Mörderischer Gardasee - Thomas u.a. (ca. 11 Autoren insg.) Kastura - E-Book

Mörderischer Gardasee E-Book

Thomas u.a. (ca. 11 Autoren insg.) Kastura

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Beschreibung

Am Gardasee blühen Zitronen, aber auch Verbrechen aller Art. Elf Krimiautoren haben rund um den Lieblingssee vieler Italien-Urlauber gemordet, gestohlen, betrogen - und sich verliebt. Was hat „Die Zeugin“ an einem Pool in Torbole bemerkt, das besser geheim geblieben wäre? Wie süß kann ein Auftragsmord in Salò werden, wenn Täter und Opfer beide Eiscreme mögen? Jede Geschichte spielt in einer anderen Ortschaft oder Region und enthält zahlreiche Tipps fürs Dolce Vita.

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Thomas Kastura (Hrsg.)

Mörderischer Gardasee

11 Krimis und 136 Freizeittipps

Zum Buch

Morde und Amore Der Gardasee – Sehnsuchtsort im sonnigen Süden, Perle der Alpen, Touristenmagnet, Lieblingssee vieler Italien-Urlauber und inspirierend für Schriftsteller vom Altertum bis heute. Elf Krimiautoren haben die Koffer gepackt und sich gut umgesehen im Land, wo die Zitronen blühn. Was hat »Die Zeugin« an einem Pool in Torbole bemerkt, das besser geheim geblieben wäre? Wie süß kann ein Auftragsmord in Salò werden, wenn der Killer und seine Zielperson beide Eiscreme lieben? Wer ist »Lady Chatterleys letzter Liebhaber« und was hat er Düsteres in Gargnano vor? Die Geschichten nehmen den Leser mit auf eine Reise rund um Gardasee, jede spielt in einer anderen Ortschaft oder Region – und enthält zahlreiche Freizeittipps. Vergnügen und Verbrechen zwischen Riva und Sirmione, Limone und Bardolino.

Die Autoren: Richard Birkefeld, Angela Eßer, Sabine Fink, Uta-Maria Heim, Thomas Kastura, Michael Kibler, Tessa Korber, Beatrix Mannel, Günter Neuwirth, Manuela Obermeier, Friederike Schmöe.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © xbrchx / fotolia.com

ISBN 978-3-8392-5954-2

Sabine Fink

Der Schnüffler und die verlorene Tochter

Limone

Wenn ich mich auf dieses Niveau herabließe, würde ich vermutlich irgendwann auf Öl stoßen.

Es kostet mich wirklich Überwindung, nicht die Melodie des 50er-Jahre-Schlagers »Am blauen Gardasee« zu summen, nur weil das Gewässer zwischen den Tunneln am linken Fahrbahnrand immer wieder auftaucht.

Woher zum Teufel kenne ich die Schnulze eigentlich?

Der Wohnwagen vor mir kriecht die schmale Straße am Westufer des Sees entlang. Ich brauche dringend Ablenkung. Vor meinem geistigen Auge erscheint eine Kneipe am Alter Markt, in der ich mir ein Kölsch als Belohnung für einen in neuer Rekordzeit gelösten Fall gönne. Den nächsten Klienten, der meine investigativen Fähigkeiten dringend benötigt, schon am Telefon, versteht sich.

Ich seufze inbrünstig.

»Wir sind gleich da, Darling«, informiert mich Georgina und rückt ihre schlanken Glieder im Sitz zurecht.

Ich gebe lediglich ein unbestimmtes Brummen von mir.

Den Verkehr auf der Strecke zähfließend zu nennen, käme einer Untertreibung gleich, denn anstatt sechs, sind wir nun schon fast acht Stunden unterwegs. Am Morgen sind wir im mittelfränkischen Langenzenn aufgebrochen, nachdem wir einer herzlichen Einladung vom Tod gefolgt waren. Er ist ein wirklich netter Kerl, mit dem ich mal auf der Kirchweih des beschaulichen Städtchens einen Mord aufgeklärt habe.

Ich unterdrücke ein Gähnen und erlaube mir, die A3 zu vermissen, auf der ich mit meinem BMW ein Dauerabo auf die linke Spur habe.

Gemächlich tuckert das Gespann durch den nächsten Tunnel.

Ungezählte weiße Tupfen aller Arten von Segeln heben sich malerisch vom blauen Seewasser ab.

Am blauen Gardasee …

In besagtem Schlager waren es allerdings Fischerboote, die allabendlich hinausfuhren, um durch die Fluten des Sees zu ziehen, und der Sänger konnte sich ganz der schönsten Träumerei und einem süßen Rendezvous mit Angelina piccolina hingeben.

Am blauen Gardasee … ach verdammt!

Jetzt habe ich einen Ohrwurm. Ich tippe mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Ohne mich anzusehen langt Georgina herüber und lässt ihre Hand an der Innenseite meines Oberschenkels entlanggleiten.

»Übermorgen fahren wir nach Pieve«, sagt Georgina, den Blick festgeklebt am Handybildschirm.

Mit gerunzelter Stirn sehe ich sie an. »So?«

»Wie James Bond über die Strada della Forra 1. Du wirst sie mögen.«

Georginas Blick geht als sardonisch durch, doch momentan will ich gar nicht wissen, warum.

Der Wohnwagenfahrer schaltet noch einen Gang runter.

Ich seufze, bis sich meine Bauchdecke weit nach außen wölbt. Mein Arzt meint, ich soll das tun, wenn ich spüre, dass ich ungeduldig werde. Es sei gut für meinen Blutdruck. Doch statt Entspannung fühle ich unangenehme Spannung an der Knopfleiste meines Hemdes. Dabei versichert mir meine Reinigung stets, die Hemden würden keinesfalls einlaufen! Schnell lasse ich die Luft wieder raus.

»Warum nicht schon morgen diese Strada della Forra?«, erkundige ich mich.

Wegen eines Tunnels schiebt Georgina die Sonnenbrille von ihrer wohlgeformten Nase auf ihre blonden Haare. »Weil wir morgen schon etwas anderes vorhaben«, schnurrt sie und tätschelt meinen Bauch.

Mir fällt unwillkürlich der unsägliche Geschmack des Karlsbader Quellwassers ein, das ich mir nach der Lösung unseres Falls dort in Tschechien einverleiben musste, weil Georgina das zuträglich für meine Gesundheit hielt. Allein bei dem Gedanken daran schüttelt es mich.

»Jetzt links!«, kommandiert Georgina plötzlich.

Reflexartig gehorche ich und biege unmittelbar vor einem hupenden Fiat ab.

»Und nun?«, frage ich, nachdem ich neben einem unspektakulären, einstöckigen Bau zum Stehen gekommen bin. Unser Ziel Limone liegt augenscheinlich erst hinter dem nächsten Tunnel, außerdem erschließt sich mir nicht, warum dieses bungalowartige Gebäude mit dem großartigen Namen »Hotel Splendid Palace« vier Sterne haben soll.

Georginas perfekt manikürter Fingernagel pendelt in der Luft, als sie auf den Eingang zur Rezeption zeigt. »Wir können nicht direkt zum Hotel Palme, weil das mitten in der Altstadt von Limone 2 liegt. Wir parken hier. Von diesem Hotel aus werden wir mit dem Bus hingefahren.«

Im Inneren der Hotellobby überkommt mich eine Erleuchtung: Anstatt wie üblich in die Höhe erstreckt sich dieses Hotel mehrere Etagen nach unten in Richtung Seeufer. An einer Steilküste ergibt das natürlich Sinn, denke ich, während ich stehen bleibe, um durch die gegenüberliegenden Panorama­scheiben die Aussicht auf den See zu bewundern.

Am blauen … ach verdammt!

Inzwischen hat Georgina die Rezeption fast erreicht, als sich ein untersetzter Mann mittleren Alters an ihr vorbeidrängt.

»Lass mich mal durch, Schätzchen«, sagt er mit einem Grinsen, das genauso schmierig ist wie seine Haare.

Ich ziehe scharf die Luft ein und setze mich vorsichtshalber in Bewegung. Ganz schlechte Idee, mein Guter!

Georgina tippt ihn von hinten an.

»Ich war zuerst da, Schätzchen«, knurrt er, während er sich nicht einmal umdreht, sondern ungeduldig nach dem Concierge schnippst, der gerade telefoniert.

Mit einem Schritt ist Georgina neben dem Dicken, fasst ihn mit ihrer Rechten in Höhe seines Ellbogens. Ihr Daumen drückt von innen in die Armbeuge, der Zeigefinger hält von außen dagegen. Diesmal ist es der Dicke, der scharf Luft holt und sein Gesicht zu einer Grimasse verzieht. Gezielt üben Georginas Daumen und Zeigefinger genau so viel Druck auf die Nerven aus, dass er nachgibt und zwei Schritte zurückgeht.

»Ladies first«, sagt sie mit ihrem süßesten Lächeln und wendet sich übergangslos an den Concierge, der gerade sein Gespräch beendet hat.

Mit einem warnenden Blick an den Dicken schiebe ich mich zwischen Georgina und ihn. Er gibt einen abfälligen Laut von sich und zieht sich mit verkniffenem Gesichtsausdruck zu einem Sofa zurück, auf dem eine brünette Frau sitzt. Auf ihrem Schoß ein Baby. Blass und verhärmt wiegt die Frau höchstens halb so viel wie er und starrt mit halb geöffnetem Mund Georgina an. Der Mann weist die Brünette barsch zurecht, worauf sie zusammenzuckt und vor sich auf den Boden starrt.

Als wir schließlich die Lobby verlassen, um das Auto zu parken und unser Gepäck zu holen, geht der Dicke zur Rezeption. Dabei wirft er Georgina einen grimmigen Blick zu. Georgina kontert mit einem, der kochendes Wasser auf der Stelle zu Eis erstarren lassen würde. Der Frau, die das unruhig gewordene Baby umherträgt, huscht ein kaum sichtbares Lächeln über die Lippen.

*

Italien! O sole mio …

Schnell konzentriere ich mich auf den regen Betrieb am Fähranleger 3 direkt neben der Hotelterrasse, auf der wir bei strahlendem Sonnenschein gerade unser Frühstück genießen. Es hat mich gestern intensive Ablenkung und beinahe den ganzen Abend gekostet, um diesen verflixten Ohrwurm wieder loszuwerden, ich brauche keinen neuen!

Am blauen Gardasee … Ja, der alte tut es auch.

Ich beschließe, mir einen weiteren Cappuccino zu holen. Georgina stützt ihr Kinn auf die verschränkten Hände und sieht mich an.

Mir schwant Übles. Dabei plätschert das Seewasser so unsagbar friedlich gleich neben der Terrasse.

»Du hattest schon drei«, bemerkt Georgina.

Manchmal glaube ich, sie kann Gedanken lesen. Ich beuge mich vor und ergreife ihre Hand.

»Darling, wir haben Urlaub. Sollten wir den nicht in erster Linie … genießen?« Ich hebe einen Mundwinkel, um sie ganz subtil auf meine Pläne nach dem Frühstück aufmerksam zu machen, die mit Sicherheit einen längeren Aufenthalt auf unserem Zimmer einschließen.

Eine ihrer wohlgezupften Augenbrauen hat Aufwärts­tendenz. »Nachher.«

Ich bewahre ein Pokerface, während mir wieder einfällt, dass sie bereits gestern erwähnte, sie habe Pläne für heute. Wahrscheinlich war es ein Fehler, sich nicht erkundigt zu haben, worum genau es sich dabei handelt, um geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.

»Wir können auch jetzt gleich …«, säusele ich daher, während ich einen Kuss auf ihre Handfläche hauche. Mir würde schon etwas einfallen, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Ich muss nur etwas Zeit gewinnen. »Lass uns erst aufs Zimmer gehen.«

Ihr Blick richtet sich mit einer durchaus angenehmen Mischung aus Spekulation, Wohlbehagen und Herausforderung auf mich. Sie zieht meine Hand zu sich und beginnt sachte an meinen Fingerspitzen zu knabbern. Den angedachten Cappuccino verschiebe ich auf später und beglückwünsche mich. Ich gebe ein zufriedenes Brummen von mir.

»Gute Idee«, haucht sie. »Ich brauche nämlich andere Schuhe.« Sie lässt meine Hand los und lehnt sich zurück. Graziös schlägt sie ihre Beine übereinander, die in Sandaletten stecken, deren Absätze sowieso niedriger und dicker sind als für sie üblich und eigentlich bestens geeignet für einen Bummel durch die unebenen Straßen der Stadt.

Ich hadere noch damit, mich zu erkundigen, wofür genau sie andere Schuhe braucht, als sie mit einer Handbewegung, als verscheuche sie eine lästige Fliege, erklärt: »Für den Sentiero del Sole – der Weg in die Sonne 4. Und du solltest dir auch vernünftigere anziehen.« Vielsagend blickt sie zuerst auf meine glattbesohlten und polierten Schnürschuhe, dann auf mein restliches Outfit. Hemd und Tuchhose erscheinen ihr wohl unpassend, obwohl der Name des Weges eigentlich recht harmlos klingt. Eigentlich.

Georgina lächelt hintergründig. »Oder hast du einen anderen Vorschlag?«

Bevor ich jedoch in die Verlegenheit gerate, mich nach den Modalitäten dieses »Sentiero« zu erkundigen, um zu dieser Frage wirklich Stellung beziehen zu können, ertönt neben uns ein leises Räuspern.

Die brünette Frau mit dem Baby steht vor uns. Das Kind steckt in einem Tragerucksack vor ihrer Brust und gibt lallende Laute von sich.

»Hallo«, sagt die Frau leise. Ihr Blick ruht nie länger als eine Sekunde auf einem Punkt.

»Niemand da, der uns stören könnte«, antworte ich nur zwei Sekunden später, denn aus reiner Gewohnheit scanne ich bereits die Gegend nach ihrem unfreundlichen Gatten.

Sie nickt kaum wahrnehmbar. Ihre Hände streicheln ganz zart den Rücken des Babys, das offensichtlich sehr zufrieden mit seiner Position im Tragesack ist.

Die Frau macht einen Schritt, als wolle sie plötzlich doch wieder gehen, hält inne und strafft ihren Rücken. »Würden Sie eine Weile auf Mila aufpassen?«, fragt sie mit dünner Stimme.

Ich kratze mich am Ohr. »Ähm, ja … sicher«, antworte ich gedehnt, obwohl ich mir alles andere als sicher bin. »Darf ich fragen, warum?«

»Ich … muss etwas erledigen.«

Georgina mustert die Frau, die mit zitternden Fingern die Schnallen des Babyrucksacks löst und das Mädchen herausholt. Sie drückt der Kleinen einen Kuss auf die Stirn und reicht sie Georgina.

Während meine Freundin das Mädchen unter den Achseln aufrecht von sich weg hält und ratlos scheint, was genau sie damit anstellen soll, hat die Frau schon den Babyrucksack sowie eine große Umhängetasche auf einem freien Stuhl deponiert.

»Wie heißen Sie?«, frage ich. »Und vielleicht lassen Sie uns besser Ihre Telefonnummer da.«

Die Frau presst kurz ihre Hand auf den Mund, dann eilt sie ohne ein weiteres Wort im Laufschritt von der Terrasse.

Die kleine Mila grinst Georgina an, gluckst zufrieden und kaut auf ihrer Faust herum. Mit unbewegter Miene setzt Georgina die Kleine auf ihren Schoß. Wir schauen uns an.

»Darling …«, sagt Georgina in einem Tonfall, der höchste Alarmbereitschaft signalisiert.

Was auch immer sie gerade sagen will, muss warten. »Bleib hier!«

Schon bin ich auf den Beinen und sprinte der Frau nach. Auf der kleinen Piazza Garibaldi, auf die man von der Terrasse aus gelangt, schaue ich nach rechts und links, doch die Frau ist nirgends mehr zu sehen. Da sie mit ihrem Mann im Hotel Splendid Palace wohnt, wende ich mich nach rechts, in ebenjene Richtung. Gleich hinter dem Hotel gabelt sich die Straße, und ich entschließe mich, zuerst am Bootsanleger zu schauen. Nichts. Ich nehme den anderen Weg, der sich nach wenigen Metern wieder teilt. Ich fluche. Dieses Gewirr an Gassen, die ich noch nicht einmal kenne, macht eine Verfolgung ziemlich schwierig. Unentschlossen bleibe ich stehen und streiche über meinen Kopf. Ich schaue hinauf zum wolkenlosen blauen Himmel und denke an meinen Fedora, den ich zum Frühstück auf dem Zimmer gelassen habe. Vielleicht sollte ich ihn holen, bevor ich einen Sonnenbrand kriege. Doch bevor ich mich dazu durchringe, auf die Terrasse zurückzukehren, tippt mich jemand auf die Schulter. Ich wirble herum.

Mit leicht säuerlicher Miene hält mir Georgina Babyrucksack samt Umhängetasche hin. Mit ihrem linken Arm stützt sie Mila, die sie wie einen Wäschekorb auf ihre Hüfte geklemmt hat – nicht, dass ich Georgina schon jemals mit einem Wäschekorb gesehen hätte.

»Zieh an.«

»Was?«

Georgina verdreht die Augen. »Den Tragesack. Oder glaubst du, ich schleppe die Kleine jetzt die ganze Zeit so herum?«

Mila nörgelt, windet sich gefährlich in Georginas Griff und schiebt zu allem Überfluss auch noch eine Unterlippe vor. Ich fürchte, das bedeutet nichts Gutes. Ich nehme Babyrucksack und Umhängetasche.

»Wir müssen die Mutter suchen«, sage ich überflüssigerweise.

»Natürlich müssen wir das«, erwidert Georgina in einem Tonfall, der mich spontan an den eines ungeduldigen Kindermädchens erinnert. Sie braucht jetzt beide Hände, um Mila daran zu hindern, herunterzufallen.

»Vielleicht nimmst du besser den Trage…«, beginne ich, verstumme allerdings, als Georginas Augen sich zu Schlitzen verengen.

Sie schaukelt Mila, als würde sie einen Cocktail schwenken, und gibt dabei Laute von sich, die möglicherweise beruhigend klingen sollen. Milas Wimmern wird nur wenig leiser.

Seufzend stelle ich die Umhängetasche ab und versuche, aus dem System der Trageriemen schlau zu werden. Nachdem ich es endlich geschafft habe und Mila vor meiner Brust verstaut habe, bemächtigt sich Georgina der Umhängetasche und marschiert los. Allerdings hat sie weder Altstadt noch Hotel im Auge, sondern hält zielstrebig auf ein kleines Kirchlein zu, das etwas oberhalb der Straße liegt. Mein gleichmäßiger Schritt scheint Mila zu gefallen, denn sie stellt das Wimmern wieder ein und tritt mir stattdessen munter mit ihren strammen Beinchen seitlich in den Bauch. Ich halte ihre Füße fest.

»Was machen wir denn hier?«, frage ich, während wir die Stufen hochsteigen.

»Das ist die Kirche San Rocco 5 «, informiert mich Georgina, die wahrscheinlich die gestrige Autofahrt dazu genutzt hat, nicht nur Google Maps zu inhalieren, sondern sämtliche Informationen über Limone auswendig zu lernen.

Statt mit den Beinen hat Mila nun angefangen mit den Armen zu rudern. »Aha«, antworte ich, während ich versuche, mein Gesicht vor ihren Händchen in Sicherheit zu bringen.

Durch die Doppelflügeltür betreten wir das mittelalterliche Kirchlein. Niemand sonst befindet sich im Innern, daher ist es wohl ein guter Platz, um erst einmal in Ruhe die Fakten zusammenzutragen. Da ich durch Mila gehandicapt bin, übernimmt Georgina den Part, die Umhängetasche gründlich zu durchsuchen. Sie enthält eine Art Survivalpack, bestehend aus einer Thermoskanne mit heißem Wasser, drei mit Pulver gefüllten und einem dicken Edding-Strich versehenen Fläschchen , der wahrscheinlich die Füllhöhe des Wassers anzeigen soll, einer kleinen Flasche mit Fencheltee, zwei Obstgläschen sowie Windeln und Feuchttüchern. Keine Telefonnummer, kein Name. Nichts.

»Die Frau kommt nicht zurück«, stellt Georgina fest.

Mila wedelt immer noch mit ihren Armen. »Gaaaaaa«, macht sie, sabbert ihre Faust an und streckt sie mir dann entgegen. Ich ziehe mein Gesicht so weit wie möglich zurück. Die kleine Hand öffnet sich und reckt sich mir so weit wie möglich entgegen.

»Oh«, sage ich und nehme ihre Hand. »Sieh mal.«

Ein halb verwischter schwarzer Punkt, der bei genauerem Hinsehen weder Dreck noch Leberfleck ist, sondern mit Filzstift aufgemalt wurde, prangt in der kleinen Handfläche.

»Black Dot Campaign«, sagt Georgina düster.

Eine Initiative für Opfer häuslicher Gewalt, denke ich. Sich einen schwarzen Punkt auf die Handfläche zu malen, ist so etwas wie ein stummer Hilferuf misshandelter Frauen. Ich atme tief durch.

»Wir müssen ihre Mutter finden«, erklärt Georgina. »Und … ihn!« Das Wort spuckt sie fast aus.

Ersterem stimme ich vorbehaltlos zu. Das Zweite würde ich lieber mithilfe der Polizei lösen. Vorzugsweise der deutschen. Ich behalte das jedoch für mich und beschließe, Georgina später davon zu überzeugen.

»Wir finden zuerst ihre Mutter«, sage ich bestimmt.

Georgina braucht volle fünf Sekunden, bis sie nickt. Dann packt sie die Umhängetasche wieder ein und marschiert Richtung Tür. Ich folge.

Zunächst versuchen wir es am Hotel. Das heißt, Georgina muss leider allein dorthin, denn mit Mila vor der Brust wäre es zu auffällig. Ich warte im Schatten der Zitronenbäume der Limonaia 6 unterhalb des Hotels und summe Mila leise etwas vor.

Am blauen Gardasee …

Der Kleinen gefällt es offenbar. Oberhalb des Niveaus wurde wohl gerade eine Kellerwohnung frei. Als Georgina zurückkommt, berichtet sie, dass sie den Dicken am Pool gesehen hat, von Milas Mutter jedoch keine Spur. Insgeheim bin ich erleichtert, dass Georgina wieder da ist und der Dicke noch unversehrt.

Die nächste Zeit verbringen wir also damit, kreuz und quer durch die Gassen der Altstadt zu laufen und Ausschau nach Milas Mutter zu halten. Obwohl Georgina nahelegt, dass uns aufzuteilen sinnvoller wäre, lehne ich das ab mit dem Hinweis, ich sei mit der Babytrage womöglich eingeschränkt handlungsfähig. Das stimmt natürlich nur halb, aber ich habe Georgina lieber in meiner Nähe.

Wir schlendern umher wie Touristen, bummeln durch zahlreiche kleine Frattorien mit den allgegenwärtigen Zitronenprodukten. Den Kitsch finde ich weniger interessant und einen Limoncello zu trinken, muss ich leider auf später verschieben. Mila döst streckenweise vor sich hin, ihre Mutter bleibt verschwunden.

»Wir sollten Olivenöl 7 mitnehmen«, sagt Georgina, während sie eine der Flaschen mustert, die neben dem Öl offensichtlich auch Kräuter enthält. »Tut deiner Verdauung sicher gut.«

Ich rümpfe die Nase. »Immerhin schmeckt es besser als Wasser aus Karlsbad.«

Georgina enthält sich einer Antwort.

Nachdem wir zum wiederholten Male am Porto Vecchio gelandet sind, in dem farbenfrohe Fischerboote dümpeln, zupft sie mich plötzlich am Ärmel. Der Dicke stapft mit großen Schritten am Hafenbecken vorbei. In sicherem Abstand folgen wir ihm: die Strandpromenade entlang bis zum Parkplatz und schließlich die Via Lungolago hinauf. Dort überquert er die Gardesana und marschiert schnurstracks in den Parco Villa Boghi 8.

»Was will er bloß hier?«, wundere ich mich und verlangsame meinen Schritt. Im Park ist die Sicht relativ unverstellt, daher müssen wir gut aufpassen. Tatsächlich sieht er sich mehrmals um, doch mein Instinkt warnt mich jedes Mal, und wir drehen uns rechtzeitig weg und tun so, als seien wir ein Touristenpaar, das mit seinem Kind beschäftigt ist.

Als er schließlich die kleine Limonaie am Ende des Parks erreicht, klingelt sein Handy. Wir drücken uns zwischen den Zitronenbäumen hindurch, bis wir gut verborgen in Lauschweite gelangen.

»Wo treibst du dich rum, du Schlampe!«, blafft der Dicke ins Telefon. »Wenn du nicht mit der Kleinen innerhalb von fünf Minuten hier bist, blüht dir was!«

Ihre Antwort quittiert er mit einem hämischen Lachen. »Nie wieder sehen? Ich bin ihr Vater, Julia, schon vergessen?« Wieder lacht er. Es klingt nicht amüsiert.

Georgina neben mir holt zwar leise, aber sehr tief Luft.

Julia am anderen Ende der Verbindung scheint mehr als nur zwei Sätze zu antworten. Die Miene des Dicken verfinstert sich zusehends. »Nimm dich in Acht, du …« Er bricht ab und sieht das Telefon zornig an. Julia hat offenbar aufgelegt.

Fluchend tritt er gegen einen Stützpfeiler und fetzt einige Blätter des nächstgelegenen Zitronenbaums herunter.

Mit einer Hand halte ich Georgina zurück, den kleinen Finger der anderen in Milas Mund, an dem sie hingebungsvoll nuckelt. Plötzlich schiebt sie die Unterlippe vor.

So leise und so schnell es geht, ziehe ich mich zurück, Georgina kommt Gott sei Dank nach. Zumindest ein Stück, dann bleibt sie stehen und reicht mir die Wickeltasche.

»Du kümmerst dich um sie, ich bleibe an ihm dran!«

Schon ist sie fort. Ich seufze.

Widersprechen kann ich ihr nicht wirklich, denn Mila wird zusehends unruhiger. Ich warte einen Moment, bis ich sehe, dass der Dicke wieder in Richtung Parkeingang stapft, Georgina auf seinen Fersen. Da er die Via Lungolago in Richtung Strand nimmt, trete ich auf anderem Weg den geordneten Rückzug in Richtung Altstadt an. Ich überquere die Gardesana und nehme die Via Capitelli, die mich meiner Meinung nach ins Zentrum der Altstadt und somit in die Anonymität zahlreicher Menschen führen dürfte. Obwohl ich schnell und regelmäßig ausschreite, wird Mila immer ungehaltener. Sie verschmäht meinen Finger, ihre Tritte werden heftiger. Ich bin noch nicht sehr weit gekommen, als sie loskräht.

»Shhhh, shhh, shhh«, versuche ich sie in den verschiedensten Tonlagen zu beruhigen.

Am blauen Gardasee …

Auch das hilft nicht mehr. Vielleicht hat sie Hunger. Oder Durst. Oder beides. Ein vor Blicken geschützter Platz zum Hinsetzen ist natürlich gerade nicht in Sicht, und inzwischen ziehe ich die Blicke mehrerer Passanten auf mich.

Da taucht links oberhalb von mir eine Lösung auf. Ich eile die Stufen hoch.

»Lasset die Kindlein zu mir kommen«, murmele ich und hoffe, dass der Pfarrer der Chiesa di San Benedetto 9 das Kirchenasyl nicht zu eng auslegt.

In der Kirche hallen Milas unglückliche Schreie von den Wänden wider, doch zum Glück kann ich die Tür schnell hinter mir schließen. Ein älteres Ehepaar, das gerade die Altar­bilder besichtigt, sieht sich verwundert um. Ich lächle entschuldigend, versuche die Thermoskanne aus der Umhängetasche zu ziehen und damit ein Fläschchen nebst Milchpulver zu befüllen, ohne mich oder die sich wütend windende Mila mit warmem Wasser zu übergießen. Schließlich schäle ich die Kleine aus dem Tragesack, lasse mich auf einer Bank nieder und schiebe ihr die Flasche in den Mund.

Augenblicklich herrscht Ruhe. Die ältere Dame kichert und sagt etwas auf Italienisch zu ihrem Mann. Beim Hinausgehen lächeln mir beide aufmunternd zu. Beinahe wäre ich auf den Gedanken gekommen, mich zu entspannen, als Mila plötzlich die Beine anzieht, kurz aufhört zu saugen und rot anläuft. Nach einem eindeutigen Geräusch in der Windel süffelt sie weiter. Der Geruch spricht Bände.

Nachdem Mila die Flasche bis auf den letzten Tropfen geleert hat, bin ich versucht, sie einfach so wieder in den Tragesack zu stecken, besinne mich aber doch eines Besseren. In Ermangelung einer Alternative lege ich Mila seitlich auf die Kirchenbank.

»Sehr praktisch«, stelle ich fest, als ich bemerkte, dass man den Schritt der Latzhose und des darunterliegenden Bodys aufknöpfen kann.

Mila gurrt zustimmend.

»Gut, und jetzt?«, frage ich sie, was sie mit einem nicht sonderlich hilfreichen, aber trotzdem sehr charmanten Lächeln beantwortet.

Mit der gleichen Präzision wie beim Entschärfen einer Bombe öffne ich die Verschlüsse der Windel.

»Nicht dein Ernst!«, sage ich überrascht.

Es ist nur ein winziger Klecks, der einen buchstäblich atemberaubenden Duft verströmt.

Mila gluckst zufrieden. Mit spitzen Fingern ziehe ich die Windel fort und benutze ein Feuchttuch. Die Kleine lässt alles friedlich über sich ergehen und strampelt lediglich ein bisschen mit den Füßen.

»Ah, Vorsicht … Mist!«

Wie ein Fußballprofi befördert sie zielsicher die volle Windel hinunter – natürlich landet sie auf der Schokoladenseite. Als ich mich fluchend bücke, sehe ich einen kleinen Zettel daneben liegen.

Eine Telefonnummer. Festnetz aus Deutschland mit einer 08-er Vorwahl, das müsste irgendwo in Bayern sein.

»Eins nach dem anderen«, murmele ich und widme mich zunächst konzentriert der Aufgabe, eine neue Windel an Mila anzubringen. Als ich sowohl diese, als auch die Aufgabe sie anzuziehen und wieder in der Trage zu verstauen, gemeistert habe, beseitige ich das Malheur am Fußboden und gehe hinaus vor die Kirche.

Ich schalte die Rufnummernunterdrückung ein – sicher ist sicher – und wähle die Nummer. Es tutet. Fünfmal. Sechsmal.

»Rösler!«

»Mit wem spreche ich bitte?«, erkundige ich mich freundlich.

»Rösler. Helmut. Wer ist denn am Apparat?«, erwidert eine Männerstimme.

»Kennen Sie Julia?«, frage ich, ohne auf seinen Wunsch einzugehen.

Die Pause am anderen Ende werte ich als Ja. Ich warte.

»Wer will das wissen?«, kommt schließlich die Gegenfrage.

»Mila«, sage ich und streichle besagter Dame über die Wange. Mit vollem Bauch ist leicht grinsen.

»Hören Sie, ich weiß nicht, wer Sie sind, aber was haben Sie mit meiner Tochter und meinem Enkelkind zu schaffen?« Der Tonfall am anderen Ende ist eisig. »Reicht es nicht, das Markus sie …« Die Stimme des Mannes bricht. Er schluckt hörbar.

»Markus ist Milas Vater und er misshandelt Julia.« Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung. Ich stupse Mila abwechselnd auf Nase und Mund, was ihr offenbar gefällt, denn sie grinst weiter.

»Wer sind Sie?« Das Misstrauen ist unüberhörbar.

»Ein Freund«, sage ich. »Ihre Tochter ist in Schwierigkeiten. Mila ist momentan bei mir und in Sicherheit.« Wie zur Bestätigung quietscht Mila vergnügt, als ich wieder ihre Nase berühre.

»Oh mein Gott! Mila? Ist sie das?«

Ich halte Mila das Handy hin. Lallend will sie es ablutschen. »Nein, nein, nein … ich meine, ja, das ist sie.« Ich nehme das Handy wieder ans Ohr, Mila beschwert sich, nimmt dann aber vorlieb mit meinem Daumen, den sie annagt.

»Wie heißen Sie?«, fragt Rösler. »Wo sind Sie?«

»Helmut?«, ertönt eine weibliche Stimme im Hintergrund. »Wer ist da am Telefon?«

Rösler antwortet seiner Frau nicht.

»Sie kennen mich nicht«, sage ich, »und Sie haben keine Veranlassung mir zu glauben, aber ich werde Julia und Mila helfen.«

»Markus ist nicht Milas Vater«, sagt Rösler plötzlich.

Das ergibt ein neues Bild. »Sondern?«

»Sie sind verheiratet, aber Julia wollte Markus schon längst verlassen, weil er sie zuerst nur psychisch, dann auch physisch anging. Sie hat … Milas Vater ist ein alter Freund von ihr. Es war nicht geplant. Ich weiß nicht, wie Markus davon erfahren hat, dass er nicht Milas Vater ist, aber anstatt Julia gehen zu lassen, wurde es noch schlimmer. Er isolierte Julia. Sie durfte keinen Kontakt mehr zu uns haben. Zu niemandem. Mila haben wir noch nie gesehen. Julia hat uns nur heimlich ein Bild geschickt.«

»Helmut!«, beharrt seine Frau. »Wer ist das? Die Polizei?«

»Danke«, sage ich einfach. »Bleiben Sie in der Nähe des Telefons. Ich melde mich, sobald ich kann.« Ich zögere kurz. »Und bitte, keine Polizei.«

»Wer genau sind …«, beginnt Rösler erneut.

»Ich melde mich«, sage ich und lege auf.

»Glehhh«, sagt Mila und gähnt herzhaft.

Ich schicke Georgina eine Nachricht, um herauszufinden, wo sie und der Dicke namens Markus sind. Schließlich möchte ich ihnen nicht versehentlich über den Weg laufen. Er hat sich offenbar in einer Bar an der Promenade niedergelassen, daher beschließe ich, dass die nahe der Kirche gelegene Pasticceria Piva 10 genau das Richtige für Mila und mich ist. Während ich mir einen Lemon Spritz gönne, wird Mila immer ruhiger und schlummert schließlich ein. Lange dauert es allerdings nicht, bis mein Handy vibriert.

»Er geht Richtung Strand«, schreibt Georgina. »Komm auch dorthin. Beeil dich.«

Ich stürze den letzten Schluck Lemon Spritz hinunter und werfe zehn Euro auf den Tisch. Eile und kein Kleingeld freuen den Kellner. Selbst mit Mila vor der Brust war das Sitzen halbwegs bequem, aber nach dem Aufstehen ist Mila mindestens doppelt so schwer wie vorher. Wie ein Mehlsack hängt sie da, schnorchelt aber weiter friedlich vor sich hin.

Ich drücke meinen Rücken durch und marschiere durch die engen Gässchen zum See. Keine fünf Minuten später erkenne ich am Ende der Promenade hinter dem Parkplatz den kiesigen Strand, dessen Ufer an vielen Stellen mit größeren Steinen gesichert ist. 11 

Mit einem Mal taucht Georgina neben mir auf.

»Da vorne«, sagt sie leise.

Im Schutz von Palmen und Büschen bleiben wir stehen.

Markus steht mit beiden Händen in den Hosentaschen am Ufersaum und blickt mal nach links, mal nach rechts. Ich nehme an, er wartet auf Julia. Seine Wangen sind gerötet, sein Mund ist verkniffen. Mila seufzt im Schlaf. Vorsichtshalber wende ich Markus den Rücken zu und überlasse Georgina den Beobachtungsposten.

»Er hat nichts weiter getan, als sich möglichst schnell zu betrinken«, informiert mich Georgina, während sie an mir vorbeistarrt. Ihr sonst so hübsch geschwungener Mund ist ein Strich.

Eine Hand an Georginas Wange lächle ich, als unterhielten wir uns über belanglose Dinge. »Darling, ich habe den Großvater unserer Kleinen ausfindig gemacht.«

Georgina löst den Blick kurzzeitig von Markus und lässt ihre Mundwinkel einen Zentimeter höher einrasten. Ihre Augen erreicht das Lächeln nicht. »Wie das?«

Ich küsse sie leicht auf den Mund. »Mila hatte ein Geheimversteck. In ihrer Windel.«

»Du hast ihr die Windel gewechselt?«

Ich bin mir nicht sicher, ob ich wegen ihres überraschten Tonfalls pikiert sein sollte. »Ja, habe ich. Und ihr die Flasche gegeben. Was glaubst du, weshalb sie schläft?«

Georgina stellt sich auf die Zehenspitzen, um ihre Lippen ganz nahe an mein Ohr zu bringen. »Ich wusste immer, dass du viele verborgene Talente hast, Darling.«

Ich grinse zufrieden.

»Da ist sie ja«, sagt Georgina.

Ich drehe mich herum. Tatsächlich steht Julia gute 20 Meter vom Ufer entfernt aufrecht auf einer Art Surfboard und hat ein Paddel in der Hand. Im Gegensatz zu den anderen Wassersportlern auf dem See trägt sie jedoch keinen Neoprenanzug.

»Pass auf, dass du nicht reinfällst«, ruft Markus mit triefendem Sarkasmus. »So ungeschickt, wie du dich immer anstellst. Das Wasser ist kalt, du holst dir den Tod.«

»Das wäre dir doch nur recht!« Julia schwankt leicht auf dem Brett.

»Wo ist die Kleine?«

»In Sicherheit!«

Mila schmatzt im Traum. Ich streichle ihr über den Kopf. Jetzt bitte nicht aufwachen, beschwöre ich sie.

Ungeachtet der Menschen, die auf die beiden aufmerksam geworden sind, lässt Markus weitere Schimpftiraden in Julias Richtung ab. Die hat sich allerdings längst mitsamt dem Board abgewandt und paddelt ein Stück weiter raus.

Ich sehe Georgina an. »Glaubst du auch, was ich glaube?«

Es ist wohl eine rhetorische Frage, denn ohne Umstände schlüpft Georgina aus Schuhen, Rock und Bluse und sprintet in Unterwäsche Richtung See.

Ein paar junge Männer applaudieren, als sie sich ins Wasser stürzt. Markus möchte zum wiederholten Male lautstark wissen, wo Mila ist.

Während Georgina durch das Wasser krault, hat sich Julia auf das Board gesetzt. Auf die Entfernung ist es schwer zu erkennen, aber Julia meint es wohl mehr als ernst: Sie zurrt ihre Beine und Hände mit Kabelbinder fest, fesselt sich selbst. Den Blick auf ihren Mann gerichtet, gleitet sie ins Wasser. Sie geht unter wie ein Stein.

Das Spektakel hat Aufmerksamkeit erregt. Die jungen Männer haben offenbar auch begriffen, warum Georgina ins Wasser gehechtet ist und zwei von ihnen schwimmen nun ebenfalls hinaus. Ein dritter telefoniert. Weitere Schaulustige versammeln sich. Durch Rufe aufmerksam geworden, ändert ein Segelboot in der Nähe seinen Kurs.

Ich trete neben Markus. Er erstarrt.

»Hallo, Markus«, sage ich.

Georgina und die Männer haben die Stelle erreicht, an der Julia untergegangen ist. Hoffentlich ist der See dort nicht zu tief.

»Sie!« Markus ballt die Fäuste und hebt sie drohend.

»Wollen Sie wirklich in aller Öffentlichkeit einen Mann schlagen, der ein Baby dabei hat? Nur zu.« Ich breite die Arme aus.

Einen Sekundenbruchteil befürchte ich, zu hoch gepokert zu haben, doch dann lässt er die Arme sinken.

»Geben Sie mir auf der Stelle meine Tochter!«

»Mila ist nicht Ihre Tochter, Markus«, folge ich der Behauptung des Großvaters.

»Die Schlampe hat sie mir untergeschoben!«

»Dann seien Sie froh, dass Mila künftig bei ihren Großeltern wohnen wird.« Ich muss kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass die Röslers genau das vorschlagen werden. »Und beten Sie, dass Julia das hier überlebt! Denn ansonsten werden Sie für eine lange – und ich meine eine sehr lange – Zeit im Gefängnis landen! Eine Frau so zu misshandeln, dass sie Selbstmord als einzigen Ausweg sieht, wird kein Richter durchgehen lassen. Es gibt genug Zeugen hier, die aussagen können, wie Sie mit ihr geredet haben. Inklusive mir.«

Markus zittert am ganzen Leib. Ich nehme an, vor unterdrückter Wut, aber das ist mir gleichgültig. Er wird nicht davonkommen. Ich entferne mich ein paar Schritte, während er wie angewurzelt stehen bleibt.

Mit vereinten Kräften schaffen es Georgina und die Männer schließlich, Julia aus dem Wasser zu ziehen. Der Notarzt übernimmt. Auch die Polizei ist eingetroffen. Irgendjemand reicht Georgina ein Handtuch und klopft ihr anerkennend auf die Schulter.

Ihr verwischtes Augen-Make-up verleiht ihr einen Panda-Look und ihr Haar klebt am Kopf wie bei einem Seehund.

Sie sieht besser aus denn je.

»Julia lebt«, sagt Georgina. »Gerade noch.«

Mila gähnt herzhaft und blinzelt mich an.

»Hast du das gehört, Süße?« Ich drücke der Kleinen die Lippen auf den Haarflaum. Sie riecht ziemlich gut. »Bald hast du deine Mama wieder. Und jetzt rufen wir Oma und Opa an und fragen, wie schnell sie herkommen können. Sie leben in Süddeutschland, irgendwo in Bayern.«

»Was machen wir denn bis dahin mit ihr?«, fragt Georgina.

Ich drehe die Handflächen nach oben. »Uns um sie kümmern.«

Georgina zuckt mit den Schultern. »Wenn du das sagst.«

Dann schaut sie zu Markus, der gerade einem Polizisten Rede und Antwort stehen muss.

Sie lächelt süffisant. »Darling, könntest du dich auch alleine um Mila kümmern? Ich würde mich gerne mit ihm …«

Ich lege ihr eine Hand auf die Schulter.

»Was?« Sie sieht mich mit Unschuldsmiene an.

»Überlass ihn der Polizei, ja?«

Sie zieht eine Schnute. »Spielverderber!«

»Morgen gehen wir den Sentiero del Sole, versprochen«, sage ich. »Von mir aus auch zwei Mal.«

Am blauen Gardasee …

Freizeittipps

 1 Strada della Forra. Wer auf den Spuren von 007 wandeln will und den Anspruch hat, nach dem Urlaub die Ausmaße seines Autos blind zu kennen, der sollte sich die spektakuläre Strada della Forra nicht entgehen lassen. Südlich von Limone führt die zum Teil extrem schmale Bergstraße in steilen Serpentinen hinauf nach Pieve. Manchmal wird »ein Quantum Trost« benötigt, damit Begegnungen mit entgegenkommenden Fahrzeugen nicht zum Thriller werden. Wer also den Nervenkitzel inklusive zum Teil winziger Fahrbahnbegrenzungen nicht scheut, der wird nicht nur mit tollen Blicken auf den See belohnt, sondern kommt an einem Wasserfall vorbei und fährt durch eine ziemlich enge Schlucht. Irgendwo im Nichts zwischen Seehöhe und Bergniveau gibt es sogar zwei empfehlenswerte Restaurants.

 2  Die Altstadt von Limone. »Wir fuhren bei Limone vorbei, dessen Berggärten, terrassenweise angelegt und mit Zitronenbäumchen bepflanzt, ein reiches und reinliches Ansehen geben«, schrieb Goethe 1786 von seiner italienischen Reise, als er Limone vom Boot aus zu sehen bekam. Wer nun glaubt, »Limone« käme von den »Limonen«, ist auf dem falschen Dampfer. Wahrscheinlich leitet sich der Name vom lateinischen »Limes« ab und zeugt von der Grenzlage des Städtchens. Am Fuße der steilen Felsen scheint es eigentlich keinen Platz zu geben, doch am Seeufer erstreckt sich die autofreie Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen, Unmengen an Restaurants, Trattorien und Cafés. Eine oberitalienische Idylle – wenn man nicht gerade zur Hauptsaison dort ist. Man sollte sich unbedingt die Zeit nehmen, abseits der Promenade und der Touristenströme kreuz und quer durch die mittelalterlichen Gassen zu streifen, wo sich an den ruhigen Ecken viel des alten Flairs erhalten hat. Einfach durchgehen und genießen!

 3  Boote und Fähren. Gemütliche Ausflugsdampfer, schnelle Tragflächenboote am Fähranleger oder doch ein gemietetes Motorboot selbst steuern (Bootsverleih z. B. am Strand) – man hat die Qual der Wahl! Auf dem Wasser entgeht man dem Trubel am Ufer und kann den Blick auf die Ruinen der Limonaie und die wunderschöne Altstadt in ihrer ganzen Pracht genießen.

 4  Sentiero del Sole. Wer endgültig die Nase voll hat von den Menschenmengen des Seeufers oder sich ganz einfach sportlich betätigen möchte (oder muss), dem sei diese Wanderung empfohlen. Von der Ortsmitte aus führt ein knapp sieben Kilometer langer Rundweg teilweise entlang schmaler Pfade über dem See. Zypressen, Olivenbäume und Rhododendren säumen den Weg. Am höchsten und schönsten Punkt des Weges findet man Sitzbänke. Tipp: Picknick einplanen – aber nicht zu viel Limoncello mitnehmen, der Weg bergab hat es in sich.

 5  Kirche San Rocco. Ein von außen sehr unscheinbares Kleinod nahe der Innenstadt ist das Kirchlein San Rocco, das im 16. Jahrhundert als Dank für die Verschonung von der Pest errichtet wurde. Für Liebhaber barocker Fresken ein Muss. Unbedingt den Blick nach oben richten! Die Holzdecke ist unglaublich schön.

 6 Die Limonaie/La Limonaia del Castel. Seit dem 13. Jahrhundert waren Zitronen die Haupteinnahmequelle der Bewohner. Um die empfindlichen Pflanzen gegen Nachtfröste zu schützen, wurden die Limonaie gebaut. Im Winter wurden zwischen den Pfeilern Bretterverschläge eingehängt. Die Limonaia del Castel kann man für kleines Geld besichtigen. Der Duft der Zitronen macht viel Lust auf Limoncello (auch Limoncino genannt). Besonders schön die Abendbesichtigungen, die während des Sommers zum Teil bis 23 Uhr möglich sind. Leider nicht barrierefrei!

 7 Umgeben von jahrhundertealten Olivenhainen wird in Limone das »extra vergine« Olivenöl noch wie zu Uromas Zeiten hergestellt. In der Ölmühle des Ortes wird ausschließlich die Ernte der ortsansässigen Bauern verarbeitet. Im Sommer sind dort Besichtigungen möglich und im angeschlossenen Laden können allerhand aus Olivenöl bestehende Produkte erworben werden. Sehr empfehlenswert sind die verschiedenen Olivenpasten, die sich auch daheim noch als Brotaufstrich mit Urlaubsfeeling eignen.

 8 Parco Villa Boghi. Die historische Villa Boghi ist heute der Sitz der Gemeindeverwaltung. Umgeben von einem gepflegten Park befindet sich dort eine kleine Limonaia sowie das Museo della Pesca (Fischereimuseum), beides mit freiem Eintritt. Ein Spaziergang hierher lohnt sich in jedem Fall. Das Fischereimuseum zeigt eine kleine, aber feine Auswahl an historischen Arbeitsgeräten sowie ein Holzboot. Die Ausstellung zum Alltag der Gardasee­fischer von der »guten alten Zeit« bis heute zeigt das Leben am Lago vor dem Massentourismus.

 9  Chiesa di San Benedetto. Die barocke Kirche des 17. Jahrhunderts wurde auf den Überresten einer römischen Basilika erbaut. Das Innere ist sehr prunkvoll ausgestattet mit vier Altären und vielen farbenprächtigen Bildern. Am späten Nachmittag erklingt täglich das schöne Glockenspiel.

 10  Pasticceria Piva. In einer steilen Seitenstraße gelegen, kann man sie leicht übersehen. Aber für Schleckermäuler ein unbedingtes Muss – die seit 1960 existierende Pasticceria Piva. Die Konditorei ist ein echtes Highlight für Freunde des süßen Geschmacks. Kuchen und Torten zum dort Genießen und Marmelade & Co zum Mitnehmen. Was davon am besten ist, muss wohl jeder selbst entscheiden – wenn das denn überhaupt geht. Der Beste Lemon Spritz im Ort! Und für die Freunde härterer Gangart: Über 200 Grappasorten suchen ebenfalls ein neues Zuhause.

 11  Strand Spiaggia del Tifu. Ein Kiesstrand zum Erholen und die Seele baumeln lassen. Im Sommer leider randvoll, findet sich zu weniger turbulenten Jahreszeiten jedoch immer ein schönes Plätzchen, um – am besten ausgestattet mit einem guten Buch und einem Korb voll örtlicher Leckereien – den Urlaub zu genießen. Dafür ist man ja schließlich da, oder?

Angela Eßer

Die Zeugin

Torbole

Sie schrie nicht auf, als sie ihn sah.

Sie lief auch nicht weg.

Ihr stockte nur kurz der Atem. Sie konnte und wollte die Augen nicht abwenden von dem toten Mann im Pool. Beleuchtet durch wenige Unterwasserlichter. Alles so fremd und doch vertraut. Ein tief in ihr Hirn eingefrorenes Bild, das sich so oft in ihren Schlaf schlich und sie als Kind immer voller Angst nach ihrer Mutter hatte rufen lassen.

Sie kannte diesen Anblick und wusste nicht, warum. Seit sie denken konnte, suchte sie darauf eine Antwort.

Und jetzt war der Albtraum Wirklichkeit geworden.

Blauer Anzug, blaue Kacheln, blauer Nachthimmel.

Eine ganze Symphonie in Blau, dachte sie. Absurd.

Warm, schwerelos, friedlich.

Ein Déjà-vu ohne die Beklemmungen aus den Träumen. Dann hörte sie das Blut in ihren Ohren rauschen und spürte, wie schwer ihr Atem ging. Sie drehte sich von dem Toten weg und schaute hinunter auf den See.

Der Mann hatte hier nichts verloren. Vor allem nicht hier. Und vor allem nicht jetzt. Weder tot noch lebendig. Ein Gedanke jagte den anderen. Sie musste sofort die Polizei rufen. Hatte sie ihr Handy überhaupt eingesteckt und welche Nummer hatte in Italien eigentlich der Notruf? 1  Aber sie konnte die Polizei nicht holen. Denn sie selbst hatte hier ebenso wenig etwas zu suchen wie die Leiche. Sie gehörte nicht hierher. Durfte gar nicht hier sein.

Heimlich schlich sie sich jeden Morgen, lange bevor das Reinigungspersonal kam, an den Pool. Hatte alles für sich allein, während die Hotelgäste noch schliefen. Konnte in aller Ruhe in dem klaren Wasser schwimmen und gleichzeitig mit dem Sonnenaufgang die schönste, ihr bekannte Aussicht auf den See genießen. Einfach atemberaubend: die Berglandschaft über dem westlichen Ufer, der weite Blick auf die nach Süden sich scheinbar ins Endlose dehnende Wasserfläche. 2 

Während in den Städten und Dörfern rund um den Lago di Garda die Menschen langsam wach wurden und die Nachtlichter erloschen, beobachtete sie alles vom Hang aus. Und auch wenn es so aussah, als sei noch niemand unterwegs, konnte sie die Vespas und Autos, die vereinzelt am See entlangfuhren, das Vogelgezwitscher, den Wind in den Bäumen hören. Und wenn sie sich nicht so hoch oben befände, hätte sie auch das Surren von Rennradreifen und die Stimmen der Radfahrer vernehmen können. Denn um diese Zeit traten die ganz Unermüdlichen schon in die Pedale.

Jetzt aber hörte sie nichts, sondern schaute einfach nur auf den See und überlegte, was sie tun sollte. Am besten einfach nur schnell wieder gehen. So tun, als sei sie nie hier gewesen.

Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging sie auf die kleine Treppe zu, die an der Lobby vorbei zur Straße führte. Stellte fest, dass ihre Hände eiskalt waren. Im gleichen Augenblick drangen Stimmen an ihr Ohr. Leise Worte, in Fetzen vom Wind getragen. Ohne nachzudenken nahm sie hastig ihren Rucksack ab und versuchte, so lautlos wie möglich in den Büschen hinter den Liegestühlen zu verschwinden.

Zwei Männer näherten sich vom Hoteleingang her dem Pool, blieben stehen, flüsterten. In dem einen glaubte sie von der Statur her Matteo, den Nachtportier zu erkennen. Klein, dick und ein Kopf so rund und blank wie eine Billard­kugel. Sie hatte ihn – wie immer, bevor sie zum ersten Mal im Urlaub an den Pool ging – beobachtet. Wollte wissen, ob er noch derselbe war und sie nicht Gefahr lief, erwischt zu werden. Seit Jahren schob Matteo hier Nachtdienst. Und um diese Zeit saß er immer in dem kleinen Kabuff hinter dem Lobbytresen auf einem Sessel und schlief vor dem eingeschalteten Fernseher.

Den anderen Mann konnte sie noch nicht erkennen. Auf jeden Fall war er größer als Matteo. Und schlanker. Wahrscheinlich auch jünger.

Die beiden standen auf der Terrasse oberhalb des Pools, in der Dunkelheit sah sie die Glut von zwei Zigaretten. Sie wunderte sich, wie die beiden in aller Ruhe rauchen konnten. Von dort oben müssten sie den Toten doch sehen können, oder nicht? Deutlicher ging es ja in dem beleuchteten Pool nicht mehr. Ein glucksendes Geräusch direkt neben ihr ließ sie kurz zusammenschrecken. Sie wunderte sich, woher es kam und was es zu bedeuten hatte. Sie konnte allerdings nicht viel unternehmen. Weder nach ihrem Handy suchen und die Taschenlampenfunktion einschalten, noch sich von der Stelle bewegen. Die Männer hätten sie sofort entdeckt. Aber lange konnte sie sich nicht mehr verstecken. Bald würde es nicht nur hell werden, in einer knappen Stunde würde auch die Putzkolonne anrücken und sie müsste sich schon etwas Außergewöhnliches einfallen lassen, um von hier – ohne groß Aufmerksamkeit zu erregen – zu verschwinden. Außerdem taten ihr die Knie weh, und sie konnte nicht mehr viel länger in dieser Hockhaltung ausharren. Mit den Händen suchte sie im Gebüsch nach einer Möglichkeit sich hinzusetzen und fand einen flachen großen Stein, der knapp über der Erde neben ihr herausragte.

Im Sitzen massierte sie ein wenig ihre Beine und schaute noch einmal zu dem Toten, sah, dass er sich im Wasser bewegte. Der Körper trieb langsam Richtung Beckenrand, dann wieder ein wenig davon weg, als würde er in langsamen, kleinen Wellenbewegungen durch den Pool tauchen. Die Haare schwammen wie ein kleiner dunkler Fischschwarm um seinen Schädel. Sie lassen das Wasser ab, schoss ihr durch den Kopf, daher das glucksende Geräusch! Die Leitung führte direkt an ihr vorbei.

Die Unterwasserleuchten ließen alles noch deutlicher erscheinen. Die blau-weiß gestreifte Krawatte, den weißen Hemdkragen, die breiten Hände.