Motorik und Wahrnehmung im Kindesalter - Henning Rosenkötter - E-Book

Motorik und Wahrnehmung im Kindesalter E-Book

Henning Rosenkötter

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Beschreibung

Das Buch schlägt in gut lesbarer Form einen Bogen von den Grundlagen der Neurowissenschaften zu den Aufgaben und Vermittlungsprinzipien der Pädagogik im Elementarbereich. Ausgehend von der Beschreibung der neuronalen Strukturen des Zentralnervensystems wird erklärt, wie der Mensch Sinnesreize verarbeitet und das Lernen der Bewegungssteuerung ermöglicht wird. Das Buch führt zunächst in die Grundlagen neuronaler Aktivität, Sensorik und Motorik ein. Es folgen Kapitel zur Wahrnehmung und zum Lernen mit den Kernbereichen Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Emotion. Dabei werden Bezüge zwischen den neurologischen Grundlagen des Lernens und seiner pädagogischen Organisation hergestellt. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt auf dem Altersbereich vom Kleinkind bis zur Einschulung, wobei auch eine Brücke zur schulischen Bildung durch die Einbeziehung der Vorläuferfähigkeiten von Lesen, Schreiben und Rechnen geschlagen wird.

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Der Autor

Dr. med. Henning Rosenkötter ist Kinder- und Jugendarzt, Neuropädiater und Familientherapeut. Er war Ärztlicher Direktor des Sozialpädiatrischen Zentrums im Klinikum Ludwigsburg, hatte Lehraufträge für den Studiengang Frühkindliche und Elementarbildung an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg und der Evangelischen Hochschule in Freiburg.

Henning Rosenkötter

Motorik und Wahrnehmung im Kindesalter

Eine neuropädagogische Einführung

2., überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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2., überarbeitete Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036236-9

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-036237-6

epub:     ISBN 978-3-17-036238-3

mobi:     ISBN 978-3-17-036239-0

Vorwort der Herausgeberin und der Herausgeber

Die Lehrbuchreihe »Entwicklung und Bildung in der Frühen Kindheit« will Studierenden und Fachkräften das notwendige Grundlagenwissen vermitteln, wie die Bildungsarbeit im Krippen- und Elementarbereich gestaltet werden kann. Die Lehrbücher schlagen eine Brücke zwischen dem aktuellen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Forschungen zu diesem Bereich und ihrer Anwendung in der pädagogischen Arbeit mit Kindern.

Die einzelnen Bände legen zum einen ihren Fokus auf einen ausgewählten Bildungsbereich, wie Kinder ihre sozio-emotionalen, sprachlichen, kognitiven, mathematischen oder motorischen Kompetenzen entwickeln. Hierbei ist der Leitgedanke darzustellen, wie die einzelnen Entwicklungsniveaus der Kinder und Bildungsimpulse der pädagogischen Einrichtungen ineinandergreifen und welche Bedeutung dabei den pädagogischen Fachkräften zukommt. Die Reihe enthält zum anderen Bände, die zentrale bereichsübergreifende Probleme der Bildungsarbeit behandeln, deren angemessene Bewältigung maßgeblich zum Gelingen beiträgt. Dazu zählen Fragen, wie pädagogische Fachkräfte ihre professionelle Responsivität den Kindern gegenüber entwickeln, wie sie Gruppen von Kindern stressfrei managen oder mit Multikulturalität, Integration und Inklusion umgehen können. Die einzelnen Bände bündeln fachübergreifend aktuelle Erkenntnisse aus den Bildungswissenschaften wie der Entwicklungspsychologie, Diagnostik sowie Früh- und Sonderpädagogik und bereiten für den Einsatz in der Aus- und Weiterbildung, aber ebenso für die pädagogische Arbeit vor Ort vor. Die Lehrbuchreihe richtet sich sowohl an Studierende, die sich in ihrem Studium mit der Entwicklung und institutionellen Erziehung von Kindern befassen, als auch an die pädagogischen Fachkräfte des Früh- und Elementarbereichs.

Im vorliegenden Band präsentiert der bekannte Kinderarzt und ehemalige Chefarzt des Sozialpädiatrischen Zentrums im Klinikum Ludwigsburg, Dr. Henning Rosenkötter, zentrales Grundlagenwissen für die Entwicklungsbereiche von Motorik und Wahrnehmung und deren Störungen und Diagnostik unter einer neuropädagogischen Perspektive. Dieses Wissen ist auch für die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Fachkräften aus Medizin und Therapie sinnvoll. Denn an Kitas wird heute der Anspruch gestellt, auch Kinder mit Beeinträchtigungen in den genannten Bereichen zu erkennen, ein abgestimmtes pädagogisches Angebot zu machen und auch fachkundige externe Unterstützung durch Experten zu vermitteln. Der Bogen des Buches ist weit gespannt. Er reicht von der Körper-, Hand- und Grafomotorik und ihren Störungsformen über die visuelle, auditive und taktil-kinästhetische Wahrnehmung und ihren Störungsformen bis hin zu den damit verknüpften Funktionen von Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Emotionen.

In der vorliegenden zweiten Auflage hat der Autor neue Erkenntnisse zu den einzelnen Bereichen integriert und die einzelnen Kapitel überarbeitet, um die komplexe Materie der Leserschaft verständlich zu machen. Dabei erleichtern zahlreiche Abbildungen den Nachvollzug der Inhalte.

Münster, Freiburg und Heidelberg im März 2021

Manfred Holodynski, Dorothee Gutknecht und Hermann Schöler

Inhalt

Vorwort der Herausgeberin und der Herausgeber

Einleitung

1    Vom Gehirn und vom Neuron

Zusammenfassung in Form eines Glossars

Weiterführende Literatur

2    Motorik

2.1 Das pyramidale System

2.2 Das extrapyramidale System und das Kleinhirn

2.3 Das spinale System

2.4 Zusammenfassung: Das motorische System

Weiterführende Literatur

3    Die Entwicklung der Körpermotorik

3.1 Motorische Entwicklung im 1. Lebensjahr

3.2 Motorische Entwicklung vom 2. bis 6. Lebensjahr

3.3 Diagnostik mit standardisierten und normierten Tests

3.4 Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

4    Störungen der Körpermotorik

4.1 Medizinische Diagnostik

4.1.1 Kinderärztliche Untersuchung in den ersten Lebensjahren

4.1.2 Die ärztliche Untersuchung von Vorschulkindern

4.1.3 Merkmale einer motorischen Störung

4.2 Einteilung der motorischen Störungen

4.3 Umschriebene Entwicklungsstörung motorischer Funktionen (UEMF)

4.4 Schwere Störungen der motorischen Entwicklung

4.5 Behandlung körpermotorischer Störungen

4.6 Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

5    Die Entwicklung der Handmotorik

5.1 Einführung

5.2 Untersuchung der Handbewegungen und ihrer Störungen

5.3 Maßnahmen bei Störungen der Handmotorik

Weiterführende Literatur

6    Visuomotorik und Grafomotorik

6.1 Einführung

6.2 Sitz- und Stifthaltung

6.3 Entwicklung der Grafomotorik

6.4 Diagnostik

6.5 Förderung und Therapie

6.6 Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

7    Lateralisation und Händigkeit

7.1 Evolution und Händigkeit

7.2 Geschlecht und Lateralisation

7.3 Genetik und Lateralisation

7.4 Die Entwicklung der Händigkeit

7.5 Diagnostik

7.5.1 Händigkeit

7.5.2 Füßigkeit, Ohrigkeit, Äugigkeit

7.5.3 Lateralisation und Sprache, Lesen, Schreiben

7.6 Förderung und Therapie

7.7 Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

8    Wahrnehmung, Kognition, Intelligenz und Lernen

8.1 Wahrnehmung

8.2 Lernen

Habituation, Sensitivierung und assoziatives Lernen

8.2.1 Lernen und Reifung

8.2.2 Die zeitliche Informationsverarbeitung und das Erleben von Zeit

8.2.3 Die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung

8.3 Kognition

8.4 Intelligenz

8.5 Untersuchungsverfahren

8.5.1 Entwicklungstests

8.5.2 Intelligenztests

8.5.3 Sprachfreie Intelligenztests

8.6 Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

9    Sehen und visuelle Wahrnehmung

9.1 Einführung

9.2 Funktionen der visuellen Wahrnehmung

9.3 Das Sehen

9.4 Störung der visuellen Wahrnehmung

9.5 Diagnostik

9.6 Förderung und Therapie

9.7 Visuelle Wahrnehmung und Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben

9.8 Rechenschwäche (Dyskalkulie)

9.9 Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

10  Hören, auditive Wahrnehmung und Sprache

10.1 Das Hören

10.1.1 Zur Physiologie des Hörens

10.1.2 Töne und Lautstärke

10.1.3 Höruntersuchung

10.1.4 Hörstörungen

10.2 Auditive Wahrnehmung

10.2.1 Funktionen der auditiven Wahrnehmung

10.2.2 Störungen der auditiven Wahrnehmung

10.2.3 Ursachen für eine auditive Wahrnehmungsstörung

10.2.4 Symptome einer auditiven Wahrnehmungsstörung

10.2.5 Förderung und Therapie

10.3 Auditive Wahrnehmung und Sprache

10.3.1 Die Entwicklung der Prosodie

10.3.2 Lauterkennung

10.3.3 Die normale Sprachentwicklung

10.3.4 Die verzögerte und die gestörte Sprachentwicklung

10.3.5 Frühe Sprachförderung

10.4 Prävention

10.4.1 Die phonologische Bewusstheit: Eine Vorläuferfähigkeit

10.4.2 Prävention von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten

10.5 Lese-Rechtschreibstörung

10.6 Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

10.7 Lärm und Geräuschempfindlichkeit

10.7.1 Lärm

10.7.2 Lärmschädigung und Innenohr

10.7.3 Lärm in der Umwelt

10.7.4 Lärm in der Kita

10.7.5 Was kann man gegen Lärmbelästigungen tun?

10.7.6 Geräuschüberempfindlichkeit (Hyperakusis)

10.7.7 Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

11  Taktil-kinästhetische Wahrnehmung

11.1 Wahrnehmungssysteme

11.2 Rezeptoren

11.3 Funktionen der taktil-kinästhetischen Wahrnehmung

11.4 Taktil-kinästhetische Wahrnehmungsstörungen

11.5 Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

12  Gleichgewicht

12.1 Funktionen der vestibulären Wahrnehmung

12.2 Förderung und Therapie

13  Gedächtnis

13.1 Langzeitgedächtnis

13.2 Arbeitsgedächtnis

13.3 Diagnostik von Gedächtnisleistungen

13.4 Symptomatik von Gedächtnisproblemen

13.5 Förderung und Therapie

13.6 Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

14  Aufmerksamkeit

14.1 Symptomatik und Diagnostik der Aufmerksamkeitsstörung

14.2 Differentialdiagnose und Komorbidität

14.3 Ursachen der Aufmerksamkeitsstörung

14.4 Aufmerksamkeit und Medien

14.5 Therapie von Aufmerksamkeitsstörungen

14.6 Therapie mit Medikamenten

14.7 Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

15  Das »Ich«, Emotionen und ihre neuronale Verankerung im Gehirn

15.1 Emotionen

15.2 Mandelkerne und Angst

15.3 Limbisches System und Emotionen

15.4 Spiegelneurone und Empathie

15.5 Neurotransmitter und emotionale Informationsverarbeitung

15.6 Angst und Trauma

15.7 Stresserleben und Epigenetik

15.8 Emotion und Lernen

15.9 Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

Literatur

Einleitung

Bislang weiß kein Mensch genau, was Neuropädagogik ist. Diejenigen, die darüber sprechen und schreiben, halten es meist für eine moderne Form der Pädagogik, welche die Erkenntnisse der Neurowissenschaften integriert. Warum könnte es nicht auch eine Form der Nervenheilkunde sein, die an Ergebnissen der Pädagogik interessiert ist? Immerhin soll der Begriff in den 1970er Jahren von dem Ehepaar Gobiet für eine Frühförderung in der Rehabilitation von Schädel-Hirn-Verletzten »erfunden« worden sein. In den 1990er Jahren wurde er von dem Neuropsychologen und Neurochirurgen A. Klinger und dem Neurochirurgen und Rehabilitationsmediziner A. Zieger zu einem Konzept der Frührehabilitation erweitert.

Die Entwicklungsbiologin A. K. Braun stellt in Magdeburg Überlegungen zu einer interdisziplinären Forschungsrichtung »Neuro-Pädagogik« an. Begründet die Einrichtung eines »Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen« in Ulm die gelegentlich besserwisserische Einmischung der Medizin in die Pädagogik? Wird hier nicht suggeriert, die Medizin könne endlich den Schlüssel zur Bildungsdebatte liefern: Was Pädagogen dringend bräuchten, um den PISA-Schock zu überwinden? Wenn nun die Erklärung für Aufmerksamkeitsstörungen, Gedächtnislücken, Aggressivität im Kindergarten oder gleich das ganze Körper-Seele-Problem mit der Durchblutung des Nucleus accumbens, der Zelldichte des Hippocampus und der Funktion der Spiegelneurone erklärt werden könnten, wäre die Pädagogik unter dem Dach der Neurowissenschaften gut aufgehoben. Da wundern kritische Überlegungen nicht, auch nicht die Fragen »Wie viel Neuro braucht die Schule wirklich?« oder »Wo ist denn da die gleiche Augenhöhe?«

In dem Wort »Neuropädagogik« – wie auch in anderen zusammengesetzten Wissenschaftsgebieten wie z. B. Neurophysiologie, Entwicklungsneurobiologie, Neurogenetik, Neuropsychologie – steckt auch der Wunsch, Fachrichtungen, die bislang wenig miteinander anfangen konnten, zu beider Nutzen interdisziplinär und fachübergreifend kooperieren zu sehen. Nach vielen Jahren, in denen immer stärker spezialisierte Fachdisziplinen in traditioneller Weise Wissen vertieft und vervielfältigt haben, scheint für viele der Zeitpunkt gekommen zu sein, den Kopf über den Tellerrand erhebend nach anderen zu suchen, die gleichfalls in der eigenen Suppe sieden. Sie bereichert Methoden- und Interpretationsvielfalt. Das Wissen aus der Pädagogik bereichert somit nicht nur den Neurowissenschaftler und das Wissen aus der Neurologie bereichert nicht nur den Pädagogen, sondern das breitere und multiplizierte Wissen beider Fachbereiche dient dem zu fördernden Kind, dient dem kranken Patienten und dient der Gesellschaft.

Als Mediziner versuche ich, den Teil der Neurowissenschaften zu erklären, von dem ich mir vorstellen kann, dass er für Pädagogen, namentlich Frühpädagogen, hilfreich sein könnte: zur Erklärung, zum Verstehen, beim Suchen nach alternativen Lehrmethoden, auf der Suche nach Auswegen und zur Ermutigung für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Wie viel davon und wie es für Sie nutzbringend sein wird, bleibt Ihnen überlassen. Durch den theoretischen Berg von Griesbrei muss man sich auch in anderen Disziplinen futtern, um bei den herzhaften Gerichten anzukommen. Ganz wird man die Theorie jedoch nicht vermeiden können, wenn man die Erklärung für Konzepte und Therapien sucht. Hoffentlich werden Sie viel für sich mitnehmen und hoffentlich werden dann Ihre Erkenntnisse oder Widersprüche irgendwie zu mir zurückkehren, damit ich am Ende auch mehr von Pädagogik weiß. Schließlich hoffe ich gar, dass dieses Buch auch einigen medizinischen Therapeuten (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie) und Therapeuten angrenzender Berufe hilfreich sein kann.

Henning Rosenkötter

Anmerkung: Der besseren Lesbarkeit halber spreche ich von Pädagoginnen, pädagogischen Fachkräften und Erzieherinnen. Männliche Kollegen sind natürlich ebenfalls gemeint. Wenn ich von Pädagogen, Ärzten und Psychologen spreche, meine ich auch Pädagoginnen, Ärztinnen und Psychologinnen.

1          Vom Gehirn und vom Neuron

Das menschliche Gehirn besteht aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen (Neurone), die durch etwa 100 Billionen Kontaktstellen (Synapsen) miteinander in Verbindung stehen. Unter dem Begriff Zentralnervensystem (ZNS) werden das Gehirn und das Rückenmark zusammengefasst. Als peripheres Nervensystem werden alle Anteile außerhalb des ZNS bezeichnet: vor allem die motorischen Nerven, die das Rückenmark verlassen, und die sensiblen Nerven, die vom Gewebe zum Rückenmark kommen, und auch das vegetative Nervensystem. Der Kortex, die Rinde des Großhirns, ist 2–5 mm dick und so stark gefaltet, dass seine Oberfläche 1800 Quadratzentimeter einnimmt. Diese dichte Zellschicht wird die graue Substanz genannt, während die zu- und wegführenden Nervenfasern die weiße Substanz bilden. Die Nervenfasern verbinden die Hirnzentren miteinander, oder sie verlassen das Gehirn in dichten Bündeln zum Rückenmark hin, von wo sie ihre Signale als motorische Nerven zu den Muskeln (efferente Nerven) leiten, oder dem Gehirn als sensible Nerven Informationen aus der Peripherie (afferente Nerven) bringen.

Abb. 1.1: Die Lappen des Großhirns und zwei wichtige Hirnfurchen

Den größten Raum im ZNS nimmt das Großhirn ein. Es besteht aus einer linken und einer rechten Großhirnhemisphäre. Beide sind durch ein breites Faserbündel, den Balken (Corpus callosum), miteinander verbunden. Sie werden in jeweils vier Lappen unterteilt ( Abb. 1.1): Stirnlappen (Frontallappen), Scheitellappen (Parietallappen), Schläfenlappen (Temporallappen) und Hinterhauptslappen (Okzipitallappen). Das Stirnhirn und der Scheitellappen sind durch eine tiefe Furche, die Zentralfurche (Sulcus zentralis) voneinander getrennt. Jeder Lappen hat seine eigenen Windungen und Furchen. So liegt die vordere Zentralwindung (Gyrus präzentralis) vor, die hintere Zentralwindung (Gyrus postzentralis) hinter der Zentralfurche. Die Sylvische Furche trennt den Stirnlappen vom Schläfenlappen.

Zwischen den Großhirnhemisphären und um den dritten Hirninnenraum (Ventrikel) herum liegt das Zwischenhirn. Es besteht aus dem Thalamus, dem darunter liegenden Hypothalamus und der kleinen, hormonbildenden Hypophyse. Der Thalamus ist eine außerordentlich wichtige Sammel- und Umschaltstelle. Außer der Riechbahn werden dort alle ankommenden Informationen (sensorisch, optisch, akustisch) von der einen Nervenbahn auf mehrere andere verteilt. Solche Umschaltzentren werden im Gehirn auch häufig Kern (Nucleus) genannt. Für das Sehen und das Hören gibt es im Thalamus Umschaltstationen, die dem Thalamus wie kleine Vorwölbungen aufgesetzt sind, die so genannten Kniehöcker. Aber auch alle ausgehenden Signale wie z. B. die motorischen Befehle werden im Thalamus umgeschaltet. Der Thalamus ist daher das unter der Rinde liegende Tor zum Kortex des Großhirns. Im Hypothalamus werden wichtige unbewusste Regulationen gesteuert: der Wasserhaushalt, die Temperaturregulation, die Nahrungsaufnahme.

Abb. 1.2: Zwischenhirn, Mittelhirn, Hirnstamm, Kleinhirn

Das Mittelhirn ist ein kleiner Gehirnteil, der das Zwischenhirn und die Brücke (Pons) miteinander verbindet. Brücke und das darauf sitzende Kleinhirn (Zerebellum) bilden zusammen eine funktionelle Einheit ( Abb. 1.2). Das Kleinhirn übernimmt Aufgaben in der Feinsteuerung der Motorik und in der Seh- und Hörwahrnehmung. Seine Fältelung und seine Zellstruktur sind besonders fein differenziert und dicht. Die Oberfläche des Kleinhirns erreicht eine erstaunliche Größe: Sie entspricht 75 % der Oberfläche des Großhirns.

Unterhalb des Zwischenhirns liegt der Hirnstamm. Dazu gehören das Mittelhirn, die Brücke und das verlängertes Rückenmark (Medulla oblongata). (Der Begriff Stammhirn bezeichnet den Hirnstamm und zusätzlich noch das Zwischenhirn.). Im Hirnstamm verlaufen nicht nur auf- und absteigende Bahnen, sondern er ist auch der Sitz zahlreicher Hirnnervenkerne. Als Hirnnerven werden diejenigen Nerven bezeichnet, die nicht aus dem Rückenmark entspringen, sondern direkt aus dem Gehirn kommen. Sie verlassen den knöchernen Schutz des Gehirns an verschiedenen Stellen des Schädels und versorgen überwiegend die Organe des Kopfes. Die Hirnnervenkerne III, IV und VI steuern die Bewegungen der Augäpfel, der Hirnnervenkern VII (Fazalisnerv) ist für die Steuerung der Mimik wichtig und der VIII. Hirnnerv sammelt die Informationen vom Innenohr und vom Gleichgewichtsorgan. Nur der X. Nerv, der sogenannte Vagusnerv, zieht eine längere Bahn: Er ist ein Hauptnerv des vegetativen Nervensystems und steuert die Tätigkeit vieler innerer Organe.

Abbildung 1.3 zeigt die Mitte des Gehirns in einer mittleren Schnittebene, gewonnen mit einer Untersuchung, die Kernspintomographie oder Magnetresonanztomographie (MRT) genannt wird. Das MRT ist ein bildgebendes Verfahren, das eine Darstellung der Struktur des Gewebes erlaubt. Das Bild zeigt auch die Gürtelwindung (Gyrus cinguli) oberhalb des Balkens, die zum limbischen System gehört ( Abb. 1.3).

Abb. 1.3: Mittelschnitt durch das Gehirn in der Magnetresonanztomographie (MRT)

Ein anderes wichtiges Kernsystem befindet sich im Hirnstamm: die Formatio retikularis. Der Name (»netzartige Bildung«) rührt aus der diffus und maschenartig miteinander verbundenen Struktur, die wie ein Netz von vielen Kerngebieten wirkt und Anschluss an den Thalamus und an das Rückenmark hat. Die Formatio retikularis ist für zahlreiche unbewusste Funktionen verantwortlich: Kreislauf und Atemzentrum, Brechzentrum, Schmerz, Emotionen, Harnblasensteuerung, Anteile der Bewegungssteuerung und über den Nucleus accumbens und den Nucleus ruber Anteile der Aufmerksamkeitssteuerung.

Nach diesem Blick auf das Gehirn von außen wenden wir uns nun der Feinstruktur des ZNS zu. Beginnen wir mit der Funktion der Nervenzellen, den Neuronen ( Abb. 1.4). Sie erfassen und verarbeiten alle Informationen, die das Gehirn erhält, und sie können gleichzeitig senden und empfangen. Das eingehende Signal kommt entweder über ankommende (afferente) Nervenfasern anderer Neurone oder durch eigene Fasern, die Dendriten. Die Verbindungsstellen (Synapsen) mit anderen Nervenzellen kontaktieren mit ihnen direkt am Zellkörper oder über Synapsen, die auf den Dendriten liegen. Bei manchen Nervenzellen gibt es eine besonders starke und lange auslaufende Faser: das Axon. Eine Erregung im Neuron wandert besonders schnell über das Axon, weil es über Abschnitte verfügt, die Markscheiden genannt werden. Diese Markscheiden-Abschnitte haben Verengungen und Einschnürungen, die Schnürringe.

Markscheiden bestehen aus Myelin-Lamellen, die von speziellen Zellen gebildet werden und sich wie Spiralen um die Axone winden. Myelin heißt Mark und ist eine gewundene Membran. Solche markumwickelten Axone können die Erregung schneller leiten als marklose Fasern. Die hohe Übertragungsgeschwindigkeit der markhaltigen (myelinisierten) Fasern kommt dadurch zustande, dass das Myelin wie eine Isolationsschicht wirkt. Dadurch wird die Veränderung der elektrischen Ladung nicht kontinuierlich fortgeleitet, sondern sie springt von einem nicht markumlagerten Schnürring zum nächsten. Myelin bildet sich in der ganzen Kindheit und Jugend und ist der Grund dafür, dass die Erregungsübertragung mit zunehmendem Alter immer schneller wird und das Volumen des Gehirns noch ständig zunimmt, obwohl ab der Geburt keine neuen Neurone mehr gebildet werden.

Abb. 1.4: Ein Neuron (1: Dendriten (blau), 2: Zellkörper, 3: Axon, 4: Zellkern, 5: Myelinscheide (weiß), 6: Schnürring)

Die Fortleitung von Signalen im Neuron beruht auf chemischen und elektrischen Vorgängen. Zwischen dem Inneren der Nervenzelle und der Umgebung besteht ein elektrisches Spannungsgefälle, ein elektrisches Potenzial. Diese Spannung kann an der Zellmembran fein abgestuft werden, je nach der Stärke der Erregung des Neurons. Diese wiederum wird von der Stärke der eingehenden Signale bestimmt. Überschreitet das Potenzial an den ausgehenden (efferenten) Fasern eine bestimmte Schwelle, wird plötzlich ein Aktionspotenzial ausgelöst. Die Auslösung folgt dem Alles-oder-Nichts-Prinzip, d. h. entweder ist die Erregung überschwellig und das Potenzial wird ausgelöst oder es wird nicht ausgelöst. Es gibt nur Null (Ruhe) oder Eins (Erregung). Das Aktionspotenzial breitet sich mit großer Geschwindigkeit in den auslaufenden Fasern aus.

Den elektrischen Ruhezustand eines Neurons nennt man Ruhepotenzial. Damit ist gemeint, dass die Zellmembran eine Spannung aufrechterhält, indem ständig durch eine chemische Reaktion Natrium aus der Zelle herausgepumpt und Kalium hineingelassen wird. Diese Natrium-Kalium-Pumpe führt an der Zellmembran zu einem Spannungsungleichgewicht, eben dem Ruhepotenzial. In der Membranwand gibt es Kanäle für Ionen, durch die bei einer bestimmten Spannung zwischen dem Inneren der Zelle und dem Zellaußenraum schlagartig innerhalb einer Millisekunde Natriumionen in das Zellinnere einströmen. Das Ruhepotenzial, eine im Zellinneren negative Ladung, kehrt sich nun plötzlich in eine positive Ladung um. Diesen Potenzialumschwung nennt man ein Aktionspotenzial. Es kann über das Axon an andere Zellen fortgeleitet werden. Das Aktionspotenzial besteht aus einem Entladungsanteil (Depolarisation) und einer kurzen Phase, in der der Natriumeinstrom nach einer Millisekunde abgestoppt und Kalium ausgeschleust wird (Repolarisation), um den ursprünglichen Ruhezustand wiederherzustellen. Nach Ablauf des Aktionspotenzials ist das Neuron für 1–2 Millisekunden nicht wieder erregbar (Refraktärzeit). Von außen kommende Reize können zwar aufgenommen werden, aber sie führen nicht zu einem neuen Aktionspotenzial.

Abb. 1.5: Struktur einer Synapse zwischen Axon und Dendrit

Wenn die Erregung mit einem Aktionspotenzial über ein Axon läuft, wird sie über viele knospenartige Ausläufer (Synapsen) an benachbarte Zellkörper und deren Dendriten weitergegeben. In diesen Synapsenknöpfchen gibt es Bläschen, die prall mit Botenstoffen (Neurotransmittern) gefüllt sind. Ihnen gegenüber liegt an der Synapse des benachbarten Zellkörpers oder Dendriten eine Empfangsmembran. Kommt nun das Aktionspotenzial an die Synapse, werden die Neurotransmitter innerhalb von einer Millisekunde aus den Bläschen entlassen und durch die Synapsenmembran in den Zwischenraum zwischen Synapse und Empfangsmembran (postsynaptische Membran) geschickt ( Abb. 1.5). Den Synapsenspalt überschreiten sie und gelangen an der Empfangsmembran auf spezielle Rezeptoren, die spezifisch immer nur einen bestimmten Botenstoff binden. Die Bindung der Botenstoffe an die Rezeptoren löst in der Nachbarzelle wieder einen Spannungsunterschied aus. Je nach Art des Neurotransmitters und je nach Art des Rezeptors wirkt dieses Potenzial an der Nachbarzelle erregend oder hemmend.

Das einzelne Neuron kann also nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip erregt werden und eine Erregung aussenden oder nicht. Wie kann es dann eine Abstufung der Erregung geben? Es gibt zwei Antworten: Zum einen wirkt sich die Stärke des Reizes auf die Anzahl der Aktionspotenziale pro Zeiteinheit aus. Die andere Antwort ergibt sich, wenn man eine Gruppe von Neuronen betrachtet: Manchmal überwiegen die hemmenden, manchmal die erregenden Impulse. Die Modulation einer Information geschieht durch die Summe von erregenden und hemmenden Einflüssen. Die Feinjustierung ist also in der Zusammenarbeit von funktionell kooperierenden Neuronen möglich.

Eine Sonderform einer synaptischen Verbindung ist die Verbindung zwischen einem Axon und einer Muskelzelle: Die Stelle, an der eine Synapse auf eine Muskelfaser trifft, nennt man die motorische Endplatte. Das ankommende Axon bildet einen synaptischen Endkolben, der viele kleine Energie liefernde Zellorganellen (Mitochondrien) und Bläschen (Vesikel) enthält ( Abb. 1.6).

Abb. 1.6: Motorische Endplatte: eine Synapse an der Muskelfaser

Die Vesikel sind vollgestopft mit dem Neurotransmitter Acetylcholin. Kommen Aktionspotenziale über das zuleitende Axon an, so öffnen sich Kalziumionenkanäle. Die acyetylcholinhaltigen Bläschen entleeren sich an der Zellmembran in den synaptischen Spalt. Das freigesetzte Acetylcholin bindet sich an die Rezeptoren der Muskelfaser-Endplatte. Dies ist das Signal zur Kontraktion der darunter liegenden Muskelfaser. Die Größe einer motorischen Einheit entscheidet, wie viele Skelettmuskelfasern sich gleichzeitig zusammenziehen.

Zusammenfassung in Form eines Glossars

1.      Makroskopie

Aufbau des Zentralnervensystems

Großhirn und Zwischenhirn: Das Großhirn wird beidseits in vier Lappen eingeteilt: Stirn-, Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptslappen. Die Hirnwindungen (Gyri) haben eine symmetrische Architektur. Von den trennenden Rinnen (Sulci) sind zur Orientierung besonders die Zentralfurche und die Sylvische Furche wichtig. Das darunterliegende Zwischenhirn besteht aus dem Thalamus, dem Hypothalamus und der Hypophyse.

Brücke und Kleinhirn: Die Brücke (Pons) und das Kleinhirn (Zerebellum) bilden eine funktionelle Einheit. Das Kleinhirn ist in sehr feine Falten gegliedert und hat annähernd so viele Neuronen wie das Großhirn. Die Großhirnschenkel und der dicke Beginn des Rückenmarks (Medulla oblongata) bilden den Hirnstamm. Dort verlaufen auf- und absteigende Bahnen und entspringen die Hirnnerven. Dies sind Nerven, die direkt aus dem Gehirn kommen.

Kern: Als Kern (Nukleus) bezeichnet man dichte Ansammlungen von Neuronen, die als Umschaltstelle und Verbindung zwischen verschiedenen Hirnzentren dienen. Das netzartige Kerngebiet der Formatio retikularis hat vielfältige unbewusste Funktionen: Steuerung von Kreislauf und Atmung, Schmerz, Emotionen, Harnblasensteuerung, Anteile der Bewegungssteuerung und der Aufmerksamkeitssteuerung.

2.      Mikroskopie

Aufbau des Neurons

1.  Nervenzellkörper

2.  Ausläufer:Dendrit: kurz und verzweigt; zuführende Fortsätze nehmen die ankommende Erregung auf und leiten sie zum Nervenzellkörper. Axon: wegführender Fortsatz, leitet die Erregung vom Nervenzellkörper fort; entspringt im Zellleib und zieht als Fortsatz zu anderen Nervenzellen oder zu einem Muskel

Synapse: Umschaltstelle für die Erregungsübertragung von einer Nervenzelle auf eine zweite oder von einer Nervenzelle auf ein Erfolgsorgan. Die Erregungsübertragung erfolgt durch chemische Überträgerstoffe (Transmitter)

Markscheidenzellen: Zellen, die Mark (Myelin) bilden

Schnürring: Einschnürung zwischen zwei Markscheidenzellen

Leitungsrichtung von Nervenfasern:

1.  afferent: von der Peripherie zum Gehirn und Rückenmark, z. B. sensible Nervenfasern, die Reize von einem Sinnesorgan an das ZNS vermitteln

2.  efferent: vom ZNS zum peripheren Nervensystem

Alles-oder-nichts-Gesetz: Als Antwort auf einen Reiz kommt entweder ein vollständiges oder gar kein Aktionspotenzial. Ausschlaggebend ist, ob der Reiz über dem Schwellenwert liegt. Nach einer Reizung bleibt der Nerv für eine bestimmte Zeit unerregbar (refraktär). Die Stärke des Reizes wirkt sich auf die Anzahl der Aktionspotenziale pro Zeiteinheit aus. Neuronengruppen können die Stärke einer Reizantwort über die Zahl der erregenden oder hemmenden Synapsen modulieren.

Der periphere Nerv: In einem peripheren Nerv laufen mehrere Nervenfasern, die von Markscheiden umhüllt sind. Er enthält afferente und efferente Nervenfasern, teilt sich mehrfach auf oder vereinigt sich mit anderen Nerven. Die über die Schnürringe springende Erregung pflanzt sich schneller fort als bei marklosen Axonen, an denen die Erregung kontinuierlich entlangläuft.

Weiterführende Literatur

Carter, R. (2019). Das Gehirn. München: Dorling Kindersley.

Faller, A. & Schünke, G. (2016). Der Körper des Menschen. Stuttgart: Thieme.

Huch, R. & Jürgens, K. (2019). Mensch, Körper, Krankheit. München: Urban & Fischer.

2          Motorik

Definition

Motorik bedeutet sowohl Bewegung als auch Haltung. Haltung und Bewegung werden vom zentralen und vom peripheren Nervensystem gesteuert und kontrolliert, teils bewusst und teils unbewusst.

Zu Beginn sollen einige Begriffe erläutert werden. Die vom Zentralnervensystem (ZNS) kontrollierte, bewusste Bewegung ist die Willkürmotorik. Als Körpermotorik bezeichnet man die Koordination der Haltung und Bewegung von Rumpf und Extremitäten. Unter Handmotorik versteht man die Handgeschicklichkeit und die Koordination der Fingerbewegungen. Statomotorik meint die Regulierung von Gleichgewicht, Aufrichtung und Gang.

Motorik ist eingebettet in ein System, das sich gegenseitig beeinflusst und kontrolliert. Dazu gehören das motorische, das sensible und das vegetative System. Diese drei Systeme haben unterschiedliche Aufgaben.

•  Motorisches SystemSteuerung der Willkürbewegungen und der reflektorischen, unbewussten Anpassung der Muskelaktivitäten an die äußeren Bedingungen.

•  Sensorisches SystemErfassung und Verarbeitung (taktil-kinästhetische Wahrnehmung) von Signalen der Sinnesorgane in der Muskulatur, den Sehnen und den Gelenken an die Gehirnzentren, evtl. mit Bewusstwerdung.

•  Vegetatives (autonomes) SystemKoordination und Anpassung der Tätigkeit der inneren Organe (Atmung, Herz und Kreislauf, Verdauung, Blase). Es arbeitet »autonom«, also ohne bewusste Kontrolle.

Die Sensorik ist das System des Fühlens und der Körperwahrnehmung. Betrachten wir beide Systeme, Motorik und Sensorik, als eine Einheit, in der das eine System ständig Informationen des anderen Systems verarbeitet und rückmeldet, so sprechen wir von Sensomotorik (auch  Kap. 11). Die Steuerung der Motorik ist jedoch nicht allein Aufgabe des taktil-kinästhetischen Systems, sondern es sind auch Teilbereiche der visuellen Verarbeitung, der Hörverarbeitung und des Gleichgewichtssystems beteiligt. Denken wir hingegen vor allem an ein Zusammenwirken von Motorik mit der psychischen und kognitiven Entwicklung, so sprechen wir von Psychomotorik.

Der unbewusste Antrieb zu einem Bewegungsablauf geht von subkortikalen, also unter der Hirnrinde gelegenen Motivationsarealen im Stirnhirn und im limbischen System aus. Das limbische System hat eine besondere Bedeutung bei der Verarbeitung von Emotionen und bei Gedächtnisleistungen. Emotionen sind ja oft ein wichtiger Antrieb für Bewegungsleistungen (ausführlich dazu  Kap. 15). Automatisierte Bewegungen wie Hüpfen und Fahrradfahren werden anfangs bewusst erlernt, später unbewusst gesteuert.

Abb. 2.1: Großhirnareale der motorischen Steuerung

Bewusste Bewegungsmuster wie z. B. das Ausweichen vor einem Hindernis werden im supplementär-motorischen Kortex und im prämotorischen Kortex geplant ( Abb. 2.1). Das detaillierte Bewegungsprogramm entsteht in einem Zusammenwirken von supplementär-motorischem Kortex, Basalganglien (das sind große Kerngebiete unterhalb der Hirnrinde) und Kleinhirn.

2.1       Das pyramidale System

Abb. 2.2: Die Pyramidenbahn: Das im Rückenmark absteigende Faserbündel aus dem motorischen Kortex erreicht die verschiedenen Rückenmarksebenen.

2.2       Das extrapyramidale System und das Kleinhirn

Neben dem sehr direkt, aber auch etwas grob steuernden pyramidalen System ist das extrapyramidal-motorische System parallel geschaltet. Es regelt die Haltungs- und Bewegungseinstellungen sowie die Muskelspannung (Tonus) und unterstützt die Verschaltung zum Kleinhirn. Es bezieht seine Signale vornehmlich aus dem prämotorischen und supplementären Kortex und gibt sie über Synapsen an die Basalganglien weiter. Die Basalganglien (auch Stammganglien genannt) sind große Kerngebiete unterhalb der Hirnrinde (subkortikal), die über eine Rückmeldeschleife über den Thalamus zur Großhirnrinde eine motorische Regulation leisten. Darüber hinaus sind sie in die Handlungsplanung, das vorausschauende Handeln, die motorische Spontaneität und Selektion sowie die Bildung von Handlungsabfolgen einbezogen.

In einer zweiten Schleife zur Feinregulation und Verknüpfung werden Signale der Pyramidenzellen in einem Nebenschluss zum Kleinhirn geleitet. Das Kleinhirn ist u. a. für die Steuerung der Bewegungen zuständig, also für Koordination, Feinabstimmung, unbewusste Planung und das Erlernen von Bewegungsabläufen. Darüber hinaus ist das Kleinhirn parallel zum Großhirn an der Verarbeitung optischer und akustischer Signale beteiligt.

2.3       Das spinale System

Das Rückenmark (Medulla spinalis) ist derjenige Teil des ZNS, der im Wirbelkanal der Wirbelsäule verläuft. Das spinale System umfasst also einerseits absteigende Bahnen der Motorik und andererseits aufsteigende Bahnen der Sensorik zur Weiterleitung der gefühlten Informationen. Auf jedem Segment des Rückenmarks verlassen periphere motorische Nerven rechts und links über die vordere Nervenwurzel den schützenden Nervenkanal. Die hintere Nervenwurzel wird auch als sensibles Neuron bezeichnet. Sie leitet Impulse aus dem Körper zur grauen Substanz des Rückenmarks.

Reflexe sind programmierte Bewegungsabläufe. Auf einen spezifischen äußeren Reiz folgt eine schnelle, typische und reproduzierbare Reaktion. Da das Gehirn an der Reflexbildung nicht oder nur gering beteiligt ist, laufen Reflexe unbewusst ab. Diese Reaktionen sind daher sehr schnell und schützen uns in kurzer Zeit. Die kürzeste Verschaltung zwischen einem Motoneuron und einem sensiblen Neuron ist der Muskeleigenreflex. Wird z. B. die Kniesehne durch einen Schlag mit einem Gummihammer gedehnt, sendet das sensible Neuron das Dehnungssignal über einen sensiblen Nerv an das Rückenmark. Dort wird es direkt auf ein Motoneuron umgeschaltet und gelangt über den motorischen Nerv zum zugehörigen Muskel. Beim Kniesehnenreflex zieht sich der streckende Oberschenkelmuskel zusammen und bewirkt eine Streckbewegung im Kniegelenk. Solche Reflexreaktionen haben den Vorteil, sehr schnell und automatisiert abzulaufen. Rhythmische Bewegungsmuster wie Laufen oder Hüpfen vereinen in sich Merkmale von Willkürbewegung und von unwillkürlichen, durch Reflexe beeinflusste Bewegungen. Der Beginn kann willkürlich, also kortikal und subkortikal ausgelöst und am Ende bewusst kontrolliert werden. Einmal ausgelöst, sind solche wiederkehrenden und erlernten Muster aber fast automatisch auf reflexhafte Weise ohne großen Aufwand zu bewältigen. Wenn man einmal das Laufen, das Schwimmen, das Autofahren oder das Ballwerfen erlernt hat, können deren unbewusste Bewegungsanteile rasch und zuverlässig abgerufen werden. Wenn ein erlernter Bewegungsablauf modifiziert und an neue Bedingungen angepasst werden soll, muss er bewusst gesteuert und geübt werden, um dieses neue Muster wieder zu automatisieren. Das spinale System hilft auch dabei, das Wechselspiel zwischen Anspannung (Kontraktion) und Entspannung von gegensinnig arbeitenden Muskeln zu steuern. So können das Beugen und Strecken des Unterarms oder des Unterschenkels nur im Wechselspiel zwischen gegensinnig arbeitenden Beuge- und Streckmuskeln wirksam werden.

Neben dem Eigenreflex gibt es noch andere Arten von Reflexen. So schützt uns der angeborene Lidschlussreflex vor einer Augenverletzung. Darüber hinaus gibt es erlernte (konditionierte) Reaktionen, wie die bedingte Sekretproduktion, die allein auf den durch Training zum bedingten (konditionierten) gewordenen Glockenton beim Pawlowschen Hund ausgelöst werden kann. Solche Arten von erlernten Reaktionen erfordern ein Zusammenspiel verschiedener Hirn- und Rückenmarkszentren.

Beim Säugling gibt es zwei Arten von Reflexen, die wir kennen sollten: die Neugeborenen-Reflexe, die leider manchmal noch Primitiv-Reflexe genannt werden, und die reflexähnlichen Säuglings-Reaktionen.

Als Neugeborenen-Reflexe werden angeborene Reflexbewegungen bezeichnet, an denen mehrere Muskelgruppen beteiligt sind und die nach vier bis acht Wochen spontan abklingen. Dazu gehören u. a. der Saugreflex, der Suchreflex, der Schreitreflex, der Fußgreif- und der Handgreifreflex. Nur eine schwache Form des Fußgreifreflexes kann manchmal noch über einige Monate ausgelöst werden. Die Neugeborenen-Reflexe statten den kleinen Säugling mit nützlichen Bewegungsschablonen aus, die überlebenswichtig sind: Der Suchreflex wird bei Berührung der Wange ausgelöst und führt zu einer Bewegung des Köpfchens zur Seite und zu einer Öffnung des Mundes. Er erleichtert das Auffinden der mütterlichen Brustwarze. Der Saugreflex tritt sofort ein, wenn die Lippen berührt werden. Der Saugreflex wird schon im Mutterleib genutzt: Das ungeborene Kind lutscht manchmal stark an seinem Daumen. Bekommt der Säugling Milch, wird gleichzeitig der Schluckreflex ausgelöst. Auch der Schluckreflex wird schon vor der Geburt im Ultraschallbild beobachtet: Das Kind schluckt Fruchtwasser.

Die Säuglingsreaktionen sind Haltungs- und Stellreaktionen. Ihre komplexen Muster erfüllen eigentlich nicht mehr die Charakteristika von Reflexen, da der Ausprägungsgrad je nach Alter und Reifung des Kindes unterschiedlich sein kann und auch vom Wachheitsgrad und von emotionalen Faktoren abhängt. Zu den Säuglingsreaktionen zählen die »Landau-Reaktion« (Kind wird auf der Hand aus der Bauchlage hochgehoben), die Unterstützungsreaktion (Kind wird senkrecht unter den Armen gehalten und auf eine Unterlage gestellt) und die Traktionsreaktion (Kind wird aus der Rückenlage langsam an den Händen hochgezogen).

2.4       Zusammenfassung: Das motorische System

1.  Pyramidales System: direkte Verbindung der Pyramidenzellen der motorischen Rinde mit Neuronen im Rückenmark

2.  Extrapyramidales System: supplementär-motorischer Kortex, motorischer Kortex, Basalganglien

3.  Kleinhirn: Verbindung zum assoziativen und zum motorischen Kortex und zur Muskulatur

4.  Spinales System: Rückkopplungsschleife zwischen Muskeln und Rückenmark

Reflexe sind unbewusst ablaufende, vorprogrammierte Bewegungsmuster. Der Muskeleigenreflex verschaltet auf dem kürzesten Weg über das Rückenmark einen Dehnungsreiz mit einem motorischen spinalen Neuron. Reflexe und komplexe reflexartige Reaktionen ergänzen die Willkürmotorik mit automatisierten Bewegungsmustern. Die angeborenen Neugeborenen-Reflexe klingen in den ersten Lebenswochen und -monaten spontan ab. Säuglingsreaktionen und konditionierte Reflexe sind komplexe Bewegungsabläufe, die von Vigilanz, Emotion und bewussten und erlernten Mustern modifiziert werden.

Weiterführende Literatur

Brühlmann-Jecklin, E. (2016). Arbeitsbuch Anatomie und Physiologie. München: Urban & Fischer/Elsevier.

Putz, R. & Pabst, R. (2007). Sobotta – Der komplette Atlas der Anatomie des Menschen in einem Band. München: Urban & Fischer/Elsevier.

Vaupel, P. & Schaible, H.-G. (2015). Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.

3          Die Entwicklung der Körpermotorik

3.1       Motorische Entwicklung im 1. Lebensjahr

Die motorische Entwicklung von Kindern weist eine hohe Variabilität auf, nicht nur inter-, sondern auch intraindividuell. In erster Linie hängt dies wohl von unterschiedlichen, genetisch bedingten Veranlagungen und unterschiedlicher Reifung der Kinder ab. Bei vielen Kindern verläuft die motorische Entwicklung diskontinuierlich: Sie ist oft von scheinbaren Pausen, von Schüben oder Sprüngen gekennzeichnet. Die Reifung der Nervenbahnen verläuft von zentral nach peripher. Das erklärt, warum rumpf- und kopfnahe Muskelgruppen frühzeitiger zu komplexen Bewegungsmustern in der Lage sind als periphere. Dieses Reifungsphänomen wird uns später bei der Entwicklung der Handmotorik noch einmal begegnen. Zudem spielen Umgebungsbedingungen, fördernde wie hemmende, eine große Rolle. So ist das »Auslassen« oder »Verspätet-Kommen« von motorischen Entwicklungsschritten möglicherweise eine Entwicklungsbesonderheit oder ein Anzeichen für eine Entwicklungsstörung. Eine Klärung kann durch eine detaillierte Verlaufsbeobachtung und eine fachärztliche Untersuchung herbeigeführt werden. Aus diesen Gründen sind die nachfolgenden Altersangaben nicht als eine starre Grenze zu betrachten. Vielmehr sollen die Zeitangaben eine Orientierung geben.

Die Entwicklung der Motorik läuft also keineswegs für alle Kinder nach einem einzigen »Fahrplan« ab. Etwa 10–15 % aller Kinder lassen gewisse Stadien der Entwicklung aus, holen sie später nach, oder diese Stadien erfolgen nicht in gleicher Reihenfolge. Es gibt durchaus Kinder, die zum Stehen und Gehen kommen, ohne vorher gerobbt oder gekrabbelt zu haben. Einige ziehen es vor, auf dem Hosenboden vorwärts zu rutschen (shuffling), andere bewegen sich durch Rollen oder Kreisrutschen vorwärts. Möglicherweise zeigen sich hier verschiedene Ausprägungen einer genetischen Veranlagung. Diese Kinder sollten kinderärztlich gut untersucht werden, aber keineswegs brauchen sie immer eine physiotherapeutische Behandlung oder stellen eine Risikogruppe für spätere Störungen der Lernfähigkeit dar.

Hinzu kommt, dass manche Kinder ängstlich oder vorsichtig sind, wenn sie das Hinstellen oder Laufen lernen. Sie setzen sich lieber langsam auf den Po, als einen Sturz zu riskieren. Andere sind besonders mutig und stürzen sich geradewegs in gefährliche Situationen. Schließlich gibt es auch jene Kinder, die sich lieber für Spiele oder Bilderbücher interessieren, als ihre motorischen Fähigkeiten zu üben. Unterschiede also, die es auch bei Erwachsenen gibt und die nicht unbedingt Anlass zu Sorge sein müssen. Die individuellen Unterschiede in der motorischen Entwicklung werden durch die interindividuelle Variabilität deutlich: So erlernen Kinder das Hinsetzen mit 9–14 Monaten, das Entlanggehen an Möbeln mit 8–14 Monaten und das freie Gehen mit 10–18 Monaten.

Den folgenden Altersangaben liegt das Konzept der Grenzsteine und Meilensteine (Michaelis und Niemann, 2010; Nennstiel-Ratzel, Lüders, Arenz, Wildner & Michaelis, 2013) zugrunde. Beim Konzept der »Grenzsteine« wird davon ausgegangen, dass die Entwicklung aller Kinder regelhaft und determiniert verläuft und Zeitpunkte definiert werden können, an denen 90–95 % aller Kinder einen bestimmten Entwicklungsschritt sicher erreicht haben. Bei Nicht-Erreichen eines »Grenzstein«-Entwicklungsschrittes besteht der Verdacht auf eine Entwicklungsstörung, und weitergehende Untersuchungen müssen veranlasst werden. Das Konzept der »Meilensteine« definiert hingegen eine normale Entwicklung. Es hat den Vorteil, dass sich darin die Variabilität der Entwicklung abbildet. Meilensteine sind aber nicht geeignet, um Bewegungsstörungen zu definieren. Die folgenden Zeitangaben für eine »normale« motorische Entwicklung sind also als »Meilensteine« zu verstehen.

Vor der Geburt: Mit Ultraschalluntersuchungen des menschlichen Fötus kann man Kindsbewegungen ab der 8. Schwangerschaftswoche (SSW) erkennen. Die Bewegungsmuster werden in den folgenden Wochen immer differenzierter. Ab der 10. SSW kann man darstellen, wie das Kind einen Arm oder ein Bein bewegt oder den Kopf dreht. Hand zum Gesicht bringen, Atembewegungen, sich strecken, Mund öffnen, Kopf vorbeugen und Gähnen kann ab der 11. SSW gesehen werden.

Von dort aus ist es bereits ein langer Weg bis zum Neugeborenen, das neben symmetrischen Bewegungen bereits differenzierte Bewegungsmuster einzelner Extremitäten zeigt. Das Neugeborene strampelt oft symmetrisch, teils aber auch wechselseitig (alternierend). Die Haltung wird von Neugeborenen-Reflexen mitbestimmt. Abbildung 3.1 zeigt die typische Fechterhaltung des asymmetrisch-tonischen Nackenreflex (ATNR): In Rückenlage werden die gesichtsseitigen Extremitäten bei passiver Drehung des Kopfes gestreckt. Dieser Reflex klingt spontan bis zum 6. Lebensmonat ab.

Abb. 3.1: Haltung des Neugeborenen in Rückenlage

Im dritten Monat wird der Kopf im gehaltenen Sitzen schon eine halbe Minute lang aufrecht gehalten. In der Bauchlage stützt sich der Säugling auf beiden Unterarmen ab, hebt den Kopf über 45° und hält ihn eine Minute lang hoch (Unterarmstütz;  Abb. 3.2). Die meisten Neugeborenen-Reflexe sind zu dieser Zeit schon abgeklungen.

Im vierten Monat wird in Bauchlage der sichere Stütz auf den Handwurzeln erreicht (Handwurzelstütz;  Abb. 3.3). Beim Hochziehen aus der Rückenlage wird der Kopf etwas angehoben, und die Beine werden gebeugt.

Abb. 3.2: Haltung des Säuglings in Bauchlage: Unterarmstütz

Abb. 3.3: Haltung des Säuglings in Bauchlage: Handwurzelstütz

Im sechsten Monat streckt das Kind die Beine, wenn es zum Stand hochgehoben wird, und übernimmt für wenige Sekunden das Körpergewicht. In Sitzhaltung ist die Kopfkontrolle schon so stabil, dass der Kopf auch bei einer Neigung des Rumpfes gehalten werden kann. In Bauchlage kann der Rumpf auch auf gestreckten Armen und offenen Händen abgestützt werden.

Am Ende des siebten Monats können fast alle Kinder von der Bauchlage in eine Seitenlage wechseln und über einige Sekunden einen Arm frei von der Unterlage halten ( Abb. 3.4