Mord auf Raten - Andreas Franz - E-Book
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Mord auf Raten E-Book

Andreas Franz

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Beschreibung

Als der Arzt Jürgen Kaufung erstochen in seiner Praxis aufgefunden wird, hat seine Umgebung keine Erklärung für den Mord. Hauptkommissar Peter Brandt von der Offenbacher Kripo übernimmt die Ermittlungen und hat bald einen ersten Verdächtigen: Kaufungs besten Freund, den Galeriebesitzer Klaus Wedel. Doch Brandt kann ihm nichts beweisen. Da wird kurze Zeit später auch Klaus Wedel umgebracht. Für Staatsanwältin Elvira Klein scheint der Fall mal wieder klar zu sein – im Gegensatz zu Peter Brandt, der sich erneut mit seiner Gegenspielerin anlegen muss ... Mord auf Raten von Andreas Franz: Spannung pur im eBook!

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Andreas Franz

Mord auf Raten

Kriminalroman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Der Arzt Jürgen Kaufung wird erstochen in seiner Praxis aufgefunden. Er hinterlässt eine Schar von trauernden schönen Frauen, die sich von dem erfolgreichen Arzt nicht nur medizinisch behandeln ließen. Alle sind erschüttert über den Tod von Jürgen Kaufung, und keiner ist ein Mord zuzutrauen. Da scheint Kommissar Brandt eine erste heiße Spur zu haben, die ihn zu dem Galeriebesitzer Klaus Wedel, dem besten Freund Kaufungs, führt. Doch er kann seinen Verdacht nicht beweisen, denn der Täter hat so gut wie keine Spuren am Tatort hinterlassen. Für Staatsanwältin Elvira Klein steht bald fest, dass es sich um die Tat eines Junkies handeln muss, der Geld für seine Sucht brauchte.Doch dann wird Klaus Wedel ebenfalls ermordet. Gibt es einen Zusammenhang zwischen beiden Morden?Der Autopsiebericht enthüllt eine heiße Information: Klaus Wedel war HIV

Inhaltsübersicht

WidmungFreitag, 18. Juli 2003SamstagEnde Juli bis Mitte September 2003Mittwoch, 24. September 2003DonnerstagFreitagSamstagEpilog
[home]

Für meinen besten Freund, den ich noch nie gesehen, aber oft gespürt habe.

[home]
Freitag, 18. Juli 2003, 18.05 Uhr

Dr. Jürgen Kaufung hatte seine Praxis vor zwanzig Minuten geschlossen, sich umgezogen und noch einmal prüfend um sich geblickt, ob auch alles aufgeräumt und der Computer ausgeschaltet war. Seine Sprechstundenhilfe war bereits vor einer halben Stunde gegangen, weil es nichts mehr für sie zu tun gab. Das Wochenende konnte kommen, keine Patienten, die ihm die Ohren voll jammerten, wie schlecht es ihnen gehe, obwohl den wenigsten von ihnen etwas fehlte, höchstens ein sinnvoller Lebensinhalt, obgleich er natürlich auch Patienten hatte, die krank waren. Einige von ihnen blickten dem Tod sogar schon ins Auge, und doch klammerten sie sich wie Ertrinkende an das Leben, das aber nicht mehr als ein brüchiger Strohhalm war. Andere ergaben sich in ihr Schicksal, fanden sich damit ab, dass ihre Zeit gekommen war. Sein gegenwärtig schlimmster Fall war eine achtundzwanzigjährige Frau, verheiratet, Mutter von zwei kleinen Kindern, die an einem inoperablen Tumor des Stammhirns litt. Wie lange sie noch durchhalten würde, konnte keiner sagen, einen Tag, eine Woche, vielleicht auch noch ein Jahr. Die einzige Hoffnung war ein Wunder, und Kaufung war überzeugt, dass es diese Wunder gab. Er hatte selbst einige miterlebt, von denen das großartigste, die Spontanheilung eines Todgeweihten, alle behandelnden Ärzte in Erstaunen versetzte, denn die Schulmedizin hatte ihn längst aufgegeben. Mittlerweile hatte er seine große Liebe, die er in der höchsten Not kennen gelernt hatte, geheiratet, der Krebs war vollständig aus seinem Körper verschwunden, und keiner hatte eine Erklärung für das, was da geschehen war. Kaufung aber wusste, es war diese Liebe, die dem Körper neue Kraft eingehaucht hatte.

Er schloss die Praxis ab, stieg in seinen Porsche 928 und fuhr kaum zehn Minuten, bis er am Tennisplatz Siebeneichen ankam. Er hielt vergeblich Ausschau nach dem Auto seines Matchpartners, mit dem er sich für halb sieben verabredet hatte, der aber meist schon mindestens eine Viertelstunde vorher da war, und wollte gerade aussteigen, als sein Handy klingelte.

»Hi«, meldete er sich, nachdem er die Nummer auf seinem Display erkannt hatte. »Wo bist du?«

»Tut mir leid, aber ich schaff das nicht. Ich hatte bis eben ein wichtiges Kundengespräch und muss noch einige Besorgungen machen. Außerdem muss ich ganz ehrlich sagen, dass es mir heute zu heiß ist.«

»Hättest du mich nicht ein paar Minuten früher anrufen können, dann wäre ich auch nicht hergefahren«, sagte Kaufung leicht ungehalten. »Du kommst also nicht?«

»Wirklich, ich steck noch mitten in der Arbeit. Ich mach’s wieder gut, versprochen.«

»Okay, dann such ich mir eben jemand anders. Aber bevor du auflegst, ich müsste mit dir reden. Passt es am Montag um halb neun?«

»Um was geht’s?«

»Nicht am Telefon. Komm am Montag um halb neun in meine Praxis, oder nenn mir einen andern Termin.«

»Mein Gott, jetzt mach’s doch nicht so spannend. Du tust ja grad so, als ob ich todkrank wäre«, sagte der andere lachend.

»Lass uns am Montag in Ruhe über alles sprechen, ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir. Und keine Angst, okay?«

»Ich hab keine Angst, verdammt noch mal! Mir geht nur deine Geheimniskrämerei auf den Senkel«, entgegnete der andere wütend.

»Moment«, bat Kaufung und stieg aus. Eine junge Dame, die eben in einem Mercedes Cabrio auf den Parkplatz gefahren war, kam auf ihn zu und hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, doch der Blick, den sie ihm zuwarf, war mehr als eindeutig. Ohne die Sprechmuschel zuzuhalten, sagte er: »Hi, Denise. Hast du Lust, eine Partie mit mir zu spielen?«

»Mit Vergnügen. Ich hab nämlich eben eine Absage erhalten.«

»Was für ein Zufall, ich auch. Geh schon mal vor, ich muss noch das Telefonat zu Ende bringen, bin aber gleich bei dir.« Kaufung sah ihr nach. Er würde eine Runde mit ihr spielen, wenn auch nur in gedrosseltem Tempo, obwohl sie eine exzellente Spielerin war. Nachdem Denise außer Sichtweite war, wandte sich Kaufung wieder seinem Gesprächspartner zu. »Ich hab schon einen Ersatz für dich gefunden.«

»Hab ich mitbekommen. Sag mal, hast du mit Denise etwa auch schon …«

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, erwiderte Kaufung grinsend.

»Hahaha! Deine Mädels werden auch immer jünger.«

»Genau das ist der Reiz am Ganzen, mein Lieber. Außerdem ist das meine Sache. Und überhaupt, wenn du meinst, ich würde dein Grinsen nicht sehen, das kannst du dir sparen. Ich würd mal lieber vor der eigenen Haustür kehren. So, und jetzt muss ich Schluss machen, ich hab nämlich heute Abend noch eine Verabredung.«

»Mit Denise?«

»Nein.«

»Sag bloß, du machst noch immer mit Petra rum. Sie ist verheiratet.«

»Na und? Du hast auch eine tolle Frau zu Hause und …«

»Aber man gönnt sich ja sonst nichts, oder siehst du das anders?«

Kaufung nahm, während er telefonierte, die Sporttasche aus dem Kofferraum, in der sich zwei Tennisschläger mit unterschiedlicher Bespannung, ein kleines Handtuch zum Abtrocknen des Schweißes während des Spiels, ein großes für die Dusche danach und mehrere andere Utensilien befanden, die er für das anstehende Match und das folgende obligatorische Beisammensitzen an der Bar benötigte. Es war ein drückend schwüler Tag, die Sonne schien durch dünne Schleierwolken, ein leichter Südwestwind brachte kaum Milderung. Und sollte der Wetterbericht Recht behalten, dann würden die Temperaturen in den folgenden Tagen auf über fünfunddreißig Grad steigen und sich später kräftige Gewitter entwickeln.

Kaufung zog den Reißverschluss seiner Tasche auf, nahm einen der beiden Schläger in die Hand und klopfte ein paarmal gewohnheitsmäßig gegen die Bespannung.

»Wie geht’s dir eigentlich heute?«, fragte er wie beiläufig, das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt, während er mit der Funkfernbedienung den Porsche abschloss.

»Wie soll’s mir schon gehen? Gut, außer dass ich in Arbeit fast ersticke und beim Tennis nie eine Chance gegen dich habe«, antwortete der andere verkniffen lächelnd, was Kaufung zwar nicht sah, aber am Ton hörte.

»Aha, daher weht also der Wind!«, sagte Kaufung lachend.

»Das hat damit nichts zu tun. Ich hab dir doch gesagt, dass ich noch einiges zu erledigen habe. Und jetzt rück schon raus, weshalb willst du mich am Montag sprechen?«

Kaufung zuckte mit den Schultern, schürzte die Lippen und fuhr erneut wie beiläufig fort: »Deine Ergebnisse sind heute gekommen, und darüber sollten wir mal reden.«

Der andere griff sich an die Stirn und entgegnete: »Das hättest du doch gleich sagen können, ich hab’s wirklich über all dem Stress vergessen. Und, muss ich bald sterben?«

»Quatsch! Montag, okay? Und jetzt lass uns aufhören, ich will spielen.«

»Wart doch mal. Ich hab am Montag keine Zeit, ich bin fürchterlich im Druck. Im Prinzip kann ich die ganze nächste Woche nicht. Ist es etwa doch was Ernstes?«, hakte der andere nach, dem das seltsame Gehabe von Kaufung nicht ganz geheuer war. Er benahm sich anders als sonst, auch wenn er sich das nicht anmerken lassen wollte. »Könntest du vielleicht nachher noch ein paar Minuten deiner kostbaren Zeit für einen guten Freund opfern, bevor du zu deiner Petra fährst? Ich bitte dich als Freund darum, denn ich möchte mir nicht gerne das ganze Wochenende über den Kopf zerbrechen, weshalb du so ein Geheimnis aus der ganzen Sache machst.«

Kaufung überlegte und antwortete nach einigem Zögern mit leichtem Unmut in der Stimme: »Also gut, dann eben heute, denn ab übernächste Woche bin ich, wie du weißt, für drei Wochen auf Sylt. Ich muss dir was zeigen und auch erklären. Sei um Punkt acht in der Praxis, aber länger als eine halbe Stunde hab ich nicht Zeit.«

»Keine Sorge, du wirst deine Verabredung schon nicht verpassen.«

»Das will ich auch stark hoffen. So, und jetzt möchte ich noch ein bisschen was für meine Fitness tun«, entgegnete Kaufung, dem es überhaupt nicht in den Kram passte, nachher noch einmal in die Praxis zu müssen. Bei fast jedem andern hätte er nein gesagt, wäre er am Freitagabend um einen Termin gebeten worden, aber weil es sich um einen Freund handelte, willigte er ein. »Bis dann. Und sei bitte pünktlich.«

Kaufung war dreiundvierzig, eins zweiundachtzig groß, braun gebrannt und durchtrainiert. Er wirkte sehr jugendlich und legte großen Wert auf seinen Körper, rauchte nicht, trank nur hin und wieder etwas Alkohol, aber er war stolz darauf, noch nie betrunken gewesen zu sein. Für viele seiner Patienten war Alkohol eine Art Lebenselixier, manche von ihnen tranken schon morgens auf nüchternen Magen Cognac oder Whiskey, um den Tremor, das Zittern der Finger und Hände, die Schweißausbrüche und die Übelkeit in den Griff zu bekommen. Sie hatten alles, Geld, Macht, Einfluss, und doch waren sie aus den unterschiedlichsten Gründen unzufrieden mit ihrem Leben. Ein Immobilienmakler, den er seit zehn Jahren kannte und der gerade einmal zwei Jahre älter war als er, lag seit einer Woche im Krankenhaus, wo man nach einer Biopsie eine sich noch im Anfangsstadium befindliche Leberzirrhose diagnostiziert hatte. Sollte er seinen Lebenswandel nicht grundlegend ändern, würde ihm nicht mehr viel Zeit bleiben, das Leben zu genießen, das er in den letzten fünfzehn Jahren ohnehin nur noch durch den verschwommenen Schleier des permanenten Betrunkenseins wahrgenommen hatte. Ein Pegeltrinker, wie er im Buche stand.

Kaufung, Allgemeinmediziner und Naturheilkundler, dazu Reiki-Meister und Akupunkteur und ständig auf der Suche nach neuen, eigentlich aber alten, meist ostasiatischen Heilmethoden, führte eine etablierte Praxis für Privatpatienten, die zu einem Großteil aus der Offenbacher Oberschicht, aber auch aus der des Umlandes kamen. Sein Name hatte sich in den vergangenen elf Jahren herumgesprochen. Er nahm sich Zeit für seine Patienten, die zu über siebzig Prozent aus einer weiblichen Klientel bestand, unter ihnen einige gelangweilte und bisweilen auch langweilige Damen, die ihn genauso oft konsultierten, wie sie zum Friseur oder zur Kosmetikerin gingen oder den Friseur oder die Kosmetikerin zu sich ins Haus kommen ließen. Diese Damen kamen nur äußerst selten, weil sie krank waren, sie brauchten einfach jemanden, bei dem sie sich ausquatschen konnten, auch wenn sie ihrem Friseur oder der Kosmetikerin bereits allen Klatsch und Tratsch anvertraut hatten. Es war das von so vielen erträumte und erlangte Luxusleben, das sie frustriert und irgendwie abgestumpft hatte werden lassen, ein Leben, das kaum noch Platz für Hobbys bot außer Einkaufen oder sich mit Freundinnen oder Liebhabern zu treffen. Sie vertrieben sich die Zeit mit Shopping, aber nicht in Offenbach oder Frankfurt, nein, es mussten schon die außergewöhnlichen Orte sein wie Paris, London, Mailand oder New York, wo sie das Geld ihrer Männer mit vollen Händen ausgaben, um nach diesen sinnlosen Shoppingtouren schon bald wieder in die alte Frustration und Melancholie zu verfallen, bis sie ein paar Tage oder Wochen später erneut einen Flieger bestiegen, um sich Dinge zu kaufen, die sie gar nicht benötigten.

Kaufung kannte genügend Frauen, darunter welche, die kaum älter als zwanzig waren, die bereits mehrere Schönheitsoperationen hinter sich hatten, die sich den Busen aufpumpen und die Lippen unterspritzen ließen, die meinten, unter Zellulitis zu leiden, obgleich ihre Haut an den Oberschenkeln und dem Po makellos oder zumindest beinahe makellos war, und die trotzdem ein ums andere Mal den Schönheitschirurgen aufsuchten, um Korrekturen durchführen zu lassen, welche letztlich gar keine waren. Aber nach einer Narkose und nachdem die Bandagen abgenommen waren, glaubten die Patientinnen endlich perfekt zu sein. Dabei hatte der Chirurg meist nur geringfügig etwas verändert, dafür jedoch exzellent an dieser Geringfügigkeit verdient. Kaufung sah in den Gesichtern, vor allem in den glanzlosen Augen und am Mund vieler dieser Frauen, dass sie im Innern leer waren. Sie konnten sich kaum noch wirklich über etwas freuen, achteten einerseits auf gesunde Ernährung, versuchten aber andererseits diese Leere und bisweilen sogar Sinnlosigkeit ihres Daseins mit Alkohol, Medikamenten oder gar Drogen zu füllen, auch wenn nur die wenigsten von ihnen sich dieser Sinnlosigkeit und Leere wirklich bewusst waren, weil sie sie nicht wahrhaben wollten.

Nur ein paar, Kaufung konnte sie an einer Hand abzählen, führten eine harmonische Ehe oder Beziehung, und diese paar erschienen nur dann in seiner Praxis, wenn ihnen wirklich etwas fehlte. Sie gehörten nicht zur Party-Society, lebten eher zurückgezogen, hatten jedoch gelernt, ihrem Dasein einen Sinn zu verleihen, indem sie einer Tätigkeit nachgingen, die sie erfüllte, und wenn es nur ein Hobby war wie Malen oder Schreiben. Eine von ihnen hatte sich eine Töpferwerkstatt eingerichtet und verkaufte mittlerweile ihre selbst gefertigten Produkte zu hohen Preisen, spendete jedoch das eingenommene Geld einer Organisation, die sich um Obdachlose kümmerte, wobei sie sich selbst regelmäßig vergewisserte, dass ihr Geld auch sinnvoll verwendet wurde. Eine andere schrieb Sachbücher über geschichtliche Themen, die hohe Auflagen erzielten, wieder eine andere hatte im Alter von fünfunddreißig beschlossen, Jura zu studieren.

Doch das Verhalten vieler dieser frustrierten Frauen war auch wiederum von Vorteil für ihn, schließlich hatte er dadurch schon das eine und andere Techtelmechtel mit Patientinnen gehabt. Aber er wusste immer genau, wo die Grenze war, denn sobald er merkte, dass eine von ihnen ernstere Absichten hegte und alles zu einem Spiel mit dem Feuer zu werden drohte, zog er sich zurück. Seine Menschenkenntnis war ausgeprägt genug, um zu erkennen, wer wie er nur das unverbindliche Abenteuer und die Befriedigung körperlicher Lust suchte und wer nicht. Die junge Dame, mit der er die kommende Nacht verbringen würde, gehörte zur ersten Kategorie. Sie liebte den Reichtum und ein bisweilen ausschweifendes Leben, ohne jedoch dabei den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ihr Mann war knapp dreißig Jahre älter und konnte ihr außer einem prall gefüllten Bankkonto und einem luxuriösen Haus kaum etwas bieten, nur hin und wieder etwas Sex, weshalb sie sich ihre Befriedigung woanders holte. Petras Mann wusste darüber Bescheid, angeblich hatte er ihr sogar gesagt, sie solle sich andere Spielplätze suchen, um sich auszutoben, denn sie hatte etwas Nymphomanisches an sich, auch wenn sie keine Nymphomanin im klinischen Sinn war. Dazu hatte sie sich zu sehr unter Kontrolle. Sich mit ihr zu unterhalten war ein Vergnügen. Sie hatte eine hervorragende Schulbildung genossen, das Abitur bereits mit sechzehn bestanden und das Sinologiestudium mit zwanzig beendet, beherrschte neben Chinesisch sechs weitere Fremdsprachen – und sie war im Bett ein wahrer Teufel, und etwas anderes wollte Kaufung auch nicht. Sie stellte keine Ansprüche an ihn, und das war das Wichtigste, neben der Anonymität. Wenn er sich bis jetzt auf etwas verlassen konnte, dann auf die Verschwiegenheit seiner Liebschaften. Petra hatte bisher auch noch keinen Schönheitschirurgen konsultiert, sie hatte es nicht nötig. Sie lebte nicht in den Tag hinein, sondern übersetzte Bücher vom Chinesischen ins Deutsche oder Englische und umgekehrt, eine Powerfrau, deren IQ weit über dem der Normalsterblichen lag.

Für einundzwanzig Uhr hatten sie sich verabredet, um zu Lorenzo, seinem Stammitaliener, zu fahren, und danach würden sie die Nacht in seinem Haus im Hunsrückweg verbringen, wo ihn zwar viele kannten, sich aber trotzdem jeder um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte, auch wenn einige seiner Patienten ebenfalls in seinem Viertel residierten. Abgeschieden, wie es dort eben so üblich war.

Und weil die Zeiger der Uhr schon auf fast halb sieben standen, wollte er so schnell wie möglich mit dem Spiel beginnen, sich eine Stunde in der Hitze auspowern, hinterher an der Bar noch einen Orangensaft trinken, sich vielleicht kurz unterhalten, Smalltalk wie zumeist, außer wenn Petra oder Denise dabei waren und er Zeit hatte, denn die Gespräche mit ihnen waren alles andere als oberflächlich, dazu waren die beiden zu intelligent. Hübsch und intelligent, eine reizvolle Mischung. Erst philosophischer Tiefgang, danach sexueller Höhepunkt.

Die Plätze waren alle belegt bis auf einen, der für ihn bis um halb acht reserviert war.

Er wurde von Denise bereits erwartet, die am Zaun lehnte und ihn anlächelte. Sie spielten drei Sätze, einen ließ er Denise gewinnen, obwohl er ein Gewinnertyp war und sich noch nie mit halben Sachen zufrieden gegeben hatte. Das Leben hatte es einfach gut mit ihm gemeint, er genoss es in vollen Zügen und hatte vor, dies auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu tun. Natürlich hatte Kaufung auch seine Schwachpunkte, zwei, um genau zu sein, Frauen und ein luxuriöses Leben, aber diese störten ihn wenig, im Gegenteil, sie machten für ihn das Dasein erst so richtig spannend und interessant.

Weil Kaufung unter Zeitdruck stand, verzichtete er diesmal ausnahmsweise auf das Duschen nach dem Match, genau wie Denise. Sie verstauten die verschwitzten Sachen in ihren Taschen, trockneten sich lediglich den Schweiß ab und begaben sich an die Bar, die um diese Zeit noch nicht so gut besucht war wie in einer Stunde, wenn der Betrieb richtig losging.

Kaufung bestellte bei Pierre, den er seit sechs Jahren kannte, zwei Orangensaft mit Eis, unterhielt sich noch ein paar Minuten mit der bezaubernden Denise, die ihre körperlichen Vorzüge wie immer hervorragend in Szene zu setzen verstand, verabredete sich mit ihr für den kommenden Dienstagabend, schaute zum wer weiß wievielten Mal auf die Uhr, zehn vor acht, zahlte und sagte, er habe noch einen wichtigen Termin. Doch er verriet nicht, mit wem. Es ging auch keinen etwas an, nicht einmal Denise, die Frau, mit der er schon einige heiße Nächte verbracht hatte.

Freitag, 20.00 Uhr

Sein Freund war noch einmal kurz in die Stadt gefahren, um ein paar Besorgungen zu machen. Das Gespräch mit Kaufung ging ihm nicht aus dem Kopf. Seine Stimme hatte einen seltsamen Unterton gehabt, den er nicht deuten konnte. Ein ungutes Gefühl war da in seiner Magengegend, denn Kaufung redete normalerweise nicht um den heißen Brei herum, er hätte ihm auch am Telefon die Ergebnisse mitteilen können.

Um zwei Minuten nach acht fand er einen Parkplatz etwa fünfzig Meter von Kaufungs Praxis entfernt, weil alle anderen Parkplätze von Anwohnern der umliegenden Häuser besetzt waren. Kaufungs Porsche stand bereits vor der alten und gediegen wirkenden Jugendstilvilla, die er vor sieben Jahren von der Vorbesitzerin geerbt hatte, einer ehemaligen Patientin, die ihn wie einen jungen Gott verehrt hatte, weil sie sich bei ihm jeden Kummer von der Seele reden konnte. Sie hatte ihren Mann früh verloren, und ihre einzige Tochter war nach langem erfolglosem Kampf mit knapp vierzig den Drogen zum Opfer gefallen, woraufhin sich die alte Dame völlig zurückgezogen hatte und es niemanden mehr gab, dem sie sich anvertraute. Bis Kaufung nach geeigneten Praxisräumen suchte und dabei erfuhr, dass in der Parkstraße, einer der besten Gegenden Offenbachs, in einer Villa das Erdgeschoss zu vermieten war. Damals ahnte er noch nicht im Entferntesten, dass ihm nur vier Jahre später die ganze Villa gehören würde, weil die alte Dame, die friedlich im Bett eingeschlafen war, keine weiteren Verwandten hatte. Außerdem hatte sie ihm die Hälfte ihres nicht unbeträchtlichen Vermögens vermacht, der andere Teil war an eine öffentliche Institution für Drogen- und Suchtbekämpfung gegangen. Die beiden oberen Stockwerke hatte er renovieren lassen und exklusiv eingerichtet, obwohl er sich nicht allzu oft hier aufhielt, außer wenn er eine seiner Liebschaften empfing und keiner auf der Rosenhöhe das mitbekommen durfte, weil diese Liebschaft vielleicht aus der direkten Nachbarschaft stammte.

Die Tür war nur angelehnt, und er ging hinein. Kaufung war in einem seiner beiden Sprechzimmer und saß hinter dem Schreibtisch aus Mahagoniholz. Bis auf den Röntgenraum und das Behandlungszimmer mit dem Ultraschallgerät bestand das gesamte Inventar der Praxis aus edelsten warmen Hölzern, ein dicker Teppichboden machte jeden Schritt beinahe lautlos, die Halogenlampen waren in die Decken eingelassen, an den Wänden hingen Reproduktionen von Gauguin, und ein paar hochgewachsene und stilvoll platzierte Grünpflanzen rundeten das elegante Bild ab. Kaufung hatte sich voll und ganz auf seine betuchte Klientel eingestellt.

»Nimm Platz«, sagte Kaufung und deutete auf einen braunen Ledersessel. In der Hand hielt er die Karteikarte und ein Schriftstück, der PC war an, die Maske geöffnet.

»Also, was gibt’s so Wichtiges? Mein Gott, jetzt mach nicht so ein Gesicht, als würdest du mir doch gleich verkünden, dass ich abkratzen muss«, sagte der andere mit gekünsteltem Lachen, denn da war eine unterschwellige Angst vor den nächsten Minuten, eine Angst, die er nicht beschreiben konnte. Kaufung war zwar ein Spieler, aber diesmal schien er nicht zu spielen, dazu wirkte sein Gesichtausdruck zu ernst, und außerdem kannte er ihn schon viel zu lange.

Kaufung fuhr sich mit der Zunge über die Innenseite der Wange und wartete, bis sein Freund sich gesetzt hatte.

»Deine Werte sind so weit okay, Gamma GT, Blutsenkung, Blutbild … Es gibt nur ein Problem …«

»Was für ein Problem?«, fragte der andere misstrauisch und mit noch mehr Unbehagen als eben schon. Er hatte dieses blöde Gefühl, dass seine schlimmsten Alpträume Wirklichkeit werden könnten. Dabei war es doch nur ein Test gewesen, nichts als ein lausiger Test, von dem er nicht einmal wusste, warum er ihn überhaupt hatte machen lassen.

Kaufung atmete einmal tief durch und kniff die Lippen zusammen, was er immer machte, wenn ihm etwas unangenehm war. »Also gut, es hat sowieso keinen Sinn, lange um den heißen Brei rumzureden – du bist HIV-positiv. Du hast dich freiwillig testen lassen, und hier vor mir liegt das Ergebnis schwarz auf weiß. Tut mir leid, dir keine bessere Mitteilung machen zu können.«

Der andere wurde aschfahl im Gesicht, seine Nasenflügel bebten, seine Mundwinkel zuckten. Er beugte sich nach vorn, die Hände gefaltet, und sagte mit leiser Stimme: »Was bin ich? Heißt das, ich habe Aids? Ich hab das doch mehr zum Spaß gemacht, ich meine, das machen doch viele heutzutage.«

»Tja, und nun ist bitterer Ernst daraus geworden. Aber um dich zu beruhigen, noch ist die Krankheit bei dir nicht ausgebrochen, doch du trägst das Virus in dir. Jetzt muss ich dir aber mal von Freund zu Freund eine Frage stellen: Hast du eigentlich noch nie was von Prävention gehört?« Kaufung beugte sich jetzt ebenfalls nach vorn, die Stirn in Falten gezogen, und fuhr fort: »Mein Gott, seit fast zwanzig Jahren sprechen wir davon, überall laufen Kampagnen, aber du scheinst es wie so viele noch immer nicht begriffen zu haben. Wenn du einen One-Night-Stand mit einer Frau hast, die du nicht kennst, nie ohne Kondom. Wir kennen uns jetzt schon seit einigen Jahren, wir haben uns über das Thema schon unterhalten, aber …«

»Halt die Klappe«, zischte der andere und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.

»Nein, tu ich nicht. Weißt du, du reißt irgendwo eine auf, schaltest dein Gehirn aus und bumst sie. Okay, ich hab auch meine Affären, aber glaub mir, nie ohne Kondom, selbst wenn ich die Frauen schon länger kenne, denn ich weiß ja nicht, mit wem sie sonst noch rummachen. Ich hab keine Ahnung, wie lange das Virus schon in dir ist, aber bei deinem Frauenverschleiß könnte es sein, dass du andere infiziert hast, vor allem deine eigene Frau.«

»Jetzt halt mir um Himmels willen keine Moralpredigt, das ist das Letzte, was ich vertragen kann!«, schrie Kaufungs Freund aufgebracht mit hochrotem Gesicht und sprang auf.

»Das ist keine Moralpredigt, denn ich habe dich nicht nur einmal gewarnt. Ich habe bereits zwei Patienten, die das Virus in sich tragen. Du bist Nummer drei. Und bei den andern beiden war es das gleiche Dilemma – jeder von ihnen dachte nämlich auch, mir wird schon nichts passieren. Aber die schützende Hand ist nicht immer über dir. Weißt du eigentlich, wie viele Menschen inzwischen weltweit mit dem Virus rumlaufen?«

»Das ist mir so was von scheißegal!«

»Ich sag’s dir trotzdem – die WHO schätzt, dass in zwanzig bis dreißig Jahren allein in Afrika etwa die Hälfte der Bevölkerung an Aids gestorben sein wird. Einige Länder wie Uganda und Kenia werden fast ausgerottet sein. Und glaub mir, die Dunkelziffer hier bei uns ist viel höher, als die meisten annehmen, weil sich die wenigsten testen lassen. Und das nur, weil man die Warnungen in den Wind schlägt. Die Jugend rennt am Wochenende in die Disco, wirft ein paar Pillen ein, dazu Alkohol, und die Hemmschwelle ist weg. Einfach so. Und wenn dein Hirn vernebelt ist, weißt du nicht mal mehr, wie das Wort Kondom buchstabiert wird.«

Der andere schüttelte fassungslos den Kopf und sah Kaufung wütend an: »Erstens bin ich kein Jugendlicher mehr, zweitens renne ich nicht in die Disco, und Pillen schluck ich auch keine …«

»Aber du hast offensichtlich geglaubt, unverwundbar zu sein.«

»Ah, der heilige Jürgen spricht!«

»Hör doch auf mit dem Quatsch! Ich will dir doch nur helfen. Krieg dein Leben in den Griff, und achte auf deine Gesundheit. Ich bin jederzeit für dich da, wenn du Hilfe brauchst. Aber in Zukunft nur noch mit, wenn du verstehst.«

»Und wie lange?«, fragte der andere, als hätte er die letzten Worte gar nicht wahrgenommen.

»Was wie lange?«

»Wie lange hab ich noch?«

»Bis jetzt bist du nur positiv, die Krankheit ist noch nicht ausgebrochen, was du außerdem längst gemerkt hättest. Das heißt, bei gesunder Lebensführung, sprich, kein Alkohol, keine Zigaretten, ballaststoffreiche Ernährung, viel Bewegung und so weiter, kann es durchaus fünf bis zehn Jahre, unter Umständen sogar länger dauern, bis die Krankheit ausbricht. Und die Pharmaindustrie hat inzwischen Mittel auf den Markt gebracht, die den Ausbruch immer weiter hinauszögern. Wer weiß, vielleicht hat man schon bald ein Heilmittel gefunden. Ich muss dir aber sagen, dass du ab sofort verpflichtet bist, nicht mehr ohne Kondom mit einer Frau zu verkehren. Klar?«

»Scheiße, das muss ich erst mal verdauen. Ich habe Aids …«

»Nein, verdammt noch mal, du hast kein Aids! Aids ist die Krankheit, und die ist noch nicht ausgebrochen. Und jetzt setz dich wieder hin und lass uns in Ruhe reden.«

»Du hast vielleicht Humor! In Ruhe reden! Mann o Mann, ich kapier’s nicht, ich krieg das nicht in meinen Kopf.«

»Setzt du dich jetzt bitte, oder wollen wir das Gespräch verschieben, bis ich aus dem Urlaub zurück bin?«

»Okay, bringen wir’s hinter uns«, antwortete Kaufungs Freund und ließ sich in den Sessel fallen.

»Gut so. Und jetzt sag mir, mit wem außer mit deiner Frau hast du in letzter Zeit Geschlechtsverkehr gehabt?«

»Was heißt in letzter Zeit?«

»Sagen wir in den letzten zwölf Monaten.«

»Woher soll ich das wissen?! Ich führ doch kein Buch darüber!«

»Überleg sehr gut, denn wie gesagt, es ist immerhin möglich, dass du schon andere infiziert hast.«

»Das ist mir scheißegal! Ich möchte wissen, wer mir das angehängt hat!«

»Das ist im Augenblick nicht so wichtig. Überleg lieber, mit wem du im letzten Jahr geschlafen hast. Denn ich sollte dir vielleicht auch noch sagen, dass die Gefahr, sich mit dem Virus anzustecken, bei Frauen ungleich höher ist als bei Männern.«

Als hätte der andere die letzten Worte nicht vernommen, meinte er: »Hör zu, wir sind Freunde, und ich verspreche dir, ab sofort nur noch mit …«

Kaufung hob die Hand und unterbrach seinen Freund: »Du kannst mir versprechen, was du willst, aber jede Frau, die mit dir im letzten Jahr geschlafen hat, ist eine potentielle Überträgerin beziehungsweise könnte selbst schon infiziert sein, was sogar recht wahrscheinlich ist. Das kann eine Spirale ohne Ende werden. Ergo, überleg gut, mit wem du im Bett warst, und sag ihnen, dass sie sich testen lassen sollen. Es werden ja nicht hunderte von Frauen sein. Nur so kann Schlimmeres verhindert werden. Solltest du jedoch weiterhin ungeschützten Geschlechtsverkehr haben, machst du dich strafbar, auch wenn ich selbst keine Anzeige erstatten kann. Also, mit wem?«

»Keine Ahnung, ich hab ’nen Blackout, ich muss das erst mal verdauen. Ich schreib’s auf, wenn ich zu Hause bin. Scheiße, Mann! Große gottverdammte Scheiße! Ausgerechnet ich!«

»Ich weiß zumindest von zwei Frauen, mit denen du regelmäßig verkehrst, und beide kenne ich persönlich sehr gut. Dazu kommt natürlich noch deine Ehefrau. Wenn du es ihnen nicht sagst, werde ich es tun und sie bitten, sich testen zu lassen …«

»Du vögelst doch genauso wild in der Gegend rum! Willst du mich in die Pfanne hauen?«, fuhr ihn sein Gegenüber noch wütender an. Seine Augen waren glühende Kohlen. »Klar, damit du endlich richtig freie Bahn hast!«

»Kein Mensch will dich in die Pfanne hauen«, erwiderte Kaufung ruhig. »Ich möchte nur verhindern, dass noch mehr Unheil angerichtet wird. Versteh doch, du hast eine Verpflichtung den Frauen gegenüber. Und nicht nur denen gegenüber, sondern auch den Männern, mit denen sie noch verkehren.«

»Ich kann das nicht.« Er vergrub sein Gesicht in den Händen und schüttelte immer wieder den Kopf.

»Was kannst du nicht? Es sagen?«

»Was denn sonst! Würdest du hingehen und einer deiner Damen mitteilen, dass es dir leid tut, aber du hast dich mal so nebenbei testen lassen, und dabei ist rausgekommen, dass du HIV-positiv bist?«

»Diese Frage steht nicht zur Debatte. Aber wenn du’s genau wissen willst, ich würd’s tun …«

Der andere machte eine wegwerfende Handbewegung. »Komm mir doch nicht mit so ’nem saudummen Geschwätz, du würdest es genauso für dich behalten und weiter rumvögeln wie bisher. Ich werde keinen Ton sagen, und du wirst auch schön den Mund halten. Versprochen, ich mach’s in Zukunft nur noch mit Kondom. Mit meiner Frau mach ich’s seit Jahren sowieso nur mit Präser, das ist so ’ne Vereinbarung zwischen uns. Ich lasse ihr ihre Freiheit, sie mir meine, dafür hat sie aber verlangt, dass wir nur geschützt …«

Kaufung ließ ihn nicht ausreden. »Ist das dein letztes Wort?«, fragte er mit hochgezogenen Brauen.

»Allerdings.«

»Dann lässt du mir keine andere Wahl. Ich werde beide Damen bitten, sich testen zu lassen, aber keine Sorge, ich werde deinen Namen nicht nennen. Und ich tue das nur, weil ich dein Freund bin …«

»Toll! Sie werden Fragen stellen, warum sie den Test machen sollen. Und was wirst du ihnen darauf antworten? Einfach so, prophylaktisch?«, schrie er höhnisch mit einer ausholenden Handbewegung. »Du bist ein Arschloch, die kaufen dir das nie ab!«

»Sorry, aber ich muss es tun, vor allem, weil ich die beiden mag und weiß, dass sie alles andere als Nonnen sind. Es wäre nicht fair, ihnen gegenüber nicht und auch nicht …«

»Spar dir dein Geschwafel!« Kaufungs Freund stand wieder auf, fuhr mit einer Hand über den Schreibtisch, überlegte und sagte mit einem zynischen Unterton: »Also gut, ich bin einverstanden. Ich werde die – freudige – Botschaft persönlich überbringen und dir dann Bericht erstatten.«

»Und wann?«

»Morgen oder übermorgen.«

»Okay. Sollte ich allerdings bis, sagen wir, Dienstag nichts von dir hören, werde ich mich persönlich drum kümmern. Bis jetzt weiß kein Mensch von diesem Befund, und es weiß auch keiner, dass wir in diesem Augenblick hier zusammensitzen. Du weißt, dass ich es mit der ärztlichen Schweigepflicht sehr genau nehme. Aber zwing mich nicht, etwas zu tun, was ich eigentlich nicht will.« Kaufung legte den Laborbericht in die Karteikarte und erhob sich, nachdem er auf die Uhr geschaut hatte. »Ich muss jetzt los. Tut mir leid, dass es so gelaufen ist. Wie gesagt, die Krankheit ist noch nicht ausgebrochen, und wenn du gesund lebst, wer weiß …«

»Musst du das eigentlich melden?«

»Nein, es besteht eine nichtnamentliche Meldepflicht, wenn jemand HIV-positiv ist. Es bleibt also alles anonym. Ich kann dir auch noch ein paar Verhaltensmaßregeln geben, damit dein Immunsystem gestärkt wird.«

»Ich denke, mein Immunsystem ist sowieso schon geschwächt …«

»Ich erklär’s dir zum letzten Mal. Du trägst zwar das Virus in dir, dein Immunsystem ist aber noch intakt. Und damit das auch so lange wie möglich so bleibt, gebe ich dir folgende Tipps: viel Bewegung, ballaststoffreiche Ernährung, viel Obst und Gemüse, keine Zigaretten mehr und möglichst auch kein Alkohol. Wenn, dann nur in Maßen. Ich stelle dir eine Liste mit Lebensmitteln zusammen, bevor ich in Urlaub fahre. Und ganz wichtig, jeden Tag fünfhundert Milligramm Vitamin C, das schützt vor Erkältungen und Infektionen. Gibt’s als Retardkapseln in der Apotheke, dadurch wird das Vitamin C allmählich an den Körper abgegeben. Außerdem kann ich dich einmal wöchentlich akupunktieren, um so deinen Energiefluss aufrechtzuerhalten. Und natürlich kann ich dir die zur Zeit besten Medikamente verschreiben. Das ist im Moment alles, was ich für dich tun kann. Wenn du meine Ratschläge befolgst, garantiere ich dir, dass du noch lange leben wirst.«

»Lange leben! Ich bin noch nicht mal vierzig, und du sprichst von lange leben! Wie lang ist das denn in deinen Augen? Zwei Jahre, fünf Jahre?«

»Das hab ich dir schon gesagt. Aber im Wesentlichen hängt es von dir ab.« Kaufung ging auf seinen Freund zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte in versöhnlichem Ton: »He, Alter, was glaubst du, was ich für einen Schiss vor diesem Gespräch hatte. Meinst du, es macht mir Spaß, jemandem so was mitzuteilen? Hättest du nicht das volle Programm verlangt, du wüsstest es heute noch nicht. Sei nicht sauer auf mich, ich kann nichts dafür. Außerdem können wir einen zweiten Test machen lassen, manchmal sind die Ergebnisse auch fehlerhaft oder die Proben werden vertauscht. Kopf hoch, okay?«

»Schon gut. Ich hab nur eine verdammte Angst. Kannst du mir was zur Beruhigung mitgeben, ich bin total fertig.«

»Kann ich verstehen. Was willst du haben? Valium?«

»Wenn du hast.«

Kaufung ging an den Schrank, öffnete ihn und fragte: »Lieber Tabletten oder lieber Tropfen?«

»Was ist denn besser?«, fragte der andere, nahm, nachdem sein Freund ihm den Rücken zugewandt hatte, den Brieföffner vom Tisch und stellte sich hinter Kaufung, als wollte er ihm über die Schulter schauen.

»Tropfen wirken schneller und lassen sich vor allem besser dosieren.« Er hielt beide Packungen hoch, ohne sich umzudrehen. »Welche willst du? Aber bitte nicht in Kombination mit Alkohol, dadurch wird die Wirkung um ein Vielfaches potenziert. Außerdem solltest du sowieso in Zukunft auf Alkohol weitestgehend verzichten.«

»Die Tropfen.« Kaufung wollte sich gerade wieder umdrehen, als er einen stechenden Schmerz im Rücken verspürte. Er ließ alles fallen. Noch zweimal wurde er von wuchtig geführten Stichen getroffen, machte eine halbe Drehung, ein weiterer Stich in den Bauch. Er sank zu Boden, schlug mit dem Hinterkopf gegen den Schrank und blieb fast aufrecht und trotzdem in unnatürlicher Haltung sitzen. Er fasste sich mit einer Hand an die blutende Wunde in seiner rechten Seite und sah seinen Freund stumm und hilfesuchend an. Blut rann aus seinem Mundwinkel, die Packungen Valium lagen neben ihm. Er wollte etwas sagen, aber kein Laut kam aus seinem Mund. Sein Körper zuckte ein paarmal, seine Augen waren weit aufgerissen, bis jeder Glanz aus ihnen verschwand.

»Du wirst mich nicht verraten, Freund! Niemals!«, zischte der andere mit hasserfülltem Blick. Er schlug mit einem Stuhl die Scheibe des Arzneischranks ein, entnahm ihm mehrere Ampullen Morphium sowie alles, was er an Beruhigungs- und Betäubungs- und auch Schmerzmitteln fand, griff nach einem Beutel mit der Aufschrift Bayer und stopfte alles hinein. Anschließend wischte er mit mehreren Desinfektionstüchern den Brieföffner, den Schreibtisch und die Stuhllehne ab, ging zur Toilette und spülte die Tücher hinunter. Wieder im Sprechzimmer, sah er auf den Toten, verzog die Mundwinkel verächtlich und sagte kaum hörbar: »Schade, dass wir nicht mehr Tennis spielen können. Was soll’s, du hast sowieso immer gewonnen, das wurde mit der Zeit langweilig. Du warst eben immer ein Gewinner. Aber irgendwann muss man auch mal verlieren können.«

Er zog das Schreiben des Labors aus seiner Patientenkarte heraus, steckte es in die Tasche und schaute nach, ob irgendetwas über seine Infizierung oder den durchgeführten Test in seiner Karte stand, doch noch hatte Kaufung nichts vermerkt. Er ging an den Computer, sah, dass Kaufung dort einen Eintrag über den Laborbericht gemacht hatte, löschte diesen und fuhr den PC herunter. Die Patientenkarte verstaute er wieder zwischen den anderen alphabetisch geordneten Karten im Schrank, schloss ihn ab und legte den Schlüssel in die oberste Schreibtischschublade.

Ein Blick durch die halb offene Tür in den edel dekorierten Hausflur, niemand war zu sehen, wie auch, wenn außer Kaufung, seiner Sprechstundenhilfe, der Putzfrau und natürlich den Patienten kaum jemand sonst diese Villa betrat. Vielleicht noch die eine oder andere Liebschaft, mit der Kaufung hier ein Schäferstündchen abgehalten hatte. Er sah an sich hinunter, an seiner Kleidung und seinen Schuhen war kein Blut, huschte durch den Ausgang und ließ die Tür nur angelehnt. Im Park gegenüber herrschte noch reges Treiben, doch keiner nahm Notiz von dem Mann, der soeben einen Mord begangen hatte. Mit gemäßigtem Schritt ging er zu seinem Auto, schließlich wollte er nicht auffallen. Er hatte eine Verabredung, und er wollte die Dame nicht zu lange warten lassen. Während der Fahrt rief er sie an und sagte, er sei in etwa zwanzig Minuten bei ihr.

Freitag, 22.17 Uhr

Peter Brandt und Andrea Sievers saßen seit einer Stunde in einem italienischen Restaurant. Seine Töchter Sarah und Michelle waren am Nachmittag von ihrer Mutter abgeholt worden. Fünf Wochen in Spanien, fünf Wochen Luxusleben pur, und obwohl die Mädchen beteuerten, dass sie nicht deswegen zu seiner Ex und ihrem Neuen fuhren, hatte Brandt doch ein ungutes Gefühl im Bauch, das eigentlich hauptsächlich aus Angst bestand. Er liebte seine Töchter über alles, aber er wusste auch, dass sie sich in einem Alter befanden, in dem das Materielle einen extrem hohen Stellenwert einnahm. Und seine Exfrau hatte jetzt das Geld, das sie sich immer wünschte. Er hoffte inständig, sie würde nicht auf diese Weise die Mädchen auf ihre Seite ziehen wollen, doch kannte er sie gut genug, um nicht zu wissen, dass sie es versuchen würde, auch wenn ihr eigentlich relativ wenig an Sarah und Michelle lag. Ihr ging es hauptsächlich darum, ihm eins auszuwischen. Was dabei aus den gemeinsamen Töchtern wurde, war ihr egal. Die Tatsache, dass er das alleinige Sorgerecht besaß, war für sie ein Stachel in ihrem Fleisch, den sie jedoch niemals würde entfernen können. Deshalb war seine Laune auch nicht die beste, obwohl er versuchte, sich das Andrea gegenüber nicht anmerken zu lassen. Das Einzige, worauf er bestanden hatte, war, dass Sarah und Michelle ihn regelmäßig anriefen, damit er wusste, ob es ihnen wirklich gut ging. Und sollte er auch nur den Hauch einer Ahnung haben, es wäre nicht so, würde er sich in den nächsten Flieger setzen und sie holen.

Brandt und Andrea hatten sich die ganze Woche über nicht gesehen und genossen den Abend zu zweit. Sie hatten gut gegessen und jeder zwei Gläser Rotwein getrunken. In Andreas Gegenwart vergaß Brandt zu einem großen Teil seine Sorgen. Er hatte Bereitschaft, aber wie meistens, vor allem im Sommer und zur Ferienzeit, war diese Bereitschaft nichts anderes als jeder normale Dienst. In den mittlerweile mehr als fünfundzwanzig Jahren bei der Polizei war er nur selten nachts aus dem Schlaf geklingelt und zu einem Tatort gerufen worden, und er verschwendete auch keinen Gedanken daran, dass es in dieser Nacht anders sein könnte. Er und Andrea unterhielten sich über die vergangenen Tage, an denen sie zwar regelmäßig telefoniert hatten, aber es war doch ein Unterschied, ob man über das Telefon miteinander sprach oder sich in die Augen sehen oder bei den Händen fassen konnte. Sie würden so gegen halb elf zu ihm fahren, Andrea würde das Wochenende bei ihm verbringen, bis am Montag wieder der Alltagstrott einkehrte. Sie kannten sich jetzt seit fast einem halben Jahr näher, und Brandt war in dieser Zeit richtig aufgeblüht. Aus dem schlappen Bullen, wie er sich selbst manchmal seit seiner Scheidung bezeichnete, war wieder ein dynamischer Mann geworden, der sich urplötzlich um mindestens zehn Jahre jünger fühlte. Allein zu wissen, dass da eine Frau war, die ihn mochte, mit der er über alles sprechen konnte, die seine Töchter voll und ganz akzeptierte und die auch von ihnen akzeptiert wurde, machte ihn glücklich.

Sie hielt seine Hand und wollte gerade etwas sagen, als Brandts Handy klingelte. Er runzelte die Stirn, sah die Nummer auf dem Display, schüttelte den Kopf und murmelte ein kaum hörbares »Scheiße«.

»Ja?«, meldete er sich barsch.

»Hier Krüger. Sorry, Alter, aber die Arbeit ruft. Ein Toter in der Parkstraße, vermutlich Mord. Ein gewisser Dr. Jürgen Kaufung, Arzt. Die Spurenleser und der Fotomensch machen sich gerade zum Aufbruch bereit.«

»Okay.« Er drückte auf Aus und steckte das Handy in die Brusttasche seines Hemdes. Sein Blick sagte mehr, als tausend Worte es vermocht hätten. Er seufzte auf und sah Andrea an. »Ausgerechnet heute. Kann so was nicht passieren, wenn andere Bereitschaft haben?«

»Was ist denn los?«

»Mord«, war die trockene Antwort.

»Dann fahren wir eben zusammen. Ich habe zwar keine Bereitschaft, aber was soll’s. Und jetzt zieh nicht so ’ne Flunsch, lass uns lieber zahlen und gehen, umso schneller haben wir’s hinter uns. Wo ist es denn?«

»Parkstraße.«

»Wo ist die?«

Brandt musste unwillkürlich lächeln. »Gleich beim Präsidium. Führt direkt dran vorbei.« Er winkte den Kellner heran, bat um die Rechnung und zahlte mit Kreditkarte. Sie brauchten kaum fünf Minuten vom Lokal bis zum Tatort. Zwei Streifenwagen standen vor dem Haus.

»War hier schon jemand drin?«, fragte Brandt einen der Beamten, die sich vor der Tür postiert hatten, und hielt ihm seinen Ausweis hin.

»Nur ich und mein Kollege und diese junge Dame dort«, antwortete der Angesprochene und deutete auf das Polizeiauto. »Sie hat ihn auch gefunden.«

»Schon die Personalien aufgenommen?«

»Ja.«

Brandt und Sievers begaben sich zu der jungen Frau, die an einen Streifenwagen gelehnt dastand. Ihr Gesicht war verheult, was aber nichts an ihrer Attraktivität änderte. Sie hatte kurze blonde Haare, grün-braune Augen und eine Figur, die fast zu perfekt war, um echt zu sein, wie Brandt feststellte. Ich kann mich aber auch irren, dachte er, solche Naturwunder soll’s schließlich geben. Und außerdem ist sie bestimmt nicht älter als Mitte zwanzig.

»Brandt, Mordkommission. Und das ist Dr. Sievers von der Rechtsmedizin. Sie haben den Toten also gefunden, Frau …«

»Petra Johannsen.« Sie wischte sich mit dem Handrücken über die vom Weinen geröteten Augen.

»Wann war das?«

»Weiß nicht, so vor zwanzig Minuten etwa, vielleicht ist es auch schon eine halbe Stunde her.«

»Und was haben Sie hier gemacht, ich meine, um diese Zeit ist die Praxis doch normalerweise geschlossen?«

»Jürgen, ich meine Dr. Kaufung und ich waren verabredet, und als er nicht gekommen ist und ich ihn zu Hause und auch auf seinem Handy und in der Praxis nicht erreichen konnte, bin ich einfach hierher gefahren.« Sie zuckte mit den Schultern. »Fragen Sie mich nicht, warum. Vielleicht, weil er die Pünktlichkeit in Person war. Und als ich sein Auto hier stehen sah«, sie deutete mit dem Kopf auf den Porsche, »hatte ich gleich so ein mulmiges Gefühl. Und da habe ich ihn gefunden. Mein Gott, wer macht so was?«, sagte sie, wobei wieder Tränen über ihr Gesicht liefen. »Alles voller Blut. Und diese Augen!«

»Sind Sie und Dr. Kaufung liiert?«

Sie lächelte etwas gequält. »Nein, wir sind beziehungsweise waren nur befreundet.« Und nach einer kurzen Pause und mit einem verlegenen Gesichtsausdruck: »Hören Sie, es wäre gut, wenn keiner erfahren würde, dass ich ihn gefunden habe und dass wir verabredet waren.«

»Warum?«

Sie druckste einen Moment herum, bis sie schließlich antwortete: »Ich bin verheiratet. Mein Mann weiß zwar, dass ich … Geht das, oder müssen Sie meinen Mann auch befragen?«

»Nur, wenn unbedingt nötig. Das heißt also, Sie und Dr. Kaufung hatten eine Affäre, richtig?«

»Ja.«

»Ging das schon länger?«

»Seit gut einem halben Jahr.«

»Und Ihr Mann wusste nichts von Ihrem Verhältnis mit Dr. Kaufung, weil …«

»Doch, er wusste es. Wir hatten ein Agreement.«

»Was für ein Agreement?«, wollte Brandt wissen.

»Mein Mann ist knapp dreißig Jahre älter als ich und … Na ja, er hat gesagt, dass er nichts dagegen hat, wenn ich ab und zu …«

»Dann wäre es doch nicht weiter schlimm, wenn wir ihn befragen würden, wenn er es sowieso weiß.«

»Da haben Sie auch wieder Recht. Ich bin nur durcheinander.«

»Wo ist Ihr Mann jetzt?«

»In Shanghai, geschäftlich. Er ist sehr viel unterwegs.«

»Und wann kommt er wieder?«

»Am Dienstag. Er ist vorgestern geflogen.«

»Okay. Sie warten bitte noch, bis wir drinnen fertig sind.« Er wollte sich gerade umdrehen, als er innehielt und fragte: »War Dr. Kaufung eigentlich verheiratet?«

»Nein, er wäre nie eine feste Beziehung eingegangen. Seine Freiheit ging ihm über alles.«

»Verstehe. Gibt es außer Ihnen noch andere Frauen, mit denen er …«

»Glauben Sie vielleicht, ich war die Erste, mit der er was hatte?«, entgegnete sie unerwartet spöttisch. »Entschuldigung, war nicht so gemeint.«

»Schon gut. Wir sehen uns gleich noch mal.«

Die Leute von der Spurensicherung und der Fotograf kamen an, ein Mann stand mit diesem typischen Koffer in der Hand im Hausflur. Brandt musste innerlich grinsen, als er auf den groß gewachsenen Mann zuging und sagte: »Sie sind Arzt?«

»Ja, ich wurde herbestellt. Dr. Vierling, ich habe Notdienst.«

Brandt zwinkerte Andrea unauffällig, aber vielsagend zu und wandte sich wieder an Vierling: »Dann wollen wir uns die Bescherung mal anschauen. Aber erst, nachdem der Fotograf seine Arbeit beendet hat.«

Sie warteten zehn Minuten, bis der Fotograf wieder herauskam und sagte, die Fotos seien in einer Stunde fertig, zogen sich Plastikhandschuhe über, die sie sich von einem Streifenbeamten hatten geben lassen, und betraten die Praxis. Obwohl es draußen noch relativ warm war, herrschte hier eine angenehme Kühle.

»Nobel, nobel«, bemerkte Brandt, nachdem er einen ersten Eindruck von den Praxisräumen gewonnen hatte.

»Dr. Kaufung hatte nur Privatpatienten«, sagte Dr. Vierling mit diesem Unterton, der Brandt nur zu bekannt vorkam. Vierling, ein normaler Arzt, Kaufung, der das Privileg genossen hatte, die oberen Zehntausend zu versorgen.

»Sie kennen ihn?« Brandt betrachtete Kaufung, der mit weit aufgerissenen Augen an den Schrank gelehnt dasaß. Ein makabrer Anblick, aber der Tod hatte nur selten ein schönes Gesicht.

»Wer kennt ihn nicht?! Er hatte nur Patienten, die sich ihn auch leisten konnten. Der hat sich nicht mit Kleinkram abgegeben.«

»Neidisch?«, konnte Brandt sich nicht verkneifen zu bemerken.

»Nein, so war das nicht gemeint«, versuchte sich Vierling zu rechtfertigen, was Brandt ihm aber nicht abkaufte. Während Kaufung nur die Sahneschnitten bekam, musste er sich mit einfachen Keksen begnügen.

»Also gut, dann tun Sie mal Ihre Arbeit.« Brandt schaute sich inzwischen um. Das Glas des Medizinschranks war zerbrochen, Scherben waren über den Boden darunter verteilt, ansonsten wirkte alles sehr aufgeräumt und sauber.

Vierling ging in die Hocke und beugte sich über Kaufung, um dessen Körper sich eine große Blutlache gebildet hatte, die vom Teppichboden aufgesogen worden und zum Teil schon getrocknet war. Immer mehr Fliegen fanden sich ein und bevölkerten den Körper des Toten.

»Wollen Sie keine Handschuhe anziehen?«, fragte Andrea Sievers mit hochgezogenen Brauen.

»Hab ich in der Aufregung ganz vergessen. Das ist das erste Mal, dass ich von der Polizei gerufen werde«, versuchte er sich zu entschuldigen. Er holte die Handschuhe aus seinem Koffer, zog sie über, fühlte Kaufungs Puls, leuchtete mit einer Lampe in seine Augen, stellte sich wieder aufrecht hin und meinte: »Er ist tot. Ein gewaltsamer Tod kann nicht ausgeschlossen werden.«

»Sehr scharfsinnig«, sagte Brandt mit ironischem Unterton, »aber dass er tot ist, wissen wir schon. Und wie lange ist er tot? Eine Stunde, zwei, drei?«

»Woher soll ich das wissen? Ich bin kein Rechtsmediziner.«

»Aber die Grundkenntnisse sollten Sie schon beherrschen, finde ich«, mischte sich jetzt Andrea Sievers ein. »Lassen Sie mich mal ran.«

»Wenn Sie meinen, es besser zu können«, sagte Vierling leicht pikiert.

»Sie kann«, entgegnete Brandt trocken. Und an Andrea gewandt: »Und, was kannst du sagen?«

Sievers knöpfte vorsichtig das Hemd auf und stellte fest: »Ein Einstich links seitlich in den Bauch, der aber mit Sicherheit nicht tödlich war. Hilf mir mal, ihn hinzulegen und umzudrehen, aber vorsichtig, damit keine Spuren verwischt werden.« Und nach einer weiteren Begutachtung: »Hier, drei Einstiche in den Rücken, wobei einer vermutlich das Herz getroffen hat. Das war dann auch der Todesstoß.« Und an Vierling gewandt: »Haben Sie mal ein Thermometer?«

Dieser holte es aus seiner Tasche und reichte es Sievers wortlos. Sie zog Kaufungs Hose runter, maß die Temperatur und sagte nach zwei Minuten: »34,1 Grad. Der ist so vor zwei bis zweieinhalb Stunden übern Jordan gegangen. Allmähliches Einsetzen der Totenstarre, das Kiefergelenk ist kaum noch beweglich, Leichenflecken konfluierend … Wie gesagt, zwei bis zweieinhalb Stunden, auf keinen Fall länger.«

»Lernt man das heutzutage bei der Polizei?«, fragte Vierling sichtlich verwirrt. »Wozu brauchen Sie dann noch einen Arzt, wenn Sie sowieso alles besser wissen?«

Sievers erhob sich wieder, setzte ihr charmantestes Lächeln auf und antwortete: »Verzeihen Sie, aber ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Sievers, Dr. Sievers. Ich bin Rechtsmedizinerin. Ist mehr Zufall als Absicht, dass ich hier bin. Sie sollten sich aber trotzdem mal für den Fall der Fälle, ich meine, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, die entsprechende Literatur zu Gemüte führen. Dass dieser Mann tot ist, würde auch ein Kind erkennen. Und jetzt stellen Sie bitte den Totenschein aus, alles Weitere übernehmen wir. Und sollten Sie zufällig mal wieder an einen Tatort gerufen werden und das Opfer hat ein Messer im Rücken, dann kreuzen Sie unter Todesart bitte nicht ›natürlich‹ an.«

Vierling erwiderte darauf nichts mehr, stellte wortlos den Totenschein aus und reichte ihn Brandt. Dann machte er auf dem Absatz kehrt, murmelte ein »N’abend« und verschwand nach draußen.

»Den hast du aber ganz schön auflaufen lassen«, sagte Brandt.

»Aber hallo, wenn der nach einer Minute sagt, dass ein gewaltsamer Tod nicht ausgeschlossen werden kann, dann attestiert er womöglich nach zwei Minuten eine natürliche Todesursache. Solche Typen habe ich gefressen, die bringen den gesamten Berufsstand in Verruf. Ich stell mir nur vor, der behandelt seine Patienten genauso. So einen Fall hab ich übrigens schon gehabt, wo einer ein Messer im Rücken hatte, die Leiche bei der Erstbeschau aber nicht umgedreht wurde, auf dem Totenschein war ›natürlich‹ angekreuzt, und als wir ihn bekamen, haben wir das Messer entdeckt. Lass ihn in die Pathologie bringen, ich untersuch ihn morgen Vormittag. Oder brauchst du das Obduktionsergebnis sofort?«

Brandt fuhr sich mit der Hand übers Kinn, was er immer tat, wenn er nachdachte. Er schien die letzten Worte von Andrea Sievers gar nicht mehr mitbekommen zu haben. Stattdessen sagte er: »Du meinst, er ist seit zwei, maximal zweieinhalb Stunden tot. Was hat er um diese Zeit noch hier gemacht? Es ist Freitag, und einer wie er macht bestimmt keine Überstunden.«

»Was denkst du?«

»Na ja, nehmen wir an, er ist so gegen halb neun getötet worden. Kein normaler Arzt hält sich um halb neun noch in der Praxis auf, es sei denn, er hat Notdienst. Aber einer, der nur Privatpatienten behandelt, macht doch keinen Notdienst …«

»Stopp, stopp!«, wurde er von Andrea unterbrochen. »Auch Privatärzte haben einen Notdienst, schließlich erwarten deren Patienten für teures Geld einen entsprechenden Service. Aber er hatte heute bestimmt keinen, er hatte schließlich eine Verabredung mit einer bezaubernden jungen Dame.«

»Trotzdem, dieser Typ war privilegiert. Wenn einer aus seiner erlesenen Klientel mal nachts einen Arzt brauchte, dann konnte er Kaufung bestimmt auch zu Hause oder über Handy erreichen. Ich will wissen, was er vor seinem Tod hier gemacht hat.«

»Ich weiß zwar nicht, worauf du hinauswillst, aber das alles riecht doch ziemlich stark nach Raubmord«, meinte Andrea Sievers und deutete auf die Glasscherben und den demolierten Arzneischrank. »Da hat jemand alles mitgehen lassen, was irgendwie high macht oder beruhigend wirkt.«

»Mag schon sein, und trotzdem kommt mir das Ganze spanisch vor. Da wird ein Promiarzt, der seine Praxis gleich neben dem Präsidium hat, an einem späten Freitagabend umgebracht …«

»Warum kommt dir das spanisch vor? Nur weil er irgendwann zwischen acht und neun umgebracht wurde und du dir nicht vorstellen kannst, dass ein Arzt wie er sich um diese Zeit noch in der Praxis aufhält? Vielleicht wollte er nur noch etwas holen, was er vergessen hatte. Was weiß ich.«

»Schau dir doch mal an, wie er angezogen ist«, sagte Brandt mit Blick auf den Toten. »So läuft der doch nicht während der Sprechzeiten rum.«

Andrea Sievers lachte auf. »Wenn er wirklich ein Promiarzt war, dann ist er so rumgelaufen. Van-Laack-Hemd, Armani-Hose, italienische Schuhe, eben das, was man in den besseren Kreisen so anzieht. Außerdem hatte er ja keine Sprechzeit. Ich könnte mir vorstellen, dass seine Patienten vorwiegend weiblichen Geschlechts waren. Weiblich und gelangweilt. Und sie haben sich bestimmt gerne von ihm untersuchen lassen.«

»Ja, ja, war schon ein knackiges Kerlchen. Woher kennst du eigentlich die ganzen Markennamen?«

»Was glaubst du, was bei mir schon alles auf dem Tisch gelandet ist. Da wirft man zwangsläufig auch mal einen Blick auf die Etiketten.«

»Auch gut. Und jetzt lassen wir ihn in deine heiligen Hallen bringen, wo du ihn morgen untersuchen wirst.« Und nach einer kurzen Pause: »Wie ist die Johannsen überhaupt hier reingekommen? Die hat doch bestimmt keinen Schlüssel für die Praxis.« Er wollte bereits nach draußen gehen, als ihn die Stimme von Andrea zurückhielt.

»Hier, sein Portemonnaie. Alles drin, Kreditkarten, Bargeld …«

»Was?«, fragte Brandt erstaunt.

»Also ich revidiere meine Meinung den Raubmord betreffend. Ich weiß jedenfalls, dass ein Junkie alles mitgehen lassen würde, was auch nur im Entferntesten mit Geld zu tun haben könnte. Für meine Begriffe sollte es nur nach Raubmord aussehen. Ich will damit sagen, dass Kaufung seinen Mörder möglicherweise gekannt hat. Aber der hat eben nicht wie ein Junkie gedacht.«

»Und Kaufung war mit ihm hier verabredet«, sagte Brandt leise. »Ich muss das alles in Ruhe durchgehen. Ich will erst wissen, wie die Johannsen hier reingekommen ist.«

Er lief mit ausgreifenden Schritten nach draußen. Andrea Sievers folgte ihm.

»Frau Johannsen, wie sind Sie in die Praxis gekommen? Haben Sie einen Schlüssel?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, die Tür war angelehnt, was mich schon ein bisschen gewundert hat. Ich bin rein und habe seinen Namen gerufen. Und als er nicht geantwortet hat, bin ich weitergegangen und habe ihn am Schrank …« Mit einem Mal wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt. Andrea legte einen Arm um sie und sprach leise auf sie ein. Als sie sich einigermaßen beruhigt und die Tränen aus dem Gesicht gewischt hatte, stieß sie bitter hervor: »Er war doch noch so jung!«

»Wie alt war er?«

»Dreiundvierzig.«

»Kam es öfter vor, dass er so spät noch in der Praxis war?«

»Nein. Ich weiß auch nicht, was er hier gemacht hat. Er hat mich um kurz vor sechs noch angerufen und gesagt, er würde bis um halb acht Tennis spielen und sei um neun bei mir …«

»Moment«, wurde Petra Johannsen von Brandt unterbrochen, »Dr. Kaufung war vorhin noch Tennis spielen?«

»Ja. Für ihn war jeden Dienstag und Freitag ein Platz reserviert.«

»Hat er auch mit Ihnen gespielt?« Natürlich hat er mit dir gespielt, aber bestimmt lieber was anderes als Tennis, dachte Brandt.

»Selten, dazu war er viel zu gut.«

»Und wer waren seine Partner?«

»Unterschiedlich. Meistens hat er mit Herrn Wedel gespielt, aber auch mit Herrn Friedrichs oder Herrn Schmieding und natürlich der einen oder andern Frau, ab und zu auch mal mit mir, aber nur, wenn sich niemand anders fand.«

»Und auf welchem Tennisplatz?«

»In Bieber, Siebeneichen. Allerdings nur im Sommer. Im Herbst und Winter ist er immer nach Sachsenhausen gefahren, weil die dort angeblich die beste Halle haben. Ich habe vorhin vergessen zu erwähnen, dass ich auch noch im Tennisclub angerufen habe, wo man mir aber mitteilte, dass Dr. Kaufung schon vor acht gegangen sei.«

»Hatte er einen besten Freund?«

Petra Johannsen zuckte mit den Schultern und meinte nach einigem Überlegen: »Herr Wedel. Aber Jürgen hatte eigentlich keine wirklichen Freunde, er war, was das angeht, eher zurückhaltend. Er scheute enge Beziehungen jeglicher Art, auch wenn er Herrn Wedel das Gefühl gab, sein bester Freund zu sein.«

»Wissen Sie, wie dieser Wedel mit Vornamen heißt?«

»Klaus. Ihm gehört eine Galerie in der Waldstraße.«

»Ach so, daher kommt mir der Name bekannt vor«, meinte Brandt. »Sie können uns nicht zufällig sagen, wo er wohnt, oder?«

»Im Feldbergweg, aber fragen Sie mich nicht nach der Hausnummer. Dr. Kaufung wohnt übrigens im Hunsrückweg.«

»Danke für die Auskunft. Ach ja, Sie sagten, Dr. Kaufung habe Sie um kurz vor sechs angerufen. Danach hat er sich nicht mehr bei Ihnen gemeldet?«

»Nein. Kann ich jetzt gehen, ich bin ziemlich fertig?«

»Sicher. Nur noch eine Frage. Dr. Kaufung hatte doch sicherlich auch eine Sprechstundenhilfe. Kennen Sie ihren Namen oder wissen Sie vielleicht sogar, wo sie wohnt?«

»Annette Blohm. Aber wo sie wohnt, kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Das kriegen wir schon raus.«

»Finden Sie das verdammte Schwein, das ihm das angetan hat. Er war ein guter Mensch und ein hervorragender Arzt. Das werden Ihnen alle Patienten bestätigen können. Er war sehr einfühlsam, aber verstehen Sie das bloß nicht falsch.«

»Schon gut. Jetzt hab ich noch eine Frage. Dieser Tennisplatz, wie lange kann man dort jemanden antreffen?«

»Das Restaurant ist auf jeden Fall bis eins, manchmal auch länger geöffnet. Heute bestimmt länger.«

»Schönen Dank, das war’s schon. Wir melden uns morgen so gegen Mittag noch einmal bei Ihnen. Es wäre gut, wenn Sie dann zu Hause wären.«

»Ich werde da sein.«

Brandt wartete, bis Petra Johannsen in ihr BMW Cabrio eingestiegen war, den Motor anließ und Gas gab.

»Sehr hübsch, die Kleine, was?«, sagte Andrea Sievers verschmitzt lächelnd.

»Hm«, murmelte er nachdenklich, als hätte er die Bemerkung nicht gehört, musste Andrea jedoch Recht geben. »Was hat Kaufung nach dem Tennis noch mal hier in der Praxis gewollt? War er mit jemandem verabredet? Oder hat er nur was vergessen und ist dabei zufällig seinem Mörder in die Hände gefallen? Vielleicht hat er einfach nur einen Einbrecher auf frischer Tat ertappt und ist dabei umgebracht worden. Es gibt ziemlich viele Möglichkeiten.« Er sah auf die Uhr. »Zwanzig nach elf. Ich werd mal beim Tennisplatz vorbeischauen. Willst du mitkommen?«

»Was soll ich denn sonst machen? Vielleicht hier auf dich warten?«, entgegnete Andrea und zündete sich eine Zigarette an.

»War ’ne blöde Frage.« Er wandte sich an einen der Streifenpolizisten und sagte: »Klappern Sie doch mal mit Ihren Kollegen die Nachbarschaft ab, ob irgendwer was gesehen oder gehört hat. Ich weiß, es ist spät, aber das Gedächtnis der Leute noch frisch, wenn denn einem was Merkwürdiges aufgefallen sein sollte.«

»Wird gemacht.«

Und zu Andrea Sievers: »Fahren wir.«

Freitag, 23.31 Uhr

Im Restaurant des Tennisclubs herrschte Hochbetrieb. Brandt und Sievers begaben sich direkt zur Bar, wo kein Hocker mehr frei war.

»Wer ist hier der Chef?«, fragte Brandt den Barmixer, einen mittelgroßen braungebrannten jungen Mann mit schwarzen Haaren und dunklen Augen, der gerade zwei Cocktails einschenkte, und hielt ihm seinen Ausweis entgegen. »Brandt, Kripo Offenbach. Das ist meine Kollegin.«

»Dort drüben«, antwortete der Angesprochene mit unüberhörbar französischem Akzent und deutete auf einen Tisch am Fenster. »Der mit dem Bart.«

»Danke.«

Brandt bestellte für sich und Sievers je einen alkoholfreien Cocktail, den sie nachher trinken würden, dann gingen sie zu dem angegebenen Tisch. Er stellte sich und Andrea ein weiteres Mal vor und bat den Besitzer des Restaurants, Norbert Müller, ihn kurz zu sprechen.

»Gehen wir in mein Büro, dort sind wir ungestört.« Im Büro angekommen, fragte Müller, ein bulliger, muskulöser Mann, den Brandt zwischen vierzig und fünfzig schätzte, mit kritischem Blick, während seine Augen verräterisch aufblitzten, als er Andrea Sievers ansah: »Was kann ich für Sie tun?«

»Nur ein paar Fragen. Kennen Sie einen Dr. Kaufung?«

»Natürlich kenne ich ihn. Warum fragen Sie?«

»War er heute hier?«

»Ja, er kommt jeden Dienstag und Freitag. Was ist mit ihm?«

»Er ist tot. Umgebracht, um genau zu sein«, sagte Brandt trocken, woraufhin Müller ihn ungläubig und mit leicht zur Seite geneigtem Kopf ansah.

»Bitte was? Er war doch vorhin gerade erst … Er hat wie immer gespielt und sich dann noch kurz an der Bar aufgehalten.«

»Wann genau war das?«

Müller überlegte einen Moment, bevor er antwortete: »So gegen halb acht. Aber da fragen Sie am besten Pierre, der kann Ihnen das genauer sagen, er steht immer ab sechs hinter der Bar. Mein Gott, ausgerechnet Kaufung. Der ist schon seit Jahren Mitglied im Club. Das muss ich erst mal verdauen.«

»War er allein hier?«

Müller schüttelte den Kopf und sagte mit einem schmierigen Gesichtsausdruck: »Kaufung war nie allein.«

»Wollen Sie damit irgendetwas Bestimmtes ausdrücken?«, fragte Brandt kühl, dem die Art von Müller immer weniger gefiel.

»Nein. Aber erstens kann man schlecht allein Tennis spielen, und zweitens, er hatte nichts gegen gepflegte und angenehme Gesellschaft, wenn Sie verstehen«, entgegnete er noch eine Spur schmieriger. Die gerade noch vorhandene, offensichtlich gespielte Trauer, zumindest empfand Brandt sie als gespielt, war mit einem Mal verflogen.