Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im Leipziger Völkerschlachtdenkmal werden zwei maskierte Personen ermordet. Gnadenlos! Die Toten liegen wie zwei Rechte Winkel nackt und unnatürlich auf dem Granitboden. Der Rechte Winkel ist ein Symbol der Freimaurer. Das Völkerschlachtdenkmal gilt vielen Freimaurer-Logen weltweit als eine Art Gralstempel der Freimaurerei. Gibt es eine Botschaft? Oder ist die Freimaurerei eine falsche Fährte? Die Leipziger Mordkommission ermittelt in alle Richtungen. Von entscheidender Bedeutung für die Lösung des Falles ist die Frage nach der Existenz eines geheimen Ganges.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 337
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Im Leipziger Völkerschlachtdenkmal werden zwei maskierte Personen ermordet. Gnadenlos!
Die Toten liegen wie zwei Rechte Winkel nackt und unnatürlich auf dem Granit-boden.
Der Rechte Winkel ist ein Symbol der Freimaurer.
Das Völkerschlachtdenkmal gilt vielen Freimaurer-Logen weltweit als eine Art Gralstempel der Freimaurerei.
Gibt es eine Botschaft? Oder ist die Freimaurerei eine falsche Fährte?
Die Leipziger Mordkommission ermittelt in alle Richtungen.
Von entscheidender Bedeutung für die Lösung des Falles ist die Frage nach der Existenz eines geheimen Ganges.
---------------------------------------------------------
Der Autor
- lebt in Leipzig. Verheiratet, zwei Kinder.
Studierte Geophysik, Literatur und Philosophie.
Seit 1984 freiberuflich als Schriftsteller, Kabarettist und Fotograf.
Sonntag gegen 2 Uhr
Sonntag gegen 5 Uhr
Sonntag gegen 6 Uhr
Sonntag gegen 9 Uhr
Sonntag gegen 11 Uhr
Sonntag gegen 12 Uhr
Sonntag gegen 13 Uhr
Sonntag gegen 16 Uhr 30
Montag gegen dreizehn Uhr
Montag gegen 16 Uhr
Montag gegen 19 Uhr
Montag 20 Uhr
Dienstag gegen 9 Uhr
Dienstag gegen 9 Uhr
Dienstag gegen 9 Uhr
Dienstag 10 Uhr
Dienstag gegen 14 Uhr
Dienstag gegen 15 Uhr
Dienstag gegen 17 Uhr
Dienstag gegen neunzehn Uhr
Dienstag gegen 19 Uhr
Mittwoch gegen 9 Uhr
Mittwoch gegen 9 Uhr
Mittwoch gegen 9 Uhr
Mittwoch gegen 13 Uhr
Mittwoch gegen 14 Uhr dreißig
Mittwoch gegen 15 Uhr
Mittwoch gegen 16 Uhr
Mittwoch gegen 20 Uhr
Donnerstag gegen 16 Uhr
Donnerstag gegen 17 Uhr
Donnerstag gegen 17.30 Uhr
Donnerstag gegen 18 Uhr 30
Donnerstag gegen 20 Uhr
Dass sich die beiden alten Bundeswehrkameraden drei Tage vor dem Doppelmord im Völki nach so vielen Jahren wieder gegenübersaßen - im McDonald's - geschah auf Initiative von Holger Kufuß. Der hatte sich, als er einen anonymen Erpresserbrief bekam, in seiner Not an seinen umtriebigen und resoluten Kumpel von damals erinnert. Harry Hartig - Windhund in allen Gassen!
In dem Briefumschlag, den ihm der Erpresser per Post gesendet hat, befanden sich ein Blatt beschriebenes Papier und ein USB-Stick.
Diesen Stick legte Holger Kufuß vor Harry Hartig auf den Tisch. Harry schob in übertriebener Nachdrücklichkeit seinen Kaffee-Becher zur Seite und starrte auf das kleine Gerät, als wäre es ein giftiges Untier.
"Und was ist damit?"
"Da ist das drauf, womit ich erpresst werde!" - flüsterte Holger, obwohl weit und breit keine Gäste in der Nähe waren, die hätten zuhören können.
"Na, und was ist das, du Pfeife?"
Harry Hartig hatte Holger schon damals beim Bund immer so geringschätzig tituliert - 'Pfeife'. Jetzt traf Holger die Bezeichnung als 'Pfeife' wie eine echte Beleidigung.
Wie kam der dazu ihn 'Pfeife' zu nennen? Ihn, den erfolgreichen Geschäftsmann, der in der Bus-Reise-Branche und auch im 'Lions-Club' hohe Anerkennung genoss?
Aber Holger Kufuß konnte sich bremsen. Er wollte ja etwas von Harry Hartig. Der musste für ihn die Kastanien aus dem Feuer holen. Der musste die Sache mit der Erpressung deichseln! Also pfeif auf die 'Pfeife'!
Holger Kufuß holte aus:
"Ich habe da vor ein paar Wochen eine Frau… also, bei einem Lehrgang… es ging um Brandschutz."
"Brandschutz ist wichtig, du Pfeife! Aber noch wichtiger ist Verhütung. Hast du der ein Kind gemacht?"
"Nicht, dass ich wüsste!", antwortete Holger und grübelte doch ein paar Zehntelsekunden, ob es nicht doch sein könnte, dass er ihr…? Nein, die hatte doch gesagt, du brauchst nicht aufzupassen, ich nehme die Pille! Ja, das hatte die gesagt!
"Nein, Quatsch! Kein Kind! Nein! Aber jemand hat uns mit einer Kameradrohne gefilmt. Im Hotelzimmer. Im zweiten Stock. Durch das offene Fenster."
"Schließe stets die Fenster zu, dann hast du vor Drohnen Ruh!", reimte Harry Hartig und griente über alle vier Backen, schien es Holger Kufuß.
"Bleib mal bitte ernst, Harry! Schau dir das an!", Holger schob ihm den Stick noch ein Stückchen weiter über den Tisch. "Du hast bestimmt schon bessere Pornos gesehen, aber es ist eben nicht wegzudiskutieren, was wir machen."
"Und was habt ihr gemacht, ihr Pfeifen? Gebumst habt ihr!", Harry Hartig lehnte sich zurück und verschränkte die Hände im Genick. "Und wenn du nicht bezahlen willst, dann erfährt das deine Frau. Oder was?"
"Genau!"
"Und was ist daran schlimm?"
Holger Kufuß war sich im Klaren, dass es wenig Zweck haben würde, Harry erklären zu wollen, wie wichtig ihm Beate als Ehefrau ist, auch wenn sie im Rollstuhl sitzt. Sie ist die Mutter seiner Kinder, die er um keinen Preis verlieren möchte. Und er hat nie wirklich eine andere Frau gewollt!
Seine ständigen Eskapaden mit den Escort-Damen zählen nicht! Die hatte er ja nur wegen der sexuellen Hygiene!
Nein, das kann er Harry nicht verklickern!
Was der vielleicht begreifen könnte, das ist:
"Weißt du, das Schlimme wäre, wenn sie es erfährt, dass ich dann womöglich auf der Straße sitzen würde. Das Haus gehört ihr, neunzig Prozent der Firma gehören ihr. Sie könnte mich als Geschäftsführer entlassen."
Sich nach vorne beugend und Holger Kufuß von unten her fest in den Blick nehmend, fragte Harry:
"Okay! Und wie viel sollst du an Schweigegeld zahlen?"
"Hunderttausend. In unsortierten Scheinen."
Harry Hartig lehnte sich wieder zurück.
"Ist das viel - hunderttausend?"
Eine prekäre Frage! Holger Kufuß stutzte einen Moment.
"Naja, das kann man so oder so sehen. Aber es ist mehr, als ich flüssig habe."
Harry Hartig witterte ein Geschäft.
"Und… - wie viel hast du flüssig?"
"Die Hälfte."
Mit einer großen Geste fischte sich Harry den USB-Stick vom Tisch.
"Aha, das sind, wenn ich richtig rechne - fünfzigtausend."
"Ja, ungefähr!", bestätigte Holger.
Harry Hartig saß eine ganze Weile wie erstarrt und schaute in den Kaffeebecher. Er überschlug das Verhältnis von Risiko und möglichem Gewinn. Aber er zögerte noch, seinen Vorschlag zu unterbreiten.
Holger Kufuß fühlte sich wegen Harrys Schweigen aufgefordert, noch etwas zu sagen, was Harry Hartig zu einer Erklärung anregen könnte.
"Äh, wenn ich die Polizei einschalte, dann würde meine Frau auch einen Stick erhalten. Und Susannes Mann ebenso."
Harry Hartig hatte seinen lyrischen Tag.
"Susanne, Susanne, sie weckt die Lust im Manne!"
"Es ist nicht lustig, Harry! Und mir wird angedroht…", Holger Kufuß angelte das beschriebene Blatt Papier aus der Brusttasche seines Hemdes. "Hier! Der Zettel war auch in dem Briefumschlag. Da steht: 'Wenn du Hurenbock die Polizei einweihst oder deine Schlampe, oder gegenüber jedweden anderen Person das Schweigen brichst, droht dir zur Strafe, dass dir die Kehle abgeschnitten, die Zunge bis auf die Wurzel aus dem Mund geschnitten, das Herz aus dem Leibe gerissen und dieses alles in der Tiefe des Meeres begraben, dein Körper zu Asche verbrannt und die Asche in den Wind geworfen werde, damit weder unter den Menschen noch unter Tieren das geringste Andenken von dir bleibe."
Harry Hartig nahm den Zettel an sich .
"Zeig den Wisch mal her!", er las noch einmal langsam und laut den grausigen Teil des Textes vor und begann hämisch zu feixen.
"Den Text kenne ich. Den musste ich auswendig aufsagen, als ich bei den Freimaurern aufgenommen wurde. Das ist aus dem Schwur."
"Bist du Freimaurer?"
"Ja. 'Neophyt'! Also, Neugeweihter. Die ganze Zeremonie hat fast eine ganze Stunde gedauert."
Holger Kufuß ist beinahe entsetzt. Für ihn sind Freimaurer edle und hochgesinnte Feingeister. Wie konnten die denn so etwas wie Harry Hartig aufnehmen?
Aber sie müssen ihn wahrhaftig aufgenommen haben, denn Harry sagte:
"Wenn ich demnächst in den nächsthöheren Grad aufsteige, also, was sich dann 'Geselle' nennt, da muss ich Verschwiegenheit geloben bei Strafe, dass mir die Brust aufgeschlitzt wird, das Herz herausgerissen und alles den Geiern zu Fraß vorgeworfen wird."
Wenn Holger Kufuß tun würde, was er am liebsten täte, dann stünde er auf, nähme den USB-Stick wieder an sich und würde grußlos seiner Wege gehen. Er fürchtete längst, dass Harry Hartig einzuweihen, ein Fehler sein könnte. Der begreift den Ernst der Situation nicht!
Harry Hartig aber saß wieder regungslos und lauschte anscheinend dem schauerlichen Schwur nach. Doch endlich entschied er sich und sagte:
"Pass auf, du Pfeife, das schaukle ich persönlich. Zur Übergabe gehe ich mit dem Geld hin, damit ich notfalls etwas vorweisen kann. Am Ende schieß ich dem Kerl ins Knie oder so. Notwehr! Dann lege ich dem Handschellen an."
Holger Kufuß war sehr überrascht.
"Du willst den Erpresser austricksen?"
Harry Hartig wurde plötzlich sachlich.
"Pass auf, du Pfeife! Fünfzigtausend Eier verdiene ich nicht jeden Tag. Für mich sind fünfzigtausend viel Geld! Da kann ich nicht zusehen, wie das irgendeinem Arsch in den Rachen geschmissen wird. Nee! Nicht mit mir!" Harry Hartig strich sich die gegelten dunkelbraunen Haare nach hinten. "Ich frage mich sowieso schon immer, wenn in den Fernsehkrimis jemand erpresst wird… und wenn dann die Geldübergabe ist, inklusive Austausch der Geisel oder so… - warum sind die immer so doof und geben wirklich echtes Geld hin? Hä? Statt Geld könnte eine Sprengladung drin sein! Oder man muss eben der Erste sein, der schießt!"
"Naja", Holger Kufuß fand den aggressiven Ansatz, den Harry vorbrachte, nach kurzer Abwägung gar nicht so schlecht. Entweder es würde klappen, dann hätte Harry Hartig zwar fünfzigtausend abkassiert, aber er, Holger Kufuß, hätte fünfzigtausend eingespart. Der Erpresser wäre aus dem Rennen.
Und wenn es schiefginge, dann hätte der Erpresser das Geld und Harry Hartig wäre tot. Und dann wäre der Erpresser ein Mörder und müsste sehen, dass er schleunigst mit den Fünfzigtausend untertauchen kann.
Auch hier wäre die Bilanz positiv. Fünfzigtausend gespart!
"Hast du eigentlich eine Waffe?", wollte Holger Kufuß noch wissen.
Harry Hartig zog aus der Innentasche seines Jacketts eine Pistole hervor.
"Eine italienische 'Beretta'! Die habe ich offiziell. Mit Waffenschein und Pipapo. Und eine andere Pistole habe ich noch von damals. Ohne Pipapo!"
"Na, dann ist ja alles klar!", sagte Holger Kufuß. "Ich informiere dich, wenn ich Ort und Zeit für die Übergabe weiß." Harry Hartig neigte sein weises Haupt nach rechts.
"Und vergiss nicht! Der Erpresser ist Freimaurer. Sonst würde der den Schwur nicht kennen. Und wenn der rauskriegt, dass du mir alles erzählt hast, wenn ich dich erinnern darf: Kehle ab, Zunge raus, Herz raus! Viel Vergnügen!"
Lachend verließ Harry Hartig das McDonald's.
Auf dem parkähnlichen Gelände rings um das Leipziger Völkerschlachtdenkmal herrscht an diesem frühen, noch nächtlichen Sonntagmorgen im Juni, zwei Stunden nach Mitternacht, Ruhe und Frieden. Nichts deutet darauf hin, dass ein schweres Verbrechen… ein Mord… ein Doppelmord geschehen wird. Die Sterne funkeln und auf der Oberfläche des vollen Mondes kann man mit bloßem Auge die Krater erkennen, die mit Phantasie den Mann im Mond darstellen. Sommersonnenwende!
Die tiefschwarze Silhouette des gigantischen Bauwerks spiegelt sich in dem vorgelagerten Wasserbecken, dessen Oberfläche von keiner Welle bewegt wird, mit scharfen Konturen. Totale Windstille! Von der Stadt her kommen nur selten Geräusche von Autos oder einer Straßenbahn.
Eine der Kameras, die im Inneren des Völkerschlachtdenkmals zur Überwachung der tagtäglichen Besucherströme installiert sind, zeichnet ein erschreckendes Geschehen in der, nur durch wenige Notlichter schwach erleuchteten Ruhmeshalle, auf:
Zuerst betritt eine männliche Person in einem schwarzen schlabbrigen Jogginganzug und einer Clownslarve vor dem Gesicht den umlaufenden Balkon der Ruhmeshalle und versteckt sich im Schatten einer der monumentalen Skulpturen, von denen vier in der kreisrunden Ruhmeshalle symmetrisch gruppiert sind. Es sind sitzende, muskelstrotzende Menschenkörper aus Granit, die mit ihren fast zehn Metern Höhe den nächtlichen Besucher winzig erscheinen lassen.
Der maskierte Mann trägt ein kleines, in hellbraunes Papier eingeschlagenes Päckchen in der linken Hand und lehnt sich mit dem Rücken in den Schatten zu Füßen einer der Monumentalskulpturen.
Nur wenige Momente später kommt eine zweite, ebenfalls mit einer Clownslarve maskierte Person von der, dem Versteck der männlichen Person gegenüberliegenden Seite in die Ruhmeshalle. Der Körperform nach eindeutig weiblich. Sie trägt großgeblümte dunkelrote Leggings und ein enges, ebenfalls dunkelrotes T-Shirt, schaut sich kurz um und versteckt sich ebenfalls im Schatten einer der nächstliegenden Monumentalskulpturen.
Auch die maskierte Frau hat ein kleines Paket bei sich. Sie hat es in einer Plastiktüte gehüllt.
Dass beide Personen eine solch auffällige Clownslarve tragen, scheint merkwürdig. Sollen sich die beiden Personen gegenseitig nicht erkennen, oder gilt die Tarnung der Überwachungskamera?
Aus den Reaktionen des maskierten Mannes kann man erkennen, dass er die hinzugekommene weibliche Person registriert und über ihr Erscheinen erschrickt. Er schiebt seinen Körper noch tiefer in den Schatten des granitenen Riesen und zieht eine Pistole aus dem Hosenbund.
Beide Personen halten sich nun - beinahe gleichzeitig - ein Handy ans Ohr, lauschend, ohne zu antworten.
Die weibliche Person versucht aus ihrem Versteck heraus, die Halle zu überblicken, indem sie sich mit der Schulter voran wenige Zentimeter aus dem schützenden Schatten der Monumentalskulptur nach vorne neigt und ihren Kopf roboterartig nach links und rechts dreht, was dieser Clownsmaske geschuldet ist, die den Augen nur die Sicht nach gerade vorn erlaubt.
In diesem Moment flammt von oben, von der Sängergalerie her, der scharf gebündelte Schein einer Taschenlampe auf und erfasst die weibliche Person.
Der erste Schuss fällt nur Bruchteile von Sekunden später und trifft die weibliche Person. Sie fällt in sich zusammen und liegt nun bewegungslos zu Füßen der Monumentalskulptur. Ihr Gesicht mit der Clownslarve ist zum Boden gerichtet. Es scheint, als wolle sie den Granit küssen. Aus ihrem Kopf sickert Blut.
Die männliche Person ist bei dem Schuss heftig zusammengezuckt, aber in ihrem Versteck geblieben, ohne den Versuch zu unternehmen, in die Halle zu blicken. Man sieht förmlich, wie die Person die Luft anhält, um sich nicht zu verraten.
Das helle Lichtbündel der Taschenlampe, das von oben kommt, wandert langsam an der Wand entlang von der weiblichen Person weg hinüber zur anderen Seite der Ruhmeshalle und erfasst schließlich die in Angst erstarrte männliche Person in ihrem Versteck.
Der zweite Schuss fällt mit nur sehr kurzer Verzögerung.
Die männliche Person rutscht mit steifem Rücken am Steinsockel der Monumentalskulptur zu Boden. Der Kopf hängt leblos nach vorn. Es ist kein Blut zu sehen. Erst nach einer ganzen Weile beginnt es zäh unter dem Körper hervorzuquellen und sich langsam über den Granitboden auszubreiten. Nun senkt sich der Oberkörper des Mannes langsam seitwärts dem Boden zu, bis er rücklings in seinem eigenen Blut liegt. Die Clownslarve starrt grinsend hinauf in die riesige Kuppel.
Der Lichtstrahl der Taschenlampe, der von der Sängergalerie kommt, erlischt.
Wenige Sekunden lang sieht man auf dem Monitor im 'Security-Room' die Ruhmeshalle mit den Monumentalskulpturen nur noch schemenhaft. Die Notbeleuchtung ist schwach. Desto deutlicher reflektiert sich in den dunklen Pfützen, die sich neben den beiden Toten langsam weiter ausbreiten, das von oben durch die Kuppelfenster einfallende Mondlicht.
Die beiden menschlichen Körper werden von den Schatten der Monumentalskulpturen weitestgehend verschluckt.
Nur wenn man weiß, dass da etwas liegt, könnte man auf dem Monitor vielleicht den Kopf der Frau mit den blonden Haaren, oder das Päckchen, das dem Mann aus den Händen glitt, oder das Handy der Frau im drüben Schein der Notbeleuchtung erkennen.
Dann leuchtet der Lichtstrahl wieder auf und wird sofort direkt in die Optik der Überwachungskamera gerichtet. Dem grellen Licht folgt ein Schuss, der die Kamera zerstört.
Der diensthabende Angestellte der Firma 'City-Security', Kevin Kunze - einundsechzig Jahre alt, verheiratet, drei Enkel -, der die Originalbilder aus der Ruhmeshalle, die die Kamera, als sie noch nicht zerstört war, zum Monitor übertrug, nicht gesehen hatte, bemerkte auch den Ausfall der Kamera nicht. Er schläft zu fest.
Als er später aufwacht und bemerkt, dass die Kamera, die die Ruhmeshalle überwachen soll, keine Bilder mehr überträgt, sondern nur noch 'Schneetreiben' zeigt, wundert er sich kurz - und flucht leise auf die Scheißtechnik.
Erst bei seinem Sonnenaufgangs-Rundgang, den er, wenn er Nachtschicht hat, immer mit besonderer Freude unternimmt - vorausgesetzt, dass es einen Sonnenaufgang gibt! -, entdeckt er die beiden Toten in der Ruhmeshalle.
Natürlich alarmiert er sofort, nachdem er begriffen hat, was er sieht, die Polizei - Eins Eins Null!
Dann ruft er den Chef seiner Firma - 'City-Security' - an. Anschließend den Direktor des Denkmalkomplexes.
Der Notfallanruf geht gegen fünf Uhr in der Notfallzentrale im Polizeipräsidium Leipzig ein und wird umgehend an den Diensthabenden Kommissar - in diesem Fall war es Kommissar Lucas Lasch von der Mordkommission - weitergeleitet. Doppelmord im Völkerschlachtdenkmal!
Im Polizeipräsidium Leipzig sehnt sich Kommissar Lucas Lasch dem Ende des Bereitschaftsdienstes, der planmäßig bis 6 Uhr morgens geht, entgegen.
Der Notruf kommt kurz vor Ende seiner Bereitschaft. Ein schweres Verbrechen wird gemeldet. Zwei Tote!
Lucas Lasch ist sofort hellwach und sitzt mit geradem Rücken am Schreibtisch.
Wenn er an seinem Schreibtisch sitzt, wirkt der Schreibtisch beinahe zierlich. Sein muskulöser Oberkörper, der jedem Kugelstoßer zur Ehre gereichen würde, zeugt von seiner sportlichen Vergangenheit als Ruderer.
Zum Ort der Tat, dem Völkerschlachtdenkmal - das in Leipzig nur Völki heißt -, besitzt er ein besonderes Verhältnis. Er singt im Denkmals-Chor mit.
Angesichts seiner Erscheinung würde man ihn sicher bei den Bässen einordnen, aber Lucas Lasch ist im Gegenteil einer der drei Tenöre des Chores.
Vor den großen Konzertauftritten gibt es Proben vor Ort. Egal, ob dann in den Katakomben im Fundamentbereich des Denkmals geprobt wird, oder in der Krypta, die Aura der Orte beflügelt ihn immer wieder gleichermaßen. Noch schöner sind dann die Konzerte - wenn er oben auf dem Balkon der Ruhmeshalle stehen, oder gar direkt von ganz oben, von der Sängergalerie aus, die Töne schmettern kann! Es ist kein bloßes Singen, es ist ein Schallen durch Raum und Zeit! Als würden die Monumentalskulpturen mitsingen!
Jetzt muss er sich auf die aktuelle Situation konzentrieren und umgehend seine Kollegen der Mordkommission - den Chef, Hauptkommissar Emil Marek, Polizeianwärterin Evelin Klopp sowie die Spurensicherung und den Rechtsmediziner - alarmieren.
Doppelmord im Völki! Und das zur Sommersonnenwende!
Nachdem Kommissar Lasch erfolgreich alles mobilisiert hat, was zu mobilisieren notwendig war, bleibt er noch einige Minuten im Büro der Bereitschaft, übergibt dann an den Kollegen der Tagbereitschaft, setzt sich die mittlerweile unentbehrliche Brille auf und macht sich selbst mit seinem Fahrrad auf den Weg zum Völki. Er trifft fast gleichzeitig mit seinem Chef, Hauptkommissar Emil Marek, der den Dienst-VW fährt, dort ein.
Die Brille braucht Lucas Lasch für die Ferne. Seit vier Jahren hat er sie. Randlos, beinahe unauffällig.
Sein Chef, Hauptkommissar Emil Marek, der reichlich zehn Jahre älter ist, braucht seine Brille für die Nähe. Deshalb gibt es das geflügelte Wort im Präsidium, dass mindestens einer der beiden Kommissare der Mordkommission die Brille aufhat!
Hauptkommissar Emil Marek will sofort den Tatort sehen. Am liebsten wäre es ihm, wenn er stets der allererste an einem Tatort sein könnte, um einen komplexen und unberührten Eindruck zu haben und den 'Ruch des Verbrechens' erspüren zu können. Emil Marek ist davon überzeugt, dass ihm ein Tatort auf rein intuitiver Ebene viel von dem, was passierte, verraten kann. Oder wenigstens andeuten!
Aber da ist nichts mehr zu machen. Die Kollegen der Spurensicherung waren schneller da.
Er legt nun fest, dass Polizeianwärterin Evelin Klopp ihn zum Tatort in das Denkmal begleiten soll, um Fotos zu machen. Kommissar Lasch soll sich um den Security kümmern, der das Verbrechen meldete.
Den Weg zum Tatort muss dem Hauptkommissar niemand zeigen. Er kennt das Völki in- und auswendig.
Vor kaum vierzehn Tagen war Hauptkommissar Marek mit seiner Lebensgefährtin, Emma Fichtner, der Kollegin aus Grimma, samt zwei ihrer Enkel, wieder einmal im Völki gewesen. Insgesamt dürften es bei ihm mindestens sieben oder acht Besuche gewesen sein, die er seit seiner Schulzeit bei verschiedenen beruflichen und familiären Anlässen absolviert hat. Wenn man Gästen etwas zeigen möchte von den Leipziger Sehenswürdigkeiten, dann kommt - gleich nach dem Zoo mit dem 'Gondwanaland' - das Völki! Das ist so!
Der Schreck steckt dem diensthabenden Security noch in den Knochen, als er dem Kommissar von der Leipziger Mordkommission Rede und Antwort stehen muss.
Kommissar Lasch schlägt gegenüber dem Security einen lockeren, beinahe kumpelhaften Ton an. Man unterhält sich so von Kollege zu Kollege!
Wobei - was heißt von Kollege zu Kollege?
Natürlich besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen einem Security und einem Kommissar der Mordkommission, der bestimmt demnächst zum Hauptkommissar befördert werden wird. Aber Kommissar Lasch ist aus befragungstaktischen Gründen bereit, diesen Unterschied nicht übermäßig heraushängen zu lassen.
Für die Befragung hat Kommissar Lasch - naheliegend - den 'Security-Room' gewählt. Andere Büros sind auch noch nicht zugänglich. Das Personal des Völkerschlachtmuseums beginnt den Dienst nicht vor acht Uhr. Ab zehn Uhr ist für die Besucher geöffnet. Täglich. Auch sonntags.
Der 'Security-Room' wirkt wie eine Arrestzelle, die mit drei Kleiderspinten, einem Schreibtisch, auf dem ein Überwachungs-Monitor steht, und einem kleinen quadratischen Tisch, an dem die jeweils diensthabenden Security die Mahlzeiten des Tages einnehmen, möbliert ist. Ein kleines, rundes, deckennahes Fenster lässt erstes Morgenlicht herein. Trotzdem brennt an der Decke eine kahle Neonröhre. Gemütlichkeit pur!
Kommissar Lasch sitzt dem Security, Kevin Kunze, am Tisch gegenüber. Die Thermoskanne, der Kaffeepott und die große Aluminiumbrotbüchse, die den Proviant des Angestellten beinhaltet, bilden in der Mitte des Tisches eine kleine Barriere zwischen beiden.
Ein Schutzwall! - denkt Kommissar Lasch amüsiert.
Auf dem Monitor läuft zum wiederholten Mal die Aufzeichnung der Ereignisse, die die Kamera in der Ruhmeshalle festgehalten hat.
Nachdem der Bildschirm wieder nur noch flirrendes Schneetreiben zeigt, stoppt Kevin Kunze den Recorder und gießt sich einen Kaffee ein - ohne dem Kommissar auch eine Tasse anzubieten! - und beginnt ungefragt zu reden:
"Nee, nee, nee - Sie müssen sich das mal vorstelln, Herr Kommissar - da erlebe ich einen herrlichen Sonnenaufgang … gehe dann rein in die Ruhmeshalle … und bauz - da liegen zwee Tote rum - nacksch! - und bluten den Fußboden voll! Beuchaer Granit! Ob die Mädels vom Besengeschwader das wieder wegkriegen?"
Kommissar Lasch kann sich alles durchaus vorstellen, und er kennt auch die Probleme der Tatortreinigung, aber ihn interessiert etwas Anderes mehr:
"Aber als der Monitor nur noch 'Schneetreiben' überträgt, warum haben Sie dann drei Stunden gewartet, bevor sie den Rundgang durch das Denkmal gemacht haben?"
Kevin Kunze steht von seinem Stuhl auf und geht im 'Security-Room' ein paar Schritte hin und her und kratzt sich im Genick:
"Naja, weil der Sonnenaufgang eben nich eher war!"
"Aber als sie zurückgespult haben … und dann auf ihrem Monitor gesehen haben, was da in der Ruhmeshalle passiert ist … die beiden maskierten Personen, die Taschenlampe … dann die Schüsse …!"
"Naja, ich hab ja nicht zurückgespult. Und die Schüsse kann keener hörn!"
"Aber das 'Schneetreiben' … hat Sie das nicht stutzig gemacht?"
"Nee!", gibt Kevin Kunze unverblümt zu. "Die blöden Dinger tun andauernd mal ausfalln. Wenn ich da jedes Mal gleich losstürzn würde … wo komm wir denn da hin …?!"
Kevin Kunze nimmt wieder am Tisch Platz und schlürft an seinem Kaffee.
Kommissar Lasch lehnt sich zurück, erstens um das Schlürfen nicht so deutlich zu hören, und zweitens, um damit seiner Verwunderung Nachdruck zu verleihen:
"Ich denke aber, dass genau das ihr Job ist, loszustürzen und zu prüfen, warum eine Kamera ausfällt!"
Kevin Kunze schaut dem Kommissar mit treuherzigem Blick in die Augen:
"Meinen Sie das in echt?"
Um nicht laut lachen zu müssen, richtet Kommissar Lasch seinen Blick schnell an die Decke, wo die Neonröhre leicht flackert.
"Gibt es zum Beispiel vielleicht Dienstvorschriften, die Sie beachten müssen!?"
Der Security schlürft wieder am Kaffee und sagt:
"Dienstvorschriften? Doch, ja, ich denk, die gibt's! Da müssten Sie vielleicht den Chef fragen. Der kennt die bestimmt!"
Kommissar Lasch notiert sich vorsichtshalber die Firmenadresse - 'City-Security' -, Telefonnummer und auch den Namen des Chefs, spürt aber, dass er hier nicht weiterkommt. Eine Sache nur … die muss er unbedingt noch abklären:
"Diese Päckchen, die die Opfer bei sich trugen, als sie in die Ruhmeshalle kamen … die sieht man ja in der Aufzeichnung recht deutlich … wo sind die hingekommen? Haben Sie die sichergestellt?"
"Die kleen Pakete … stimmt, die hab ich gesehn … also, eben jetzt, wo mir das gemeinsam angeguckt ham … also, in der Aufzeichnung! Aber nee, wo ich die zwee Toten in leif gefunden hab, da warn keene Pakete mehr da!"
"Bei den Toten waren also keine Päckchen?"
"Nee. Also, ja! Es warn keene mehr da. Oder die warn eben schon weg!"
"Einfach weg?", fragt Kommissar Lasch nach.
Kevin Kunze überlegt kurz, grient und antwortet:
"Nee, nich eenfach! Alle beede! Also, zweefach!"
Kommissar Lasch lacht über den Scherz nicht ganz so lange wie der Security.
"Der männliche Tote hatte auch eine Pistole bei sich. Das sieht man in der Aufzeichnung deutlich."
"Stimmt!" Der Security nickt. "Hab ich auch gesehn. Aber eben in leif nich! Tut mir wirklich sehr leid, Herr Kommissar, da war keene Pistole mehr! Und auch die Klamotten - alles weg!"
Der Security Kevin Kunze zeigt sein Bedauern, indem er seine Hände hebt und öffnet.
Wie 'Minz und Maunz die Katzen, erheben ihre Tatzen …' - fällt Lucas Lasch ein. Im Märchen vom 'Katzenhaus' hatte er im Kindertheater am Pionierhaus mitgespielt. Er war das Schweinchen gewesen.
"Haben Sie die Toten berührt?", fragt er streng.
"Nee! Um Himmelswillen, nee! Tote soll man ruhen lassn! Ich hab bloß geguckt. Und dass die alle beede tot warn, das hab ich auch ohne Anfassen gesehn! Die warn toter, als wie tot! Mausetot!"
"In der Aufzeichnung sieht man, dass die tote Frau auf dem Bauch liegt und der Mann rücklings. Beide lang ausgestreckt. Dann aber, als sie sie gefunden haben, lagen sie auf der Seite … und beide, wie ein Neunzig-Grad-Winkel. Richtig?"
"Naja, was heißt Winkel? Die lagen wie halb aufgeklappte Taschenmesser! Die Beene ganz gerade und gestreckter Rücken … - als wie wenn die erst so dagesessen hätten, eben so ganz steif, und dann sind die umgekippt … so seitlich auf die Seite!"
"Seitlich auf die Seite?", wiederholt Kommissar Lasch, um sicherzugehen, dass er richtig verstanden hat.
"Soll ich das vielleicht mal vormachn, Herr Kommissar?"
Kommissar Lucas Lasch verneint dankend.
Hauptkommissar Emil Marek, der wieder - nachdem er den Tatort im Denkmal inspiziert und in seinem beinahe fotografischen Gedächtnis gespeichert hat - in das linke Nebengebäude zurückgekehrt ist und, an einer Säule vor dem 'Security-Room' lehnend, die letzten Sequenzen der Befragung des Security durch seinen Kollegen mit einer gewissen - nicht nur räumlichen - Distanz verfolgt hat, ahnt jetzt, dass nicht mehr viel daran fehlt und sein Kollege franst aus.
Er tritt in den Raum ein und stellt sich so an den Tisch, dass er zwischen den beiden steht. Beschwichtigend sagt er:
"Wichtig ist jedenfalls, dass wir durch die Videoaufzeichnung den genauen Zeitpunkt der Tat haben. Die drei Stunden Verzögerung bis zur Entdeckung der Toten … - naja, das hätte natürlich fatal sein können, Herr Kunze. Wenn die Opfer nicht wirklich sofort tot gewesen wären … - ist ihnen das klar?"
"Naja, schon!", antwortet Kevin Kunze kleinlaut und fügt hinzu: "Soll auch bestimmt nich wieder vorkomm! Ehrenwort!"
Nun kann Kommissar Lasch sich doch nicht mehr zurückhalten:
"Was heißt hier Ehrenwort, Sie Witzbold!"
Kevin Kunze ist durch den schroffen Ton des Kommissars etwas eingeschüchtert und ergänzt:
"Na, so Ehrenwort eben … - Pionier-Ehrenwort!"
Hauptkommissar Marek fasst seinen Kollegen am Ellenbogen und zieht ihn vom Stuhl aus dem Raum ins Freie. Dann lachen beide erstmal ab.
"Der Kerl ist ja unbezahlbar!", japst Kommissar Lasch zwischen zwei Lachsalven.
Hauptkommissar Marek versucht sich zu beherrschen und sagt:
"Eigentlich sollten wir ihm dankbar sein, dass er uns drei Stunden Nachtruhe geschenkt hat."
"Ich hatte sowieso Bereitschaft. Mir hat niemand etwas geschenkt", wendet Kommissar Lasch vergnatzt ein.
"Jedenfalls - da drin wäre auch drei Stunden früher nichts zu retten gewesen! Beide sofort tot."
Hauptkommissar Marek hebt bedauernd die Hände.
"Aber der Täter hätte keine drei Stunden gehabt, um sich in Ruhe zurückzuziehen!"
"Ja, wenn der gewusst hätte, dass unser Security-Experte die Sache verpennt! Aber da er es nicht wissen konnte, wird er von vornherein davon ausgegangen sein, dass er auf schnellstem Wege abhauen muss, und hatte also keinen Nutzen von den drei Stunden Vorsprung!"
Kommissar Lasch muss zugeben, dass das wohl so gewesen sein wird. Er kratzt sich im Nacken, was bei ihm immer ein Zeichen erhöhter geistiger Aktivität darstellt.
"Okay! Der Täter hatte keinen Nutzen … und er hat seinen Rückzug wahrscheinlich sowieso so geplant, dass er auch von einem sofort reagierenden Wächter nicht überrascht worden wäre."
"Genau! Es muss alles genau geplant gewesen sein. Beste Ortskenntnis wäre dafür eine Voraussetzung!"
"Oder der Täter, beziehungsweise die Täter … die ja schon zwei Leute erschossen hatten, hätten dann unseren Security-Mann, wenn er aufgetaucht wäre, einfach über den Haufen geschossen."
Kevin Kunze, über den eben gesprochen worden ist, hat vor wenigen Sekunden den 'Security-Room' verlassen und steht nun in der Nähe der beiden Kommissare, um eine Zigarette zu rauchen. Die erste von fünf, die er sich täglich gestattet. Jetzt die Muntermach-Zigarette!
Die letzten Sätze, die die Kommissare gesprochen haben, hat er gehört und ergänzt sie mit gebrochener Stimme - tief erschüttert:
"Und dann wäre ich schon tot!"
Beide Kommissare sind von der Traurigkeit, die der Security verströmt, beinahe geneigt, ihm ihr Beileid auszusprechen.
Stattdessen bittet der Hauptkommissar nur noch um die Übergabe der Aufzeichnungs-Videos.
Der über seinen eigenen möglichen Tod erschütterte Security fasst sich und verspricht:
"Wird sofort erledigt! Ehrenwort!"
Vom Denkmal her eilt mit großen Schritten, und auf der Treppe mehrere Stufen gleichzeitig nehmend, Hauptkommissar Frankstein von der Spurensicherung auf die beiden Kommissare der Mordkommission zu. Er stolpert über einen herumliegenden Ast und kann sich gerade so im Gleichgewicht halten.
"Langsam, langsam!", lächelt Kommissar Lasch. "Kniefall ist doch wirklich nicht nötig!"
Hauptkommissar Frankstein schnaubt unwirsch:
"Spar dir das Geblödel! Der Mann da oben war nicht sofort tot. Erst ein zweiter Schuss hat ihn tödlich getroffen. Aber da fehlt uns noch das Projektil. An dem Granit prallt alles ab!"
"Also wurden drei Schüsse von der Galerie her auf die Opfer abgefeuert", fasst Hauptkommissar Marek sachlich zusammen.
Der Chef der Spurensicherung nickt:
"So sieht es aus! Wobei wir noch ein ziemlich deformiertes Projektil, Kaliber neun Millimeter, unten in der Krypta gefunden haben. Von einer Pistole, wahrscheinlich eine 'P8' - Bundeswehrstandard - mehrfach abgeprallt. Aber wo das herkam?"
Kommissar Lasch hakt energisch ein:
"Na, der Mann hatte doch eine Pistole dabei! Das sieht man auf dem Video. Vielleicht hat der noch abgedrückt, bevor er tot war?"
"Wir müssen uns noch einmal gemeinsam im Präsidium das Video anschauen. Mal sehen, was da noch rauszuholen ist. Am besten morgen Vormittag, wenn ihr die Fakten zusammenhabt."
Der Vorschlag von Hauptkommissar Marek wird vom Chef der 'Spusi' akzeptiert.
"Okay! Und die Leichen könnt ihr jetzt wegbringen lassen. Der Doc ist auch erstmal fertig."
Kommissar Lasch ist etwas abwesend. Er versucht sich gerade den Hergang in der Ruhmeshalle noch einmal vor dem geistigen Auge ablaufen zu lassen:
"Wartet mal noch! Wenn ich mir das so vorstelle … - die Person, die geschossen hat, die muss ein ziemlich guter Schütze sein! Auf diese Distanz!"
"Gut zwanzig Meter!", konkretisiert Hauptkommissar Frankstein.
Kommissar Lasch fügt hinzu:
"Und in kurzer Folge! Zwischen dem ersten und dem zweiten Schuss liegen nur knapp zehn Sekunden. Das zeigt die Videoaufzeichnung. Und dann noch der Schuss auf die Kamera! Waren es womöglich zwei Täter?"
Hautkommissar Frankstein schüttelt den Kopf:
"Es könnte eine ganze Kompanie gewesen sein. Meine Leute haben keinerlei verwertbare Spuren sichern können! Fußabdrücke oder so! Eben Granit!", sagt er mit einem Tonfall von Resignation. "Aber ich muss dann mal weiter."
"Habt ihr schon irgendwas zur Identität der Toten?", will Hauptkommissar Marek noch schnell wissen.
"Wir haben die Fingerabdrücke von den Opfern und werden sie durch das System jagen!", antwortet Hauptkommissar Frankstein schon im Weggehen. "Aber vom Schützen keine Spuren! Eben alles Granit! Hoffentlich beißt ihr euch daran nicht die Zähne aus!"
Kommissar Lasch winkt ab:
"Wir doch nicht! Aber Fotos … habt ihr schon Fotos von den Toten … ohne die Larven?"
"Schaut mal in eure Handys! Tschüs, bis später!"
Während Kommissar Lasch sofort sein Handy aus der Seitentasche seines Jacketts hervorangelt, um sich die Gesichter der Toten anzuschauen, geht Hauptkommissar Marek wieder in den 'Security-Room', wo Kevin Kunze mittlerweile sich wieder seines Lebens erfreut und sein wohlverdientes Frühstück zu sich nimmt. Ein Glück, dass er verpennt hat!
"Sonst täte ich womöglich tot sein!", sagt er zum wiederholten Mal, noch einmal seinen Kopf langsam schüttelnd, zu der Thermoskanne und zu sich selbst.
Die Brotbüchse ist geöffnet und im flachen Deckel liegt eine Brötchenhälfte mit Leberwurst drauf. Dazu ein gekochtes und bereits geschältes Ei.
Nun setzt sich Hauptkommissar Marek an den kleinen Tisch, um den vier Stühle stehen. Er bestaunt die Tasse mit dem aufgedruckten Denkmal noch einmal und besonders ausdrücklich, wozu er allerdings seine Brille aufsetzen muss, um etwas erkennen zu können.
"Das Völki! Schöne Tasse! Und der Kaffee duftet!" Der Security sagt:
"Die könn Sie im 'Souvenir-Shop' käuflich erwerben - fünf Euros! Also, die Tasse! Ohne Duft."
Hauptkommissar Marek bedankt sich für die Informationen.
"Na, dufte! Und Sie sind als Security immer hier am Denkmal eingesetzt?", setzt er dann die Befragung, die vorhin Kommissar Lasch abgebrochen hatte, fort.
"Überwiegend!", antwortet Kevin Kunze. "Aber manchmal bin ich auch drüben im Friedhof eingesetzt, oder wo ganz anders."
"Sie kennen sich jedenfalls hier gut aus?"
Kevin Kunze nimmt einen größeren Schluck aus der Völki-Tasse und antwortet:
"Das können Sie laut sagen! Ich kenn misch hier aus, wie eine Ratte im Kanal!"
"Können Sie mir erklären, wie die Personen … also, die zwei, die jetzt tot sind, und die Person, die geschossen hat … - also, wie könnten die nachts hier auf das Gelände und in das Denkmal gelangt sein?"
Hauptkommissar Marek wartet geduldig, bis Kevin Kunze den letzten Bissen des Leberwurstbrötchens runtergeschluckt hat.
"Naja, also von vorne her sind die bestimmt nich reinspaziert! Nee! Da sind ja auch Kameras. Aber … ringsrum um das ganze Gelände … da ist zwar ein Zaun, aber da gibts genug Schlupflöcher … zum Beispiel die Lieferzufahrt … da kann man sogar mit Auto bis vors Museum fahrn … und sonst … nee, der Zaun ist kein Hindernis … da kann jeder drüberklettern, wenn man einigermaßen gelenkig ist."
"Sie könnten also drüber klettern?", fragt Hauptkommissar Marek nach.
"Nee, ich nich! Ich bin doch nich gelenkig!", wehrt Kevin Kunze ab und legt, seine Aussage unterstützend, die Hände auf den Bauch. "Und was das Denkmal betreffen tut … um da reinzukommen, da braucht man allerdings den Schlüssel!"
Er zeigt auf den Schlüsselbund der an einem Haken an der Wand hängt.
Der Hauptkommissar steht von seinem Stuhl auf, geht zur Wand und nimmt den Schlüsselbund vom Haken. Er begutachtet die Schlüssel interessiert. Es sind drei.
Der Security erklärt:
"Die zwei hier sind für oben - die Eingangstüren, die direkt in die Ruhmeshalle führen - und der eine hier ist für unten … was der Haupteingang für die Besucher ist … mir sagen dazu, das Mauseloch."
Hauptkommissar Marek lächelt:
"Mauseloch?"
"Naja", erklärt der Security, "wenn Sie sich das riesige Denkmal anguckn, dann ist der winzige Eingang unten … unter dem Erzengel … also, da ist der doch wie ein Mauseloch. Oder wie eine Katzenklappe!"
"Wer hat denn solche Schlüssel?"
"Hinze und Kunze!", lautet die vielsagende Antwort. Und erklärend fügt er hinzu: "Innen im Denkmal gibt’s ja auch nichts zu klaun! Die Türe ist ja mehr dafür, damit keine Obdachlosen und andre Leute nachts drinne campiern tun."
"Und trotzdem wird ein Sicherheitsbeamter - wie Sie - hier bezahlt?", wundert sich Hauptkommissar Marek.
"Naja … es ist ja auch wegen außen … - die Graffitis und solche Schmierfinken! Wissen Sie, wie schwer das ist, solche Farbschmiererei wieder abzukriegen? Das ist noch schwerer als wie bei Blut!"
Das versteht der Hauptkommissar nur zu gut. An seinem Reihenhaus in Connewitz sind unentwegt Farbsprayer zugange.
Wenn er doch einen mal erwischen könnte!
"Und wer sind Hinze und Kunze!"
Kevin Kunze, der Security, grient verschmitzt:
"Naja, also wie gesagt, ich bin Kunze! Und was die ganzen Hinzes betreffen tut … - also, Spaß beiseite - ein Schlüsselbund hängt als Ersatz im Glaskasten im Vorzimmer vom Chef-Büro."
"Und wer sitzt in dem Vorzimmer?"
"Na, erstens mal die Waltraud, was die Sekretärin vom Chef ist. Und dann eben auch oft welche, die zum Chef rein wolln und warten müssn, bis sie reindürfen."
Hauptkommissar Marek notiert - 'Vorzimmer / Waltraud'.
Kevin Kunze ergänzt:
"Also, die Waltraud heißt Bornemann. Und im Zimmer daneben - da sitzt die Chefin vom 'Besucher-Service', was die Beate Kufuß is. Die erkenn Sie leicht daderdran, dass die im Rollstuhl sitzt."
Hauptkommissar Marek notiert wieder - 'Besucher-Service' / Beate Kuhfuß.
Kevin Kunze hat in der Schlüsselfrage weitergedacht und empfiehlt dem Kommissar:
"Na, mir könnten ja einfach mal guckn, ob die Schlüssel im Vorzimmer vom Chef an ihrem Platz hängen?"
Hauptkommissar Marek hält das für eine sehr gute Idee. Sie gehen beide - der Security mit dem Universalschlüssel für die Büroräume vorneweg - zum Chef-Vorzimmer. Der Ersatz-Schlüsselbund hängt vorschriftsgemäß an seinem Haken im Glaskasten.
Kaum sind Hauptkommissar Marek und der Security zurück im 'Security-Room' stürzt Kommissar Lucas Lasch, der die Tür zum 'Security-Room' schwungvoll öffnet, herein und verkündet - sein Handy dem Hauptkommissar unter die Nase haltend:
"Hier, schau dir das an! Ich kenne die! Die Blondine! Sie war eine von den beiden!"
Hauptkommissar Marek versteht nicht gleich.
"Wen kennst du von den beiden?"
Kommissar Lasch zeigt auf das Handy, wo das Gesicht des toten Mannes zu sehen ist:
"Hier, das ist der tote Mann!" Er scrollt weiter. "Und das hier, das ist die tote Frau! Blond! Mit einer pinken Strähne über dem Ohr! Ich halte jede Wette! Mit der und der anderen Blondine war ich vor ein paar Wochen zum Lehrgang. Ergonomische Gestaltung von Computer-Arbeitsplätzen!"
"Welche andere Blondine?"
"Die, mit der die Blondine, die jetzt tot ist, zusammen auf dem Lehrgang war."
"Wenn das kein Zufall ist!", staunt Hauptkommissar Marek. "Und wer sind die beiden Blondinen?"
Kommissar Lasch zuckt mit den Schultern:
"Die waren eben bei dem Lehrgang dabei. Also, nicht in dem Seminar, in dem ich war, aber eben auch im Schloss Storkau. Und die eine hatte genau diese pinke Strähne!"
Es ist also nicht viel, was Kommissar Lasch über die tote Blondine mit der pinken Strähne, die in der Ruhmeshalle erschossen wurde, weiß, aber für weitere Ermittlungen hat er immerhin einen Punkt, wo man den Hebel ansetzen könnte, um mehr über sie zu erfahren.
Im Schloss Storkau bei der Lehrgangsleitung musste es schließlich Unterlagen über die Teilnehmer geben. Diese Susanne und ihre Freundin Helga hatten am Seminar 'Überfallprävention', das speziell für Mitarbeiter von Banken und Kreditinstituten angeboten wurde, teilgenommen. Das müsste, nach allem, was Recht ist, als Ansatz für Nachforschungen dort im Schloss Storkau genügen, fand Kommissar Lucas Lasch und freute sich schon auf den bevorstehenden Ausflug.
Hauptkommissar Marek schlägt seinem wesentlich kräftiger gebauten Kollegen mit der Faust immerhin freundschaftlich an die Brust:
"Klasse! Da hat womöglich deine Lehrgangswut direkt mal einen Nutzen für uns! Blondine mit Strähne!"
Kommissar Lasch entgegnet entrüstet:
"Lehrgangswut! Und was sagst du zu deinem neugestalteten Arbeitsplatz? Das ist die Frucht meines Lehrgangseifers! Eifer! Nicht Wut!"
"Gut! Ich nehme 'Wut' zurück! Aber wie wäre es, wenn du dem Kollegen hier auch mal die Fotos zeigst?"
Kommissar Lasch reagiert natürlich sofort und hält dem Security die Fotos der toten Blondine hin:
"Nee, ich hab die ja vorhin in leif gesehn, also - in leif, aber tot! Ich kenn die nich! Nie gesehn! Und die pinke Strähne … - sowas hat doch wirklich jede zweite Blondine! Oder in Grün! Meine Frau hat eine Strähne in Blau!"
"Meine Schwägerin hat eine in Rot", erinnert sich Kommissar Lasch.
"Okay - vielleicht gibt es auch Blondinen mit einer Strähne in Schwarz? Aber zurück zur Sache!" - Hauptkommissar Marek wendet sich nun in einem offiziellen Tonfall an den Security, der sein Frühstück mit dem Einpacken der Reste beendet, beziehungsweise zumindest unterbricht, und beauftragt ihn, am Eingang des Denkmalkomplexes die nun bald eintreffenden Mitarbeiter abzufangen und in den Vortragssaal des Museums zu leiten. Dort wolle er dann allen die Situation erläutern.
Kevin Kunze, der Security, fühlt sich in seiner neuen Rolle als 'Helfer der Kriminalpolizei' in seinem Engagement beflügelt. Er nimmt Haltung an und sagt lässig:
"Zu Befehl! Geht seinen Gang, Herr Hauptkommissar! Auf mich könn Sie sich verlassen!"
Während Hauptkommissar Marek im Vortragssaal des 'FORUM 1813' auf die - nach und nach ohne Eile - eintrudelnden Museumsmitarbeiter wartet, um sie dann allesamt zu informieren, herrscht im Inneren des Denkmals, vornehmlich in der Ruhmeshalle, emsige Betriebsamkeit. Die Kollegen der Spurensicherung haben das große Besteck ausgepackt. Es darf nichts übersehen werden.
Kürzlich hatten die Ballistiker in einem Fall ein Projektil übersehen, das an einer außergewöhnlichen Stelle steckte. Solch ein Lapsus sollte nicht wieder passieren. Wobei sich in dieser Granitumgebung kaum irgendwelche Projektile würden verkrümeln können. Da ist sich Hauptkommissar Frankstein, der Chef der Spurensicherung, relativ sicher.
Die Polizeianwärterin Evelyn Klopp, die von allen, die sie kennen, wegen ihrer Körperfülle heimlich 'Klops' genannt wird, beobachtet die Aktivitäten der Kollegen und stellt dumme Fragen! Findet jedenfalls der 'Spusi'-Chef. Zum Beispiel die Frage:
"Wie tief können Projektile in Granit eindringen, wenn sie abgelenkt und zu Querschlägern werden?"