Mord für Mord - Max Adam - E-Book

Mord für Mord E-Book

Max Adam

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Beschreibung

Auf der Suche nach einem Serienmörder treffen Kommissar Peters und der Privatermittler Engler aufeinander und entwickeln ein manisches Interesse an diesen Fällen. Aber das bleibt nicht die einzige Gemeinsamkeit. Bald teilen sie die Liebe zur gleichen Frau. Als beide mit ihren Ermittlungen auf fatale Weise in die Nähe des Täters geraten, ist klar: Der letzte Fall der Serie steht noch aus.

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Impressum

eISBN 978-3-360-50121-9

© 2015 (1997) Verlag Das Neue Berlin, Berlin

Cover: Verlag

Die Bücher des Verlags Das Neue Berlin erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

www.eulenspiegel-verlagsgruppe.de

Max Adam

MORD für MORD

Das Neue Berlin

1

Erst gegen zehn Uhr war Melanie Franke aufgestanden, hatte geduscht, den Fernseher eingeschaltet und nebenbei gefrühstückt. Ohne Hast blätterte sie nun in den Katalogen der Versandhäuser, verglich Preise und versuchte sich vorzustellen, wie dies und jenes wohl in ihre Wohnung passen würde. Ihre Vorstellungskraft war schnell überfordert, so daß sie beschloß, noch im Laufe des Vormittags zum Möbelmarkt zu fahren.

Mit Cornelius’ Auszug waren unübersehbare Lücken im Mobiliar entstanden, obwohl er großmäulig angekündigt hatte, auf all den Plunder, wie er sich ausdrückte, verzichten zu wollen. Als es aber ernst wurde, wollte er sich von den meisten Möbeln, bei denen es sich plötzlich um alte Geschenke handelte, dann doch nicht trennen.

Melanie Franke hatte sich schnell daran gewöhnt, den Rhythmus ihres Tages selbst bestimmen zu können und von niemandem abhängig zu sein. Die Entlassung aus der Firma hatte sie zwar nicht gewollt, aber auch nicht mit allen Kräften abzuwenden versucht. Zu belastend war ihr Chef mit seinen Allüren in letzter Zeit gewesen, zu oft mußte sie, als Sekretärin, sich Vorhaltungen wegen diverser Pannen machen lassen, die sie angeblich verschuldete. Zu oft schließlich hatte sie schon seit Monaten die Beschwerden der Wirbelsäule ignoriert, anstatt sich gründlich zu kurieren. Das alles war das Geld nicht wert, auf das sie bald sowieso nicht mehr angewiesen sein würde.

Die Rechtsanwältin hatte ausgerechnet, daß Melanie allein vom zu erwartenden Unterhalt ihres Gatten ganz gut würde leben können.

Mehr noch als durch die Entlassung fühlte sie sich durch den Auszug dieses Herrn befreit. Cornelius, mit dem sie fast zehn Jahre verheiratet war – die Ehe blieb kinderlos –, lebte seit einigen Wochen in einer Apartmentwohnung im Westteil der Stadt, unweit des großen Warenhauses, in dem er als gutbezahlter Filialleiter angestellt war. Melanie Franke hatte kurz zuvor die Scheidung eingereicht und auf Anraten ihrer Anwältin darauf bestanden, daß die Trennung von Tisch und Bett nicht nur formal, sondern auch mit aller Konsequenz eingehalten wurde. Ohne diesen Schritt wäre es ihrem dominanten Gatten früher oder später wahrscheinlich gelungen, alles wieder rückgängig zu machen.

Melanie hatte ihre Entscheidung lange Monate vor sich hergeschoben und sich zeitweise schon damit abgefunden, den Rest ihres Lebens an der Seite eines berechnenden, alles bestimmenden Egoisten zu verbringen. Je länger dieser Mann über sie herrschte, desto unwahrscheinlicher wurde es, daß sie noch die Kraft zum Gehen finden würde.

Cornelius war immer schon sparsam gewesen, wenn es um ihre Wünsche ging, entwickelte sich aber, seit Melanie kein eigenes Geld mehr verdiente, zum Geizkragen, dem sie allabendlich ihre Ausgaben erklären und das Haushaltsgeld vorzählen mußte – er nannte es schlicht Abrechnung. Darüber hinaus gewöhnte er es sich an, auch ihre persönlichen Dinge, wie die Wahl ihrer Kleidung, ihres Make-up und sogar der Hygieneartikel zu reglementieren. Nicht nur den Kauf dieser Utensilien, nein, zuletzt sogar die Häufigkeit des Gebrauchs. Verschwendung war sein liebstes Wort.

Der Egoist hatte bei seinem Weggehen allerdings nicht nur in das Mobiliar der Wohnung gewisse Lücken gerissen, sondern auch in Melanies Sexualleben. Obwohl er sie nie nach ihrer Meinung fragte, wenn ihm nach Vollzug des ehelichen Aktes – wie er es auszudrücken pflegte – zumute war, und obwohl Cornelius sich auch in Ausübung desselben nie sonderlich um ihren Spaß bemühte, war er doch kein Versager gewesen. Sie kam irgendwie auf ihre Kosten.

Und da sie es nie gewagt hatte, sich einen Liebhaber zu nehmen, blieb sie bis zum Schluß auf Cornelius angewiesen. Obwohl einem Neubeginn nun nichts und niemand mehr im Wege stand, wollte sie nichts übers Knie brechen.

Melanie Franke sah eher ein wenig jünger aus, als sie an Jahren zählte. Eine Schönheit war sie nie gewesen, hatte aber mit dreiunddreißig ihre Figur gehalten und würde mit etwas Mühe sogar noch in ihr Hochzeitskleid passen, da war sie sicher. Als sie noch ihren Job hatte, war kein Mangel an eindeutigen Angeboten von Kollegen gewesen. Sie war nicht darauf eingegangen, nun aber fehlten sie ihr. Sie müßte sich etwas einfallen lassen, um ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden abzurunden.

Der Zufall wollte es, daß das Bimbam des Gongs Melanie beim Blättern im Katalog gerade auf den Seiten erwischte, die, schamvoll zwischen Rasiergeräten und Kühlschränken versteckt, dem Spaß allein und zu zweit gewidmet waren. Sie legte den Katalog, die aufgeschlagenen Seiten nach unten, auf den Tisch, zupfte ihre Kleidung zurecht und ging zur Wohnungstür.

Als der Besucher, ohne sich namentlich vorzustellen, der Mieterin ein Auftragsschreiben unter die Nase hielt, wurde er mit einem schwer zu deutenden Lächeln hereingebeten.

Obwohl er sagte, daß alles ganz schnell gehen würde, bot sie ihm einen Kaffee an, den er jedoch dankend ablehnte.

»Etwas anderes vielleicht?«, fragte die Frau, die bemerkt hatte, daß der Mann unruhig wurde.

»Koffein regt mich auf«, sagte er beinahe schüchtern und schielte zu dem Schrank, in dem hinter Glas die Flaschen standen.

Die Frau nickte lächelnd und kredenzte dem Gast einen Whisky. Der Mann bestand darauf, daß auch sie sich einen genehmige, weil er sonst ein schlechtes Gewissen bekäme.

Wortlos kam sie seiner Aufforderung nach und sah ihm beim Zum-Wohl-der-Herr einen Moment länger in die Augen, als es sich schickte.

Die braucht keinen Drink, die braucht was ganz anderes, dachte der stämmige Mann im blauen Overall.

Im Fernsehen lief eine amerikanische Serie, deren Dialog durch eingespielte Lacher aufgewertet wurde. Melanie Franke kicherte verlegen mit und leerte ihr Glas in einem Zug.

Der Mann öffnete die Kunstledermappe und raschelte in irgendwelchen Notizen, ohne dabei jedoch den Blick von der Frau zu wenden. Ihre Augen wechselten vom Bildschirm zu dem Besucher und beim nächsten Konservengelächter wieder zum Fernsehgerät.

»Tja, dann werd ich wohl mal«, räusperte sich der Mann – ohne irgend etwas zu tun.

»Nur zu, junger Mann«, antwortete sie, die wohl fünf Jahre älter als er war, maß ihn von Kopf bis Fuß und dann in Gegenrichtung von den Füßen bis in die Augen. Was in denen geschrieben stand, glaubte Melanie lesen zu können.

»Ich wußte gar nicht, daß die Wohnungsgesellschaft so nette Mitarbeiter hat«, hauchte sie und öffnete wie zufällig den obersten Knopf des Männerhemdes, in das sie am Morgen geschlüpft war.

»Und ich hab nicht gewußt, daß hier so schöne Frauen so allein sind«, gab er einigermaßen galant zurück.

Sie stellte ihr Glas auf den Tisch, er legte sein Mäppchen daneben. Zwei Finger seiner kräftigen Rechten berührten ihre Hand und strichen behutsam an ihrem Unterarm empor. Dann faßte seine Linke in ihre blonden Locken und drückte Melanies Gesicht so kraftvoll an das seine, daß jede Gegenwehr vergeblich gewesen wäre.

Doch Melanie wehrte sich nicht.

Der Sex mit der nicht gerade verwöhnten Frau erregte den Besucher sehr. Es mischte sich der Reiz des fremden Fleisches mit der Aufregung darüber, was ihn hierher getrieben hatte.

Du bist also auch so eine, dachte er atemlos. »Nur Fliegen ist schöner«, hauchte er ihr ins Ohr. Und das besorg ich dir auch noch, fügte seine innere Stimme beim Endkampf auf dem Teppich hinzu.

Sie erwiderte sein keuchendes Wirken derart kraftvoll und energisch, daß ihm leise Zweifel kamen. Von wegen schwach und zierlich, dachte er, bevor er sich stöhnend verkrampfte.

Eine Minute blieb er noch liegen wie jemand, der sich nie wieder erheben will, hatte es zu ihrem Erstaunen dann plötzlich eilig, stand auf, kleidete sich sorgsam an und öffnete die Kunstledermappe, in der sein Protokollblock steckte.

Sie zog den Slip an und das Hemd darüber, das noch aus Cornelius’ Zeiten stammte, und schmiegte sich von hinten an den Mann. Es war das erste Mal, daß sie sich spontan mit einem Fremden eingelassen hatte. Die Distanz zwischen ihr und ihm war auch jetzt nicht verschwunden, war nur für Momente vom Rausch verdrängt gewesen. Sie streichelte ihn in der vagen Hoffnung, nachträglich Nähe zu schaffen.

Er griff zu seinem Kugelschreiber und bat die Frau, ihm behilflich zu sein. An den weit geöffneten Fensterflügeln prüfte er stirnrunzelnd den Gummi der Isolierung.

»Es zieht hier manchmal durch, was?«, fragte er.

Melanie Franke trat zwischen ihn und das Fenster und hauchte eine Antwort.

Sein Stift fiel auf den Fußboden.

Er bückte sich und schlang seinen rechten Arm fest um beide Waden der Frau. Er stemmte sie, ihr mit der Linken unter das Gesäß greifend, mit einem Ruck empor.

Melanie Franke reagierte wie erwartet. Statt einzuknicken und sich schwer zu Boden sacken zu lassen, blieb sie schrecksteif wie ein Brett. Angst schnürte ihre Kehle zu. Als sie endlich zu zappeln begann und unkontrolliert mit den Armen ruderte, um sich zu wehren oder Halt zu suchen, hatte sich der Schwerpunkt ihres Körpers bereits über den Sims des Fensters verlagert. Halt war da nirgends.

Der Mann vollendete Hebung und Wurf, ließ die Frau los und sich selbst auf den Fußboden fallen.

Jetzt erst war ein schriller Schrei zu hören.

Der Mörder steckte den Stift in die Mappe, verschloß sie und verließ gebückt das Schlafzimmer. Vorsorglich nahm er das Glas an sich, aus dem er den Whisky getrunken hatte. Er war sicher, daß sonst nichts von ihm berührt worden war. Nachdem er die Wohnungstür mit einem Papiertaschentuch am Griff hinter sich ins Schloß gezogen hatte, fuhr er mit dem Aufzug in die neunte Etage. Von dort aus gelangte er unbemerkt über den Durchgang bis ins übernächste Treppenhaus.

Ohne dem Menschenauflauf, der sich etwa hundert Meter entfernt bildete, irgendeine Beachtung zu schenken, verließ er das Wohngebiet normalen Schrittes in entgegengesetzte Richtung.

Als er einige Minuten darauf das Jaulen der Einsatzwagen hörte, war er längst im Gewühl der Passanten verschwunden.

2

Der Urlaub war zu laut, zu heiß und zu teuer gewesen. Hätte Franziska nicht auf den fünf Sternen bestanden, die dieses Hotel direkt am Meer so empfehlenswert erschienen ließen, Clemens Peters wäre ebenso gern zum halben Preis verreist oder hätte die Ferien auf der Terrasse seines Hauses verbracht.

Er hatte das Haus nach seiner Versetzung in den Ostteil der Stadt übereilt und viel zu teuer erworben. Vielleicht war es ihm nach über fünf Jahren deshalb noch immer nicht zu einem Zuhause geworden. Wahrscheinlicher aber war, daß ihm bisher einfach die Zeit fehlte, sich mit diesem Gemäuer anzufreunden, es gestaltend in Besitz zu nehmen. Das Dachgeschoß wollte er ausbauen und teilweise verglasen lassen, im Keller die Werkelecke zum Hobbyraum erweitern sowie im Garten einen Pool anlegen, edle Gehölze setzen … Bisher aber war er zu all dem nicht gekommen, nicht zeitlich und nicht finanziell.

Clemens Peters gestand es sich nicht ein, daß er sich mit dem Kasten schlicht und einfach übernommen hatte, und daß er sich den Luxus, Franziska zu Hause zu lassen, eigentlich nicht leisten konnte. Sicherlich, er verdiente gut als Beamter im gehobenen Dienst, aber eben nicht gut genug, um sich zu denen zählen zu können, die »es geschafft« hatten.

Selbstverständlich ging das niemanden etwas an. Peters haßte jede Art von Niederlagen und wäre wohl eher bereit, eigenhändig eine Bank auszurauben, als sich oder einem anderen einzugestehen, daß er auf etwas von dem verzichten müßte, das ihm doch zustand: ein Haus mit Grundstück, ein großer Wagen, eine Frau, die über Zeit und Geld verfügte, sich zu pflegen, und zweimal Urlaub im Jahr – möglichst exklusiv und »all inclusive«.

Und dennoch empfand er schon seit geraumer Zeit keine rechte Freude mehr daran, sich für all diese Statussymbole abzustrampeln, ohne sie überhaupt genießen zu können. Clemens Peters spürte, daß er etwas zu verlieren drohte: Selbstachtung.

Nein, die zwei Wochen auf der kleinen spanischen Insel waren alles andere als erholsam für ihn gewesen. Es war ihm ein Greuel, sich Tag für Tag und Abend für Abend unter Menschen zu begeben, für die Urlaub nur aus Schaulaufen bestand, die ständig die Garderobe wechselten und mit ihren Klunkern protzten. Er durchschaute den schönen Schein, unter dem sich nur allzu oft miese Typen und falsche Werte verbargen. Je hemmungsloser einer Reichtum zur Schau stellte, desto seltener pflegte der aus eigener Leistung zu stammen, je strahlender das Dauerlächeln, desto finsterer sah es hinter der Fassade aus.

Dazu kam das übertrieben lockere Gehabe der makellos gebräunten Gecken, die sich, ohne je selbst einen Finger krumm gemacht zu haben, mit dem Gelde ihrer Eltern den Himmel auf Erden zu leasen meinten. An ihrer Seite selbstverständlich immer die verführerischsten Bräute …

Franziska hingegen schien sich überaus wohl gefühlt zu haben in diesem Ambiente. Sie wollte dazugehören und belog sich doch nur selbst. Ihre übertriebene Ausgelassenheit, ihr scheinbar schon an Glückseligkeit grenzendes Gegrinse in Gegenwart anderer, nur in Gegenwart anderer, ihre Sucht, bewundert zu werden, all das wirkte unnatürlich überzogen und irgendwie billig.

Dazu kam, daß sie in den wenigen Stunden außerhalb dieser Scheinwelt, dann, wenn sie im Hotelzimmer oder bei einer Strandwanderung allein mit ihm war, pausenlos an ihm herumkritisierte und ihm ein in diese Welt passendes Verhalten, Stil und Benehmen beibringen wollte. Regelmäßig war es dann zu Streit gekommen, bei dem sie ihm außer Ignoranz und Provinzialismus auch vorwarf, er würde ihren wohlverdienten Urlaub versauen und außerdem permanent nach anderen Weibern glotzen.

Clemens Peters hatte sich bald abgewöhnt, seiner Frau überhaupt noch zu antworten. Sein Schweigen war der beste Schutz, an dem ihre Erziehungssucht abperlte.

Peters wußte sehr wohl um den Zustand seiner Ehe, verschwieg ihn aber konsequent und bestritt ihn vehement, wenn Franziska es einmal wagte, grundsätzlich zu werden. Nein, sich einzugestehen, daß die Beziehung festgefahren war oder, das traf es wohl besser, auf einem toten Gleis antriebslos bergab rollte, kam für Clemens Peters nicht in Frage. Es wäre gleichbedeutend mit dem sinnlosen Eingeständnis einer Niederlage – und Niederlagen, wie gesagt, die haßte er wie nichts sonst auf der Welt.

Was sollte es auch für sich haben, die eheliche Misere beim Namen zu nennen? Man würde sie konsequenterweise beenden müssen, und das wäre wohl die Lebensniederlage schlechthin. Scheidung, Drama um Sohn, Kreditbelastung und Hausverkauf, am Ende dann Einsamkeit, Alkohol und Kontrollverlust – nein, nie und nimmer!

Nun war der Urlaub ausgestanden und das Konto so gut wie abgeräumt, den Rest würden die nachträglich noch eintrudelnden Visa-Abrechnungen besorgen.

Clemens Peters war es egal. Bald würde das nächste Gehalt überwiesen werden und die schlimmsten Löcher stopfen.

Wichtig war einzig und allein, daß er nun wieder Ruhe und Raum hatte, seiner Frau aus dem Wege zu gehen. Streng genommen war er seit heute Mittag schon wieder im Bereitschaftsdienst, und morgen würde es dann richtig losgehen, das normale Leben.

Fürs Erste zog sich Clemens Peters mit einem Sechserpack Bier in seinen Werkelkeller zurück, in dem es immer etwas aufzuräumen oder zu reparieren gab.

Franziska hatte gelernt, dieses Refugium zu respektieren. In dringenden Fällen oder sonntags, wenn das Essen fertig war, rief sie ihn per Klingel, die er extra zu diesem Zweck installiert hatte. Manchmal schickte sie auch den Jungen.

Sebastian war noch im Feriencamp. Er hatte keine Lust gezeigt, die Eltern in die Idylle zu begleiten, und so auf seine Weise immerhin dazu beigetragen, das Urlaubsbudget nicht gänzlich zu sprengen.

Clemens Peters besaß solche Freiheiten leider nicht, ging es Clemens Peters durch den Kopf. Mit dem dritten Bier zog Frieden ein in sein Gemüt, und er fand heraus, daß er über sein Leben im Grunde weniger bestimmte als sein dreizehnjähriger Herr Sohn. Und wieder einmal drang er bis zu der Erkenntnis vor, daß Ehe kaum besser als Gefängnis sei, und daß ausgerechnet er selbst, der andere hinter Schloß und Riegel zu bringen hatte, in einem Käfig lebte.

Das Wissen um diesen Zustand hielt Peters nicht davon ab, ihn aufrechtzuerhalten. Der Abstand zu Franziska, der Leerlauf ihrer Ehe waren das eine. Die Tatsache, daß Peters auf diese Beziehung angewiesen war, da es keine Alternative zu ihr gab, das andere.

Er hatte gelernt, sich in der Balance zu halten und mit behutsamen Korrekturen dafür zu sorgen, daß alles so blieb, wie es war. Das fiel ihm schon deshalb nicht schwer, da Franziska kaum eine Gelegenheit ungenutzt ließ, ihm Paroli zu bieten. Ihre plappernde Streitlust ging Clemens zwar auf die Nerven, ließ sich aber trefflich dazu nutzen, seine Gattin zu steuern. Er konnte sich fest darauf verlassen, daß sie im Streit den jeweils gegenteiligen Standpunkt einnahm.

So hatte er vermeiden wollen, im Urlaub allzu eng mit ihr zusammen sein zu müssen, und zum Schein versucht, ihr eine einsame Ferienwohnung in Schweden schmackhaft zu machen: Erholung pur in der Abgeschiedenheit zwischen Wäldern und Seen. Erwartungsgemäß hatte sie mit Gegenvorschlägen gekontert und sich »durchgesetzt«.

War Clemens hingegen der Meinung, seine Frau entferne sich emotional gefährlich weit von ihm, brachte er es fertig, ihr selbst leise Andeutungen in Richtung Scheidung zu machen.

Auch das hatte bisher stets funktioniert: Franziska pflegte ihn dann auszulachen und schalt ihn einen Trottel, der sich nur selbst in den Ruin stürzen wollte. Ohne sie sei er nicht lebensfähig, hatte sie ihm einmal erklärt und dies sogleich mit Argumenten unterlegt: seine Unfähigkeit, zwei passende Socken im Schrankfach zu finden, seine Blindheit gegenüber Hausstaub, seine folglich drohende Verwahrlosung und schließlich der unausweichliche Hungertod, der – wenn auch für ihn zu spät – der Menschheit den Beweis liefern würde, daß man allein von Bier nicht leben könne.

Clemens Peters gab sich lächelnd geschlagen. Es bereitete ihm durchaus Vergnügen, daß Franziska sich abstrampelte, die jeweils passenden Gegenargumente zu finden, die im Grunde die seinen waren. So etwas war allemal amüsanter als ihre Nörgeleien und richtiger Streit. Manchmal allerdings kam ihm der Verdacht, daß Franziska Streit nicht nur vom Zaune brach, um ihn zu ärgern, sondern ihn ihrerseits geradezu brauchte und auch genoß.

Die kleine Klingel über der Werkbank riß ihn aus seinen Gedanken. Dreimal kurz, das war das verabredete Zeichen für Telefon. Irgendwie erlöst eilte er zur Treppe. Sein Instinkt sagte ihm, daß es nur die Dienststelle sein konnte. Er wurde gebraucht.

»Na und?«, fragte Franziska Peters ihren Mann, als er den Hörer auflegte. »Mußt du gleich los?«

Noch bevor er etwas erwidern konnte, machte sie ihm klar, daß er andere Schuhe, unbedingt eine frische Hose und sonst noch dies und jenes benötige, falls er zum Dienst müsse und nicht riskieren wolle, auf der Stelle entlassen zu werden. »Und außerdem: rasier dich bitte, Clemens. Du kannst unmöglich so verloddert aus dem Haus. Und könnte es wohl sein, daß du Bier getrunken hast?«

»Laß mich in Ruhe«, sagte er gelangweilt, tat dann aber mechanisch genau das, was Franziska angewiesen hatte.

Schon wieder eine, dachte er beim Rasieren, nun bereits die dritte in so kurzer Zeit. Als sei es Mode geworden, sein Leben aus dem Fenster zu schmeißen. Immer Frauen, immer Beziehungsprobleme, und immer in meinem Bezirk. Zufall? Sicherlich nicht.

Die Medien hatten die Fälle so überzogen nachgezeichnet, daß man auf Nachahmerinnen geradezu hätte wetten können. Nun allerdings schon das zweite Dacapo. Bungie-Springen ohne Seil, neuer Volkssport der frustrierten Weiber, ging es Peters durch den Kopf, als er die Hose nahm, die seine Frau ihm zusammen mit einem Kaugummi hinhielt.

»Gegen die Fahne, Clemens – und fahre bitte vorsichtig, versprich mir das, ja? Immerhin hast du zwei Wochen nicht am Steuer gesessen, da muß man sich erst wieder dran gewöhnen nach dem Urlaub.«

Er brummelte so etwas wie eine Antwort und machte, daß er aus dem Haus kam.

Am Ereignisort angekommen, der solange auch Tatort hieß, bis Fremdverschulden ausgeschlossen werden konnte, wurde er von einem älteren, korpulenten Schutzpolizisten empfangen und im Telegrammstil eingewiesen. Man kannte einander von ähnlichen Situationen flüchtig und verzichtete auf weitschweifige Erörterungen dessen, was offensichtlich war. Die graue Decke entzog zwar die Leiche, nicht aber die ganze Blutlache den Blicken der Anwesenden, welche sich aus zwei weiteren Uniformierten, und, in einigem Abstand, einem guten Dutzend Passanten zusammensetzten.

»Hat keiner was gesehen«, kommentierte der Schupo und machte eine abwertende Handbewegung in Richtung der Menge. »Siebenter Stock – da, wo das Fenster aufsteht.«

»Wer hat den Tod festgestellt?«, fragte Peters, bevor er sich abwandte.

»Aber Kommissar …«

»Nicht nur Sie müssen einen Bericht schreiben.«

»Ein Arzt war wirklich nicht mehr nötig. Sie können gern mal unter die Decke sehen.«

Kommissar Peters tat es widerwillig, aber ohne Regung. Leicht angeekelt nickte er dem Uniformierten zu. »Kann ab in den Kühlschrank. Glaube zwar nicht, daß eine Obduktion was bringt, aber Vorschrift ist Vorschrift.«

Der Dicke nickte. »Die Schnapssorte werden sie wohl rausfinden.«

Gut der Mann, dachte Clemens Peters anerkennend. Der alkoholische Hauch war kaum zu schnuppern gewesen, und für einen Streifenpolizisten war es keineswegs selbstverständlich, auf solche Feinheiten zu achten. »Ich wette, daß wir oben die leere Flasche finden. Kommen Sie.«

Die Wohnungstür, an der »K. & M. Franke« stand, war nur ins Schloß gezogen und somit im Nu geöffnet. Aus dem Wohnzimmer drang Gelächter – der Fernseher lief.

Weder K. noch M. Franke noch sonst irgend jemand befand sich in der Wohnung. »Möchte wissen, wo die Spurensicherung bleibt«, murmelte Clemens Peters.

»Die sind schon unterwegs«, klärte ihn der Schupo auf. »Machen wohl noch einen Umweg, weil sie einen Kollegen von Ihnen mitbringen. Der hat keinen Wagen gekriegt.«

»Zustände sind das«, schüttelte der Kommissar seinen Kopf und wühlte vorschriftswidrig in dem Altpapier, das er in einem Müllsack gefunden hatte. »Die Tote heißt Melanie Franke«, sagte er mit unterschwelligem Stolz in der Stimme und warf ein leeres Kuvert zurück in den Sack. »Mein erstes Ermittlungsergebnis nach dem Urlaub.«

Aus dem Wohnzimmer schwappte eine Woge Gelächter.

3

Die kleine Hippie-Kneipe ähnelte im Inneren eher einem Bootsschuppen. Überall lagen Sachen herum, deren Verwendungszweck sich dem Betrachter nicht auf den ersten Blick erschloß. Körbe, Stoffe und Seile, Petroleumlampen und ein paar Flaschen waren wohl zu erkennen, wenn sich das Auge an das Dunkel gewöhnt hatte, das in der Nähe des Tresens herrschte. Strandseitig aber öffnete sich der Raum zu einer geräumigen Veranda, deren hölzernes Vordach Schatten spendete, ohne den es hier nicht auszuhalten war. Irgendwo aus dem Halbdunkel kam Musik von den Beatles und mischte sich mit dem sanften Rauschen des Meeres.

Mit etwas Mühe war hinter dem Tresen der Bärtige auszumachen. Auf Franziskas Kopfbewegung hin nickte er freundlich und brachte ein großes Glas Sekt mit Früchten. Seine Augen strahlten unendlich viel Güte und Verständnis aus. Das Gesicht war das eines gebräunten Europäers und voller kleiner Fältchen. Im ungeschnittenen Vollbart mischten sich graue und schwarze Strähnen, das Haupthaar des Bärtigen war vollends ergraut. Ohne das blumig bunte Tuch um den stattlichen Körper hätte er noch männlicher gewirkt. Der letzte Hippie mochte etwa fünfzig Jahre alt sein und war außer Franziska der einzige Mensch auf der Welt. Sie sah ihm so tief in die Augen, daß ihr schwindlig wurde. In diesen Augen kann man schwimmen wie im Meer, dachte sie …

Franziska Peters wurde unbarmherzig durch das Telefon aus ihren Bildern geschreckt. Es war Clemens. Er rief vom Büro aus an und sagte, daß er noch einige Stunden zu tun haben würde. Spätestens zum Abendbrot wäre er wieder zurück.

»Mußt wohl gleich am ersten Tag wieder einen Mord aufklären?«, fragte sie zurück, ohne eine Antwort zu erwarten. Clemens pflegte kaum über seine Arbeit zu reden, schon gar nicht am Telefon.

»Nein, ich sitze schon fast über dem Abschlußbericht. Wird langsam Routine, das.«

»Was – das?«

»Schalt halt den Fernseher ein«, bekam sie nun doch die Sorte Antwort, die sie von ihrem Mann gewohnt war.

Der Alltag hatte sie wieder, der Urlaub war endgültig vorbei. Statt des Traumes vom Bärtigen gab es die Wirklichkeit mit dem Brummbär. Franziska Peters gedachte jedoch keineswegs, in den gewohnten Trott zu verfallen. Sie würde sich, statt auf Clemens zu warten, etwas gönnen, das sie schon vor dem Urlaub ins Auge gefaßt hatte: Ganz in der Nähe, in der obersten Etage des neuen Bürokomplexes, hatte ein Beauty-Studio mit Sauna und Solarium eröffnet. Von dort aus sollte man einen herrlichen Blick über die Stadt genießen können, hatte ihr eine Nachbarin erzählt.

Vor den Ferien war immer noch dies und das zu erledigen gewesen, da hatte Franziska nicht die nötige Muße gefunden. Jetzt aber stand einem Besuch nichts im Wege.

Ihre Urlaubsbräune konnte sich sehen lassen und sollte als schönstes Souvenir so schnell auch nicht vergehen, nahm sie sich vor. Also galt es, nachzubräunen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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