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Eine alternde, ehemals erfolgreiche Theater- und Filmschauspielerin erhält keine lukrativen Rollenangebote mehr. Ihre finanziellen Rücklagen sind aufgebraucht; sogar die Miete wird sie bald nicht mehr aufbringen können. Zu allem Unglück müsste sie sich schnellstens einen Hautkrebs an der Nase entfernen lassen. Ein entstelltes Gesicht wäre das endgültige Aus im Beruf. Doch von einer teuren Privatklinik, die darauf spezialisiert ist, kann sie nur träumen. Sie ist verzweifelt, denkt an Suizid. Da gelangt sie durch Zufall an die Personaldokumente einer Selbstmörderin, die noch nicht vermisst wird. Überrascht bemerkt die Finderin, dass das Gesicht auf dem Ausweisfoto ihrem eigenen frappierend ähnelt. Auf diese Weise gelingt ihr die Aufnahme in eine renommierte dermatologische Privatklinik. Einen gewissen Schutz vor Entdeckung bietet dabei die Corona-Maske, aber während der Operationen muss sie diese ablegen. Es kommt zu gefährlichen Szenen. Wird ihr schauspielerisches Talent reichen, ihre wahre Identität zu verbergen?
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Seitenzahl: 84
Veröffentlichungsjahr: 2023
Barbara Boy
Sechs Tage inkognito
Erzählung
Copyright: © 2023 Barbara Boy
Lektorat: Erik Kinting – www.buchlektorat.net
Umschlag & Satz: Erik Kinting
Titelbildbild von Max Stock: Marlene, 2002, Acryl auf
Nessel, 60 x 50 cm
Verlag und Druck:
tredition GmbH
An der Strusbek 10
22926 Ahrensburg
Softcover
978-3-347-94565-4
Hardcover
978-3-347-94566-1
E-Book
978-3-347-94567-8
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Kapitel 1
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Die Autorin
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Kapitel 1
O hne zu zögern war ich in die Rolle einer Selbstmörderin geschlüpft. Als Schauspielerin ist man geübt in so etwas. Ihr würde es nicht mehr schaden und mir helfen. Es schien mir ein möglicher, wenn auch sehr gefährlicher, Ausweg aus meiner Misere. Denn seit einiger Zeit hatte auch ich über einen Freitod nachgedacht, meinen eigenen. Letzteres hatte viel mit Verzweiflung zu tun. Ich hatte Angst, schreckliche Angst. Wenn ich durch eine Hautkrebs-OP mein Gesicht verlor, würde ich gar keine Rollenangebote mehr bekommen. Nicht mal die faltige Alte, höchstens als Leiche in irgendeiner Pathologie. Meine Ersparnisse aus besseren Zeiten waren fast aufgebraucht. Im neuen Jahr würde ich mir die Miete nicht mehr leisten können, ganz zu schweigen von der Putzfrau. Gut bezahlte Rollen waren also überlebensnotwendig für mich.
Auf meiner morgendlichen Walkingrunde um den See entdeckte ich sie. Eine pinkfarbige, voluminöse Handtasche. Sie stand am Rand des schmalen Badesteges. Das kam mir merkwürdig vor, denn es war Winter. Seit Tagen fror das Wasser vom Ufer aus immer weiter zu. Mein Enkel hatte mir von Geocaching erzählt, aber dabei wurden versteckte Objekte gesucht. Dieses Ding stand ordentlich und für alle sichtbar hier in der Kälte. Jemand musste es ganz gezielt so platziert haben. Ich vermutete eine Frau. Männer besaßen keine lila Handtaschen. Vorsichtig näherte ich mich dem Steg. Das Leder war mit Eiskristallen bedeckt und glitzerte in den ersten Strahlen der fahlen Wintersonne. Mit einem meiner Stöcke angelte ich die Tasche heran. Sie war steifgefroren, musste sich also schon lange dort draußen befinden. Niemand schien sie bisher entdeckt zu haben. In weitem Umkreis waren, außer meinen, keinerlei Fußspuren im Raureifteppich zu sehen. Mit schweißigen und zitternden Fingern begann ich, den klammen Reißverschluss aufzuziehen. Es war gar nicht leicht. Behutsam bog ich die Ränder auseinander. Obenauf lag ein Briefumschlag. In Druckbuchstaben stand darauf »Für den Finder: Bitte rufen Sie keinen Rettungsdienst! Ich bin freiwillig ins Wasser gegangen.«
Der Finder, das war ich. Mein Enkel würde sofort korrigieren: Finderin. Ich hörte ihn förmlich. Wenn das hier kein blöder Scherz war, lohnte es wirklich nicht, die Rettung zu alarmieren. Vor Aufregung schwitzend versuchte ich, mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Nach einer Nacht im eisigen Wasser war alles zu spät. Aber musste man nicht nach ihr suchen? Mit den Handschuhen wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Bevor ich Alarm schlug, wollte ich jedoch wissen, was in dem Brief stand. Schließlich hatte ich ihn gefunden. Ich nahm mir das Recht. Doch sicherheitshalber spähte ich nach rechts und links, ob irgendwo eine versteckte Kamera von »Verstehen Sie Spaß« lauerte. Du bist keine VIP mehr, murmelte ich mir beruhigend zu. Mein Herz raste trotzdem, als ich mir die langen Lederbügel über die Schulter hängte. Ich schnappte meine Stöcke und zwang mich zu einer langsamen Gangart.
Mein Hausboot lag fest vertäut nur einen knappen Kilometer entfernt. Es war schon wieder von einer Eisschicht umschlossen, die versuchte, sich am Rumpf festzusetzen. Dabei hatte ich es vor meinem Marsch freigepickert und die Bordheizung hochgedreht. Einsam und still lag der See.
Dennoch verriegelte ich die Tür. Dann fischte ich den wenigen Inhalt aus der Tasche und legte die Sachen nebeneinander auf den Tisch. Der undatierte Brief für den Finder war getippt, aber schwungvoll von einer Roberta Martinov unterschrieben.
Na also, eine Frau. Oder vielleicht ein Mörder, der es wie Suizid aussehen lassen wollte? In einem Kriminalfilm mit ähnlicher Story hatte ich einst eine Kommissarin gespielt.
Aufgeregt las ich den Text ein zweites Mal. Nochmals war zu lesen, sie habe ihr Leben freiwillig beendet und man möge die Tasche bitte bei einem Rechtsanwalt abgeben.
Lange starrte ich auf die anderen vier Dinge: den verschlossenen Umschlag mit der Aufschrift »Testament«, eine uralte Fahrerlaubnis in Plastikhülle, die Karte einer privaten Krankenversicherung und einen Personalausweis.
Passbilder sehen immer furchtbar aus. Man erkennt sich kaum selbst. Meines sieht auch so aus, dachte ich. Erschrocken beugte ich mich vor und fixierte das Foto. Das war ich. Oder könnte ich sein.
Name: Dr. Roberta Martinov geborene Rosche. Nur wenige Jahre älter als ich. Sofort schoss eine verrückte Idee in meinen Kopf. Vor Aufregung brach mir der Schweiß aus. Laut beschimpfte ich mich als Idiotin und atmete dreimal tief ein und aus. Doch der Einfall ließ sich nicht verdrängen.
Gespannt recherchierte ich bei Google. Eine Ärztin, Logopädin. Ihre Praxis bis Ende Januar geschlossen. Die Adresse war dieselbe, die als Anschrift auf ihrem Ausweis stand. Für Berliner Verhältnisse gar nicht weit von meinem Boot entfernt. Oh, mein Gott, das ist ein Zeichen, Kind, hätte meine Großmutter gesagt. In solchen Situationen sprach sie stets in einem beschwörenden Tonfall.
Meine Gedanken rasten. Du brauchst den besten Chirurgen. Du darfst deine Nase nicht von einem Pfuscher entstellen lassen. Seele und Gesicht müssen harmonieren. Sonst verliert man seine Persönlichkeit, seine Ausstrahlung. All deine erfolgreichen Rollen hast du nicht nur deiner Schönheit zu verdanken. Schön sind viele, du bist ein besonderer Typ.
Ein Zeichen, ja! Gut, dass ich den Selbstmord noch nicht gemeldet hatte.
Nutze diese Chance, flüsterte ich. Mach‘ es einfach.
3. Januar
Das neue Jahr fängt furchtbar an. Sitze in der zentralen Aufnahme der Charité-Klinik. Allein, ohne Begleitung. Coronavorschrift. Alle tragen FFP2-Maske. Ich auch. Sieht aus wie im Wartebereich des Bürgeramtes. Habe Lampenfieber. Hatte ich auch vor jedem Bühnenauftritt. Mein rechter Fuß zittert.
An dem jungen Mann am Einlass war ich vorbeigerauscht. Er rief hinterher: Haben Sie einen Termin?
Selbstverständlich!
Privat versichert, was?
Ja.
Sie müssen trotzdem eine Nummer ziehen. Dann auf den Bildschirm achten.
Spüre das hämische Grinsen hinter den Masken in meiner Nähe.
Habe Nummer W11 in der Hand und starre zum Bildschirm. Klick. Blink. Klick. Blink. Lauter A- oder N-Nummern mit Zimmerangabe. Einige Leute seufzen, bevor sie aufstehen.
Für mich sind heute Coronatest und Aufnahme geplant. Ist der Test negativ, morgen OP. Ich habe nicht nur Lampenfieber, sondern auch Angst. Muss eine völlig neue Rolle spielen. Auf der Bühne oder bei einem Dreh ist so etwas die reine Routine. Kommt mein Stichwort, werde ich ruhig. Aber diesmal bin ich eine echte Betrügerin. Keine Scheinkriminelle. Mein rechter Fuß zittert unkontrolliert weiter. Ich hasse das. Denke an Flucht. Wie kann ein winziger Pickel an der Nase voll Krebs sein. Ein Basaliom. Basales Karzinom. Nee, Leute! Diese Rolle hier überfordert mich. Hastig greife ich meine Tasche und springe auf. Klick. Blink! W11 leuchtet, mein heutiges Stichwort. Zimmernummer ebenfalls 11. Ich seufze tief und weiß jetzt, warum es die anderen taten. Logo. Beschließe, nur das Nötigste zu sagen und die Sätze lässig zu verkürzen. Hatte mal so eine Theaterrolle. Soll angeblich souverän wirken.
Übe es, indem du deine Beobachtungen in Gedanken auch so formulierst, hatte mir damals der Regisseur geraten.
Glastür mit eingefräster Elf. Enges Kabuff. Trennwand aus Plexiglas mit schmalem Schlitz unten zum Durchreichen. Wie auf der Sparkasse. Dahinter ein Schreibtisch mit Weihnachtsdeko: echter Tannenzweig ohne Nadeln. Darauf hockt ein chinesischer Wackeldackel in Nikolauskostüm. Wahrscheinlich hat der die Nadeln so komplett abgewackelt.
Blasse Bürofrau. Haben Sie einen Termin?
Logo. Ich schiebe die Unterlagen durch die Öffnung.
Namensschild weist sie als Marika aus. Vielleicht liebten ihre Eltern die Rökk. Oder sie kommt vom Balkan.
Heute Coronatest und Aufnahme?
Ja. Lächle gequält. Sie kann lesen. Den kompletten Satz eines ehemaligen Regisseurs zu äußern, verkneife ich mir. Wer lesen kann, ist bei einer Textprobe krass im Vorteil.
Ausweis und Versicherungskarte?
Logo. Reiche auch das durch. Halte die Luft an. Presse den Zitterfuß fest auf den Boden. Versuche die möglichen Konsequenzen meines Handelns zu verdrängen.
Kein Kontrollblick folgt. Nur die Feststellung: Privat also. Sie tippt los. Wütend bearbeitet sie die Tastatur ihres PCs. Haut kräftig zu. Blue Monday, denke ich. Miese Stimmung nach drei Feiertagen, logo.
Da wollen wir mal alles ausdrucken.
Wir? Verkneife mir die Frage. Habe den riesigen Drucker im Großraum hinter ihrer Bucht schon entdeckt. Rappelt laut und wirft haufenweise Blätter aus. Alles mindestens dreifach. Müssen viele Bäume dafür sterben. Unlogo, würde mein Enkel sagen.