Mörderische Intrigen - Angelika Friedemann - E-Book

Mörderische Intrigen E-Book

Angelika Friedemann

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Beschreibung

Wer es in kleinen Dingen mit der Wahrheit nicht ernst nimmt, dem kann man auch in großen Dingen nicht vertrauen. Albert Einstein In der Klinik in Husum finden Mitarbeiter eine Tote. Sofort gerät eine der Krankenschwestern unter Verdacht. Nach zahlreichen Verhören muss man die Frau jedoch laufen lassen. Hauptkommissar Eike Klaasen und sein Freund, Staatsanwalt Frederik Kerper kommen bei den Ermittlungen zusätzlichen Strafvergehen auf die Spur, dazu einer unvorstellbaren abartigen Form von Mobbing. Dann gibt es ein weiteres Todesopfer.

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Mörderische Intrigen

TitelseiteImpressum

Angelika Friedemann

Mörderische Intrigen

~~~

Bettina hastete die Stufen empor, den langen Korridor entlang, fluchte dabei leise. Ausgerechnet heute kam sie fast zu spät. Die große Uhr zeigte ihr noch sechs Minuten an. Während des Laufens zog sie die Jacke aus. Sie bog um die Ecke und betrat den Raum, da stürmte Sabine auf sie zu. „Moin, Bettina. Beeil dich. Der Neue ist da und sieht traumhaft aus.“

„Moin. Lass ihn aussehen, wie er will, Hauptsache er meckert nicht am ersten Tag mit mir.“

Sie schlüpfte aus den Schuhen, die ihre Kollegin rasch wegräumte, ihr den weißen Kittel hinhielt. „Was war wieder?“

„Wir haben zuerst Turnzeug von Arvid gesucht, bis ihm nach zehn Minuten einfiel, ach, liegt ja in der Schule. Plötzlich weiß er, ich benötige eine Unterschrift und fünf Euro. Also Zettel suchen und so geht es weiter. Am Freitagmorgen ist es besonders stressig, weil er am Donnerstagabend normalerweise erst gegen sieben Uhr nach Hause kommt. Fußball.“

„Los, wir müssen.“

„Sabine, du bist ein Engel. Danke fürs Wegräumen. Halt bitte die Haarnadeln, die Frisur erledige ich unterwegs.“ Sie knallte nur die Tür ran, verschloss den Spind wie meistens nicht.

„Unser Chef ist jünger, als ich dachte, und er sieht süß aus.“

„Lass das Dieter hören und du bekommst Ärger“, schmunzelte sie.

„Er lachte darüber. Wat mut, dat mut.“

„Sagt meine Oma immer. Hast du gesehen, wer heute operiert?“

„Der Neue.“

„Auch das noch“, stöhnte Bettina.

„Wenn du ihn siehst, wirst du begeistert sein.“

„Lass mich bloß mit den Kerlen zufrieden. Ein aufgeblasener Arzt, der sich einbildet, alle Schwestern müssten ihm zu Füßen liegen. Nein, danke. Dafür haben wir den schönen Klaus.“

„Der ist mit dabei.“

„Super. Mit dem arbeite ich am liebsten. Vorher blöde Sprüche, danach nochmals.“

„Dafür ist er ein guter Chirurg.“

„Wenigstens etwas. So, wie sehe ich aus?“ Sie schaute zu Sabine.

„Hübsch, wie immer.“

„Danke. Ich meinte mehr, ob alles ordentlich ist.“

„Wie immer, alles akkurat.“

Zwei Minuten später öffneten sie leise die Tür zum Büro des neuen Chefarztes. Das Vorzimmer war leer und sie schlüpften leise hinein, atmeten erleichtert auf, dass die andere Tür offenstand und Menschen den Eingang versperrten. Der Chefarzt begrüßte gerade sein neues Team, redete irgendetwas von Mitarbeit.

Sabine stellte sich hinter einen Arzt, da sie relativ klein war, fiel es nicht auf. Anders bei Bettina. Sie versuchte sich hinter Doktor Klaus Heinicke zu verstecken, nur der war nicht größer als sie. Rasch knöpfte sie den Kittel zu, hörte nicht zu.

„Wie ich sehe, sind die beiden letzten Mitarbeiter erschienen und sie möchte ich ebenfalls begrüßen“, redete der Mann und alle drehten sich nach ihnen um. Bettina blickte auf. Ihre Augen vergrößerten sich förmlich, sie wurde blass, stand wie erstarrt und stierte nur den Mann, ihren neuen Chef an. Der war für einen Moment verblüfft.

„Das sind unsere Operationsschwester Sabine Ludwigs und Krankenschwester Bettina Nielsen“, stellte Doktor Reinhardt sie vor. „Meine Damen, Ihr neuer Chefarzt und Vorgesetzter Doktor Doktor Nils Hermsen. Nächstes Mal bitte pünktlich, Frau Nielsen.“

„Frau Ludwigs, Frau Nielsen. Ich kenne Bettina, da ich mit ihrem Bruder seit Kindertagen befreundet bin und sie als Baby kennenlernte.“

Sie nickte nur, drehte sich um und verließ wie gehetzt den Raum. Das konnte nicht sein? Nicht er. Nein, nicht Nils war ihr neuer Chef. Sie lehnte sich an die Wand, versuchte, tief durchzuatmen.

„Sag mal, spinnst du?“

„Wusstest du, wer unser neuer Chef ist?“

„Wieso? Nein. Warum? Was ist an dem Mann …“ Sabine hielt inne, blickte sie genauer an. „Ach du Schande, sage bloß nicht, das er …“

„Doch. Verdammt, was will der ausgerechnet hier? Warum konnte er nicht in den Staaten bleiben?“

„Wusste das Carsten nicht?“

„Keiner hat mir ein Wörtchen gesagt.“

„Bettina, komm mit, sonst gibt es Getratsche. Du musst damit leben und eventuell solltest du es ihm sagen. Das Ganze ist lange her.“

„Er weiß es seit … Das geht ihn nichts an und ich bin bisher gut ohne ihn ausgekommen.“

„Gehen wir zurück.“

Die beiden stellten sich an die Seite, aber Bettina war in Gedanken und es interessierte sie nicht, was er sagte. Sie musste das schnell verarbeiten, da sie in einer halben Stunde neben ihm am OP-Tisch stehen würde. Momentan wirbelte in ihrem Kopf alles durcheinander. Sie fühlte förmlich seinen Blick auf sich und schaute auf, ihn direkt an. Für Sekunden trafen sich ihre Blicke und sie dachte, er hat Arvids Augen. Rasch senkte sie die Augenlider.

~~~

Erst als Arvid im Bett lag, hatte sie Zeit über die neue Wendung in ihrem Leben nachzudenken.

Über zehn Jahre war es her, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Damals studierte sie in Hamburg im zweiten Semester Medizin. Nils und Carsten ebenfalls, obwohl sie fast das Ende ihres Studiums erreicht hatten. Das Semesterende stand bevor und sie freute sich auf Husum, die Ferien. Mittags sagte ihr Nils, dass sie abends in seine Wohnung kommen sollte, da sie feiern wollten.

Freudig war sie hingefahren und es folgte der Schock. Er teilte allen mit, dass er übermorgen für zwei Jahre nach Amerika fliegen würde. Sie war fassungslos, entsetzt gewesen, hatte sich im Bad eingeschlossen und hemmungslos geweint.

Danach hatte sie mehrere Gläser Schaumwein getrunken, um den Schmerz in ihrem Inneren zu betäuben. Dass er fortwollte, sie allein ließ, konnte sie nicht begreifen.

Auf ihre Frage warum, hatte sie keine Antwort erhalten. Er hatte nur gesagt, „es ist besser so, da ich da mehr lernen kann.“ Nach und nach hatten sich alle verabschiedet und sie hatte sich im Schlafzimmer versteckt, wollte mit ihm allein sprechen. Sie konnte es nicht begreifen. Sie hatte lange warten müssen, da er erst aufräumte, duschte. Nach einer endlosen halben Stunde war er hereingekommen, nackt. Sie hatte ihn betrachtet.

„Was machst du noch hier? Ich dachte, du bist lange weg.“ Er hatte nach etwas gegriffen, sich umgedreht und wollte sich anziehen, da hatte sie sich an den nackten Mann geschmiegt, ihn dort berührt, wo es allen Männern gefiel.

„Warum machst du das? Warum hast du mir das nicht vorher erzählt?“

Er hatte sich umgedreht, ihren Arm sehr fest umfasst.

„Bettina, das wollte ich und ich freue mich darauf. Es ist für mich eine große Chance. Warum hätte ich dir das erzählen sollen?“

„Trotzdem hättest du mir es sagen müssen“, hatte sie beharrt und er hatte sie ausgelacht, „Du spinnst, bildest dir zu viel ein“, gesagt.

Sie weinte, obwohl sie das nicht wollte, schluchzte: „Warum nicht? Warum magst du mich nicht?“

Nils hatte ihre Arme losgelassen. „Komm, mach kein Aufstand. Was soll der Schiet? Du bist bloß die Schwester meines Freundes und gewiss nicht mein Typ.“

Sie hatte sich an ihn geklammert und sie wusste selbst heute nicht, wie es zu dem mehr gekommen war. Für sie war das wie ein Traum gewesen. Davon hatte sie all die Jahre geträumt und nun war es Wirklichkeit geworden.

Danach hatte er sie im Arm gehalten. „Das durfte nicht passieren. Es war ein Fehler. Bettina, vergiss mich und suche dir einen netten Jungen, der zu dir passt. Zwischen uns wird nie mehr sein.“

„Das wird nie passieren und das weiß du. Nils, warum willst du mich nicht? Bleib hier, bei mir und alles wird gut. Wir können heiraten und eine Familie gründen.“

Er war aufgestanden, hatte sich angezogen.

„Bettina, ich möchte dich weder als Freundin, geschweige als Frau. Ich wollte niemals mit dir schlafen. Deswegen sagte ich eben, dass es ein Fehler war. Du weißt leider zu genau, wie du einen Mann herumbekommst. Werde mit einem anderen Typ glücklich, da aus uns beiden nie ein Paar wird, da du nicht mein Fall bist, wenn sich das brutal anhört. Ein letzter Hinweis gehe nicht sofort mit jedem Mann ins Bett, weil das billig ist. Kein Mann möchte so eine Sorte Frau für länger. Lass dir Zeit und lerne ihn kennen, bevor es zu mehr kommt. Jetzt weißt du ja, wie Sex geht, auch wenn du da noch viel lernen musst.“

Sie war fluchtartig hinausgerannt und hatte ihn nie wiedergesehen. Mitten im dritten Semester hatte sie erst festgestellt, dass sie schwanger war und das merkwürdige daran war, dass sie sich auf das Baby gefreut hatte. Von heute auf morgen waren alle ihre Pläne zerstört gewesen. Sie brach das Studium ab, absolvierte dank ihres Professors eine Ausbildung zur Krankenschwester. Sie musste schnell Geld verdienen. Ihr großer Traum, einmal Chirurgin zu werden, war zerplatz wie eine Seifenblase. Sie hatte sechs Jahre in Hamburg gewohnt, versucht Ausbildung, später Beruf und ihren Sohn unter einen Hut zu bringen. Es war oftmals schwierig gewesen, zumal sie mitunter nebenbei in einem Restaurant in der Küche jobbte, wenn sie dringend Geld für Kleidung benötigte.

Carsten berichtete, Nils habe sich verlobt und würde für länger dort bleiben. Sie hatte es nicht glauben wollen. Sieben Monate später war er verheiratet. Das war der Moment gewesen, wo sie begriff, dass er nie mehr als diese wenigen Minuten für sie übrig gehabt hatte. Eine weitere Frau auf seiner langen Liste der Eroberungen. Sie hatte ihn gehasst und vermisst.

Sie war nach Husum in das Haus ihrer Großeltern Nielsen gezogen, hatte eine Anstellung als Krankenschwester erhalten und es war ein wenig leichter für sie gewesen. Arvid ging in die Schule und wurde nachmittags von ihrer Oma betreut. Ein Jahr später war ihr Großvater gestorben, ihre Oma war zu ihrer Tante gezogen, hatte ihr das Haus geschenkt. Sie hatte zwar die Abneigung ihrer Eltern gespürt, aber das war ihr gleichgültig gewesen. Nach und nach hatte sie in ihrer Freizeit die Zimmer neu gestrichen, Möbel erneut. Sie war noch lange nicht fertig, da ihr das Geld fehlte. Ihre Eltern hatten ihr bisweilen Geld gegeben, damit sie schneller vorwärtskam. Plötzlich war Schluss gewesen. Das war vor zwei Jahren gewesen. Sie hatte zu dem Zeitpunkt bereits ein neues Bad, eine neue Hightechküche und verschiedene Möbel bestellt. Ihr Vater hatte ihr zornig gesagt, sie würde nichts mehr erhalten, da sie schließlich Carsten hätten. Außerdem wären sie kein Goldesel, der dauernd Geld ausspuckte. Dass der als Arzt wesentlich mehr wie sie verdiente, seine Frau zu faul zum Arbeiten war, schob man beiseite. Sie stand plötzlich mit einem riesigen Schuldenberg, zudem einem eher kühlen, nein eisigen Verhältnis zu ihrer Familie da.

Es hatte nie einen anderen Mann in ihrem Leben gegeben, weil sie alle Männer mit Nils verglich. Irgendwann trat er in den Hintergrund, obwohl vergessen hatte sie ihn nie. Gerade Arvids Aussehen erinnerte sie jeden Tag an ihn. Nun war er zurück und jetzt? Wie sollte sie damit umgehen? Warum hatte ihr das Carsten nicht gesagt? Was würde passieren, wenn er Arvid traf? Wie würden er, seine Frau, eventuell seine Kinder darauf reagieren? Wussten sie es bereits, da er es ihnen erzählt hatte und Nils … Arvid? Sicher, er musste irgendwann erfahren, wer sein Vater war, aber das hatte Zeit, dachte sie. Nur jetzt? Er würde ihn kennenlernen wollen. Was, wenn es Nils ablehnte? Wie würde das der Junge verkraften, wenn er spürte, dass ihn sein Vater nicht wollte? Nils hatte sich bisher nie nach seinem Sohn erkundigt, warum sollte er nun plötzlich Interesse an ihm haben? Konnte sie damit fertig werden, ihn fast jeden Tag zu sehen, mit ihm zu arbeiten? Viele Fragen und sie wusste keine Antwort darauf.

Sie verlebte eine schlaflose Nacht. Eine von vielen, die folgen sollten.

~~~

Bettina zog sich rasch um, suchte nach Sabine.

„Du machst Zimmer vier und fünf fertig“, wurde sie von der Stationsschwester empfangen.

„Du spinnst. Mach deinen Mist gefälligst allein. Ich gehe in den OP, da heute Morgen zwei Operationen anstehen“, ließ sie die ältere Frau stehen und eilte den Korridor entlang. Diese blöde Kuh nervte, nur weil sie einige Minuten zu spät erschien. Nein, es war seit Wochen anders und sie wusste, dass sie daran nicht unschuldig war. Seit Nils hier aufgetaucht war, war alles anders und jeden Tag mehr spürte sie, wie ihr das eigene Leben entglitt.

Sie riss die Tür auf, durchquerte den Raum und öffnete die andere Tür, sah bereits das gesamte Team bei der Arbeit.

„Raus!“, brüllte Nils Hermsen. „Sind Sie bekloppt, in den Sachen zu erscheinen? Doktor Weinrich, werfen Sie bitte die Person hinaus. Sie soll sich bei der Stationsschwester melden, damit die Zimmer fertig werden. Es reicht!“

„Blöder Kerl! Ich bin für die Operationen …“

„Sie sind eine Krankenschwester, die in einem Operationssaal nichts zu suchen hat. Raus!“, donnerte der Chefarzt.

Helmut Weinrich kam auf sie zu. „Gehen Sie bitte. Wissen Sie nicht, dass Sie Bakterien einschleppen?“

„So ein Vorgehen lasse ich mir nicht gefallen. Na Pia, habe ich das dir zu verdanken?“

„Bettina, gehen Sie endlich“, Helmut mahnend.

Sie drehte sich um und knallte die beiden Türen zu, betrat das Schwesternzimmer, wo sie Kaffee eingoss und sich hinsetzte. Sie verstand nicht, wieso sie bereits operierten. Auf dem Plan stand acht Uhr. Es war zehn nach sieben. Was lief seit einigen Wochen hier ab? Ständig gab es Änderungen, von denen außer ihr anscheinend alle wussten. Sie wurde fast von allen Seiten angefeindet.

Sie sah, wie Nils Sekretärin an dem Raum vorbei eilte und erhob sich, betrat kurze Zeit darauf sein Büro. Sie schaute das Foto einer Frau an, las in einigen Akten, durchsuchte sein Schubfach und stutzte, als sie den Einsatzplan der nächsten Woche auf seinem Schreibtisch erblickte. Nirgends tauchte ihr Name auf. Sie verließ das Büro, suchte ihre Vorgesetzte auf.

„Elfi, warum werde ich nicht mehr für OPs eingesetzt? Wie hast du das gedeichselt?“

„Du bist keine OP-Schwester, nur eine dumme Krankenschwester. Übrigens hat der Personalchef nach dir gefragt. Du sollst hinunterkommen.“

„Hast du … Was soll das?“

„Los arbeite, du faules Luder, mehr bist du nicht. Ein billiges Luder.“

Einige Sekunden starrte Bettina die ältere Frau nur sprachlos an, bevor die Wut in ihr aufkeimte.

„Spinnst du? Wie redest du dumme Schnepfe mit mir?“, keifte sie bereits lauter werdend.

Elfriede Köhler grinste sie sekundenlang an, verzog das Gesicht urplötzlich und Bettina fragte sich, was kam. Sie war zu verwirrt, von dieser Gehässigkeit, daneben explodierte sie fast vor Zorn.

„Auch das werde ich melden. Es gibt keinen Doktor Westphal mehr, der deine Unverschämtheiten deckt, nur weil du mit ihm ins Bett gegangen bist und ihn, damit über Monate erpressen konntest. Du bist eine faule, träge, unverschämte Krankenschwester, die nie arbeitet, nur herumsitzt, zu allen frech und ausfallend ist. Deine Art, wie du jeden Arzt anbaggerst, ist nur billig, aber damit …“

Bettina holte aus und schlug der älteren Frau ins Gesicht, fühlte sich im gleichen Moment von hinten gepackt.

„Was fällt Ihnen ein? Das hat ein Nachspiel, Frau Nielsen.“

Sie schaute entsetzt in das Gesicht des Personalchefs.

„Entschuldigung, aber sie hat mich beleidigt und …“

„Frau Köhler hat Ihnen die Wahrheit gesagt, da ich den Streit hörte. Das wird nicht nur eine weitere Abmahnung geben, sondern, das bedeutet Kündigung. Sie sind nicht nur faul, nein, dazu verlogen und gehässig. Wir werden Ihnen zusätzlich alle Fehlzeiten vom Lohn abziehen. Verweigern Sie weiterhin die Arbeit, bedeutet das - fristlose Kündigung. Das haben Sie verstanden? Ich habe einen Brief für Sie. Frau Köhler, kommen Sie bitte später zu mir ins Büro. Ich werde mich bei der Polizei erkundigen, ob ich das anzeigen muss, da man das eventuell Körperverletzung und Beleidigung nennt.“

„Es tut mir leid, aber bedingt durch meine schrecklichen Kopfschmerzen, eskalierte es.“

„Die scheinen Sie jeden Tag zu haben. Gehen Sie die Arbeiten verrichten, die man Ihnen aufgetragen hat, und ersparen mir weitere Lügen.“

~~~

„Du sollst zum großen Boss kommen“, empfing sie morgens Sabine.

„Ist etwas passiert?“

„Keine Ahnung. Er war eben hier und hat nach dir gefragt.“

Sie warf einen Blick auf die Uhr, aber sie war nur fünf Minuten zu spät. „Na gut, gehe ich zu ihm“, seufzte sie.

Wenig später klopfte sie und seine Sekretärin wies auf die Tür, da man sie bereits erwarte. Nochmals klopfte sie und trat ein.

„Moin, Doktor Hermsen. Sie wollten mich sprechen? Ich habe nicht viel Zeit, da Doktor Heinicke auf mich wartet.“

„Bettina, wir müssen reden.“

„Ich rede mit Ihnen, wenn es die Arbeit erfordert, und mehr muss ich nicht. Steht in meinem Arbeitsvertrag, dass ich mit dem Chefarzt ansonsten sprechen muss? Nicht dass ich wüsste. War das alles? Sie nehmen sich zu wichtig, Doktor Hermsen. Ich erledige meine Arbeit sorgfältig, gewissenhaft und das umfasst nicht, dass ich besonders einem Chefarzt die Füße küssen muss. Suchen Sie sich dafür eine andere Schwester aus.“

„Bettina, zum wievielten Male diese Wochen kommst du zu spät? Wenn du private Probleme hast, mit Arvid nicht klarkommst, lass dich beurlauben.“

„Es war das erste Mal und es waren fünf Minuten, Doktor Hermsen. Ich lass mich von einem blöden Angeber nicht schikanieren und verleumden. Sie mieser Kerl wollen mir etwas unterjubeln, weil ich nicht, wie alle anderen, mit Ihnen ins Bett gehe. Ich vögel nicht jeden Kerl im Büro, selbst wenn der sich Arzt nennt. Kapiert, Doktor Doktor Hermsen? Ich habe zu arbeiten. Zum Schluss: Es heißt Frau Nielsen für Sie. Kein Benehmen.“ Sie drehte sich um, gewahrte seine Sekretärin, die anscheinend das Gespräch gehört hatte. Sie zögerte kurz, öffnete die Tür und erst auf dem Flur atmete sie tief durch.

„Du bist spät“, empfing sie Klaus Heinicke.

„Entschuldige, ich musste zum Boss.“

„Sicher, weil wir jeden Morgen auf dich warten müssen. Das Zimmer Nummer drei ist nicht fertig, obwohl da nachher unser Patient hineinkommt. Beeil dich und danach …“

„Ja, ja, ich bin ja dabei.“ Sie wusch die Hände, während sie über die Worte von Nils grübelte und sich fragte, was er eigentlich von ihr erwartete.

„Sag mal, was willst du von ihm?“

„Klaus, du spinnst.“

„Jeder sieht doch, wie du ihn anschaust, wie du ihn zuweilen betrachtest, wenn du denkst, es würde keiner bemerken. Isa hat mich deswegen gefragt, was du von unserem Chef willst.“

„Soviel ich weiß, ist er verheiratet.“

„Geschieden. Ich denke, er ist mit deinem Bruder befreundet und da weißt du das nicht?“

„Ich rede mit Carsten gewiss nicht über den Chef. Es ist mir außerdem egal, ob er gebunden ist oder nicht. Du kannst deiner Geliebten also sagen, sie hat freie Bahn.“

„Höre ich da etwa Eifersucht? Bettina, du benimmst dich wie ein kleines bockiges Kind und teilweise ziemlich niveaulos, was ihn betrifft. Dass du verheiratete Männer mitnimmst, ist bekannt. Er ist ein klasse Typ, ein exzellenter Chirurg und ein guter Chef. Höre also auf, weiter deine Fäden zu spinnen, Lügen zu verbreiten und ihn überall als Idioten hinzustellen.“

„Weiß Doktor Weinrich, dass er abgeschrieben ist?“

„Du bist gehässig. Ich muss dich enttäuschen, da sie demnächst heiraten werden. Du siehst, du musst sie nicht anfeinden, nur weil du den großen Boss anbaggern willst.“

„Dazugehören zwei. Nett, dass man sich über mein Privatleben Gedanken macht. Zur allgemeinen Kenntnisnahme, ich bin seit Jahren fest liiert, daher erübrigen sich alle weiteren Spekulationen.“

Bettina drehte sich erschrocken um, als sie die Stimme hörten.

„In jedem Krankenhaus gibt es den üblichen Klatsch“, schmunzelte Klaus.

„Leider. Doktor Heinicke, widmen wir uns dem Patienten. Ist alles bereit?“ Sie schaute den zwei Männern nach, die zum Operationssaal eilten, sich dabei unterhielten.

Erst mittags lief ihr Nils wieder über den Weg, sprach dabei allerdings mit Isa. Sie gingen an ihr vorbei, würdigten sie keines Blickes.

Sie verließ rasch das Klinikum, fuhr, einkaufen. Zurück setzte sie sich zu Erika und Sabine in den Aufenthaltsraum, trank einen Kaffee.

Isa Scheller betrat den Raum. „Bettina und Sabine ihr möchtet bitte die zwei frei gewordenen Krankenzimmer herrichten. Wir haben morgen drei Neuzugänge. Sabine tut mir leid, dass du da helfen musst, aber Bettina schafft es nicht allein.“

Bettina blickte die Frau an, sah an deren Finger einen Diamantring blitzen. „Wir haben Pause.“

„Blödsinn, die ist bei Ihnen lange vorbei. Sie sind einmal mehr zu spät zurückgekommen und nun trinken Sie Kaffee, Bei den anderen Schwestern ist das allerdings korrekt. Sie dürfen daher beginnen.“

„Isa, du spinnst total. Das kannst du mit jemand anderem abziehen, aber nicht mit uns. Sage das deinem Lover.“

„Sie gehen bitte an die Arbeit, sonst werde ich das …“

„Was? Los Sabine, komm“, zog sie die ältere Frau hoch, die rasch den Becher abstellte. Sie verließ den Raum, zerrte Sabine hinter sich her. „Gehen wir zum Professor. So nicht. Ich lasse das nicht mit mir abziehen. Die beiden spinnen wohl.“

„Bettina, hör auf. Was soll der Mist? Sie hat recht.“

„Sie hat was mit dem Chef und wir sollen darunter leiden.“

„Sie hat was? Ich denke …“

„Ist ihre Sache, aber deswegen soll sie sich nicht aufspielen. Ich bin keine Putzfrau.“

Sie trug dem Krankenhausleiter vor, was sich eben ereignet hatte und der bat sie, sich zu setzen, während er Nils anrief, ihn und Isa Scheller zu sich zitierte.

Die beiden traten ein. Nils schaute irritiert zu Bettina.

„Setzen Sie sich bitte. Wie kommen Sie dazu, zwei Operationsschwestern von Patienten abzuziehen, damit diese putzen? Das soll wohl ein makabrer Scherz sein?“

„Haben das die Damen behauptet? Seit wann ist Frau Nielsen Operationsschwester? Es war die Rede davon, dass sie die Zimmer, die bereits geputzt sind, fertigmacht. Frau Nielsen weigerte sich, da sie Pause habe, dabei hatte sie diese bereits um dreißig Minuten überschritten. Die anderen Schwestern wissen nicht, wie sie das Pensum schaffen sollen, und Frau Nielsen ruht sich permanent aus, kommt morgens zu spät. Dafür gibt es mehrere Schwestern und Ärzte als Zeugen. Sie möchte mir zu gern Gemeinheiten unterjubeln.“

„Frau Nielsen, Sie sind keine Operationsschwester? Sie belügen mich? Das hat ein Nachspiel.“ Ergriff erneut zum Telefon und verlange die Personalakte von Bettina.

„Ich arbeite seit zwei Jahren als OP-Schwester, weil ich dafür qualifiziert bin. Frau Scheller hat ein Verhältnis mit Doktor Hermsen, und da ich ihn von früher kenne, ist sie anscheinend wütend auf mich. Was geht mich dieser Mann an, außer dass er mein Chef ist? Das bedeutet jedoch nicht, dass ich mich von diesen beiden Menschen schikanieren lasse. Falls die zwei Personen meine Entlassung wollen, sollen sie es sagen. So nicht!“

„Sie erledigen Ihre Arbeit nicht und außerdem nennt man solche Vorgehensweise Verleumdung. Ich bin nicht mit Frau Scheller liiert, da sie mit Doktor Weinrich seit Längerem zusammenlebt. Ich habe mit Frau Nielsen einen Sohn, wie mir Ihr Bruder sagte. Indes kenne ich den Jungen nur flüchtig. Das war vor zwölf Jahren ein One-Night-Stand und daraus erstand dieser Junge. Frau Nielsen hat meinen Vorgänger dazu überredet, dass sie im OP-Saal herumstehen durfte, aber sie hat selten bei einer Operation geholfen. Bei mir gab es das generell nicht. Sie ist eine normale Krankenschwester, die allerdings permanent die Arbeit verweigert, weil sie faul ist.“

Bettina starrte ihn an, da das für sie völlig überraschend kam. Wieso kannte er Arvid flüchtig?

„Doktor Hermsen, Sie hatten in Ihrem Büro mit Frau Scheller Sex. Sie haben sich nie um meinen Sohn gekümmert. Soll ich deswegen schikaniert werden? Ich habe nie irgendwelche Ansprüche an Sie gestellt und werde es gewiss niemals tun. Mein Sohn weiß nicht, wer sein Erzeuger ist. Mir ist es egal, was Sie mit wem tun, aber ich habe viel dagegen, wenn meine Kollegin darunter leiden soll, nur weil sie mit mir befreundet ist und ich muss nicht hinnehmen, dass ich von Ihrer Geliebten und Ihnen schikaniert werde. Diese Praktiken hat sie bereits mit anderen Krankenschwestern abgezogen, da sie bisher jeden Arzt beglückt hat.“

„Das sind Frechheiten.“

„Frau Nielsen, wann soll das gewesen sein. Ich meine der Sex im Büro?“

„Vor zwei Wochen, am späten Freitagnachmittag.“

Isa lachte. „Rufen Sie bitte meinen Verlobten an. Er kann Ihnen sagen, wo wir da waren. Ich werde das anzeigen. Mir reichen diese Unverschämtheiten von dieser Frau.“

„Ich denke, Bettina hat da einiges falsch verstanden“, mischte sich Sabine ein, die bisher stumm danebengesessen hatte. „Ich möchte nicht in diese miesen Lügengeschichten hineingezogen werden.“

„Ach, du fällst mir in den Rücken? Du weißt es genau.“

„Nein, das habe ich eben im Flur das erste Mal von dir gehört. Verdammt, Bettina, was soll der Schiet? Zieh mich nicht in deine miesen Machenschaften mit hinein, nur weil du eifersüchtig bist, dauernd dem Chef hinterherspionierst. Frau Scheller hat recht, Bettina ist keine OP-Schwester und sie drückt sich zu gern vor der Arbeit. Ihre Arbeiten müssen ständig wir übernehmen. Sie kommt und geht, wann sie will, und wir sollen sie permanent decken. Doktor Westphal hat das geduldet, nie eingegriffen, weil er eine Affäre mit Bettina hatte. Wir haben das unten gemeldet, aber er ist hingegangen und meinte, wären nur Irrtümer gewesen. Irgendwann haben wir es hingenommen, dass sie nichts tat, das Geld fürs Nichtstun erhielt. Besonders Frau Scheller und Frau Strobel mussten sich da einiges an Gemeinheiten gefallen lassen. Irgendwann ist Schluss. Darf ich gehen, da ich essen wollte, bevor meine Pause zu Ende ist.“

Der Professor nickte und Bettina erhob sich.

„Es gibt Kündigungsfristen und die bitte ich einzuhalten. Mich schikaniert man nicht und meine Kolleginnen ebenfalls nicht. Ich habe zu arbeiten. Es warten zwei Patienten auf der Intensivstation.“

„Sie bleiben hier. Die frisch operierten Patienten werden generell nicht von Ihnen versorgt, wie ich gerade höre. Sie denken wohl nicht, dass Sie Menschen beleidigen, fälschlich beschuldigen können und sagen, ich gehe und damit ist das Thema beendet?“

Es klopfte und man brachte eine dicke Akte herein, die der Mann rasch durchblätterte, er kurz einzelne Seiten las.

„Frau Nielsen, das gibt den nächsten Verweis. Die Ärzte beschweren sich ständig, dass Sie zu spät kommen. Sie fahren kurzerhand einkaufen oder sitzen herum, trinken Kaffee. Sie werden penibel die Anordnungen der Ärzte befolgen, in Zukunft pünktlich erscheinen. Daneben erwarte ich bei Frau Scheller, Doktor Weinrich und Doktor Hermsen eine Entschuldigung und ersparen Sie uns allen, weitere Verleumdungen, sonst werde ich rechtliche Schritte gegen Sie einleiten. Das haben Sie verstanden? Die Abmahnung wird Ihnen später schriftlich übergeben. Frau Nielsen, wie ich lese, haben Sie Frau Köhler tätlich angegriffen und beleidigt. Das wird ebenfalls angezeigt. Gut, dass man bereits die Kündigung ausgesprochen hat. Ihr Sohn ist elf Jahre und da benötigt er kein Kindermädchen mehr, der ihn morgens die 200 Meter zur Schule bringt. Das ist Ihre lapidare Ausrede für Ihr permanentes Zuspätkommen. Die diversen Minusstunden werden Ihnen vom Gehalt abgezogen, wie man Ihnen bereits mitgeteilt hat. Sie können gehen und die Zimmer für neue Patienten herrichten.“

„Hiermit kündige ich fristgemäß. Sie erhalten es nachher schriftlich. Isa gehen wir nachher zur Polizei und ich mache endlich reinen Tisch. Wird auch die Klinikleitung freuen. Mal sehen, was die Ärztekammer zu einer ständig betrunkenen Ärztin sagt, zu einem Chefarzt, der das deckte und einer Klinikleitung, die solch eine Ärztin sogar an Patienten schnippeln lässt. Eine unfähige OP-Schwester, die Patienten vertauschte, nicht eine Frau von einem Mann unterscheiden kann, nackt auf der Station herumrennt, weil sie den tollen Chef schnell für Sex mitnehmen will. Haben Besucher gesehen. Ihr habt mich zwei Jahre schikaniert, aber nun ist Schluss. Ich hätte euch perversen Kreaturen bereits damals anzeigen und das Beweismaterial vorlegen müssen. Herr Professor, was glauben Sie, wie man über Sie spricht, dass Sie solche Leute als Fachkräfte hochstilisieren, obwohl sie Versager sind? Was sagt man wohl, über diese kompetenten Mitarbeiter im Personalbüro, wenn alle lesen, dass eine betrunkene Ärztin im OP-Saal lallte oder eine OP-Schwester, die das Besteck herunterfallen ließ, weil sie dem Chef lieber ihren Busen zeigte. Das Besteck wurde nicht sterilisiert weitergereicht. Tolle Klinik. Sie dürfen sich ebenfalls einen neuen Job suchen. Es reicht endgültig.“ Wütend knallte sie die Tür zu und auf dem Flur kamen die Tränen. Sabine also auch. Wer war damals noch dabei gewesen und wer hatte sie noch alles … Sie schloss die Lider, fühlte sich schwindelig und wie ihr Magen rebellierte.

Kurz nach Feierabend gab sie die Kündigung ab. Sie würde zurück nach Hamburg gehen, hier einen dicken Schlussstrich ziehen. Eventuell nahm man sie im EKH wieder auf.

Vor dem Haus ihrer Eltern sah sie bereits seinen Wagen stehen und schäumte vor Wut. Was machte er da?

Leise betrat sie das Haus, hörte Arvid lachen. „Du verlierst wieder.“

„Moin.“

„Moin, Mama. Wir haben die Mathearbeit zurückbekommen. Ich habe ´ne Fünf“, grinste er.

„Wenn du so ein Gesicht ziehst, eher eine Zwei“, schmunzelte sie.

„Nee, ne Eins.“

„Super. Ich bin sehr stolz auf dich.“

„Papa hat ja mit mir vorher geübt. Du, wir haben den Tisch gedeckt und Salat gemacht. Oma hat gesagt, wir essen heute bei ihnen mit.“

Bettina fühlte sich total überrumpelt.

„Nein, wir fahren nach Hause. Sie lassen Ihre Finger von meinem Sohn, kapiert, Doktor Hermsen? Wage es nie wieder, meinen Sohn für deine Spielchen zu benutzen, sonst beantrage ich eine Verfügung gegen den feinen Chefarzt und nun verschwinde, aber schnell.“

„Bettina, es reicht! Was erlaubst du dir, in unserem Haus zu keifen?“, maßregelte sie ihr Vater, der gerade hereinkam.

„Hat er euch erzählt, dass er mich hinauswerfen will? Soll er machen, was er will, aber er soll meinen Sohn und mich in Zukunft in Ruhe lassen, sonst gehe ich zum Jugendamt. Ich bin zehn Jahre sehr gut ohne den noblen Doktor klargekommen. Willst du mich deswegen diskreditieren? Willst du mir deswegen meinen Job nehmen, mich in die Arbeitslosigkeit drängen? Willst du mich deswegen aus der Stadt jagen? Werde mit deiner Isa glücklich, was geht mich das an? Verschwinde aus meinem Leben und heule dich bei ihr aus.“

„Du spinnst völlig und unterstelle weder ihr oder mir so einen Unfug. Was hat generell irgendeine Frau mit Arvid zu tun? Ich verbiete dir nicht deine Lover, eine Affäre mit Doktor Reinhardt, Doktor Westphal und den zwanzig anderen Ärzten, obwohl einige davon sogar verheiratet waren. Deinetwegen wurden zwei Ehen geschieden, weil du jeden Mann kurz im Büro beglückst. Spiel dich doch nicht auf. Ich war bereits beim Jugendamt, da ich Arvid regelmäßig sehen möchte und er mich.“

„Lass Doktor Reinhardt aus dem Spiel. Er hatte nie mehr mit irgendeiner Schwester, auch wenn es deine Isa probiert hat. Ist es Neid, dass er mehr als du kann? Nie bekommst du Arvid. Eher bringe ich dich um!“, schrie sie, griff nach ihrem Sohn und zerrte den weinenden Jungen hinaus. An der Tür griff ihr Vater ein.

„Ende. Arvid bleibt heute hier und du beruhigst dich, überlegst, was für einen Mist du gerade verzapfst. Bettina, sage nichts, fahre, sonst bin ich sofort bei der Polizei und zeige dich an. Du drehst völlig durch und ziehst den Jungen mit darein. Arvid, gehe zu Oma und Papa. Wir wollen essen. Mama scheint es schlecht zu gehen, sonst würde sie sich nicht dermaßen aufführen.“

Der Junge rannte hinein und Bettina schaute entsetzt ihren Vater an. „Sicher fällst du mir wie immer in den Rücken. Er ist schließlich Doktor. Was kann man von dir anderes erwarten? Berichte deinem Sohn, er kann mein Haus kaufen. Dreihunderttausend sagte der Makler. Auch wenn mich seine Geliebte erpresst, billiger geht es nicht weg. Deswegen wollt ihr doch meinen Sohn, nicht wahr? Ihr benutzt ein Kind, um mich zu bestehlen. Ihr seid das allerletzte“, brachte sie nur mühsam die Tränen unterdrückend heraus, drehte sich um, hastete zu ihrem Auto und fuhr los.

Zu Hause versuchte sie, sich zu beruhigen. Sie durfte jetzt nicht völlig die Nerven verlieren, musste an Arvid denken. Ihr Sohn war das Wichtigste und für ihn musste sie Stärke zeigen und vor allem, sie musste ihn aus diesem Umfeld herausholen.

Sie rief im EKH in Hamburg an, sprach mit einem Arzt, einem ehemaligen Kollegen und schilderte ihm, was sie wissen wollte. Folgend rief sie nochmals den Makler an, da sie heute Nachmittag keine Zeit für ein längeres Gespräch gehabt hatte. Sie verabredeten sich für Samstagvormittag.

Etwas beruhigter ging sie nun in die Küche und kochte Kakao. Den benötigte sie immer, wenn sie sich beruhigen musste, um nachzudenken.

~~~

Morgens erschien sie überpünktlich. Sie trank einen Kaffee, bemerkte, die prüfenden Blicke ihrer Kolleginnen.

„Bettina, wir müssen reden“, sprach sie Sabine an. „Du hast mich gestern einmal mehr überrumpelt. Du lügst ständig vor dem Chef und ziehst mich mit hinein. Du verbreitest nur Märchen und das weißt du. Lass mich da heraus, sonst sage ich dem Chef mehr über deine miesen Machenschaften. Isa geht nicht mit jedem ins Bett, nicht mit unserem Chefarzt und das weißt du genau. Du bist ein gehässiges Biest. Gerade Isa hat oft ein Auge bei dir zugedrückt, wenn du zu spät kamst, und nun willst du ihr Bosheiten unterschieben, nur weil du bei unserem neuen Chef anscheinend nicht landen kannst. Das ist unfair. Wage es nicht nochmals, mich in deine miesen Intrigen hineinzuziehen.“

„Die blöde Kuh wollte uns zu Putzfrauen degradieren, nur weil sie es mit Hermsen und jedem anderen Arzt treibt. Hast du das vergessen? Sie war mit dem Heinicke, mit Weinrich und zig anderen Ärzten zusammen. Nur alle schieben sie nach kurzer Zeit ab, weil sie blöd und Alkoholikerin ist. Sabine, du warst also auch dabei. Das sagt alles. Nur Lügen.“

„Lüge gefälligst nicht“, blaffte Pia sie an. „Du bist eifersüchtig, das ist es. Deswegen machst du einen Aufstand. Du willst, nur du. Du hast vom ersten Tag an, den Chef blöd angequatscht, uns allen erzählt, dass er dir nichts zu sagen hätte. Du bildest dir zu viel ein, nur weil ihr ein Kind habt und du ihn wieder ins Bett ziehen willst, da dich erst Westphal, folgend Reinhardt abgeschoben haben und Klaus dich erst gar nicht mitnimmt. Mensch, du willst unbedingt einen Arzt ergattern, so sieht die Wirklichkeit aus.“

„Pia, das bereust du“, zischte Bettina leise. „Dafür mache ich dich dumme Gans fertig. Ist dein Baby von dem Hermsen? Das würde zu einer billigen Nichtskönnerin passen. Kriegt ein Gör und weiß nicht einmal, wer von den hundert Kerlen der Vater ist“, lachte sie gehässig. „Ich werde euch endlich anzeigen. Es reicht!“

„Was bist du nur für ein widerwärtiger Mensch“, verließ Anna den Raum.

„Bettina, durch die Sache gestern bin ich aufgewacht. Du wolltest mich benutzt, um dich dafür zu rächen, weil er dich nicht will. Du hast damals anscheinend einen Knacks wegbekommen, als er nach Amerika ausgewandert ist. Verleumdest du den Chef, Isa oder Pia in meinem Beisein weiter, melde ich das. Du bringst ständig Unfrieden in unsere Abteilung. Jahrelang haben wir deine Arbeit mit erledigt, dich gedeckt, weil du nicht hier warst, etwas erledigen musstest. Es ist bei mir Schluss. Was willst du beweisen? Du bist eine …“, Sabine Ludwigs brach ab.

„Was hat dir die nette Alkoholikerin Scheller dafür geboten, dass du mir in den Rücken fällst? Gehe ich arbeiten, bevor ich mir weitere Märchen von dir anhören muss. Erpresst sie dich, so wie alle andern? Warst du folglich ebenfalls damals dabei? Nett, dass man es so erfährt. Pfui, eine Alkoholikerin in einem Operationssaal und das unter den Augen der feinen Ärzteschaft. Ihr werdet mich kennenlernen.“

„Wir bringen dich um, wenn du …“, keifte Pia Strobel, da schloss Bettina bereits die Tür hinter sich, aber sie zitterte, spürte Angst. Selbst das traute sie ihnen zu. Sicher, deswegen hängte sich Nils an Arvid. Es war so einfach: Carsten bekam das Haus, nachdem er gierte. Nils, ihren Sohn, ihre Eltern waren die störende Tochter los, die nur Krankenschwester war. Diese sauberen Ärzte und Schwestern würden nie für ihre Straftaten belangt werden. Sie war zu einer Gefahr geworden.

Nachmittags erlebte sie die nächste Niederlage. In der Post fand sie ein Schreiben des Jugendamtes und von einem Rechtsanwalt vor, das Nils jedes zweite Wochenende von Freitagmittag bis Montagmorgen zu seinem Vater sowie die Ferien bei diesem verbringen sollte. Der Anwalt drohte gleichzeitig mit einer Klage, falls sie sich dagegen sträube oder der Junge nicht da sei.

Sie rief sofort den Anwalt an und sagte, dass Nils nicht der Vater wäre und sie ihm jeglichen Umgang mit ihrem Sohn verbieten würde.

„Wir treffen uns vor Gericht, Frau Nielsen“, war das Dürftige, was er daraufhin sagte.

Arvid kam nach Hause, erzählte von seinem Vater. Sie meckerte ihn an und schickte ihn in sein Zimmer, bevor sie heftig weinte.

Von all den Ereignissen fühlte sie sich völlig überfordert. In der Klinik mobbte man sie, hatte sich gegen sie verschworen, um all das andere zu vertuschen. Ihr Bruder wollte für seine Geliebte ihr Haus ergaunern. Ihre Eltern und Großeltern war sie generell ein Dorn im Auge, da sie nur eine kleine Krankenschwester mit einem unehelichen Kind war. Nun noch Nils, der massiv gegen sie vorging. Es war alles zu viel. Sie wusste, dass sie zu schnell laut wurde, teilweise über das Ziel hinausschoss, aber ihre Nerven waren am Ende. Seit zwei Jahren lebte sie damit und immer noch nicht, hatte sie die Schuldigen alle erkannt. So wie Sabine. Der Frau hatte sie stets vertraut, dabei war sie ebenfalls dabei gewesen. Wer noch?

~~~

Mit den Briefen suchte sie das Jugendamt auf und erkundigte sich, was der Schiet solle.

Die Frau bat sie, ruhiger zu bleiben.

„Frau Nielsen, Doktor Nils Hermsen hat als Vater gewisse Rechte und die haben wir zum Wohle des Kindes abgewogen, zumal Arvid seinen Vater sehen möchte. Bekannte und Verwandte sagten übereinstimmend, dass sich Vater und Sohn trotz der kurzen Zeitspanne bereits hervorragend verstehen würden.“

„Was hat er mit meinem Sohn zu tun? Soll er mit seinen hundert Frauenbekanntschaften, die er hat, Kinder zeugen.“

„Zügeln Sie bitte Ihre Ausdrucksweise, da das kein besonders gutes Bild auf Sie wirft. Doktor Hermsen ist laut Vaterschaftstest eindeutig der Erzeuger von Arvid Nielsen. Ob Doktor Hermsen Frauengeschichten hat, ist völlig unerheblich. Sie haben ebenfalls zahlreiche Männerbekanntschaften, sogar in dem Haus, wo Sie mit Arvid wohnen, wie man uns berichtete. Frau Nielsen, es geht um das Wohl eines 11-jährigen Jungen, nicht um Eifersucht, verletzte Eitelkeiten. Kommen Sie den Terminen nicht nach, wird das ein Verfahren vor dem Familiengericht nach sich ziehen. Doktor Doktor Hermsen steht es frei, das alleinige Sorgerecht für Arvid zu beantragen. Eine Überprüfung fällt da gewiss eher positiv aus. Wollen Sie das wirklich?“

„Ich habe waaass? Ach, ich verstehe. Er ist Doktor Doktor, nicht nur eine kleine Krankenschwester wie ich“, verließ sie wutentbrannt den Raum.

Sie kam natürlich zu spät und bekam von der Personalabteilung sofort einen Rüffel.

Da sie Zeit hatte, schlich sie in sein Büro und durchsuchte seinen Schreibtisch, las Schreiben, die auf seinem Schreibtisch lagen. Nur das war nur dienstlicher Kram.

In dem Regal stand ein großer Bilderrahmen, mit dem das Porträt einer Frau zu sehen war. Sie betrachtete die Person lange, als die Tür aufging und seine Sekretärin verblüfft in der Tür stehen blieb.

„Was machen Sie da?“

„Oh … eine Akte“, versuchte sie zu lächeln.

„Sie stellen sofort das Bild von Frau Doktor hin und verschwinden. Das werde ich melden. Was fällt Ihnen ein, solche Unordnung zu fabrizieren.“

„Ich benötigte wie gesagt eine Akte, aber in diesem Sauhaufen findet man nichts“, knallte sie den Bilderrahmen auf das Regalbrett, allerdings so, dass er herunterfiel und das Glas zersprang.

„Ist etwas kaputt gegangen“, eilte sie an der Frau vorbei und erst auf Toilette lehnte sie sich an die Wand, da ihr das peinlich war.

Eine Stunde später war diese Eskapade in der ganzen Abteilung Gesprächsthema und kurz vor Feierabend brachte ihr eine der Angestellten einen Brief, dessen Erhalt sie unterschreiben musste. Sie ahnte, dass es nichts Gutes war.

Sie legte ihn in die Handtasche, klopfte wenig später an - nichts. Sie öffnete die Tür zu seinem Vorzimmer, sah bereits die nur angelehnte Tür zu seinem Büro. Alles war ruhig. Sie schlich leise näher, lugte durch den Spalt. Interessant dachte sie, da durchsucht die nette Astrid also systematisch sein Büro. Sie beobachtete sie noch einen Moment, bevor sie leise den Raum verließ.

Mist, nun konnte sie wieder nicht mit ihm sprechen.

Zu Hause angekommen öffnete sie den Brief. Es war die Bestätigung Ihrer Kündigung zum 31. März. Daneben erhielt sie eine weitere Abmahnung und die Mitteilung, dass man sie anzeigen werde.

Sie schickte Arvid ins Bett, telefonierte und fuhr anschießend nochmals zum Klinikum, da Nils im Hause war, wie man ihr mitteilte. Sie musste mit ihm sprechen, damit er Arvid nicht mehr traf. Sie würde wegziehen, so wie sie es wollten. Sie hatte verloren, das wusste sie. Nun sollte man den Jungen nicht noch in dieses miese Spiel mit einbeziehen.

~~~

Eike Klaasen fluchte leise, als sein Telefon klingelte. Er nahm Torben auf den Arm, hielt sein Handy ans Ohr und lauschte Martin. Der knapp 3-monatige Junge patschte in seinem Gesicht herum und er verkniff sich ein lautes Lachen.

„Martin, ich komme. Rufe bitte Rolf an. Bis gleich.“

Er steckte das Handy in seine Hosentasche. „So, wir beide gehen zu Oma und Opa, da ich wegmuss.“ Er schaute seinen Pflegesohn an, der versuchte, irgendetwas mit seinen kleinen Händchen zu ergattern. Er bückte sich, reichte ihm sein Lieblingsstofftier und brachte Torben zu seinen Eltern.

„Im Krankenhaus haben sie eine tote Ärztin und eine verletzte Schwester gefunden. Er ist satt und sauber.“

Sein Vater nahm ihn den Lütten ab. „Spielen wir ein paar Minuten, bevor es schlafen geht. Papa muss Geld verdienen.“

„Danke.“ Er gab seiner Mutter einen Kuss, streichelte das Baby und verschwand, holte Jacke, Autoschlüssel und fuhr zum Klinikum, wo er bereits Rolfs Auto vor dem Portal parken sah.

„Moin.“

„Komm mit, ist am Hintereingang.“

„Was ist da passiert?“

„Zwei Reinigungskräfte erschienen zur Arbeit und fanden die Ärztin tot vor. Eine der Schwestern saß auf der Treppe. Sie haben Alarm geschlagen, aber als zwei Ärzte die junge Frau untersuchten, konnten sie nur deren Tod feststellen. Einer der Ärzte ist übrigens dein Bruder.“

„Was machte er um diese Uhrzeit hier?“

„Frage ihn.“

Er öffnete die Tür und sah bereits überall Menschen.

„Gehen Sie bitte auf Ihre Stationen zurück, außer den Personen, die Sachdienliches aussagen können. Fassen Sie bitte nichts an, da Sie Spuren verwischen. Martin, nimm von allen die Personalien auf, die herum stehen und gaffen“, brummte er böse. „Daneben benötigen wir von allen die Fingerabdrücke. Danke.“

Er betrachte die Tote, die merkwürdig gekrümmt am Ende der Treppe lag. Eine Blutlache hatte sich unter ihr gebildet.

„Wer ist sie?“, wandte er sich an seinen Bruder.

„Isa Scheller, sie arbeitete auf der Intensivstation als Ärztin.“

„Sie ist meine Verlobte“, brachte ein Mann stockend heraus.

Eike blickte die Treppe hoch. „Wer sind Sie?“

„Doktor Helmut Weinrich. Ich arbeite auf der gleichen Station.“

Eike hockte sich neben der Frau nieder, fotografierte das Opfer, bevor er sie leicht drehte. „Fraktur des ersten Halswirbels, vermute ich. Das hat unmittelbar zum Tod geführt.“

„Woher wissen Sie das?“, erkundigte sich ein Mann in seinem Rücken und er schaute auf.

„Nils? Was machst du denn hier?“

„Ich bin der Leiter der Intensivstation. Dich erreicht man ja nie“, grinste der.

„Mensch, fein, dass du wieder zurück bist. Hatte sie Dienst?“

„Ja.“

„Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?“

„Kurz vor sechs. Wir hatten Besprechung und sie musste früher gehen, da ein heute operierter Patient Schmerzen hatte.“

„Mein Kollege erzählte von einer Schwester. Wo ist sie?“

„Sie hat eine Schürfwunde und wird gerade verarztet. Bettina Nielsen.“

„Arbeitet sie ebenfalls auf deiner Station?“

„Ja, allerdings hat sie seit sechzehn Uhr Feierabend und ich weiß nicht, was sie noch hier wollte. Oben stehen die Schwestern, eventuell weiß eine von ihnen mehr.“

„Eike, brauchst du mich noch, da ich nach Hause möchte.“

Er drehte sich zu seinem Bruder um. „Nein, fahre oder war etwas Besonderes?“

„Nichts, aber deine Diagnose stimmt vermutlich.“

Doktor Fiedler erschien und untersuchte die Tote oberflächlich, kam zu der identischen Todesursache.

„Sie muss unglücklich die Treppe hinuntergefallen sein.“

„Oder man hat sie gestoßen“, äußerte Helmut Weinrich.

„Doktor Weinrich, wie kommen Sie darauf?“

„Weil man Bettina vorgefunden hat. Sie hasste meine Verlobte.“

„Warum das denn?“

„Wegen Doktor Hermsen. Sie ist wie der Teufel hinter dem Chef her und hat Isa unterstellt, die hätte mit ihm ein Verhältnis.“

„Hatte sie?“

„Snaksch! Sie ist schwanger und wir wollten in zwei Monaten heiraten. Außerdem ist der Chef liiert. Die Nielsen hat jeden Arzt angebaggert, weil sie unbedingt einen Mann zum Heiraten sucht. Herr Klaasen, fragen Sie Ihren Bruder, der kann ein Lied davon singen, wie sie ihn angegraben hat.“

„Einar ist seit Jahren verheiratet.“

„Das hat sie nie davon abgehalten. Sie hatte einige kurze Affären mit verheirateten Ärzten, aber schnell war da Schluss.“

„Doktor Weinrich, das müssen wir genauer aufnehmen. Eventuell wollen Sie zunächst nach Hause. Das muss ein Schock für Sie gewesen sein.“

„Helmut fahre. Morgen bleibe daheim. Denkst du, dass du am Donnerstag bei der OP dabei sein kannst?“

„Ja, die Arbeit wird mich ablenken, aber schaffe mir die Nielsen aus den Augen.“

Eike blickte dem Mann nachdenklich nach. Von einem guten Arbeitsklima konnte man da nicht sprechen.

„Nils, hattest du etwas mit der Toten?“

„Sie wäre nicht mein Typ und ich nicht ihrer gewesen. Gehen wir in mein Büro, falls du kannst, und ich erzähle dir die Geschichte.“

„In einer Stunde etwa. Ich muss mich erst um den Tatort kümmern, falls es einer ist und das Geschehen nicht nur ein Unfall war.“

„Ich habe von allen die Personalien. Zwei der Schwestern haben mir erzählt, dass es zwischen der Toten und der Schwester, die auf der Treppe saß, heftige Streitereien gegeben habe. Außerdem habe Bettina Nielsen, so heißt die Schwester, um diese Uhrzeit hier nichts zu suchen, gehabt.“

„Diese Frau scheint eher unbeliebt zu sein. Fotografieren wir zunächst und nehmen Fingerabdrücke. Doc, was mich interessiert, ob du Hinweise findest, was auf einen Schubs hindeutet. Sie war übrigens schwanger.“

„Mal sehen.“

„Schaut bitte oben am Geländer nach, ob ihr da Anhaltspunkte findet. Sagt mal, fliege ich eine Treppe hinunter, verliere ich da nicht meine Schuhe? Ich will hinunterlaufen, stolpere, behalte trotzdem diese Latschen an?

„Eventuell hat man ihr die danach wieder angezogen?“

„Warum? Nenne mir dafür einen triftigen Grund. Ich finde eine Tote und habe nichts anderes zu tun, als ihr die Schuhe anzuziehen? Dumm Tüch!“

„Lass sie untersuchen, weißt du, ob mehr dahinter steckt? Ah, sie wird abgeholt. Schade um die Deern. Sie sah nüddelich aus.“

„Wird ihr Mann auch denken, zumal sie Nachwuchs erwarteten.“

Eike und Rolf wollten zwei Stunden später mit Bettina Nielsen sprechen, da erfuhren sie, dass diese abgehauen sei. Der Arzt teilte ihnen mit, dass sie nur an dem rechten Knie eine leichte Schürfwunde gehabt habe, sonst nichts. Er reichte ihnen einige Fotos von den Händen, den Ellenbogen, den Knien plus Beine. „Die sind von Ihrem Kollegen.“

„Danke. Hatte sie irgendwo Blut?“

„Nichts. Alles sauber, deswegen die Bilder, die wir fotografierten. Kein Schmutz, keine Schrammen, nichts kaputt. Bettina behauptet, man habe sie ebenfalls geschubst und sie habe nur mehr Glück als Isa gehabt.“

Eike blickte nachdenklich auf die Fotos.

„Das ist eine Steintreppe mit sehr scharfen Metallkanten. Die eine Frau ist bei dem Sturz tot, die andere völlig sauber und unversehrt? Keine Beule am Kopf?“

„Absolut nichts. Mein Kollege und ich haben sie sehr gründlich untersucht. Urplötzlich ist sie aufgesprungen und abgehauen, da sie hörte, dass die Polizei im Hause sei.“

„Das soll sie uns erklären. Den Bericht und die Fotos nehmen wir mit.“

„Sie kannten die Frau Kollegin?“

„Weniger, aber wenn man sich traf, redete man bisweilen kurz. Sie war beliebt, besonders bei den Patienten. Gerade vor einer Woche gab es eine kleine Feier, da Helmut und sie Nachwuchs erwarteten, eine Heirat anstand. Sie wollte in der Babypause ihre Doktorarbeit fertigstellen.“

„Frau Nielsen?“

„Eher unbeliebt, aber stark motiviert, was die Ärzteschaft betraf. Sie lebte nach dem Klischee, jeder Arzt fängt eine Affäre mit einer Schwester an. Bei einigen Ärzten hatte sie da kurzfristig Glück.“

„Gehören Sie dazu, Doktor Lehmann?“

„Nein, aber einer meiner Kollegen. Er war damals ledig und das war seine Sache, zumal sie nicht in der gleichen Abteilung arbeiteten. Nur nach drei Wochen wollte sie heiraten und er sagte, Nein, danke. Sie tobte nachfolgend bei uns im Flur herum, danach war Ruhe.“

„Geben Sie uns bitte den Namen des Kollegen, falls wir da Fragen haben.“

An der Treppe machten sie abermals Halt und Eike strich mit den Fingerspitzen über einige Stufen.

„Sieh dir den Schmutz an. Da hat diese ‚Krankenschwester nichts an ihrer Kleidung gehabt? Das soll sie uns erklären. Wir fahren zu der Frau. Die Ärzte und Schwestern können wir morgen vernehmen.“

Sie hielten vor dem Haus von Bettina Nielsen, klingelten, warteten, aber niemand öffnete. Das Spiel wiederholten sie dreimal, dann reichte es Eike. Er griff zum Telefon und rief einen Schlüsseldienst an, damit man ihnen die Tür öffnete.

Sie warteten, umrundeten das Haus, sahen hinter einer der Jalousien Licht. Rolf klopfte mehrmals dagegen, aber nichts geschah.

„Machen Sie auf, Kriminalpolizei“, rief er. Keine Reaktion.

Vorn an der Haustür klingelte man abermals und schließlich öffnete ein Junge.

„Ja, was wollen sie?“

„Du bist Arvid, nicht wahr? Wir wollten zu deiner Mama.“

„Die badet, hat Musik laut an.“

Eike sagte dem Schlüsseldienst ab, bevor sie das Haus betraten.

„Da hinten ist das Bad. Ich bin davon wach geworden.“

„Leg dich wieder hin. Wir wollen nur kurz mit ihr reden.“

„Was hat sie denn gemacht?“

„Nichts weiter. Arvid, wann ist sie vorhin weggegangen?“

„Wieso, war sie weg?“

„Wann musst du denn ins Bett?“

„Um sechs, sonst meckert sie. Alles ist seit ein paar Wochen anders, auch Mama.“

„Das ist aber sehr früh.“

„Alle dürfen abends Fernsehen gucken, nur ich nicht mehr. Tschüss.“

Eike klopfte an die Tür, aber nichts. Er riss die auf, sah die Frau in der Wanne liegen, wie sie leise zu der Musik sang.

„Frau Nielsen, Kriminalpolizei“, sagte er laut und sie erschrak, schaute ihn groß an. Rolf drehte das Radio leiser, musterte die Flasche Champagner, zeigte sie Eike.

„Raus hier!“, kreischte sie. „Was fällt Ihnen ein? Wie kommen Sie in mein Haus?“

„Kriminalpolizei. Ziehen Sie sich an, da wir Sie mitnehmen werden. So nicht! Verstanden? Sie entfernen sich unerlaubt von einem Tatort, feiern anscheinend den Tod einer Ärztin und werden unverschämt. Wo liegen die Sachen, die Sie heute getragen haben?“

„Raus hier, aber sofort. Bekloppte Idioten“

Die beiden Männer guckten sich in dem kleinen Haus um, warteten, bis sie erschien.

„Nobel. Die Frau muss viel Geld haben, wie es aussieht“, stellte er in der Küche fest.

Bettina betrat den Raum. „Setzen Sie sich bitte. Entschuldigung, aber ich wusste nicht, dass die Polizei mich sprechen will.“

„Hat man Ihnen mehrmals gesagt, ergo lügen Sie nicht“, meckerte Eike. „Wo sind die Kleidungsstücke, die Sie heute getragen haben?“

„Oh, die habe ich in die Waschmaschine getan, weil die schmutzig waren, Herr Kommissar“, lächelte sie Eike an, der Rolf zunickte und der verschwand.

„Das heißt, Sie haben eben die Sachen in die Waschmaschine gelegt, obwohl Sie wussten, dass wir diese benötigen? Sehr aufschlussreich. Das ist ein Straftatbestand, da Sie damit Beweismaterial vernichtet haben.“

„Das war vorher.“

„Nein, die Waschmaschine war leer und da lag nichts. Sie lügen und das bei einer Aussage.“ Er zog sein Handy heraus. „Martin, kommt bitte her, wir haben eine Festnahme.“ Er nannte die Adresse und steckte das Telefon in die Hosentasche zurück.

„Sie spinnen ja“, lächelte sie gekünstelt. „Ich muss mich erholen und will meine Ruhe haben. Begreifen Sie nicht, man wollte mich ermorden, so wie Frau Scheller.“

„Der Schiet ist nass“, erschien Rolf.

„Martin kommt gleich, da legen wir das in einen großen Beutel. Welche Schuhe trugen Sie?“

„Meine braunen Stiefel.“

„Bitte geben Sie die dem Kollegen.“

Eike schaute sich in dem Wohnzimmer um. Hier standen fast nur ältere Möbel. Der krasse Gegensatz zu der Küche. Der Fernseher musste mindestens zwanzig Jahre auf dem Buckel haben. Das Telefon noch ein uraltes Modell und … Er hörte ein leises „Pssst.“

Er drehte sich um und sah den Jungen, der ihm zuwinkte. Er ging eilig hin, betrat dessen Zimmer und schloss die Tür. „Mama lügt, sie hatte die Schwarzen an.“

„Woher weißt du das?“

„Petzt du aber nicht oder?“

„Nein.“

„Ich war wach, als sie wegfuhr. Ich bin aufgestanden, habe etwas getrunken und da lagen die braunen Stiefel so komisch im Flur.“

„Arvid, da bist du dir sicher?“

„Ja, sie hatte die Schwarzen an.“

„Gibst du mir die Telefonnummer deines Vaters?“

„Warum? Was wollen Sie von dem?“

„Wir müssen deine Mama mitnehmen und er kann so lange bei dir bleiben.“

„Das darf er nicht, sonst meckert sie. Ich darf ihn nicht sehen und er darf nicht in das Haus kommen. Papa meckert auch. Seit er da ist, ist alles so doof.“

„Warum ist es doof?“

„Er will dauernd, dass ich ihn treffe. Mama weint, meckert neuerdings dauernd mit mir und ich muss abends früher ins Bett. Opa meckerte mit Mama, schickte sie weg und ich musste bleiben. Aber ich gebe dir die Nummer. Da freuen sie sich alle, wenn du Mama mitnimmst“, sagte er leise, unterdrückte die Tränen, schluckte mehrmals, nun rollten sie trotzdem über seine Wangen.

Nachdenklich verließ er den Raum, sah sie sitzen.

„Wo waren Sie?“

„Halten Sie den Mund und kreischen nicht ständig.“

„Hauptkommissar Klaasen, wer ist da?“

„Nils?“

„Sag mal, ist es richtig, dass du der Vater von Arvid Nielsen bist?“ „Komm bitte her. Du musst deinen Sohn bei dir aufnehmen, da wir die Mutter vorläufig festnehmen und in dem Haus eine Durchsuchung vornehmen müssen.“

„Der kommt hier nie rein, eher bringe ich den um. Sie spinnen ja.“

„Komm bitte her, Nils.“

Er steckte das Handy weg. „Frau Nielsen, das nennt man Bedrohung und Beamtenbeleidigung. Haben Sie keinerlei Benehmen? Was sagte das Jugendamt, das ein Junge mit so einer Mutter aufwächst?“ Er betrat nochmals das Kinderzimmer, überhörte das Gekeife der Frau.

„Arvid packe bitte einige Sachen ein und was du in den nächsten Tagen in der Schule benötigst. Dein Vater holt dich ab und du wirst dort für ein paar Tage wohnen.“

„Du kennst meinen Vater, nicht wahr? Wollt ihr deswegen meine Mama wegsperren, damit ich zu dem muss?“

„Nein, Arvid, so ist es gewiss nicht.“

„Doch, weil ihr alle lügt.“ Der Junge griff nach einem Rucksack und steckte Bücher hinein und Eike verließ nach kurzem Zögern den Raum. Im Wohnzimmer sah er, das Rolf der Frau die Hände gefesselt hatte.

„Frau Nielsen, Benehmen Sie sich jetzt?“

„Das ist eine Frechheit. Was wollen Sie von mir?“

„Die Wahrheit hören und nicht nur Märchen.“ Er belehrte sie, setzte sich.

„Ich habe nichts getan, wurde die Treppe hinuntergeschubst. Pia wollte mich ebenfalls umbringen.“

„Wer ist Pia?“

„Pia Strobel, natürlich. Sie hat Isa ermordet, weil sie eifersüchtig ist. Dabei vögelt der Hermsen jede.“

„Ja, hörten wir, deswegen Ihre kurzen Verhältnisse mit zahlreichen Ärzten. Warum sollte Frau Strobel auf Frau Scheller eifersüchtig sein?“

„Weil der Kerl alle Weiber vögelt und schwängert. Beide kriegen ein Kind von dem noblen Chefarzt.“

„Frau Nielsen, Ihnen ist klar, dass man diese Aussage eventuell Verleumdung nennt?“

„Tatsachen. Ich habe es selber gesehen und gehört, was da in seinem Büro vorgeht. So war er immer.“

Martin und Olaf kamen herein.

„Wir benötigen drei große Beutel. Für zwei Paar Stiefel und für nasse Wäsche, da man da fix Beweismaterial beseitigen wollte. Danach könnt ihr sie mitnehmen, und morgen früh, um zehn zur Vernehmung ins Büro bringen. Lasst sie gefesselt, da sie völlig hysterisch reagiert, ausrastet.“

„Das können Sie nicht machen?“

„Wären Sie nicht von einem Tatort weggerannt, hätten Sie nicht nur gelogen, versucht Beweismaterial zu vernichten, Beamte ständig beleidigt, Menschen bedroht, wäre es eventuell nicht nötig gewesen.“

Olaf kam mit den Beuteln herein. „Was?“

„Vorn die schwarzen und die braunen Stiefel, die …“

„Wieso die schwarzen Stiefel? Ich hatte die anderen an.“

„Zeugen sagen anderes aus. Die blaue Jacke und im Bad die Wäsche aus der Waschmaschine. Wir haben Proben von der Treppe, und wenn man daran nichts findet, ist die bisherige Aussage eine weitere Lüge. Gebt das bitte ab. Rolf, gib ihnen unsere Beutel mit. Danke.“

„Es war aber so, wie ich es sage“, weinte sie nun. „Bitte, ich will bei meinem Sohn bleiben. Man wollte mich umbringen.“

„Deswegen haben Sie keinerlei Schrammen, nichts? Wenn jemand diese Treppe herunterfällt, hat er zumindest blaue Flecke, Schürfwunden. Die Kleidung ist schmutzig. War bei Ihnen alles nicht. Sogar die Hände sauber. Keine zerzausten Haare, nichts. Sie haben nicht einmal die Handtasche bei dem Sturz verloren. Hören Sie mit diesen Märchen auf.“

Es klingelte und Nils kam herein. Sofort sprang Bettina auf.

„Hau ab, du gemeiner Kerl. Du willst mir etwas unterjubeln, weil deine Weiber durchdrehen. Seit du da bist, gleicht mein Leben einem Scherbenhaufen.“

Martin fasste sie am Arm. „Es reicht, Frau Nielsen, kommen Sie mit.“

Eike und Nils schauten ihnen nach.

„So geht es Tag für Tag. Sie hat endlich die Kündigung bekommen, da es keiner mehr mit ihr aushält.“

„Alles wegen dir?“

„Nein, die Probleme gab es teilweise früher, nur seit ich da bin, flippt sie anscheinend richtig aus.“

„Reden wir morgen früh. Sagen wir um halb acht?“

„Da habe ich eine Stunde Zeit, da morgen vier Operationen anstehen.“

„Wird reichen. Traust du ihr zu, dass sie eure Ärztin ermordet hat?“

Nils Hermsen überlegte einen Moment. „Ja, als Affekttat. Du hast gehört, wie sie ausrastet.“

„Hast du jemals eine Affäre mit irgendeiner Frau aus dem Klinikum gehabt? Frau Nielsen sprach von einer Pia Strobel.“

„Eine der OP-Schwestern. Sie ist verheiratet und wird in knapp fünf Monaten Mama. Du kennst sie übrigens. Das ist die kleine Pia Segler. Sie wollte früher mit uns ausreiten. Die Tochter …“

„So eine blonde, schmale Deern, die schiefe Zähne hatte und einen Pferdeschwanz trug?“

„Genau sie. Nur die Zähne sind inzwischen gerade, aber den Pferdeschwanz trägt sie bisweilen noch. Ist ´ne nette Deern geworden.“

„Werde ich ja morgen sehen. Kümmere dich um deinen Sohn. Wir werden uns ein wenig umsehen.“

Arvid guckte sich suchend um. „Wo ist Mama?“

„Die ist bereits weggefahren.“

„Ihr seid gemein. Ich durfte ihr nicht Mal tschüss sagen“, kullerten erneut Tränen über dessen Wangen.

Nils Hermsen wollte ihn trösten, aber der Junge schubste ihn weg. „Das wolltet ihr, du, Opa und Carsten doch. Nun ist sie weg, Carsten kriegt das Haus und du mich. Ihr seid gemein“, rannte er hinaus und Nils folgte.

„Einfach hat es der kleine Knirps nicht gerade.“

„Kinder sind immer die Leidtragenden bei solchen Familientragödien. Fangen wir an.“

Sie fanden die Abmahnungen, die Kündigung, den Brief vom Jugendamt.

„Eike, komm her, das musst du gesehen haben“, rief Rolf aus dem Schlafzimmer.

Eike steckte den Brief in den Umschlag zurück.

„Was hast du da?“

„Stapelweise Fotos über den Doktor. Das sind Hunderte, falls das reicht. Daneben zig andere Männer.“

Eike nahm ihm einige ab und schaute die an, blätterte den Stapel oberflächlich durch.

„Frau Nielsen muss den ganzen Abend vor seinen Fenstern herumgelungert haben.“

„Das hat sie bei zig anderen Männern gemacht, selbst von deinem Bruder gibt es solche Nacktaufnahmen.“

„Einar?“

Rolf suchte und reichte ihm einige Fotos. Er schien gerade aus dem Bad zu kommen, war nackt, hielt ein Handtuch in der Hand. Auf anderen Fotos sah man ihn mit Inger, wie sie sich küssten.

„Na, da wird er sich freuen“, schmunzelte Eike. „Die Frau bekommt sofort eine Anzeige. Wen haben wir denn da? Das ist der Mann von der getöteten Ärztin. Doktor Weinrich. Wieso hat sie den ausspioniert?“

„Eventuell hat sie den Mann mit dem Größten gesucht“, grinste Rolf und Eike lachte schallend. „Kann sein. Werden wir sie morgen fragen. Die nehmen wir alle mit. Suchen wir den Fotoapparat dazu und schauen in ihren Computer. Das sind gewiss Digitalaufnahmen, wie die aussehen.“

„Dazu benötigen wir eine Plastiktüte oder einen Karton, so viele sind das.“

„Ich habe einen Einkaufskorb im Auto, hol den und da legen wir das hinein. Da müssen wir forschen, wer die Männer sind. Hier liegt die Kamera.“ Er schaltete die an, probierte zwei Tasten und schaute auf die Fotografien.

„Schau mal, das war gestern Abend. Die Frau muss fast jeden Abend auf Männerbeobachtung gewesen sein. Merkwürdiges Hobby.“

„Vielleicht hat sie sich dabei einen … na ja befriedigt.“

„Das andere können nur Männer, Dösbaddel“, amüsierte sich Eike. „Nehmen wir ebenfalls mit, plus Ladekabel und Anschluss für den PC. Du kümmerst dich um den Computer und ich möchte wissen, wer ihr das finanziert hat.“

Er fand in einem kleinen Raum Ordner. „Rolf, hier steht ein Notebook.“

Er griff nach dem Ordner Bank und schlug den auf. Konto mit überzogenem Dispo. Eingang nur ihr Gehalt und Kindergeld. Er setzte sich auf die Schreibtischkante und blätterte zurück. Da wurden Strom, Wasser, GEZ, Telefon, das Übliche eben und jeden Monat 500 Euro an eine andere Bank abgebucht. Viel übrig blieb da nie. Das musste gerade für den Lebensunterhalt ausreichen.

„Sie muss einen Kredit haben, da sie Ratenzahlung hat. Der Dispo bis zum letzten Cent ausgereizt.“

„Nun weiß man, wie man so eine Küche finanziert.“

„Dafür würde ich keinen Kredit aufnehmen.“

„Für Möbel sowieso nicht. Da warte ich, bis ich es zusammengespart habe. Fängst du damit zunächst an, zahlst du nur noch. Ich glaube, nur für ein Haus würde ich das machen, aber scharf bin ich nicht darauf.“

„Ich kapiere das generell nicht. Da wird auf Pump gekauft und irgendwann ist der Schuldenberg so groß, dass sie nicht mehr herauskommen. Ich hab´s. Wow. 75.000 Euro hat sie aufgenommen. Haus und Grundstück dienen als Sicherheit.“

„Nun hat sie ein großes Problem, da man sie gekündigt hat.“

„Ein immens großes Problem. Ich bezweifle, dass sie als Krankenschwester hier fix einen Job bekommt. Eventuell als Altenpflegerin oder so. Mit Hartz IV kann sie den Schuldenberg nicht abbauen. Wenn ich das überschlage, hat sie inklusive Dispo 60.000 Euro Verbindlichkeiten. Zahlt sie nicht, holen die sich das Haus und das wird zwangsversteigert.“

„Die Schuld schiebt sie dem Opfer zu und dem Chefarzt. Nur den bringt sie natürlich nicht um, den will sie sich angeln. Wieso zahlt der eigentlich keinen Unterhalt?“

„Nils ist vor etwa zwölf Jahren in die Staaten ausgewandert. Erst hieß es nur zum Studium. Arvid muss rechnerisch kurz vor seinem Abflug gezeugt worden sein. Er hat vorhin kurz angedeutet, dass er erst kürzlich davon erfahren hat, aber da fragen wir ihn morgen früh.

„Wow. Guck mal. Die Braut hat 679 Fotos auf dem Rechner. Kein Wunder, das der langsam ist.“

„Wie, Kerle?“

„So fix bin ich nicht. Die Ersten ja.“

„Hat sie Internet?“

„Ja, warum?“

„Gehe in Lesezeichen oder Passwörter. Mich würde interessieren, ob sie die irgendwo veröffentlicht hat. Dann hat sie richtig großen Ärger am Hals.“

Eike ergriff einen weiteren Ordner, blätterte den durch.

„Die Frau hat ´ne Macke. Diese Küche hat 27.400 Euro gekostet. Ich habe kein Geld und gebe solch immense Summe für eine Küche aus? Sie hat Klamotten für sich und den Jungen bestellt. 3.523 Euro. Ein anderes Mal über 4.000 Euro nur für den Jungen. Neues Bett, Wäsche, Klamotten, Rucksack. Diese Frau ist kaufsüchtig oder bekloppt.“

„Sie wollte dem Sohn etwas bieten. Hört man ja öfter. Jetzt kommt das böse Erwachen. Finden tue ich nichts. Die Lesezeichen sind alle für Versandhäuser, Onlineshops, Facebook und zwei Illustrierte. Passwort hat sie für alle dasselbe. Einfallslos. Ich werde kurz die E-Mails checken.“

„Sie scheint keine Versicherungen zu haben. Der Vater hat ihr mehrmals Geld überwiesen, aber das ist Jahre her und immer nur kleinere Beträge. Den Schuldenberg schiebt sie wohl seit Jahren vor sich her.“

„Da haben zwei Kerle geschrieben, sie würden sie gern kennenlernen. Der eine will wissen, was für eine Ärztin sie wäre, da er Urologe sei.“

„Ärztin? Oh Mann, gelogen. Kein Wunder, das da keiner bleibt.“

„Geltungsbedürfnis.“

„Sack ihn ein. Den nehmen wir mit. Nackte Männer, in ihren Wohnungen zu fotografieren, ist strafbar. Machen wir für heute Schluss und treffen uns morgen früh um sieben im Klinikum. Ich werde meinem Bruder die Aktaufnahmen noch zeigen.“

„Ist ja ein netter Anblick, im Gegensatz zu manch anderem.“

„Dösbaddel!“

„Morgen wird die nette Frau Nielsen wohl Butter, bei die Fische geben müssen.“

Eike grinste. Der Spruch gefiel seinem Kollegen zu gut.

Man muss den Schrott ja nicht gucken, es ist generell Sommer und da sitzt man lieber draußen, aber gut sind solche Sendungen: Ein paar Pleitegeier oder Z-Promis kommen wenigstens mal wieder zu Geld. Muss wenigstens der Staat nicht für sie aufkommen und sie bilden sich ein, wie wichtig sie sind. Frau Thomalla macht es anders, sie angelt sich alte Männer mit Geld - auch eine Variante. Man kann sein Geld und „Berühmtheit“ auch beim Sex verdienen. Kann man wenigstens neue Implantate, Extension oder Botox kaufen und schon angelte man sich den nächsten Dummen. Zur Not gibt es ja noch zwanzig andere Sendungen von einem ähnlichen Format oder man tingelt durch Quizshows und stellt seine Dummheit zur Schau. Für Schlagzeilen sorgt man so immer.

Eike parkte den Wagen, schnappte sich einige der Bilder und lief zum Haus seines Bruders, klingelte.

Seine Schwägerin öffnete. „Du bist spät. Wir wollten gerade ins Bett.“

„Dauert nur fünf Minuten. Ich muss Einar etwas zeigen.“

„Er duscht.“

„Gehe ich zu ihm.“

Er ging an ihr vorbei ins Bad, schloss die Tür.

„Komm kurz her“, rief er ihm zu.

„Was ist passiert? Erst muss der Schaum runter. Wegen der Ärztin?“

„Wegen der Schwester. Bei der habe ich Interessantes über dich gefunden“, setzte er sich auf den Badewannenrand.

„Über mich? Kann nicht sein. Die Frau hat mich einige Male blöde angebaggert, dann habe ich ihr gesagt, sie wäre mir zu alt, zu dick und ich hatte meine Ruhe.“

„Ich zeig´s dir ja. Du bist übrigens sehr fotogen“, amüsierte er sich. „Besonders nackt.“