Morphium, Mokka, Mördergeschichten - Gerhard Loibelsberger - E-Book

Morphium, Mokka, Mördergeschichten E-Book

Gerhard Loibelsberger

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Joseph Maria Nechyba, der Kult-Ermittler aus dem alten Wien, ganz persönlich: Als 13-jähriger Knabe, der einem Gespenst in den Maurer Weinbergen nachspürt und später als junger Polizeiagent bei der Eröffnung des Wiener Burgtheaters, wo er dem Prinzen von Wales als Leibwächter dient. Nechyba trifft einen genervten Sigmund Freud und verhaftet Wilhelm Kerl, den Betreiber des Café Landtmann. Begleiten Sie Joseph Maria Nechyba durch das alte Wien sowie bei Ausflügen zur Basilika in Maria Taferl oder ins oststeirische Schloss Kapfenstein.

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Seitenzahl: 241

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Gerhard Loibelsberger

Morphium, Mokka, Mördergeschichten

Wien zur Zeit Joseph Maria Nechybas

Impressum

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

3. Auflage 2020

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Bildes von: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Klimt_-_Goldfische_-_1901-02.jpeg

ISBN 978-3-8392-6042-5

Inhalt

Impressum

Widmung

Verzeichnis der historischen Personen

Das Gespenst vom Kadoltsberg

Das Phantom des Burgtheaters

Salon 29

Eine starke Frau

Mlejnek in Mauer

Powidl

Diva des Todes

Viribus unitis

Nechybas Nemesis

Nur noch Asche

Kapfenstein

Der Rigoletto vom Naschmarkt

Gut gebrüllt, Löwe

Glossar der Wiener Ausdrücke

Quellen

Lesen Sie weiter …

Widmung

Für meine Frau Lisa

Verzeichnis der historischen Personen

Albert Edward von Sachsen-Coburg und Gotha (1841–1910): Prince of Wales

Dr. Ludwig Arendt (1857–1918): Schlossherr

Ignaz Arnberger (1840–?): Fuhrwerkbesitzer

Josef Burda (1888–?): Stallpage

Valerie Christ (1879–?): Handarbeiterin, Einbrecherin

Stefan Dirmayer (1878–?): Hilfsarbeiter, Einbrecher

Anton Dobner von Dobenau (1854–1922): Dechant

Marie Dworacek (1848–?): Schwiegermutter Friedrich Machers

Erzherzog Albrecht (1817–1895): Enkel Kaiser Leopolds II.

Erzherzog Friedrich (1856–1936): Urenkel Kaiser Leopolds II.

Erzherzog Franz Ferdinand (1863–1914): Sohn Karl Ludwigs, ab 1896 Thronfolger

Erzherzog Franz Salvator (1866–1939): Ururenkel Kaiser Leopolds II.

Erzherzog Karl Ludwig (1833–1896): Bruder Kaiser Franz Josefs I.

Erzherzog Leopold (1868–1935): Sohn des letzten Großherzogs der Toskana

Erzherzog Ludwig Viktor (1842–1919): Bruder Kaiser Franz Josefs I.

Erzherzog Otto (1865–1906): Sohn Karl Ludwigs, Vater Kaiser Karls I.

Erzherzog Rainer (1827–1913): Bruder Kaiser Franz I.

Erzherzog Wilhelm (1827–1894): Enkel Kaiser Leopolds II.

Erzherzogin Alice (1893–1962): Tochter Erzherzog Friedrichs

Erzherzogin Elisabeth (1831–1903): Enkelin Kaiser Leopolds II.

Erzherzogin Gabriele (1887–1954): Tochter Erzherzog Friedrichs

Erzherzogin Isabella Marie (1888–1973): Tochter Erzherzog Friedrichs

Erzherzogin Maria Annunziata (1868–1961): Tochter Erzherzog Karl Ludwigs

Erzherzogin Maria Josepha (1867–1944): Ehefrau Erzherzog Ottos

Erzherzogin Marie Theresia (1845–1927): Tochter Erzherzog Albrechts

Erzherzogin Marie Valerie (1868–1924): Tochter Kaiser Franz Josefs I.

Franz Josef I. (1830–1916): Kaiser von Österreich, König von Ungarn.

Dr. Sigmund Freud (1856–1939): Begründer der Psychoanalyse

Lambert Frey (1868–1950): Wirt

Marie Frey (1875–1956): Wirtin

Marie Gollern (?–?): Wirtschafterin von Ignaz Arnberger

Ferdinand Gorup von Besánez (1855–1928): Polizeiagent, Zentralinspector, Polizeipräsident

Rudolf von Götz (?–?): Zentralinspektor der Wiener Sicherheitswache

Dr. Albin Haberda (1868–1933): Gerichtsmediziner

Carl Freiherr von Hasenauer (1833–1894): Architekt

Leopoldine Hofbauer (1884–?): Hilfsarbeiterin, Einbrecherin

Eduard Ritter von Hofmann (1837–1897): Pathologe, Leiter der Gerichtsmedizin

Anton Hruby (1879–?): Holzstöckelmacher, Einbrecher

P. Klein (1836–1868): Kaplan, Selbstmörder

Karl I. (1887–1922): Kaiser von Österreich, König von Ungarn

Josef Kellner (1843–?): Drechslermeister, Hehler

Franziska »Fanny« Kerl (? -1916): Wilhelm Kerls Frau

Rudolf Kerl (1852–1930): Cafetier des Café Landtmann

Wilhelm Kerl (1855–1922): Cafetier des Café Landtmann

Franz Freiherr von Krauß (1837–1919): Polizeipräsident

Adolf Kratochwilla (1860–1938): Besitzer des Café Sperl

Karl Lueger (1844–1910): Wiener Bürgermeister

Friedrich Macher (?–?): Gärtner in Mauer bei Wien

Adolfine Máriássy de Márkus- et Batizfalva (1852–1881): Schlossherrin

Rudolf Mlejnek (1877–1899): Deserteur, Mörder

Albin Neswadba (?–?): Zentralinspector der Wiener Sicherheitswache

Milan Obrenović (1854–1901): König von Serbien

Ottilie Opitz (1882–?): Näherin, Einbrecherin

Josef Preiß (1859–1933): Kaufmann, Schnapsbrenner

Rudolf von Österreich (1858–1889): Kronprinz

Lorenz Rutschmann (1858–?): Kutscher, Einbrecher

Franz Schebesta (1874–?): Drechsler, Hehler

Arthur Schorr von Lorbitzthal (?–1889): Medizinstudent, Morphinist

Gottfried Semper (1803–1879):Architekt

Stephanie von Belgien (1864–1945): Kronprinzessin

Franz Wessely (1879–?): Bronzearbeiter, Einbrecher

Das Gespenst vom Kadoltsberg

Eine Kurzgeschichte aus dem Jahr 1873

*

»Es hat sie gepackt. Die Oma. Mit eisernem Griff hat es sie gepackt. Oben an der Gurgel. Und dann … dann hat’s wia narrisch zuadruckt. Die Oma wollt’ um Hüfe plärren, oba es is’ ihr nur a Krächzer auskommen. Weil der eiserne Griff hat s’ bei der Huastn1 g’habt und net und net auslassn. Bis die Oma am End’ ihren letzten Schnaufer g’macht hat und mitten zwischen den Rebstöcken tot umg’fallen is’ …«

Der 13-jährige Joseph Maria Nechyba und seine etwas jüngere Cousine Milli lauschten dieser Schilderung mit angehaltenem Atem. Die Geschichte, die die G’scheckerte Toni da erzählt hatte, war so gruselig, dass Joseph Maria eine Gänsehaut bekommen hatte. Nun, das war auch kein Wunder, schließlich hockten Joseph Maria und Milli mit den anderen Kindern in einer finsteren Erdgrube, die von dichtem Gebüsch überwachsen war. Die einzige Beleuchtung hier unten kam von einem flackernden Kerzenstummel, den die G’scheckerte Toni dicht neben ihr Gesicht hielt. Dadurch hatten die Grimassen, die sie beim Erzählen schnitt, viel schauerlicher gewirkt, als sie es oben bei Tageslicht gewesen wären. Auch die anderen beiden Buben, der Franzi und der Pepi, waren schwer beeindruckt von Tonis Erzählung. Kein Wunder, schließlich ging es dabei um eine sehr gruselige Sache. Um die Umstände, wie die alte Frau Lanner, Tonis Großmutter, vor zwei Tagen in einem Weingarten am Kadoltsberg umgekommen war. Seit ihrem plötzlichen Tod ging in dem Heurigenort Mauer bei Wien das Gerücht um, dass die rüstige Alte ein Opfer des Gespenstes vom Kadoltsberg geworden sei.

*

»Erwürgt! Brrrr!«, schauderte es die Milli, und der Franzi fügte hinzu:

»Des muaß ganz grauslich sein, wennst so stirbst.«

Um dies zu illustrieren, griff er sich mit beiden Händen an den Hals und drückte zu. Er verdrehte die Augen und machte ganz wilde Geräusche. Sein Körper zuckte und Milli schrie:

»Franzi hör auf! Ich bitt’ dich, hör auf!«

Doch Franzi machte wie unter Zwang weiter, bis er schließlich umfiel und reglos dalag. Milli stürzte sich auf ihn und rüttelte den Körper, aus dem alle Lebensgeister entwichen zu sein schienen. Als das Schütteln nichts nützte, ließ sie ihn zu Boden gleiten und umarmte ihn zärtlich. Just in diesem Moment kehrten seine Lebensgeister zurück, er umschlang Milli und drückte ihr ein feuchtes Busserl auf den Mund. Sie sprang auf und kreischte:

»Pfui Teufel! Du Sau!«

Pepi, die G’scheckerte Toni und auch Joseph Maria Nechyba lachten vor Schadenfreude. Franzi schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel und grölte:

»Jetzt musst mi heiraten. Milli, jetzt samma verlobt!«

»Niemals! Lieber geh i ins Kloster!«

Die Antwort des Mädchens erzeugte eine neue Welle von Heiterkeit, die die bis dato vorherrschende gruselige Stimmung gänzlich verschwinden ließ. Als sich alle allmählich beruhigt hatten, und es in der Erdgrube wieder still wurde, schlug Joseph Maria vor, in die Pfarrkirche zu gehen, wo Reingard Lanner aufgebahrt war. Dort könnte man ja einen Blick auf sie werfen. Wenn sie wirklich von dem Gespenst erwürgt worden war, müsste man Würgemale an ihrem Hals sehen.

»Und wie wüllst einekummen in die Kirch’n? Die is’ ja zug’sperrt«, warf der Pepi ein, dem es gar nicht recht war, dass der aus Wien zugereiste Bub plötzlich groß Vorschläge machte.

»Na, wir könnten ja den netten Mesner fragen. Den Herrn Sommer.«

Der Pepi und der Franzi verzogen unwillig das Gesicht. Joseph Maria verstand nicht warum. Darum drängte er darauf abzustimmen. Da die beiden Mädeln für seinen Vorschlag stimmten, machte sich die Kinderschar auf den Weg hinunter in den Ort. Es war ein strahlend schöner Sommertag, der Maurer Wald und die angrenzenden Weinberge zeigten sich von ihrer malerischsten Seite. Von hier oben hatte man einen wunderbaren Ausblick über das Wiener Becken und die südöstlichen Vororte der Wienerstadt. Doch die Kinder schenkten all dem keinerlei Aufmerksamkeit. Fröhlich lärmend rannten sie über die dem Wald vorgelagerten Wiesen. Dann ging es am Badhaus und an der Oberen Kaserne vorbei in den Ort. Bewusst vermieden sie es, über die Hänge des Kadoltsberges zu laufen, denn dort trieb sich ja das Gespenst herum. Da sie alle miteinander einen riesengroßen Durst hatten, schlug die G’scheckerte Toni vor, bei ihr zu Hause vorbeizuschauen. Die Lanners hatten gerade ausgesteckt und so stand das Tor des ebenerdigen Winzerhauses sperrangelweit offen. Laut lärmend stürmten die Kinder in den lang gezogenen Hof, in dem an einfachen Holztischen ein paar stille Zecher saßen. Mit Kennermiene sprachen sie dem herben Maurer Wein zu. Richtige Weinbeißer, dachte Joseph Maria. Diesen Ausdruck hatte er erst unlängst aufgeschnappt, als ein älterer Mann einem jüngeren Zugereisten erklärte, dass man in Wien und Umgebung den Wein nicht trinkt, sondern beißt.

»Muatta, Muatta! Mir ham an Durscht!«, rief die G’scheckerte Toni und Frau Lanner, die Heurigenwirtin, umarmte sie lachend. Liebevoll streichelte sie dem sommersprossigen Lausmensch über das wirre rötliche Haar. Die Kinder nahmen an einem Tisch unter den mächtigen alten Kastanienbäumen Platz, die Schutz vor der Sommerhitze boten. Ihren ältesten Sohn, den Ferdi, schickte die Heurigenwirtin mit einem Krug zum Brunnen, um frisches Wasser zu pumpen. Das kühle Nass mundete den vom Laufen erhitzten Kindern, und da Frau Lanner Kinder über alles liebte, stellte sie einen irdenen Schmalztopf auf den Tisch. Dazu schnitt sie von einem großen Laib selbst gebackenes Brot in dicken Scheiben ab.

»Da habt’s a Messer. Tuat’s eich ordentlich Schmoiz drauf.«

Die Kinder ließen sich das nicht zweimal sagen. Und während sich eines nach dem anderen die Brote mit Schmalz bestrich, fragte die Heurigenwirtin Joseph Maria:

»Wer bist du denn, di kenn i ja no goar net?«

»Des is’ da Mizzi Pepi!«, krähte die G’scheckerte Toni.

»Mizzi Pepi?«

»Eigentlich heiß ich Joseph Maria«, erklärte Nechyba mit rotem Kopf und vollem Mund. Nachdem er einen großen Bissen Schmalzbrot hinuntergeschluckt hatte, ergänzte er:

»Ich bin der Cousin von der Milli.«

»Er is’ da, weil er von der Oma und vom Gespenst vom Kadoltsberg g’hört hat!«

Die Miene von Frau Lanner wurde ernst.

»Toni! Erzähl kan Blödsinn über deine tote Großmutter!«

Das Mädel zog den Kopf ein und machte einen Fotz. Ihre Mutter sah plötzlich sehr traurig aus. Mit einer verstohlenen Bewegung wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel, stand mit einem Seufzer auf und ließ die Kinder allein. Kaum war sie weg, setzte sich der Lanner Ferdi zu den Kindern. Er hatte genauso viele Sommersprossen wie seine kleine Schwester, nur sein Haar war nicht so rot, sondern dunkler. Er hatte eng beieinander stehende Augen und einen stechenden Blick. Mit diesem fixierte er den Wiener Buben und flüsterte:

»Wüllst mehr über des G’spenst hören?«

Joseph Maria schluckte mehrmals, bevor er zögerlich nickte.

»Des G’spenst vom Kadoltsberg ist ganz schwarz und riesengroß. Sein G’sicht is’ grau und seine Augen san glühende Kohlen. Wann es des Maul aufreißt, stockt dir der Atem. Gift und Pestilenz strömen da heraus und nehmen dir die Luft. Und dann … dann greift es nach dir …«

Ferdis Hand schnellte vor, packte Joseph Maria am Hals, der wie paralysiert war. Ferdi beugte sich vor und flüsterte:

»… und macht dich maukas2.«

Obwohl der Lanner Ferdi nun den Hals des Wiener Buben losließ, sprang dieser auf. Ferdis stechender Blick war unerträglich. Joseph Maria rannte in den hinteren Teil des Hofs, wo hinter einem Holzverschlag die geteerte Pinkelwand verborgen war. Und während er sich dort erleichterte, erinnerte ihn der bestialische Geruch der Latrine an den Atem des Gespenstes: Gift und Pestilenz.

Als er zurückkehrte, saßen die anderen Kinder beim alten Ottokar im Schatten eines Kastanienbaumes. Auch hier drehte sich das Gespräch um das Gespenst und um die tote Oma Lanner. Ottokar, der Hausknecht der Lanners, erzählte den Kindern, wie er die Altbäuerin im Weingarten gefunden hatte. Ausführlich schilderte er auch, dass die Kleidung der alten Frau völlig durcheinander gebracht worden war. Und das Portemonnaie, das sie immer am Busen unter dem Dirndl getragen hatte, war auch verschwunden. Richtig schauerlich wurde aber seine Erzählung danach:

»In der Fruah um fünfe hab i’s g’sehen …«

»Wos? Des G’spenst?«

»Na wos denn sunst? Vor zwa Woch’n wia’s g’regnet hot. Und ollas dunstig waor. Ob’m auf’m Berg. Da hob i’s g’sehen. Vor mir hot sich’s aufg’richtet und wollt nach mir greifen. Riesengroß! Lauter Knoch’n! Wia da Tod hot’s ausg’schaut. I hob mi umdraht, bin auf der nassen Erd’n ausg’rutscht und auf meiner Lederhosen den Berg owe tschundert3. Wia i unt’n aufg’standen bin, woar’s weg. Des G’spenst.«

*

Enttäuscht, dass im Maurer Pfarrhaus niemand anwesend war, trennten sich die Kinder am späten Nachmittag. Milli und Joseph Maria gingen über den Rosenhügel heim nach Speising. In der Gärtnerei seiner Tante Josefa, der jüngeren Schwester seines Vaters, angekommen, wurden sie von Bello, dem Schäferhund, begrüßt. Das Tier schnüffelte Joseph Maria zuerst misstrauisch ab, erkannte ihn aber rasch wieder und stupste ihn dann erfreut mit seiner kalten Nase an. Bei Milli fiel die Begrüßung wesentlich herzlicher aus. Bello sprang an ihr empor und schleckte quer über ihr Gesicht, sodass sie laut quietschte. Dann lief der Schäfer bellend und schwanzwedelnd hinter das Haus aufs Feld, wo Tante Josefa und Onkel Nepomuk arbeiteten. Die Kinder folgten dem Hund und Josefa, die kurz von der Arbeit aufsah, rief:

»Wo ward’s denn so lang? Wo habt’s euch herumgetrieben?«

»Wir waren bei den Lanners in Mauer.«

»Und dort hamma vom G’spenst vom Kadoltsberg g’hört«, ergänzte Joseph Maria.

»Des G’spenst vom Kadoltsberg? So, so … Na, wenn ihr mit solchem Bledsinn eure Zeit verplemperts4, könnt’s auch noch was Nützliches machen und Unkraut zupfen. Geht’s rüber zum Salatbeet! Bis zum Abendessen habt ihr’s fertig.«

Zähneknirschend gingen die Kinder zu besagtem Beet, das nicht sehr breit, aber dafür sehr lang war. Wortlos knieten sie sich hin und begannen mit der Arbeit. Eine Stunde später kam die Erlösung: Josefa rief die Kinder zum Abendessen. Aus großen, dampfenden Reindln5 schaufelte Tante Josefa zuerst Karottengemüse6 und dann Salzerdäpfel7auf ihre Teller. Die frischen Karotten waren mit einer hellen Einbrenn8 und viel Petersil zubereitet. Gewürzt war das Gemüse mit Salz, Pfeffer und einigen Spritzern Zitrone. Joseph Maria schmeckte das Nachtmahl so gut, dass er zwei Portionen aß. Danach fiel er wie tot ins Bett und schlief sofort ein.

*

»Mizzi Pepi komm! Ich zeig dir das G’spenst …«, flüsterte die G’scheckerte Toni und nahm den Wiener Buben bei der Hand. Sie führte ihn die steinernen Stiegen hinunter in die modrig feuchte Tiefe des Weinkellers. Joseph Maria machte sich vor Angst fast in die Hose. Unten angekommen drehte sich das Mädchen um, führte ihren Zeigefinger an die Lippen und machte: »Pssst!« Joseph Maria nickte und klammerte sich an ihre Hand, die ihn immer weiter in die Tiefe des Kellers führte. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis und er machte links und rechts die düsteren Konturen riesiger Fässer aus. Die G’scheckerte Toni kannte sich hier unten offensichtlich blind aus. Zielsicher führte sie ihn entlang der Fässerreihen, ohne dass sie auch nur ein einziges Mal irgendwo anstießen. Die anfängliche Furcht wich einem zarten Gefühl des Gruselns, das Joseph Maria nicht unangenehm war. Zusätzlich genoss er es, dass Toni seine Hand hielt. Er mochte dieses wilde, sommersprossige Mädchen sehr. Und so blieb er dicht bei ihr und drückte sich wann immer er konnte an ihren Körper. Plötzlich ein kalter Hauch. Irgendetwas umfasste seinen Hals und drückte zu. Er begann wie wild zu strampeln, um sich zu schlagen, und dann sah er in die glühenden Augen des Gespenstes vom Kadoltsberg. Kalter Schweiß. Gänsehaut. Und dann rennen! So schnell er konnte. Doch seine Beine waren bleischwer. Hinter sich spürte er es: das Grauen. Er schlug um sich und dann fiel er. Ins Bodenlose. Plumps! Joseph Maria war von seinem prall gefüllten Strohsack auf den harten Holzfußboden gefallen und hatte sich den Ellbogen angehauen. Auf dem Strohsack nebenan raschelte es und er hörte Millis verschlafene Stimme: »Mizzi Pepi, was hast denn?«

»Nix!«, murmelte er grantig und kroch zurück auf seinen Strohsack.

»Ich hab nur schlecht geträumt.«

»Von was denn?«

»Vom G’spenst …«

»Ui! Wenn i davon träumen tät, tät i mich vor Angst anwischerln9.«

»Hab ich mich eh fast.«

Es folgte ein längeres Schweigen, während dem ein immer dringender werdendes Bedürfnis anschwoll.

»Du, ich glaub, ich muss Pipi gehen …«

»Da musst runter in den Hof, wo’s jetzt ganz finster is’. Traust dich das?«

Joseph Maria zögerte, doch er hatte keine Wahl. Seine Blase drohte zu platzen. Also stand er von seinem Strohsack auf, tapste zur Tür und stieg mit klopfendem Herzen die steile Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Plötzlich hörte er ein röchelndes Geräusch und erstarrte. Das Gespenst! Gänsehaut. Doch plötzlich ging das Röcheln in ein auf- und abschwellendes Schnarchen über. Onkel Nepomuk, dachte Joseph Maria und grinste erleichtert. Nun vernahm er auch gleichmäßiges Atmen, das hin und wieder in einem leisen Schnarchen gipfelte: Tante Josefa. Über den kühlen Vorzimmerboden schlich er zur Haustür, die zum Glück nicht abgeschlossen war. Draußen trippelte Joseph Maria mit schnellen Schritten über den Hof. Gleich würde er das Plumpsklo erreicht haben und sich erleichtern können. Doch was war das? Vor dem Klohäuschen erhob sich ein riesiger Schatten. Joseph Maria blieb wie angewurzelt stehen. Vorne auf seinem Nachthemd breitete sich ein dunkler Fleck aus. Der Schatten schüttelte sich, tapste auf ihn zu und schnüffelte den Fleck ab.

»Bello, du G’frast10. Wegen dir hab ich mich anbrunzt.«

Joseph Maria schob den Schäferhund zur Seite, riss die Häusltüre auf, hockte sich auf das Holzbrett, schloss die Augen und erleichterte sich um den Rest, der noch in seiner Blase war. Und während er dasaß, tapste Bello her und nutzte die Situation schamlos aus. Mit stinkendem Hundeatem schleckte er Joseph Maria quer übers Gesicht.

*

»Herr Sommer, Herr Sommer!«

Der Mesner der Maurer Pfarrkirche wollte gerade die mächtige Eingangstür absperren. Joseph Maria und seine Cousine Milli stürmten atemlos herbei. Auf Severin Sommers rundem Bauerngesicht verzogen sich unzählige Falten zu einem breiten Lächeln.

»Jo Kinder, wos hobt’s denn? Wo brennt’s denn?«

»Lieber Herr Sommer, dürft ma bittschön ganz kurz die Lanner Oma sehn?«

»Die Lanner Oma?«

»Ja, weil uns die G’scheckerte Toni, also die Lanner Toni, so viel von ihrer Oma erzählt hat! Und da wollten wir noch einmal von ihr Abschied nehmen. Bevor’s morgen begraben wird.«

»Na von mir aus … Aber nur fünf Minuten. Do hobt’s den Kirchenschlüssel. Mit dem sperrt’s nachher die Tür zu und bringt’s ihn mir in die Pfarrkanzlei. Dorthin geh i nämlich jetzt Kaffee trinken.«

Er gab dem Buben den klobigen Schlüssel in die Hand und tätschelte dabei dessen lederbehosten Hintern. Joseph Maria erstarrte. Dem Tätscheln folgte ein fordernder Griff. Das war so unangenehm, dass sich Joseph Maria losriss und stotterte:

»Da… dank recht schön, Herr … Herr Sommer.«

Dem neuerlichen Griff nach seinem Hinterteil wich er geschickt aus und verschwand gemeinsam mit seiner Cousine, die inzwischen die Tür geöffnet hatte, im Inneren der Kirche. Ohne Umschweife eilten sie zur Kapelle, in der die Lanner Oma aufgebahrt lag. Joseph Maria flüsterte:

»Jetzt schau ma uns ihren Hals an …«

Milli packte mit ihrer eiskalten Hand die seine und flüsterte:

»Die Oma is’ tot. Mir sollten sie lieber in Ruah lassen!«

Joseph Maria schüttelte den Kopf, entzog ihr seine Hand und griff der Toten beherzt an die Gurgel. Mit zitternden Fingern öffnete er den Kragen ihrer hochgeknöpften Bluse. Auf dem faltigen Hals, der nun zum Vorschein kam, waren keine Würgemale zu sehen. Nach langem Zureden war schließlich auch Milli bereit, den Hals der Lanner Oma genau zu inspizieren. Auch ihr fielen keine Würgemale auf. Mit ruhiger Hand knöpfte Joseph Maria die Bluse wieder zu. Die Kinder bekreuzigten sich, beteten gemeinsam für die Lanner Oma ein »Gegrüßet seist du, Maria« und verließen anschließend die Kirche. Den Schlüssel brachte Milli in die Pfarrkanzlei. Joseph Maria zog es vor, draußen zu warten.

*

Nachdenklich spazierten die beiden zum Winzerhof Lanner in die Lange Gasse. Joseph Maria, dessen Vater Unterkommissär im Kommissariat in der Leopoldstadt war, spürte ein gewisses kriminalistisches Kribbeln. Warum hatte die Lanner Oma keinerlei Würgemale? Warum erzählten die Lanner Kinder, dass sie erwürgt worden war? War das alles erstunken und erlogen, um ihn, den Wiener zu beeindrucken? Gedankenversunken trottete er neben seiner Cousine einher. Unzählige Gedanken schwirrten durch seinen Kopf. Vor allem musste er an seinen Papa denken. An den Unterkommissär Miroslav Nechyba, der jetzt während der Weltausstellung11 alle Hände voll zu tun hatte und der seinen Sohn deshalb zu seiner Schwester nach Speising aufs Land geschickt hatte. Im Herbst, wenn die Realschule wieder beginnen und die Weltausstellung zu Ende gehen würde, würde er in die väterliche Wohnung zurückkehren. Da wäre auch die Antschi-Tant’, ihre Nachbarin wieder da, die jetzt im Sommer zu Verwandten in die Steiermark gereist war. Kurz dachte Joseph Maria an seine zwei Jahre nach seiner Geburt verstorbene Mutter. Von ihr kannte er nur ein Bild, das sie als fesche Braut an der Seite seines Papas zeigte. Ein Bild, das er sich früher oft voll Sehnsucht angesehen hatte, das aber nun in seinem Gedächtnis verblasst war. Joseph Maria seufzte.

»Wos bedrückt di denn?«, wollte Milli wissen, doch er schüttelte abwehrend den Kopf. Wenig später betraten die beiden den Hof des Lannerschen Winzerhauses. Die G’scheckerte Toni kam auf sie zugelaufen und rief:

»Morgen wird die Oma begraben! Und nachher gibt’s an Leichenschmaus. Da miasst’s unbedingt kumman. Weil da gibt’s vü z’essen.«

Joseph Maria nahm die G’scheckerte Toni bei der Hand und sagte streng:

»Wo ist denn dein Bruder? Ich hab nämlich was entdeckt.«

Antonia Lanner führte Joseph Maria und Milli ins Haus, wo ihr Bruder auf einer Eckbank lag und ein Nachmittagsschläfchen hielt. Sie gab ihm einen Rempler, auf den er mit einem unartikulierten Laut reagierte.

»Ferdi, wach auf! Der Mizzi Pepi möchte dir was ganz Wichtiges erzählen.«

Langsam setzte sich Tonis Bruder auf, rieb sich mit beiden Fäusten den Schlaf aus den Augen und brummte:

»Mizzi Pepi, machst jetzt auf Wichtigtuer?«

Gereizt replizierte Joseph Maria:

»Ich hab nicht g’sagt, dass das wichtig ist. Ich hab der Toni nur g’sagt, dass ich was entdeckt hab.«

»Und wos host entdeckt?«

»Dass eure Oma net erwürgt worden ist. Die Milli und ich waren vorher in der Kirch’n. Wir haben uns ihren Hals ganz genau ang’schaut, sogar die Bluse hab i a bisserl aufgeknöpft. Von Würgemalen war nix zu sehen.«

»Wos? Du host unsere tote Oma angriffen?«

»Nein. Nur ihre Bluse.«

Der Ferdi starrte Joseph Maria ungläubig an und Milli erzählte stolz, wie ihr Cousin den Hals der Lanner Oma untersucht hatte. Am Ende feixte sie frech:

»Das, was ihr da vom Tod eurer Oma erzählt habt, is’ a Schas. Des stimmt net. Eure Oma is’ net vom Gespenst vom Kadoltsberg erwürgt worden.«

Schweigsam saßen die Kinder da und starrten einander an. Plötzlich gab es im Hof draußen einen Mordsbahöö12. Die Kinder sprangen auf und liefen hinaus. Sie sahen zwei Gendarmen, die einen Mann in einem zerlumpten Anzug arretiert hatten. Der Mann, dessen Haupthaar und Bart lang und ungepflegt waren, trat um sich, fluchte und schimpfte. Seine Hände hatten die Gendarmen mit einer Schnur auf dem Rücken zusammengebunden. Ein Ordnungshüter sagte zur Heurigenwirtin:

»Frau Lanner, da schaun S’ her: Wir haben den Mörder Ihrer Frau Mutter gefasst. Der Kerl hat lang genug als G’spenst vom Kadoltsberg sein Unwesen getrieben. Jetzt wird wieder a Ruah sein.«

Die Lanner, die eine große, kräftige Frau war, ging auf den Mann zu, gab ihm links und rechts eine schallende Ohrfeige und fauchte ihn an:

»Du Fallot13, du host mei Muatta am Gewissen!«

Der Zerlumpte wich weiteren Schlägen aus, ein Gendarm drängte die Frau von dem Verhafteten ab. Der war nun ebenfalls aufs Äußerste echauffiert. Wutschnaubend schrie er zurück:

»Des is’ net wahr! Des stimmt net! Ich hab ihr gar nix angetan. A Schlagl14 hat’s g’habt und ich wollt ihr helfen. G’schnauft und geröchelt hat sie wie a Dampfmaschin’. Da hab ich ihr vorn des Dirndl aufgeknöpft, damit’s mehr Luft kriegt. Aber g’holfen hat’s nix. Das Schlagl hat sie nimmer auslassen.«

»Und dann hast ihr des Geldbörsl g’stohln, du Krätzen15.«

»I hab Geld braucht und die Alte hat nix mehr braucht. Drum hab i mir das Geldbörsl g’nommen. Unten in Kalksburg hab i mir dann beim Greisler zwei Wecken Brot und a Kranzl Wurscht kauft.«

Einer der Gendarmen brummte:

»Den Diebstahl gibt er also zu. Jetzt brauch ma nur mehr das Geständnis vom Mord.«

»Aber bitte! Bitte!«, rief die G’scheckerte Toni. »Des war ka Mord. Der hat die Oma net erwürgt.«

Die Erwachsenen drehten sich zu den Kindern, und bevor noch einer von ihnen was sagen konnte, verkündete Joseph Maria Nechyba mit fester Stimme:

»Zumindest erwürgt hat er die alte Frau Lanner nicht. Ich war vorher mit meiner Cousine in der Kirche und hab mir die aufgebahrte Frau Lanner genau angeschaut …«

Milli unterbrach ihn aufgeregt:

»Ja! Er hat ihr oben die Bluse aufgeknöpft und dann hamma den Hals von der Oma genau untersucht. Da war nix. Keine Würgemale. Nix.«

Die Heurigenwirtin schaute Joseph Maria mit großen Augen an und fragte erbost:

»Wos host du g’mocht?«

»Ich bitte um Entschuldigung. Aber es hat mich brennend interessiert, ob Ihre Frau Mutter tatsächlich erwürgt worden ist. Drum hab ich nachg’schaut. Es gab keine Würgemale an ihrem Hals.«

»Sehn S’, der Bua is’ mein Zeuge. I hab die Alte net erwürgt! Der Bua kann’s bezeugen!«, rief der Verhaftete. Der ranghöhere Gendarm sagte:

»Schluss jetzt. Mir gengan runter in die Kirch’n und schau’n söba nach. Wenn das stimmt, dass es keine Würgemale gibt, dann hat der Kerl die Tote nur bestohlen.«

Am Abend, als Joseph Maria und Milli im Kreise der Familie beim Abendessen saßen, fing Bello plötzlich hell und freundlich zu bellen an. Es klopfte an der Haustür, Bello stimmte plötzlich ein Freudengeheul an und stürzte sich auf den eintretenden Miroslav Nechyba. Der hatte alle Mühe, den an ihm emporspringenden Schäferhund zu beruhigen. Nun war auch Joseph Maria an der Reihe. Er umarmte seinen Papa innig. Miroslav Nechyba streichelte liebevoll über die stachelige Frisur seines Sohnes und begrüßte dann seine Schwester und seinen Schwager. Schließlich zwickte er die kleine Milli zur Begrüßung liebevoll in die Wange und brummte:

»Bist a großes Mädel g’worden.«

Die Gärtnerin wechselte auf Tschechisch einige Worte mit ihrem Bruder und legte dann einen weiteren Teller und ein Besteck auf den Tisch. Es gab Kohlrüben in Rahm, Salzerdäpfel und dazu gebratene Augsburger. Joseph Maria nahm sich dreimal von dem herrlichen Kohlrübengemüse nach. Der würzige Geschmack der Kohlrabistücke und die samtige Rahmsauce, in der sich reichlich frischer, fein gehackter Petersil befand, schmeckten einfach wunderbar. Nach dem Essen zündeten sich Miroslav Nechyba und sein Schwager Virginierzigarren an. Milli und ihre Mutter trugen das Geschirr in Küche und setzten dort einen Bottich Wasser auf dem Herd auf. Joseph Maria saß mit vollem Bauch da und sah fasziniert seinem Vater und seinem Onkel zu, wie sie kunstvoll Rauchkringel in die Luft bliesen. Keiner sprach ein Wort. Plötzlich stand Milli im Zimmer und krähte:

»Der Mizzi Pepi hat heut dem G’spenst vom Kadoltsberg g’holfen!«

Miroslav Nechyba wandte sich seinem Sohn zu und fragte:

»Wos host?«

Joseph Maria senkte seinen Blick und erzählte alles. Am Ende fügte er hinzu:

»Das G’spenst war bis heuer im Frühjahr ein sehr reicher Mann. Der hat sogar a eigene Villa g’habt. Oben am Kroissberg …«

»Is ned wahr!«

»Doch!«, rief Milli, deren Wangen vor Aufregung ganz rot wurden. Sie kam zu den Männern an den Tisch und sprudelte los:

»Der Herr Pfarrer hat ihn erkannt und nachher … nachher hat er uns seine G’schicht erzählt. Der war nämlich einmal irrsinnig reich. Der hat sogar a eigene Bank g’habt. Aber dann is’ alles den Bach runtergangen16. Die Villa war weg und alles andere auch. Und wie er nix mehr …«, Milli schnappte aufgeregt nach Luft, »… gar nix mehr g’habt hat, is’ er in den Wald gangen und zum G’spenst g’worden.«

1 Gurgel

2 jemanden töten

3hinunterrutschen

4 vergeuden

5 Kasserollen

6Möhrengemüse

7 Salzkartoffeln

8Mehlschwitze

9 anpinkeln

10 Biest

11 Sie fand 1873 von 1. Mai bis 2. November im Prater, im Polizei-Rayon von Nechybas Vater, auf einer Fläche von 233 Hektar statt. Es wurden 7,25 Millionen Besucher gezählt.

12Riesenwirbel

13Gauner

14Schlaganfall

15unangenehmer Mensch

16Infolge wilder Spekulation kam es kurz nach der Eröffnung der Weltausstellung am 9. Mai 1873 zu einem massiven Kurssturz an der Wiener Börse, der auch Schwarzer Freitag genannt wurde. Allein an diesem Tag gingen 120 börsennotierte Unternehmen in Wien in Insolvenz, unzählige folgten in den kommenden Wochen. Von den 72 Wiener Aktienbanken, die es zu Beginn des Jahres 1873 gegeben hatte, überlebten nur 28.

Das Phantom des Burgtheaters

Eine Kriminalgeschichte aus dem Jahr 1888

*

»Himmel, Herrgott! Jetzt hab ich da oben meine Augengläser liegen lassen!«, seufzte Tischlermeister Hans Söllwarther, als er nach einem langen, harten Arbeitstag durch einen Seitenausgang das Hofburgtheater verließ. Es folgte ein kurzer Moment der Verzagtheit, dann wandte er sich an seinen Gesellen Wenzel Irzalek:

»Geh, sei so gut und lauf noch einmal rauf. Sie muss auf der Brüstung der Loge liegen, in der wir zuletzt gearbeitet haben.«

Irzalek nickte und ging zurück in das Theater. Er hörte, wie ihm Söllwarther nachrief:

»Bring mir die Gläser rüber ins Café Landtmann!«