MORDSLUST - Klaus Maria Dechant - E-Book

MORDSLUST E-Book

Klaus Maria Dechant

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Beschreibung

Eigentlich hat Michi Cordes dienstfrei. Eigentlich sollte jetzt der Kollege Ackermann hier im Swingerclub vor der erdrosselten Frau stehen, der der Mörder die Scham zu einem bizarren Korsett zusammengenäht hat. Und eigentlich müsste sich die junge Oberkommissarin jetzt nicht die schalen Witze ihres vorgesetzten Hauptkommissars anhören. Also eigentlich dürfte sich Michis Leben heute nicht ändern. Eigentlich!Aber diese Nacht ändert alles.

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Seitenzahl: 322

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Impressum
Widmung
1 Devier
2 Cosi fan tutteI, Sonntag, 3.30 Uhr
3 Cosi fan tutte – Bar, Sonntag, 5.00 Uhr
4 Devier, Sonntag 8.00 Uhr
5 Wohnung Cordes, Sonntag 7.30 Uhr
6 Emmertsgrund, Sonntag 7.25 Uhr
7 Wohnung Imhoff, Sonntag, 7.35 Uhr
8 Rucks Haus, Sonntag, 8.20 Uhr
9 Revier Schwetzingen, großer Konferenzraum, Sonntag 14.30 Uhr
10 Revier Schwetzingen, Vernehmungsraum I, Sonntag, 15.00 Uhr
11 Revier Schwetzingen, Vernehmungsraum II, Sonntag, 15.45 Uhr
12 Haupteingang Schlossgarten, Sonntag, 16.50 Uhr
13 Wohnung Cordes, Sonntag, 18.30 Uhr
14 Haus Ruck, Sonntag, 19.30 Uhr
15 Revier Schwetzingen, Büro Cordes, Montag, 7.00 Uhr
16 Revier Schwetzingen, großer Konferenzraum, Montag, 9.00 Uhr
17 Wohnung Jeanette Menke, Eppelheim, Montag, 8.50 Uhr
18 Wohnung Cordes, Montag, 10.00 Uhr
19 Supermarkt, Montag, 11.00 Uhr
20 Wohnung Cordes, Montag, 11.45 Uhr
21 Revier Schwetzingen, Montag, 17.00 Uhr
22 Wohnung Cordes, Montag, 19.20 Uhr
23 Wohnung Menke, Montag, 19.00 Uhr
24 Wohnung Cordes, Montag, 20.30 Uhr
25 Haus Ruck, Dienstag, 0.30 Uhr
26 Dienstag, 10.25 Uhr
27 Revier Schwetzingen, Büro Ruck, Mittwoch, 9.00 Uhr
28 Weltcafé Leimen, Mittwoch, 16.30 Uhr
29 Wohnung Menke, Mittwoch, 21.00 Uhr
30 Hotelbar ‚DORINT‘, Mannheim, Freitag, 20.50 Uhr
31 Steakhaus ‚Argentina‘, Mannheim, Freitag, 21.40 Uhr
32 Haus Ruck, Samstag, 9.30 Uhr
33 Wohnung Cordes, Samstag, 10.00 Uhr
34 Swingerclub’Orgiastic‘, Hanau, Samstag,21.00 Uhr
35 Parkplatz ‚Cave‘, Obergrombach, Sonntag, 3.00 Uhr
36 Devier, Sonntag, 6.00 Uhr
37 Haus Ruck, Sonntag, 10.00 Uhr
38 Wohnung Cordes, Sonntag, 12.00 Uhr
39 Rokokotheater, Sonntag, 19.00 Uhr
40 Wohnung Cordes, Montag, 10.00 Uhr
41 Revier Schwetzingen, Montag, 12.45 Uhr
42 Revier Schwetzingen, Büro Ruck / Vernehmungsraum, Montag, 14.00 Uhr
43 Revier Schwetzingen, Montag, 15.00 Uhr
44 Schlossgarten, Montag, 17.00 Uhr
45 Wohnung Stahlberger, Montag, 18.00 Uhr
46 Wohnung Cordes, Montag, 19.00 Uhr
47 Wohnung Gregor, Mannheim, Montag, 21.30 Uhr
48 Atelier Tchandé, Ingelrein, Dienstag, 14.15 Uhr
49 Haus Ruck, Dienstag, 19.00 Uhr
50 Wohnung Gregor, Mittwoch, 5.45 Uhr
51 Wohnung Menke, Eppelheim, Mittwoch, 12.15Uhr
52 Revier Schwetzingen, Vernehmungsraum I, Mittwoch, 15.00 Uhr
53 Revier Schwetzingen, Büro Hemmerich, Mittwoch, 16.00 Uhr
54 Revier Schwetzingen, großer Konferenzraum, Mittwoch, 17.00 Uhr
55 Villa von Breitenstein, Mannheim-Niederfeld, Mittwoch, 19.00 Uhr
56 Wohnung Kern, Mannheim-Luzenberg, Donnerstag, 14.00 Uhr
57 Kopfklinik, Heidelberg, Donnerstag, 18.00 Uhr
58 JVA Mannheim, Freitag, 10.15 Uhr
59 Wohnung Tanja, Freitag, 20.00 Uhr
60 Swingerclub ‚Orgiastic‘, Hanau, Samstag, 22.30 Uhr
61 Schwetzingen, Sonntag, 14.00 Uhr
62 Revier Schwetzingen, Büro Cordes, Montag, 10.00 Uhr
63 JVA Mannheim, Montag, 11.20 Uhr
64 Revier Schwetzingen, großer Konferenzraum, Montag, 17.00 Uhr
66 Revier Schwetzingen, Dienstag, 14.00 Uhr
67 Haus Ruck, Mittwoch, 17.00 Uhr
68 Wohnung Cordes, Samstag, 15.00 Uhr
69 Swingerclub ‚Orgiastic‘, Hanau, Sonntag, 0.30 Uhr
70 Devier, Sonntag, 8.00 Uhr
71 Wohnung Tanja, Sonntag, 8.00 Uhr
72 Wohnung Gregor / Polizeipräsidium Mannheim, Sonntag, 9.30 Uhr
73 Polizeipräsidium Mannheim, Sonntag, 11.20 Uhr
74 Revier Schwetzingen, Vernehmungsraum II, Montag, 19.00 Uhr
75 Landgericht Mannheim, Dienstag, 10.15 Uhr
76 Revier Schwetzingen, Büro Cordes, Dienstag, 12.00 Uhr
77 Weltcafé Leimen, Mittwoch, 18.00 Uhr
78 Haus Ruck, Mittwoch, 19.00 Uhr
79 Wohnung Menke, Mittwoch, 20.00 Uhr
80 Palais Hirsch, Schwetzingen, Donnerstag, 12.00 Uhr
81 Büro Cordes, Donnerstag, 17.00 Uhr, zwei Tage vor Heiligabend
82 Wohnung Gregor, Donnerstag, 20.00 Uhr
83 Saint-Pierre-de-Chandieu, Freitag 8.00 Uhr
84 Michi
Klaus Maria Dechant
Michi Cordes kommt zurück!

Klaus Maria Dechant

MORDSLUST

Michaela Cordes #1

Kriminalroman

Impressum

Die Handlung und alle in diesem Buch auftretenden Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit noch lebenden oder bereits verstorbenen Menschen sind rein zufällig. Bezüge zu tatsächlichen, bedeutenden staats- oder weltpolitischen Ereignissen dienen lediglich der zeitlichen Einordnung der Handlung am Ende des Jahres 2017.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die über die Grenzen des Urheberrechtsgesetzes hinausgeht, ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Vertonungen sowie die Speicherung in elektronischen Systemen.

ISBN (eBook): 978-3-98576-005-3, Überarbeitete Neuauflage 2021 © 2021 Early-Bird-Books, Hauptstraße 156, 68799 Reilingen. (Erstveröffentlichung im Südwestbuch Verlag, Waiblingen, Oktober 2019.) Titelgestaltung und Satz: CreativeCommunications, Reilingen. Titelbild «Bloody Mary», Adina Tchandé Lektorat/ Korrektorat: Ingeborg Dosch, Leimen.

www.early-bird-books.de

Widmung

Für Diana. Meine Muse und Liebe meines Lebens.

Die Bestie in uns will belogen werden; Moral ist Notlüge, damit wir von ihr nicht zerrissen werden.

Friedrich Wilhelm Nietzsche

1 Devier

Mein Name ist – nun ja, der tut jetzt noch nichts zur Sache. Nennen Sie mich einfach Devier. Ich hasse Frauen und deshalb töte ich sie. Zuerst meine Mutter. Da war ich achtzehn.

Ob ich eine schlimme Kindheit hatte? Gar nicht. Ich hatte sogar eine ausgesprochen schöne Kindheit. Geboren in Lyon wuchs ich in Saint-Pierre-de-Chandieu auf, das liegt ungefähr dreißig Kilometer südöstlich von Lyon. Wir hatten ein großes Landhaus, etwas oberhalb mit einem wundervollen Blick auf das Chateau de Rajat mit seinem weiten Park.

Es fehlte mir an nichts. Jede freie Stunde verbrachte mein liebevoller Papa mit mir. Es waren wenige, aber beglückende Stunden. Er führte erfolgreich im benachbarten Industriestädtchen Saint-Priest einen mittelständischen Zulieferbetrieb für die LKW-Produktion von Renault – irgendwas mit Bremsen, aber da kenne ich mich wirklich nicht aus. Die kleine Fabrik hatte er jedenfalls mitsamt den fünfundvierzig Angestellten von seinem Vater geerbt, und er sorgte damit für ein mehr als üppiges Einkommen. Ja, wir waren wohlhabend.

Meine Mutter war eine kleine, zierliche Frau. Dem allgemeinen und ihrem eigenen Empfinden nach herausfordernd schön. Aufopferungsvoll verarbeitete sie an weiten Teilen des Tages Bäder, Cremes und diverse Maquillage, um das Unvermeidbare aufzuschieben. Die verbleibende Zeit erging sie sich im Wehklagen. Über den Mann, dem es an Einsicht mangelte, welches Glück er mit dieser Frau habe, und natürlich über das Kind und dessen ruinöse Beteiligung am körperlichen Verfall.

So etwas wie Freude schien ihr lediglich ihre Garderobe zu bereiten. Als gelernte Schneiderin trug sie, trotz unseres Wohlstandes, fast nur, was sie auch selbst in ihrem kleinen Atelier in unserem Landhaus genäht hatte – bevorzugt aufreizende Corsagen, mit denen sie an warmen Tagen gerne ihre für ihren Körperbau recht üppige Oberweite zur Schau trug. Das rief zwei Interessengruppen auf den Plan. Die eine, die auch solche Corsagen haben wollte – meine Mutter bediente sie gerne – und die andere, die sich mehr für den Inhalt interessierte – und auch diese bediente meine Mutter sehr gerne. Man kann sagen, meine Mutter war eine Schlampe, was ihr irgendwann auch den zweifelhaften Beinamen ‚matelas de Saint-Pierre‘, die Dorfmatratze einbrachte.

Mein Papa zerbrach daran. Am Morgen des 13. November hing sein stolzer, lebloser Körper einfach so da, an der mit Schnitzereien reich verzierten Balustrade, die die große Empore zu den Schlafräumen unseres Hauses nach unten in das herrschaftliche Wohnzimmer begrenzte.

Selbst da lachte meine Mutter noch, beschimpfte den Kadaver als ‚couille molle‘, als Schlappschwanz, als feigen Sack. Ich ertrug das genau zwei Tage. Dann nahm ich einfach das schwarze Satinband von ihrem Nähtisch, wickelte es ihr ein paar Mal um den Hals und zog zu. Ich erinnere mich noch gut, wie ihr kleiner Körper zappelte. Wie ein Fisch, der versucht, vom Haken loszukommen. Und natürlich legte ich ihr noch eine Corsage an. Ihre Letzte.

2 Cosi fan tutteI, Sonntag, 3.30 Uhr

Immer wieder leuchtete die Haut von Sylvia Imhoff wie silbriger Samt auf, nur um ein um das andere Mal im Halbdunkel des dämmrig erleuchteten Zimmers zu verschwinden. Diese letzten drei Aufnahmen, und der Polizeifotograf hatte seine Arbeit erst einmal erledigt.

«Gibt’s do drinn eigentlisch kä gscheits Lischt?» Bernhard «Buddha» Leistritz versuchte, über die linke Schulter nach hinten zur Chefin des Swingerclubs zu schauen. Es gelang ihm nicht. Den Spitznamen «Buddha» hatten ihm seine Kollegen der Kriminaltechnik in Heidelberg nicht ohne Grund gegeben. Wie ein in einen weißen Kochbeutel verpackter Riesenknödel hockte der Spurensucher neben dem zierlichen Opfer. Die dreißigjährige Krankenschwester drohte, unwiederbringlich in der Kuhle zu verschwinden, die Buddha in die Billigmatratze drückte, auf der sie ermordet worden war.

«Na CSI Buddha – hat einer die Kleine totgebumst?» Das freche Grinsen in Guido Rucks Gesicht verformte sich binnen Sekundenbruchteilen in ein gepresstes Würgen. Reflexartig hatte Michaela Cordes ihm den Ellbogen in die Magengrube gerammt. Obwohl die schlanke, durchtrainierte Blondine flache Converse trug, war sie immer noch gut einen halben Kopf größer als ihr vorgesetzter Kriminalhauptkommissar. Sie hatte die etwas mehr als schulterlangen Haare wie immer im Dienst zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden.

Vergangene Woche waren es drei Jahre gewesen, als die junge Polizistin aus Hannover nach Schwetzingen zur Kriminaloberkommissarin befördert worden war. Ihr Freund, ein aalglatter Wirtschaftsinformatiker aus gut betuchtem Hause mit Waschbrettbauch unter dem Shirt und einem schicken stahlblauen BMW-Cabrio in der Garage, hatte bei einem großen Softwarehaus in der Kurpfalz angeheuert. Vor drei Monaten hatte sich Ken aber eine neue Barbie gesucht. Warum Cordes in der Region geblieben war, wusste sie nicht. Warum sie weggehen sollte aber auch nicht. Also beließ sie es dabei. An Guido Ruck, den Leiter der Mordkommission, hatte sie sich gewöhnt, sie waren sogar sowas wie Freunde geworden. Seine derben Späße jedoch waren ihr zu wider. Michaela Cordes war eh sauer. Sie musste einspringen, weil ihr Kollege sich kurzfristig krankgemeldet hatte. Auf Abruf hieß es. Der Abruf war gekommen. Ruck hatte sich von dem deutlichen Knuff in die Magengrube wieder erholt und funkelte seine Partnerin von unten verständnislos an.

«Kinners, isch brauch mehr Lischt!» Buddhas Genörgel zeigte Wirkung. Ein junger Polizeimeister stolperte mit hochrotem Kopf und einer gelben Bauleuchte in das «Orientalische Zimmer» des Swingerclubs und versuchte, im Halbdunkel den Stecker in eine passende Dose zu fingern. «Also, wenn du hier drin nichts zum Reinstecken findest …» weiter kam Guido Ruck nicht – diesmal musste seine Kollegin den Arm nur drohend heben.

Wo eben noch kaskadierende Baldachins mit stilvollen Islimi-Mustern dem Raum einen fast mystischen Anstrich verliehen hatten, tauchten die beiden Fünfhundert-Watt-Strahler das fünfundzwanzig Quadratmeter große Dachzimmer in das hässliche Licht der Realität. Fünf billige Schaumstoffmatratzen reihten sich Glied an Glied auf der Pressspanempore, die leidlich an die Wandelgänge rund um die von Kurfürst Carl-Theodor erbaute Moschee im Schlossgarten Schwetzingen erinnerten. Drei Pappkartons mit Taschentüchern aus dem Drogeriemarkt, zwei Plastikkörbchen aus dem Ein-Euro-Laden gefüllt mit Kondomen und eine Reihe kitschiger Kissen, die eher ans Biedermeier als an den Orient erinnerten, rundeten das skurrile Bild unästhetisch ab.

«Geht doch», raunte Leistritz den Umstehenden zu, während er den Blick auf die Leiche der jungen Frau fast vollends mit seiner Leibesfülle versperrte.

Cordes‘ Augen versuchten, sich an das grelle Licht zu gewöhnen. Sie zückte ihr Smartphone und rief die Notizfunktion auf: «Todeszeitpunkt? Zumindest ungefähr …»

Buddha zog das Thermometer aus dem Anus des Opfers. «Isch denk emol, die liegt so seit zwe Stund do – plusminus e halb Stund. Is schwer zu saache, die war laut em Notarzt genau an de uffgedrehte Heizung gelege. Also isch schätz emol, dass sie so um halb zwe heit Nacht umgebrocht worre iss – so wie isch es seh, erdrosselt!» Buddha, ein KTler mit medizinischer Halbbildung, der nächtens auch mal den Job des meist zu spät oder gar nicht kommenden Vertragsarztes übernahm, rutschte mit seinen fleischigen Knien langsam rückwärts und versank dabei immer weiter in dem Schaumstoff wie in Treibsand, nur aufgehalten – vorläufig zumindest – von der hölzernen Unterkonstruktion. «Konn mir mol ähner helfe, die Fraa zu bewege?» Er deutete auf den Polizeimeister, dem diese Nacht noch lange im Gedächtnis bleiben würde.

Er war mit seinem Kollegen dem ‚Cosi fan tutte‘ am nächsten gewesen, als der Funkspruch durchkam: «107 in der Heldstraße 14 in Schwetzingen!». Die Adresse war bekannt. Der Polizist hatte schon mehrmals mit einer Funkstreife hier vorbeifahren müssen. Das Übliche: besoffene Typen, aufdringliche Typen, unbefriedigte Typen und manchmal alles auf einmal. Weiter als in die Bar des höchst umstrittenen Etablissements im Gewerbegebiet war er jedoch noch nie gekommen – bis heute.

Etwas verschämt hatten die beiden Polizisten in die Überwachungskamera oberhalb der Eingangstür des Clubs geschielt, nachdem sie geklingelt hatten. Eine junge Dame, schätzungsweise Anfang, Mitte zwanzig, die Haare modisch kurz geschnitten, hatte ihnen geöffnet – bildhübsch in einem eng anliegenden rückenfreien blauen Satinkleid. Sie hatte einfach umwerfend ausgesehen, als sie den Beamten mit ihren tadellos geschminkten Lippen und den perfekten Zähnen entwaffnend ins Gesicht gelächelt hatte. Das schummrige, gelb-rote Licht in dem engen Flur hatte die offen gezeigten Narben auf ihrem nackten Rücken schmeichelnd verdeckt.

Im gleichen Moment war Gudrun Ziska, die Chefin des Swingerclubs, linkisch auf die beiden zugestöckelt. Wie ein Huhn, dem es gleich an die Kehle geht, hatte sie mit ihren Händen umhergewirbelt: «Oben, oben liegt sie. Der Notarzt sagt, sie ist tot.»

Der Notarztwagen war etwa eine Viertelstunde vor der Polizei eingetroffen. Gudrun Ziska hatte ihn gerufen, nachdem besorgte Clubbesucher meinten, da läge eine, der ginge es nicht gut. Man habe versucht, sie aufzuwecken, aber sie habe sich nicht gerührt.

Die beiden Beamten hatten an der Bar vorbeigehen müssen, bevor sie die Treppe des umgebauten, weitläufigen Einfamilienhauses nach oben gehen konnten. Ein kurzer Blick hatte ihnen verraten: Gerade mal eine Handvoll Leute, zwei Männer in Unterhosen und Adiletten und vier Frauen in mehr oder weniger passenden Dessous hatten sich an der langen Theke verloren. Dazu ein Paar in Abendkleidung etwas abseits auf dem Sofa einer Sitzgruppe, daneben zwei rollbare Kleiderständer, prall gefüllt mit erotischer Unterwäsche. Die Versammlung hatte die Beamten angestarrt, während sich oberhalb der Theke eine mit Silikon vollgestopfte Blondine auf dem zweiundvierzig-Zoller von drei Typen gleichzeitig hatte bedienen lassen.

«Die sind vorhin alle nacheinander gegangen», hatte das aufgescheuchte Huhn diese Szenerie der Leere kommentiert. Die sechs übrig gebliebenen Gäste hatten zu ihrem Leidwesen den allgemeinen Aufbruch verpasst. Im Kellergeschoss hatten sie sich Sinnesfreuden hingegeben und so gar nichts von dem mitbekommen, was zwei Etagen über ihnen vonstattengegangen war. Und das Verkaufspersonal hatte wohl einfach nicht schnell genug zusammenpacken können. Nun hockten sie da, im Gesicht ein gemischter Ausdruck aus Scham und Neugierde und hatten sich der knappen Anweisung der Beamten gefügt, sich ja nicht von der Stelle zu bewegen.

«Soll isch dir ä Oiladung schicke?» Buddha blitzte den Polizeimeister vorwurfsvoll an. Wortlos krabbelte der junge Mann mit den beiden blauen Sternen auf der Schulterklappe auf das gar nicht mehr orientalisch aussehende Matratzenlager. Er war froh, dass er sich Latexhandschuhe übergestreift hatte – weniger wegen der Leiche, die er gleich anfassen würde. Denn Minuten zuvor hatte Buddha im völlig dunklen Raum das UV-Licht eingesetzt, um mögliche Spermaspuren sichtbar zu machen. Ein Gemälde von Pollock war nichts gegen die bizarre Kleckserei, die sich den Beobachtern sogar an den Wänden bot. Ruhig und besonnen hatte Buddha mit einem Wattestäbchen eine Probe der getrockneten Flecken unterhalb der linken Brust der Toten genommen, worauf er einen geschmacklosen Kommentar folgen ließ, als er das Stäbchen in einem Plastikröhrchen sicherte: «Isch geh emol defu aus, dass des kä Sprühsahne is.»

Sylvia Imhoff wirkte immer noch, als würde sie schlafen. Auf der rechten Seite, fast bäuchlings mit dem Gesicht an der Heizung, hatte sie nach Aussage des Notarztes gelegen. Ein Bein leicht, das andere stärker angewinkelt, hatte sie Halt in dieser Position gefunden. Der Verlauf der zuvor gesicherten mutmaßlichen Körperflüssigkeit bestätigte die Darstellung. Der rote String saß immer noch perfekt, an den Füßen trug sie transparente Plastikplateaus. Die Haut war immer noch rosig, und erst jetzt im grellen Licht der Scheinwerfer waren die deutlichen, blutunterlaufenen Spuren eines Bandes oder Seiles am Hals zu erkennen.

Das Würgen währte nur kurz, und mit einem Schlag erbrach sich der Polizeimeister über die Beine der Toten. Er hatte sie bei den Füßen genommen, während Buddha Leistritz den Leichnam an den Schultern vorsichtig zu sich gedreht hatte. Ein gruseliger Schauer durchfuhr auch den erfahrenen Kriminaltechniker, der wie Cordes und Ruck fassungslos auf die drei Schnitte starrte, die die leicht gebräunte Bauchdecke der Toten entstellten. Augenscheinlich gleich lang. Sie waren auch in der Tiefe präzise ausgeführt worden und formten ein gleichschenkliges Dreieck.

Guido Ruck fasste sich als erster wieder: »So, jetzt nochmal der Fotograf – und du Bub, gehst raus, bevor du die anderen Spuren auch noch vollkotzt!» «Ich heiße Henning», quittierte der junge Beamte leicht pikiert die zweite despektierliche Aufforderung in dieser Nacht, während er sich mit einem Taschentuch über die Unterlippe wischte.

Cordes wollte nicht auf den Fotografen warten und richtete instinktiv ihr Handy auf die Leiche. Mit einem kurzen, elektronischen Klicken bannte sie das Überraschende auf einem Foto.

«Moment», Buddha erhob mahnend die klobigen Hände, nur um sie gleich wieder zu senken und überraschend geschickt den Tanga des Opfers leicht nach unten zu ziehen und die Scham zu entblößen. Befremdlich schön mutete die kunstvolle Corsage an, die der Täter Sylvia Imhoff an der Scham angelegt hatte. Mit sechs Stichen, drei auf jeder Seite, waren die glatt rasierten, zarten, fast kindlich anmutenden Schamlippen mit einem etwa drei Millimeter starken, schwarzen Satinband in Kreuzbindung zu einem eng geschnürten Korsett zusammengezogen worden, dessen Ende eine gleichmäßig gebundene Schleife zierte.

3 Cosi fan tutte – Bar, Sonntag, 5.00 Uhr

Stoisch und immer noch unter dem Eindruck des eben Gesehenen hackte Michaela Cordes stehend einige letzte Infos in ihr Handy. Neben ihr drehte sich Guido Ruck ratlos auf einem mit Kunstleder bezogenen Barhocker hin und her.

Nur mit Mühe hatten die beiden Streifenbeamten verhindern können, dass sich die letzten Clubgäste ebenfalls aus dem Staub machten. Nach der Aufnahme der Aussagen hatte sich die kleine Swingergemeinde tuschelnd auf die beiden Sofas in der mit zwei Schwarzlichtröhren illuminierten Kaminecke getrollt.

«Henning! Wenn Sie die Personalien haben, schicken Sie die Leute heim!» Das Knacken des letzten Scheits im Kamin wetteiferte mit dem Tippen von Cordes‘ Fingern auf der Glasfläche des Smartphones gegen die betretene Stille im Raum.

Die vorangegangene Vernehmung, da war sich Cordes sicher, würde lange unangefochten Platz 1 auf ihrer persönlichen Bestenliste skurriler Zeugenbefragungen einnehmen. Begonnen hatte sie mit Egon und Liselotte Büngener aus Neunkirchen. Zwei unaussprechlich unattraktive Menschen, die mit einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein noch immer ihre an dem Abend erstandenen, viel zu engen Dessous trugen. An Egons Netz- Pants hing hinten noch das Preisschild, während sich vorne etwas Schrumpeliges durch das Gewebe quellen wollte. Liselottes ‚Hauch von nichts‘ trug indes wenig dazu bei, die fortgeschrittene Zellulitis an den voluminösen Oberschenkeln angemessen zu verdecken. In breitestem Saarländisch hatten sie - eigentlich nur Lieselotte - ihre Beobachtungen zu Protokoll gegeben: «Schunn als die Klein mit dem Typ reinkomme is, hann isch zum Egon gesacht, des wär schon was, gell. Isch hänns ihm ja ach gegönnt. Aber die hann sisch ja mit keim unnerhalde unn nur do hinne uffm Sofa rumgemacht!»

«Können Sie den Mann beschreiben, mit dem Sie hier war?»

«Jo, en Hübsche. Größer als mein Egon. Awwer des is jo ach net schwer. Blonde Hoor, so noch hinne gekämmt mit Gel, en Affezibbel, wann se misch froochen!»

«Ein was?»

«Ei jo, en Fatzke halt, der sisch fer was Bessers halt. Hot misch drauße am Klo angebluzzd, als isch Bach mache wollt und hot sisch net emol entschuldischt. Awwer die Sieschmiss, die hot was!»

«Sie wissen schon, dass die Frau tot ist», Michaela Cordes fiel ihr schroff ins Wort, während Egon wie ein Wackeldackel dümmlich nickte: «Gell, arg schad!»

Das andere Paar kam aus der Nähe von Karlsruhe. Ein kahlköpfiger Bodybuilder namens Uwe mit seiner sehr dünnen, aber gepflegten Frau Andrea. Dazu noch die beiden Solodamen Larissa und Wiebke aus Hockenheim. Erhellendes hatte das Quartett nicht beizutragen. Nach der Dessousmodenschau so gegen halb zwei habe man sich auf eine der Spielwiesen im Keller zurückgezogen. Uwe wirkte stolz. Larissa wollte noch einen Streit von Sylvia Imhoff mit einem Single-Mann mitbekommen haben, einem kleinen, schmächtigen Typen mit einem Haufen Tattoos. Vermutlich einer der Russen, die regelmäßig hier zu Gast seien.

Unbeirrt schrie die Blondine auf dem Monitor geräuschlos ihre vermeintliche Lust in den leeren Raum.

Mit letzten Anweisungen hatte Buddha vor wenigen Minuten den Leichentransport in den sonntäglichen Novembermorgen gen Rechtsmedizin nach Heidelberg geschickt. Auf der undurchlässigen Oberfläche seines Schutzanzuges krallten sich noch die Tropfen des kalten Regens fest, als sich der Kriminaltechniker von dem offenbar vergessenen Restebuffet aus dem kleinen Nebenraum in Richtung Tresen wälzte.

«Also gschdorwe isch se an denne Schnidde net, die ware post mortem, genau wie die Naht an de Muschi, do war zu wennisch Blut», nuschelte es aus dem Mund, der gerade versuchte, drei Scheiben halb vertrocknete Salami bestimmungsgemäß zu zermalmen. «Die Schpure am Hals, do tipp isch uff Erdrossle, wie isch vorhin schunn gsacht hab, genaueres vumm Gerischtsmediziner!»

Michaela Cordes hatte einige Monate gebraucht, bis sie in der Lage gewesen war, das Kurpfälzer Idiom lückenlos zu verstehen – und sie hatte verstanden. Tod vermutlich durch Erwürgen – Schnitte und Naht post mortem. Alles festgehalten in ihrem nagelneuen Smartphone.

«Fassen wir mal zusammen», dozierte Cordes, ohne den Blick vom Display ihres Handys zu wenden: «Die Tote heißt Sylvia Imhoff, ist aus Heidelberg – das wissen wir aus dem Inhalt ihres Spindes. Dreißig Jahre alt. Todeszeitpunkt etwa zwei Uhr morgens – plus minus eine halbe Stunde, Todesursache Erwürgen. Schnitte und Naht hat sie erst später zugefügt bekommen. Das wissen wir, weil auf der Matratze da oben kaum Blut zu finden war». Cordes Stimme wurde lauter, fast aggressiv. «Ob unser Opfer vergewaltigt worden ist, wissen wir nicht, weil hier eh jeder mit jedem vögelt. In dem Club hier waren etwa hundertfünfzig Gäste, man hat sie mit einem Mann zusammen gesehen, und, dass sie wohl einen kurzen Streit mit einem der anderen männlichen Gäste hatte, und fast alle haben sich verdrückt!» Zur Lautstärke gesellte sich Ironie. «Eine Gästeliste gibt es nicht, weil Diskretion in diesen Kreisen ganz großgeschrieben wird! Scheiße, wir haben nichts!»

Ruck fiel fast von dem Barhocker, auf dem er bis dahin gelümmelt hatte, als die schlanke und manikürte, aber gänzlich schmucklose Hand seiner Kollegin mit ungeahnter Wucht auf den Tresen klatschte. So hatte er Michaela selten erlebt. Irgendwie sexy, dachte er bei sich, noch während er versuchte, sich möglichst elegant wieder in eine aufrechte Position zu bringen. In drei Jahren waren es nur wenige Momente gewesen, in denen diese bis ins Mark disziplinierte Karrierefrau, deren Schreibtisch immer so aussah, als würde sie in zehn Minuten ihren Ausstand geben, eine Emotion gezeigt hatte.

Der athletische, aber weibliche Körper der Oberkommissarin war zum Zerreißen gespannt, als würde sie gleich zum Ironwoman starten. Erstmals in drei Jahren entdeckte Guido Ruck in seiner Kollegin die Frau. Ihren perfekten Po, der in der Dolce & Gabbana-Jeans zum Anbeißen aussah, die kleinen, aber runden und festen Brüste … Es lag wohl an der Atmosphäre.

Der zweifache Familienvater verdrängte mit Macht die Gedanken, die ihm in Sekundenbruchteilen durch den Kopf geschossen waren. «Michi», den Kosenamen benutzte er immer, wenn er seine junge und unbeherrschte Kollegin beruhigen wollte, «in der Ruhe liegt die Kraft. Wir kriegen das Arschloch!» Bei Frauen und Kindern war seine Kollegin nicht mehr von dieser Welt. Wie er.

Seine Befragung des Dessousverkäufer-Ehepaars aus Aschaffenburg hatte auch nicht viel ergeben. Kann sein, dass man die junge Frau gesehen habe, «aber wissen Sie, wenn wir im Verkaufsmodus sind, dann ist das wie im Tunnel – Time is Money!» Eberhard Schmitt, mit Doppel-T und der etwas zu weiten, mit schwarzen Pailletten besetzten Smokingjacke – er war wohl mal dicker gewesen – hatte mit beiden Händen nach Verständnis geheischt. Man sei den ganzen Abend in der Bar gewesen und habe ständig Verkaufsgespräche geführt und die Modenschau vorbereitet. Schmitt hatte hinüber zu Larissa und Wiebke gestrahlt: «Tolle Models hatten wir heute!» Nicht ohne Guido Ruck noch einen Stringbody vorzustellen, «das betont Ihre Männlichkeit, wenn Sie wissen, was ich meine», hatte Schmitt dem genervten Kommissar grinsend seine Visitenkarte überreicht: «EES-Dessous – Elvira und Eberhard Schmitt, besuchen Sie uns mal im Internet!»

Die Clubchefin hatte ihre Stilettos in der Zwischenzeit gegen deutlich bequemere, aber weniger präsentable Plastikclogs eingetauscht, schlurfte in Richtung Kamin und schien Rucks Frage bewusst zu überhören. «Frau Ziska, irgendwie muss man doch feststellen können, wer heute Abend da war? Was ist mit der Kamera am Eingang?»

Ein Satinkleid beugte sich über den Tresen zu Guido Ruck: »Die über der Eingangstür zeichnet nicht auf, da sehen wir nur, wer draußen steht. Aber in der Umkleide im Keller ist seit ein paar Wochen auch eine Kamera. Weil viel geklaut wird, hat die Chefin gesagt. Und einige unserer Gäste melden sich über «bodysharing.de» im Internet an – dann gibt’s Prozente auf den Eintritt. Ich kann Ihnen die Nicknames geben, vielleicht kriegen Sie ja die richtigen Namen raus! Ich bin übrigens Jeanette.»

Irrte sich Ruck oder war das ein Augenzwinkern, das ihm das bildhübsche Gesicht zuwarf? Nur schwer hatte er seine Blicke von dem üppigen Dekolleté abwenden können, um sie an diesen großen, braunen Augen anzuheften.

«Du gibst der Polizei gar nichts!» Gudrun Ziska hatte alles mitbekommen und war überraschend schnell zur Theke zurückgekommen. Sie blitzte Jeanette feindselig an. «Brauchen Sie dafür nicht einen Durchsuchungsbefehl?» «Eine richterliche Anordnung», mischte sich Cordes korrigierend ein, «aber nur, wenn Sie nicht kooperieren. Wir können Ihren Laden auch eine ganze Weile dichtmachen. Veterinäramt, Finanzamt, der Zoll. Das kann sich ziehen!» Die junge Kommissarin schürzte genüsslich die Lippen.

Mit zerknirschtem Gesicht ließ Gudrun Ziska ihre falschen Fingernägel auf dem schwarzen Kasten mit den blinkenden Dioden tänzeln: «Wie das Ding funktioniert, weiß ich nicht, das macht immer mein Mann. Aber der Heinrich ist schon um zwölf gegangen, als er mit der Küche fertig war - bedienen Sie sich.»

Mit einem breiten Grinsen löste Buddha das Aufzeichnungsgerät von den Kabelverbindungen und klemmte es unter den Arm. Er packte den Koffer mit den gesammelten Beweismitteln und verabschiedete sich knapp mit einem regionaltypischen «Alla…!»

Cordes schien diesen kleinen Triumph sichtlich zu genießen. Sie schickte einen nickenden Gruß in Richtung Buddha und wandte sich nochmal der Clubchefin zu: «Wo haben Sie beide sich eigentlich zwischen eins und zwei aufgehalten?» Die kleine, etwas füllige Frau überlegte kurz: «Ich hab die Bar gemacht, aber da war nicht viel, und die Jenny …»,

«Welche Jenny», Michaela Cordes war verwirrt,

«… die Jeanette war unten und hat Handtücher gewaschen und zusammengelegt.»

«Kannten Sie beide das Opfer?»

«Kennen ist zuviel gesagt», Jeanette ergriff das Wort, «die war vielleicht zwei oder dreimal hier, mit ihrem Typen!»

Um sieben Uhr an diesem Sonntagmorgen hatte sich die Blondine auf dem Monitor zum achten Mal ihrer roten Haare entledigt und gab sich wieder drei gut gebauten jungen Männern hin. Mit einem Fingertipp auf die Fernbedienung schickte die Clubchefin sie und ihre Gespielen in den verdienten Feierabend.

4 Devier, Sonntag 8.00 Uhr

Das war leicht. Zu leicht für meinen Geschmack. Vielleicht lasse ich das nächste Mal das Schlafmittel weg.

Aber - die Schlampe ist tot. Sie hat es jedenfalls verdient. Ich habe sie gewarnt, aber sie wollte ja nicht hören. Man zerstört keine Familien. Das gehört sich einfach nicht. Ein bisschen leid tut’s mir für den kleinen Jungen. Aber er wird es verstehen, wenn er älter ist.

Mein kleines Taschenmesser habe ich bereits gereinigt und das Satinband und die Sattlernadel ein paar Straßen weiter in einen Gully geworfen.

Ich bin ehrlich zufrieden.

5 Wohnung Cordes, Sonntag 7.30 Uhr

Recht ungestüm bog Cordes mit ihrem beige-braunen Mini gegen acht in ihre Straße ein. Der Milchkaffee im Pappbecher, den sie sich in der auch sonntagvormittags geöffneten Bäckerei des Supermarktes drei Straßen weiter geholt hatte, war kurz davor, unter dem Eindruck der Corioliskraft seinen Behälter samt Getränkehalter unsanft zu verlassen. Eigentlich hätte sie todmüde sein müssen nach dieser Nacht, aber sie war glockenwach. Als wäre sie gerade aufgestanden, reckte sie nach dem Aussteigen die Arme in die Höhe und sog die kühle, leicht feuchte Novemberluft tief ein. Sie lächelte ein wenig, als sie entdeckte, dass nach Tagen der schier endlosen Tristesse ein paar Flecken blauen Himmels zu erkennen waren.

Zum zweiten Mal innerhalb von fünf Stunden versetzte Michaela Cordes dem Kinderwagen im Hauseingang des schmucken Jugendstilhauses in der vornehmen Goethestraße einen sanften Tritt. ‚Steht das blöde Ding immer noch da‘, dachte die Kriminalistin, die in der Nacht schon nach dem Anruf der Leitstelle beinahe über den Buggy gefallen war. Den Hausmeister müsste sie informieren, dass das endlich aufhört, schoss es ihr durch den Kopf, in dem sich im gleichen Moment die bizarren Bilder der Nacht breitmachten. Das virtuelle Daumenkino spulte sich die sechs Treppenstaffeln bis in den dritten Stock des Bürgerhauses ab. Immer zwei Stufen der leicht ausgetretenen, aber sehr gepflegten Terrazzotreppe nehmend, erklomm die Kommissarin mit ihren endlos langen Beinen gazellenartig mit gleichmäßig hoher Geschwindigkeit fast geräuschlos die Stiegen. Jäh unterbrochen von der Suche nach dem Wohnungsschlüssel, der irgendwo in den Untiefen der Zweizimmer-Küche-Bad-Designer-Handtasche ein einsames Leben führen musste. Während sie lustlos in der Tasche kramte, vernahm Cordes mit ein klein wenig Genugtuung das Geschrei des Buggy-fahrenden Prinzen, das aus der Wohnung unter ihr in den Hausflur drang.

Ohne Rücksicht auf die kunstvollen Tischler- und Schnitzarbeiten, mit der Ranken und Schnörkel der schneeweißen Wohnungstür verziert waren, warf sie fast verächtlich einen der beiden Flügel des mit hohen Milchglasfenstern ausgestatteten Portals ins Schloss. Sie stellte den noch fast vollen Coffee-to-go im Vorbeilaufen auf die völlig deplatzierte, schmucklose Ikea-Kommode und lief, den Schritt leicht verlangsamend, über den langen, mit hellem Eichenparkett belegten Flur ins Schlafzimmer. Tatsächlich hatten sich einige Sonnenstrahlen durch das Regengrau gekämpft und erhellten das riesige Schlafzimmer durch die halbrund angeordneten Fenster des Erkers. An klaren, schönen Tagen hatte man einen spektakulären Blick auf die Silhouette der Bergstraße oberhalb von Heidelberg. Das rechtfertigte zumindest teilweise die astronomisch hohe Miete.

Unsanft entledigte sich die Vierunddreißigjährige ihrer Handtasche, die in ihrer Größe jedem Seesack hätte Konkurrenz machen können. Sie begrub diese mit ihrer Outdoorjacke, öffnete den obersten Knopf ihrer Jeans und ließ sich die Arme weit von sich gestreckt auf das Designerbett fallen, das von der Seite betrachtet an eine prall gefüllte Geldklammer erinnerte. Die obszön teure Bettstatt war die letzte stumme Zeugin ihrer Zeit mit Thomas, dem Wirtschaftsinformatiker. Vor allem mit dem Geld seines Vaters hatte er die völlig überdimensionierte Vier-Zimmer-Wohnung spartanisch, aber edel ausgestattet. Als Sohn eines Vertreters der obersten Managementebene von Europas größtem Autohersteller hatte er immer Zugriff auf üppige Geldmittel.

Michi und er hatten sich auf einer Party des Schwiegervaters in spe in der Braunschweiger Villa der Familie im Nobelviertel rund um die Jasperallee kennengelernt. Eine Freundin, noch aus der Zeit der Polizeihochschule, hatte sie mitgeschleppt. Thomas, der gerade sein Studium beendet hatte, war nicht zu übersehen gewesen. Groß, gebräunte Haut, ein im Fitness-Tempel makellos gestalteter Körper, das weiße Hemd halb geöffnet, lässig in die Jeans gesteckt, hatte er sich in dieser tropischen Augustnacht als bürgerlicher Dauphin inszeniert. Wie ein Rockstar von Groupies umringt hatte er in dem parkähnlichen Garten des Anwesens großzügig Champagner an kleine, bunt bemalte Mädchen verteilt. Deren ohnehin begrenzte geistige Reife sollte unter dem Eindruck des Getränks der Witwe Cliquot im Laufe der Nacht auf den absoluten Nullpunkt sinken.

Michi hatte sich mit einem schlichten Weizenbier, das sie einem geschäftig vorbeieilenden Kellner vom Tablett stibitzt hatte, in einiger Entfernung an einem kitschigen, aber sicher teuren, mit Putten verzierten Brunnen eingerichtet. Sie hatte die in Grüppchen parlierende Menge observiert, die sie ebenso fasziniert wie angewidert hatte. Die Oberflächlichkeit des Umgangs dieser besseren Gesellschaft war nur noch übertroffen worden von der Belanglosigkeit der Inhalte, die Michi mit einem breiten Grinsen zu Bla-Bla-Sprechblasen visualisiert hatte. Am nächsten Tag hatte sie sich gefragt, ob dieses bloße Starren auf der Party schon als passiv-aggressives Verhalten zu werten gewesen war? Anders konnte sie sich bis heute nicht erklären, dass ihr komplett auf Deeskalation ausgerichtetes, unscheinbares Verhalten in die bislang größte Eskalation ihres Lebens geführt hatte.

Wie in einem zweitklassigen Hollywoodstreifen hatte sich Thomas, bewaffnet mit einer Champagnerflasche, zwei Kristallkelchen und einem Ego, vor dem selbst Welfenprinzen vor Ehrfurcht erstarrt wären, aus dem Kreis der Girlgroup gelöst. Elegant war er über den perfekten englischen Rasen auf Michi zugeschritten. Überrascht von der eigenen Verlegenheit hatte sie an dem zwischenzeitlich schalen Weizenbier genuckelt und versucht, ihre knapp ein Meter achtzig möglichst lässig neben die Putten zu drapieren.

Thomas war keine drei Schritte mehr entfernt gewesen, da war ihr dieser Duft in die Nase gestiegen. Noten von Ambra und Moschus, gemischt mit herber Zeder, männlich und verführerisch. Urplötzlich hatte sich in ihr der Drang breitgemacht, in ein hautenges, rotes Minikleid zu schlüpfen, sich unnatürlich zu schminken und ihre Füße den Qualen ruchloser Sommersandalen mit fünfzehn Zentimeter hohen Stöckeln auszusetzen.

Während sich die kämpferisch zeigende Novembersonne unaufhaltsam ihren Weg durch die Erkerfenster bahnte und den opulenten Raum zunehmend mit Licht flutete – jetzt kamen auch die reich verzierten, drei Meter hohen Stuckdecken wundervoll zur Geltung – hatte sie, in der Vergangenheit versunken, die restlichen Knöpfe ihrer Hose geöffnet. Sie ertappte sich dabei, wie ihre rechte Hand unter den weißen, unscheinbaren Slip geglitten war und ihre Scham streichelte. Als würde sie sich zum ersten Mal berühren, strich ihr Mittelfinger über den gepflegten schmalen, dunkelblonden Streifen bis hinunter zur Klitoris und wieder zurück. Thomas hatte diesen Haarschnitt gewollt. Und auch hier war sie irgendwie dabei geblieben.

Michi schämte sich ein wenig, dass die kurze Rückschau sie dazu veranlasst hatte, Hand an sich zu legen. Klar hatten sie Sex. Am Anfang sogar ganz Guten – dachte sie. Leichtes Knabbern am Ohrläppchen, Küsse auf den Nacken (Einleitung) – Entledigen der Unterwäsche, Einführung seiner durchaus beachtlichen Männlichkeit, gefolgt von regelmäßigen Auf- und Abbewegungen (Hauptteil) - Erguss (Spannungshöhepunkt) - ein Kuss auf die Wange und ein letzter Schluck Champagner (Schluss). Hin und wieder hatte auch sie einen Orgasmus.

Michi richtete sich auf dem Bett auf, räkelte sich kurz und schlurfte zu ihrem Seesack. Zu ihrer eigenen Überraschung gestaltete sich das Fischen nach dem Päckchen Zigaretten in dem voluminösen Behältnis schnell erfolgreich. Während sie sich die erste Kippe des Tages anzündete, nahm sie das Magazin aus ihrer Heckler und Koch. Sie zog den Schlitten der P 2000 V2 gekonnt zurück, um die Patrone im Lauf zu entfernen, verstaute Dienstwaffe und Lager sorgsam in dem kleinen Tresor neben ihrem Nachttisch und verriegelte ihn ordnungsgemäß.

Der Rauch der Zigarette, die sie in den rechten Mundwinkel geklemmt hatte, brannte in ihren Augen, als sie sich im Sitzen die Schuhe aufband und diese achtlos neben das Bett warf zu den anderen Kleidungsstücken aus der Kategorie ‘gebraucht aber geht noch‘. Trotz ihrer extrem schlanken Erscheinung hatte sie einige Mühe, sich der hautengen Jeans zu entledigen, während sie versuchte, den Kopf möglichst unbewegt zu halten, um zu verhindern, dass die Asche der halb verbrannten Zigarette auf den Boden fiel. Kunstvoll balancierte sie den Glimmstängel ohne zu kleckern in das muschelförmige Porzellanschälchen, das sie nach Thomas‘ Auszug vom Aufbewahrungsort für wertvollen Schmuck zum Aschenbecher umfunktioniert hatte. Sie besaß eh keinen Schmuck. Bis auf die Goldohrringe mit den großen dunkelgrünen Turmalinen, die Thomas vor zwei Jahren zum Jahrestag für sie gekauft hatte. Aber die fristeten irgendwo hinter der Dienstwaffe im Tresor ein dunkles und bedeutungsloses Dasein.

Auf dem stattlichen Kleiderberg neben dem Bett landeten schließlich auch der graue Rolli, den sie sich in der Nacht von eben diesem Haufen genommen hatte, ein rosafarbenes Top, ein paar weiße Sportsocken und schließlich der unscheinbare Slip.

Michi fröstelte. Als äußeres Zeichen dieses Unbehagens erhoben sich die Brustwarzen aus ihren perfekt gerundeten rosa Höfen und vollendeten damit den zuschauerlosen Anblick auf diesen wohl geformten Körper, dessen Profil die Morgensonne in scharfen Konturen an die Wand zeichnete.

Eigentlich würde sie um diese Uhrzeit ein paar Kilometer joggen, aber an diesem Morgen hatte sie das unstillbare Bedürfnis, sich zu waschen. Die Eindrücke der Nacht, vor allem der Geruch in dem Spielzimmer des Swingerclubs, eine unheilige Mischung aus minderwertigen Parfums, altem Schweiß und ausgetauschten Körperflüssigkeiten, hatten sich wie ein unsichtbarer Film aus Ekel auf ihre feinporige, weiche Haut gelegt.

Sicher manövrierte Michi ihren sportlichen, aber grazilen Körper in dem geräumigen Bad en suite vorbei an der freistehenden Casa-Padrino-Badewanne, ohne sich in dem großen, mit typischen Jugendstilelementen in Gold gerahmten Spiegel zu betrachten, hinein in die geräumige Regenwasserdusche. Sie nahm den Luxus, der sie umgab, gar nicht mehr wahr. Noch bis nächsten Sommer könnte sie in der Wohnung bleiben.

Zum August hatte Thomas den Mietvertrag fristgerecht nach seinem Auszug gekündigt, und mit ihrem Gehalt konnte sie sich dieses feudale Appartement nicht leisten.

Warum sie sich getrennt hatten, war beiden nicht wirklich klar. Es war wohl die Langeweile im Bett, gepaart mit den beruflich bedingten Beziehungsfehlzeiten, und natürlich auch die Tatsache, dass Thomas‘ Eltern Michi nie als standesgemäße Frau an der Seite ihres Sohnes gesehen hatten.