Mord auf dem Landgut - Cyril Hare - E-Book
SONDERANGEBOT

Mord auf dem Landgut E-Book

Cyril Hare

0,0
7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Lübbe
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Markshire, England. Das Landgut von Lord Warbeck - Warbeck Hall - ist prächtig hergerichtet für das wohl letzte Weihnachtsfest des im Sterben liegenden Hausherren. Für diesen festlichen Anlass hat der Lord noch einmal alle eingeladen, die ihm nahestehen. Starker Schneefall sorgt dafür, dass niemand der illustren Gesellschaft das Landgut verlassen kann. Dieser Umstand wird besonders brenzlig, als der Sohn des Lords am Weihnachtsabend tot zusammenbricht - vergiftet mit Zyankali. Wer ist dafür verantwortlich? Der übergangene Vetter? Die junge Geliebte? Oder doch der Butler? Eins steht jedenfalls fest: Verdächtige gibt es viele. Und: Dieses Weihnachten wird mörderisch.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 276

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber den AutorTitelImpressumKapitel 1: Der Butler und der ProfessorKapitel 2: Die GästeKapitel 3: Vater und SohnKapitel 4: Tee für sechsKapitel 5: Robert in der KlemmeKapitel 6: Besucher in der AnrichtekammerKapitel 7: Dinner an HeiligabendKapitel 8: Ein letzter ToastKapitel 9: ZyankaliKapitel 10: Frühstück mit Dr. BottwinkKapitel 11: John Wilkes und William PittKapitel 12: Das Schlafzimmer und die BibliothekKapitel 13: Ein neuer Lord WarbeckKapitel 14: Die Auswirkungen des TauwettersKapitel 15: Dr. Bottwink erliegt einem IrrtumKapitel 16: Eine Kanne TeeKapitel 17: »Worte, nichts als Worte …«Kapitel 18: Ein englischer Mord

Über dieses Buch

Markshire, England. Das Landgut von Lord Warbeck – Warbeck Hall – ist prächtig hergerichtet für das wohl letzte Weihnachtsfest des im Sterben liegenden Hausherren. Für diesen festlichen Anlass hat der Lord noch einmal alle eingeladen, die ihm nahestehen. Starker Schneefall sorgt dafür, dass niemand der illustren Gesellschaft das Landgut verlassen kann. Dieser Umstand wird besonders brenzlig, als der Sohn des Lords am Weihnachtsabend tot zusammenbricht – vergiftet mit Zyankali. Wer ist dafür verantwortlich? Der übergangene Vetter? Die junge Geliebte? Oder doch der Butler? Eins steht jedenfalls fest: Verdächtige gibt es viele. Und: Dieses Weihnachten wird mörderisch.

Über den Autor

Cyril Hare wurde im Jahre 1900 in Mickleham, Grafschaft Surrey, als Alfred Alexander Gordon Clark geboren. Er lernte das Landleben kennen und schätzen, war ein passionierter Jäger und Angler. Er studierte Jura am New College zu Oxford, und wurde 1924 Anwalt – eine Familientradition. Daneben pflegte Clark seine schriftstellerischen Ambitionen und verfasste unter dem Pseudonym Cyril Hare neun Kriminalromane. Wie Agatha Christie oder Dorothy L. Sayers zählt er zu den Vertretern des „Goldenen Zeitalters“ des Detektivromans. Er starb 1958 mit nur 58 Jahren.

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © by Sophia Jane Holroyd

Titel der englischen Originalausgabe: »An English Murder«

Erstmals erschienen 1951

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Katharina Rottenbacher, Berlin

Lektorat: Judith Mandt

Titelillustrationen: © shutterstock.com: voloshin311 | Milano M | CloudyStock | Sylfida | Lidiia Koval | Val_Iva

Umschlaggestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-2869-0

luebbe.de

lesejury.de

Kapitel 1

Der Butler und der Professor

Warbeck Hall steht in dem Ruf, das älteste bewohnte Herrenhaus in Markshire zu sein. Der Urkundenraum im nordöstlichen Flügel ist vermutlich der älteste Teil des Gebäudes; mit Sicherheit aber der kälteste. Dr. Wenzeslaus Bottwink, Doktor der Philosophie der Universität Heidelberg, Ehrendoktor der Literatur der Universität Oxford, ehemals Professor für Neue Geschichte an der Universität Prag, Mitglied eines halben Dutzends gelehrter Gesellschaften von Leyden bis Chicago, spürte, wie ihm die Kälte bis auf die Knochen drang. Er beugte sich über die Seiten eines Stapels verblichener Manuskripte und hielt gelegentlich im Lesen inne, um einzelne Passagen in seine schräge, fremdländische Schreibschrift zu transkribieren. Er war Kälte gewohnt. In seiner Studentenunterkunft in Heidelberg war es kalt gewesen, noch kälter gar im Winter 1917 in Prag, am kältesten jedoch in den Konzentrationslagern des sogenannten Dritten Reichs. Er war sich der Kälte bewusst, aber solange seine Finger nicht zu steif wurden, um einen Stift zu halten, ließ er nicht zu, dass die Kälte ihn in seiner Konzentration beeinträchtigte. Sie war nicht mehr als ein ermüdender Begleitumstand seiner Arbeit. Das wahre Hindernis, das ihm im Augenblick Sorgen bereitete, stellte die furchtbare Handschrift dar, mit der der dritte Viscount Warbeck die vertraulichen Briefe kommentiert hatte, die ihm einst Lord Bute während der ersten drei Jahre der Regentschaft König Georgs III. hatte zukommen lassen. Diese Randnotizen! Diese unleserlichen, verstümmelten Bemerkungen zwischen den Zeilen! Dr. Bottwink hatte inzwischen eine persönliche Antipathie gegen diesen Adligen des 18. Jahrhunderts entwickelt. Dass jener Mann, ein Empfänger solch bedeutsamer Informationen und Hüter von Staatsgeheimnissen, die für nachfolgende Generationen von derart unschätzbarem Wert waren, genügend Pflichtgefühl besessen hatte, diese Geheimnisse für die Nachwelt zu bewahren, sich dann jedoch dazu entschieden hatte, die allerwertvollsten Vertraulichkeiten in einem unleserlichen Gekritzel zu hinterlassen – das war doch unerträglich! Der Viscount allein war schuld daran, dass die Forschungen zu den Warbeck-Dokumenten mehr als doppelt so viel Zeit in Anspruch genommen hatten als ursprünglich vorgesehen. Und dabei galt Zeit doch als so kostbar für einen älteren Gelehrten, um dessen Gesundheit es nicht mehr zum Besten bestellt war! Es wäre seine Schuld, wenn die Forschungsarbeit, die sich mit der Entwicklung der englischen Verfassung von 1750 bis 1784 befasste, beim Tod des Autors unvollendet bliebe. In zorniger Fassungslosigkeit starrte Dr. Bottwink auf die Hieroglyphen vor ihm und stieß über zwei Jahrhunderte hinweg Verwünschungen auf Lord Warbeck und dessen unzureichenden Federkiel aus.

Es klopfte diskret an der Tür, und ohne eine Antwort abzuwarten, betrat ein Diener den Raum. Es handelte sich um einen leicht untersetzten älteren Mann mit dem neutralen Gesichtsausdruck, der für Butler in guten Häusern typisch ist.

»Ich bringe Ihnen Ihren Tee, Sir«, sagte er und stellte ein Tablett auf dem Tisch in der Mitte des Archivs ab.

»Danke, Briggs«, sagte Dr. Bottwink. »Das ist sehr nett von Ihnen. Sie hätten sich aber keine Umstände zu machen brauchen.«

»Das sind keine Umstände, Sir. Ich nehme selbst gern um diese Zeit eine Tasse Tee, außerdem ist es von der Anrichtekammer nur eine Treppe nach oben.«

Dr. Bottwink nickte ernst. Er war hinreichend vertraut mit den englischen Sitten, um zu wissen, dass ein Butler selbst heutzutage für gewöhnlich keine Gründe anführte, warum er einem Gast des Hauses Tee servierte. Aber gerade weil er nicht ganz der Definition eines Gasts entsprach, hielt Briggs es für notwendig zu erläutern, warum es ihm keinerlei Umstände bereitete, eine Treppe nach oben zu nehmen. Dr. Bottwink genoss diesen feinen gesellschaftlichen Unterschied mit einem gewissen hintersinnigen Humor.

»Nichtsdestotrotz ist es sehr freundlich von Ihnen, Briggs«, beharrte er in seinem sorgsam gewählten Englisch. »Obwohl wir ja direkte Nachbarn sind. Wir beide sind nämlich die einzigen Bewohner des ursprünglichen Gebäudes von Warbeck Hall.«

»Ganz recht, Sir. Dieser Teil des Hauses wurde tatsächlich von Perkin Warbeck persönlich in Auftrag gegeben, und zwar im Jahr …«

»Nein, nein, Briggs!« Dr. Bottwink war gerade dabei, sich etwas von dem Tee einzuschenken, hielt dann aber inne, um den Butler zu verbessern. »Derlei Dinge können Sie Besuchern und Touristen erzählen, aber bitte nicht mir. Tatsache ist, Perkin Warbeck ist ein Mythos – ich meine natürlich nicht im historischen Sinne, aber in Bezug auf Lord Warbecks Familie. Es besteht keinerlei Zusammenhang. Dieser Zweig der Warbecks hat einen ganz anderen Ursprung, zudem einen sehr viel respektableren Ursprung, das versichere ich Ihnen. Das steht alles in den Dokumenten dort oben.« Er nickte in Richtung eines Eichenschranks an der Wand hinter ihm.

»Gewiss, Sir«, erwiderte Briggs geschmeidig, »aber so sagen wir es jedenfalls immer in Markshire.«

Was für eine Antwort sich Dr. Bottwink auch immer überlegt haben mochte, er besann sich eines Besseren. Stattdessen murmelte er leise vor sich hin: »So sagen wir es jedenfalls in Markshire …«, und nahm einen Schluck Tee. Laut sagte er dann: »Der Tee tut sehr gut, Briggs. Er wärmt einem das Herz.« Ein wenig stolz sah er den Butler an, weil er wissen wollte, ob dieser zu würdigen wusste, wie gut er die englischen Redensarten beherrschte.

Briggs ließ sich zu der Andeutung eines Lächelns hinreißen.

»So ist es, Sir«, sagte er. »Es ist sehr kalt. Es liegt Schnee in der Luft. Der Wettervorhersage nach zu urteilen, dürfen wir mit einer weißen Weihnacht rechnen.«

»Ach, Weihnachten!« Dr. Bottwink stellte die Tasse ab. »Haben wir es schon so spät im Jahr? An einem Ort wie diesem kommt einem jegliches Zeitgefühl abhanden. Ist wirklich bald Weihnachten?«

»Übermorgen, Sir.«

»Ich hatte ja keine Ahnung. Ich bin viel länger mit dieser Sache hier beschäftigt als beabsichtigt. Lord Warbecks Gastfreundschaft habe ich über Gebühr in Anspruch genommen. Womöglich kommt es ihm ungelegen, mich um diese Zeit hier zu beherbergen. Ich sollte ihn besser fragen.«

»Ich war so frei, Sir, das Thema zur Sprache zu bringen, als ich Seiner Lordschaft den Tee brachte, und er äußerte den Wunsch, dass Sie während der Feiertage sein Gast sein sollen, wenn es Ihnen auskommt.«

»Das ist sehr freundlich von ihm. Ich werde die Gelegenheit wahrnehmen, mich persönlich bei ihm zu bedanken, wenn er imstande ist, mich zu empfangen. Wie geht es ihm übrigens heute?«

»Seiner Lordschaft geht es besser, haben Sie vielen Dank, Sir. Er ist auf, aber noch nicht unten.«

»›Auf, aber noch nicht unten‹«, wiederholte Dr. Bottwink nachdenklich. »›Auf, aber noch nicht unten!‹ Das Englische ist eine so ausdrucksstarke Sprache!«

»Gewiss, Sir.«

»Übrigens, Briggs, Sie sprachen soeben von den Feiertagen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Feierlichkeiten unter den gegebenen Umständen rein symbolischer Art sein werden?«

»Verzeihung, Sir?«

»Ich meine, es wird doch wohl keinen Festschmaus geben, keinen – keinen …«, ungeduldig schnipste er mit den Fingern, da ihm der passende Ausdruck nicht einfiel, »– keinen ausgelassenen Spaß?«

»Ich vermag nicht genau zu sagen, welcher Art die Feierlichkeiten sein werden, Sir, aber ich denke, man darf vermuten, dass Weihnachten in aller Stille begangen wird. Seine Lordschaft hat lediglich ein paar Familienmitglieder eingeladen.«

»Oh! Es werden Gäste erwartet? Wer wird es sein?«

»Sir Julius trifft noch heute Abend ein, Sir, und morgen …«

»Sir Julius?«

»Sir Julius Warbeck, Sir.«

»Aber er ist doch Schatzkanzler der gegenwärtigen Regierung, nicht wahr?«

»Ganz genau, Sir.«

»Ich glaubte, meinen Gesprächen mit Lord Warbeck entnommen zu haben, dass dessen politische Ansichten gänzlich anderer Art sind.«

»Seine politischen Ansichten, Sir? Meines Wissens kommt Sir Julius nur in seiner Eigenschaft als Lord Warbecks Vetter ersten Grades hierher.«

Dr. Bottwink seufzte.

»Nach all den Jahren«, sprach er, »habe ich manchmal das Gefühl, dass ich England wohl nie verstehen werde. Nie.«

»Brauchen Sie mich dann noch, Sir?«

»Bitte um Verzeihung, Briggs. Mit meiner schnöden kontinentalen Neugierde halte ich Sie nur von Ihrer Arbeit ab.«

»Keineswegs, Sir.«

»Falls Sie es ertragen können, noch einen Augenblick in dieser Kälte zu verweilen, würde es mich freuen, wenn Sie mir noch etwas sagen könnten, das für mich von einer gewissen Bedeutung ist. Welche Rolle fällt mir hier im Haus während der Weihnachtsfeierlichkeiten zu?«

»Sir?«

»Es wäre doch sicher gut, wenn ich mich möglichst nicht blicken ließe, nicht wahr? Lord Warbeck war schon so liebenswürdig, mich während meines Aufenthalts hier als Gast zu betrachten, aber ich darf natürlich nicht erwarten, auf derselben Stufe wie die Mitglieder seiner Familie zu stehen – insbesondere, da Seine Lordschaft ›auf ist, aber noch nicht unten‹. Das ist eine ziemlich heikle Situation, was, Briggs?«

Der Butler hüstelte.

»Meinen Sie das mit Blick auf die Mahlzeiten, Sir?«, fragte er.

»Nun ja, ich denke, die Mahlzeiten sind entscheidend. Während der anderen Zeiten kann ich mich hier oben ganz gut selbst beschäftigen. Welchen Rat geben Sie mir in diesem Fall?«

»Ich habe mir erlaubt, diese Problematik Seiner Lordschaft gegenüber zu erwähnen. Die Schwierigkeit liegt, wie Ihnen sicher bewusst sein dürfte, Sir, beim Personal.«

»Ich muss zugeben, dass ich mir dieser Schwierigkeit noch gar nicht bewusst war.«

»Früher, Sir«, erinnerte sich Briggs, »hätte es derartige Schwierigkeiten nicht gegeben. Es hätten vier Bedienstete in der Küche gearbeitet, zwei Diener wären mir unterstellt gewesen. Darüber hinaus hätten die Bediensteten der Herrschaften, die zu Besuch waren, jederzeit zur Verfügung gestanden und ausgeholfen. Aber wie die Dinge liegen, wäre ich wirklich nicht imstande, die Mahlzeiten getrennt zu servieren, da ich allein bin, wie ich Seiner Lordschaft schon sagte. Ich wäre allenfalls dazu imstande, einmal im Speisesaal aufzutragen und dann im Dienstbotensaal – und natürlich würde ich Seiner Lordschaft das Gedeck nach oben bringen. Wenn es Ihnen daher nichts ausmacht, Sir …«

»Ich verstehe Sie gut, Briggs. Es wäre mir eine Ehre, meine Mahlzeiten mit Ihnen einzunehmen, solange die Gäste hier sind.«

»Oh nein, Sir! Das wollte ich damit nicht sagen. Mir wäre es nicht einmal im Traum eingefallen, Seiner Lordschaft so etwas vorzuschlagen.«

Dr. Bottwink erkannte, dass er sich ungeachtet seiner ehrlichen Bemühungen erneut einen gesellschaftlichen Fauxpas geleistet hatte. »Nun, ich bin ganz in Ihrer Hand, Briggs«, sagte er resignierend. »Dann soll ich also meine Mahlzeiten gemeinsam mit der Familie einnehmen?«

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Sir.«

»Ob es mir etwas ausmacht? Warum sollte es? Hoffen wir nur, dass es den Gästen nichts ausmacht. Auf jeden Fall freut es mich, Sir Julius kennenzulernen. Sicher kann er mich über einige Aspekte der Verfassungsgeschichte aufklären, die mir immer noch recht rätselhaft vorkommen. Vielleicht können Sie mir sagen, wem ich noch begegnen werde?«

»Es werden nur zwei Damen kommen, Sir. Lady Camilla Prendergast und Mrs. Carstairs.«

»Lady Prendergast ist auch ein Mitglied der Familie?«

»Pardon, Sir, es heißt nicht Lady Prendergast – sondern Lady Camilla Prendergast. Ein Höflichkeitstitel. Sie wird mit Lady Camilla angeredet, da sie die Tochter eines Grafen ist. Sie ist die Nichte des ersten Gatten der verstorbenen gnädigen Frau. Wir betrachten sie daher als Familienmitglied. Mrs. Carstairs steht in keiner verwandtschaftlichen Beziehung, aber ihr Vater war viele Jahre lang Pfarrer des hiesigen Kirchspiels, und sie ist sozusagen hier in diesem Haus aufgewachsen. Das wären alle Gäste – abgesehen von Mr. Robert natürlich.«

»Mr. Robert Warbeck, der Sohn des Hauses – er wird zu Weihnachten erwartet?«

»Natürlich, Sir.«

»Ah, ja.« Dr. Bottwink redete mit sich selbst. »Ich nehme an, das ist natürlich. Eigenartig nur, dass ich gar nicht an ihn gedacht hatte.« Er wandte sich wieder dem Butler zu. »Briggs, ich vermute, es wäre mir nicht möglich, die Mahlzeiten doch im Dienstbotensaal einzunehmen?«

»Sir?«

»Ich glaube nicht, dass es mir großes Vergnügen bereiten wird, mich mit Mr. Robert Warbeck an einen Tisch zu setzen.«

»Sir?«

»Oh, jetzt habe ich Sie erschreckt, Briggs, das hätte ich nicht tun sollen. Aber Sie wissen schon, wer Mr. Robert ist?«

»Selbstverständlich weiß ich das, Sir. Der Sohn und Erbe Seiner Lordschaft.«

»Ich beziehe mich nicht in dieser Eigenschaft auf ihn. Wissen Sie denn nicht, dass er der Präsident dieser Zusammenkunft ist, die sich Liga für Freiheit und Gerechtigkeit nennt?«

»Meines Wissens entspricht das den Tatsachen, Sir.«

»Die Liga für Freiheit und Gerechtigkeit, Briggs«, sagte Dr. Bottwink sehr klar und deutlich, »ist eine faschistische Organisation.«

»Ist das so, Sir?«

»Interessiert Sie so etwas nicht, Briggs?«

»Ich habe mich nie groß für Politik interessiert, Sir.«

»Oh, Briggs, Briggs«, sagte der Historiker und schüttelte gleichermaßen bedauernd wie bewundernd den Kopf, »wenn Sie nur wüssten, wie glücklich Sie sich schätzen dürfen, so etwas zu sagen!«

Kapitel 2

Die Gäste

Sir Julius Warbeck ließ sich die Decke über die Knie breiten, wechselte noch ein paar Worte mit seinem Sekretär und lehnte sich dann erschöpft gegen die Polsterung, als das Auto die Downing Street verließ. Auf dem Sitz neben ihm lag eine Aktentasche, in der sich die letzten Berichte zu den wichtigen Verhandlungen befanden, die im Augenblick auf Geheiß des Schatzamtes mit der Regierung der Vereinigten Staaten geführt wurden. Der Inhalt dieser Tasche sollte ihn während der zweistündigen Fahrt nach Warbeck beschäftigen, damit ja keine Sekunde der kostbaren Zeit des Schatzkanzlers vergeudet wurde, aber der Wagen hatte sich bereits durch das Straßenlabyrinth im Zentrum Londons gewunden und fuhr inzwischen bei gleichbleibender Geschwindigkeit über die Hauptstraße, ehe Sir Julius überhaupt erst eine Hand nach der Tasche ausstreckte.

Er zog sie auf seine Knie, öffnete sie und begann, die eng getippten Seiten zu studieren. Ein hervorragend geschriebener Bericht, sinnierte er, wie nicht anders zu erwarten von einem Mann wie Carstairs. Sir Julius verspürte einen Anflug von Stolz, als er sich erinnerte, dass Carstairs im Grunde seine Entdeckung gewesen war. Vor zehn Jahren hatten nur wenige vorhersehen können, welchen Posten dieser junge Mann eines Tages einnehmen würde. Sir Julius, der für gewöhnlich nicht lange damit wartete, sich für die eigenen Errungenschaften Anerkennung zu zollen, rechnete es sich nun hoch an, einer dieser wenigen weitsichtigen Männer gewesen zu sein.

Mattgraue Wolken, die Schnee verhießen, verdunkelten den winterlichen Himmel, und schon bald tanzten die Zahlen und Buchstaben vor den müden Augen des Schatzkanzlers. Daher war er froh, dies als Ausrede gelten zu lassen, als er den Bericht halbgelesen in die Tasche zurücklegte und sich wieder gegen das Rückenpolster lehnte. Carstairs! Der Name kam ihm mit einem Anflug von Verdruss wieder in den Sinn. Ja, dieser Mann hatte es zweifellos weit gebracht und war noch nicht am Ende seiner Karriere angelangt. Mehr als ein kundiger Journalist hatte in ihm bereits den kommenden Schatzkanzler gesehen, und Sir Julius, der über den Realitätssinn eines erfahrenen Politikers verfügte, gestand sich selbst gegenüber ein, dass niemand dauerhaft blieb und dass er dankbar sein sollte, dass es kräftige Schultern gab, die nur darauf warteten, die Bürde dieses Amts zu tragen, wenn für ihn die Zeit kam, sein Amt niederzulegen (nicht, dass diese Zeit allzu bald kommen würde, ganz gleich, was manche Leute, darunter auch Carstairs selbst, anzunehmen schienen). Aber er musste sich eingestehen, dass er seinen brillanten jungen Kollegen im Innersten seines Herzens nicht mochte. Obwohl dieser Mann unbestritten Charme und Talent besaß, hatte er etwas an sich, das nicht ganz – die schrecklichen Worte kultiviert und wohlerzogen blitzten in seinem Geist auf. Er schob sie mit einem Schaudern beiseite. Das war nicht akzeptabel! Alan Carstairs war ein ausgezeichneter Bursche. Es war ja schließlich nicht seine Schuld – im Gegenteil, es sprach absolut für ihn –, dass er es ohne Vorschusslorbeeren so weit gebracht hatte. Sir Julius vergegenwärtigte sich seine eigenen gesicherten Verhältnisse und ging dann im Geiste die Stationen von Carstairs’ Karriere durch. Schule, Stipendien, London School of Economics, eine aussichtsreiche Heirat – ja, eine überaus aussichtsreiche Heirat, sinnierte Sir Julius. Hätte er es ohne die Aufmunterungen jener umtriebigen und ehrgeizigen Frau trotz seiner kognitiven Fähigkeiten überhaupt zu etwas gebracht? Mrs. Carstairs würde auch in Warbeck sein, wie sein Vetter ihn hatte wissen lassen. »Ich darf nicht vergessen, in ihrem Beisein etwas Freundliches über ihren Gatten zu sagen«, sprach er zu sich selbst. Auf eine unerklärliche Weise fiel es ihm immer schwer, sich freundlich in Gegenwart von Mrs. Carstairs zu verhalten. Sie hatte eine Art, alle Politiker herabzuwürdigen, abgesehen von ihrem geliebten Alan. Und Sir Julius mochte es gar nicht, herabgewürdigt zu werden.

Eine Weile starrte er wie abwesend vor sich hin. Jenseits der Glastrennwand konnte er die steifen Rücken der beiden schweigsamen Männer sehen, die vorne im Auto saßen. Die gerade Haltung und das Unpersönliche der beiden, sogar untereinander, empfand er als beleidigend. Warum verwandelten öffentliche Ämter die Menschen nur immer in Automaten? Sir Julius hielt sich selbst für einen zuvorkommenden, freundlichen Menschen, der sich zwar der eigenen Stellung und all der Dinge, die damit zusammenhingen, durchaus bewusst war – was ja nur angemessen war! –, doch innerhalb gewisser Grenzen würde er sich stets als menschlich und zugewandt beschreiben. Aber sosehr er sich auch bemühte, es war ihm nie gelungen, mit diesen beiden Männern auf gutem Fuß zu stehen. Irgendetwas stimmte mit denen nicht. Holly, der Fahrer, war gar nicht so übel. Seine Familie lebte in der Nähe von Markhampton, und Sir Julius hatte sich bemüht, es so einzufädeln, dass Holly den Dienstwagen über die Weihnachtstage mit nach Hause nehmen konnte, um auf der Rückfahrt nach den Feiertagen wieder in Warbeck Hall zu halten. Dieser Geste des Wohlwollens war Holly mit einer gewissen Dankbarkeit begegnet, aber nicht in dem Maße, wie man es hätte erwarten dürfen. Der andere Mann jedoch – dieser Rogers –, der Detective, den ihm die Spezialabteilung von Scotland Yard eigens zugeteilt hatte, was hatte man von ihm zu halten? Manchmal fragte Sir Julius sich, ob Rogers überhaupt ein Mensch war. Seit nunmehr drei Monaten folgte dieser Mann ihm wie ein Schatten, und er wusste nicht mehr über ihn als zu Beginn. Der Bursche war schweigsam und höflich, er antwortete, wenn man ihn ansprach, aber damit hatte es sich dann auch schon. Zweifellos sollte er sich glücklich schätzen, dass dieser Rogers keine ausgesprochen unangenehme Eigenart besaß – im Gegensatz zu dem schrecklichen Kerl, seinem Vorgänger, der ständig schnaubte –, aber Sir Julius blieb dennoch unzufrieden. Es war ernüchternd, dauernd in Gesellschaft eines Mannes zu sein, den man mit nichts beeindrucken konnte. Das war die Wurzel allen Übels. Sir Julius, eitler und leutseliger Mensch, der er war, hatte Karriere gemacht, indem er andere Leute zu beeindrucken wusste. Aber nun hatte ihm das grausame Schicksal einen Mann als Leibwächter zur Seite gestellt, den Sir Julius nicht mit der warmen Ausstrahlung seiner Persönlichkeit zu beeindrucken vermochte – genauso wenig hätte es das kalte Licht des Mondes vermocht.

Inzwischen tanzten die ersten Schneeflocken vor der Windschutzscheibe, und der Scheibenwischer pendelte mit der Beständigkeit eines Metronoms hin und her. Das Auto hatte die Hauptstraße verlassen und folgte nun dem Verlauf einer Strecke, die trotz der zunehmenden Dunkelheit für die Augen des älteren Mannes im Fond des Wagens immer vertrauter wurde. Je mehr Meilen hinter ihnen lagen, desto mehr wurde diese Wegstrecke zu einem Teil seiner Persönlichkeit, wie es nur Orte vermögen, die man seit Kindheitstagen kennt und liebt. Denn es handelte sich nicht mehr länger um eine Straße, die von London nach Markshire führte; es war der Weg nach Warbeck. Und auf dieser Fahrt ging etwas Eigenartiges in dem ehrenwerten Sir Julius Warbeck, Mitglied des Parlaments, Schatzkanzler der fortschrittlichsten sozialistischen Regierung Westeuropas, vor sich. Plötzlich war er wieder fünfzehn Jahre alt und kam von Eton, um die Weihnachtsferien bei seinem Onkel zu verbringen; und während ein verinnerlichtes Landschaftsdetail auf das nächste folgte, verspürte er erneut jene seltsame Mischung aus Stolz, zu einer der ältesten Familien Englands zu gehören, und Neid auf seinen Vetter, den Erben all der Herrlichkeiten dieses geliebten Fleckchens Erde. Als der Wagen langsamer fuhr, um die holprige Brücke über den Fluss zu meistern, der das Dorf Warbeck vom Landgut trennte, grollte er selbst nach vierzig Jahren noch dem Schicksal, das seinen Vater zu einem jüngeren Sohn gemacht und ihn dadurch der Stellung beraubt hatte, die er mit so viel Würde und Anstand hätte ausfüllen können.

Das Ruckeln des Wagens auf der vernachlässigten Auffahrt brach den Zauberbann. Sir Julius fand sich abrupt in der Mitte des 20. Jahrhunderts wieder, in einer Welt, in der die Besitzer historischer Herrenhäuser bedauernswerte Anachronismen waren und hilflos der Stunde harrten, in der der vorwärtsdrängende Schritt der sozialen Gerechtigkeit sie zwingen würde, den privilegierten Positionen abzuschwören, die sie sich zu lange angeeignet hatten. (Mit triumphierender Befriedigung kamen ihm die Worte seiner letzten Wahlrede wieder in den Sinn. Der neidische Schuljunge von vor vierzig Jahren war gerächt!) Nicht, dass er irgendwelchen Groll gegenüber seinem Vetter empfunden hätte. Er wusste die Geste Lord Warbecks zu schätzen, mit der dieser ihn, den Vertreter der neuen politischen Ordnung, ein letztes Mal zum Stammsitz der Familie eingeladen hatte – und Sir Julius hatte dies zu würdigen gewusst, indem er die Einladung annahm. Denn Lord Warbeck würde dieser Welt nicht mehr lange erhalten bleiben. Das hatte er im Einladungsschreiben deutlich gemacht. Nach seinem Ableben würde es keine Warbecks mehr in Warbeck Hall geben. Dafür würde der nächste Haushaltsplan der Regierung schon sorgen. Aber vielleicht war es auch gut so. Zumindest würde die alte Ordnung mit einem ehrbaren und würdevollen Vertreter abdanken. Was den jungen Robert betraf – allein bei dem Gedanken an Robert Warbeck und all die Dinge, für die er stand, geriet Sir Julius’ Blut in Wallung. So kam es, dass am Ende der Fahrt ein überaus aufgewühlter Mann mit geröteten Wangen aus dem Wagen stieg.

»Welchen Zug wirst du morgen nehmen, Camilla?«, erkundigte sich die Gräfin von Simnel bei ihrer Tochter.

»Den um vierzehn Uhr. Ich bin zuerst noch mit dieser Carstairs-Frau zum Essen verabredet. Danach fahren wir zusammen nach Warbeck.«

»Verstehe. Wird das nicht ziemlich langweilig für dich werden?«

Lady Camilla lachte.

»Davon gehe ich aus«, sagte sie. »Aber mir bleibt keine Wahl. Das ist der Zug, den Onkel Tom für uns reserviert hat, und da ich mir kein Taxi vom Bahnhof leisten kann, ist das der Zug, den ich nehmen muss. Aber reist man mit ihr, erspart man sich die Mühe, Konversation betreiben zu müssen. Man braucht ihr noch nicht einmal zuzuhören. Solange man eine wache, kluge Miene aufsetzt, redet sie den ganzen Tag von ihrem wunderbaren Alan, ohne eine Antwort zu erwarten.«

»Mrs. Carstairs«, bemerkte Lady Simnel lapidar, »ist eine Schlaftablette. Gleichwohl ist es durchaus bewundernswert, wie sehr sie ihrem Gatten ergeben ist. Eine Frau, die ihren Lebenszweck gefunden hat, darf sich glücklich schätzen, und offenbar hat sie ihren gefunden.«

Lady Camilla erwiderte darauf nichts, aber der Ausdruck auf ihrem hübschen, klugen Gesicht verriet, dass sie den tieferen Sinn dieser Worte verstand.

»Um diese Jahreszeit wird es in Warbeck Hall kalt sein«, fuhr ihre Mutter fort. »Ich hoffe doch, dass du genügend warme Sachen mitnimmst.«

»Ich nehme alles mit, was ich habe. Darüber hinaus hege ich die Absicht, auch alles anzuziehen. Alles auf einmal. Ich werde mich mit Kleidung aufplustern. Ich weiß, wie es bei einem Kälteeinbruch in Warbeck Hall sein kann.«

»Denkst du nicht, dass du es bequemer hättest, Weihnachten in aller Ruhe mit mir in London zu verbringen?«

Lady Camilla schaute sich in dem kleinen, geschmackvoll eingerichteten Salon in der Wohnung ihrer Mutter um und lächelte.

»Sehr viel bequemer, liebste Mutter«, pflichtete sie ihr bei.

»Bist du wirklich davon überzeugt, dass sich die Fahrt dorthin lohnt?«

»Aber natürlich muss ich hinfahren, Mutter. Onkel Tom hat mich persönlich gebeten zu kommen. Und da dies womöglich die letzte Gelegenheit für mich sein wird, den alten, liebenswerten …«

Lady Simnel rümpfte die Nase. Ob es nun an der unerhörten Eigenart dieses Naserümpfens lag oder ob Camilla ihre eigenen Worte nicht sonderlich überzeugend fand – jedenfalls ließ sie den Satz in der Luft hängen.

»Robert wird dort sein, nehme ich an?«, fragte Lady Simnel unvermutet.

»Robert? Oh, ja, ich denke schon. Er wird sicher kommen.«

»Wann hast du ihn zuletzt gesehen, Camilla?«

»Das weiß ich gar nicht so genau. Ist schon eine Weile her. Er – er war in letzter Zeit sehr beschäftigt.«

»Sehr beschäftigt«, merkte Lady Simnel trocken an. »Wenn man diese idiotische Liga für Freiheit und sonst was überhaupt Beschäftigung nennen kann! Jedenfalls ist er zu beschäftigt, um noch etwas Zeit für seine alten Freunde zu finden.«

»Robert ist ein sehr tapferer Mann«, sagte Camilla etwas atemlos. »Das hat er im Krieg bewiesen. Und darüber hinaus ist er ein Patriot. Man muss ja nicht all seinen Ansichten zustimmen, aber das ist noch lange kein Grund, ihn zu beschimpfen.«

»Nun«, erwiderte ihre Mutter ruhig, »du bist fünfundzwanzig und somit alt genug, dir deine eigene Meinung zu bilden. Einmal abgesehen von seinen politischen Ansichten glaube ich nicht, dass Robert ein guter Fang wäre. Er dürfte wohl nie imstande sein, sich ein Leben in Warbeck leisten zu können. Aber das ist deine Sache. Ich halte nichts davon, mich in derartige Angelegenheiten einzumischen. Was deinen Vorwurf angeht, ich würde ihn beschimpfen, so habe ich lediglich darauf hingewiesen, dass er dich seit geraumer Zeit gemieden hat.«

»Hör zu, Mutter!« Lady Camilla wandte sich ihrer Mutter plötzlich zu und sah sie an. »Du denkst, ich laufe Robert hinterher, nicht wahr?«

»Nun, meine Liebe, ich weiß nicht, wie der moderne Ausdruck dafür lautet, aber so hätte man es zu meiner Zeit ausgedrückt.«

»Dann hast du wohl recht – ich laufe ihm hinterher. Und sobald ich in Warbeck bin, habe ich die Absicht, das ein für alle Mal zu klären. Ich kann so nicht weitermachen – das geht einfach nicht. Wenn er mich nicht will, dann soll er es einfach sagen und nicht versuchen, sich zu drücken, indem er mir aus dem Weg geht. Und wieso, zum Teufel, sollte er mich denn nicht wollen? Das möchte ich gern wissen!«

Lady Camilla stand auf, das wundervolle Abbild einer jungen Frau. Ihre Mutter taxierte sie nüchtern und mit abschätzenden Blicken.

»Weil er vielleicht eine andere wollte«, bemerkte sie. »Aber du solltest besser nach Warbeck fahren und die Sache klären, wie du sagst – ein für alle Mal.«

Mrs. Carstairs führte ein Ferngespräch nach Washington. Ihre Worte sprudelten nur so in den Telefonhörer, sie sprach unglaublich schnell und ließ nur gelegentlich eine kurze Pause für eine Antwort. Tatsächlich schien sie fest entschlossen zu sein, für die Dauer des Dreiminutengesprächs den größtmöglichen Gegenwert in Worten zu erhalten.

»Großartig, deine Stimme zu hören, Darling«, sagte sie. »Bist du nicht zu müde nach all der Arbeit? … Und du bist sicher, dass du etwas Anständiges zu essen bekommst? … Oh, natürlich, Liebster, ich weiß ja, dass du darauf achtest, aber du musst wirklich vorsichtig mit deinem Magen sein … Versprich mir, dass du es nicht übertreibst, ja? … Weißt du, ich sollte bei dir sein, dann könnte ich mich richtig um dich kümmern … Ja, Liebster, ich weiß, und schließlich leiste ich meinen kleinen, bescheidenen Beitrag und halte hier die Stellung, während du fort bist. Dass ich über Weihnachten in Warbeck sein werde, hatte ich dir schon mitgeteilt, oder? … Oh ja, der Schatzkanzler wird auch dort sein, dieser dämliche, aufgeblasene alte Mann … Gut, vielleicht sollte ich so etwas nicht sagen, aber du weißt, dass ich recht habe. Es bringt mich noch um den Verstand, wenn ich nur daran denke, dass er dir im Weg steht, obwohl doch jeder weiß … Nein, Liebster, natürlich werde ich das nicht tun. Ich werde sehr höflich zu ihm sein. Ich denke, inzwischen ist ihm bewusst, wie viel er dir zu verdanken hat … Darling, du bist wie immer viel zu bescheiden. Wenn du nur wüsstest, wie stolz ich auf dich bin. Ich habe den Premierminister am Dienstag gesehen, und die Dinge, die er über dich gesagt hat, haben mich so glücklich gemacht … Darling, wie lieb von dir. Natürlich würde ich alles Erdenkliche tun, um dir zu helfen, aber eine arme, schwache Frau kann nur wenig ausrichten … Ja, ich werde morgen nach Warbeck Hall fahren. Es wird nett sein, wieder dort zu sein. Ich wünschte nur, du könntest mich begleiten … Alan, Liebster, was redest du denn da! Du wärst nirgends fehl am Platze! Ist dir denn immer noch nicht bewusst, was für ein großartiger Mann du bist? Ach, ich werde mich einfach im Abglanz deines Ruhmes sonnen … Oh, nein, es ist keine Hausparty – nur ein kleines Familientreffen … Ja, Robert wird auch dort sein, fürchte ich … Ich weiß, Darling, ganz schrecklich, aber was will man machen? Ein Jammer, denn er war immer so ein netter Junge … Aber Darling, du glaubst doch nicht im Ernst, dass seine Liga gefährlich werden kann, oder? … Nein, nein, natürlich kann man das nicht am Telefon besprechen, aber wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen, wie es so schön heißt, und ich verspreche dir, dass ich sehr vorsichtig sein werde … Ja, Darling, du kannst mir vertrauen, das weißt du. Ich werde alles tun, was ich kann. Habe ich das nicht immer getan? … Oh, Alan, Liebster, wenn du nur wüsstest, wie stolz ich bin. In der Daily Trumpet stand gestern ein wunderbarer Artikel über dich, gleich auf der Titelseite. Ich musste fast lachen! Wenn man bedenkt, was früher alles so in der Trumpet …« Und so ging es in einem fort.

In einem öden Raum im oberen Stockwerk eines leerstehenden Lagerhauses in London brachte Robert Warbeck die monatliche Versammlung der Gruppenführer der Liga für Freiheit und Gerechtigkeit zum Abschluss. Er war ein großer, gutaussehender junger Mann mit rötlich braunem Haar, und in seinen leicht vorstehenden grauen Augen lag der starre Blick des Fanatikers. Das gute Dutzend Männer, vor denen er im Verlauf der letzten halben Stunde gesprochen hatte, setzte sich aus allen Typen und gesellschaftlichen Schichten zusammen. Keiner der Anwesenden war älter als fünfunddreißig Jahre. Was sie vereinte, war – abgesehen von der gebannten Aufmerksamkeit, mit der sie ihrem Führer an den Lippen hingen – ihre Kleidung. Ebenso wie Robert trugen die Männer graue Flanellhosen und scharlachrote Pullover, auf denen auf linker Brusthöhe ein gestickter weißer Dolch prangte.

»Das wäre dann alles für heute Abend, meine Herren. Sie werden rechtzeitig über das Datum der nächsten Versammlung in Kenntnis gesetzt. Sie dürfen wegtreten.«

Jeder erhob sich von seinem Platz, stand einen Moment stramm und führte dann mit der linken Hand einen etwas komplizierten Gruß aus, den Robert Warbeck feierlich erwiderte. Kurz darauf ging es ein wenig entspannter zu. Die Männer zogen sich in den hinteren Bereich des Raums zurück, entledigten sich dort der Pullover, reichten sie einem aus ihren Reihen und marschierten dann in Hemdsärmeln nach unten, wo sie wieder in die Mäntel und Westen des bürgerlichen Lebens schlüpften.

Warbeck blieb allein mit dem Mann, der die Pullover eingesammelt hatte. Schweigend sah er zu, wie sie feierlich zusammengefaltet und in einen großen Schrank gelegt wurden, der die ganze Länge des Raums einnahm. Dann reckte sich Robert müde, zog seinen eigenen Pullover aus und überließ ihn seinem Adjutanten, auf dass er das Kleidungsstück in ein getrenntes, verschließbares Fach legte.

»Es kommt die Zeit«, sprach er, »in der wir die Uniformen in der Öffentlichkeit tragen werden. Aber so weit ist es noch nicht.«

»Jawohl, Chef.« Die Antwort klang respektvoll, aber ein klein wenig routinemäßig, als hätte der Mann ebenjene Bemerkung schon viele Male gehört. »Der Schlüssel für Ihren Schrank, Chef.«

»Danke.«

»Sie sehen müde aus, Chef.«

»Ein paar Tage Ruhe täten mir sicher gut«, räumte Warbeck ein, als sei es ihm unangenehm, eine menschliche Schwäche einzugestehen.

»Dann reisen Sie also morgen ab, Chef?«

»Genau. Wenn ich London verlasse, werde ich die Unterabteilung Fulham in Augenschein nehmen. Diese Burschen müssen offenbar erst noch lernen, was Disziplin ist.«

»Das werden Sie denen schon beibringen, Chef.«

»Anfang nächster Woche werde ich wieder hier sein. Dann können wir Vorkehrungen für die Versammlung in Nord-London treffen. In der Zwischenzeit wissen Sie ja, wie Sie mich erreichen können, falls das nötig sein sollte.«

»Ja, Chef. Ich hoffe, Sie werden angenehme Weihnachtstage verbringen.«