Mordseekreuzfahrt - Anke Clausen - E-Book

Mordseekreuzfahrt E-Book

Anke Clausen

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Die rüstige Rentnerin Marianne Larsen und ihre Enkelin Laura erleben an Bord der „Dalia Ocean“ die Taufe des Kreuzfahrtschiffes. Patin ist das Supermodel Vivien Sander. Marianne und Laura lernen auf der anschließenden Seereise nach Oslo etliche Passagiere genauer kennen und erfahren, dass einige von ihnen gar nicht gut auf die frisch verheiratete Taufpatin zu sprechen sind. Als das Model ermordet aufgefunden wird, machen sich Großmutter und Enkelin zusammen auf die Suche nach dem Täter.

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Seitenzahl: 318

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Anke Clausen

Mordseekreuzfahrt

Kriminalroman

Zum Buch

Leinen los! Die rüstige Rentnerin Marianne und ihre Enkelin Laura checken auf der „Dalia Ocean“ ein. Das Kreuzfahrtschiff wird in Hamburg von Supermodel Vivien Sander getauft. Nach der Zeremonie beobachten Marianne und Laura eine aufgebrachte junge Frau, die Vivien und deren Partner verbal attackiert. Auf der Jungfernfahrt machen Großmutter und Enkelin die Bekanntschaft einiger Mitreisender, darunter auch die von Lilly Marino, der Exfreundin von Viviens Ehemann. Als das Model ermordet aufgefunden wird, gerät Lilly unter Tatverdacht: Sie soll ihre verhasste Konkurrentin aus Eifersucht getötet haben. Nur Marianne und Laura wissen von dem wasserdichten Alibi der jungen Frau und machen sich eigenständig auf die Suche nach dem Mörder. Bald schon wird klar, dass Lilly nicht der einzige Passagier mit einem Motiv auf der „Dalia Ocean“ ist. Mit Hilfe ihrer Enkelin stellt Marianne den Verdächtigen eine Falle und wird mit einer Wahrheit konfrontiert, die ihre schlimmsten Vermutungen noch übertrifft.

Anke Clausen lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Hamburg. Nach 20 Jahren in der Fernsehwelt als Kamerafrau und Regieführende Bildmischerin für Nachrichten, Magazine und Talkshows arbeitet sie heute als freie Autorin. 2007 startete sie ihre Krimi-Reihe um die ebenso hübsche wie neugierige Hamburger Klatschreporterin Sophie Sturm, die auf der Ostseeinsel Fehmarn herumschnüffelt. Nach mehreren Kreuzfahrten mit ihrer Familie beschloss Anke Clausen zur Abwechslung mal an Bord eines Schiffes zu morden. Die ehemalige Reporterin Marianne Larsen und ihre Enkelin Laura decken ein Verbrechen auf der »Dalia Ocean« auf.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © haiderose / stock.adobe.com und Sina Ettmer / stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-7146-9

Widmung

Für Andreas

Prolog

»Wenn du dich entscheiden müsstest? Arm, aber schön?

Oder reich, aber hässlich?«

»Ich würde mich immer für reich und schön entscheiden.«

»Aber wenn es diese Option nicht geben würde?«

»Es gibt immer Möglichkeiten.«

»Wie?«

»Man muss dafür kämpfen.«

»Wie sehr?«

»Mit allen Mitteln.«

»Wie weit würdest du gehen?«

»Sehr weit.«

»Würdest du dafür töten?«

Schweigen.

»Nicht einfach so.«

»Sondern?«

»Ich würde mir Gedanken machen und dann den perfekten Mord begehen.«

4 Wochen vor Reiseantritt

1.

Dennis Heinze wusste, dass sie es gründlich vermasselt hatten. Jetzt musste er irgendwie gute Miene zum bösen Spiel machen und die Wogen glätten. Er saß mit seinem Assistenten und der weltberühmten Kundin in der The Bridge Bar des Hotels TheWestin Hamburg in der spektakulären Elbphilharmonie. Gerade hatten sie die Wohnung der Dame besichtigt und den Stand der Dinge überprüft. Die Wände waren in der falschen Farbe gestrichen, und die Küche war noch nicht eingebaut. Nichts war im Ansatz fertig. Der Zeitplan war im Grunde kaum noch einzuhalten. Heinze wunderte sich nicht, dass Vivien Sander ausgesprochen verstimmt wirkte. Er hatte Champagner bestellt und versuchte, die Situation zu entspannen.

»Wir werden das Kind schon schaukeln«, versicherte er lächelnd und strich dabei lässig sein leicht ergrautes Haar zurück. Er habe diesen Clooney-Charme, hatten manche Damen erwähnt. Dennis Heinze befürchtete aber, dass Madame Sander dafür nicht empfänglich war. Vivien, diese wunderschöne Frau, hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem engelsgleichen Wesen, das auf Hochglanzseiten für Luxusprodukte warb. Ihre langen Beine steckten in einem weißen Hosenanzug. Die blonde Mähne war streng zurückgesteckt, und sie starrte ihn aus ihren eisblauen Augen an.

»Herr Heinze, wollen Sie mich eigentlich für dumm verkaufen? Sie haben total versagt«, bellte sie ihm entgegen.

Er schluckte. »Frau Sander. Es ist sicher nicht alles ganz glücklich gelaufen, aber wir haben ja noch ein paar Wochen Zeit. Und ich werde alles Menschenmögliche tun, damit Ihr Apartment zur Abnahme Ihren Wünschen entspricht«, beteuerte er eindringlich.

»Meinen Wünschen?« Sie neigte sich zu ihm wie eine Schlange, die ein Kaninchen schnappen wollte. Er selbst war das verdammte Kaninchen. »Wir haben einen Vertrag«, erinnerte sie ihn ohne Gnade. »Ich gehe selbstverständlich davon aus, dass Sie diese Kleinigkeiten in den Griff kriegen. Sie werden sonst eine Menge Ärger bekommen. Ich habe sehr gute Anwälte. Habe ich mich da klar ausgedrückt?«

Dennis Heinze sah in das makellose Gesicht. Ihre Augen waren hart und entschlossen. Sie machte ihm Angst. Und das mit Recht. Die berühmte Vivien Sander hatte eine Wohnung in der Elbphilharmonie gekauft und wollte in vier Wochen einziehen. Alles hätte längst fertig sein sollen, aber es gab Probleme mit einigen Lieferanten. Ihr sehr exklusiver Geschmack war nicht so leicht zufriedenzustellen.

»Also, das wird ja jetzt unser Nummer-eins-Projekt«, erklärte sein Assistent Linus Noehten unglücklicherweise. Dennis Heinze strafte ihn mit einem bösen Blick. Der junge Mann verstummte und starrte in sein Glas.

»Ich bin natürlich davon ausgegangen, dass es das immer war«, bemerkte Vivien spitz.

»Er hat das ironisch gemeint. Kleiner Scherz«, behauptete Dennis Heinze. Er lachte und merkte selbst, wie künstlich das klang. Sein Assistent zuckte mit den Schultern und wuschelte sich verlegen den blonden Lockenkopf.

»Schön, dass Sie noch lachen können«, entgegnete Vivien Sander. Sie hatte den Champagner nicht angerührt. Das war reine Geldverschwendung gewesen. »In vier Wochen bin ich wieder in Hamburg und dann möchte ich in meine Wohnung einziehen. Ich gehe doch davon aus, dass sie dann bezugsfertig ist.«

»Natürlich. So und nicht anders«, versprach Dennis Heinze und lächelte breit. »Machen Sie sich da keine Sorgen.«

Vivien nickte nur. Sie griff nach ihrem Autoschlüssel, an dem ein Porscheemblem baumelte, und nach der sündhaft teuren Handtasche von Hermès.

»Wir sehen uns in vier Wochen«, erwiderte sie. Ohne ein weiteres Wort stolzierte Vivien Sander zu den Fahrstühlen. Dennis Heinze und Linus Noethen sahen ihr nach und atmeten tief durch.

»Das ist sie also. Das Supermodel Vivien Sander«, meinte Linus Noethen ernüchtert.

»Ja, Vivien. Anfangs fand ich es noch spannend, sie kennenzulernen«, gestand Dennis Heinze. Er griff zum Glas und trank es in einem Zug leer. »Wir hätten den Auftrag nicht annehmen sollen.«

»Was mache ich nur falsch in meinem Leben?«, überlegte Linus Noethen kopfschüttelnd. »Wie kann sich eine so junge Frau überhaupt ein Apartment leisten, das ein paar Millionen Euro kostet?«

Dennis Heinze atmete tief durch. »Sie ist das Gesicht einiger der exklusivsten Marken der Welt und seit Jahren im Business. Außerdem ist sie von Haus aus reich. Ihre Eltern gehören zur High Society Hamburgs. Sollten wir diesen Auftrag vermasseln, haben wir nicht nur eine Klage am Hals. Wenn sich das in Viviens Kreisen rumspricht, können wir alle einpacken. Ich weiß gar nicht, wie ich das Alexander erklären soll.«

»Das ist ungerecht. Manche haben alles«, jammerte Linus weiter.

»Was ist schon gerecht. Auf jeden Fall dürfen wir Vivien Sander nicht enttäuschen, sonst macht die uns das Leben zur Hölle. Der Zeitplan ist knapp«, machte Dennis Heinze deutlich. Er entnahm einige Seiten aus einem Ordner und überreichte sie seinem Assistenten. »Hier ist deine Liste. Farben, Möbel, Fliesen, Küche. Wir müssen das irgendwie schaffen. In vier Wochen steht Madame wieder auf der Matte.«

»Wir kriegen das schon hin«, meinte Linus ermutigend.

»Müssen wir. Einen Plan B gibt es nicht.«

»Sonst bin ich meinen Job als Erster los, oder?«

Heinze nickte und blickte auf die Elbe. Eigentlich war er davon ausgegangen, sich in ein paar Jahren eine Segeljacht leisten zu können. Aber jetzt? Sie alle würden keinen Job mehr haben, wenn es zum Schlimmsten käme. Dennis überlegte, wie er seinem Chef die Situation erklären sollte. Alexander Harder, sein Boss und Geschäftsführer von Elbe-Interieur ging davon aus, dass er alles im Griff hatte. Dennis Heinze stöhnte und schenkte sich noch einmal nach. Der Champagner war schließlich bezahlt. Vielleicht würde er sich bald keinen mehr leisten können.

2.

Marianne Larsen betrat den Friseursalon in der Kieler Altstadt. Dietmar, der Salonleiter, begrüßte sie herzlich. »Marianne, wie schön, dass du da bist.« Er verpasste ihr zwei Luftküsschen rechts und links. »Du siehst wirklich ganz fantastisch aus. Wunderschöne Bluse.«

Marianne grinste. »Ach, das alte Ding?«

»Steht dir und schmeichelt deinem Teint«, versicherte Dietmar begeistert. »Käffchen?«

»Sehr gerne.«

Die hübsche Auszubildende nahm ihr den Mantel ab und brachte sie zu ihrem Platz. Marianne betrachtete sich im Spiegel. Was sie sah, gefiel ihr. Sie war für ihre 68 Jahre gut in Schuss und dafür tat sie auch viel. Sie schwamm im Sommer täglich in der Ostsee und im Winter hielt sie sich mit Gymnastik fit. Marianne lehnte sich entspannt zurück und wartete auf ihren Friseur. Wenige Minuten später stellte Dietmar eine dampfende Tasse Kaffee vor ihr ab und legte einen Stapel Zeitschriften daneben. »Was machen wir denn Schönes?«, erkundigte sich Dietmar, während er Marianne durch das Haar wuschelte. »Farbe? Ja, die Ansätze könnten was vertragen.«

Während Dietmar die Farbe anmischte, blätterte Marianne in einer der Illustrierten. Eine Doppelseite fiel ihr ins Auge, und sie begann zu lesen.

Berühmte Taufpatin.

Vivien Sander wird in vier Wochen das neue Kreuzfahrtschiff Dalia Ocean taufen.

Das deutsche Topmodel, das bereits in Hollywoodproduktionen zu sehen war, wird bei der fünftägigen Jungfernfahrt sogar selbst Gast an Bord sein. Ob sie wohl ihren Freund, Oscar-Gewinner Ken Fisher, mitbringt?

»Ach, die Vivien. Was für eine Erscheinung. So schön sind unsere norddeutschen Mädels, oder?«, schwärmte Dietmar. Marianne blickte durch den Spiegel in sein verzücktes Gesicht. »So ’ne Hamburger Deern. Ich liebe solche Geschichten. Und das Schiff erst. Die Dalia Ocean kommt ja am Ende der Jungfernfahrt nach Kiel. Die schaue ich mir dann an. Natürlich leider nur von außen, aber irgendwann mache ich auch mal eine Kreuzfahrt. Wenn ich nur die Zeit hätte. Aber ich kann ja den Salon nicht alleine lassen.«

»Natürlich nicht, Dietmar. Stell dir vor, du bist mal drei Tage weg. Wahrscheinlich steht dann kein Stein mehr auf dem anderen.«

»Du sagst es, meine Liebe.« Marianne schmunzelte. Dietmar war ein herzensguter Mensch, aber Ironie war ihm tatsächlich fremd. Der Friseurmeister begann damit, die Farbe auf Mariannes Haaransätzen zu verteilen. »Gleich glänzt die Pracht wieder kastanienrot.«

»Ich bin bei der Taufe dabei«, verkündete Marianne.

Dietmar starrte sie an. »Was?«

Marianne grinste. »Ich habe diese Jungfernfahrt von Hamburg über Oslo und Kopenhagen zurück nach Kiel gebucht.«

Dietmar warf den Pinsel in den Farbtopf und drehte den Stuhl, damit er ihr direkt in die Augen sehen konnte. »Das ist doch nicht dein Ernst. Wie toll! Ich flipp gleich aus.« Marianne musste lachen. Wenn einer übertreiben konnte, dann Dietmar. »Fährst du alleine?«, fragte Dietmar nun mit einer Spur Sorge in der Stimme.

»Nein«, beruhigte Marianne ihn und tätschelte kurz seinen Arm. »Ich fahre mit meiner Enkelin Laura. Sie hat sich die kleine Auszeit wirklich verdient. So ein Medizinstudium ist kein Spaziergang. Und ich freu mich so sehr, mal wieder ein paar Tage Zeit mit ihr zu verbringen.«

»Wie wunderbar«, freute sich Dietmar. »Aber dann musst du vorher unbedingt noch einmal vorbeikommen. Dann machen wir die Farbe noch mal frisch und schneiden die Spitzen. Vielleicht lernst du sogar noch einen Kerl kennen.«

Marianne schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Ach, Dietmar, ein Kerl ist das Letzte, was ich brauche. Ich war 40 Jahre lang verheiratet. Jetzt genieße ich mein Singledasein.«

Dietmar verschränkte die Arme vor der Brust und seufzte. »Also gut, kein Mann. Egal. Es werden trotzdem vier sehr aufregende und spannende Tage werden.«

Dietmar konnte ja nicht ahnen, wie recht er damit haben sollte.

3.

Lilly Marino saß erschöpft an ihrem Schreibtisch in ihrer kleinen Modelagentur. Entschlossen strich sie sich eine Haarsträhne zurück und fixierte sie mit eine Spange. Sie liebte ihre Frisur. Mit dem kinnlangen schwarzen Bob hatte sie etwas von einer Pariserin. Lilly blickte konzentriert auf den Bildschirm. Heute hatte sie 30 Kinder für ein Casting zu Gast gehabt. Es ging darum, das perfekte Gesicht für einen bekannten Süßigkeitenhersteller zu finden. Es waren noch weitere Agenturen im Boot. Die Konkurrenz war groß, und die Luft wurde immer dünner. Vor einigen Jahren hatte sie sich selbstständig gemacht und die Räume in dem hübschen Hinterhof im Hamburger Stadtteil Winterhude angemietet. Wenn sie nicht bald einen größeren Auftrag an Land ziehen könnte, wären die Tage ihrer kleinen Agentur gezählt. Obwohl Lilly jeden Tag hart arbeitete, ließ der große Durchbruch auf sich warten. Die Agentur brachte ihr gerade die Miete und die Kosten für Versicherungen und Lebensmittel ein. An ihren letzten Urlaub konnte sie sich kaum noch erinnern und Klamotten kaufte sie bei günstigen Ketten oder secondhand. Lilly atmete tief durch. Sie hatte nicht die Zeit, in Selbstmitleid zu versinken. Sie musste arbeiten. Lilly sah sich die Aufnahmen des heutigen Castings genauer an. Ein paar coole Kids waren dabei. Sie traf eine Auswahl, schickte diese per Mail an den Kunden und sprach ein kleines Gebet ans Universum. Zumindest ging es ihr privat sehr gut. Seit sie mit Noah zusammen war, war das Leben schön. Sehr schön sogar. Sie hatte den gut aussehenden Fotografen bei einem Shooting kennengelernt und sich im Augenblick total verknallt. Als Noah sie gefragt hatte, ob sie später zusammen noch was essen gehen wollen, hatte sie sofort zugestimmt. Es war die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen. Sollte sich die Agentur nicht mehr rechnen, wäre sie bereit für ein neues Leben. Vielleicht war es langsam Zeit, über eine eigene Familie nachzudenken. Für heute war jedenfalls Feierabend. Lilly schaltete den Computer aus und griff nach ihrem Smartphone. Sie öffnete Instagram und scrollte durch die neuesten Posts.

»Wow. Vivien, du bist hier?«, stellte Lilly überrascht fest. Die aktuellen Fotos zeigten das Model in der HafenCity. Im Hintergrund strahlte die Elbphilharmonie.

#BackinHamburg

#MeinePerle

#Zuhause

Sie war also in Hamburg. Lilly starrte auf die neu geposteten Bilder und wunderte sich. Warum hatte sich Vivi denn nicht gemeldet? Kaum zu glauben, dass Vivien Sander einmal bei ihr unter Vertrag gestanden hatte. Nicht lange natürlich. Diese außergewöhnliche Frau war nicht für kleine Werbekampagnen geboren. Vivien war auf der Welt, um die edelsten Designerklamotten zu präsentieren oder sehr reichen Menschen unterbewusst zu vermitteln, dass sie so wunderschön sein könnten wie das Model selbst, wenn sie nur die gleiche Creme benutzten. Mit einer Vivien Sander ließ sich der ganz teure Kram verkaufen, egal ob Taschen, Mode oder Kosmetik. Unglaublich, dass Vivi sogar eine Weile bei ihr gewohnt hatte. Sie hatten sich abends Käsetoasts und billigen Wein geteilt. Lilly fiel auf, dass es bei ihr auch heute noch oft Toast und Discounterwein gab, während Vivien in der First Class um die Welt jettete und ein Vermögen verdiente. Es war höchste Zeit, mal wieder persönlich miteinander zu quatschen, überlegte sie. Entschlossen suchte sie in ihren Kontakten nach Vivien.

»Lilly?«, meldete sich Vivien nach dem dritten Klingeln.

»Hey, du bist in Hamburg?«

»Ja, allerdings nur kurz«, erklärte das Model. »Übermorgen muss ich schon wieder zurück nach New York. Wie schön, deine Stimme zu hören. Ich wollte dich eigentlich anrufen, aber ich habe so viele Termine.«

Lilly schmunzelte. Die Gute lebte wirklich auf der Überholspur. »Alles fein. Ist doch nicht schlimm. Ich sehe ja auf Instagram, wie du um die Welt hetzt.«

»Ach Süße, manchmal weiß ich nicht mal mehr, in welcher Stadt ich gerade aufwache«, stöhnte Vivien. »Wie geht es dir denn?«

Lilly seufzte zufrieden. »Mir geht es super. Ich bin total verknallt. Wir haben uns vor ein paar Wochen bei einem Shooting kennengelernt. Noah ist Fotograf. Es war Liebe auf den ersten Blick.«

»Mein Gott, wie romantisch«, freute sich Vivien. »Du musst mir alles genau erzählen.«

»Aber nicht am Telefon. Kannst du nicht vorbeikommen?«, bettelte Lilly.

»Ich habe leider noch ein Meeting.«

»In deiner schicken Agentur?«, maulte Lilly. Sie wollte nicht neidisch klingen, doch sie hatte das Gefühl, dass ihr das nicht gelungen war.

»Das kannst du mir nun wirklich nicht übelnehmen«, beschwerte sich Vivien.

Lilly riss sich zusammen. »Ach, Vivi, das mach ich doch gar nicht. Mir ist immer klar gewesen, dass ich eine Agentur für Hamburger Freizeitmodels habe und nicht eine für internationale Supermodels«, erklärte sie und bemühte sich, gut gelaunt zu klingen. »Ich bin total stolz auf dich. Wirklich.«

»Danke. Ich kann ja auch nichts dafür. Es lief einfach zu gut.«

»Das weiß ich doch. Ach, Vivi, ich würde dich so gerne treffen und dir alles von Noah erzählen. Was ist denn mit heute Abend? Komm doch zu mir.« Lilly wartete gespannt auf eine Antwort.

»Also gut«, stimmte Vivien nach ein paar Sekunden zu. »Wo wohnst du denn jetzt?«

»Immer noch in derselben Wohnung in Winterhude.«

»In der süßen kleinen Bude?«

»Ja, die kann ich mir immerhin leisten. Und wer weiß, vielleicht suchen mein Freund und ich uns bald etwas Größeres zusammen.« Lilly schämte sich nicht für ihr kleines Nest. Sie liebte die entzückende Altbauwohnung. Trotzdem hatte sie gerade das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen.

»Dann sehen wir uns später. Um Champagner und Sushi kümmere ich mich«, verkündete Vivien. »Und dann erzählst du mir alles über deinen Freund. Ich bin richtig gespannt. Das scheint ja was Ernstes zu sein.«

Lilly konnte kaum glauben, dass ihre viel beschäftigte Freundin sich tatsächlich Zeit für sie nahm. »Super, ich freu mich.«

Was Ernstes? Es war mehr als das. Mit Noah konnte sie sich alles vorstellen.

4.

Karl-Friedrich Behrens saß auf der Terrasse seiner Villa an der Elbchaussee und genoss die Abendsonne und den Blick auf den Fluss. Zwischendurch betrachtete der Richter seinen Freund Luca. Dass dieser wunderschöne Mann mit den grünen Augen und den sinnlichen Lippen bei ihm war, war sein großes Glück. Luca war erst 25 Jahre alt. Karl-Friedrich war sich durchaus bewusst, dass es nicht selbstverständlich war, dass dieser Engel sich in ihn, einen 65 Jahre alten Mann mit grauem Haar, verliebt hatte. Zumindest behauptete der Junge das, und Karl-Friedrich wollte ihm glauben. Ein riesiges Kreuzfahrtschiff bahnte sich seinen Weg in Richtung Hamburger Hafen und das orangefarbene Licht zauberte eine ganz besondere Stimmung.

»Ist das nicht ein Traum?«, schwärmte Karl-Friedrich und lächelte seinem jungen Liebhaber zu.

»Ja, ist es«, gab Luca mürrisch zurück. »Wie immer.«

»Was ist denn?«, fragte Karl-Friedrich besorgt und streichelte Luca über den Arm.

»Ich fühle mich wie Rapunzel.«

Der Richter lachte und schenkte Prosecco nach. »Rapunzel? Du hast ja nicht einmal lange Haare.«

»Aber ich lebe in einem Turm, nicht in einem Traum«, erklärte Luca übellaunig. »Ich möchte mal was unternehmen mit dir.«

Karl-Friedrich schüttelte den Kopf. »Du weißt doch, dass das nicht geht.«

»Warum nicht?« Luca deutete auf das Schiff. »Wir könnten zum Beispiel eine Kreuzfahrt machen.«

»Eine Kreuzfahrt?« Karl-Friedrich sah ihn erstaunt an. »Wie stellst du dir das vor?«

»Ganz einfach. Wir buchen eine Reise und genießen die Zeit«, antwortete Luca. »Wir könnten eine Route nehmen, die uns in verschiedene Länder führt. Ich habe bis jetzt kaum was von der Welt gesehen.«

»Luca, wir haben doch schon 1000-mal darüber gesprochen. Ich bin Karl-Friedrich Behrens und Richter, ein sehr konservativer noch dazu. Ich kann nicht mit einem jungen Mann durch die Gegend ziehen.«

»Unter den ganzen Passagieren fallen wir sicher nicht auf«, erwiderte Luca.

»Und wenn doch? Mir ist das Risiko einfach zu hoch. Ich bin politisch aktiv und offiziell gegen gleichgeschlechtliche Ehen. Ich habe sogar gegen Schwule gehetzt«, gestand der Richter. »Wie stehe ich denn da, wenn rauskommt, was für ein Leben ich in Wirklichkeit führe? Dann bin ich erledigt.«

Luca verschränkte wütend die Arme vor der Brust. »Du bist einfach total verlogen. Wenn ich dich nicht so lieben würde, wäre ich längst weg.« Sie schwiegen ein paar Minuten. »Karl, du musst mich auch verstehen. Ich will mit dir mal raus aus unserem Käfig«, meinte Luca versöhnlich.

»Es ist ein ziemlich goldener Käfig, wenn du mich fragst. Dir fehlt es doch an nichts«, bemerkte Karl-Friedrich trocken.

»Hörst du mir nicht zu? Mir fehlen gemeinsame Erlebnisse. Lass uns eine Kreuzfahrt machen. Inkognito.« Luca nahm die Hand des Richters und küsste sie sanft. »Bitte.«

Karl-Friedrich seufzte. »Inkognito?«

»Ja, ich könnte doch ein entfernter Verwandter sein«, schlug Luca aufgeregt vor. »Mich kennt doch niemand.«

»Du bist ein Kindskopf.«

»Ich könnte dich umstylen. Chinos, Polohemden, eine Sonnenbrille, Käppi, und niemand würde darauf kommen, dass du der Richter bist. Du trägst ja immer Anzüge. Das ist doch ein Plan.« Luca sah Karl-Friedrich begeistert an.

»Polohemden und Chinos? Solche Sachen trage ich auf dem Golfplatz. So kennen mich meine Freunde«, bemerkte der Richter.

»Freunde?« Luca sah ihn herausfordernd an. »Geschäftspartner vielleicht. Freunde hast du nicht. Bei Freunden kann man sein, wie man ist. Und du bist schwul.«

»Manchmal wünschte ich, ich hätte dich nie getroffen«, behauptete Karl-Friedrich erschöpft.

Luca lächelte verführerisch. »So ein Unsinn. Du liebst mich, alter Mann.«

Der Richter schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Du willst wirklich diese Kreuzfahrt machen?«

Luca klatschte aufgeregt mit den Händen. »Ja, bitte.«

»Hör auf mit deinem Dackelblick. Ich habe ja schon fast zugestimmt. Unter einer Bedingung«, verlangte der Richter. »Wir nehmen eine Suite mit Balkon.«

»Dagegen habe ich bestimmt nichts«, freute sich Luca.

Karl-Friedrich sah ihn ernst an. »Und du bist offiziell mein Neffe.«

»Einverstanden. Wir machen ein kleines Rollenspiel. Ich bin mit dem bösen Onkel an Bord. Aufregend.«

»Luca, das ist kein Witz.«

»Das habe ich doch verstanden«, versicherte Luca. »Wenn das deine Bedingungen sind, dann soll es so sein. Ich liebe dich und ich freu mich.« Luca sah dem Richter tief in die Augen. »Ich bin aber auch traurig, weil ich weiß, dass du nie zu mir stehen wirst. Rapunzel macht nur einen Ausflug.«

5.

Lilly Marino schloss die Agentur ab und lief die kurze Strecke zu ihrer Wohnung. Die Sonne schien an diesem frühen Abend, und die Außenplätze der Cafés waren gut besucht mit Menschen, die ihren Feierabend genossen. Lilly beschloss spontan, sich einen Blumenstrauß zu gönnen, um ein bisschen Farbe in ihre kleine Wohnung zu bringen. Sie freute sich schon sehr auf das Treffen mit ihrer alten Freundin Vivien. Lilly wollte noch schnell aufräumen und den Couchtisch decken. Ein paar Kerzen hatte sie auch noch. Ihre kleine Bude sollte zumindest gemütlich wirken. Mehr hatte sie nicht zu bieten. Lilly öffnete die Wohnungstür, warf ihre Handtasche auf das Sofa und wühlte darin nach dem Smartphone. Noah meldete sich nach dem zweiten Klingeln.

»Schatz, Vivien ist in der Stadt. Sie kommt tatsächlich gleich vorbei. Wir werden uns einen schönen Abend machen. So wie früher«, erklärte sie begeistert.

»Süße, du bist ja ganz aufgeregt.«

Lilly kicherte. »Ich freu mich einfach. Wir haben uns wirklich lange nicht gesehen. Sie war ja sehr beschäftigt und außerdem lebt sie mittlerweile in New York. Ach, Schatz, jetzt wirst du sie endlich kennenlernen.«

»Genießt doch erst mal euren Abend. Ich komme dazu, wenn ich mit dem Shooting hier fertig bin«, schlug Noah vor.

»Wunderbar. Dann sehen wir uns später. Ich liebe dich.«

Lilly legte das Telefon auf den Couchtisch und atmete tief durch. Was für ein aufregender Tag. Jetzt musste sie sich erst mal um die Wohnung kümmern. Gut gelaunt spülte sie das liegen gebliebene Geschirr ab und warf die herumliegende Kleidung in den Schrank, bevor sie sich eine kurze Dusche gönnte. Nach einer Stunde erstrahlte ihre kleine Behausung romantisch im Kerzenlicht, und die frischen Blumen hatten Platz in einer Vase gefunden. Lilly ließ sich auf das Sofa sinken. Sie hatte sich für Jeans und ein weißes T-Shirt entschieden. Viviens Garderobe konnte sie sowieso nicht toppen. Das Model wurde von den exklusivsten Designern mit den teuersten Klamotten ausgestattet. Obwohl sie Geld wie Heu hatte, bekam Vivien das edle Zeug geschenkt. Lilly verbot sich jeden Neid. Nervös wuschelte sie ihren dunklen Bob zurecht. Sie zuckte leicht zusammen, als es klingelte. Lilly straffte die Schultern, drückte den Türsummer und öffnete die Wohnungstür. Mit klappernden Absätzen machte sich Vivien auf den Weg in den dritten Stock. Lilly strahlte sie an, als sie die Wohnungstür erreichte. »Vivi! Ich freu mich so. Schön, dass es geklappt hat.«

Vivien nahm sie in den Arm und küsste sie auf die Wangen. »Ja, das finde ich auch.« Sie übergab Lilly eine Tüte.

»Was hast du denn da alles mitgebracht?«, fragte Lilly lachend.

»Nur vom Feinsten natürlich.«

»Komm erst mal rein.« Lilly lotste ihre Freundin ins Wohnzimmer. Nachdem sie das köstliche Sushi und den teuren Champagner auf dem kleinen Tisch angerichtet hatte, nahm Lilly neben Vivien Platz und erhob das Glas. »Auf uns.«

»Und auf die alten Zeiten.« Vivien trank einen Schluck und sah sich um. »Ach, das ist alles so süß hier. Ich hatte ganz vergessen, wie schnuckelig deine Wohnung ist. Unzählige Abende haben wir hier verbracht und die Nächte durchgequatscht.«

»Ja, wir hatten eine tolle Zeit zusammen«, erinnerte sich Lilly.

»Und dann lief es bei mir plötzlich unglaublich«, bemerkte Vivien zufrieden. Sie schnappte sich ein Stück Thunfisch und tunkte es in Sojasoße. »Aber wenn ich dich jetzt so sehe, dann fühle ich mich fast ein bisschen schlecht. Bitte verstehe mich nicht falsch, du siehst großartig aus, und ich bewundere dich für dein Durchhaltevermögen.«

Lilly nahm eine California Roll und zog die Stirn in Falten. »Was meinst du?«

Vivien zuckte mit den Schultern. »Nun, wir beide haben klein angefangen. Du hast mir damals die ersten Schritte ins Modelleben ermöglicht. Immerhin war deine Agentur die erste, die mich unter Vertrag genommen hat. Und jetzt lebe ich im Luxus. Ich habe gerade eine Wohnung in der Elbphilharmonie gekauft, und du bist immer noch hier.«

Lilly blickte sie erstaunt an. »Ach, Vivi. Mach dir keine Sorgen. Ich komme klar und verdiene gar nicht so schlecht«, schwindelte sie. Sie hatte nicht vor, ihrer Freundin zu beichten, dass es wirklich besser laufen könnte. »Ich bin richtig glücklich, besonders seit ich Noah gefunden habe. Wie ist das eigentlich bei dir? Stimmen die Geschichten aus den Medien? Bist du mit diesem Hollywoodstar zusammen?«

Vivien lehnte sich zurück und nippte an ihrem Glas. »Ja, schon irgendwie.«

»Aber?

»Ich will in New York und Hamburg leben, und er will nicht weg aus Los Angeles. Ich hasse L.A. Es ist wirklich furchtbar oberflächlich. Aber Ken ist seine Karriere wichtiger als alles andere. Dafür muss er in Hollywood sein«, berichtete Vivien genervt. »Wir führen seit Monaten eine Fernbeziehung. Es läuft also nicht so toll, wie die Klatschblätter es darstellen. Außerdem gibt es auch ständig Gerüchte, dass er sich mit anderen Frauen trifft«.

»Das klingt kompliziert«, räumte Lilly ein. »Liebst du ihn denn?«

Vivien zuckte mit den Schultern. »Die halbe Welt liebt ihn. Es gibt ja wohl kaum eine Frau, die nicht mit ihm ins Bett möchte.«

»Ich auf keinen Fall«, versicherte Lilly lachend.

»Wow, dein Liebster muss ja wirklich ein Juwel sein. Zeig mir doch mal ein Foto.«

»Nicht nötig«, erwiderte Lilly. »Du wirst ihn noch persönlich begutachten können. Noah hat heute ein Shooting, aber anschließend wollte er noch vorbeikommen. Er war sowieso der Meinung, dass wir doch erst mal in Ruhe quatschen sollen.«

»Ah, ein Kerl, der Frauen versteht und dazu noch einen Job hat«, lobte Vivien.

Lilly lächelte verträumt. »Könnte wirklich sein, dass ich auch mal Glück habe.«

»Das hast du auf jeden Fall verdient. Ist er beruflich denn erfolgreich?«, fragte Vivien, während sie Champagner nachschenkte.

»Mit den richtigen Kontakten könnte es viel besser laufen«, gab Lilly zu. »Du weißt selbst am besten, wie sich die Branche verändert hat. Heute fotografiert man sich selbst. Und dann hat man einen Blog, eine Website oder einen Instagram Account. Da musst du dir als Fotograf erst einmal einen Namen machen.«

»Das ist wahr. Zum Glück betrifft mich das nicht«, bemerkte das Model fröhlich. »Ich war schon weltberühmt, als Social Media noch in den Kinderschuhen steckte.«

Lilly nahm noch einen Schluck Champagner, um sich Mut anzutrinken. »Vivi, ich habe eine Bitte. Kannst du nicht eine Strecke mit ihm machen und auf Instagram posten?«

»Ist das dein Ernst?«, amüsierte sich Vivien. »Du müsstest doch wissen, wie viel Geld ich für ein Shooting bekomme.«

»Ich dachte, du könntest mir diesen kleinen Gefallen tun«, erwiderte Lilly zerknirscht.

»Oh Gott! Weißt du, wie oft ich das höre?«, fauchte Vivien verärgert. »Das funktioniert so nicht. Außerdem bin ich in zwei Tagen wieder in New York.«

Lilly war den Tränen nah. Es fiel ihr schwer, betteln zu müssen, aber sie musste diese Chance nutzen. Noah könnte auf einen Schlag bekannt werden und an Aufträge kommen, an die er heute nicht mal zu denken wagte. »Bitte, Vivi. Und wenn es eine halbe Stunde ist. Wir könnten uns an der Elbe treffen und ein paar Bilder schießen.«

Vivien schüttelte den Kopf und hob die Hände. »Es tut mir leid, aber das ist unmöglich. Du weißt, ich würde alles für dich tun, aber meine Agentur wird da nicht mitspielen.«

Lilly schluckte. »Ich verstehe. Aber was wäre denn mit privaten Fotos? Wenn Noah ein Bild mit dir posten könnte, würde er viele Likes bekommen. Das könnte ihm so helfen. Du hast Millionen Follower.«

Vivien funkelte sie böse an. »Bin ich deswegen hier? Willst du deinem Schatzi den Arsch retten? Dann ist er ja wohl tatsächlich nicht besonders erfolgreich in seinem Job. Das tut mir leid, aber ich bin auch wirklich müde von Menschen, die sich an meinem Erfolg bereichern wollen.«

»Es tut mir leid«, erklärte Lilly traurig. »Ich wollte dich bestimmt nicht verärgern.«

Beide Frauen sahen sich an und schwiegen.

»Hallo? Jemand zu Hause?«, rief eine männliche Stimme. Noah Hofmann betrat das Wohnzimmer. Lilly sprang auf, glücklich, dass das unangenehme Schweigen ein Ende hatte. »Vivien, das ist Noah.« Sie küsste ihn stürmisch, und er strich ihr dabei zärtlich über den Rücken. Dann löste er sich aus der Umarmung.

»Vivien, schön, dich persönlich kennenzulernen«, erklärte er gut gelaunt. »Lilly hat mir sehr viel über eure gemeinsame Zeit hier in Hamburg erzählt.«

Vivien strahlte ihn an. Lilly hatte recht. Dieser Mann war außergewöhnlich attraktiv, und er war kein verwöhnter Hollywoodschnösel. Ihr Mund war auf einmal ganz trocken. »Ich hatte Vivien gefragt, ob sie ein Shooting mit dir machen würde. Also, was Kleines für Instagram.«

Noah sah Vivien neugierig an. »Tatsächlich? Das klingt doch toll.«

»Vivi hat leider keine Zeit. Sie muss zurück nach New York«, bemerkte Lilly.

»Ach, schade. Das hätte ich gerne gemacht«, versicherte Noah lächelnd. »Aber ich verstehe natürlich, dass du wenig Zeit hast.« Noah setzte sich auf den Boden und schnappte sich ein paar Sushi Häppchen. »Lecker.«

Vivien hatte plötzlich Schmetterlinge im Bauch. Was für ein attraktiver Mann. Dieser Noah sah wirklich fantastisch aus. Und wie er da auf dem Boden hockte und gut gelaunt das teure Sushi mit den Fingern aß, war so unkonventionell, so lässig. Diesen Mann musste sie wiedersehen. »Ich habe da vielleicht eine Idee«, überlegte Vivien. Lilly sah sie erstaunt an. »Ich mache morgen einen Segeltörn mit meinen Eltern. Noah, du könntest einfach mitkommen. Auf der Jacht können wir dann ein paar Bilder für Instagram machen. Ich würde dich anschließend auf den Fotos markieren. Wäre das so okay für euch?«

Lilly sprang auf und fiel Vivien um den Hals. »Danke. Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann. Du bist die beste Freundin der Welt.«

Vier Wochen später Freitag – Herzlich Willkommen

6.

Marianne Larsen stand vor dem Spiegel ihres Hotelzimmers im The Westin Hotel in der Elbphilharmonie und zupfte ihre rotbraunen Locken zurecht. Ihre natürliche Haarfarbe war heute eher grau als rot, doch der Friseur machte es möglich, dass sie die Marianne mit den roten Locken blieb, auch mit fast 70. Es ging ihr gut. Sie war fit, wie ihr Hausarzt ihr regelmäßig bestätigte, und wirkte zehn Jahre jünger. Marianne trug ein wenig Lippenstift auf und nickte sich zufrieden zu. Nun musste sie noch die letzten Sachen in den Trolley werfen, und dann würde es losgehen. Sie sah aus dem Hotelfenster. Der Hamburger Hafen, das Tor zur Welt, lag ihr zu Füßen. Was für eine fantastische Aussicht. Der Blick auf die Kräne, Schiffe und Boote verstärkte die Vorfreude auf die bevorstehende Kreuzfahrt. Ihre Enkelin hatte ihr vorgeschlagen, doch schon am Vortag aus ihrer Heimatstadt Kiel nach Hamburg zu fahren und sich eine Nacht in dem großartigen Hotel zu gönnen. So hätte sie weniger Stress und wäre auf jeden Fall pünktlich zum Ablegen am Terminal. Die Idee war Gold wert gewesen. Marianne hatte gestern einen wunderbaren Nachmittag in der Hansestadt verbracht, sehr gut zu Abend gegessen und hervorragend geschlafen. Am Morgen war sie gut gelaunt aufgewacht, hatte sich das Frühstück schmecken lassen und sich auf Laura gefreut. Marianne blickte auf die Uhr. Jetzt sollte sie aufbrechen. Sie schulterte ihre Handtasche, griff nach ihrem Trolley und verließ entschlossen das Zimmer. Es ging endlich los. Ihre erste Kreuzfahrt. Sie hatte in ihrem Leben nicht eine Folge Traumschiff verpasst. Die schönen Menschen, die wunderbaren Reiseziele, die Romanzen und die Probleme, die sich am Ende jeder Folge in Luft auflösten, unterhielten sie bestens. Marianne war gespannt, ob eine echte Kreuzfahrt tatsächlich etwas mit dem Traumschiff gemein hatte. Nur Probleme, die brauchte sie nicht. Sie wollte einfach nur schöne Zeit mit ihrer Enkelin verbringen und Oslo und Kopenhagen erkunden. Sie würde die Reise aus vollem Herzen genießen, und nichts und niemand würde sie davon abhalten können.

7.

Laura saß in der großzügigen Lobby, dem Plaza Foyer, im achten Stock des Hotels und wartete auf ihre Großmutter. Es war faszinierend, die An- und Abreisenden zu beobachten. Heute, am Freitagmittag, checkten weniger Geschäftsleute ein. Es waren Paare oder gut gelaunte Gruppen, die sich auf ein schönes Wochenende in der Hansestadt freuten. Sicher waren auch einige gekommen, um bei der Taufe der Dalia Ocean dabei zu sein. Laura grinste vor Vorfreude. Sie selbst würde nicht vom Ufer aus zusehen, sie würde auf dem Schiff sein und die Zeremonie direkt miterleben. Ihre Oma Marianne hatte sie zu dieser Kreuzfahrt eingeladen, und Laura hatte sich über diese Überraschung wahnsinnig gefreut. Es war immer großartig, mit Marianne Zeit zu verbringen. Sie besuchte ihre Großmutter auch öfter in Kiel, doch neben ihrem Medizinstudium und dem Kneipenjob blieb ihr nicht viel Zeit. Jetzt hatten sie fünf Tage, in denen sie ausgiebig quatschen und zusammen zwei tolle Metropolen erleben konnten.

»Laurakind!« Marianne kam flotten Schrittes auf sie zu. »Da bist du ja schon. Wartest du schon lange?«

»Oma«, rief Laura und nahm ihre Großmutter herzlich in den Arm.

»Du sollst doch Marianne sagen. Oma klingt immer so alt und gebrechlich«, beschwerte sich Marianne belustigt. Sie löste sich aus der Umarmung und betrachtete Laura. »Und? Bist du auch so aufgeregt? Ach, ich freu mich so.«

»Und ich mich erst. Das wird sicher richtig schön.« Laura schaute ihre Oma genauer an und pfiff leise durch die Zähne. »Wow, du bist ja todschick. Was für ein fescher Hosenanzug.«

Marianne strich geschmeichelt über den dunkelblauen Stoff. »Ja, den habe ich mir geleistet. Mein Traumschiff-Hosenanzug. Na, und du siehst wie immer reizend aus.« Laura lächelte. Ihre Oma war immer großzügig mit Komplimenten. Sie hatte Jeans, T-Shirt, Lederjacke und Sneakers an, also wirklich nichts Besonderes. Das schulterlange braune Haar hatte sie einfach zu einem Knoten zusammengebunden. Für Oma blieb sie trotzdem immer die Hübscheste. »Na komm. Jetzt gönnen wir uns erstmal ein Gläschen Champagner in der Bridge Bar und schauen auf den Hamburger Hafen«, schlug ihre Großmutter begeistert vor.

Die Dalia Ocean lag noch am Cruise Center Altona. Am Abend würde das Schiff zur Zeremonie in den Hafen fahren und an den Landungsbrücken vor Tausenden Schaulustigen getauft werden.

»Das ist das Unprofessionellste, was mir je untergekommen ist«, zeterte plötzlich eine Frau in der Lobby. Laura staunte nicht schlecht, als sie das Supermodel Vivien Sander erkannte. An ihrer Seite stand ein sehr gut aussehender junger Mann, der ihr vorsichtig zu verstehen gab, sie solle sich mäßigen. Ihre Wut schien sich auf den zweiten Mann zu richten, der bei dem Paar stand. Er trug einen grauen Anzug und blickte gequält zu Boden. Vivien Sander schimpfte erbarmungslos weiter. »Das Bad ist nicht fertig, das Schlafzimmer hat die falsche Farbe, und die Arbeitsplatte in der Küche fehlt komplett. Können Sie und Ihre Mitarbeiter nicht lesen? Ich wollte jetzt in meine Wohnung. Nicht ins Hotel.«

Der Mann rieb sich unglücklich die Hände. »Es tut mir wahnsinnig leid. Ich werde das prüfen.«

»Was wollen Sie denn da prüfen? Ich habe Ihnen schon vor vier Wochen gesagt, dass meine Geduld heute am Ende sein wird, wenn Sie es nicht hinbekommen, die Wohnung fertigzustellen. Sie haben auf ganzer Linie versagt«, keifte Vivien Sander weiter. »Ich werde jetzt an Bord der Dalia Ocean gehen. In fünf Tagen bin ich wieder hier. Bis jetzt werde ich Sie nur verklagen. Wenn aber die Wohnung in fünf Tagen nicht, wie abgesprochen, fertiggestellt ist, mache ich Ihren Laden fertig. Das kostet mich nur ein paar Anrufe.«

Marianne und Laura sahen sich erstaunt an.

»Donnerlittchen, die ist ja in Fahrt«, bemerkte Marianne beeindruckt. »Na, komm. Gehen wir an die Bar.«

Laura griff Mariannes Trolley, und sie machten sich auf den Weg. »Das war gerade übrigens unsere Taufpatin«, erklärte Laura.

»Das weiß ich doch, Vivien Sander. Hübsch ist sie ja, das muss man ihr lassen.« Sie bekamen einen Platz an einem kleinen Tisch direkt an der Panoramascheibe. »Wo hat sie denn ihren Hollywoodstar gelassen?«

»Oma, du kennst dich ja richtig aus in der Promiszene«, stellte Laura verblüfft fest.

»Ich habe beim Friseur einen Artikel gelesen. Ach, sieh mal. Da ist sie ja schon wieder.«

Vivien Sander und der junge Mann betraten ebenfalls die The Bridge Bar und liefen direkt an ihnen vorbei, um einen der hinteren Tische zu erreichen.

»Nun beruhige dich, Schatz.« Er küsste sie auf die Wange und streichelte ihre Hand. »Die werden das schon hinbekommen. Druck genug hast du ja gemacht. Dieser Heinze hat ganz schön ängstlich ausgesehen. Habe ich mich da etwa in eine wilde Furie verliebt?«

Viviens Gesichtszüge entspannten sich. Sie lächelte sogar. »Jetzt lernst du mein wahres Gesicht kennen«, scherzte sie.

Der junge Mann lachte. »Ich liebe dich.«

»Was darf ich Ihnen bringen?«

Marianne und Laura hatten gespannt zugehört und erschraken ein wenig, als der Kellner plötzlich vor ihnen stand. »Wir hätten gerne zwei Gläser Champagner.«

»Sehr gerne. Kommt sofort.«

Marianne schüttelte den Kopf. »Wie wir uns aufführen. Sitzen hier und lauschen. Peinlich.«

»Ganz ehrlich, Oma? Da mitzuhören, war nicht so schwierig. Sie waren laut genug«, befand Laura. »Außerdem fallen sie wirklich auf. Sie ist wunderschön, und ihr neuer Freund sieht auch richtig gut aus.«

»Na, irgendwas schien da reichlich in die Hose gegangen zu sein. Die junge Dame war ja sehr erzürnt.«

Laura schnaubte. »Das kannst du laut sagen. Aber ganz ehrlich, Vivien Sander ist ein Supermodel. Die ganze Welt kennt sie. Ich finde es schon ganz schön bescheuert, öffentlich so dermaßen auszuflippen. Heute hat fast jeder ein Smartphone, und es dauert nur Minuten, bis ihr Wutausbruch um die Welt geht. So ein Imageschaden kann teuer werden.«