Mori aus dem Schrank - Ane Bluhm - E-Book

Mori aus dem Schrank E-Book

Ane Bluhm

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Beschreibung

Mori ist eine Puppe, die im Klassenschrank einer 1. Klasse liegt und ab und zu von der Lehrerin Frau Sommer für den Unterricht herausgenommen wird. Auch wenn Frau Sommer nur so tut, als könne Mori sprechen, lieben die Kinder die lustige Puppe. Manchmal darf ein Kind die Mori übers Wochenende mit nach Hause nehmen. Diesmal darf sich Lina freuen. Aber kaum zu Hause, wird die Puppe plötzlich lebendig und bringt Lina und ihren Bruder Simon, der schon in die 4. Klasse geht, in immer neue verrückte Situationen. Mori treibt es so weit, dass sich sogar die Polizei einschalten muss. Trotzdem scheint immer alles im letzten Moment gut zu gehen. Aber dann ist Elternabend in der Schule…

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Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Wer ist Mori?

Das Puppenhaus

Ein Spiel mit Hindernissen

Ein Montag ohne Mori

Mori will zurück zur Schule

Im Hort

Noch mal Ärger mit der Polizei

Der Elternabend

Abschied

1. Wer ist Mori?

Eigentlich war dieser Freitag ein Tag wie jeder andere. Außer dass es Freitag war und Simon sich wie immer auf das Wochenende freute. Wochenende hieß Zeit für Freunde haben und Ausschlafen können. Und vielleicht würde er mit seinem Vater das Baumhaus zu Ende bauen. Wenn …

»Kannst du mal Mori nehmen?«, unterbrach Lina seine Gedanken.

»Was?«

»Mori tragen.«

Lina war stehengeblieben und hielt ihrem Bruder eine Puppe energisch entgegen. »Zu schwer«, fügte sie erklärend hinzu.

Jetzt erst fiel Simon auf, dass Lina eine Puppe bei sich trug. Sie war etwa einen halben Meter groß, hatte struppige kastanienbraune Haare, zwei schwarze Knopfaugen und einen breiten Mund.

»Machst du jetzt«, drängelte Lina.

»Das heißt: Trägst du sie bitte«, verbesserte Simon seine drei Jahre jüngere Schwester.

Lina war vor ein paar Wochen eingeschult worden. Er nahm sie jeden Morgen mit zur Schule und freitags mit nach Hause. Da hatten sie zur selben Zeit Unterrichtsschluss. Unwillig nahm er ihr die Puppe ab. Lässig ließ er sie am linken Arm herabhängen. Moment mal! Hatte ihm die Puppe eben zugeblinzelt?! Hastig hielt er sie sich vors Gesicht.

»Gehen wir jetzt endlich weiter?«, nörgelte Lina. »Was ist denn los mit dir?«

Das fragte sich Simon auch gerade. Eine Puppe hatte ihm eben zugeblinzelt! Geht’s noch, Simon! Schalt er sich selbst und klemmte die Puppe unter den linken Arm.

»Aua!«, entfuhr es ihm da. Die Puppe hatte ihm einen Tritt verpasst. Jedenfalls fühlte es sich so an.

»Ich hab doch gar nichts gemacht«, verteidigte sich Lina sofort.

»Du nicht«, murmelte Simon irritiert.

»Wer dann?« Lina sah sich um. Da war niemand.

»Komm jetzt.« Simon nahm seine Schwester an die Hand und zog sie hinter sich her.

»Nicht so schnell«, meuterte sie.

»Was jetzt?« Simon reichte es. »Erst geht’s dir zu langsam, dann wieder zu schnell.«

Lina fing zu weinen an. Auch das noch.

»Heul nicht.« Er gab ihr ein Taschentuch. Lina schnäuzte sich die Nase und streckte ihm das zerknüllte Taschentuch entgegen. »Hab keine Tasche.«

Simon rollte mit den Augen. Und alles nur wegen dieser blöden Puppe.

»Wo hast du die überhaupt her?«

»Von Frau Sommer. Sie hat sie mir gegeben, weil ich eine ganze Seite Schönschrift geübt habe.«

»Sie hat dir ’ne Puppe geschenkt?«, fragte Simon ungläubig.

»Nein. Das ist Mori. Sie gehört unserer Klasse. Aber ich darf sie zur Belohnung das ganze Wochenende behalten.«

»Aha.« Simon erinnerte sich, dass eine Figur in Linas Fibel auch so aussah: die Strubbelfrisur, das grüne Kleid, Strumpfhosen.

Sie waren zu Hause angekommen. Simon stellte seinen Rucksack ab und suchte nach dem Hausschlüssel. Die Puppe hatte er achtlos auf den Boden geworfen.

»Simon! Wenn das Frau Sommer sieht«, Lina nahm die Puppe hoch.

»Sieht sie aber nicht, weil sie nicht hier ist.«

»Au weia! Die ist jetzt ganz schmutzig.« Lina klopfte den Staub ab.

Simon achtete nicht darauf. Endlich hatte er den Schlüssel gefunden. Drinnen im Haus klingelte das Telefon. Das war bestimmt für ihn. Schnell schloss er auf.

»Hallo?« Mist. Aufgelegt. Simon drückte die Taste für entgangene Anrufe. Es war Sebastians Nummer. Simon rief zurück.

»Alter, wo warst du denn so lange? Hab schon dreimal versucht, dich anzurufen.«

»Ging nicht schneller. Freitags muss ich doch immer Lina mitnehmen«, erklärte er seinem Freund. Dabei sah er, wie Lina mit der Puppe im Arm verschwand.

»Jetzt werde ich dich erst mal sauber machen …«, hörte Simon seine Schwester aus dem Bad sprechen.

Währenddessen plante Sebastian am Telefon ihr Wochenende durch.

»Ja … ..okay«, murmelte Simon. Aus dem Bad waren ungewöhnliche Quitsch-Laute zu hören.

»Jetzt halt still«, hörte er Lina sagen. Und daraufhin lachte jemand laut und schrill. Das war nicht Linas Stimme!

»Warte mal«, sagte Simon in den Hörer und legte ihn auf das Schränkchen. Er ging zum Bad. Die Tür war nur angelehnt.

»Das kitzelt!«, kreischte eine fremde, laute Stimme. Lina hatte die Puppe ins Waschbecken gelegt. Mit dem Gesicht nach unten und versuchte ihr den Rücken zu schrubben.

Die Puppe zappelte und strampelte und lachte. Also das war die unbekannte Stimme, dachte Simon und drehte sich Richtung Telefonschränkchen. Mitten in der Bewegung blieb er abrupt stehen. Was??? Die Puppe kann sprechen?

Simon riss die Badtür auf und starrte auf Lina und das Waschbecken und die Puppe. Die lärmte fröhlich herum. Scheinbar genoss sie das Bad.

Simon löste sich aus der Starre und ging geistesabwesend zum Telefon.

»Basti …«, stammelte er.

»Ja.« Sebastian klang genervt.

»Sie kann sprechen.«

»Ich weiß, dass sie sprechen kann.« Sebastian dachte an Simons kleine Schwester.

»Nein, du weißt nicht. Ich meine nicht Lina …«

»Sondern?«

»Die Puppe. Die Puppe kann sprechen«, flüsterte Simon aufgeregt.

»Ach so.« Sebastian klang gelangweilt. Schließlich gab es ferngesteuerte Autos, Roboter, die täuschend echte Schießgeräusche von sich gaben. Also warum sollte es nicht auch sprechende Puppen geben. Mit Mädchenkram kannte er sich nicht aus. Er hatte keine kleine Schwester.

»Basti!! Ich meine richtig sprechen – so wie du und ich.« Simon schrie es fast.

Sebastian verstand es nicht. Wie auch. Er war ja nicht hier. Und auch Simon, der es mit eigenen Augen sah und mit eigenen Ohren hörte, konnte es nicht begreifen.

Und Lina machte das überhaupt nichts aus. Sie unterhielt sich ganz selbstverständlich mit – einer Puppe!

»Basti, kannst du herkommen?«, bettelte Simon.

»Klar doch.« Es klickte in der Leitung. Sebastian hatte aufgelegt.

Eine Viertelstunde später lehnte er lässig am Türrahmen, als Simon ihm öffnete.

»Na, nun zeig mal deine Wunderpuppe!«

»Komm rein.« Hastig zog Simon ihn in den Flur. Beschwörend legte er den rechten Zeigefinger auf seinen Mund. »Psst.« Dann schlich er wie ein Indianer zur Badtür und machte seinem Freund Zeichen, er solle ihm folgen.

Sebastian ging vorsichtig hinterher.

»Da.« Simon hatte die Tür aufgestoßen und machte Platz, so dass Sebastian an ihm vorbeigucken konnte.

»Leise«, zischte Lina ärgerlich. »Mori ist gerade eingeschlafen.«

Simon stierte auf die reglose Puppe. Sie lag auf einem Badvorleger. Lina deckte sie mit einem Handtuch zu.

Sebastian lachte lauthals los. »Meinst du etwa die da?« Er zeigte auf die Puppe.

Lina ging auf die Jungen zu und wollte sie zurück in den Flur schieben.

»Alter, du bist vielleicht ’n Spinner.« Sebastian boxte seinem Freund in die Rippen.

»Wenn ich’s dir doch sage!« Simon war wütend. »Die hat gesprochen.«

»Klar doch. Und bei mir zu Hause spielen Darth Veder und Anakin Skywalker den Krieg der Sterne ohne mich weiter bis die Tapete glüht.« Sebastian war Star Wars Fan und stellte sich den Laserschwertkampf gerade bildlich vor.

»Die hat gesprochen«, beharrte Simon. »Und auf dem Weg nach Hause hat sie mir sogar nen Tritt verpasst.«

»Hör auf«, sagte Sebastian mit gequälter Stimme.

»Ich schwör dir, zuerst hat sie mir zugezwinkert und dann einen Tritt in den Allerwertesten gegeben.«

Sebastian schmiss sich auf den Boden. Sein Kopf war hochrot vor Lachen. Er hielt sich den Bauch und flehte: »Hör bitte auf. Ich kann nicht mehr.«

Da öffnete sich die Badezimmertür. Lina kam mit erhobenen Haupt und Puppe im Arm heraus.

»Lina, bleib mal stehen«, bat Simon.

»Nein, Mori ist müde«, antwortete sie entschlossen.

»Ihr seid viel zu laut. Wir gehen in mein Zimmer.« Damit schritt sie majestätisch an den Beiden vorbei und stapfte die Treppe nach oben.

Simon sah ihr nach. Und er sah genau, wie die Puppe eine lange rote Zunge herausstreckte.

»Hast du das gesehen!« Als Simon in das Gesicht seines Freundes guckte, brauchte er keine Antwort.

Sebastian stand der Mund offen.

»Was ist das«, flüsterte er schließlich.

»Mori.«

»Wer ist Mori«, fragte Sebastian heiser.

»Die Puppe, von der ich dir die ganze Zeit erzählt habe.« Endlich hatte Simon seine Genugtuung.

»Wo habt ihr die her?«

»Lina hat sie von ihrer Lehrerin bekommen.«

Die Jungen gingen in die Küche.

»Hast du Chips da«, fragte Sebastian und sah auf die vielen Schranktüren, so, als kämen die auf Stichwort von irgendwoher alleine raus.

»Meine Schwester hat ne lebendige Puppe in ihrem Zimmer und du denkst ans Essen«, grollte Simon.

Sebastian, dem man ansah, dass er oft ungesundes Zeug aß, verteidigte sich.

»Ich muss immer Chips essen, wenn ich nervös bin. Und jetzt bin ich nervös. Ziemlich nervös.«

Simon ging zur Küchentheke und zog eine Schachtel Cornflakes aus einem Fach.

»Was anderes ist nicht da.«

»Und vielleicht noch ne Cola?«

»Wird bei uns nicht gekauft.«

»Auch ungesund, wie?« äffte Sebastian.

»Du sagst es.« Simon stellte sich und seinem Freund ein Glas Wasser auf den Tisch.«

»Was machen wir jetzt«, wollte er wissen.

»Weiß nicht«, meinte Sebastian und schob sich eine Hand voll Cornflakes in den Mund.

»Wir müssen doch was machen!« Simon ließ nicht locker. »Stell dir mal vor, wenn diese Puppe nun keine . . . gute Puppe ist.«

»Jaaaaa . . . und sie dort oben gerade deine kleine Schwester aufschlitzt!«

Sebastian war aufgestanden und kam nun mit Würgefingern Simons Hals gefährlich nahe.

»Lass den Quatsch! Du guckst die falschen Filme«, konterte Simon und zog Sebastians Hände weg.

Dann stand er auf und ging zur Tür.

»Wo willst du hin?«

»Zu Lina.«

»Warte. Ich komme mit«, sagte Sebastian und stopfte sich noch schnell eine neue Ladung Cornflakes in den Mund.

Langsam stiegen sie die Treppe nach oben. Dabei achteten sie darauf keine unnötigen Geräusche zu verursachen.

Nun standen sie vor Linas Zimmertür.

»Los!« Sebastian stupste Simon.

«Kannst ja selber als Erster«, forderte Simon ihn auf.

»Ich?« Sebastian tat erstaunt. »Ist doch deine Schwester.«

»Also gut.« Simon legte eine Hand auf die Türklinke und drückte sie langsam, sachte, vorsichtig, leise, behutsam, ängstlich herunter und öffnete die Tür.

»Welch rücksichtslose Gauner stören meinen Schönheitsschlaf!«, trötete ihnen eine durchdringende Stimme entgegen.

Die Puppe! Sie saß auf dem Bett und hielt ihnen eine Haarbürste von Lina wie einen Degen in ihrer rechten Puppenhand entgegen.

»Was fällt euch ein? Haut ab!« Lina sprang von ihrem Bett und wollte den Jungen die Tür vor der Nase zuknallen.

»Warte mal, Lina!« Simon hatte schnell einen Fuß in die Tür gestellt.

»Was ist?«

»Du hast doch deine Mori eben sprechen hören, oder?«, lenkte Simon ein.

»Ja und?«

Simon stutzte. Warum hielt Lina das für völlig normal?

»Hör mal, Lina. Puppen sprechen nicht.«

»Doch das tun sie«, trötete es wieder vom Bett her.

Lina sah zur Puppe herüber und dann zu ihrem Bruder.

»Hast du was an den Ohren«, meinte sie überlegen. »Puppen können sprechen.«

»Jawohl«, krähte die Puppe zustimmend.

»Das ist aber nicht normal«, redete Simon auf Lina ein. Dabei schob er sich an ihr vorbei ins Zimmer.

»Vielleicht nicht«, gab Lina zu. »Aber Mori kann sprechen.«

»Okay, Lina.« Simon suchte nach einem Ausweg. »Hat Mori in der Schule auch gesprochen?«, wollte er wissen.

»Nur mit Frau Sommers Stimme«, gab Lina zu.

»Aber Frau Sommer tut so als würde die Puppe sprechen«, versuchte Simon erneut die Situation aufzuklären.

»Ja«, gab Lina kleinlaut zu.

Simon drehte sich zum Bett und besah sich die Puppe genau. Sie guckte ihn freundlich an.

»Warum sprichst du«, sagte er leise, mehr zu sich selbst.

»Warum nicht«, erwiderte die Puppe. »Du sprichst doch auch unentwegt!«

»Na das ist ja wohl was anderes.«

»Wieso?«

»Weil ich ein Mensch bin. Menschen sprechen, Puppen nicht.«

»Ich schon«, sagte die Puppe bestimmt. »Also bin ich auch ein Mensch.« Sie stand auf und sprang auf dem Bett herum. »Ich bin ein Mensch! Ich bin ein Mensch! Ich bin ein Mensch!«

Simon war fassungslos. Sebastian auch.

»Ist das abgefahren, Alter«, brachte er nur heraus.

»Frau Sommer wird am Montag staunen«, sagte Lina und begann der Puppe die Haare zu bürsten.

»Nicht nur Frau Sommer …«, sagte Simon verstört.

»Frau Sommer kann mich nicht hören«, korrigierte die Puppe.

»Warum nicht?«

»Weil nur Kinder mich hören können – manchmal.«

»Was heißt manchmal?«

»Na nur, wenn ich will, dass mich jemand hört«, versicherte Mori.

Sebastian lachte verächtlich: »Na da haste dir ja ne schöne Puppe angelacht.«

»Halt die Klappe!«, sagte Mori.

»Genau, halt die Klappe!«, wiederholte Lina.

Sofort war Sebastian ruhig. »Beleidigen finde ich aber nicht in Ordnung«, stammelte er unsicher.

»Ich beleidige dich doch nicht«, sagte die Puppe ein wenig verwundert.

»Und dann sagst du, ich soll die Klappe halten?«

»Jaaa«, meinte die Puppe gedehnt. »Wenn ich dich hätte beleidigen wollen, hätte ich gesagt, du sollst die Fresse halten.«

Lina hielt sich erschrocken eine Hand vor den Mund und grinste. Auch Simon lachte in sich hinein. Nur Sebastian stand verdattert in der Tür. Einige Sekunden später hörten sie eine Frauenstimme rufen: »Kinder, ich bin zu Hause.«

»Wer ist das?«, fragte die Puppe.

»Unsere Mutter«, erklärte Simon. Sie hörten sie schon die Treppe nach oben kommen.

»Wir müssen sie verstecken.«, warnte Simon.

Zu spät. Frau Keller stand schon in der Tür. »Wollt ihr euch vor mir verstecken?«, fragte sie lachend.

Keiner antwortete. Alle starrten zum Bett, wo die Puppe saß – reglos und still. Frau Keller sah sie sofort. Sie ging zum Bett und hob die Puppe hoch. Arme und Beine baumelten reglos herunter.

»Wo hast du die denn her?«, meinte sie bewundernd. Sie steckte eine Hand in den dafür vorgesehenen Schlitz am Hinterkopf. Das Gesicht der Puppe begann sich zu regen – je nachdem, wie Frau Keller die Hand bewegte.

»Sie hat sie von ihrer Lehrerin bekommen, weil sie so fleißig geübt hat.« Simon hatte sich vor seine Schwester gestellt und versuchte ihr den Mund zuzuhalten. Er wusste, dass sie nichts für sich behalten konnte.

Lina aber sprang zur Seite und platzte heraus: »Ja, und sie kann sprechen!«

Erschrocken sahen sich die Jungen an.

»Wirklich, Mami. Sie kann sprechen wie ein Mensch!«

Frau Keller lachte und stellte ihre Stimme seltsam hoch: »Klar kann ich sprechen.« Dabei bewegte sie ihre Hand im Kopf der Puppe so, dass der Mund auf und zu ging.

»Die ist wirklich schön«, sagte sie und setzte sie zurück auf das Bett. »Ich mach dann mal das Abendessen«, meinte sie zur Tür gehend. »Isst du mit?«, fragte sie Sebastian, der ihr heute seltsam ruhig erschien.

»Wenn ich darf, gerne«, antwortete er artig. Darüber verwundert ging Frau Keller zur Treppe. Der Basti ist doch eigentlich ein ganz Netter, dachte sie. Nur traurig, dass seine Mutter so wenig Zeit für ihn hat und der Vater sich zu Hause gar nicht mehr sehen lässt.

Sebastian hatte sich nun ins Zimmer gewagt und die Tür hinter sich fest zugezogen. Kaum waren die Kinder unter sich, erwachte die Puppe erneut zum Leben.

»So eine Puppe hätte ich auch gerne«, sagte Sebastian und kam sich dabei überhaupt nicht albern vor.

»Ich heiße Mori«, krähte die Puppe los.

»Nicht so laut«, warnte Simon.

»Mori, Mori, Mori«, schrie Mori aus vollem Halse und sprang wieder auf dem Bett herum. Lina kletterte rauf und tat es ihr gleich. Plötzlich machte es knacks. Mori stand mit samt der Bettdecke ein Stückchen tiefer im Bett als Lina.

»Das Bett ist hin«, stellte Simon fest. »Das gibt Ärger.«

»Hin, hin, hin

Das Bett, das ist jetzt hin,

weil ich gesprungen bin.

So kam’s mir in den Sinn.«

»Nicht so laut«, mahnte Simon erneut. Er war sich nicht sicher, ob seine Mutter Mori doch hören konnte.

Erstmal musste Linas Bett »repariert« werden. Simon sah sich im Zimmer um. Das könnte gehen, dachte er, als er die Schulmaltafel vom Ständer nahm.

»Geh mal runter«, forderte er Mori auf. »Ich muss hier mal ran.«

Mori sprang mit einem Satz vom Bett und begann wieder zu singen:

»Ich bin so munter,

drum spring ich runter.

Will nicht ins Bett,

sonst werd ich fett.«

Dabei sah sie zu Sebastian, der verlegen ihrem Blick auswich.

»Essen ist fertig«, rief Frau Keller aus der Küche. Lina nahm Mori auf den Arm.

»Das geht nicht«, entschied Simon. »Wenn Mama was mitkriegt.«

»Kriegt sie nicht.« ’

Lina war fest entschlossen. Mori nickte zustimmend. Sebastian war schon an der Treppe. Er hatte Hunger. Kaum waren sie in der Küche, wurde Mori wieder zur Puppe Mori.

»Oh, ich hatte ganz vergessen, dass wir ja noch einen Gast haben.«

Frau Keller spielte mit. Sie nahm noch einen Teller aus dem Schrank und füllte ein paar Nudeln auf.

In dem Moment, wo die Puppe sich unbeobachtet fühlte, starrte sie auf den Teller. Eins, zwei, drei, vier…zählte sie in Gedanken. Sie hatte ganze vier Spagetti auf ihrem Teller! Zornig sah sie auf die gefüllten Teller der anderen. Sobald der Blick der Mutter in ihre Richtung ging, war sie Puppe. Leblos, mit glanzlosen schwarzen Knöpfen, die Augen sein sollten.

»Wann wird Papa heute kommen?«, wollte Simon wissen.

»Es wird wieder spät«, sagte Frau Keller seufzend. »Aber das Baumhaus wird morgen fertig.«

»Baumhaus?«, entfuhr es Mori, um im selben Moment wieder zur Puppe zu erstarren.

Erschrocken blickten alle in ihre Richtung. Frau Keller fragte verwirrt: »Was war das?«

Simon verstellte seine Stimme und quäkte wiederholend: »Baumhaus? Ach ja – Baumhaus.« Als wenn er das vergessen könnte. Darauf freute er sich doch seit Wochen.

Auch wenn er nicht wie die Puppe geklungen hatte, nahm ihm seine Mutter das Gequake ab.

»Was soll der Unsinn?«

»Simon übt schon mal für den Stimmbruch«, versuchte Sebastian eine plausible Erklärung abzugeben.

Frau Keller schüttelte leicht den Kopf. Was den Kindern so alles einfiel …