Mord über sechzig - Barbara Boy - E-Book

Mord über sechzig E-Book

Barbara Boy

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Beschreibung

Die Statistik belegt, dass die meisten Morde über 60 von Frauen begangen werden. Mit gnadenloser Fantasie lässt die Autorin sechs fiktive Frauen spannende Kurzkrimis zu Papier bringen: Totschlag, geplanter Mord oder Selbstmord, Sterbehilfe, Selbstjustiz … Daraus ist eine mörderisch bunte Palette aktueller Themen entstanden: Gewalt in der Ehe, Judenfeindlichkeit, Homosexualität, Ausländerhass, Alterseinsamkeit, Behindertenprobleme, Internetbeziehungen, Perspektivlosigkeit, Integrationsschwierigkeiten, Fahrerflucht … Zusätzliche Spannung entsteht, weil fast jede der Storys ein Geheimnis birgt, das die Leser anregt, es aufzudecken.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 159

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Ähnliche


Barbara Boy

Mordüber sechzig

Kriminelle Kurzgeschichten

Copyright: © 2020 Barbara Boy

Lektorat: Erik Kinting – www.buchlektorat.net

Umschlag & Satz: Erik Kinting

Titelbild: G. Kunzendorff:

»Coronas Wege« (Mischtechnik;

 

Bildausschnitt)

Verlag und Druck:

tredition GmbH

Halenreie 40-44

22359 Hamburg

978-3-347-20879-7 (Paperback)

978-3-347-20880-3 (Hardcover)

978-3-347-20881-0 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für meine Freundinnen.

Das Alter, egal in welcher Phase, führt zu mörderischen

Gedanken. Das kann leider nur der verstehen, der es wirklich selbst erlebt hat.

Inhalt

Einleitung

Tote Augen vom Tauentzien

Mord nach Maß

Rache auf Raten

Tütleff

Das Dilemma

Kein schöner Tod

Im Netz von Lügen

Tödliches Patent

Alte Königskinder

Der perfekte Fehler

Der Unglücksfelsen

Einleitung

Die Gruppe der schreibenden Frauen, die sich selbstironisch Sexy Sixties nennt, hat nach zwei Jahren ihr nächstes Treffen verabredet. Der Erfolg ihrer Kurzgeschichtensammlung unter dem Titel Sech(x) über sechzig hat sie ermutigt weiterzumachen. Inzwischen haben sie sogar eine eigene Agentin, die von der Idee, endlich eine Fortsetzung auf den Markt zu bringen, begeistert ist.

Isa, Lilo, Trudi, Dana, Luise und Marga sind sich einig: Im Alter über sechzig, egal in welcher Phase, kommen jedem irgendwann mörderische Gedanken. Aber das kann nur verstehen, wer es selbst erlebt hat. Deshalb haben sie ein aufregendes Thema für ihre neuen Geschichten gewählt: Diesmal geht es in allen um Morde.

Die einzigen Vorgaben, die die Agentin den Frauen ans Herz gelegt hat, entsprechen ihrer Erfahrung in der Buchbranche: »Der Markt ist überschwemmt von Krimis, also macht etwas überraschend anderes. Erstens: Möglichst wenig Blut, weil davon die meisten Bildschirme und Büchertische schon triefen! Zweitens: Eine Handlung, die die Leser herausfordert, den Tathergang selbst zu finden! Drittens: Vergesst auch hierbei euren Humor nicht – je schwärzer, desto besser. Gute Krimis sind gute Geschichten und gute Geschichten sind wie guter Wein: Sie müssen ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Bei Krimis kann das gerne ein Grinsen sein; ob diabolisch, höhnisch oder zufrieden ist egal. Und achtet darauf, dass das alles anonym bleibt, sonst werdet ihr noch von jemandem verklagt, der meint, sich wiederzuerkennen.«

Wieder sitzen sie bei ihrem Treffen um den Tisch. Die Geschichten werden ohne Kennzeichnung der jeweiligen Verfasserin in eine große Schachtel gelegt. Dann entscheidet ein Los, welche der Frauen eine herausziehen und vorlesen darf. Sollte jemand den eigenen Text erwischen, muss getauscht werden. Ihre Lieblingsgeschichten sollen dann veröffentlicht werden, unter dem Titel Mord über sechzig.

Tote Augen vom Tauentzien

Vorgelesen von Luise

Dichtes Gedränge vor der sich öffnenden U-Bahn-Tür. Die ältere Frau im Rollstuhl trägt einen ockerfarbigen Parka. Sie beobachtet aus sicherer Entfernung die sich vorwärtsquälenden Menschentrauben, um diese frühe Nachmittagszeit meistens Shopping-Touristen: vormittags Museum, nachmittags Mode. Die Gegend um Kurfürstendamm und Tauentzien ist weltweit als Berlins Einkaufsparadies für dicke Geldbeutel bekannt. Die Frau im Rollstuhl hat vier Engländer gut im Blick. Beide Ehepaare sind gediegen und teuer gekleidet, britisches Understatement.

Die Ecke ist gleichzeitig ein Eldorado für Diebe. Der Veteran und die Security-Frau haben den Kontakt zu den englischen Paaren hergestellt. Der Veteran (Trenchcoat, Burberry-Schal, Regenschirm mit Gehstockgriff) mimt immer den alten Alliierten, der der Liebe wegen in Berlin hängen geblieben ist. Er freue sich so, seine Muttersprache zu hören, Landsleute zu treffen, und hoffe, sie seien gut untergebracht. In welchem Hotel sie denn logieren? Als sie eine teure First-Class-Unterkunft nennen, salutiert er mit zackiger Geste, wünscht angenehmen Aufenthalt und verschwindet er in der Menge.

Die Engländer sind glücklich über das angenehme Treffen mit dem alternden Landsmann, einem Veteranen aus der Zeit des Vier-Mächte-Status noch dazu.

Sein Salutieren ist für die Security-Frau (drahtig, durchtrainiert, kurze Haare) das Zeichen zum Auftritt. Zielstrebig schiebt sie sich vor die Gruppe, sodass die Leute die Aufschrift Security auf dem Rücken ihres Lederblousons lesen können. Sie überprüft mit schnellem Blick die Umgebung, dann dreht sie sich um und breitet die Arme aus. Wenn die Opfer erschrocken stehen bleiben, zieht sie mit professionellem Griff einen Ausweis aus der Hosentasche, klappt ihn kurz auf und wieder zu. Gleichzeitig redet sie warnend auf sie ein. Es seien gerade Taschendiebe gemeldet worden. Sie möchten bitte vorsichtig sein und ihre Portemonnaies sichern. Automatisch greifen die Männer an die Stellen, wo ihr Geld steckt. Die Damen schließen Reißverschlüsse oder tasten in Jackentaschen nach ihren Börsen. Eine von ihnen packt den teuren Fotoapparat in ihren Designerrucksack und hängt ihn sich nach vorne um. Schon ist die aufmerksame Warnerin wieder verschwunden.

Das alles muss jemand genau beobachten, der sehr unauffällig agiert. Die Frau im Rollstuhl hat diese Person bisher noch nicht ausmachen können. Die anschließenden Überfälle laufen jedoch stets nach dem gleichen Muster ab, sobald der Zug einfährt.

Auch heute werden die ausbaldowerten Engländer im Gedränge von einer Gruppe junger Männer eingeschlossen, die Jogginganzüge anhaben und Sporttaschen tragen. Einer hat Stöpsel in den Ohren und scheint etwas mitzusingen. Seine Lippen bewegen sich fortwährend. Die Jungs wirken mit ihren untersetzten muskulösen Figuren und den geschorenen Köpfen wie Judokas oder Turner. Aggressiv drücken sie die Leute in die U-Bahn, wobei sie absichtlich Körperkontakt herstellen. Unter den höflichen gutmütigen Verwarnungen der Briten schieben sie sich beim Einsteigen dicht um die Ehepaare. Im Türbereich bedrängen je zwei die Männer, die Frauen bekommen es mit je einem zu tun.

Als die Briten merken, was los ist, beginnen sie Widerstand zu leisten. Während sie wütend versuchen, die zielstrebigen Hände der Bande abzuwehren, ertönt das Abfahrtssignal und das rote Warnlicht über den Türen leuchtet auf. Im letzten Moment springen die Diebe aus der Bahn. Überfall und Flucht sind auf die Sekunde geplant. In verschiedene Richtungen sprinten sie davon.

Einer von ihnen rast auf die Frau im Rollstuhl zu. Weil er im Laufen seine Jacke auszieht, verliert er das Gleichgewicht und stolpert direkt vor die Fußrasten ihres Gefährts.

Wütend, aber in doppeltem Sinne gelähmt, kann sie ihn nur anschreien: »Verdammte Verbrecher!«

Mit toten Augen blickt er auf und zischt: »Schnauze, Omma! Isch disch Krankehaus!«

Sie hält dem Blick stand. »Jungchen, nett von dir, musst aber bisschen besser Deutsch lernen«, kontert sie.

Blitzschnell ist er wieder auf den Füßen. Drohend hebt er die Faust und fixiert sie mit tiefschwarzen schmalen Echsenaugen. Dann springt er ins Gleisbett und verschwindet über den nächsten Bahnsteig.

Die Frau rollt Richtung Lift. Sie hat das Gefühl, beobachtet zu werden. Routiniert wendet sie, um rückwärts in den Aufzug zu gleiten. Sie ist alarmiert, scannt ihr Umfeld. Der Bahnsteig füllt sich schon wieder. Mehrere Menschen interessieren sich für ihr Rollmanöver, aber keiner kommt ihr verdächtig vor.

Während der Fahrstuhl nach oben schaukelt, registriert sie, wie eine dunkel gekleidete Person eilig die Treppe am anderen Ende des Bahnsteigs hinaufhastet, obwohl inzwischen kein Zug angekommen ist. Fröstelnd zieht sie die Kapuze des Parkas über den Kopf.

Auf dem Heimweg muss sie immer an den starren Blick des Diebes denken. Augen wie kleine Glasmurmeln zwischen den verengten Lidern, ohne Gefühl. Wie ferngesteuert. Was mag den jungen Kerl veranlasst haben, kriminell zu werden? Da muss man genauer hinsehen.

Langsam lenkt sie ihren Elektrorolli durch die Menschenmassen auf den Gehsteigen. Sie nimmt extra eine längere Strecke, die sie über mehrere Fußgängerüberwege Richtung Tauentzienstraße führt. Während der Wartephasen schaut sie die Menschen um sich herum aufmerksam an. Besonders genau kontrolliert sie über ihre Rückspiegel die Leute hinter sich. Die meisten interessieren sich überhaupt nicht für ihre Umgebung, eine alte Frau im Rollstuhl nehmen sie nur als Hindernis am Rande wahr, über das man stolpern könnte. Die Augen an ihren Smartphones festgesaugt, laden oder senden sie ständig irgendwelche Informationen oder hören Musik. Selbst Radfahrer tragen Stöpsel in den Ohren.

Während sie weiterrollt, sinniert sie. Die Jüngeren schaffen sich Pseudofreunde oder -feinde, Leute im mittleren Alter sind mit Karriere und Kind beschäftigt. Zwischentöne des menschlichen Miteinanders scheinen ihnen fremd. Viele der Älteren glauben, das Leben zu kennen, oder wollen es nicht so genau wissen, trotzdem tragen auch sie ihr Handy in der Hand oder griffbereit wie einen Colt in der hinteren Hosentasche. Besonders traurig findet sie Menschen, die sich mit Kopfhörern demonstrativ von der Umwelt abschotten. Wenn man Hilfe braucht, muss man sie im wahrsten Sinne anstoßen.

Die Frau muss aufpassen. Im Gewusel legen alle einen Schritt zu und nehmen eine Art Kampfstellung ein. Nach vorn geneigt, signalisieren sie den Entgegenkommenden, dass sie es eilig haben. Viele sind aggressiv. Wer nicht in Deckung geht, muss mit einem Zusammenprall rechnen.

Während ihrer Dienstzeit bei der Kriminalpolizei hatte sie es oft genug erlebt: In Befragungen oder Verhören nach Verkehrsunfällen hatten sich diese Körperhaltungen oft als Unfallursache herausgestellt.

Heute herrscht auch wieder ein ständiges Hin und Her der Fußgänger. Mehrmals entgeht sie einem Zusammenstoß nur durch lautes Rufen. Auf den Bürgersteigen sollte ebenfalls die Verkehrsregel in Fahrtrichtung rechts gelten beziehungsweise in Laufrichtung rechts.

Sie konzentriert sich wieder. Ihr Bauchgefühl signalisiert Gefahr. Doch von wem geht sie aus? Bisher war der Rollstuhl stets eine gute Tarnung gewesen. Er wirkt wie ein Schutzschild. Behinderte stellen keine Gegner dar.

Inzwischen sind weniger Leute auf dem Gehsteig unterwegs und sie schlendern, plötzlich befreit vom Gedränge. Dieses Phänomen bemerkt sie immer wieder. Hier, in der Nähe ihrer Wohnung, ist sogar noch weniger Betrieb.

Sie lässt den Rolli etwas schneller gleiten. Leise surren die Reifen über das Pflaster. Da hört sie ihn plötzlich: Hinter ihr bewegt sich jemand im gleichen Tempo. Sie kontrolliert ihre Wahrnehmung mit geschlossenen Augen. Obwohl sie bewusst einmal langsamer, einmal schneller fährt, unternimmt er keinen Versuch, sie zu überholen. Auch als sie vor dem Backshop kurz anhält, an die Scheibe pocht und mit der Hand einen Telefonhörer markiert. So, als würde sie denen drinnen eine Bestellung ankündigen. »Wie immer!«, ruft sie extra laut.

Die Verkäuferinnen im Laden wissen Bescheid. Eine hält als Zeichen eine Schrippe neben das Ohr. Die wird sofort ihrem Nachbarn Bescheid geben, dass sie im Anrollen ist. Er wird wissen, dass sie Hilfe braucht, denn es ist ein verabredetes Signal.

Während sie Richtung Kreuzung rollt, hört sie die Schritte ihres Verfolgers ganz deutlich. Die Frau hat keine Angst. Hier auf offener und übersichtlicher Straße wird er nichts unternehmen. Ihre rollstuhlgerechte Wohnung liegt im Parterre eines Altberliner Mietshauses. Wenn er es auf sie abgesehen hat, dann ist wahrscheinlich der Treppenflur sein Ziel.

Von Ferne sieht sie schon das Eckhaus mit dem Erkerfenster im ersten Stock. Dort über ihr wohnt der Nachbar. Er ist topfit, noch immer athletisch und hält sich mit täglichem Krafttraining in Form. Obgleich sie keine Bewegung erkennt, ist sie sicher, dass er sie bereits durch sein Fernglas im Visier hat. Man kann damit sogar nachts alles haarscharf erkennen. Ein tolles Gerät, das etwas moderner und damit sogar besser ist als die, die er aus seiner Dienstzeit bei der GSG 9 kennt.

Sie haben einen guten Draht zueinander, menschlich und durch die verwandten Berufe. Außerdem wurden sie beide in den vorzeitigen Ruhestand entlassen. Ihm hatte sie als Einzigem anvertraut, dass sie durch eine Schussverletzung gelähmt ist. Eine Verfolgungsjagd war eskaliert. Er hatte verstehend genickt. Bei ihm hatte man schlicht nach dem Alter entschieden, das in seinem Ausweis stand. Sein Kommentar dazu: »Idioten!« Er sprach nie viel. Sie hatte auch genickt. Dann tauschten sie die Zweitschlüssel für ihre Wohnungen und sprachen Sicherheitscodes ab.

Sie ist vor ihrem Haus angekommen, blinzelt zum Erkerfenster hoch. Ihr Nachbar weiß, dass sie heute die Diebesbande vom U-Bahnhof beschatten wollte. Er wird verstehen, dass die Kerle sie enttarnt haben und sie in Gefahr ist. Jetzt sollte sich zeigen, ob sie sich auf ihn verlassen kann. Sie hofft, dass ihr Plan gelingt. Alles hängt davon ab, dass sie ihrem Verfolger vorgaukelt, er könne sein Vorhaben in aller Ruhe in ihrer Wohnung zum Abschluss bringen.

Der hinter ihr weiß nicht, dass sich unter dem ältlichen Äußeren ein sehr wacher Geist versteckt und das geschulte Gehirn jetzt noch besser als früher funktioniert, denn es muss sich nicht mehr um die Koordination der Bewegungsabläufe von Armen und Beinen kümmern. Sie grinst. Ihre Sinneswahrnehmung ist um Klassen besser geworden, aber anscheinend ist das für eine Kriminalkommissarin nicht genug. Ihrer aktuellen Spitzeldienste im Kampf gegen Drogendealer und Diebesbanden bedienen sich die lieben Kollegen jedoch gern. Die konkreten Tipps haben ihnen schon zu mancher Festnahme verholfen. Heute würde sie ihnen einen der U-Bahn-Verbrecher auf dem Silbertablett servieren. Vielleicht kann sie die Kollegen damit überzeugen, sie und ihre Fähigkeiten sinnvoller einzusetzen.

Resolut steuert sie den Rolli über die Treppenrampe bis zur doppelflügeligen Eingangstür. Dann schaut sie sich hilfesuchend um. Sie erfasst ein Kapuzenshirt, eine Sporttasche, nimmt schmale schwarze Augen wahr, obwohl er schnell die Lider senkt und die Kapuze bis zu den Brauen zieht.

Rasch richtet sie den Blick wieder nach vorn. »Ach, wie schön, dass Sie gerade hier vorbeikommen, junger Mann. Bitte helfen Sie mir doch mal! Die Batterie meines automatischen Türöffners scheint wieder mal leer zu sein.« Um ihn abzulenken, wühlt sie in ihrer Tasche und plappert weiter. »Die Dinger halten auch immer kürzer, aber sind jedes Mal teurer.« Dann gibt sie ihm den Sicherheitsschlüssel für die Haustür, der einen roten Anhänger hat.

Mit gesenktem Kopf öffnet er die Tür und hält sie für sie auf.

Im Flur zeigt sie zum Fahrstuhl. Es ist ein uraltes Modell, der Rollstuhl passt geradeso hinein. »Ach, wie schön«, wiederholt sie ihre Formel. »Da Sie so sportlich sind, können Sie bitte gleich noch meine Wohnungstür aufschließen? Oben, erster Stock links, mit Blick auf den Tauentzien.« Sie reicht ihm einen Schlüssel mit grünem Anhänger.

Er zögert. Er ist schlau.

»Verschiedene Farben, damit ich nicht immer suchen muss«, erklärt sie.

Schnell gibt er den Haustürschlüssel zurück.

Während er die Treppen hochrennt, rollt sie flink aus der noch offenen Kabine vor ihre eigene Wohnungstür. Der Sicherheitsschlüssel passt auch hier. Von innen legt sie die Kette vor und lässt zwei Teleskopstangen aus Stahl einrasten. Dann lauscht sie nach oben. Deutliche Kampfgeräusche lassen sie boshaft lächeln. Nachbarschaftshilfe kann lebensrettend sein.

Nachdem es ruhig geworden ist, schellt ihre Türklingel. Freudestrahlend löst sie die Sicherungsstangen und die Kette. Sie klinkt auf und rollt zurück. Der Mann, der rasch eintritt, fixiert sie mit toten Augen.