Mozartkugeln auf Umwegen - Günter Nehring - E-Book

Mozartkugeln auf Umwegen E-Book

Günter Nehring

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Beschreibung

Heinz und Gabi leben in glücklicher Ehe in Heidelberg und arbeiten gemeinsam im vom Vater geerbten Schokoladenladen. Doch der Vorfall mit Heinz und einer Dame im hellblauen Kostüm trübt diese Idylle im <i>verflixten siebenten Jahr</i> erheblich. Heinz plant eine Reise nach Salzburg, um die Fertigung von Mozartkugeln in seinem Geschäft einzuführen. Eine Flugzeugverwechselung von Heinz führt ungewollt zur Strandung in New York, was bei Gabi den Verdacht auf Untreue weiter verstärkt. Sie rächt sich ihrerseits mit, aus ihrer Sicht berechtigten, Abenteuern in Heidelberg. Nach zahlreichen Irrungen und Wirrungen auf weiteren Wegen von Heinz und Gabi, kommt das Ehepaar zur formalen Versöhnung in Heidelberg wieder zusammen. Sie planen die Reise nach Salzburg gemeinsam nachzuholen. Heinz muss aus dringenden Gründen früher anreisen und erwartet am Folgetag Gabi am Flughafen. Aber sie kommt dort nicht an. Was war geschehen?

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Nachdruck oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Verlages gestattet. Verwendung oder Verbreitung durch unautorisierte Dritte in allen gedruckten, audiovisuellen und akustischen Medien ist untersagt. Die Textrechte verbleiben beim Autor, dessen Einverständnis zur Veröffentlichung hier vorliegt. Für Satz- und Druckfehler keine Haftung. 

Impressum 

Günter Nehring, »Mozartkugeln auf Umwegen« 

www.edition-winterwork  

© 2021 edition-winterwork  

Alle Rechte vorbehalten 

Satz: edition winterwork 

Druck/E-BOOK: edition winterwork Borsdorf 

Mozartkugeln auf Umwegen 

Hauptpersonen  

Heinz Kurfirst Chocolatier, Heidelberg  

Gabi Kurfirst seine Frau 

E. Koblenzer Kundin, Heidelberg 

Kay Wendling Philosophiestudent 

Karin Ammer Journalistin, Heidelberg 

Rita Ganther Reisegefährtin, USA 

Harry Bauman Polizist, New York 

Horst SchneiderFa. Godiva, New York 

Billy Goldmann Chocolatier, New York 

Carl Feigenbaum Rentner, New York 

August Waldemar Fa. Fürst, Salzburg 

Der Verdacht 

Gabi erwachte heute sehr früh, denn ihr Mann Heinz wollte unbedingt pünktlich auf dem Flughafen Frankfurt sein. Und von Heidelberg aus musste man immer, ob bei Tag oder Nacht, mit Stau rechnen. Sie wollte Heinz bis zum endgültigen Abflug begleiten, denn eine innere Unruhe trieb sie dazu, ihren Mann möglichst nicht aus den Augen zu lassen. 

 

Und was war der Grund?  

Heinz und Gabi betrieben gemeinsam einen von Heinz´s Vater geerbten Schokoladenladen in der Heidelberger Innenstadt. Ihr Verhältnis zu einander war bisher von anfangs total verliebt bis jetzt in einen mehr geschäftsmäßigenZustand abgekühlt. Und nun, im verflixten siebenten Jahr ihrer Ehe, hatte sich ein Verdacht ergeben, der sie fortan nicht mehr losließ.  

Sie kam vor einiger Zeit früher als geplant nach Hause, in die gerade fertig gebaute Villa am Hang der Thingstätte-Heidelberg. Sie lag in der Ludolf-Krehl-Straße mit dem herrlich weiten Blick in die Rheinebene. Ein Traum ging damals bei der Einweihung in Erfüllung, auch wenn das Glück eines Kindersegens zu ihrem Leidwesen noch ausgeblieben war.  

Sie hatte gerade die Eingangshalle betreten, als sie auf dem Sofa im Wohnzimmer eine junge Dame erblickte, die sich bei Gabis Eintreffen sofort in Habachtstellung begab und verdächtig versuchte ihr himmelblaues Kostüm zu glätten. War sie ertappt worden oder war alles möglicherweise nur harmlos? Unübersehbar verlegen, behauptete Heinz sofort, dass es sich, nach korrekter Vorstellung der Dame, um eine Journalistin handele, die eine Zeitschrift: Der Schokoladenmacher herausgegeben hatte und diese weiter vertreiben wollte. Nur war von einem derartigen Journal auf dem Couchtisch nichts zu sehen. Und warum musste dieses angebliche Geschäft in ihrer Wohnung und nicht im gemeinsam geführten Schokoladenladen abgewickelt werden? ,fragte sich Gabi innerlich aufgewühlt. Sie stand sprachlos zwischen Heinz und der Dame. Nicht einmal zu einer, aus ihrer Sicht berechtigten, Gardinenpredigtwar sie imstande. Die angehende Journalistin benutzte die Gelegenheit des eingetretenen Gesprächsvakuums, um sich eilig von Heinz zu verabschieden, ohne Gabi eines Blickes zu würdigen. 

„Wir können uns ja später noch einmal zu unseren Geschäftsbeziehungen treffen“, flüsterte sie Heinz ins Ohr. Nahm ihr schickes schwarzes Lederhandtäschchen an sich, winkte ihm verstohlen noch einmal zu und schlängelte sich an Gabi, aufreizend mit den Hüften schaukelnd, vorbei zur Wohnungstür hinaus. Von der anschließenden lautstarken Auseinandersetzung zwischen Gabi und Heinz konnten später sogar die Nachbarn noch ein Lied singen. 

Und diese Entdeckung lebte in ihr seitdem weiter fort, wie bei dem Genuss der neuesten Schokolade von Ritter Sport, mit dem Namen Kaffeesplitter. Hierbei schmilzt die Kakaomasse wie im Traum dahin, aber die Kaffeesplitter wird man hernach im ganzen Mund so schnell nicht mehr los. 

 

Die Fahrt zum Flughafen, zu der Heinz das Steuer im Mercedes wie üblich übernahm, verlief zwischen dem Ehepaar außerordentlich eisig. Worte wurden nur für allgemeine Belanglosigkeiten gewechselt. So zum Beispiel der Frage nach der Uhrzeit. Natürlich schmollte Gabi immer noch, obwohl der verhasste Vorfall schon einige Wochen zurücklag. Heinz dagegen spielte das Unschuldslamm, denn er hatte schon gleich nach dem Abgang der angeblichen Journalistin und der anschließenden lautstarken Szene, den Fall heruntergespielt, aber offenbar ohne Erfolg. 

„Weshalb machst Du überhaupt diese komische Reise nach Salzburg?“ ,wagte sich Gabi auf halbem Weg zum Flughafen aus der Deckung. „Das hast du mir bisher jedenfalls gekonnt verschwiegen.“ 

„Was soll die Fragerei?“ konterte Heinz ungehalten. „Du weißt schon lange, dass ich zur Belebung unseres Geschäftes die Herstellung von Mozartkugeln plane. Da es hier um Urheberrechte geht, und die „Original Salzburger Mozartkugeln“ nur durch die Konditorei „Fürst“ in Salzburg hergestellt werden dürfen, suche ich für unseren Betrieb eine Umgehung dieses Patentes. Und das glaube ich, dort in Salzburg ergründen zu können. – zufrieden ein für allemal?“, schob er noch unwirsch nach. 

„Ich dachte nur …“, wollte Gabi noch etwas ergänzen. Aber sie verkniff sich auf dieser ohnehin schon anstrengenden Autofahrt ein weiteres Verhör. 

„Ja was?“ – Pause –, „sag schon, traust du mir etwa nicht?“, brachte es Heinz aus seiner Sicht auf den Punkt, „typisch Frau“, nörgelte er weiter.  

„Ich hab halt so meine Gedanken, und die treiben mich immer noch um – das musst Du mir einfach glauben, das mit der Dame im hellblauen Kostüm.“ 

„Alles Hirngespinste und unnötige Eifersüchteleien. Damit hast Du unserer Ehe den Knacks gegeben, und nicht ich. Jetzt hör endlich auf, Dich darüber zu plagen, da war absolut nichts dran. Punkt und Schluss, ich rede darüber nicht mehr.“ Der Rest der Fahrt, in ihrem alten Daimler der S-Klasse zum Flughafen Frankfurt, verlief bei eisigem Schweigen.  

Während der Einfahrt zur Tiefgarage erhielt Gabi von Heinz noch eine sicher gut gemeinte Mahnung: „Merke Dir die Ebene B und dann die Parkplatznummer, sonst irrst Du vor Deiner Rückfahrt stundenlag vergeblich durch die Hallen.“ 

Und dann wieder Schweigen. Heinz war beleidigt, weil er von Gabi (angeblich?) zu Unrecht verdächtigt wurde, ein Verhältnis zu einer jungen Dame zu haben. Und Gabi war sauer auf Heinz, weil er angeblich eben diesers Verhältnis hinter ihrem Rücken auskostete. 

Nach außen hin wahrten sie die Fassade eines ganz normalen Ehepaares. Gabi hakte sich sogar ganz zaghaft bei Heinz unter, und dieser ließ es mit sich geschehen. Aber erledigt war der Fall offensichtlich für keinen von beiden, denn eine weitere Aussprache auf dem Flughafen riskierte Gabi und auch Heinz nicht. 

Alle Formalitäten und der Check am Abfertigungsschalter der Lufthansa verliefen reibungslos, und sein Handgepäck für die geplanten zwei Tage seiner Reise konnte er in die Kabine mitnehmen. Danach stand für die beiden nur noch die Verabschiedung für einige Tage an, ehe es für Heinz durch die Abschrankung zur Sicherheitsprüfung ging. 

Er fasste Gabis Hände und küsste sanft ihre Stirn. Eine innigliche Umarmung und ein herzhafter Kuss auf ihre Lippen oder Wange hätte sich Gabi schon gewünscht, aber diesen Schmerz wollte sie für sich behalten. Ihr empfundener Verdacht war jedenfalls noch nicht beseitigt.  

„Noch ein Wort“, begann Heinz dann doch noch einen Dialog, „ich bin in zirka zwei bis drei Tagen wieder zurück, je nachdem, wie meine Gespräche in Salzburg verlaufen. Ich werde dort von einem Mitarbeiter der Firma Fürst abgeholt und der hat auch unsere Telefonnummer in Heidelberg, man kann ja nie wissen. Ich werde Dich auf jeden Fall anrufen, wenn ich in Salzburg angekommen bin – und würdest Du mich wieder hier abholen, wenn ich Dir den Rückflug durchgebe? Und nur, dass Du es wissen sollst, ich liebe Dich immer, und an der Sache, die Du meinst, ist absolut nichts dran. Und nun auf Wiedersehen, ich muss mich beeilen.“ 

„Auch Dir ein Wiedersehen, ich hole Dich auf alle Fälle hier wieder ab und werde jetzt noch auf die Zuschauerterrasse gehen. Vielleicht sehe ich Dein Flugzeug und kann Dir noch einmal zuwinken. Viel Erfolg, und ich liebe Dich auch, sehr sogar, das kannst Du mir glauben.“ 

Jetzt nahm Heinz seine Frau doch noch einmal in seine Arme und küsste sie inniglich auf ihren Mund, bevor er im Getümmel der Menschentrauben hinter der Sicherheitsabfertigung verschwand.  

 

Gabi huschte, so schnell sie konnte, durch die Gänge und über die endlos scheinende Menge von Treppen auf die Zuschauerterrasse, um einen letzten Blick zur Gangway mit Heinz zu erhaschen. War es nicht doch noch eine ganz kleine Versöhnung gewesen, die ihr gut tat? 

Oben angekommen, blieb ihr buchstäblich die Spucke weg. Keine zwanzig Meter rechts neben ihr an der Brüstung stehend entdeckte sie diese widerliche Dame im hellblauen Kostüm. Durch ihre Sonnenbrille schien sie schon Ausschau zu halten, aber nach wem? War wieder Heinz das Opfer, der doch alle weiteren Verbindungen abstritt? Gabi war aufs äußerste angespannt und schlich sich sicherheitshalber, um nicht erkannt zu werden, in der Gegenrichtung nochmals zwanzig Meter weiter hinter eine Säule. Von hier aus konnte sie, zwar innerlich kochend, das weitere Geschehen fast unerkannt verfolgen. Am liebsten hätte sie auf der Stelle dieses Weibsbild über das Geländer schupsen wollen. 

 

Auf dem Vorfeld direkt in der Nähe der Zuschauerterrasse parkten zwei Flugzeuge, eines etwas größer als das andere, aber beide von der gleichen Fluggesellschaft, der Lufthansa. Eines davon musste das für Heinz sein, denn der Abflugtermin passte zu den beiden Bussen, die jetzt auftauchten und sich zwischen die Jets positionierten. Eine endlos scheinende Zahl von Fluggästen ergoss sich aus den Bussen und strömte zielstrebig zur Gangway des einen beziehungsweise anderen Flugzeugs. 

Gabi strengte ihre Augen fast Hilfe suchend an, um doch noch ein Zeichen von Heinz vor dem Abflug, ein Winken, oder vielleicht sogar einen per Hand geworfenen Kuss zu entdecken. Und tatsächlich, Auf der Treppe des etwas größeren Jets erblickte sie ihn. Er winkte herüber in Gabis Richtung und sie winkte begeistert zurück. Doch auch ihre Widersacherin im hellblauen Kostüm winkte fanatisch zurück, schwenkte ihr Taschentuch und wedelte sogar mit ihrem roten Halstuch, als gelte es einen Filmstar zu empfangen oder zu verabschieden. Gabi konnte kaum an sich halten und hätte beinahe auf der Terrasse einen Eklat inszeniert. Aber dann sah sie noch einen anderen Mann auf der Gangway, der auch winkte, aber etwas verstohlen, so als ob er es nicht mit ganzem Herzen wollte. Gabi war jetzt total verwirrt, nahm aber, wie das so in Krisenfällen ist, den ungünstigen Fall an, also das Winken zwischen ihrem Mann und dem hellblauen Kostüm. So hatte sie es doch ihrer Ansicht nach tatsächlich und in Wirklichkeit gesehen. 

Der Form halber – und weil sich das nun einmal zwischen Eheleuten so gehört – wartete sie noch den Abflug ab und hatte, als das Flugzeug zum Steigflug ansetzte, dabei gehörig Tränen in den Augen. 

Das hellblaue Kostüm, wie die unangenehme Dame fortan in Gabis Vorstellung hieß, war plötzlich verschwunden. So löste auch sie sich aus ihrem Versteck und machte sich auf den Weg in die Tiefgarage, um ihr Auto für die Heimfahrt nach Heidelberg zu suchen. Natürlich hatte sie die Stellplatznummer vergessen, zum Glück sich aber die Ebene B gemerkt. Dieses Missgeschick kostete sie etwa eine halbe Suchstunde, was ihre schlechte Laune noch verstärkte.  

Immer weiter grübelnd erreichte Gabi ihr Zuhause und verbrachte gelangweilt den Rest des Tages. Sie konnte in der Nacht lange nicht einschlafen und fragte sich vorwurfsvoll: „Warum mussten in diesem verflixten siebenten Ehejahr solche Zweifel entstehen?“  

Sie ließ noch einmal diese Jahre Revue passieren, um eine mögliche Begründung für diese Krise zu finden: 

Ihre Gedanken gingen zurück zum ersten Kennenlernen mit Heinz. Sie erinnerte sich an ihre erste große Liebe, das erste Du, den ersten Kuß. Heinz war der große Traum, als sie sich auf dem Uniball in Heidelberg kennenlernten, einfach unwiderstehlich.  

Er war ein fescher junger Mann, dem auch mal die Mädchen – später auch die Frauen – lange hinterherschauten. Sein Benehmen befand sich auf hohem Niveau. Seine Kunden im Schokoladenladen – allerdings besonders die weiblichen – beriet er außerordentlich höflich, stets lächelnd und vertrauenserweckend in seinen Fachgesprächen. Auch Gabi gegenüber verhielt er sich, zumindest bis zum Auftauchen des hellblauen Kosüms, stets zuvorkommend.  

So war auch Gabi gewaltig angetan von ihrer ersten echten Liebe. Es war auch seine erste große Liebe. Darüber hinaus zeigte er sich überaus ehrgeizig, aber leider nicht immer so gefühlsstark wie Gabi. Als sie sich kennen lernten, hatte er gerade nach einer Konditorlehre das Examen zurChocolaterie in Belgien bestanden und stand kurz vor der Übergabe des Schokoladenladens seines Vaters an ihn. Gabi saß damals in den letzten Prüfungen zur Betriebswirtschaftslehre. 

Schon ein Jahr danach heirateten sie und verteilten die Rollen im Geschäft. Heinz war der Produktionschef, auch zuständig für Einkauf und Marketing, und Gabi als Finanzverwalter und gelegentliche Verkäuferin tätig. Also, richtig eingespielte Geschäftspartner. 

Merkwürdig kamen ihr damals schon die Hochzeitsmodalitäten vor, an die sie sich in ihrer Grübelei erinnerte. Heinz bestand auf einer standesamtlichen Trauung, also ohne Kirche und Hochzeitskutsche, wie es im Geheimen Gabi vorschwebte. Seine Begründung: „Der Standesbeamte fragt lediglich: Wollen Sie mit Frau … die Ehe eingehen, dann antworten Sie bitte mit Ja. Anders bei der kirchlichen Trauung, nämlich: … bis dass der Tod Euch scheide. Darin lag offenbar für Heinz ein zu großes Risiko einer Sünde bei einer möglichen Trennung vor dem Tod. Aber in der damals empfundenen tiefen Liebe spielte dieser Akt für Gabi natürlich keine große Rolle. 

 

Und plötzlich riss das Klingeln des Telefons Gabi abrupt aus ihren Gedanken. Sie ergriff voller Spannung  

das schnurlose Teil und erwartete doch so sehnsüchtig die Stimme ihres Mannes.  

„Guten Abend, hier spricht August Waldemar von der Firma Fürst. Sie wissen schon, die mit den Original Salzburger Mozartkugeln. Entschuldigen Sie die Störung zu so später Stunde, aber Ihr Mann ist nicht wie verabredet mit der Lufthansa-Maschine hier in Salzburg angekommen. Wissen Sie darüber mehr? Ich bin schon etwas beunruhigt.“ 

„Oh Gott“, entfuhr es Gabi erschrocken, „ich habe keine Ahnung, Ich habe ihn doch in Frankfurt verabschiedet und noch auf der Gangway winken sehen. Was kann denn da um alles in der Welt passiert sein?“ 

„Es wird sich sicher alles aufklären, vielleicht kommt er mit dem nächsten Flugzeug, aber das dauert noch ein paar Stunden. Wenn ich etwas höre, melde ich mich gleich bei Ihnen. Und ich bitt Sie, mich auch schnellstmöglich zu informieren, unter der Nummer: +43-5743- 6609. Ich drück Ihnen die Daumen und Grüß Gott derweil.“ 

Der Abend und die folgende Nacht waren für Gabi sicherlich einer der schlimmsten Abschnitte ihres bisherigen Lebens, besonders durch die quälende Ungewissheit. Spät schlief sie ein, und erst nachdem noch einige Tränen auf ihren Wangen einen Weg zu Tal gefunden hatten. 

Neben der Angst um den Verbleib von Heinz hatte der Verdacht auf Untreue leider wieder neue Nahrung bekommen. 

Der Fehlflug 

Heinz musste sich beeilen durch die Sicherheitskontrollen zu kommen, sein Abflug nach Salzburg wurde schon aufgerufen. Die Verabschiedung von Gabi war kurz und schmerzlos. Das wusste er, aber mehr wollte er ihr nicht zugestehen. Warum verdächtigte sie mich wegen einer solchen Lappalie? In meinem Geschäftsumfeld wird es immer wieder Begegnungen mit den heutigen Frauen geben, die sind schließlich auch nicht auf den Kopf gefallen, dachte er. 

Der Sicherheitscheck verlief reibungslos, er hatte auch nur ein kleines Köfferchen mit den allernötigsten Utensilien für seine geplante Zweitagesreise. Dieses durfte dann auch als Handgepäck passieren. Nicht vergessen hatte er eine Blechbüchse mit eigenhändig erstellten Mozartkugeln nach dem international bekannten Rezept. Ihm kam es in Salzburg jetzt nur noch darauf an, wie sie verpackt werden mussten und welches Design dafür gegenüber dem Urheberrecht statthaft war. Diese Blechbüchse machte die Kontrolleure im Röntgenbild allerdings stutzig, und er musste jede einzelne Kugel durchleuchten lassen, was natürlich den nachfolgenden Passagieren Anlass für Unmutsäußerungen war.  

Eilends packte er hernach seine Kugeln zusammen und eilte schnellen Schrittes zu seinem Abfluggate. Hier erwartete man ihn schon, er war der letzte in der abzuhakenden Passagierliste. Trotzdem blieb das weibliche Abfertigungspersonal freundlich und setzte ihr einstudiertes maskenhaftes Lächeln auf. „Wir hatten Sie schon ausgerufen. Noch einmal Glück gehabt, sonst hätten Sie die Strecke laufen müssen“, versuchte unter Kichern eine Angestellte Heinz mit dem Witz bei guter Laune zu halten. Diese lustige Aussage im Falle eines gestressten Passagiers, meinte sie, wäre ihr schon bei ihrer Einstellung eingebläut worden. 

Heinz beeilte sich den Anschluss zu seinen Mitpassagieren zu bekommen und bestieg den vorderen der beiden bereitstehenden Busse, die schon gut gefüllt waren. Man fuhr zu zwei Flugzeugen mit dem Lufthansa-Emblem, die auf dem Vorfeld standen, ganz in der Nähe der Besucherterrasse. Die Passagiere – meist der männlichen Sorte angehörend – strömten zielgerichtet zu den beiden Jets. Heinz entschied sich kurzerhand für den rechten, denn er glaubte einen Passagier aus seinem Warte-Gate wiederzuerkennen. Auf der Gangway winkte er noch einmal zurück zur Zuschauerterrasse, wo er Gabi erkannte , die ihm zuwinkte. 

 

„Guten Tag“, wurde Heinz, wie alle übrigen Passagiere, schon am Einstieg des Jets, von einer gekünstelt lächelnden Stewardess begrüßt, „wir wünschen einen angenehmen Flug.“ Das war es auch schon, und jeder musste sich ohne Bordkartenkontrolle seinen Sitzplatz selbst suchen. Heinz hatte Reihe 28, F, das war der Fensterplatz. Er verstaute seinen kleinen Koffer gewissenhaft in der Ablage – aber auf seinem Platz saß bereits eine sehr jugendlich aussehende Dame mit blondem Haar und einer weit fallenden roten Bluse. 

„Hoppla“, entfuhr es Heinz ohne zu zögern, „sitzen Sie vielleicht falsch? Ich habe jedenfalls den Fensterplatz.“ 

„Tut mir leid“, entgegnete die eingeschüchterte Weiblichkeit, und entschuldigte sich sofort, ohne auf ihre eigene Bordkarte zu schauen, „Entschuldigung, dann habe ich mich sicher vertan. Ich dachte, … weil doch die ganze Reihe noch frei war. Und übrigens glaube ich, auch den Fensterplatz gebucht zu haben. Na, wie auch immer.“  

„Kein Problem“, sagte Heinz, der es sich nicht mit der Dame verderben wollte, „ selbstverständlich können Sie auf den Fensterplatz gehen. Ich reise als Geschäftsmann ohnehin dauernd in der Welt herum, also bitte.“  

„Nein, danke, ich fühle mich auf der anderen Seite neben Ihnen sicher genauso wohl, hoffe ich wenigstens.“ 

Heinz nahm das Kompliment gerne auf – sicher hätte Gabi wieder einen Teil seiner Untreue gewittert – nahm seinen Platz am Fenster ein, schloss den Sicherheitsgurt und begann spontan im Lufthansa-Magazin zu blättern. Er war mit dem Platz für diese voraussichtlich kurze Reise außerordentlich zufrieden. 

Dann folgten die üblichen Sicherheitsdurchsagen durch das Kabinenpersonal mit demonstrierten Beispielen für die Passagiere. Auch der Hinweis zur Benutzung der Schwimmwesten unter den Sitzen durfte nicht fehlen. Nun ja, dachte Heinz, natürlich können wir in den Achensee zu Österreich fallen, was soll es, von mir aus.  

Nach der Begrüßung durch den Kapitän, und dem Anlassen der Motoren, rollte der Jet langsam, dann immer schneller, zu seiner Startposition am Rollfeld. Noch ein dynamisches Aufheulen der Motoren, und ab ging die Post gen Himmel, immer höher bis auf annähernd zehntausend Meter. Als alles wieder in der Waage war und die Motoren nur noch leise vor sich hin summten, lehnte sich Heinz weit zurück in dem bequemen Sitz, schloss die Augen und überdachte noch einmal den Grund seiner Reise nach Salzburg. 

 

Wenn mir da nicht dauernd dieser unbegründete Verdacht von Gabi durch den Kopf gehen würde, so eine unnötige Belastung unserer Ehe, einfach lächerlich, dachte Heinz, ich bin doch auch nicht eifersüchtig, wenn ein männliches Wesen in unseren Laden kommt und verschmitzt lächelnd nach was Süßem verlangt und insgeheim Gabi meint. Und die dazu noch zurücklächelt, natürlich nur verkaufstechnisch, wie sie immer meint.  

Ja, die Mozartkugeln, die hatten es ihm angetan, auch wenn Gabi als seine Partnerin am Anfang keine eindeutige Meinung zu dem neuen Geschäftszweig ihres Schokoladenladens geäußert hatte. Heinz wollte unbedingt einen Renner in diese vom Vater geerbte, und wie er meinte, verstaubte Geschäftsphilosophie einbringen. Auch wenn der Schokoladenladen schon wegen der vielen Touristen momentan ausgezeichnet lief. Aber ein neuer Verkaufsschlager täte auch für die Zukunft gut, war seine nunmehr gefestigte Meinung. 

Was brauchte er für seinen Plan? Das Rezept zu den Mozartkugeln war kein Geheimnis mehr. Es erforderte Pistazien, Marzipan, Nougat und dunkle Schokolade. 

Ein Paul Fürst hatte 1890 eine vollkommen runde Praline entwickelt, die ausschließlich in Salzburg gefertigt und noch heute nur in seinen eigenen Geschäften verkauft werden sollte. Die Verpackung war durchweg blausilber. 

Da Fürst kein Patent angemeldet hatte, stürzte sich die Konkurrenz auf dieses Produkt, worauf Fürsts Nachfahren allerdings erst 1996 ihre Anwälte einschalteten.  

Ergebnis des Rechtsstreites: nur auf den Kugeln der Firma Fürst-Konditorei durfte Original Salzburger Mozartkugeln draufstehen. Alle anderen Hersteller mussten ihre Kennzeichnung als Echte Salzburger Mozartkugeln, oder mit Firmennamen, zum Beispiel Echte Reber Mozartkugeln ausführen. 

Für Heinz war dieses Namensrecht eigentlich klar. Seine Kugeln durften deshalb Echte Heidelberger Mozartkugeln heißen. Ein toller Hingucker, auch für Touristen jeder Art, und eine hervorragende Werbung für die Stadt Heidelberg. Auch besonders für die amerikanische Kundschaft, für die Heidelberg eh der Mittelpunkt von Europa war und Salzburg irgendwo in der Pampa lag. 

Aber extrem wichtig war für Heinz der Herstellungsprozess – und den erhoffte er sich beim Besuch der Konditorei Fürst in Salzburg abgucken zu können.  

Während die Konkurrenz nämlich die Schokolade einfach über die unten abgeplattete Kugel goss, behielt Fürst die total runde Kugel durch Aufspießen auf einen Holzstecken bis zum Erkalten bei. Natürlich sollte überall auf der Verpackung der Mozartkopf zu sehen sein. 

 

Nach dieser Besinnung auf den eigentlichen Grund der Reise versuchte er, ebenso wie seine Nachbarin, in einen Dämmerungszustand zu verfallen. Das gleichmäßige Summen der Flugzeugmotoren half ihm dabei. Ein letzter interessierter Blick aus dem Fenster sollte ihm noch die Gewissheit bringen, dass er mit Recht um diesen Platz gerungen hatte. 

Dabei zeigte sich ein Nebelschleier über einer Wasserfläche – sicher der Bodensee, dachte Heinz, aber fliegt man denn überhaupt in Richtung nach Salzburg darüber? Egal, die Seeränder konnte er eh nicht in dem Dunst erkennen. Er lehnte sich zurück und überließ seinem Hirn das Träumen. 

Die junge Dame nebenan schien schon zu schlafen. Ihr Kopf taumelte langsam aber einigermaßen regelmäßig von einer Seite der Kopfstütze zur anderen, bis, ja bis er schließlich auf der Schulter von Heinz zur Ruhe kam und im weiteren Verlauf des Schlafes sogar genüsslich zu kuscheln begann. 

Mein Gott, wenn mich jetzt Gabi so sehen würde, die Scheidung wäre nicht mehr zu vermeiden, dachte Heinz.  

Nach einem etwa halbstündigen Schlaf blieb Heinz weiter starr liegen, um die junge Dame nicht unnötig früh zu wecken. Doch nach einem kurzzeitigem Absacken des Flugzeuges bewegte sie sich, brachte sich mit einem Ruck in die aufrechte Position und stammelte sofort ihre Entschuldigung: „Das tut mir aber wirklich leid, wie konnte mir das nur passieren?“ – und, wie zur Abmilderung des von Heinz zu erwartenden Urteils fragte sie: „Sind Sie verheiratet? Wenn nicht, dann wäre es ja halb so schlimm – oder?“ 

„Ja“, sagte Heinz mit einem gnädigen Lächeln, das die Dame offenbar als Freispruch deutete und mit einem gleichwertigen Lächeln quittierte, „das bin ich. Aber der liebe Gott möge Ihnen verzeihen, und wie ich Ihnen übrigens auch. Hatten Sie angenehme Träume?“ 

„Ich träumte von meiner Reise nach New York und einem jungen Mann, der mich gleich nach meiner Ankunft in die Arme nimmt.“ 

„Interessant, interessant, Träume sind eben Schäume, wie der Volksmund so sagt. Hoffentlich geht dieser irgendwann einmal für Sie in Erfüllung?“ 

„Nun, ich hoffe doch, ich bin jedenfalls guter Dinge“, und plötzlich stellte sie eine ganz andere Frage, „waren Sie denn schon einmal in Amerika?“ 

„Nein, das heißt, irgendwie schon, jedenfalls in Südamerika, genauer gesagt in Sao Paulo, das liegt in Brasilien.“ 

„Und was war der Anlass für solch eine Reise?“ fragte die Dame neugierig nach. 

„Nun, ich habe in Heidelberg ein Schokoladengeschäft mit eigener Produktion. Und dafür brauche ich ständig große Mengen Kakao, die ich aus Brasilien beziehe, dem größten Lieferland der Welt mit etwa dreiundvierzig Prozent.“ 

„Aha, und was machen Sie jetzt in New York, wenn es dort keine Kakaoplantagen gibt? Verkaufen Sie dort vielleicht Ihre Schokolade?“ 

„Nein, ich fliege ja nicht nach New York, ich fliege nach Salzburg, wo ich juristisch meine eigene Fertigung von Mozartkugeln mit der Originalfirma Fürst abstimmen will. Ich habe ein paar dieser Dingerchen bei mir, wollen Sie die mal probieren?“ 

„Sehr nett von Ihnen, das Angebot nehme ich gerne an“, und nach dem Genuss dieser Kostprobe, „ köstlich, da können sich die New Yorker freuen, haben Sie denn genug davon bei sich?“ 

„Nix da New Yorker, ich bin doch auf dem Weg nach Salzburg“, konterte Heinz im vollen Bewusstsein eines Irrtums seitens der Dame. 

„Nun verstehe ich gar nichts mehr. Warum fliegen Sie denn jetzt nach New York, wenn Sie da überhaupt nicht hinwollen? Ist die Reise über diese große Stadt nach Salzburg nicht etwas umständlich, zeitraubend, teuer und auch umweltschädlich?“  

„Noch einmal – ich glaube, Sie können mir nicht richtig folgen. Hier, sehen Sie meine Bordkarte, da steht eindeutig drauf: Lufthansa, Flug nach Salzburg, Reihe 28 F, capito? Also geht es jetzt nach Salzburg, Punkt.“ 

„Na, wenn Sie meinen? Dann fliege ich eben nach New York zu meinem Verlobten. Sehen Sie hier meine Bordkarte, da steht: Lufthansa, Flug nach New York, Reihe 28 F. Das »capito« steht bei mir allerdings nicht mehr drauf. Ich frage Sie trotzdem: Capito?“ 

Heinz schaute konsterniert aus dem Fenster und wurde zusehends blasser. Dort sah er Wasser, Wasser, und nochmals Wasser soweit das Auge reichte. Der Flug dauerte jetzt auch schon über zwei Stunden – man hätte längst in Salzburg sein müssen. 

Was war passiert? Heinz war offenbar wegen der Eile in den falschen Zubringerbus gestiegen, der ihn dann folgerichtig zum falschen Flugzeug gebracht hatte. Und dabei winkte er noch so siegessicher Gabi zu. Leider wurde er dann auch nicht mehr am Eingang des Jets nach seiner Bordkarte und seinem Flugziel gefragt, was generell auch nicht üblich war. Er hätte leicht noch auf den in der Nähe parkenden Flieger nach Salzburg wechseln können. 

„Um Gottes Willen, was mache ich denn jetzt, Aussteigen und auf den Rückflug warten hilft in diesem Fall sicher nicht“, jammerte Heinz, den Tränen nahe, „ meiner Frau hatte ich versprochen, gleich nach der Ankunft in Salzburg eine Bestätigung zu schicken. Verdammt, durch die angeordnete Einstellung des Smartphones auf den Flugmodus kann ich jetzt nicht einmal eine Nachricht schicken. Und mein Bekannter in Salzburg, der mich am Flughafen abholen wollte, wird meine Frau telefonisch informiert haben: „Mann nicht angekommen, offenbar verschollen.“ Grässlich diese Vorstellung. Und ich habe auch nur ein kleines Täschchen für maximal zwei Übernachtungen bei mir. Und nun diese Weltreise. Grausam kann ich da nur sagen.“ 

„Noch ist Polen nicht verloren“, versuchte die Dame Heinz zu trösten. Ich werde Sie in New York mit meinem Verlobten betreuen, bis Sie wieder Ihren richtigen Weg nach Salzburg oder Heidelberg gefunden haben, OK? Sie können übrigens Rita zu mir sagen, und eine Telefonnummer für alle Fälle gebe ich Ihnen dann in New York.“  

„Das ist sehr lieb von Ihnen. Und ich heiße Heinz. Man kann ja nie wissen, was ich noch alles durchmachen muss. Für die Behörden bin ich doch bei einer Überprüfung ein illegal Einreisender mit ungültigem Ticket. Das bringt mir sicher erst mal eine Übernachtung auf Staatskosten bei der Polizei ein.“ 

„Und übrigens“, wollte Rita Heinz noch aufmuntern, „gewinnen Sie wegen der Zeitverschiebung immerhin sechs Stunden und können diese jetzt in New York gemütlich abbummeln. Vielleicht finden Sie dort auch dauerhaft Abnehmer für Ihre Mozartkugeln mit der Aufschrift: Die echte Heidelberger Mozartkugel. Die Amerikaner sind doch immer ganz wild hinter den Dingen aus Heidelberg her, oder?“  

„Eine sehr gute Idee, kann ich Ihnen noch eine Kugel aus meinem Vorrat anbieten?“ 

„Ja, gern, die sind wirklich hervorragend.“  

Heinz wurde danach wieder ganz still und zurückgezogen. Was sollte er nur in New York am besten aus seiner Situation machen? „Am sichersten wäre ein sofortiger Rückflug, denn ein längeres Verweilen würde Gabi nur wieder auf die Idee der Untreue bringen und das gestörte Zusammenleben noch verschlimmern. Aber die Idee von Rita, weitere Geschäftsverbindungen in New York zu knüpfen, wenn man nun schon einmal in solch einer großen Metropole vor Anker geht, ist außerordentlich verführerisch. Das tut auch dem Startup bei der Produktion der Mozartkugeln in Heidelberg gut“, dachte sich Heinz, der schon wieder ganz Geschäftsmann war. 

 

Aus dieser Gedankenwelt wurde er aber unerwartet herausgerissen. Ohne vorherige Erkennungszeichen beugte sich Rita zur Gangseite, riss dabei gerade noch die in der Rückseite ihres Vordersitzes enthaltene Tüte heraus und musste sich darin fürchterlich übergeben. Bleich und verstört wandte sie sich zu Heinz: „Mir ist so schlecht, was ist nur passiert?“ 

Das Kabinenpersonal war sofort zur Stelle und versuchte Rita nach allen Regeln der Kunst zu betreuen, sie gaben feuchte Tücher, räumten die gefüllte Tüte ab und fragten intensiv, ob weitere Hilfe von Nöten sei. Auch nach der Ursache des plötzlichen Unwohlseins wurde geforscht, aber diese blieb zunächst auch nach der eintretenden Besserung des Zustandes von Rita unbekannt. 

Jemand in den Vorderreihen munkelte jedoch: 

„Ja, der Mann neben ihr hat ihr eine Süßigkeit angeboten, wonach es ihr sofort schlecht wurde. Wer weiß, aber ich will nichts gesagt haben.“ 

Die Stewardessen hatten das allerdings aufgeschnappt und wollten daher diesen Vorfall sicherheitshalber dem Bodenpersonal der Lufthansa in New York melden, um eine Nachuntersuchung zu veranlassen.  

Rita hatte noch eine längere Zeit damit zu tun, bis sich ihr Unwohlsein wieder zum Positiven gewendet hatte, sich die Lebensgeister zu regen begannen und sie verträumt fragte: 

„Heinz – bist Du eigentlich verheiratet?“ 

„Ja sicher, wenn auch im Moment damit gestresst – warum fragst Du?“ 

„Ich meine nur so, man kann ja nie wissen“, ließ sie die Hintergründe zur Frage noch offen. 

„Weißt Du, das ist so eine Sache“, offenbarte sich Heinz. „Wir sind sieben Jahre glücklich verheiratet, und plötzlich witterte meine Frau eine Konkurrenz, die es aus meiner Sicht nicht gab. Nur eine harmlose Geschäftsbeziehung zu einem unpassenden Moment. Ganz harmlos, aber schon sprang die Eifersucht in ihren Kopf. Und ausgerechnet, wo ich jetzt dringend nach Salzburg wollte. Was jetzt daraus wird, das kann ich mir gar nicht im Traum vorstellen.“ 

„Da kann ich Dich im Moment nur bedauern. Aber ich habe ja auch so meine Probleme mit der New York-Reise. Ich sagte schon, dass ich dort meinen Verlobten treffen will – na ja, ich denke halt, wir sind verlobt. Wir lernten uns in Frankfurt auf einer Party der Airbase des Frankfurter Militärflughafens kennen. Ein schmucker GY in Uniform mit einer Menge Goldknöpfen und einem Orden, woher auch immer. Er ist Amerikaner und jetzt vom Militärdienst entlassen nach Amerika zurückgekehrt. Weil er keine Arbeit findet, versucht er in New York irgendeinen Job zu erwischen. Er meint, er liebe mich, und wir sollten unbedingt gemeinsam unser Leben zurechtzimmern. Es würde schon klappen. Und nun bin ich hier in der Luft und weiß nicht, ob ich nicht darin hängen bleiben werde“, ließ Rita ihren Gedanken auf einen ungewissen Ausgang ihres Verlöbnisses freien Lauf, „und da dachte ich – na ja, man kann ja nie wissen, wenn Du auch …“ 

„Du bist aber ganz schön kess – doch es ist ein interessanter Aspekt, aber bitte, das bleibt unter uns.“ 

„Keine Frage, das plumpste mir eben nur mal so aus meinem frechen Mundwerk – ich bin ja auch eine gebürtige Berlinerin. Also, verzeih mir bitte, O.K.?“ 

„Abgemacht, Schwamm drüber.“ 

 

Inzwischen kam eine Stewardess mit einer Tasse Tee vorbei, auch um sich nach dem Wohlbefinden ihres Fluggastes Rita, der es doch langsam besser ging, zu erkundigen.  

Der Flug verlief weiterhin ruhig, die meisten Passagiere schliefen den Schlaf der Gerechten, andere klimperten mit Eifer auf ihrem Laptop herum, natürlich im eingeschalteten Flugmodus. 

Heinz ließ im Dämmerschlaf noch einmal den bisherigen Flug Revue passieren. Bis zur Ankunft in New York konnte er zufrieden der Dinge harren, die noch kommen sollten. Brenzlig würde es erst werden, wenn er dort in die Fänge der Zoll- und Polizeibehörden kommt und seine zufällige Einreise begründen muss, ja das ist ein großes Problem. Aber was soll’s, er war ja nicht allein, Rita konnte ihn vielleicht da rausboxen. Und was passiert mit dem Ami von der Airbase? Wird der überhaupt Rita erwarten, oder bereits anderweitig vergeben sein? Alles offene Fragen, die Heinz, und sicher auch Rita, beschäftigten.  

Nach weiteren Stunden veränderte sich das Flugverhalten, wodurch die Passagiere aus ihrem möglichen Schlaf oder ihrer Gedankenwelt herausgerüttelt wurden.  

Der Airbus A319 der Lufthansa neigte bereits seine Nase und begab sich auf dem Leitstrahl in den Anflug auf New York, Kennedy-Airport. Ein leichtes Rütteln der Maschine auf dem Weg durch die Wolkendecke bestätigte den eingeleiteten Landevorgang. Es war schon ein Erlebnis für Heinz, als er feststellte, dass der Abflug in Frankfurt um zwölfuhrfünfzig stattfand und die Ankunft um vierzehnuhrfünfzehn angezeigt wurde. Nun ja, das machte halt die Zeitverschiebung von sechs Stunden aus. 

„Ladies and gentlemen, we start the landing approach to New York, Kennedy-Airport. Please fasten your seatbelt and …“, kam die Durchsage einer Stewardess aus den Lautsprechern. Das Flugzeug sank inzwischen tiefer und tiefer. Heinz litt ziemlich unter dem Druckausgleich und bearbeitete seine schmerzenden Ohren. Rita hatte derartige Schwierigkeiten nicht. Heinz dachte daher: Ein ganz schön tapferes Mädchen, erst muss sie sich aus heiterem Himmel übergeben, und dann macht ihr der Landeanflug nichts aus.. Naja, die Frauen soll einer immer verstehen. Nun denn. 

 

Inzwischen tauchte auch wieder das Meer aus den Wolken aus und man konnte in der Ferne New York ahnen. Immer näher kamen Freiheitsstatue und die geballte Ladung unterschiedlicher Hochhäuser von Manhattan.