Morde sind nicht einfach... - Ron Mc Gobha - E-Book

Morde sind nicht einfach... E-Book

Ron Mc Gobha

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Beschreibung

Heikle Kriminalfälle als Kurzgeschichten. Das schlechte Gewissen als unsichtbarer Kommissar.

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Seitenzahl: 184

Veröffentlichungsjahr: 2016

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(Die Versuche auch nicht!!)

Krimi - Kurzgeschichten mit überraschenden Ausgängen von

Ron Mc Gobha

Diese Geschichten sind völlig frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen wäre rein zufällig und keinesfalls von mir gewollt.

Ron

Inhaltsverzeichnis

Erklärendes Vorwort

Das Gewissen, das böse Gewissen . . .

Ihre Sichtweise (Vier Wochen zuvor)

Eine Spur?

Die Rache des Aras

Stimmen aus dem Jenseits

Unverhofftes Glück. . . .

Das Vermächtnis des Mörders

Kölner Hauptbahnhof

Es geht weiter

Späte Genugtuung

Kommissariat Köln, Abt. Gewaltverbrechen

Ein normaler Tag auf dem Revier

Ihre Suche nach Erklärung

Finale

Ein Unfall?

Nachsatz

Erklärendes Vorwort

Ich vergleiche unser Gehirn mit einem sehr leistungsstarken Computer.

(Natürlich mit Hard,- und Software).

Als Hardware würde ich unser Grundwissen, die Erfahrungen und das Vererbte bezeichnen. Die Software speichert die augenblicklichen Eindrücke, das flexible, täglich neue Erleben. Dabei werden unsere normalen Abläufe, (im Hintergrund, sozusagen) automatisch von der Hardware weiter gesteuert z.B.: Gleichgewicht halten, Atmen, gehen, schauen, riechen usw. Nun zum entscheidenden Aspekt, der mich veranlasst hat, dieses Buch zu schreiben!

Unser Gewissen wird uns ständig daran erinnern, wenn wir etwas Falsches gemacht haben. (Meine persönliche Meinung!)

Zur Plage wird es, wenn wir uns diesen mahnenden Gedanken, aus welchen Gründen auch immer, nicht stellen wollen. Es wird sich festfressen und uns krank machen. Negative Erinnerungen und Erlebnisse aus der Vergangenheit beeinflussen unser Leben viel mehr, als wir das zu glauben bereit sind.

Es gibt da einen schönen Spruch:

Ein ruhiges Gewissen ist (immer noch) ein wahrlich sanftes Ruhekissen.

Da ist viel Wahres dran, denn verdrängte, vielleicht sogar vom Täter verharmlosend gesehene und dargestellte Verbrechen, wie in meinen konstruierten Fällen, können trotz vorgetäuschter, überheblicher Gleichgültigkeit beim Verursacher zu einigen Belastungen führen, die sein Leben stark beeinflussen kann, Schlaflosigkeit, Kurzatmigkeit, panikartige Attacken, unberechenbare Fehleinschätzungen, Schweißausbrüche, und nicht zuletzt auch zu Sinnestäuschungen und Wahnvorstellungen.

Man wird jeden Blick, jede Äußerung einer Person anders deuten, auf sich und seine Tat beziehen, denn wenn die eigenen Gedanken sich immer wieder damit beschäftigen, so ist es kein Wunder, wenn man dem Gegenüber die negativen Strömungen unterstellt.

Der zufällige, harmlos gemeinte Blick eines Uniformierten kann schon zu einer falschen Reaktion führen.

Kurz gesagt: Das Gewissen wird uns keine Ruhe mehr lassen und treibt . . . . .

Wohin?

Lesen Sie, wie sich das in meinen Romanen entwickelt . . . .

Ron, earrach 2016

Ron, Frühling 2016

Das Gewissen, das böse Gewissen . . .

Er saß hellwach aufrecht im Bett! Hatte sie ihn gerade gerufen? Vorsichtig drehte er den Kopf zur Seite, schloss konzentriert die Augen und horchte angestrengt zum offenen Fenster: „Ronny, komm . . “ . . .Da! Da war´s wieder! Aber wie konnte das sein? War sie es wirklich? Augenblicklich brach ihm der kalte Schweiß aus allen Poren. Er wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn: „Das war sie nicht!“ versuchte er sich zu beruhigen und rutschte, immer noch zweifelnd wieder zurück in die feucht-klammen Kissen.

Ein leichtes, unangenehmes Lüftchen wehte durchs Zimmer, viel zu schwach, um etwas auszurichten . . . . dennoch rutschte ein Bild auf der Kommode bis zum Rand und fiel scheppernd auf den gefliesten Boden. Jetzt war es mit der Ruhe endgültig vorbei! Natürlich war an Schlaf nicht mehr zu denken. Er nahm seinen Mut zusammen, warf die Bettdecke zur Seite und sprang auf, um das Fenster zu schließen. Als er das Bild aufhob, erwartete er, nach dem klirrenden Geräusch zu urteilen, ein zersplittertes Glas. Zu seiner Verwunderung sah er im Halbdunkel des Zimmers, wie ein Lichtpunkt über das Foto glitt und dabei an einer Stelle pulsierend verharrte. Zitternd ging er zur Tür und knipste die Deckenbeleuchtung an, um sich das Bild näher anzusehen. Das Frontglas seines Hochzeitsfotos war ganz geblieben, aber was war das? Sein Kopf war weggebrannt! So, als hätte man eine Zigarette auf dem glänzenden Papier ausgedrückt! Aber wie konnte das sein . . . . durch das unversehrte Glas? „Ronny . . . . ich werde dir keine Ruhe mehr gönnen!“ raunte die Stimme leise in sein Ohr! Er wirbelte herum, aber er war immer noch alleine im Zimmer. Achtlos warf er das Bild wieder auf den Boden, wankte ins Bad und schaute in den Spiegel. Ein alter Mann war er geworden. Tiefe Falten lagen auf seiner Stirn, dunkle Ränder umrahmten seine Augen! Der laufende Wasserhahn füllte das Wasser in seine zusammengelegten Hände. Dann beugte er sich vor, tauchte das Gesicht hinein und ließ die kühlende Feuchtigkeit auf seine Haut wirken. Dann hob er den Kopf und schaute in den Spiegel, während die Tropfen von seinem Kinn ins Becken fielen.

Seine Gedanken waren wirr und unkontrolliert. In den letzten Nächten hatte er ähnliche Träume gehabt, aber diesmal war es besonders schlimm gewesen, so realistisch. Er musste dringend noch einmal in den Wald, noch heute und sich vergewissern, dass sie wirklich noch da draußen lag! Vor einem Monat hatte er sie hinterrücks erschlagen und danach dorthin gebracht und in einer schnell gegrabenen Grube verscharrt. Er hatte ein neues Leben anfangen wollen, alleine, ohne sie . . . und an diesem verhängnisvollen Tag vor vier Wochen war plötzlich die Gelegenheit dazu endlich gekommen! Zuerst hatte er noch gehofft, dass sie von alleine gehen würde, einfach aus seinem Leben verschwinden würde, aber er hatte sich getäuscht. Dann kamen ihm diese perversen Gedanken in den Kopf. Ein Unfall! Es müsste doch die Möglichkeit geben, sie durch einen Schicksalsschlag endgültig loszuwerden. Es kam noch ganz anders! Es hatte sich einfach so ergeben!

Vor drei Jahren hatte er noch gehofft, dass er die Attraktivität, dieses anfängliche Gefühl zu seiner Frau neu verfestigen könnte, aber das Wesen, das er einmal geliebt hatte, sah im Vergleich zu seiner neuen Gespielin einfach wie eine alte Jungfer aus. Er fand nichts Attraktives mehr an ihr. Jedes Mal, wenn er nach Hause kam oder er nach der Arbeit seine Freunde besuchen wollte, plärrte sie los: „Ronny! Lass mich nicht schon wieder alleine!“ „Nimm mich doch mit zu deinen Freunden, ich kenne sie immer noch nicht alle!“ Wenn es später geworden war, vielleicht sogar schon morgens, so erwartete sie ihn mit lästigen Fragen: „Wo warst du die letzte Nacht? Hast du eine andere?“ Er konnte das nicht mehr hören. Schon immer hatte er seine Augen nicht mehr unter Kontrolle, wenn eine attraktive Frau sein Blickfeld kreuzte. Er zeigte sich dann von seiner charmantesten Seite und flirtete, was das Zeug hielt, ungeachtet der Tatsache, ob seine Frau dabei war, oder später von einem gemeinsamen Bekannten davon erfahren könnte. Sein Jagdtrieb war unersättlich. Den Bezug zur Realität hatte er dabei immer mehr verloren und glaubte nun tatsächlich, dass sein Leben immer so weitergehen würde. Junge, willige Frauen hatte er kennengelernt und kam missmutig nach Hause, wenn er danach dann sein Eheweib ansah. Er bemerkte jetzt jeden, noch so kleinen Makel an ihr. Frustriert griff er immer öfter zur Flasche und wurde ihr gegenüber schnell handgreiflich, weil er einfach mit seiner Lebenssituation nicht mehr klar kam. Er wollte auch nicht mit ihr darüber reden. Bald konnte er ihre Fragen, ihr Geschwätz nicht mehr hören! Sie war ihm zuwider geworden, er konnte sie nicht mehr ertragen. Deshalb hatte er diesen entsetzlichen, letzten Ausweg gesehen, nachdem sein erster Plan, sie vor den Nachbarn als verwirrt und irre darzustellen, gescheitert war! Er hatte sich das ausgedacht und Sachen von ihr versteckt und behauptet, dass sie selber zu oberflächlich und zerstreut sei, ihren Geist und das Gehirn nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Oft musste sie ihn deshalb logischerweise nach dem Autoschlüssel, ihrer Lesebrille oder dem Handy fragen. Dann hatte er natürlich leichtes Spiel und holte, gespielt suchend, versteht sich, diese Dinge, die er dort hingelegt hatte, vorwurfsvoll wieder heraus. Dabei schüttelte er den Kopf und schaute sie an. Er dachte an die Berichte von alten Menschen, die ihre Brille oder das Portemonnaie in den Kühlschrank gelegt und dort vergessen hatten. Trotzdem schien sie nicht an ihrem Verstand zweifeln zu wollen, denn da das nur zuhause passierte, konnte sie sich mit der Zeit einen Reim darauf machen und versuchte, seine plumpen Versuche zu übersehen. Im Augenblick hatte er eine weitere Liebschaft mit der neuen Arbeitskollegin angefangen. Ein junges Weib, das genauso vergnügungssüchtig war, wie er. Aber an einem Abend, den er sich nach dem gewaltsamen Verbrechen mit der jungen Geliebten in seinem Haus besonders schön ausgemalt hatte, passierte es. Sie stand am Fenster und schaute verträumt in den Garten, das Glas Rotwein in der Hand.

Da spürte er sie, direkt hinter sich, wie aus dem Nichts - seine verschwundene Frau Marlene, umgeben von einem eiskalten Wind, der ihm in den Rücken zog. Er drehte sich vorsichtig um, schemenhaft verschwommen schien sie auf ihn zuzukommen und schaute ihn aus leeren Augen durchdringend an.

Ihr Kopf war blutverschmiert. Verwirrt und entsetzt sprang er zur Seite: „Verwinde! Mach dich endlich aus meinem Leben! Ich will alleine sein! Wo kommst du überhaupt her?“

Mit einem Lächeln zerfiel die Traumgestalt seiner Ehefrau und er sah in das verzweifelte Gesicht seiner kleinen Freundin. Sie zitterte, ließ ihr Glas fallen und ging schluchzend an ihm vorbei in den Flur: „Um mir das zu sagen, lockst du mich hierher? Wenn du genug von mir hast, dann sag es frei heraus!“ Was sollte er jetzt dazu sagen? Wie sollte er ihr erklären, dass sie gar nicht gemeint war? Als sie den Mantel angezogen hatte, kam sie kurz noch einmal zurück ins Wohnzimmer: „Kläre erst einmal, was du wirklich willst! Lass dich scheiden, dann sehen wir uns vielleicht noch einmal wieder, aber so sind die Dinge für mich untragbar. Ich bin für ehrliche Verhältnisse.“ Sie drehte sich um und ging. Sollte das alles umsonst gewesen sein? Die Kriminalpolizei ermittelte noch und hatte vorsorglich seine Konten gesperrt. Für ihn unerklärlich, ließ die Auszahlung der Lebensversicherung auf sich warten . . . . ja sein Brief wurde noch nicht einmal beantwortet. Warum hatte er bloß zu voreilig gegenüber der Polizei immer wieder beteuert, dass seine Frau nur weggefahren sei? „Sie wollte zu einer Bekannten!“ Das hatte er immer wieder, trotz besseren Wissens behauptet und die Beamten nahmen das zur Kenntnis, aber es schien, als würde man das nicht glauben. Diese verwirrenden Angaben, die skeptischen Blicke der Beamten, all das zermürbte sein Hirn. Es war alles viel zu schnell gegangen! Er hätte überlegter handeln sollen! Es war nur zu gut zu verstehen, dass die Beamten der Kripo diese Widersprüche nicht einfach ignorieren konnten.

Unter den ermittelnden Kollegen war eine Diskussion entstanden: „Wieso, frage ich mich, wendet er sich in dieser ungeklärten Situation an die Versicherungsgesellschaft, wenn er seine Frau doch nur als vermisst gemeldet hat?“ Der Oberkommissar hatte größte Zweifel, dass der Mann ihnen alles gesagt hatte. Ronny verwickelte sich in Widersprüche, aber für eine Verhaftung reichte das nicht aus. Er hatte sich hoffnungslos verheddert. Seine Panik und die seltsamen Träume konnten nur von seinem geplagten Gewissen herrühren. Er versuchte, so normal wie es ihm irgendwie möglich war, seiner Arbeit nachzugehen. Tagsüber hatte er das bis jetzt auch ganz gut hinbekommen, aber die Situation mit seiner Freundin, eben im Wohnzimmer, überforderte ihn und er brauchte lange, bis er es einigermaßen verdrängt hatte. Aber wenn ihm die eigene Ehefrau immer wieder im Traum erschien, so zerfraß es ihn innerlich. Sein Chef brachte immer noch großes Verständnis für ihn auf und schob seine häufigen Fehler auf die Ausnahmesituation, in der er sich wegen der verschwundenen Ehefrau befand. Aber wieso unternahm die Polizei nichts, um diese ominöse Bekannte zu finden? Mit ihr zu sprechen? Hatte die Kripo andere Informationen oder war er gesehen worden, als er mit dem Geländewagen in den einsamen Waldweg gefahren war?

Gab es doch Zeugen, die ihn in jener Nacht gesehen und die er trotz seiner Vorsicht nicht bemerkt hatte?

Er ging ins Schlafzimmer und schaute sich das Hochzeitsbild an. Das Glas hatte jetzt einen Sprung, aber der Brandfleck war noch deutlich zu sehen. Er nahm das Foto aus dem Rahmen, warf die Glassplitter in den Papierkorb und steckte das Bild ein.

Als er am nächsten Morgen im Büro seine Jacke über die Stuhllehne hing, fiel das Foto auf den Boden, direkt vor die Füße seines Chefs. Der bückte sich, hob es auf und betrachtete das Bild kurz, legte dann vertraulich die Hand auf seine Schulter und sagte: „Herr Berg, ich verstehe Ihre Sorge. Stellen Sie es auf Ihren Schreibtisch. Sie wird wieder zu rückkommen, ich spüre das!“ Zitternd nahm er das Foto an sich und wagte eine Frage . . . diese entscheidende Frage: „Ist das nicht seltsam?“ Sein Vorgesetzter war gerade im Begriff, das Büro wieder zu verlassen und drehte sich noch einmal zu ihm um: „Wie? Was meinen Sie?“ Er ging auf ihn zu und legte seinen Zeigefinger auf den Brandfleck. „Na, das meine ich! Ich weiß nicht, wie das dahin gekommen ist.“ Sein Gegenüber nahm seine Lesebrille, setzte sie auf und betrachtete ausführlich das Foto. „Ihre Hochzeit. Und was ist da jetzt besonders? Ich weiß nicht, was Sie meinen? Sie sind etwas fülliger geworden, ist es das? Sonst fällt mir nichts auf!“ Er legte das Bild zurück auf den Schreibtisch, denn Ronald Berg machte keine Anstalten, es wieder zurückzunehmen. Sein Chef sah ihn lange an, denn sein Angestellter schien völlig abwesend zu sein: „Sie sprechen von einem Flecken? Das Foto ist völlig unversehrt. Ich sehe keinen Flecken!“ Kraftlos fiel Ronald zurück in den Bürosessel. Dann nahm er das Bild wieder an sich, aber er traute sich nicht, es anzusehen. „Ist Ihnen nicht gut? Mann, Sie sind ja ganz blass! Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen?“ Er musste sich zusammenreißen. Ein Ruck ging durch seinen Körper, er stand auf und murmelte etwas von einem schlechten Schlaf in der letzten Nacht. Krampfhaft bemüht, sich nichts mehr anmerken zu lassen, schaute er seinen Chef an: „Geht schon wieder, danke!“ Dann drehte er sich auf dem Stuhl zum Aktenschrank und schloss ihn auf. Als er das hölzerne Rollo hochgeschoben und verriegelt hatte, entnahm er mit zitternden Händen das unbearbeitete Körbchen und bevor er es auf den Tisch stellen konnte, kippte es um und die Papiere flatterten unter den Schreibtisch. Er fluchte laut und bückte sich, um die Papiere aufzuheben, als er bemerkte, dass sein Chef noch im Raum war und ihn seltsam musterte. „T`schuldigung, Chef! Ich bin etwas daneben. War noch was?“ Der Vorgesetzte ging zur Tür: „Wenn Sie Urlaub brauchen, sagen Sie es! Das mit ihrer Frau geht Ihnen gewaltig an die Nieren. Sie wird bei einer Bekannten sein! Das vermuten Sie doch, oder nicht?“ Zitternd presste Ronny die Akten an seine Brust, ungeachtet der Tatsache, dass er sie damit völlig zerknitterte. Da stand er, wie ein Häufchen Elend.

„Ehrlich, Herr Berg, ich habe Sie wirklich immer geschätzt, aber heute sind Sie völlig neben der Spur. Gehen Sie nach Hause, das ist ja nicht mit anzusehen, wie Sie sich quälen!“ Dann verließ er kopfschüttelnd das Büro. Berg spürte selbst, dass er in dieser Verfassung nicht in der Lage war, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Wie von seinem Chef und den Kollegen vorgeschlagen, zu einem Psychiater zu gehen, um sich dort professionelle Hilfe zu holen, stand für ihn aus mehreren Gründen nicht zur Debatte. Er hatte Angst, dass ihn der erfahrene Facharzt schnell durchschauen und anzeigen könnte, Schweigepflicht hin oder her, er hatte in diese Richtung kein Vertrauen mehr, zu wem auch immer. Natürlich schwirrten ihm seine wirren Träume im Kopf. Er müsste nur konsequent immer wieder alles leugnen. Man konnte ihm nichts nachweisen, wie denn auch? Davon war er felsenfest überzeugt. Wenn nur diese Alpträume aufhören würden, diese realistischen Besuche seiner Frau, die ihm immer wieder den erforderlichen Schlaf raubten.

Ihre Sichtweise (Vier Wochen zuvor)

Sie hörte, wie er mehrfach versuchte, das Schlüsselloch der Haustür zu treffen. Zitternd rannte sie ins Schlafzimmer und schloss sich ein, denn sie wusste, was ihr jetzt bevorstand. Wenn ihr Mann irgendwelche Probleme auf seiner Dienststelle gehabt hatte, kam er immer total betrunken nach Hause. Dann musste sie für sein Unvermögen büßen! Das war ihre Erklärung für solche Situationen. Sie hatte oft versucht, dann besonders nett zu ihm zu sein . . ohne Erfolg! Wehren konnte sie sich erst recht nicht, denn er war zu stark für sie und fand immer einen Anlass, dann mit ihr zu streiten und ließ seine Fäuste sprechen. Die traurigen Resultate waren mehrfach blaue Flecken, eine aufgeplatzte Lippe, bis hin zu gebrochenen Rippen gewesen. Im Krankenhaus hatte sie nicht gewagt, den wahren Grund dieser Verletzungen zu nennen, denn natürlich nahm sie seine Drohungen ernst, sollte sie etwas anderes behaupten, als dass sie die Kellertreppe herunter gefallen oder im Garten gestolpert wäre.

Was für plumpe Begründungen, die der Unfallarzt oder ihr Hausarzt immer wieder von misshandelten Frauen hören musste!

Aber im letzten Fall ließ er ihre Erklärung nicht mehr gelten. Zu lange schon hatte er mit sich gehadert und benachrichtigte jetzt die Polizei, denn er kannte seine Patientin und ihren cholerisch veranlagten Ehemann viel zu gut. Das Maß war voll. Diesmal handelte die Polizei. Als sie den mittlerweile wieder ausgenüchterten Mann heftig ins Gebet genommen hatten, wurde es jedoch zuhause für sie wider Erwarten und trotz all seiner Beschwörungen noch schlimmer. Dann blieb er für mehrere Tage weg und roch nach fremdem Parfüm, wenn er wieder auftauchte. Den Lippenstift an seinem Hemdkragen konnte sie nur noch mit Gallseife entfernen . . . ihm dazu eine Frage zu stellen, wagte sie aus verständlichen Gründen nie mehr. Als sie wieder einmal alleine im Hause war, kam eine gute Freundin zu Besuch. Sie kannte die Verhältnisse und redete ihr ins Gewissen: „Du musst ihn verlassen, bevor es zu spät ist! Geh in ein Frauenhaus und reiche die Scheidung ein! In dem Zustand lasse ich dich auf gar keinen Fall alleine!“ Marlene war gerade im Keller, um eine Flasche zu holen, als sie oben ein Möbelrücken hörte. Es polterte und krachte, danach fiel die Haustür ins Schloss. Als es wieder ruhig war, ging sie mit dem Sekt zurück ins Wohnzimmer.

„Heike?“ Die Wohnung war leer, das Sofa stand schräg im Raum und der Teppich war verschoben. „Wieso ist die einfach gegangen, ohne mir „Auf Wiedersehen zu sagen?“ Verwirrt ging sie zurück in den Keller, um zu bügeln. Sie würde Heike gleich zuhause anrufen und nach dem Grund ihres plötzlichen Verschwindens fragen. Als nach anderthalb Stunden die Haustür ging, wusste sie sofort, dass es nur ihr Mann sein konnte, denn Heike hatte keinen Schlüssel vom Haus. Laut fluchend ging er durchs Haus, führte Selbstgespräche und faselte etwas von: Der hab ich´s gezeigt! Er schien unberechenbar und Marlene, die immer noch glaubte, er hätte damit eine, seiner Liebschaften mit der Äußerung gemeint, löschte das Licht. Sie wollte diesem Grobian jetzt nicht noch einmal als Prügelknabe dienen. „Miststück! Wo hat sie nur die Versicherungsunterlagen hingelegt?“ Er wuselte in jeder Schublade und fluchte nur umso mehr, weil er wohl nicht das fand, was er so dringend suchte. Sie schlich leise ins Gästezimmer, das sich direkt neben ihrer Waschküche im Keller befand und schloss sich ein. Zitternd saß sie im Bett, aber ihr Mann kam nicht, um sie zu suchen! Er rief sie auch nicht und schien sie nicht zu vermissen. Sie musste wider Erwarten doch noch eingeschlafen sein, denn als sie endlich wach wurde und auf ihre Armbanduhr schaute, war es schon Mittag. Oben im Haus war wieder Ruhe eingekehrt und sie wagte sich vorsichtig nach oben. Auf dem Wohnzimmertisch lag ein offener Briefumschlag. Sie nahm den Zettel heraus . . . Es war ein kurzer, handgeschriebener Abschiedsbrief, ihr Abschiedsbrief! Zweifelsfrei hatte er den gefälscht, warum? Wieso konnte er sicher sein, dass sie nicht zurückkommen würde? Zurückkommen von wo? Sie hatte doch das Haus gar nicht verlassen! Sie konnte damit nichts anfangen und beschloss, das Schreiben zu kopieren, um damit die Scheidung einzureichen, so wie es ihre Freundin geraten hatte. Neben dem PC stand der Kopierer. Sie steckte die Abschrift ein, legte das Original zurück, nahm ein paar Anziehsachen sowie ihre Handtasche und verließ ihr Haus, bevor er wieder zurück war. Als sie an der Bushaltestelle wartete, nahm sie ihr Handy und versuchte, ihre Freundin anzurufen. Sie sollte erklären, warum sie gestern Abend so plötzlich gegangen war, aber sie schien das Klingeln nicht zu hören. Seltsam war das schon! Als der Bus kam, stieg sie ein, löste eine Fahrkarte bis ins Centrum und grübelte gedankenversunken darüber nach, welchen Grund sie gehabt haben konnte, einfach ohne ein Wort der Erklärung zu gehen. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Hatte es ein Missverständnis gegeben? Sie konnte sich nicht an etwas Derartiges erinnern und entschloss sich kurzerhand, bei ihr zu klingeln, denn heute war ihr freier Tag und sie würde zuhause sein . . . hoffte sie zumindest! Nach mehrfachem, vergeblichen Klingeln öffnete eine Nachbarin erschrocken ihr Fenster: „Entschuldigen Sie, dass ich Sie anspreche, aber ich dachte, Frau Soltau wäre zurückgekommen und hätte ihren Schlüssel vergessen! Ist das Ihre Schwester? Sie sehen sich auf den ersten Blick aber zum Verwechseln ähnlich!“ Marlene lächelte: „Das haben schon viele gesagt, nein tut mir leid, wir sind nur gute Freundinnen. Ist sie nicht da? Ich habe versucht sie anzurufen und auf die Klingel reagiert sie auch nicht!“ „Ich mach Ihnen auf! Kommen Sie einen Augenblick zu mir, erste Tür rechts!“ Schon ertönte der summende Ton und Marlene lehnte sich an die Tür, die sofort aufsprang. Sie ging die fünf Stufen im Treppenhaus hoch und wartete vor der unteren Tür. Heike Soltau wurde schließlich von ihrem Arbeitgeber als vermisst gemeldet, denn sie hatte einen wichtigen Termin nicht wahrgenommen, sich nicht krank