über zehn Jahre her. Nach der Bewährungszeit bekam sie den Job im A&O Hotel und zog nach München. Ihre Eltern waren in der Zwischenzeit gestorben. Den einzigen Kontakt hat sie noch zu ihrem Bruder Eberhard, Chef von Siemens in Konstanz. Er hat ihr verziehen, steht zu ihr.

Katharina läuft hinter die Rezeption:

»Ich gehe in den zweiten Stock.«

»Du siehst doch, was hier für ein Betrieb ist!«, ruft der 42-jährige Portier Peter Steinpichler.

»Meine Idee war es nicht, dass wir uns abmelden müssen.«

»Wo bist du?«

»Habe ich doch gesagt, im zweiten Stock. Hör mal richtig zu! Nicht nur du, auch ich habe Stress!«

Die kleine 45-Jährige mit den halblangen dunkelblonden Haaren läuft die kurze Treppe neben der Rezeption hinauf, holt ihren Reinigungswagen und schlendert zum Aufzug. Im zweiten Stock steigt sie aus und eilt zielstrebig zu Zimmer 226, klopft und öffnet gleichzeitig die Türe. Da sieht sie, wie sich jemand mit einer Pistole in der rechten Hand über einen Menschen beugt, der auf dem Bett liegt und sich nicht rührt. Die unbekannte Person sieht erschrocken die Reinigungskraft an, schießt auf sie, trifft jedoch nur die Wand und rennt hektisch auf den Balkon. Katharina Widmann schreit, und sieht, dass es eine Frau ist mit einer Narbe über das gesamte Gesicht. Sie rennt ihr nach über den Balkon zur Feuertreppe, in den Hinterhof, eilt in das Hotelzimmer zurück, und sieht, dass plötzlich eine schlanke, sportliche Frau mit langen braunen Haaren hereinkommt.

»Kriminalhauptmeisterin Jakobine Loibl vom Kriminalfachdezernat eins. Was ist passiert?«, fragt die 28-Jährige und zeigt ihre Dienstmarke.

»Der Mann ist tot, er wurde erschossen. Die Täterin habe ich gesehen, und wie sie geflohen ist.«

Loibl geht zu dem Toten hin, schaut ihn sich an und telefoniert.

»Meine Kollegen kommen gleich. Sie bleiben hier. Sind Sie sicher, dass es eine Frau war?«

»Ja, ich kann eine Frau von einem Mann unterscheiden.«

»Können Sie diese Person beschreiben?«

Katharina Widmann setzt sich auf einen Stuhl am Schreibtisch und weint.

»Nein, ich habe nur eine lange Narbe gesehen«, sagt sie schluchzend.

»Was für eine Narbe?«

»Die ging quer über das gesamte Gesicht.«

»Jakob, wo bist du?«, schreit jemand.

»Im Zimmer 226, Chef.«

Da kommen mehrere Polizeibeamte mit dem Rechtsmediziner.

»Das ist Frau Widmann, sie hat die Leiche gefunden«, sagt Loibl.

»Guten Morgen, ich bin Kriminalhauptkommissar Josef Freimoser vom Kriminalfachdezernat eins. Erzählen Sie uns, wie Sie den Toten gefunden haben.« Der 48-Jährige, groß und schlank, hat kurze, schwarz gefärbte Haare.

Katharina Widmann weint und zittert am ganzen Körper.

»Sie wollte das Zimmer reinigen und fand den Toten, über den eine Frau mit einer langen Narbe im Gesicht gebeugt war. Die flüchtete dann.«

»Jakob, ich will es von der Zeugin hören.«

»Du siehst doch, wie fertig die ist. Sie hat einen Schock und bekommt nichts raus. Übrigens ich heiße Jakobine!«

»Ich weiß, Jakob. Wir hätten hier doch früher bewachen sollen.«

Der Notarzt trifft ein, gibt Katharina eine Beruhigungsspritze.

»Wir werden sie ins Klinikum rechts der Isar bringen. Sie hat einen Schock, man kann sie derzeit nicht befragen.«

»Gut, Doktor! Wir kommen später dorthin. Erst müssen wir hier unsere Arbeit machen.«

Der Rechtsmediziner Dr. Waldemar Hösl tritt auf Freimoser zu:

»Der Mann hat drei Schüsse in der Brust – er war sofort tot.«

»Todeszeitpunkt?«, fragte Freimoser.

»Etwa vor einer Stunde, mehr nach der Obduktion.«

Die Leiche wird abtransportiert. Die KTU sichert die Spuren.

»Jakob, das wird Ärger geben. Wir hätten den Mann besser schützen müssen, er wurde sozusagen vor unseren Augen ermordet. Den Prozess können wir jetzt vergessen.«

Loibl seufzt und fragt:

»Kannst du dir vorstellen, wer ihn ermordet hat?«

»Das kann nur Mike gewesen sein!«

15 Uhr

Josef Freimoser und Jakobine Loibl betreten das Klinikum rechts der Isar. Sie gehen zur Anmeldung und sagen dem älteren Pförtner:

»Kriminalpolizei, wir müssen zu der Patientin Katharina Widmann«, und zeigen ihre Dienstmarken.

»Da müssen sie erst Professor Heilhuber fragen, ob die Patientin vernehmungsfähig ist.«

Kurz darauf kommt ein schlanker, großer Mann von etwa vierzig Jahren:

»Sie sind von der Kriminalpolizei?«

»Ja, Herr Professor. Wir müssen Frau Widmann befragen. Wie geht es ihr?«

»Gut, sie hat sich relativ schnell erholt. Wir können sie entlassen. Sehen Sie, da kommt sie schon.«

Katharina Widmann begrüßt die Kriminalbeamten und geht mit ihnen in ein Zimmer, wo sie reden können.

Sie setzen sich um einen rechteckigen Kunststofftisch, an dem vier Holzstühle stehen.

Katharina berichtet den Kriminalbeamten, wie sie den Toten gefunden hat, und fragt sie:

»Wieso hätten Sie den Mann schützen sollen?«

»Eigentlich dürfen wir das nicht sagen, aber es ist sowieso zu spät. Der Tote heißt Frank Dieter Keiler und war Mitglied einer Verbrecherorganisation. Er sollte als Kronzeuge vor Gericht aussagen. Deswegen haben wir ihn im Hotel versteckt«, erklärt Freimoser.

»Wir hätten nicht gedacht, dass die so schnell draufkommen, wo er ist. Die Presse wird uns deswegen wieder in der Luft zerreißen«, meint Loibl.

»Der Polizeidirektor wird auch nicht begeistert sein«, sagt Freimoser.

Katharina Widmann erschrickt:

»Da bin ich ja auch in Gefahr! Ich habe das Gesicht der Frau gesehen und sie meines. Die werden mich töten.«

Sie wird wieder nervös und weint heftig.

»Jetzt beruhigen Sie sich. Dazu ist kein Anlass, die wissen doch gar nicht, wie Sie heißen. Wir geben Ihnen Polizeischutz«, sagt Loibl.

»Dies hat bei dem Zeugen Keiler auch nichts genutzt. Meinen Namen bekommen die doch raus!«

»Was wollen Sie machen? Zurück ins Hotel?«, fragt Freimoser.

»Nein, ich fahre zu meinem Bruder nach Konstanz. Da fühle ich mich sicherer. Bringen Sie mich bitte zum Busbahnhof.«

DONNERSTAG, 12. APRIL 2012, 18 UHR

Konstanz

Susanne Hagensack steht vor der Eisdiele in der Theodor-Heuss-Straße.

Die 22-jährige schlanke Frau mit dem dunkelblonden Pagenkopf wartet auf ihren Freund Franz Josef Krieger. Die beiden studieren an der Uni Konstanz Jura. Dort hat sie ihn auch kennengelernt und sich sofort verliebt. Er ist der Traummann, den sie immer haben wollte. Am selben Tag gingen sie was trinken und dann übernachtete sie bei ihm. Normalerweise war sie damit nicht so schnell, aber sie hatte sofort das Gefühl, dass sie ihm vertrauen konnte.

Ihre Eltern mochten ihn nicht. Vor allem nicht ihr Vater. Der Fuhrunternehmer Hans Dieter Hagensack war der Meinung, dieser Student, der Sohn eines Bergbauern aus dem Allgäu, sei keine Partie für sein einziges Kind.

»Wartest du schon lange?«, fragt der 23-Jährige.

Er sieht gut aus, ist groß, athletisch und hat kurze braune Haare.

»Nein, bin gerade erst gekommen. Was machen wir?«

Er umarmt und küsst sie.

»Ich dachte, wir gehen was trinken.«

»Gute Idee. Anschließend zu dir?«

Er nickt und sie laufen Händchen haltend los.

Franz Josef hat eine kleine Wohnung in der Schreibergasse, neben ihrem Stammlokal Heimat. Sie laufen über die Theodor-Heuss-Straße zur Rheinbrücke. Die ist menschenleer, nur das verliebte Paar ist zu sehen. Franz Josef hält an, nimmt Susanne in den Arm und küsst sie stürmisch.

»Da!«, schreit Susanne, zeigt auf das Fenster einer hell beleuchteten Wohnung in einem Haus an der Ecke Zumsteinstraße. Sie sieht eine Frau und den Arm einer zweiten Person. Deutlich zu sehen eine große Brandnarbe am Handrücken, die eine Pistole umklammert. Dann knallt es mehrmals und die Frau bricht zusammen. Starr vor Schreck bleiben die beiden erst stehen, dann schreit Susanne und sie rennen vor Angst los. Bemerken jedoch, dass ein Mensch mit Waffe in der Hand sie auf der Rheinbrücke verfolgt. Schüsse fallen, aber sie werden nicht getroffen. Ein Fahrradfahrer fährt an ihnen auf dem Fußweg vorbei, direkt auf den Verfolger zu. Der stürzt hin, verliert seine Waffe, die in ein Gebüsch fällt. Mühsam holt er sie heraus und setzt die Verfolgung fort. Die beiden jungen Leute hetzen die Treppe zur Seestraße hinunter durch die Unterführung beim Ruderverein Neptun und eilen über die Steigung des Fahrradweges in die Spanierstraße. Dort kommen ihnen mehrere Spaziergänger und Fahrradfahrer entgegen. Ein jüngerer Radfahrer hätte sie fast gerammt, da sie auf dem Radweg laufen. Der Radler flucht, verliert die Kontrolle und stürzt auf den nebenliegenden Rasen. Die beiden Verliebten meinen, dass sie ihren Verfolger abgeschüttelt haben. Doch die Person ist immer noch hinter ihnen her. Susanne dreht sich um, sieht, dass es eine Frau ist mit einer Narbe quer über das ganze Gesicht. Auf dem Benediktinerplatz rennen die beiden zur Polizei, die Verfolgerin bricht die Jagd ab und läuft eilig Richtung Innenstadt.

Außer Atem betreten sie den Eingangsbereich des Polizeigebäudes, gehen an der nicht besetzten Anmeldung vorbei und setzen sich auf die mit blauem Stoff bezogenen Metallstühle im Warteraum. Susanne weint, beide sind sehr erschöpft. Langsam werden sie ruhiger. Ein junger Schutzpolizist kommt auf sie zu:

»Was ist mit Ihnen los?«

»Wir haben einen Mord beobachtet und der Täter war eine Frau, die uns verfolgt hat«, antwortet Franz Josef.

»Das gibt es nicht! Sagen Sie mir erst mal Ihre Namen. Ich bin Polizeimeister Daniel Weißhaupt.«

Er schüttelt den Kopf, als er alles aufgeschrieben hat.

»Was Sie mir da gesagt haben, kann ich nicht glauben. Sie haben wohl zu viele Krimis gelesen? Sie können keine genauen Angaben des Tatorts machen, nur dass es ein Haus in der Conrad-Gröber-Straße war. Es soll eine Frau gewesen sein mit kurzen Stoppelhaaren und einer Narbe über das ganze Gesicht. Das klingt abenteuerlich. So was gibt es doch gar nicht!«

»Wir haben das nicht erfunden. Holen Sie Ihre Kripo-Kollegen, die werden uns glauben.«

»Mit so einer unglaubwürdigen Geschichte werde ich die nicht belästigen. Zudem ist nur der Kriminaldauerdienst im Haus. Seien Sie froh, dass ich Sie nicht wegen falscher Anschuldigung anzeige!«

Die beiden stehen auf, Franz Josef schreit:

»Wenn Sie uns später tot finden, wissen Sie, dass wir die Wahrheit gesagt haben! Dann ist es für uns zu spät!«

Im Hof vor dem Polizeigebäude fragt Susanne:

»Was machen wir jetzt?«

»Wir gehen in die Schreibergasse. Dann fahren wir mit meinem VW-Käfer zu meinen Eltern nach Schöllang. Das kleine Dorf liegt im Oberallgäu bei Fischen.«

»Deine Eltern werden nicht begeistert sein. Du bist doch mit ihnen zerstritten.«

»Ja, mein Vater wollte, dass ich den Hof übernehme. Aber ich will Rechtsanwalt werden. Sie werden uns schon Asyl gewähren, schließlich bin ich ihr Sohn.«

»Ich sollte meine Eltern noch benachrichtigen. Die machen sich sonst Sorgen«, meint Susanne.

»Wir sind in Lebensgefahr. Jederzeit kann uns diese Mörderin begegnen, um uns zu töten. Es ist besser, wenn keiner weiß, wo wir sind.«

Gegen elf Uhr nachts erreichte sie den Bergbauernhof Krieger am Ortseingang von Schöllang. Die Tür wird geöffnet, ein mittelgroßer älterer Mann mit einem grauen Vollbart steht da:

»Was machst du hier? Ich dachte, wir hätten uns nichts mehr zu sagen.«

»Ich wollte euch besuchen und meine Freundin Susanne vorstellen. Sie studiert mit mir Jura an der Uni Konstanz« und streckt seinem Vater die Hand hin. Der schlägt sie weg.

Da kommt eine kleine Frau mit langen grauen Haaren und faltigem Gesicht auf sie zu:

»Schön, dass ich deine Freundin kennenlerne. Herzlich willkommen!« und umarmt beide.

»Marlies, die betreten nicht mein Haus! Ich habe dich gewarnt Franz Josef! Wenn du studierst, hast du hier nichts mehr verloren«, sagt der Bergbauer trotzig.

»Darüber können wir morgen sprechen. Du siehst doch, wie müde sie sind. Franz Josef, ihr schlaft in deinem Zimmer. Wollt ihr noch was essen?«

»So weit kommt es noch, dass du für die kochst. Die sollen froh sein, dass sie in meinem Haus schlafen dürfen!«, schreit Alois.

»Nein danke Mama – wir wollen nur schlafen. Gute Nacht.«

FREITAG, 13. APRIL 2012, 8 UHR

»Guten Morgen, Emeran! Willst du auch einen?«, fragt Karin Reissner, die an der Kaffeemaschine steht.

»Ja gern!«

Sie gehen in Schächtles Büro.

»Unsere Truppe ist recht klein geworden. Wir sind zu wenige für das Dezernat für Tötungsdelikte«, stellt Schächtle resigniert fest.

»Wir beide sind übriggeblieben. Dirk Steiner hat sich zur Kripo nach Stuttgart versetzen lassen und Angelika Fischer ins Dezernat Sitte und Prostitution zu Frieder Martin«, bemerkt Karin Reissner.

»Es ist nun mal Vorschrift, dass Eheleute oder Lebenspartner nicht im gleichen Dezernat arbeiten dürfen. Ich muss mit Eugen reden, wir brauchen mindestens noch zwei Mitarbeiter.«

»Was machen wir, Emeran?«

»Einen neuen Mordfall gibt es nicht. Also werden wir unsere Akten in Ordnung bringen. Auch wenn du das nicht gern tust.«

»Wo seid ihr?«

»Im Büro von Emeran!«, ruft Karin Reissner.

Kriminaloberrat Eugen Schmitz, der Leiter der Kripo Konstanz, steht vor ihnen.

»Von dir haben wir gerade gesprochen«, sagt Schächtle, als sich Schmitz setzte.

»Warum?«

»Eugen, wir beide sind die Einzigen in diesem Dezernat. Um erfolgreich zu arbeiten, fehlen uns mindestens noch zwei Mitarbeiter.«

Schmitz stöhnt:

»Ich weiß! Habe überall herumtelefoniert, ich bekomme niemand. Ihr müsst es vorläufig zu zweit schaffen.«

Schächtle schüttelt den Kopf:

»Eugen, das geht nicht. Wir brauchen Hilfe.«

»Also gut! Ich werde mit Frieder Martin sprechen. Das Dezernat Sitte und Prostitution soll euch unterstützen, bis wir jemand gefunden haben. Da kannst du ja wieder mit Angelika zusammenarbeiten.«

Das Telefon klingelt:

»Schächtle! Gut, wir sind schon unterwegs.«

»Was gibt es?«, fragt Schmitz.

»Wir haben einen neuen Fall: In der Conrad-Gröber-Straße ist eine weibliche Leiche, in der Wohnung im ersten Obergeschoss gefunden worden.«

»Ich werde Oberstaatsanwältin Kreiser informieren. Ihr haltet mich auf dem Laufenden.«

Zur gleichen Zeit läuft Franz Josef mit seiner Susanne händchenhaltend die Treppe hinunter. Als sie die Wohnstube betreten, sitzen seine Eltern um den reichlich gedeckten Frühstückstisch.

»Kommt ihr auch schon? Du weißt, mein Sohn, dass wir morgens um fünf mit der Stallarbeit anfangen. Ich habe erwartet, wenn du schon bei uns kostenlos wohnst, dass du mithilfst. Aber der Herr Jurastudent hat das ja nicht nötig!«

»Vater, du weißt genau, dass mir das nicht liegt. Ich bin und werde nie ein Bergbauer sein. Dann gehen wir wieder, du wirst schon sehen, was du davon hast.«

Sie setzen sich und die Bäuerin schenkt ihnen Kaffee ein.

»Was meinst du damit?«, fragt der Bergbauer.

»Weshalb seid ihr gekommen? Du meldest dich doch vorher immer an. So sehr ich mich freue, dass ihr da seid, etwas stimmt nicht«, meint seine Mutter.

»Sag es ihnen«, flüstert Susanne.

Franz Josef steht auf, geht ans Fenster, mit den geschwungenen roten Vorhängen, macht es auf:

»Wir sind zu euch geflohen. Als wir gestern …«

»Wieso seid ihr abgehauen?«

»Vater, könntest du mich bitte aussprechen lassen? Ich versuche, es euch zu erklären, das fällt mir nicht leicht.«

»Bleib ruhig, Franz Josef!«, mahnt Susanne.

»Wir wollten gestern Abend in Konstanz über die Rheinbrücke in die Stadt. Da haben wir beobachtet, wie in einem Haus eine Frau erschossen wurde. Der Täter hat uns gesehen und verfolgt. Susanne meinte, es sei eine Frau gewesen, die dann auf uns auch noch geschossen hat. Wir rannten zur Polizei, die hat uns nicht geglaubt. Deshalb sind wir zu euch gefahren, weil wir Angst um unser Leben haben.«

»Das ist ja furchtbar! Was wollt ihr machen? Ihr könnt euch doch nicht die ganze Zeit hier verstecken«, meint Marlies Krieger.

»Bitte nur ein paar Tage, bis Gras über die Sache gewachsen ist«, sagt schluchzend Susanne.

Alois Krieger steht auf und schreit:

»Verlasst sofort meinen Hof! Ihr wollt wohl, dass die uns töten? Das ist euer Problem, nicht unseres. Wärst du hiergeblieben, wäre das nie passiert. Schaut, wo ihr hingeht, hier habt ihr keine Zukunft mehr.«

»Das kannst du nicht machen, Alois.«

»Marlies, du spinnst wohl! Erstens das Mädchen ist nicht meine Tochter. Zweitens Franz Josef ist nicht mehr mein Sohn. Das hat er verwirkt, als er nach Konstanz ging. Packt eure Sachen und verschwindet!«

»Was ist denn hier los! Wieso schreit ihr so?«, sagt eine kräftig gebaute jüngere Frau mit schwarzen langen Haaren, die gerade die Wohnstube betritt.

»Was willst du, Magdalena?«, fragt Alois unfreundlich.

»Ich wollte euch besuchen. Komm wohl ungelegen.«

Sie geht zu Franz Josef und Susanne und umarmt beide.

»Du bist wohl die Freundin meines Bruders?«

»Ja«, sagt sie mit weinerlicher Stimme.

»Schön, dass wir uns endlich kennenlernen.«

»Du willst wohl wieder mal Geld. Sonst kämst du ja nicht«, meint Alois.

»Im Gegensatz zu dir haben wir Geld. Unsere Ferienpension läuft gut und finanzielle Sorgen gibt es nicht.«

»Woher weißt du, dass dein Bruder eine Freundin hat?«, fragt Alois.

»Wir telefonieren öfter miteinander. Was ist los?«

»Franz Josef und Susanne haben gestern in Konstanz einen Mord beobachtet. Sie sind auf der Flucht, weil sie den Täter gesehen haben. Vater will, dass sie gehen«, antwortet Marlies.

»Du bist brutal und herzlos. Ich weiß schon, weshalb ich von euch weggegangen bin und meine Jugendliebe Hubert Haller geheiratet habe. Was wollt ihr machen?«

»Wir werden nach Konstanz zurückfahren. Vater, wenn wir eines Tages erschossen daliegen, bist du dafür verantwortlich!«, schreit Franz Josef wütend.

»Ich weine euch keine Träne nach!«

»Du bist brutal und ungerecht, wie immer. Ihr zwei kommt zu mir. Ich werde euch verstecken, bis die Sache vorbei ist«, sagt Magdalena.

»Was meint Hubert dazu?«, fragt ihr Bruder.

»Du kennst ihn doch. Er wird sich freuen, euch zu sehen. Ich habe einen gutmütigen Mann geheiratet.«

»Müssen wir weit fahren?«, fragt Susanne.

»Nein, nur den Berg herunter, dann sind wir in Oberthalhofen, die Haller-Pension sieht man sofort.«

»Jetzt aber raus mit euch.«

Konstanz, 10.30 Uhr

Emeran Schächtle und Karin Reissner betreten den Tatort in der Conrad-Gröber-Straße. Vor dem Haus ist, von mehreren Polizeifahrzeugen, alles versperrt. Auf der Rheinbrücke oberhalb stehen neugierige Passanten, die den Einsatz der Polizei beobachten und mit ihren Handys Fotos machen.

Schächtle und Reissner laufen die breiten Treppen hinauf in den ersten Stock. Vor dem Eingang der Wohnung steht ein Schutzpolizist. Der Tatort ist mit rot-weißen Bändern mit der Aufschrift »Polizei« abgesperrt. Schächtle will in die Wohnung, da ruft ein Polizeibeamter:

»Stopp! Da können Sie nicht hinein!«

»Wir müssen sogar! Sie sind wohl neu bei uns? Emeran Schächtle und Karin Reissner vom Dezernat für Tötungsdelikte«, sagt der Kriminalhauptkommissar und zeigt seine Dienstmarke.

»Entschuldigen Sie bitte, ich bin Polizeimeister Daniel Weißhaupt und erst seit Anfang April in Konstanz.«

In der Wohnung ist bereits die KTU tätig. Sie gehen in das große Wohnzimmer mit der künstlerisch gestalteten Stuckdecke, Stofftapeten an den Wänden, die Möbel wertvolle Antiquitäten.

Dr. Spaltinger, der Rechtsmediziner, untersucht die Leiche, die im Erker beim Fenster auf dem Boden liegt.

»Wie sieht es aus, Doc?«

»Es handelt sich um Katharina Widmann, fünfundvierzig Jahre, Wohnort München«, sagt Polizeioberkommissar Frank Schiele, der Leiter der Schutzpolizei.

»Woher weißt du das?«, fragt Karin Reissner.

»Wir haben auf den Fernsehtisch einen Geldbeutel mit dem Personalausweis der Getöteten gefunden«, antwortet er und gibt Schächtle das Papier.

»Das Mordopfer wurde mit drei Schüssen in die Brust getötet«, sagt Dr. Spaltinger.

»Wann?«, fragt Schächtle.

»Ich schätze gestern, früher Abend. Genaueres wie immer nach der Obduktion.«

»Wer hat die Tote gefunden?«, fragt Karin Reissner.

»Das ich gewesen«, sagt eine kleine dicke Frau, die im Flur steht.

Sie will das Wohnzimmer betreten, wird aber von Klaus Ringer, dem Leiter der KTU, zurückgehalten.

»Stehen bleiben! Sie zerstören sonst Spuren.«

Verängstigt hält sich die Frau am Türrahmen im Flur fest. Die Kriminalbeamten gehen auf sie zu.

»Wer sind Sie?«, fragt Schächtle.

»Ich sein Putzfrau von Widmann und haben Tote gefunden, als heute Morgen sauber machen.«

»Wie heißen Sie? Name?«, fragt Reissner.

»Ich sein Aische Örk und putzen hier«, antwortet sie ängstlich.

»Nur mit der Ruhe, Frau Örk. Erzählen Sie mir bitte, was heute Morgen passiert ist«, sagt Schächtle.

»Ich um acht Uhr kommen, um putzen. Dann haben tote Frau im Wohnzimmer gefunden. Ich geschrien, Nachbar gekommen, der Polizei rufen.«

Die Frau schwitzt vor Aufregung, nimmt ihren Putzlappen, um den Schweiß abzuwischen, verteilt dabei den Dreck des verschmutzten Lappens über ihr gesamtes Gesicht.

»Wo ist der Nachbar jetzt?«, fragt Reissner.

»Er zur Arbeit gegangen.«

»Hat er die Wohnung betreten?«, fragt Klaus Ringer.

»Er hier im Flur gestanden und Tote gesehen. Dann sofort Polizei rufen.«

»Gott sei Dank war er nicht im Wohnzimmer. Sonst hätten wir noch mehr Spuren«, meint Ringer.

»Frau Örk, Sie sollten heute noch zu uns auf die Dienststelle kommen. Wir müssen ein Protokoll machen«, sagt Schächtle.

»Ja, ich komme mit Sohn. Er besser sprechen Deutsch. Er arbeiten bei Polizei in Radolfzell.«

»Tarek Örk?«, fragt Reissner.

Die Frau nickt.

»Wir kennen Ihren Sohn. Ein guter Polizeibeamter, haben mit ihm bei der Jagd nach dem Mafiaboss Fabrizio Creola zu tun. Sagen Sie ihm, er soll sich bei mir melden. Bei uns sind zwei Stellen zu besetzen. Sie können jetzt gehen«, sagt Schächtle.

»Habt ihr schon Spuren?«, fragt Reissner.

»Etliche, aber keine bestimmten. Wir müssen die Fingerabdrücke der Toten nehmen. Es hat noch ein Mann in dieser Wohnung gelebt.«

»Woher wisst ihr das?«

»Im Schlafzimmer ist ein Schrank mit Männerkleidern. Wir haben Schriftstücke gefunden. Der Mann heißt Eberhard Widmann und ist der Chef von Siemens in der Bücklestraße«, sagt Ringer.

»Wohl der Ehemann der Toten?«, fragt Reissner.

»Karin, wir fahren jetzt zu Siemens. Dann wissen wir mehr.«

Hans Dieter Hagensack rennt durch seine Villa am Höhenweg. Man sieht von dort auf die Weinberge der Spitalstiftung Konstanz und den Stadtteil Petershausen.

Der dickliche mittelgroße Mann, rotbraune, volle Haare, eilt die Treppe hinauf, geht in mehrere Zimmer, knallt die Türen zu und hetzt wieder runter.

»Was suchst du?«, fragt seine Frau Gisa.

»Susanne war heute Nacht wieder nicht hier. Das darf doch nicht wahr sein! Hast du sie schon gesehen?«, fragt er und zieht an seinem rotbraunen Schnauzbart.

»Nein, sie wird wohl bei ihrem Freund übernachtet haben.«

»Das habe ich ihr doch verboten. Du weißt genau, dass ich nicht möchte, dass sie sich mit diesem Allgäuer trifft. Das ist kein Umgang für meine Tochter, der hat es doch nur auf unser Geld abgesehen.«

»Susanne ist zweiundzwanzig und hat den gleichen Sturkopf wie du. Sie lässt sich nicht vorschreiben, mit wem sie sich trifft und bei wem sie schläft. Ich finde ihren Freund Franz Josef sehr nett«, meint Gisa.

»Ich mag ihn nicht. Du kannst doch nicht wollen, dass ein Bergbauer in unsere Familie einheiratet.«

Der 58-Jährige schwitzt, ist vor Aufregung rot im Gesicht.

»Von Heirat ist nicht die Rede. Sie sind befreundet und studieren zusammen. Mehr nicht! Reg dich bitte nicht auf!«

»Dann sage mir mal, wo sich Susanne befindet.«

»Die wird in der Uni sein.«

»Zum Donnerwetter, sie kann sich doch wenigstens bei uns melden!«, schreit er aufgeregt.

»Du hast eine SMS bekommen«, sagt Gisa und gibt ihrem Mann sein Handy.

»Jetzt höre mal zu, was Susanne schreibt:

Liebe Eltern,

macht euch bitte keine Sorgen. Ich bin mit Franz Josef einige Tage weggefahren. Wir wollen im Allgäu ausspannen.

Bis dannSusanne

Was sagst du dazu?«

»Dann ist ja alles geklärt. Habe gleich gewusst, dass wir uns keine Sorgen machen müssen«, meint die 58-jährige, zierlich-schlanke Frau mit den halblangen dunkelblonden Haaren.

»Bist du blauäugig! Der Kerl hat sie bestimmt entführt und gezwungen diese Nachricht zu schreiben. Der will Geld von uns, ich werde das jetzt bei der Polizei anzeigen.«

»Du spinnst doch! Hast überhaupt keine Beweise! Wenn du dich unbedingt lächerlich machen willst, dann tu es.«

Der schwarze Mercedes fährt die Schneckenburgstraße herunter. Dann biegt das Fahrzeug rechts in die Bücklestraße ein. Auf der linken Seite das Betriebsgelände von Siemens. Die Kriminalbeamten steigen aus und gehen zum Pförtner, der hinter einer Glasscheibe sitzt.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragt der junge Mann.

»Wir müssen Herr Widmann sprechen«, sagt Schächtle.

»Sind Sie angemeldet?«

»Nein! Wir melden uns nie an«, antwortet Karin Reissner.

»Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass Eberhard Widmann der Chef von Siemens Konstanz ist. Da müssen Sie sich einen Termin geben lassen!«

Schächtle zeigt seine Dienstmarke:

»Kriminalpolizei!«

»Holen Sie jetzt Ihren Chef, sonst könnten Sie Ärger mit ihm bekommen«, meint Reissner.

Der Pförtner nimmt das Telefon, man hört ihn sprechen. Die Kriminalbeamten können jedoch nichts verstehen, da das Fenster geschlossen ist.

Wenig später kommt ein 50-jähriger Mann mit schwarz-grauen Haaren und einem Schnauzbart.

»Sind Sie von der Kripo? Ich bin Eberhard Widmann.«

»Ja, Dezernat für Tötungsdelikte«, sagt Schächtle.

»Sie haben mich aus einer wichtigen Besprechung geholt. Ich hoffe, es ist dringend! Sonst müsste ich mich bei Ihrem Vorgesetzten beschweren.«

Sie gehen in die Empfangshalle und setzen sich.

»Wir haben in Ihrer Wohnung in der Conrad-Gröber-Straße eine weibliche Leiche gefunden. Nach deren Ausweis Katharina Widmann. Ist das Ihre Frau?«, fragt Schächtle.

Widmann wird blass im Gesicht.

»Das kann nicht sein!«

Er bricht in Tränen aus, holt ein Taschentuch, wischt sie ab, vergräbt seine Hände im Gesicht und schluchzt laut.

»Es ist meine Schwester Kathi, sie lebte in München.«

»Wollen Sie ein Glas Wasser?«, fragt Reissner.

»Nein, es geht schon wieder.«

»Seit wann war Ihre Schwester bei Ihnen?«, fragt Schächtle.

»Sie kam plötzlich Ostermontagnacht mit dem Fernbus. Ich habe sie am Busparkplatz Döbele abgeholt.«

»Wieso plötzlich?«, fragt Reissner.

»Als wir in meiner Wohnung waren, sagte sie, dass sie im A+O Hotel Hackerbrücke in München, wo sie arbeitet, einen Mord beobachtet hat. Den Mörder hat sie gesehen und sie hat Angst. Darum ist Kathi zu mir geflüchtet. Ich musste allerdings am Dienstagmorgen zu Siemens nach München und bin erst heute zurückgekommen. Seitdem bin ich hier in der Firma.«

»Das heißt, Sie haben Ihre Schwester zum letzten Mal am Dienstagmorgen gesehen?«

»Ja.«

»War sie verheiratet?«, fragt Schächtle.

»Nein, sie hat auch keine Kinder.«