Mörderisches Santorin - Zoe und der tote Reeder - Christian Humberg - E-Book
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Mörderisches Santorin - Zoe und der tote Reeder E-Book

Christian Humberg

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Beschreibung

Neustart auf der Insel der traumhaften Sonnenaufgänge - und eine Leiche ...

Zoe Dahlmann hat genug: vom Frankfurter Mistwetter, von ihrem tyrannischen Chef und ihrem fremdgehenden Freund. Die Halbgriechin beschließt kurzerhand, ein neues Leben als Gastronomin auf Santorin anzufangen. Denn offenbar hat ihre Großtante ihr dort ein Restaurant hinterlassen.

Vor Ort stellt Zoe fest, dass das Restaurant eine abgelegene Bruchbude ist - und stolpert über die Leiche des ebenso bekannten wie unbeliebten Reeders Nikos Georgious. Zu allem Überfluss hält die Polizei sie für dringend tatverdächtig! Zoe weiß nicht mehr weiter. Glücklicherweise macht sie bald neue Bekanntschaften, die ihr zeigen, dass ein Neustart auf Santorin tatsächlich möglich ist ... falls sie nicht in den Knast wandert.

Spannend, unterhaltsam, lecker: "Mörderisches Santorin - Zoe und der tote Reeder" ist der erste Fall für die ermittelnde Restaurant-Chefin Zoe. Für alle Griechenland-Reisenden und für alle Krimi-Fans mit Fernweh! Band 2 in Vorbereitung.

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Inhalt

CoverGrußwort des VerlagsÜber dieses BuchTitelWidmungZitatKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Über den AutorWeitere Titel des AutorsLeseprobeImpressum

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Über dieses Buch

Neustart auf der Insel der traumhaften Sonnenaufgänge – und eine Leiche …

Zoe Dahlmann hat genug: vom Frankfurter Mistwetter, von ihrem tyrannischen Chef und ihrem fremdgehenden Freund. Die Halbgriechin beschließt kurzerhand, ein neues Leben als Gastronomin auf Santorin anzufangen. Denn offenbar hat ihre Großtante ihr dort ein Restaurant hinterlassen.

Vor Ort stellt Zoe fest, dass das Restaurant eine abgelegene Bruchbude ist – und stolpert über die Leiche des ebenso bekannten wie unbeliebten Reeders Nikos Georgious. Zu allem Überfluss hält die Polizei sie für dringend tatverdächtig! Zoe weiß nicht mehr weiter. Glücklicherweise macht sie bald neue Bekanntschaften, die ihr zeigen, dass ein Neustart auf Santorin tatsächlich möglich ist … falls sie nicht in den Knast wandert.

Spannend, unterhaltsam, lecker: »Mörderisches Santorin – Zoe und der tote Reeder« ist der erste Fall für die ermittelnde Restaurant-Chefin Zoe. Für alle Griechenland-Reisenden und für alle Krimi-Fans mit Fernweh!

Christian Humberg

Griechenland-Krimi

Für Mareike und Andre»na zisete«

Wenn Glück etwas ist, das von uns und unseren Entscheidungen abhängt, dann entscheide ich mich für Santorin.

Unbekannter Kreuzfahrtkapitän

Kapitel 1

Der Blutfleck war noch immer feucht.

Fassungslos starrte Zoe Dahlmann auf ihr Hosenbein, dessen Stoff nur langsam trocknete. Die dunkle, nach wie vor sichtbare Stelle glitzerte leicht im Schein der trüben Neonröhren. Die Feuchtigkeit klebte auf der Haut ihres Oberschenkels wie ein unauslöschlicher Makel. Ein kaltes Memento des Grauens, dessen Zeugin sie geworden war.

Schnell hob die Fünfunddreißigjährige den Blick. Guck da nicht hin, ermahnte sie sich und zwang ihr wild pochendes Herz zu mehr Ruhe. Ignoriere das. Das macht dich nur nervös.

Der Rest ihrer Umgebung war allerdings kein bisschen beruhigender. Wo sie auch hinschaute, sah sie schmucklose Mauern. Das winzige Verhörzimmer lag irgendwo in den Tiefen der Polizeiwache. Es hatte keinerlei Fenster und noch nicht einmal eine Klinke an der Innenseite der einzigen Tür. Es maß vielleicht acht Quadratmeter. Der PVC-Belag auf dem staubigen Fußboden schlug kleine Wellen; beige Farbe bröckelte von den Wänden. Die einzigen Möbel weit und breit waren ein am Boden verschraubter Metalltisch und zwei wacklige Klappstühle aus Plastik. Einer der Stühle war nach wie vor frei, auf dem anderen wartete Zoe seit …

Inzwischen einer Stunde? Zwei? Sie wusste es nicht. Erst war alles wahnsinnig schnell gegangen, pure Hektik und Chaos, und dann: Stillstand.

Ob ich mal rufen soll?, überlegte sie.

Fragend blickte sie zu der Tür ohne Klinke. Irgendwo da draußen waren Menschen, das wusste sie. Menschen in Uniform und Menschen in Zivil. Was zum Teufel taten sie hier mit ihr? Hatten sie sie vergessen, oder gehörte das zu ihrer Strategie bei Verdächtigen?

Bin ich das? Sie schluckte. Eine Verdächtige?

Der Gedanke war absurd. Er passte so wenig zu ihrem bisherigen Leben wie einer der santorinischen Esel auf die Brücke eines Kreuzfahrtschiffes. Und dennoch saß sie hier, allein in einem besseren Verlies, mit nichts als dem glitzernden Blut eines Fremden als Gesellschaft. Dem Blut eines Toten.

Wo der Mann wohl war? Nicht der Tote, sondern der mit den schwarzen Locken. Der Mann mit dem attraktiven Gesicht und dem Dreitagebart. Sie hatten auch ihn in einen Dienstwagen verfrachtet, das wusste Zoe. Genau wie ihr hatten sie ihm Handschellen angelegt und ihn einfach mitgenommen – grob und stur. Doch anders als sie, war er nicht zu geschockt gewesen, um dagegen zu protestieren. Es hatte ihm nur nichts genützt.

Die Tür flog auf und riss Zoe aus ihren Gedanken. Ein Mann von vielleicht fünfzig Jahren trat ein. Er trug eine dunkelblaue Jacke zu Jeans und weißem Hemd. Sein pechschwarzes Haar wies erste graue Strähnen auf, sein strenger Blick wirkte einschüchternd. Zoe hatte ihn noch nie gesehen.

»Kalíméra«, sagte er genauso streng, wie er aussah, trat hinter den Metalltisch und stutzte prompt. »Oder sprechen Sie kein Griechisch?«

»Fließend«, antwortete Zoe in seiner Sprache. Es war das Erste, was sie seit einer gefühlten Ewigkeit überhaupt gesagt hatte. »Ich verstehe Sie gut.«

Der Mann grunzte bestätigend. Erst jetzt bemerkte sie die Kladde in seiner Hand. Er legte sie vor sich auf den Tisch, schlug sie auf und nahm auf dem zweiten Klappstuhl Platz. »Zoe Dahlmann«, begann er dann, »fünfunddreißig, wohnhaft in Frankfurt am Main. Ledig, keine Kinder und keine lebenden Verwandten. Richtig, so weit?«

So genau weiß ich das auch nicht, dachte sie. »Ich wohne jetzt nicht mehr in Deutschland. Jedenfalls für den Moment nicht. Ich …«

Er ließ sie gar nicht erst ausreden. »Im Grunde brauchen Sie mir gar nichts zu sagen. Ihr Begleiter hat längst gestanden. Von daher wissen wir Bescheid.«

Nun war sie es, die stutzte. »Mein … Begleiter?«

Dann begriff sie. Der Mann in der dunkelblauen Jacke musste den Lockenkopf meinen. Den aus der Frachthalle.

»Ich wüsste nicht, was der ihnen gestanden haben sollte«, fuhr sie fort. »Jedenfalls nichts, was mit mir zu tun hätte. Ich kenne ihn so wenig wie Sie, Herr …?«

»Spanos«, antwortete ihr Gegenüber. Seine Hände, die flach auf der Tischplatte geruht hatten, zuckten ungeduldig. »Odysséas Spanos. Ich leite hier die Ermittlungen, Frau Dahlmann. Und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Fragen mir überlassen würden. Wie standen Sie zu Nikos Georgious?«

»Zu wem?«

Die Erwiderung hatte Zoes Mund gerade erst verlassen, da fiel ihr Blick erneut auf den feuchten Fleck auf ihrem Hosenbein. Und mit dem Fleck kamen die Bilder.

Der Tote war alt gewesen, oder? Deutlich älter als sie, älter auch als Spanos. Er hatte auf dem Rücken gelegen, das schlohweiße Haar blutverklebt und die Augen weit geöffnet. Zoe war buchstäblich über ihn gestolpert, dort im hinteren Bereich der Lagerhalle, und direkt in das Meer aus Blut hinein, das sich sekündlich weiter um ihn herum ausgebreitet hatte. Dann war der Schrei erklungen, laut und schrill und voller Entsetzen. Erst nach und nach hatte Zoe begriffen, dass nicht der alte Mann ihn ausgestoßen hatte, sondern sie. Der Alte würde nie mehr schreien.

»Nikos Georgious«, wiederholte Spanos ungeduldig. »Der Tote, neben dem wir Sie gefunden haben, Frau Dahlmann. Also? Erzählen Sie mir von ihm.«

Sie schluckte. Abermals pochte ihr Herz wie wild, und sie konnte nichts dagegen tun. »Den kenne ich nicht. Er … Er war einfach da. Ich habe ihn erst gar nicht gesehen.«

»Sein Blut klebte an Ihren Händen, als die Kollegen Sie abführten«, entgegnete Spanos. Es klang wie ein Widerspruch, fast sogar wie ein Urteil. »Es klebt jetzt noch an Ihrer Kleidung. Was tischen Sie mir hier auf, hm? Grimms Märchen?«

»Ich kenne ihn nicht«, beharrte Zoe. Ihre Stimme zitterte leicht. Hörte man das? »Kannte, meine ich.«

»Dann waren Sie also ganz zufällig in seiner Halle? Allein mit ihm.«

Zoe musste an die Frachthalle denken. Es war dunkel gewesen, hinten zwischen den Kistenstapeln. Das Licht, das durch das offene Tor gefallen war, hatte kaum noch bis dorthin gereicht.

»Ich wusste nicht, dass das seine Halle war«, erwiderte sie. »Man hatte mir gesagt, dort könnte ich einen Handwerker finden. Deshalb war ich da.«

Spanos runzelte die Stirn, jede Falte ein Spiegel seiner Skepsis. »Wer hat Ihnen das gesagt?«

»Irgend so ein Händler am Hafen«, gestand sie. »Einer mit einem Obststand. Ich habe nicht nach seinem Namen gefragt.«

Er schnaubte humorlos. »Sie spazieren also völlig ahnungslos auf anderer Leute Firmengelände. Weil ein Obstverkäufer, den sie weder benennen noch beschreiben können, es Ihnen empfiehlt. Meinen Sie das ernst?«

»Ich suche nach Handwerkern«, rechtfertigte sie sich und spürte, dass ihr flau wurde. »Es hieß, bei den Hallen am Fährhafen würden sich welche finden. Leute, die sich gern etwas dazuverdienen. Leute, die anpacken können und Ahnung haben.«

»Ahnung wovon, Frau Dahlmann? Von Mord?«

Mord. Da war es wieder, das Gefühl, im völlig falschen Film gelandet zu sein. Noch dazu als Hauptfigur. Zoe spürte, wie ihr kalte Schauer über den Rücken liefen. War sie wirklich in einen Mord verwickelt, und dann ausgerechnet hier auf der Insel?

»V… von Reparaturen«, stammelte sie eine Antwort. »An meinem Lokal, dem Santorin Sunrise. Da muss dringend etwas gemacht werden.«

Die Worte kamen, aber sie kamen nahezu von selbst. Zoes Mund schien auf Autopilot geschaltet zu haben. Ihre Stimme war zaghaft und leise, ihr Kopf auf einmal wie leer gefegt. Sie redete nicht, sie plapperte. Wie ums nackte Überleben.

»Santorin Sunrise, so, so.« Spanos schlug die Kladde zu und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Ein angestrengtes Seufzen kam von seinen Lippen. »Ausgerechnet Sie haben ein Lokal auf der Insel.«

Glauben Sie mir, dachte sie, ich hab’s auch erst nicht fassen können.

Doch sie sagte nichts. Mit einem Mal ging es nicht mehr.

»Frau Dahlmann.« Der Ermittler beugte sich zu ihr vor. Zoe roch sein Aftershave, spürte seinen Atem. »Ich fürchte, Sie verstehen nach wie vor nicht den Ernst Ihrer Lage. Einer der führenden Industriellen Santorins wurde brutal ermordet, und die einzige Spur weit und breit waren und sind Sie! Eine junge Frau aus Germanía, die erst seit einigen Stunden bei uns ist und behauptet, Sie sei eine ahnungslose Schankwirtin. Wir haben Ihre Flugdaten, Gnädigste! Ihren Komplizen! Sparen Sie sich also bitte die Ammenmärchen, und kommen Sie endlich zur Wahrheit, verdammt!«

Spanos war von Satz zu Satz leiser geworden, beschwörender. Doch beim letzten Wort brüllte er beinahe und schlug mit der Hand auf den Tisch – so laut, dass Zoe vor Schreck zusammenzuckte. Für einen kurzen Moment glaubte sie, er würde sie schlagen. Dann aber begriff sie, dass er den starken Mann nur markieren konnte. Sie hatte keinen Komplizen. Auch wusste sie nichts über den Toten und auch nichts über die Tat.

Einmal mehr musste sie an den Mann mit den schwarzen Locken denken. Spanos schien sie und ihn für ein Duo zu halten, für ein Paar, das gemeinschaftlich einen Mord begangen hatte. Ob der Mann gerade auch in einem Verhörkabuff wie diesem saß, irgendeinen Möchtegern-Cowboy vor sich, dessen anklagender Ton nur über seine innere Ratlosigkeit hinwegtäuschen sollte? Ob auch Lockenkopf in diesem Moment als kaltblütiger Mörder beschimpft wurde, obwohl er so ahnungslos war wie sie selbst?

Falls ja, dachte Zoe, gibt er der Polizei sicher wieder Paroli.

Keine Sekunde glaubte sie, dass er gestanden hatte. Spanos bluffte nur, um sie einzuschüchtern. Ganz bestimmt hatte der Lockenkopf vehement protestiert.

Genau das musste sie auch tun, oder etwa nicht? Sich wehren, bevor sie unterging. Bevor andere für sie entschieden.

»Der Einzige«, sagte sie leise und hob den Blick zu ihrem Gegenüber, »der hier Märchen erzählt, sind Sie.«

Spanos starrte sie an, ausdruckslos und doch streng.

»Sie wissen nichts. Nichts über mich, nichts über diesen Mord. Sie haben meinen Lebenslauf und meine Flugdaten recherchiert? Na, herzlichen Glückwunsch. Falls da draußen wirklich ein Mörder frei herumläuft, kommen Sie mit den Informationen bestimmt echt weit. Weiß Ihr Vorgesetzter, womit Sie hier wertvolle Zeit verschwenden? Ich dachte, Sie hätten einen Fall aufzuklären. Die Uhr läuft, oder etwa nicht?«

Im Gesicht des Mannes von der Polizeiwache rührte sich kein Muskel. Schweigend und reglos blickte er Zoe an, während Sekunden zu gefühlten Ewigkeiten wurden. Dann grunzte er wieder, griff wortlos nach seiner Kladde und stand auf.

An der Tür blieb er stehen, klopfte gegen das Holz und drehte sich dann zu ihr um. »Es ist noch nicht vorbei, Frau Dahlmann«, versprach er drohend. »Ich komme wieder. Und ich hoffe, Sie haben dann endlich verstanden, um was es hier für Sie geht.«

Ja, dachte Zoe bitter. Das hoffe ich auch.

Erneut wanderte ihr Blick zum feuchten Fleck auf ihrem Hosenbein. Als Spanos die Tür hinter sich zuschlug, zuckte sie zusammen, als hätte sie gerade einen tödlichen Schuss gehört.

TEIL I

ANKUNFT

Kapitel 2

Einige Tage zuvor

Dunkle Wolken türmten sich über dem Frankfurter Hauptbahnhof, als wollten sie ihn unter sich erdrücken. Von der Taunusstraße wehte ein eisig kalter Ostwind herüber, zerrte an den Markisen der Gemüsehändler und an den mannshohen Plakaten an den Bauzäunen, die auf irgendein Konzert in der Festhalle hinwiesen. Das erste Licht der Straßenlampen spiegelte sich in gewaltigen Pfützen.

Zoe Dahlmann schloss die Finger eng um ihren Kaffeebecher, spürte die Wärme des frisch erworbenen Getränks und wünschte sich weit, weit weg. Das Wetter passte zu dem Tag, den sie hinter sich hatte. So viel stand fest.

Die Redakteurin stand an der letzten Fußgängerampel vor dem Bahnhofsvorplatz, einmal mehr Teil des elenden Berufsverkehrs, und fror wie der sprichwörtliche Schneider. In ihrem dünnen schwarzen Pullover, der blauen Jeans mit dem modischen Gürtel und dem leichten Jäckchen hatte sie dem Überraschungsangriff des hessischen Herbstes in etwa so viel entgegenzusetzen wie ihr seliger Großvater Maximos seinerzeit den legendären Kochkünsten seiner nicht minder seligen Frau Gemahlin. Und überhaupt: Waren es nicht gestern noch zweiundzwanzig Grad gewesen? Wo war der Spätsommer so plötzlich hin verschwunden?

»Ey«, erklang eine Stimme in Zoes Rücken und riss sie aus der Erinnerung. »Grüner wird’s nich’, Frollein.«

Zoe blinzelte, drehte sich um und erblickte einen älteren Herrn im Rollstuhl, der sie anklagend ansah. Dann bemerkte sie das grüne Ampelmännchen, auf das er dabei deutete.

»Sie steh’n im Weg«, betonte der Mann.

»J… Ja«, erkannte sie und strich sich eine vom Wind verwehte Strähne ihres schulterlangen schwarzen Haares aus der Stirn. Rechts und links von ihr hatte sich der Pulk der Wartenden längst in Bewegung gesetzt. »Tut mir leid.«

Auch Zoe trat nun vor. Wie peinlich! Die meisten anderen Leute waren inzwischen schon über die Straße. Hatte sie wirklich mal wieder nicht aufgepasst und …

Sie kam nicht dazu, den Gedanken zu beenden. Denn ein Mann auf einem schmutzig weißen Motorrad, der allem Anschein nach nicht auf die nächste Ampelschaltung warten wollte, bretterte keine zwei Handbreit vor ihr über den Fußgängerüberweg. Dabei hupte er die letzten Passanten ungeduldig an und scherte sich merklich wenig darum, welche Schäden er hinterließ.

Purer Reflex riss Zoe zurück, gerade noch rechtzeitig. Einen halben – und atemlosen – Herzschlag später schlug ihr kaltes Pfützenwasser entgegen, aufgeworfen von den Rädern des Rowdys.

Na bravo.

Fassungslos sah sie dem davonbrausenden Fremden nach, dann an sich herab. Ihre Jacke, das Vorderteil des Pullis und die Hosenbeine klebten an ihrem Körper, und eisige Herbstnässe zog durch den Stoff. Den Kaffeebecher hatte sie vor lauter Schreck fallen gelassen, und die braune Brühe bildete eine weitere Pfütze vor ihren Füßen.

Die übrigen Passanten achteten kaum auf sie und den Vorfall, stattdessen hielten sie stur Kurs auf den Bahnhofseingang. Nur vereinzelt drehte sich jemand nach Zoe um, ohne auch nur anzuhalten. Ihr Problem, so schien es, war ihr Problem. Nur ihres.

»Bloß nicht zu spät nach Hause kommen«, murmelte Zoe ihnen nach. »Ach, verdammt!«

Sie bückte sich, hob den Becher auf und warf ihn in eine Mülltonne. Dann schluckte sie den Ärger herunter, straffte die Schultern und wartete auf die nächste Grünphase der Fußgängerampel. Was für ein Tag!

Er hatte mit einer verpassten U-Bahn begonnen. Ihr Chef, der sie ohnehin auf dem Kieker hatte, war regelrecht froh gewesen, als sie fünfzehn Minuten zu spät in der Agentur erschienen war. Schließlich hatten ihm diese fünfzehn Minuten mal wieder Munition für den gesamten Tag gegeben. Wann immer sie ihm im Flur begegnet war, in der kleinen Teeküche oder im Pausenraum, hatte er sie mit seinem bissigsten Lächeln bedacht und ihr gesagt, was er »von Ihrer Arbeitsmoral, Frau Dahlmann« hielt.

»Die Theaterdaten erfassen sich nicht von allein, das wissen Sie genau«, so seine süffisant vorgetragenen Worte. »Wenn Sie sich der Aufgabe nicht gewachsen fühlen, dann brauchen Sie es nur zu sagen. Die Stelle habe ich schneller neu besetzt, als Sie gucken können.«

Na, dann mach doch, hatte Zoe in Gedanken erwidert und sich einmal mehr entschuldigt. Mit zusammengebissenen Zähnen.

Roger Beck war kein netter Mensch. Selbst an guten Tagen benahm er sich in seiner Frankfurter Agentur wie ein despotischer König, der die Angestellten für Leibdiener hielt, mit denen er umspringen durfte, wie es ihm gefiel. Seit knapp drei Jahren schuftete Zoe nun schon unter »seiner Hoheit«, wie sie Beck insgeheim nannte, und sie fragte sich immer öfter, warum. Die Arbeit selbst hielt sie kein bisschen bei der Stange. Sie hatte sich um eine Stelle als Texterin beworben, doch bekommen hatte sie einen Job als simple Datenerfasserin. Woche für Woche fütterte sie die agenturinterne Datenbank nun mit den Spielplänen aller bundesdeutschen Theater- und Kleinkunstbühnen, aller Comedy-Clubs und Co., damit Beck daraus regionale Pakete schnüren konnte. Diese wurden dann als aktuelle Programmdaten an Lokalzeitungen, Online-Portale und andere Medienvertreter verkauft.

In der Theorie klang das ebenso einfach wie praktisch, im täglichen Arbeitsalltag erwies es sich allerdings als absoluter Murks. Nahezu ständig musste Zoe säumigen Veranstaltern hinterhertelefonieren, die einmal mehr vergessen hatten, ihre Programme zu übermitteln. Und nicht minder häufig gaben Becks Kunden – und damit auch er selbst – ihr die Schuld für kurzfristige Programmänderungen einzelner Bühnen, über die ebendiese die Agentur nie informiert hatten. Es war eine Heidenarbeit, die Daten zusammenzusuchen, Woche für Woche. Und die große Fehleranfälligkeit machte sie zu einem Job für Sisyphos.

Aber einer muss ihn erledigen, dachte Zoe, als auch sie endlich im Bauch des Hauptbahnhofs verschwand, jede Silbe voll beißender Ironie. Wenigstens ist er gut bezahlt.

In der U-Bahn schlief sie fast ein. Die Fahrt nach Bornheim dauerte nicht allzu lange, und dennoch reichten die paar Minuten auf dem durch dunkle Tunnel ruckelnden Plastiksitz, dass ihr die Lider schwer wurden. Dann erreichte sie ihre Haltestelle.

Die kleine Wohnung, die sie sich mit ihrem Freund Dennis teilte, lag wenige Blocks vom Günthersburgpark entfernt und direkt über dem wohl schlechtesten Dönerladen der ganzen Stadt. Zoe lief die letzten Schritte von der Haltestelle bis zur Tür und dann die schmale Treppe im Hausflur hinauf. Ihre Finger zitterten vor Kälte, als sie die Wohnung aufschloss, und sie war kaum über die Schwelle, da warf sie die nasse Jacke auch schon von sich und schälte sich aus dem nicht minder unangenehm gewordenen Pulli.

»Jemand zu Hause?«, fragte sie. Die Eingangstür führte direkt in die kleine Wohnküche, und Zoe sah den Stapel mit der ungeöffneten Tagespost auf dem Bistrotisch an der Wand und Dennis’ Turnschuhe im Regal unter dem Fenster.

»Hallo?«

Wieder keine Antwort. Zoe schlüpfte aus ihren Schuhen, ließ die Jeans zu Boden sinken und griff sich ihren flauschig warmen Bademantel, der aus unerfindlichen Gründen über einer Stuhllehne hing. Dann ging sie in den kurzen Korridor, der die Wohnküche mit dem fensterlosen Bad und dem Schlafzimmer verband … und stutzte.

Irgendetwas war anders. Sie konnte es nicht benennen, nicht mit Händen greifen oder auch nur erklären, aber sie spürte es. Die Wohnung stimmte nicht.

»Dennis?«, fragte sie.

Angst stieg in ihr auf. Etwas war hier passiert, oder? Etwas Schlimmes, Grauenvolles. Sie spürte es in der unnatürlichen Stille überall, die ihr die Nackenhaare aufstellte und den Mund ganz trocken werden ließ. Die ganze Wohnung war viel zu ruhig. Schockstarr.

»Dennis?« Ihre Hand zitterte, als sie die Schlafzimmertür aufriss.

Dann fiel ihr Blick auf das Bett.

Kapitel 3

»Und du bist wirklich gegangen? Einfach so?«

Sonja Clemens klang fassungslos, und Zoe konnte es ihr nicht verdenken. Die komplette Geschichte hörte sich an, als wäre sie einer ultraschlechten Soap entsprungen. Traurig nur, dass jedes Wort wahr war.

»Na ja«, antwortete Zoe brummend und sah aus dem Fenster des kleinen Hotelzimmers. »Was hättest du getan? Den beiden gratuliert?«

Seit dem Eklat in ihrer Wohnung waren mehrere Stunden vergangen. Zoe wusste noch immer nicht, wer die Frau unter der Decke gewesen war. Aber das spielte auch keine Rolle. Sie war dort gewesen, in ihrem Bett, und Dennis hatte neben ihr gelegen, starr vor Schreck wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

»Zoe?«, hatte er gefragt, mit weit aufgerissenen Augen und einer Blässe auf den Wangen, die fast gespenstisch gewirkt hatte. »A… Aber was machst du denn hier? Hast du mittwochs nicht immer Spätdienst?«

Er hatte sich ihre Arbeitszeiten noch nie merken können. Nein: merken wollen. Das traf es weit eher.

Selbst schuld, du Mistkerl, dachte Zoe und kämpfte einmal mehr mit den Tränen.

Draußen vor dem Hotel prasselte der Regen nur so herunter. Den ganzen Abend schon flossen wahre Sturzbäche an den Straßenrändern vorbei, und die wenigen Autos, die jetzt noch unterwegs waren, hatten ihre Scheibenwischer in den Turbomodus geschaltet. Sogar die Lichter der Finanztürme drüben im Stadtkern kamen kaum noch gegen die Wolken, das Wasser und die Dunkelheit an. Ganz Frankfurt schien zu ertrinken.

»Was für ein Arsch«, murmelte Sonja, und ihr Mitleid suppte geradezu aus dem Telefonhörer hinein in Zoes neue Bleibe. »Wo bist du jetzt, Mädchen? Willst du vorbeikommen?«

Zoe schüttelte den Kopf, obwohl ihre Freundin es nicht sehen konnte. »Danke, aber Gesellschaft ist so ziemlich das Letzte, wonach mir gerade der Sinn steht. Ich … Ach, ich weiß auch nicht. Ich will …«

»Ruhe«, ahnte Sonja. Sie war Anfang dreißig und Krankenschwester, arbeitete in einer der größten Kliniken der Stadt. Ihre Menschenkenntnis und ihr Instinkt waren legendär, und Zoe musste einmal mehr daran denken, dass Dennis ihr vom ersten Tag an suspekt gewesen war. »Du willst dich in deiner Kummerecke verkriechen und erst mal nichts und niemanden mehr sehen müssen. Die Welt abschalten.«

»Klingt gut«, gab Zoe zu. Sie presste die Stirn gegen die Fensterscheibe, spürte das kühlende Glas und stellte sich vor, sie könne ebenfalls mit dem Regen wegschwimmen. Ganz so wie der Schmutz unten am Straßenrand.

»Ich bin in einem Hotel«, gestand sie der Freundin dann. »Irgendwo im Nordend. Als ich die zwei Turteltauben vorhin da im Bett sah, ist irgendwas in mir umgefallen, Sonni. Vielleicht meine Logik. Ich habe keinen Alarm geschlagen, nicht geheult und auch nicht peinlich herumgezetert. Stattdessen habe ich mich einfach umgedreht, die nassen Sachen wieder angezogen und bin gegangen. Einfach drauflos, verstehst du? Raus aus dem Haus, runter zur U-Bahn und blindlings weiter, nur weg. Als mir klar wurde, wie kindisch das ist, bin ich wieder ausgestiegen, und als ich aus der Station kam, stand dieses Hotel quasi direkt vor mir. Ich habe nicht lange nachgedacht, also eigentlich gar nicht. Bevor ich richtig wusste, was ich tat, bin ich auch schon hineinspaziert und habe mir ein Zimmer genommen. Als Versteck, glaube ich.«

»Das verstehe ich sogar sehr gut«, antwortete Sonja. »Gönn dir dein Versteck. Nein, wirklich. Du machst das einzig Richtige, echt. Tu, was immer dir jetzt guttut, hörst du? Scheiß auf den Idioten.«

Dennis hatte ebenfalls schon angerufen, inzwischen dreimal. Zoe hatte die Nummer auf ihrem Handydisplay gesehen, dazu sein kleines Foto, und den Anruf einfach weggedrückt. Wieder und wieder. Sie hatte nichts mit ihm zu besprechen, jetzt nicht und vielleicht auch nie mehr. Von daher: »Idiot« kam hin.

Seit fünf Jahren waren sie nun schon zusammen, sie und der groß gewachsene Hesse. Dennis war sechsunddreißig, bildender Künstler mit eigenem Atelier. Er hatte sogar schon Ausstellungen gehabt und Werke verkauft. Dennis nahm nicht regelmäßig Geld ein, aber wenn, dann immer ordentlich. Außerdem konnte er wahnsinnig charmant sein, wahnsinnig witzig. Er hatte etwas Weltmännisches an sich, das ihn umgab wie eine unsichtbare Aura. Gleichzeitig konnte er ein totaler Kindskopf sein. Ein gut aussehender Typ, wirklich – allerdings auch einer, der das wusste.

Zoe schloss die Augen. Verflucht! Sie hatte immer geahnt, dass es mal so enden würde, oder nicht? Wenn sie ehrlich zu sich war, konnte sie es nicht abstreiten. »Wandernde Augen«, so nannte man das wohl. Dennis hatte wandernde Augen und dachte vermutlich heute noch, es wäre ihr nie aufgefallen, wenn er anderen Frauen nachsah, andere Frauen anlächelte. Wer weiß, wie lange er die heutige Aktion schon geplant hatte? Ach, Mann, wer konnte schon sagen, ob es die erste gewesen war?

»Ich«, murmelte Zoe. »Ich kann es sagen. Es war die erste.«

»Was meinst du?«, fragte Sonja.

Erst jetzt begriff Zoe, dass sie den Gedanken laut ausgesprochen hatte. »Nichts, nichts. Ist nicht wichtig. Und du hast völlig recht, Sonni: Scheiß auf den.« Es brauchte gar keine wiederholten Aktionen. Jeder Verrat war ein Verrat. Jede Wunde schmerzte.

Sonja schwieg einen Moment. Dann setzte sie neu an, sanft und vorsichtig. »Du, ich kann auch zu dir kommen. Das weißt du, ja? Sag mir einfach nur, wie das Hotel heißt, und ich bin im Nullkommanichts da – mit allem, was ich um die Uhrzeit noch am Büdchen kriegen kann. Eis, Schokolade, Piccolos … You name it.«

Zoes Mundwinkel zuckten amüsiert, doch der Moment verging so schnell, wie er gekommen war. »Danke, aber lass mal. Morgen vielleicht. Für heute habe ich die Nase gestrichen voll.«

»Und was heißt das?«, wollte Sonja wissen, noch immer durch und durch mitfühlend. »Sag jetzt nicht, du stürzt dich auf die Minibar.«

Zoe drehte sich um. Sie saß auf der breiten Fensterbank des Zimmers und hatte Letzteres noch gar nicht richtig in Augenschein genommen. Jetzt, im Licht der kleinen Nachttischlampe, bot es einen eher ärmlichen Anblick. Das breite Bett und der deckenhohe Wandschrank schienen seit den Achtzigern hier zu stehen, der marineblaue Teppich mit dem Lilien-Muster wirkte nur wenig jünger. Die Tapete war ockerfarben, das gerahmte Bild der Hauptwache über dem kleinen Tisch ein in Öl gezwungener Albtraum, und die Lüftung, die in dem winzigen Bad links neben der Flurtür noch immer lief, klang wie kurz vor dem Erstickungstod. Gemütlich ging anders, aber sauber war die Unterkunft immerhin, und irgendwie hatte es etwas Beruhigendes, in einem Haus zu sein, in dem ihr gewohntes Umfeld sie nie und nimmer vermuten würde. In dem er sie niemals vermuten würde.

»Ich wäre überrascht«, sagte sie, »wenn’s hier eine Minibar gäbe. Aber mach dir keine Sorgen: Nach Alkohol steht mir momentan so wenig der Sinn wie nach einem klärenden Gespräch mit Dennis. Ich will einfach nur …«

»Schlafen«, meinte Sonja.

»Vielleicht.« Zoe nickte. »Vielleicht bleibe ich aber auch einfach nur hier sitzen und starre aus dem Fenster.«

Ins Nichts, lag ihr noch als Nachsatz auf der Zunge. Doch sie schluckte die Worte hinunter, bevor sie aus ihr hervorsprudeln konnten. Sie klang auch so bestimmt schon fürchterlich jämmerlich, mehr als sie wollte.

In einem früheren Leben war sie eigenständiger gewesen, oder? Stolzer. Zoe war im Ruhrgebiet aufgewachsen, als Kind einer griechischstämmigen Mutter und eines deutschen Vaters. Die Großeltern Maximos und Anastasia waren Ende der Sechziger aus der alten Heimat ausgewandert und hatten sich zunächst als sogenannte »Gastarbeiter«, dann aber als Gastwirte einen kleinen Namen gemacht.

Noch heute, viele Jahre und viele Beerdigungen später, dachte Zoe gern an die Kindheit in Oma Anastasias Küche zurück, an die silbernen Töpfe und Pfannen, den Geruch von Minze und Knoblauch, an das Fleisch auf dem Grill und den Schafskäse auf den Tellern.

Das Akropolis war das Herzstück des ganzen Viertels gewesen, doch die Zeiten waren natürlich lange vorbei. Heute lebte niemand mehr aus ihrer Familie, und Zoe hatte den Ruhrpott bestimmt seit zehn Jahren nicht mehr betreten. Mit der alten Heimat, von der Oma und Opa stets erzählt hatten, hatte sie nichts zu tun. Die kannte sie nur aus Geschichten … und von Anastasias vergilbten Fotos.

»Mach das ruhig«, sagte Sonja gerade und riss sie zurück in die Gegenwart. »Denk nach – oder auch mal nicht, falls dir das lieber ist. Bestell dir was aufs Zimmer, guck dir schlechte Filme im Spätprogramm an. Such dir ’ne Playlist, die zu deiner Stimmung passt, und heule. Oder prügele so lange auf dein Kopfkissen ein, bis die Nachbarn an die Wände klopfen – tue, was immer dir hilft. Aber bitte, ja? Vergiss nicht, dass ich hier bin. Dass du dich nicht verstecken musst, wenn du nicht willst. Ein Anruf genügt, Zoe. Ein Wort von dir, und wir packen das gemeinsam. Sag einfach Bescheid.«

»Mach ich.« Zoes Dankbarkeit war aufrichtig. »Versprochen. Du …« Wieder zuckten die Mundwinkel, diesmal jedoch aus Freude. »Du bist die Beste, Sonni. Weißt du das?«

»Als hättest du weniger als die verdient, ey«, erwiderte die Freundin. Zoe war, als könnte sie sie dabei grinsen hören.

Sie verabschiedeten sich, trennten die Verbindung. Zoe legte das Telefon neben sich auf die Fensterbank, zog die Knie an den Oberkörper und sah der Stadt beim Wegschwimmen zu. Regen auf den Dächern der parkenden Autos, Regen auf dem Straßenpflaster. Vorne an der Kreuzung, wo der Eingang zur U-Bahn aus dem Erdboden ragte, stand ein Linienbus an der Ampel, das Innere hell erleuchtet und die Sitzreihen so gut wie leer. Vor dem arabischen Kiosk auf der anderen Straßenseite stand ein gelangweilter Angestellter rauchend unter einem Mauervorsprung und wartete auf Kundschaft, die bei diesem Wolkenbruch ebenfalls nicht mehr auftauchen würde.

Was Dennis jetzt wohl macht?, fragte sich Zoe.

Sie hoffte, dass er sich schämte. Dass er verstanden hatte, wie tief er sie verletzt und enttäuscht hatte, und dass es ihm leidtat wie sonst nichts in seinem Leben. Es würde keinen Unterschied mehr machen, nicht für sie, aber es wäre wenigstens gerecht. Dass nicht nur sie – vor allem nicht sie – sich an diesem Abend so unglücklich fühlte.

»Du bist ein Vollpfosten, Dennis«, flüsterte sie der regendunklen Stadt entgegen. Der Stadt, in der auch er war, nur etwa ein Dutzend Haltestellen entfernt.

Dann kamen die Tränen wieder, und diesmal hatte sie keine Gegenwehr. Im Grunde weinte sie nicht einmal seinetwegen – erst recht nicht um ihn –, sondern um sich selbst, wie sie erstaunt feststellte. Darum, dass allen Ernstes eine Frau aus ihr geworden war, die mann hinterging. Die im Morgenmantel dastand, wenn um sie herum alles zusammenbrach, und nicht einmal den Mund aufbekam. Griechisches Erbe ging anders, oder? Wo war die südländisch-temperamentvolle Natur denn, wenn man sie mal brauchte? Verdammt, wo war ihre eigene Natur, der Kern ihres Zoe-Seins, geblieben? All die Jahre am Main und an Dennis’ Seite schienen sie verändert zu haben. Sie war kleiner geworden, irgendwie. Schattenhafter. Und vielleicht, nur vielleicht, hatte er es bemerkt und …

»Nein!«

Sofort sprang sie auf, runter von der Fensterbank und auf den Lilienteppich. Ihr Blick fiel auf den kleinen Spiegel an der Wand über dem Schreibtisch, auf das vom Weinen verquollene Gesicht unter den schönen schwarzen Haaren.

»Du wirst nicht dir die Schuld geben, hörst du?«, fuhr sie die Frau im Spiegel an. »Nicht für seinen Fehler. Fang bloß nicht so an!«

Ihre Unterlippe zitterte noch, doch es lag wieder Feuer in ihren Augen. Wut.

»Gut so«, befand sie und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. »Richtig so.«

Dann bemerkte sie den kleinen Stapel mit den Briefen. Im ersten Moment starrte sie ihn einfach nur an, ungläubig und verständnislos. Erst danach begriff sie.

Ich hab die Post mitgenommen? Aus unserer Küche??

Der Gedanke klang absurd, doch der Stapel sprach Bände. »Übersprungshandlung«, so nannten die Biologen das, richtig? Wenn Körper und Geist so überfordert waren, dass sie einfach nur handelten, ohne Sinn und Verstand?

»Na immerhin«, murmelte Zoe, zog die Nase hoch und griff nach dem Stapel. »Da hab ich wenigstens etwas zu lesen.«

Kapitel 4

Im Traum stand sie wieder an Anastasias Herd. Öl glänzte in der pechschwarzen Pfanne, und als ihre Großmutter den frisch geschnittenen Knoblauch hinzugab, der so herrlich duftete, zischte es leicht.

»Mit Geschmack darf man nie sparen«, sagte Anastasia. Sie war seit langer Zeit tot, doch hier im Traum war sie wieder quicklebendig, hatte rosige Wangen und das wohl wärmste Lächeln der ganzen Welt. »Merk dir das, Zoe. Der Geschmack ist das Wichtigste beim Kochen, genau darum geht es. Hör nicht auf Leute, die meinen, es ginge auch ohne Knoblauch. Die haben keinen Geschmack.«

Zoe nickte nur. Sie war erst sechs in dieser Erinnerung, konnte kaum über den Herd schauen, und sie verstand nur wenig von dem, was Anastasia sagte. Doch sie wusste, wie heimelig es hier in der Küche war. Wie schön es sich anfühlte, wie sicher.

»Und jetzt pass auf, kardoula mou«, sagte ihre Großmutter gerade. »Wir geben das Fleisch vorsichtig in die Pfanne. Damit das Öl uns nicht anspritzt.«

Im Nu lagen drei gewaltige Bifteki neben dem Knoblauch, der ganz allmählich Farbe annahm. Die Hackfleischfladen waren kräftig gewürzt und würden durch den Bratvorgang noch weitere Aromen hinzugewinnen. So war es stets.

»Wenige Minuten von jeder Seite«, erklärte Anastasia. Sie wischte sich die faltigen Hände an der Kittelschürze ab und zwinkerte der Enkelin zu. »Nicht mehr und nicht weniger.«

Zoe nickte wieder. »Und immer darauf aufpassen, dass nichts anbrennt. Erst recht nicht der Knoblauch.«

Die Großmutter lachte. »Doxa to theo, sie lernt! Es ist noch nicht alles verloren.«

Auch Zoe musste nun lachen. Obwohl sie noch so klein war, wusste sie, dass es Anastasia nicht unbedingt gefiel, wie ihre Eltern sie aufzogen. Für die alte Griechin waren die modernen Methoden und auch die Lebenswelt der Gegenwart in der Bundesrepublik nicht immer einfach. Es gab viel, was sie anders machte als ihre Nachbarn … und als die eigene Tochter es machte. Doch Anastasia klagte nicht. Sie ließ die Jugend ihre eigenen Wege gehen und freute sich umso mehr, wenn diese zurück zu den Wurzeln führten – ihren Wurzeln.

Vielleicht sah Zoe ihr auch deswegen so gern beim Kochen im Akropolis zu: Hier am Herd wirkte die Großmutter so verwurzelt wie vielleicht nirgendwo sonst. Hier lebte sie nicht nur, hier war sie.

»Und was macht unser Reis?«, fragte Anastasia nun.

Sie hob den Deckel von dem silbernen, breiten Topf, der den hinteren Teil der Herdplatte bedeckte. Darin köchelte schon seit gut einer Viertelstunde weißer Reis in einer Soße, die aus Tomaten, hausgemachter Paprikapaste und allerlei Gemüse bestand. Zoe hatte die Erbsen eigenhändig gewaschen, Anastasia die Zwiebeln und die Chilischote geschnitten. Frische Kräuter lagen in dem Sud, Thymian und ein wenig Rosmarin, und der Duft dieser köstlichen Mischung stieg Zoe einmal mehr in die Nase.

»Ah.« Anastasia nickte anerkennend. »Es wird, es wird. In zehn Minuten können wir servieren. Sagst du deinem pappous Bescheid?«

Zoe bejahte. Opa Maximos stand vorn im Lokal, wo er den Gastgeber gab und mit den Stammgästen schäkerte. Sie freute sich darauf, ihm die frohe Kunde zu überbringen.

Doch an der Küchentür blieb sie noch einmal stehen und drehte sich um. »Oma?«, fragte sie, einem plötzlichen Impuls nachgebend, den sie selbst nicht verstand. »Warum bist du eigentlich so …«

Sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Johann Sebastian Bach hatte etwas dagegen. Seine Musik – Air, in einer bezaubernden Klavierversion – hallte plötzlich durch das Akropolis und überlagerte jedes andere Geräusch. Einen Sekundenbruchteil später verschwanden der Herd, die köstlichen Düfte und leider auch die noch immer geduldig lächelnde Anastasia aus Zoes Sichtfeld. Zurück blieb allein die laute Musik … und finsterste Schwärze, bis sie endlich die Augen öffnete.

Im ersten Moment wusste Zoe nicht, wo sie war. Wem gehörten diese hässlichen Tapeten? Was machten die dicken Vorhänge in ihrem Schlafzimmer? War das überhaupt ihr Zimmer? Und wo zur Hölle kam die laute Musik her, die einfach nicht verstummen wollte?

Erst nach ein paar Sekunden, während derer sie fragend in die Leere starrte, kehrte die Erinnerung zurück. Dies war tatsächlich ihr Zimmer, allerdings ihr Hotel