Mord im Rosenpark - Berndt Marmulla - E-Book

Mord im Rosenpark E-Book

Berndt Marmulla

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Beschreibung

Berlin-Pankow, Herbst 1970: Kurz nach Mitternacht taucht ein stark betrunkener Mann bei der Polizeiinspektion auf und erklärt, dass er seine Verlobte umgebracht hätte. Sie liege auf einer Bank im Pankower Rosenpark. Kriminalist Berndt Marmulla begibt sich wenig später zu dem angeblichen Tatort – und findet tatsächlich auf der Parkbank eine junge Frau vor, halb sitzend, den Kopf zur Seite geneigt, mit einem Messer in der Brust. Hatte der junge, verwirrte Mann etwa die Wahrheit gesprochen? Was war wirklich geschehen? Samstag, 6. September 1986: Bei Familie Discher auf der Datsche am Rande Berlins herrscht ausgelassene Stimmung, denn für den Nachmittag haben sich Freunde und Nachbarn zu einer spätsommerlichen Grillparty angekündigt. Mutter Angelika bereitet das Essen vor, Vater Horst und Sohn Maik werkeln am Haus. Als die beiden kurz vor 13 Uhr endlich den Hammer aus der Hand legen, schwingt sich Maik auf sein rotes Klapprad, winkt seinen Eltern noch einmal zu und verspricht, pünktlich 16 Uhr, wenn die ersten Gäste eintreffen werden, zurück zu sein. Doch als der Zehnjährige am Abend noch immer nicht zum elterlichen Grundstück zurückgekehrt ist, beginnt eine verzweifelte Suche nach ihm, die tagelang anhalten soll. Wo ist Maik abgeblieben? Ist der Junge Opfer eines Verbrechens geworden? Berndt Marmulla rekonstruiert sechs aufsehenerregende Kriminalfälle, an deren Aufdeckung er als Ermittler beteiligt war. Spannungsreich vergegenwärtigt er den Tathergang, die Spurensuche und den Aufklärungsprozess – und erzählt lebhaft aus dem Polizistenalltag in der DDR. Packend und aufwühlend!

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Berndt Marmulla

Mord im Rosenpark

und fünf weitere authentische Kriminalfälle aus der DDR

Bild und Heimat

Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden alle Namen von Tätern und Opfern verfremdet. Namensgleichheiten sind dem Zufall zuzuschreiben.

Alle Bilder stammen aus dem Privatarchiv des Autors.

eISBN 978-3-95958-811-9

1. Auflage

© 2021 by BEBUG mbH / Bild und Heimat, Berlin

Umschlaggestaltung: fuxbux, Berlin

Umschlagabbildungen: Parkbank: Archiv des Autors; Personen: ullstein bild / 02648080

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

BEBUG mbH / Verlag Bild und Heimat

Axel-Springer-Straße 52

10969 Berlin

Tel. 030 / 206 109 – 0

www.bild-und-heimat.de

Vorwort

Sehr geehrte, an tatsächlichen Kriminalfällen interessierte Leserinnen und Leser,

aufs Neue sind mir beim Stöbern in meinen Erinnerungen zahlreiche Erlebnisse vor meinem inneren Auge erschienen. Wie auch schon in meinen bisher veröffentlichten Büchern ist es eine Reise in die Vergangenheit – konkret in die 1970er und 1980er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

Im täglichen Dienst waren Geschehnisse aus allen Bereichen des Strafgesetzbuchs der Gegenstand meiner Arbeit. Es galt, die Straftäter zu ermitteln und zu überführen. Fast täglich mussten Menschenschicksale beachtet werden, sei es aus der Sicht der betroffenen Personen beziehungsweise Opfer als auch aus der Sicht der Täter, die aus allen Bevölkerungsschichten kamen.

Oftmals ging es auch um tragische Ereignisse, die untersucht werden mussten, bei denen aber keine Täter zu ermitteln waren. Ich denke dabei besonders an Suizide und Unfälle mit tödlichem Ausgang. Das Ziel war es immer, das Geschehen aufzudecken und der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen.

Im vorliegenden Buch geht es im Wesentlichen um die Persönlichkeit der Täter.

Zum Teil um intelligente Personen, die durch die verschiedensten Umstände zum Straftäter beziehungsweise Verbrecher wurden. Allerdings: Niemand von diesen Tätern musste diesen Weg gehen. Sie hatten alle die Möglichkeit der Entscheidung.

Problematisch war die Entscheidungsmöglichkeit für den Kindermörder Rudi. Hier muss seine seelische Erkrankung berücksichtigt werden. Keine Entschuldigung, aber eine Erklärung!

Diese Art von Verbrechen wird nie aus der Gesellschaft verschwinden.

Wieder einmal stand mir der Journalist Rolf Kremming durch regelmäßigen Gedankenaustausch bei dem Zustandekommen dieses Buches hilfreich zur Seite. Dafür danke ich ihm herzlich.

Ebenso herzlich danke ich Frau Martina Wensierski, die als Mitarbeiterin der Berliner Sparkasse mit ihrem Fachwissen aus der damaligen Zeit zum Gelingen des Buches beigetragen hat.

Mein Dank gilt auch postum zwei in einigen meiner Bücher namentlich genannten ehemaligen Kollegen, die leider in den Jahren 2020 und 2021 verstorben sind: Oberleutnant a. D. Holger Niemitz, Mitarbeiter im Dezernat X, und Oberleutnant a. D. Rainer Ruppel, Kriminalist der Volkspolizei-Inspektion Pankow.

Dem Verlag Bild und Heimat danke ich für das entgegengebrachte Vertrauen und die Unterstützung bei der Entstehung dieses Buches.

Berndt Marmulla, Kriminaloberrat a. D.

Berlin, im Frühjahr 2021

Quer durch die DDR – ein Serieneinbrecher und Dieb auf der Flucht

Berlin-Treptow, März 1988, ein Uhr nachts

Es war eine Nacht für Liebespaare. Warm, windstill und fast dunkel. Selbst der Mond hatte aus Rücksicht nur sein halbes Licht eingeschaltet. Maike und Rudolf nutzten die Zeit, um sich näherzukommen. Kennengelernt hatten sie sich vor drei Stunden im Berliner Tanzlokal Clärchens Ballhaus. Nach ein paar Tänzen und einer Flasche Wein wollten sie mehr voneinander, ohne die vielen Menschen um sich herum. Die Parkbank war hart und ungemütlich; doch wen stören solche Kleinigkeiten, wenn man frisch verliebt ist. Rudolf flüsterte seiner Maike süße Worte ins Ohr, Maike schnurrte wie eine zufriedene Katze. Kein Wunder also, dass keiner von beiden den Schatten bemerkte, der sich hinter ihnen vorbei­schlich und im Dunkel des Parks verschwand. Sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Nachdem der schwarz gekleidete Fremde vorbeigehuscht war, glaubte dieser sich in Sicherheit. Der Schreck traf ihn deshalb umso heftiger, als er zwischen den Bäumen einen Polizisten erblickte. Der Fremde versteckte sich hinter einer Kastanie und wagte kaum noch, zu atmen. Verdammte Scheiße, dachte er. Beinahe wäre ich ihm in die Arme gelaufen. Wenn der Polizist ihn mitten in der Nacht mit einem Rucksack voller Einbruchswerkzeuge erwischt hätte, wäre das nicht nur das Ende seines Vorhabens gewesen, sondern hätte ihn auch gleich in den Knast gebracht. Ich muss in Zukunft vorsichtiger sein, ermahnte er sich selbst. Der Streifenpolizist lief ahnungslos weiter, blieb nur noch einmal kurz stehen, um sich einen Schnürsenkel zuzubinden.

Dreimal tief durchgeatmet – und die Angst verschwand. Das hatte ihm vor ein paar Jahren ein Mithäftling in Dresden beigebracht. Und meist funktionierte es. Dann machte sich der »Ex-Knacki« auf den Weg zu dem zweistöckigen Gebäude hinter dem Park. Obwohl er nicht besonders an Geschichte interessiert war, hatte er durch Zufall erfahren, dass sich in der Villa aus den 1920er Jahren jetzt eine Zweigstelle der Staatlichen Versicherung der DDR befand. Sie war der einzige Versicherer für Privatkunden, zuständig für Hausrat-, Kfz-, Lebens- und Unfallversicherungen. Auch das hatte ihm ein ehemaliger Knastkumpel verraten.

Das Gebäude war nicht beleuchtet, nur schemenhaft waren die Umrisse im Schein der Laternen zu erkennen. Gute Voraussetzungen für sein Vorhaben. In den vergangenen zwei Wochen war er dreimal hier gewesen und hatte die Bedingungen ausgespäht. Einmal tagsüber und zweimal in der Nacht zwischen ein und zwei Uhr. Heute wollte er zur Tat schreiten. Trotz des Polizisten im Park. Bei seinen früheren Beobachtungen hatte er die Streife auch schon einmal gesehen. Allerdings außerhalb des Parks und nicht in der Nähe der Villa. Trotzdem beschloss er, besonders vorsichtig zu sein.

Langsam überquerte er die Straße und näherte sich dem Haus. Er wusste, wie er ohne Schwierigkeiten auf das Anwesen der Villa gelangen konnte. Schon stand er an der Rückseite des Gebäudes. Der niedrige Metallzaun war keine Hürde gewesen. Es hatte nur Sekunden gedauert, bis er auf dem Grundstück war. Ein paar Schritte, dann vier Stufen hoch, und schon war er an der Tür. Er griff in den Rucksack, und mit einem Glasschneider schnitt er in Höhe des Türschlosses ein Loch in die Glastür. Vorsichtig entfernte er das heraus­getrennte Glasstück und griff durch das Loch hindurch. Erfreut stellte er fest, dass im Türschloss von innen der Schlüssel steckte. Wie aufmerksam die Menschen doch sind, grinste er vor sich hin. Ein Dreh, und mit einem leisen Schnapp öffnete sich die Tür.

Bis in den ersten Büroraum waren es nur wenige Schritte. Im Strahl seiner Taschenlampe überprüfte er oberflächlich das Zimmer nach einem Safe, nach Schränken und Kassetten. Ohne Ergebnis. Er suchte ausschließlich nach Bargeld. Andere Dinge, wie etwa technische Geräte, interessierten ihn nicht – zu schwer, zu viel Verkaufsaufwand und unnötige Mitwisser.

Vorsichtig tappte er über den Flur zum nächsten Zimmer. Hier fand er, was er suchte: einen Stahlblechschrank, und in einem Schreibtisch entdeckte er zwei verschlossene Stahlblechkassetten. Mit Schrauben­dreher, Meißel, Stemmeisen und Bohrmaschine öffnete er die Kassetten. Aus Erfahrung klug geworden, arbeitete er nur mit Handschuhen. Denn schon einmal hatten ihn seine Fingerabdrücke hinter Gitter gebracht.

Alles geschah lautlos. Denn neben seinem Einbruchswerkzeug hatte er auch mehrere Handtücher dabei, die er über die Stahlbehältnisse legte, um Lärm zu vermeiden. Solche Unachtsamkeit wäre ihm einmal fast zum Verhängnis geworden. Bei einem Einbruch vor zwei Jahren in ein Dresdner Architekturbüro wäre er um Haaresbreite von einer Funkwagenstreife entdeckt worden. Er hatte zu viel Lärm gemacht. Aber es war noch einmal gutgegangen. Obwohl er nicht an Gott glaubte, hatte er damals den Blick erhoben und danke gesagt. Mit den Jahren war er dann immer professioneller geworden.

Er wusste selbst nicht mehr, wie viele Einbrüche er in den letzten drei Jahren begangen hatte. In Berlin war es erst der zweite. Durch Zufall hatte er bei einem Gespräch in einer Kneipe gehört, dass bei der Staatlichen Versicherung immer Bargeld aufbewahrt wurde, und das brachte ihn auf die Idee, in ein Versicherungsbüro einzubrechen. Und es war ein guter Einfall, der sich gelohnt hatte: 11.000 Mark beim ersten Bruch, und heute war er ebenfalls zufrieden, als er die Hunderter und Fünfziger sah. Geschätzte 15.000 Mark waren das. Er stopfte das Geld in den Rucksack und verschwand. Gut gelaunt verließ er den Tatort. Sogar die Tür zog er hinter sich zu. Schließlich war er ein ordentlicher Mensch.

Als er auf die Straße trat, knatterte ein Trabi mit kaputtem Auspuff vorbei. Im Park wurde laut gestritten. Eine Schutzpolizeistreife hatte Ärger mit mehreren betrunkenen Männern. Besser konnte es für ihn nicht laufen. Kein Mensch beachtete ihn. Am anderen Ende des Parks hatte er sein Fahrrad in einem Gebüsch versteckt. Unverschlossen. Auch das gehörte zu seinen Vorsichtsmaßnahmen. Falls er hätte fliehen müssen, hätte ihm das Aufschließen des Schlosses nur unnötig Zeit gekostet. Er schwang sich auf den Fahrradsattel und radelte los in Richtung Weißensee-Heinersdorf, wo er seinen Unterschlupf hatte.

Berlin-Heinersdorf

Gegen 3.50 Uhr traf er in seiner Bleibe ein. Ein kleines Einfamilienhaus in der Straße Am Wasserturm. Hier bewohnte er bei Renate S. ein möbliertes Zimmer. Die Sechzigjährige war eine ehemalige Arbeitskollegin seiner Mutter aus Radebeul und half ihrer Bekannten gern. Denn sie dachte, deren Sohn David wäre oft auf Montage quer durch die DDR und bräuchte ab und zu eine Unterkunft in Berlin. Seit Anfang 1988 benutzte der Einbrecher die Legende als herumreisender Monteur, und bis jetzt war auch alles gutgegangen. Seine Mutter in Radebeul ahnte nicht, dass sich David seit 1985 auf der Flucht vor der Polizei befand.

In seinem Zimmer angekommen, kippte er den Inhalt des Rucksacks auf den Tisch mit der Blümchendecke, zog die Gardine zu und rückte die Stehlampe heran. Dann legte er die 11.000 Mark des ersten Einbruchs dazu und zählte. Insgesamt 27.454 Mark. Er grinste. Was er an zwei Tagen erbeutet hatte, war der Lohn eines DDR-Arbeiters von zwei Jahren. Sorgfältig versteckte er das Geld im Wäschefach zwischen Unterhosen und Hemden. Danach schaltete er das Licht aus und legte sich schlafen.

Rückblick

David F., 1960 in Dresden geboren, bis zu seiner ersten Verhaftung wohnhaft bei seiner Mutter in Radebeul. Gelernter Kellner, ledig und viermal vorbestraft. Er war schmächtig, nur 165 Zentimeter groß. Sehr redegewandt, intelligent und homosexuell. Er sprach gut Russisch und Tschechisch, und die Menschen, die ihn kannten, bezeichneten ihn als fleißig und strebsam. Doch keiner von ihnen kannte seine dunkle Seite. Die Seite, die nach schnellem Geld ohne Anstrengung strebte. Und David F. war skrupellos, betrog und beklaute sogar seine engsten Freunde. Denn trotz seines guten Einkommens als Kellner war er mit seinem Leben unzufrieden. Kein tolles Auto, keine teuren Klamotten. Sein Lebenswandel befriedigte ihn nicht. Er wollte immer genug Bargeld in der Tasche haben, um seine Freunde und Liebhaber zu verwöhnen. Doch das Geld reichte nie. Das Verdiente rann ihm wie Öl durch die Finger. Geldnot hieß sein ständiger Begleiter. Die Lösung seines Problems: stehlen.

Er beklaute Gäste, griff in die Kasse seiner Arbeitgeber und beging die ersten Einbrüche. Er wurde verhaftet, und kaum wieder in Freiheit, brach er weiter ein und wurde erneut verhaftet. Bis 1984 stand er insgesamt fünfmal vor Gericht. Bewährungsstrafen wurden irgendwann zu Freiheitsstrafen, und David F. lernte das Knastleben kennen. 1985 wurde er nach zweieinhalbjähriger Haft als »48er« entlassen. Das hieß, er stand gemäß Paragraf 48 der Strafprozessordnung der DDR nach verbüßter Haft unter staatlicher Kontrolle.

Zusätzlich wurde vom Gericht eine Arbeitsplatzbindung angeordnet. Der Verurteilte musste für einen festgelegten Zeitraum in einem vom Gericht zugewiesenen Betrieb arbeiten. Für David F. hieß das, ein Jahr in einer Dorfgaststätte bei Dresden zu kellnern. Eine fatale Entscheidung des Gerichts. Denn David F. brauchte das Großstadtleben. Ohne seine homosexuellen Freunde, Schwulenkneipen und Kinos fühlte er sich wie vom wirklichen Leben abgeschnitten. Nach zwei Monaten wurde ihm klar: Hier bleibe ich keinen Tag länger. Von einem Tag zum anderen verschwand er und tauchte bei Bekannten im homosexuellen Milieu in Dresden unter.

Von nun an stand er auf der Fahndungsliste der Polizei. Bei Kontrollen auf Bahnhöfen, in Gaststätten oder bei verdächtigem Verhalten wurden stets die aktuellen Fahndungsbücher überprüft. In der Praxis bedeutete es, dass die Fahndungsmaßnahmen zeitlich beschränkt waren. Nach zwei bis drei Wochen wurde die zielgerichtete Personenfahndung durch die »Dauerfahndung Verhaftung« (Eintragung in das aktuelle Fahndungsbuch) ersetzt.

Dass auch diese Maßnahmen nicht immer zum Erfolg führten, wurde nach seiner Festnahme 1988 bekannt. Während seiner gesamten fast vierjährigen Flucht kam David F. lediglich einmal in eine Polizeikontrolle. Das war auf dem Marktplatz in Rostock, in die er bei der Suche nach einem Fahrraddieb geriet. Dank seiner Redegewandtheit und weil er kein Rad bei sich führte, gelang es ihm, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Das Nichtvorhandensein seines Personalausweises erklärte er damit, ihn in seiner anderen Jacke vergessen zu haben. Seine falschen Personalangaben wurden nicht überprüft. Eine grobe Nachlässigkeit der dortigen Polizei.

David F. war ein geselliger Mensch mit einem großen Freundes- und Bekanntenkreis von Rostock bis Thüringen. Nach sechs Wochen Unterschlupf bei einigen männlichen Bekannten wurde ihm in Dresden der Boden zu heiß. Zu viele Menschen kannten ihn in der sächsischen Bezirksstadt, und die Gefahr der Ent­deckung wurde zu groß. Durch Vermittlung seines letzten Liebhabers konnte er für mehrere Wochen bei einem Homosexuellen in Warnemünde untertauchen. Seine Geschichte, er sei krankgeschrieben und brauche Seeluft zur Erholung, klang für den neuen Freund glaubhaft. So wie auch seine Lügengeschichten, die er den anderen Männern auftischte. Doch bald wurden die Ersten misstrauisch, und so wechselte er ständig Männer und Unterkünfte, um sich eine neue Bleibe zu suchen.

Auch während seines Aufenthalts an der Ostsee verübte er Einbrüche. Das stellte sich allerdings erst nach seiner Verhaftung heraus. Insgesamt waren es acht Büros von Kleinbetrieben, die er nachts aufsuchte, und mit dem dort erbeuteten Bargeld finanzierte er seinen Lebensunterhalt. Aber er hatte auch keine Skrupel, seine Liebhaber zu bestehlen. Deshalb musste er Ende 1986 aus Rostock fliehen.

Doch David hatte bereits eine neue Adresse in der Tasche: von einem Ingenieur aus Leipzig, den er ein paar Wochen zuvor in einer intimen Schwulenbar kennengelernt hatte. Der Fünfzigjährige war begeistert und stellte keine unangenehmen Fragen, als David unerwartet vor seiner Wohnungstür stand. Wieder hatte er ein neues Opfer gefunden und ließ sich ohne moralische Bedenken von dem älteren Mann aushalten. So vergingen einige Wochen. Gleichwohl hatte David nach wie vor exklusive Bedürfnisse. Er mochte teure Anzüge tragen, gute Schuhe, und selbst auf edle Socken legte er großen Wert. Und außerdem hatte er gern Bargeld in der Tasche. Wenn er in die Hosentasche griff, um in der Kneipe die Zeche zu bezahlen, tat er das stets demonstrativ, so dass möglichst alle es sehen konnten. David, der Krösus. David, das Genie. So wollte er wahrgenommen werden.

Sein Leipziger Freund war zwar großzügig, aber nicht vermögend. Er konnte David keine große Bühne bieten. Also beschloss der anspruchsvolle Ganove nach ein paar Wochen, wieder auf Diebestour zu gehen. Wie sich nach seiner Festnahme herausstellte, beging er in Leipzig auch seinen spektakulärsten Einbruch. Er stieg in das Bezirksparteibüro der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD) ein. Viel Beute hatte er zwar nicht gemacht, aber jede Menge Aufmerksamkeit erregt, weil man ein politisches Motiv hinter dem Einbruch vermutete.

Die öffentliche Aufmerksamkeit, die diesem Einbruch folgte, gefiel ihm. Es war die gleiche Bestätigung wie damals in der Schule, wenn der Lehrer den Spickzettel in der Hose nicht bemerkt hatte. Danach begann er, nach neuen Einbruchsgelegenheiten zu suchen. Wieder war es ein zufälliges Gespräch am Biertisch, in dem es um die Leipziger Universität ging. Das brachte ihn auf die Idee, der Uni mit ihren zahlreichen Gebäuden einen nächtlichen Besuch abzustatten. Es war der Anfang einer Serie von zehn Einbrüchen. Trotz dieser auffälligen Häufung am selben Ort hatte er das Glück, von den Leipziger Kollegen nicht erwischt zu werden. Ich denke, sie ermittelten in die falsche Richtung. Wahrscheinlich glaubten sie, es mit einem Täter aus dem beruflichen Umfeld der Uni zu tun zu haben.

Als ich ihn 1988 in Berlin vernahm, berichtete er mir mit einer gewissen Schadenfreude, dass er bei einem seiner Einbrüche sogar noch vor Ort war, als die Kripo Spuren sicherte. Er hatte hören können, wie die Polizisten den Tatort untersuchten. Eine Stunde zuvor war er eingestiegen und hatte die Alarmanlage ausgelöst. Erst wäre ihm sehr mulmig geworden, und er hatte befürchtet, nicht mehr flüchten zu können. Doch er sei ruhig geblieben und habe gewartet, bis die Polizei verschwunden war. Danach hätte er seelenruhig das Hochhaus verlassen, schilderte er mir.

Nach einem Jahr wurde es ihm auch in Leipzig zu heiß. Anfang 1988 verließ er die Messestadt in Richtung Berlin. Er hatte viel von der Homoszene der Hauptstadt gehört und war sich sicher, schnell eine neue Bekanntschaft und Unterkunft zu finden. Noch am gleichen Abend hatte er in einer der »Milieu-Bars« in Prenzlauer Berg Erfolg.

Es war Januar 1988 und bitterkalt. Schnee lag zentimeterdick auf dem Bürgersteig der Schönhauser Allee, als David mit seiner Reisetasche die Bar betrat. Wie üblich in diesen Läden wurde er von den Männern gemustert. Wie immer gefielen ihm die Blicke, die seinen Körper abtasteten. Länger als notwendig blieb er am Eingang stehen und genoss die Aufmerksamkeit.