4,49 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €
Ihre Initialen ergeben das Wort CAVALIER … was sie definitiv sind … abgesehen von atemberaubend sexy und scharf wie Chili. Kurz gesagt: Hot as Hell. Sie sind The Cavaliers. E.R. sind die Initialen des Engländers Ethan Reed. Das ist seine Geschichte. Ethan Reed, der Alleinerbe des Duke of Somerset, lebt für seine Rennpferde. Frauen und andere Lebewesen passen nicht in sein Leben. Das ist eine unumstößliche Tatsache. Bis er einen schwer verletzten Border Collie findet und auf die bezaubernde Hundepflegerin Lottie trifft, die bei seinem Anblick erstarrt – und ihn zum Teufel schickt. Mit Menschen, die keine Hunde mögen, will sie nichts zu tun haben – aber er mit ihr. Princess Charlotte widmet sich gleichermaßen ihrem offiziellen Leben und ihrer geheimen Leidenschaft. Nur Queenie, ihre Malteser-Hündin, teilt beides mit ihr. Doch dann steht plötzlich Ethan Reed vor ihr – und erkennt sie nicht. Wie denn auch? Und dass ihr Alter Ego Lottie in seiner Nähe weiche Knie bekommt, macht alles noch komplizierter ... Abgeschlossener Liebesroman mit heißen Szenen, Happy End nicht ausgeschlossen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2023
Ihre Initialen ergeben das Wort CAVALIER … was sie definitiv sind … abgesehen von atemberaubend sexy
und scharf wie Chili. Kurz gesagt: Hot as Hell.
Sie sind
E.R. sind die Initialen des Engländers Ethan Reed.
Das ist seine Geschichte.
Ethan Reed, der Alleinerbe des Duke of Somerset, lebt für seine Rennpferde. Frauen und andere Lebewesen passen nicht in sein Leben. Das ist eine unumstößliche Tatsache. Bis er einen schwer verletzten Border Collie findet und auf die bezaubernde Hundepflegerin Lottie trifft, die bei seinem Anblick erstarrt – und ihn zum Teufel schickt. Mit Menschen, die keine Hunde mögen, will sie nichts zu tun haben – aber er mit ihr.
Princess Charlotte widmet sich gleichermaßen ihrem offiziellen Leben und ihrer geheimen Leidenschaft. Nur Queenie, ihre Malteser-Hündin, teilt beides mit ihr. Doch dann steht plötzlich Ethan Reed vor ihr – und erkennt sie nicht. Wie denn auch? Und dass ihr Alter Ego Lottie in seiner Nähe weiche Knie bekommt, macht alles noch komplizierter ...
Mr. Breathtaking ist der dritte Roman der Reihe
Alle Bücher können ohne Vorkenntnisse gelesen werden.
Inhaltsverzeichnis
Mr. Breathtaking
Prolog
Kapitel 1
#royalnews
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
#royalnews
Kapitel 6
Kapitel 7
#royalnews
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
#royalnews
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
#royalnews
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Epilog
Mr. Captivating
Die Autorin
Impressum
An der Schwelle zum Erwachsenwerden sind sie
dem Tod von der Schippe gesprungen.
Seitdem nennen sie sich 4friends4ever.
Damals haben sie beschlossen, für den Rest
ihres Lebens jeder Gefahr aus dem Weg zu gehen.
Sie haben auf ihre Traumjobs verzichtet und den
unumstößlichen Vorsatz gefasst, niemals eine
Beziehung einzugehen. Denn nur wer Gefühle
zulässt, setzt sich und andere Risiken aus.
Ihre Initialen ergeben das Wort CAVALIER …
was sie definitiv sind … abgesehen von
atemberaubend sexy und scharf wie Chili.
Kurz gesagt: Hot as Hell.
Prolog
Die Junisonne, die zwischen den schneeweißen Schäfchenwolken hervorblitzte, tauchte das satte Grün des in jeder Hinsicht außerordentlichen Landbesitzes in warmes Licht. Bis vor zwei Jahren hätte Ethan Reed sich nicht vorstellen können, jemals einen Sommer nicht in Schottland, der Heimat der Familie seiner Mutter, zu verbringen. Damals war er aber auch noch felsenfest davon überzeugt, mit achtzehn in die Royal Air Force einzutreten und mit der Ausbildung zum Piloten zu beginnen. Im Herbst würde er seinen neunzehnten Geburtstag feiern – und all seine Zukunftsträume waren längst verpufft. Kampfpiloten mussten topfit sein, doch davon war er weit entfernt. Aber er war am Leben – was noch vor einem Jahr niemand zu hoffen wagte. Und er war endlich wieder in Schottland.
Die Hände in den Taschen seiner Hose aus sommerlichem Tweed vergraben und die verspiegelte Ray-Ban auf der Nase ließ er den Blick über das Polofeld schweifen, ohne den Kopf zu bewegen. Das Spiel, das ihn früher so sehr faszinierte, dass er an Wochenenden frühmorgens freiwillig aus dem Bett kroch, um Onkel Alistair zu begleiten, der Polo gleichermaßen liebte wie seinen Rennstall und Pferderennen, hatte seinen Reiz verloren. Es war eine Sache, selbst im rauledernen Sattel sitzend auf einem Polopony über das Spielfeld zu galoppieren, den Stick zu schwingen und mit der sogenannten Zigarre, der Schlagfläche des langen hölzernen Schlägers, den kleinen Ball zu treffen und ins gegnerische Tor zu befördern. Zu wissen, dass er es niemals wieder würde tun können, war schlichtweg deprimierend.
Daher hatte er auch keine Ahnung, ob die beiden Mannschaften noch das dritte Chukka oder bereits den vierten und somit letzten Spielabschnitt spielten. Zum Glück war dieses Spiel nur ein Zeitvertreib unter Freunden und nicht ein aus sechs Chukkas bestehendes High-Goal-Match. Die Nettospielzeit von jeweils siebeneinhalb Minuten pro Abschnitt zog sich durch die ständigen Unterbrechungen wie Kaugummi. Einmal war der Grund eine gelockerte Beinbandage eines Pferdes, die von einem Pferdepfleger korrigiert werden musste. Dann wieder verhängte der Oberschiedsrichter einen Penalty Hit, woraufhin die beiden Mannschaften vor dem Strafschlag die Spielrichtung wechseln mussten. Nicht zu vergessen, dass zwischendurch immer wieder einer der Spieler sein Pferd wechselte.
Dabei sehnte Ethan seit der Halbzeitpause nichts mehr herbei als das Ende des Matches.
Zwischen dem zweiten und dritten Chukka hat er traditionsgemäß gemeinsam mit anderen Zuschauern die von den Pferdehufen aus dem Spielfeld herausgerissenen Rasenzollen wieder eingetreten. Früher liebte er das Divot Stomping, das zum Polo gehörte wie die geflochtenen Schwänze der Poloponys und bei Meisterschaftsspielen die Hüte der Frauen.
Seit heute hasste er es. Fünfzehn endlose Minuten hatte er die teils mitleidigen, großteils jedoch neugierigen Blicke auf sich gespürt und war nahe dran gewesen, sein Bonnet, das der Schneider aus demselben Tweed der Hose gefertigt hatte, vom Kopf zu reißen, um ihnen allen die unregelmäßig nachwachsenden Haarbüschel zu zeigen. Doch seine Feigheit, gemischt mit demütigender Scham und der damit einhergehenden Angst vor den zu erwartenden Reaktionen, hatten ihn davon abgehalten.
Himmel, er war wieder gesund! Begriffen die das nicht? Professor Habergam hätte ihn niemals aus seiner Klinik in Reading entlassen, wenn dem nicht so wäre. Oder doch? Ethan schüttelte genervt den Kopf, als einer der beiden berittenen Schiedsrichter nur wenige Meter von ihm entfernt vorbeipreschte, um am Spielfeldrand dem Poloball und den angreifenden Spielern zu folgen. Die Rufe der acht Männer auf ihren Poloponys, die zwar so genannt wurden, jedoch ziemlich hochgewachsene Polo Argentinos und somit zur Hälfte Vollblüter waren, flogen über das Spielfeld.
Ethan beneidete jeden Einzelnen der Männer auf ihren Pferden und fragte sich zum wiederholten Mal an diesem Tag, warum er Onkel Alistair nachgegeben und ihn begleitet hatte. Er hätte mit der Ausrede, dass er sich nicht wohlfühlte und Ruhe brauchte, auf Somerset Stud, dem Gestüt und Landsitz, bleiben sollen. Wobei das absolut der Fall war, Letzteres zumindest. Genau das würde er also sagen, sobald das Spiel zu Ende war. Sein Onkel würde ihn besorgt ansehen und seinem Wunsch umgehend nachkommen, obwohl er sich unbändig auf den heutigen Tag in Gesellschaft der Queen gefreut hatte, mit der er von Kindheit an befreundet war.
Ethan sah hinüber zu dem baldachinartigen Zeltaufbau aus cremefarbener Ballonseide, der in einiger Entfernung vom Spielfeldrand aufgebaut worden war. Die älteren Damen saßen auf hölzernen Klappstühlen darunter, um nicht zu riskieren, ihre Blässe zu verlieren, und sich dabei verhielten, als ob sie zu Zeiten der ersten Queen Victoria leben würden. Auch ein paar der jüngeren Frauen hielten sich dort auf, allerdings aus anderen Gründen, was unschwer zu erraten war. Während die kleineren Kinder der Obhut ihrer Nannys anvertraut waren, fehlte von den größeren jede Spur. Was ganz offensichtlich ihren Müttern keinen Gedanken wert war. Die Blicke der Ladys waren dem Spielfeld abgewandt und Queen Victoria zugewandt.
Diese wiederum hatte nur Augen für die beiden Männer an ihrer Seite und schien sich blendend zu unterhalten. Der Prinzgemahl war für seine humorvollen und manchmal frivolen Äußerungen bekannt, die seine Gattin privat schmunzelnd kommentierte, während sie in der Öffentlichkeit so tat, als ob sie nichts davon mitbekommen würde. Ethans Onkel Alistair, der Duke of Somerset, punktete hingegen seinerseits mit Galanterie, trockenem Humor und dem angeborenen Charme, den er trotz seines hohen Alters nie verloren hatte und gekonnt einsetzte.
Auf Ethan wirkten die drei, die miteinander ein Vierteljahrtausend überschritten hatten, wie Teenager – ganz im Gegensatz zu den anderen Anwesenden rundum, die allesamt jünger waren. Was insbesondere daran lag, dass Ihre Majestät während des Sommers hier auf Balmoral Castle all die königliche Steifheit ablegte und einfach sie selbst war. Das wusste er nicht nur aus den Erzählungen seines Onkels, sondern aus früheren Besuchen hier, auch wenn sein letzter Aufenthalt auf Balmoral Castle schon mehrere Jahre zurücklag.
Bevor die Leukämie zuerst seinen Körper, dann sein Gehirn und schließlich sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte, hatte er sich immer gewünscht, mit achtzig genau so zu sein wie sein Onkel und dessen Freunde aus Kindertagen. Mittlerweile war ihm jedoch allzu schmerzlich bewusst, dass derartige Vorstellungen zwar für viele andere in seinem Alter realistisch waren, aber nicht für ihn. Denn egal was Professor Habergam, sein Onkel und die Eltern seiner drei unglaublichen allerbesten Freunde und Leidensgenossen meinten, mit denen ihn dieselbe Krankheit, der lange Weg durch unzählige Therapien und die kürzlich von ihrem ärztlichen Retter verkündete Heilung verband, sie wussten es besser.
Clive, Lance, Vincent und er nannten sich nicht grundlos 4friends4ever.
Forever bedeutete »für ewig«. Es sagte nichts darüber aus, ob hier auf der Erde oder dort, wo das, was von einem Menschen übrig blieb, nach dem Tod weiterexistierte.
Ihre Chancen, den Krebs endgültig besiegt zu haben, standen fifty-fifty. Das war nicht genug, um an diesem Punkt, den sie nach unsäglichen Schmerzen, wiederkehrenden Depressionen und vielen Rückschlägen endlich erreicht hatten, zu riskieren, ihr Leben auf eine andere dumme Art zu verlieren.
Clive würde nie als Alpinist alle Achttausender der Welt bezwingen.
Vincent würde sich niemals waghalsig über Skipisten nach unten stürzen und Skirennfahrer des französischen Nationalteams werden.
Lance würde nicht einer der besten Rennfahrer in den NASCAR Cup Series werden und somit in die Fußstapfen seines Vaters treten.
Und er selbst hatte nicht nur, bereits als die Leukämie diagnostiziert wurde, seinen Traum, als Kampfpilot der Royal Air Force zu dienen wie sein verstorbener Vater, an den Nagel gehängt, sondern auch den seines Onkels. Ethan würde weder auf dem Rücken eines Pferdes über Hindernisse springen noch Polo spielen und schon gar nicht als Vielseitigkeitsreiter bei halsbrecherischen Geländeritten Kopf und Kragen riskieren, um in die Geschichte des legendären britischen Reitsports einzugehen. Vielmehr konnte er sich glücklich schätzen, mit Privatlehrern trotz der Krankheit seinen Oberstufenabschluss planmäßig geschafft zu haben. Ab dem Herbst würde er Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt Unternehmensführung studieren, was die beste Grundlage war, um zukünftig in London Somerset Racing und aus der Ferne auch Somerset Stud zu führen, wo sein Onkel alte schottische Pferderassen züchtete. Da Oxford lediglich knapp eineinhalb Stunden vom Sitz des Rennstalls in Wimbledon entfernt war, würde er nicht nur an den Wochenenden dort sein wie früher, sondern seinen Onkel möglichst zu allen Rennen begleiten. Und wenn es sein musste auch hin und wieder zu einem Polospiel.
Er seufzte, hob eine Hand an sein Bonnet, schob die Schirmmütze auf seinem Kopf zurecht, wiederholte dasselbe mit einem Tippen am Steg seiner Sonnenbrille. Dabei betete er inständig das Ende des Spiels herbei, das immer noch ...
Plötzlich stoppten seine Gedanken und die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf.
Ethan wusste fast augenblicklich, was der Grund dafür war.
Er drehte sich um, ließ den Blick über das Polospielfeld hinweg in die Ferne schweifen und legte den Kopf ein wenig in den Nacken. Von klein auf war er von Flugzeugen jeder Art fasziniert gewesen. Er liebte die Fotos seines Vaters in seiner graublauen Galauniform mit den silbernen Streifen auf den Ärmeln und den Orden an der Brust und noch mehr die Erzählungen Onkel Alistairs. Doch obwohl Ethan beim Tod seiner Eltern erst fünf war, erinnerte er sich an seinen Dad in der grauen mimetischen Fliegeruniform vor seinem Kampfjet auf der Militärbasis, an dem Tag, als Mum und er ihn auf der Militärbasis besuchen durften, als ob es gestern gewesen wäre.
Es war also nicht weiter verwunderlich, dass Ethan die beiden silbrigen kleinen Pfeilspitzen ähnelnden Flugzeuge hoch oben im Himmel sofort sah und ihm augenblicklich klar wurde, dass zwei Eurofighter Typhoons mit derartiger Geschwindigkeit auf Mission waren und jeden Moment die Schallmauer durchbrechen würden. Was bedeutete, dass ...
Ethan kam nicht mehr dazu, den Männern neben und auf dem Spielfeld eine Warnung zuzurufen, als der Überschallknall seine Ohren traf und jedes andere Geräusch rundum verstummte.
Für ihn, der damit gerechnet und die Hände reflexartig gegen seine Ohren gepresst hatte, dauerte es nur ein oder zwei Sekunden, bis er alles um sich herum wieder lautstark wahrnahm.
Frauen schrien.
Ein Kleinkind kreischte.
Hunde bellten in der Ferne. Wahrscheinlich die Corgis der Königin, die diese nicht zum Polospielfeld mitgebracht hatte, vermutete er.
Der Oberschiedsrichter, der einzig nicht berittene der drei, starrte fassungslos auf das Spielfeld.
Ein Reiter lag rücklings im Rasen, ein zweiter nicht weit von ihm entfernt seitlich zusammengekrümmt.
Die anderen sechs Spieler waren, wie die beiden berittenen Schiedsrichter, damit beschäftigt, ihre Pferde zu beruhigen und in den Griff zu bekommen. Die Grooms, die versierten Pferdepfleger der Polospieler, bemühten sich um die Ersatzpferde, die das Kapital ihrer Besitzer waren. Einer der Männer rannte, ohne auf seine Sicherheit zu achten, mit hoch erhobenen Armen vom Spielfeldrand auf eines der beiden Pferde zu, die ihre Reiter abgeworfen hatten.
Diejenigen, die nach dem Schrecken dazu in der Lage waren, verfolgten offenbar die Versuche des Grooms, das Tier zu stoppen und einzufangen.
Alle bis auf Ethan.
Das war der Grund, weshalb niemandem das kleine Mädchen in dem pfirsichfarbenen Kleid auffiel, das über den Rasen Richtung Polofeld rannte. Ihre langen blonden Locken wippten auf und nieder und umrahmten ihren Kopf wie ein Heiligenschein.
Ethan sah nicht nur die Kleine, sondern aus dem Augenwinkel im selben Moment das zweite reiterlose Pferd, das in vollem Galopp zum Rand des Spielfelds und genau auf das Kind zulief.
Er überlegte nicht, wog nicht Für und Wider ab, vergaß einfach, dass er bis vor Kurzem noch schwer krank und in der Klinik war – und rannte los.
Der Pulli, den er mit den Ärmeln um seine Schultern gelegt und vor der Brust verknotet hatte, löste sich und landete hinter ihm auf dem Boden.
Das Bonnet, die schottische Schirmmütze, die ihm dazu diente, seinen unansehnlichen schütteren Haarwuchs zu verstecken, flog von seinem Kopf.
Ein Polo Argentino konnte während eines Spiels mit dem Reiter im Sattel Geschwindigkeiten von knapp fünfunddreißig Meilen erreichen. Dieses hier, das sich Ethan von schräg rechts näherte und geradewegs auf das Mädchen zu galoppierte, war zutiefst erschrocken, zudem führungslos und emotional außer Kontrolle.
Ethan flog die letzten Meter, die ihn von dem Kind in dem pfirsichfarbenen Kleid trennten. Er warf sich vor, packte die Kleine im Flug, riss sie mit sich zu Boden und schaffte es sogar, nicht mit vollem Gewicht auf ihr zu landen, indem er mit seinen Knien beiderseits von ihrem Körper aufprallte. Schwer atmend und nicht mehr in der Lage, auch nur den Kopf zu drehen, schaute er in ein Paar strahlend blaue Augen mit nahezu unnatürlich türkisfarbenen Sprenkeln. Augen, die ihn interessiert taxierten, während er auf das schreckliche Ende wartete.
Doch das ließ auf sich warten.
Kam nicht.
Blieb aus.
Kein Hufgetrampel näherte sich.
Stattdessen kreischte eine Frau in der Ferne etwas Unverständliches.
Ein Mann rief seinen Namen.
»Er hat das Kind gerettet!«, schrie jemand hinter ihm.
»Du bist wunderschön, wie der Märchenprinz in meinem Buch«, sagte die Kleine lächelnd. »Wenn ich groß bin, heirate ich dich.«
Ethan fehlten die Worte. Er starrte das Kind einfach nur an, bis ihn jemand an einem Arm packte und fragte, ob er einen Arzt brauchte.
Er schüttelte den Kopf, rappelte sich auf, ein Knie knickte ein. Er ließ sich zu Boden fallen, zog beide Beine an und umfasste sie mit den Armen.
»Danke tausendmal!« Eine junge Frau mit Tränen in den Augen, der Kleidung nach wahrscheinlich ein Kindermädchen, strich zaghaft über seinen Unterarm, bevor sie die Hand des Mädchens fester umschloss und sich mit ihm entfernte.
»Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe.« Die Kleine warf ihm einen letzten Blick zu, bevor die Menschentraube um Ethan herum eine undurchdringliche Mauer bildete.
Viel später, nachdem der Arzt der Queen seine beiden Knie untersucht und bei einem abgesehen von der offensichtlichen Schwellung eine Bänderzerrung festgestellt hatte und sie endlich heimfuhren, sortierte Ethan seine Gedanken. Er wandte sich Onkel Alistair zu, der am Steuer saß.
»Es ist kaum zu glauben, dass sich das Pferd nicht verletzt hat und sie es einfangen konnten.«
Der Duke of Somerset warf ihm schmunzelnd einen Seitenblick zu.
»Du machst dir Gedanken um das Pferd? Ausgerechnet du?« Er schüttelte den Kopf und schaltete einen Gang höher. »Ethan, du hast der Enkelin der Queen das Leben gerettet! Victoria ist immer noch nicht über den Selbstmord ihrer jüngsten Tochter hinweg, dabei ist schon ein Dreivierteljahr vergangen. Wenn Charlotte etwas passiert wäre, hätte sie sich das nie verziehen. Sie ist nicht nur die Großmutter der kleinen Vollwaisen, sondern auch ihre Erziehungsberechtigte.«
»Das hätte jeder gemacht«, erwiderte Ethan murmelnd. »Nur war ich eben der Einzige, der in der Nähe war.«
Sein Onkel seufzte auf, behielt aber zum Glück den Kommentar für sich. Ethan hatte nicht die geringste Ahnung, wie viele Leute ihm gedankt hatten. Er hatte all das Gerede stumm ertragen und sich gewünscht, endlich verschwinden zu können. Diese plötzliche überschwängliche Aufmerksamkeit war ebenso unangenehm gewesen wie kaum eine Stunde zuvor all die mitleidigen Blicke, weil offenbar jeder wusste, dass er Leukämie gehabt hatte.
Er wandte sich ab und schaute aus dem Seitenfenster nach draußen. Doch sein Kopf leerte sich nicht. Er sah ständig diese unwahrscheinlichen türkisblauen Augen der Kleinen vor sich.
Kurz nachdem sein Onkel in die lange von Bäumen gesäumte Zufahrt von Somerset Stud eingebogen war, brach Ethan das Schweigen.
»Weißt du, wie alt die Kleine ist?«
Alistair runzelte nachdenklich die Stirn, bevor er antwortete. »Sie müsste sechs sein. Sie war fünf, als sich ihre Mutter das Leben nahm.«
»Genauso alt wie ich, als Mum und Dad den Unfall hatten.«
Sein Onkel nickte wortlos.
Vor vielen Jahren hatten sie im stillen Einvernehmen damit begonnen, schlicht von einem Unfall zu sprechen, nicht davon, dass seine Eltern an dem Tag gestorben waren. Das nahm dem Schrecklichen zwar nicht die Endgültigkeit, aber es fühlte sich zumindest nicht so an, als ob damals zwei Menschenleben ausgelöscht worden wären.
Stunden später, als Ethan das Licht auf dem Nachttisch ausmachte und endlich die richtige Position für das schmerzende Bein fand, starrte er an die Decke. Wieder sah er die strahlend blauen Iriden mit den türkisfarbenen Sprenkeln vor sich. Solche Augen hatte er noch nie gesehen. Aber das lag nicht nur an der Farbe. Dieses kleine Mädchen hatte ihn an sich selbst in ihrem Alter erinnert. Sie war viel zu jung, um so erwachsen zu wirken. Ihr Blick und die Tatsache, dass Charlotte mit fünf Jahren zur Vollwaise wurde wie er, gingen ihm nicht aus dem Kopf.
Und ihre Worte. Er verstand nicht viel von Kindern, aber sie schien aufgeweckt zu sein. Und mit sechs war sie sicherlich bereits in der Lage, hässlich und schön zu unterscheiden. Er konnte sich nicht erklären, warum sie ausgerechnet ihn als wunderschön bezeichnet hatte. Aber gut, sie war mit ihm durch die Luft geflogen und hart auf dem Rasen aufgeschlagen. Vielleicht hatte ihr Kopf doch etwas abbekommen, obwohl es im ersten Moment so aussah, als ob sie unverletzt wäre. Sicher sogar. Sie war ja aufgestanden und mit der Frau, die wohl ihre Nanny war, weggegangen. Und dabei hatte sie ihm noch einen Blick über die Schulter hinweg zugeworfen.
»Wenn ich groß bin, heirate ich dich«, wiederholte er den Satz, den Charlotte zu ihm gesagt hatte – und schüttelte leicht den Kopf. Er würde niemals Kinder haben, das stand für seine drei Freunde und ihn nicht zur Diskussion. Aber wenn er nicht diese Krankheit in sich tragen würde und welche in die Welt setzen könnte, dann würde er sich so ein hübsches, vorlautes kleines Mädchen wünschen.
Er seufzte tief, rückte das Kissen zurecht, schloss die Augen und schlief mit einem Lächeln auf den Lippen ein.
Kapitel 1
Es gab Ja-Tage, Nein-Tage und Montage.
Letztere waren den meisten Menschen verhasst. Nahezu allen, soviel sie wusste. Princess Charlotte, das Nesthäkchen unter den Enkelkindern der Queen, hingegen liebte sie. Daher wachte sie auch an diesem Montag mit einem Lächeln auf den Lippen auf, sprang aus dem Bett, ignorierte das protestierende Knurren, das aus dem Hundekörbchen kam, und lief zum Fenster. Mit Schwung schob sie die Vorhänge zur Seite und sah nach draußen. Seitdem sie dem goldenen Käfig und der opprimierenden Fürsorge all der Bediensteten im Buckingham Palace entkommen war, begann sie jeden Tag mit einem Blick auf den Chester Square mit den hohen Bäumen, die bis zum zweiten Stockwerk und noch ein wenig darüber hinaus reichten. Die Gewissheit, dass hinter den Baumkronen – nicht einmal eine Meile entfernt – ihr ehemaliges Zuhause lag, der königliche Palast, der jahrelang ihr goldener Käfig war und den sie daher mehr gehasst als geliebt hatte, erfüllte sie mit Wärme. Was sie niemals zugeben würde. Niemandem gegenüber.
Seit Jahren arbeitete sie hart an ihrem Ruf und dem Bild, das die Öffentlichkeit von ihr hatte. »Enfant terrible« war noch der schmeichelhafteste Ausdruck, den die Presse für sie verwendete, was schlichtweg daran lag, dass die französische Sprache alles netter klingen ließ. Sie liebte diese Bezeichnung! Fast so sehr wie »verzogene Göre«, »selbstverliebte Prinzessin« und »Royal It-Girl«. Und obwohl sie die Wochenenden hasste, war es beruhigend zu wissen, dass es ihr auch gestern wieder gelungen war, noch ein Schärfchen dazuzulegen. Dabei hatte sie dafür nur eines der für Princess Charlotte typischen mit Strass dekorierten Outfits tragen und Queenies Halsband und Leine darauf abstimmen müssen, Glitzersteinchen inklusive. Nicht zu vergessen das Schleifchen aus dem kirschfarbenen Stoff ihres Kleides, mit dem sie ein Büschel ihres seidigen weißen Fells auf dem Köpfchen zusammengefasst hatte. Charlotte litt immer an Phantomschmerz, sobald sie Queenie die lächerliche Schleife verpasste. Sie spürte dann das unangenehme Ziepen an ihrer Kopfhaut und konnte es ihrer Malteser-Hündin nicht verdenken, dass sie davon unausstehlich wurde, die Zähnchen fletschte, knurrte, Journalisten ankläffte und sich nicht selten an irgendeinem Hosenbein festbiss. Und nicht immer erwischte sie dabei nur den Stoff.
Was jedoch wiederum Charlottes Ruf zugutekam.
Längst hatte sie den Status der süßen, bedauernswerten, kleinen Prinzessin verloren, deren Mutter sich mit einer Handvoll Barbituraten und einer halben Flasche Gin das Leben genommen und sie zur Vollwaise gemacht hatte. Darüber, dass es nie einen Vater gegeben hatte, auch wenn das idiotisch war, weil ja jeder wusste, dass nur die Jungfrau Maria ein Kind ohne Zutun eines Mannes aus Fleisch und Blut geboren hatte, sprach ab diesem Zeitpunkt niemand mehr. Selbst die Regenbogenpresse, die ihre Mutter jahrelang verfolgt und all ihre Exzesse ausgeschlachtet hatte, verstummte.
Natürlich bekam Charlotte damals, im Alter von fünf Jahren, nichts von alldem mit.
Ihre Granny, die nicht nur dem Königreich und dem gesamten Commonwealth vorstand, sondern auch und vor allem den Byrons, der berühmtesten royalen Familie der westlichen Welt, hatte dafür gesorgt. Ob mit Geld, gutem Zureden oder dem Verleihen irgendwelcher Titel an Medienmogule, die dadurch zum ewigen Schweigen gebracht wurden, hat Charlotte erst viele Jahre später begriffen.
Schmerzhaft.
Das geschah, als sich die Presse am Tag nach ihrem achtzehnten Geburtstag auf sie gestürzt hatte. Die Party zu ihrer Volljährigkeit war der Startschuss für die niederträchtige, gemeine, hinterhältige Berichterstattung über sie, die ihr den Atem geraubt und die Tränen in die Augen getrieben hatte.
Tagelang hatte sie sich in ihrem Zimmer verkrochen, Besucher abgewimmelt und Anrufe ignoriert, schließlich einzig mit ihrer Großmutter gesprochen. Notgedrungen, weil wahrlich niemand Queen Victoria ungestraft die Stirn bieten konnte. Auch sie nicht, obwohl ausnahmslos alle anderen Byrons – teils milde lächelnd, teils mit unterschwelliger Eifersucht – behaupteten, dass sie Grannys absoluter Liebling war. Was Ihre Majestät weder abstritt noch bestätigte. So wie die Queen sich immer dann hinter ihrem allseits bekannten stummen Lächeln verschanzte, das sowohl Pressevertretern als auch Familienmitgliedern klarer Hinweis war, dass sie keine Fragen beantworten oder beiläufig geäußerte Anmerkungen kommentieren würde.
Charlotte kannte jedoch nicht nur die öffentliche und die familiäre Seite der Queen, die ihrem verstorbenen Prinzgemahl jahrzehntelang eine hingebungsvolle Ehefrau gewesen und ihren Kindern eine zuneigungsvolle, gerechte und dennoch strenge Mutter war und sich bei ihren Enkelkindern das Privileg leistete, das ihrer Meinung nach Großeltern zustand. Ihre Majestät liebte sie alle, zog jedoch ungeachtet dessen manchmal ein Mitglied der mittlerweile durchweg erwachsenen Enkelgeneration vor, nur um sich ein paar Tage oder Wochen später einem anderen zuzuwenden. Charlotte ausgenommen, die eine Sonderstellung einnahm.
Queen Victoria war seit dem unerwarteten Freitod ihrer jüngsten Tochter offiziell Charlottes Erziehungsberechtigte, ihre Bezugsperson, der einzige Mensch ihrer Familie, den Charlotte ohne Vorbehalt liebte.
Und genau aus diesem Grund war sie auch mit der dritten Seite der Queen vertraut, die außer ihr einzig ihr Großvater gekannt hatte.
Queen Victoria war eine Rebellin und wäre liebend gern eine Spionin der Krone geworden, wenn sie selbst nicht die Krone hätte aufsetzen müssen. Ihre Majestät verehrte den viel zu früh verstorbenen Schriftsteller Ian Fleming – und vergötterte den von ihm erschaffenen James Bond. Selbstverständlich hatte sie all die Spionageromane mit dem Geheimagenten in der Protagonistenrolle zigmal gelesen und die Verfilmungen so oft gesehen, dass sie ganze Passagen mit geschlossenen Augen rezitieren konnte. Schlicht und ergreifend gab es keinen Trick von 007, den sie nicht bis ins allerkleinste Detail kannte, und einige mehr, die sie selbst erdachte und bis heute in Notizbüchern festhielt, die sie in den nur ihr zugänglichen Wandtresoren in den Schlafzimmern ihrer verschiedenen Residenzen aufbewahrte. Denn sie mochte zwar alt sein, aber ihr Geist war jung geblieben und ihre Fantasie kannte keine Grenzen.
Was wiederum der Grund dafür war, dass Enkelin und Granny sich wenige Tage nach Charlottes Volljährigkeit mit einem Teller Cookies und einem Krug Honigmilch stundenlang in ihrem mädchenhaften Zimmer einschlossen. Nur die geliebten Corgis ihrer Großmutter leisteten ihnen Gesellschaft. Die Hunde lagen auf den Bettvorlegern rund um das große Baldachinbett, an dessen Kopfteil gelehnt Queen Victoria und Princess Charlotte saßen und einen Schlachtplan gegen die übergriffige Presse schmiedeten.
Einen Plan, mit dessen Umsetzung sie wenige Tage später begannen. Seither verging kein Monat, in dem Großmutter und Enkelin nicht noch ein Detail hinzufügten, um die Presse mit aufsehenerregenden Eskapaden der Princess Charlotte, dem Enfant terrible der königlichen Familie Byron, zu füttern.
Charlotte verband eine Hassliebe mit ihrer Rolle als versnobte Princess Charlotte. Adrenalin schoss jedes Mal pur durch ihre Venen, wenn sie der Pressemeute ein weiteres Häppchen servierte, erschrocken die Augen aufriss, sich mit der Hand vor dem Blitzlichtgewitter schützte und eilig auf ihren High Heels von dannen stakste. Aber sobald sie sicher sein konnte, allen neugierigen Blicken entkommen zu sein, hatte sie Mühe, gegen den eiskalten Schauer anzukämpfen, der ihren Körper erfasste. Das Adrenalin wurde von Ekel ersetzt. Nicht vor sich selbst, sondern vor der erbärmlichen Leichtgläubigkeit der Menschen, die den abstrusen Untertiteln, mit denen die Presse neueste Fotos vom »Royal It-Girl« präsentierten, Glauben schenkten. Bilder, die zugleich online unter dem Hashtag #royalnews viral gingen und im Internet um die ganze Welt reisten.
Sie hatte gelernt, die Verantwortung, die ihr bei der Geburt in die Wiege gelegt wurde und die sie nicht einfach abwerfen konnte wie eine Schlange ihre Haut, zu ertragen. Dank ihres siebzehnten Platzes in der Thronfolge, der eine Thronbesteigung unwahrscheinlich machte, waren ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen glücklicherweise nur eine oder zwei pro Woche. Zudem fielen sie zumeist auf das Wochenende, was der Grund war, weshalb Charlotte Montage liebte.
Ein Lächeln umspielte Charlottes Mund, als sie den nahezu wolkenlosen Himmel betrachtete und weiter zu den Baumkronen, deren Blätter sich kaum bewegten, schaute, bevor sie sich vom Fenster abwandte und ihren Blick auf das Hundekörbchen richtete.
»Queenie, riechst du das?«
Das schneeweiße Fellbündel hob den Kopf und schenkte ihr einen trägen Augenaufschlag aus ihren glänzend braunen Augen, während sie schnuppernd das Schnäuzchen anhob und mit einem Satz aus dem riesigen Picknickkoffer hüpfte, der ihr als Bett diente. Wie jeden Morgen lief sie einmal rundherum, bevor sie hochsprang und dabei mit beiden Vorderpfoten gegen den geöffneten Deckel stieß. Sie bellte stolz, als dieser zufiel.
Charlotte lachte auf und schüttelte den Kopf. »Du wirst es wohl nie lernen, was?«
Queenie schien die Augen zu verdrehen, als sie sich auf ihren Hundepo fallen ließ, während Charlotte weitersprach.
»Irgendwann werde ich nicht da sein, um den Deckel deines Körbchens aufzumachen, wenn du schlafen möchtest, du dummes Ding.«
Die Malteser-Hündin legte den Kopf schräg, und einen Moment lang schien es, als ob sie ihn schütteln wollte. Nach dem Motto: Menschen sind eigenartige Geschöpfe und mein Lieblingsmensch ist keine Ausnahme. Wo will sie denn sonst sein, wenn nicht bei mir? Sie hat doch nur mich!
Charlotte seufzte auf. Sie ertappte sich immer öfter dabei, die möglichen Gedanken ihres Hundes zu interpretieren, wohl wissend, dass es ihr Unterbewusstsein war, das zu ihr sprach. Das Royal It-Girl Charlotte hatte eine Vielzahl angeblicher Freunde, die sich um sie scharten, egal wo sie sich blicken ließ – aber niemand von ihnen bedeutete ihr etwas. Keine Frau, und schon gar kein Mann. Nicht einer, der versucht hatte, ihr richtig nahezukommen, seitdem sie volljährig geworden und nach Belgravia gezogen war, hatte es in ihr Haus am Chester Square geschafft – und schon gar nicht in ihr Herz. Sie war schlicht und ergreifend allein und manchmal auch ziemlich einsam.
Queenie bellte kurz und leise, erhob sich auf alle viere, machte ein paar Schritte zur offen stehenden Tür, blieb stehen, wandte ihr Köpfchen und wedelte dabei mit ihrem Schwänzchen.
»Ich komm ja schon«, beantwortete Charlotte die stumme Aufforderung. »Wobei du eigentlich hinter mir bleiben solltest. Immerhin habe ich dich darauf aufmerksam gemacht, dass es nach Frühstück riecht.«
Queenie wartete nicht einmal, bis sie näher kam, sondern rannte geradewegs zur Treppe. Das typische Geräusch ihrer Pfoten, das die Krallen auf dem polierten Holz erzeugten, während Charlottes in den Augen der Öffentlichkeit verwöhntes Schoßhündchen vom zweiten Stock ins Erdgeschoss lief, endete abrupt und wurde zu einem fröhlichen Bellen, als sie unten ankam.
#royalnews
Princess Charlotte (18). Die Kopie ihrer Mutter?
Vor dreizehn Jahren hat sich die jüngste Tochter Ihrer Majestät Queen Victoria mit einem Mix aus Barbituraten und Gin ein Ende gesetzt. Wie bekannt, hat sie den Namen des Vaters ihres einzigen Kindes nie genannt, somit wurde dieses mit ihrem Tod zur Vollwaise. Doch aus der süßen, bedauernswerten, kleinen Prinzessin ist nun, mit Erreichen der Volljährigkeit, nur äußerlich ein Schwan geworden.
Auf der gestrigen Geburtstagsparty von Princess Charlotte, die im Nachtclub eines engen Freundes von Prince Henry ausgerichtet wurde, einem Onkel der jungen Prinzessin, floss nicht nur Alkohol in Strömen. Eine unserer Redaktion wohlbekannte und vertrauenswürdige Quelle teilte mit, dass neben Kokain auch viele bunte Pillen an die Gäste verteilt wurden.
Princess Charlotte, die ein hautenges türkisblaues Kleid trug, das ihre Augenfarbe unterstrich und sich einem Handschuh gleich um ihre makellose Figur schmiegte, soll sich großartig unterhalten haben. Man muss kein Hellseher sein, um die Bedeutung dieser Worte zu verstehen.
Als Princess Charlotte das Lokal weit nach Mitternacht verließ, waren ihre Pupillen unnatürlich geweitet. Ihre Bodyguards rissen unserem Reporter die Kamera aus der Hand.
Es besteht kein Zweifel, dass Princess Charlotte, die bis gestern von der Öffentlichkeit ferngehalten wurde, in die Fußstapfen ihrer zu Lebzeiten für ihren exzessiven Lebensstil bekannten Mutter tritt. Und somit hat auch diese Generation der Familie Byron ein Enfant terrible: Princess Charlotte.
Kapitel 2
Ethan wachte vom fröhlichen Gezwitscher der Vögel vor dem Fenster auf, blinzelte, stellte fest, dass die Sonne durch die Jalousie eindrang, und schloss die Augen wieder. Sich vor zwölf Jahren gegen das Penthouse in der City und für diese Villa zu entscheiden, war eine großartige Idee gewesen. Und das, obwohl er damals, mit zweiundzwanzig, in einem Alter war, in dem niemand freiwillig an den Stadtrand zog – und schon gar nicht nach Wimbledon, wie einige seiner Studienkollegen meinten.
Er hingegen hatte sich für ein entschleunigtes Leben im Grünen und gegen Verkehrsstress und Smog entschieden. Und obwohl es sich hier anfühlte wie auf einem anderen Planeten, lebte er nur eine halbe Stunde vom Zentrum Londons, fantastischen Restaurants, unzähligen Theatern und den glamourösen Nightlife-Locations entfernt, die jedes Jahr Millionen von Menschen aus der ganzen Welt anlockten.
Er hingegen konnte sich nicht einmal erinnern, wann er zuletzt rein privat und nicht einer geschäftlichen Verpflichtung wegen in der City war. Egal. Hektik und Lärm waren ihm zuwider. Er hatte schon genug Stress gehabt, damals, als sein Leben auf dem Spiel stand. Weshalb es ihn nervte, wenn rücksichtslose Menschen mit ihrem unverständlichen Verhalten Pferde nervös machten – so wie gestern.
Gestern?
Plötzlich erinnerte er sich, dass heute Montag war, und ein zufriedenes Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Er öffnete die Augen, schwang die Beine aus dem Bett und ging ins Badezimmer.
Zehn Minuten später beendete er die Dusche, trocknete sich ab und schlang sich das Handtuch um seine Hüften. Er warf einen Blick in den Spiegel, putzte sich die Zähne, wurde nachdenklich. Unweigerlich gingen seine Gedanken zurück zum gestrigen Tag, während er sich rasierte.
Im Gegensatz zu den Rennwochenenden irgendwo im Königreich oder im Ausland, an denen seine Pferde am Start waren, hasste er die Wochenenden in London. Auf den Rennplätzen war es ihm egal, wenn er auf den Tribünen dicht an dicht Familien mit Kindern sah, die fröhlich lachten, oder verliebte Paare, die sich selbstvergessen küssten. Als Besitzer von Rennpferden war er zum einen nicht gezwungen, sich unter die Zuschauer zu mischen, zum anderen hatte er rund um die Rennen genug zu tun, was ihn ablenkte, bis seine Pferde wieder auf die Anhänger verladen wurden und es heimwärts ging. Nach Wimbledon, wo es normalerweise angenehm ruhig war, was nicht nur ihm, sondern auch seinen Tieren zugutekam.
Doch leider machte die sonntägliche Völkerwanderung selbst vor den Wimbledon Village Stables nicht halt. Dabei sollte man annehmen, dass der berühmte Reitstall, dessen Ursprung nachweislich achthundert Jahre zurücklag, immer Ruhe garantierte. Denn beginnend bei den gepflegten Gebäuden bis hin zu den Umgangsformen der Freizeit-Reiter, erinnerte alles an alten Adel. Das Auftreten der Menschen, ihr Gang und ihre Gesten, die Sprache. Selbst die Jugendlichen unterhielten sich leise miteinander.
Normalerweise war es auf dem gesamten Gelände des historischen Reitstalls am Rande des Parks Wimbledon Common also ausgesprochen angenehm – aber eben nicht an den Wochenenden.
Da kamen und gingen unzählige Menschen, steckten ihre Nase überall hinein, und das, obwohl man nur mit einer Gold-Mitgliedschaft die wöchentliche Reitstunde an Samstagen und Sonntagen bis spätestens halb zwölf antreten konnte. Bei den günstigeren Mitgliedsgebühren beschränkten sich die einstündigen Lektionen oder Ausritte auf die Vormittage zwischen Dienstag und Freitag. Die letzten Reiter stiegen demnach immer, auch an den Wochenenden, um halb eins vor den Stallungen von ihren Pferden, was bedeutete, dass spätestens ab ein Uhr auf dem gesamten Areal Ruhe einkehrte.
Doch gestern hatte sich eine Gruppe von Familien mit Kindern, von denen einige Personen ausgeritten waren, nach deren Rückkehr nicht entfernt. Sie blieben auf dem riesigen Vorplatz, an dem auch das Gebäude liegt, in dem seine Zuchtpferde und seine Rennpferde untergebracht waren.
Ethan hat nicht auf die Uhr gesehen, war zuerst zu Pretty Lady gegangen, um dann seinen anderen Pferden Karotten zu bringen, bevor er wieder einen Blick nach draußen warf. Sein Magen knurrte, und er überlegte, wohin er essen gehen würde oder ob er sich daheim etwas kochen würde, sobald der Tierarzt die Stute untersuchen würde und seine beiden Pferdepfleger, die heute Dienst hatten, aus der Mittagspause zurück wären – und erstarrte.
Drei der älteren Jungen, die er auf zwölf oder dreizehn schätzte, hatten offenbar das Limit des Erträglichen an Langeweile erreicht. Sie begannen damit, Steine vom Boden aufzuheben und gegen die Fassade des gegenüberliegenden Stalls zu werfen, in dem die Reitpferde für die Mitglieder des Clubs untergebracht sind.
Unter normalen Umständen hätte Ethan den Festnetzanschluss der Wimbledon Village Stables angerufen, um darauf aufmerksam zu machen, was vor ihrem Stall geschah, doch er hätte niemanden erreicht. Denn offenbar war deren gesamtes Personal zugleich in Mittagspause, was in seinen Augen unverantwortlich war.
Aber nicht sein Problem. Es lag nicht an ihm, andere auf ihre Fehler hinzuweisen. Nein, er würde sich nicht einmischen, beschloss er, denn es betraf ihn nicht. Er war ja kein Clubmitglied, sondern der einzige Pächter auf dem Areal der noblen Wimbledon Village Stables, der für die Nutzung von Gebäuden und Außenflächen teures Geld zahlte. Nichts sonst.
Ethan hatte die Rennpferde und das Unternehmen mit dem ursprünglichen Namen Somerset Racing von seinem Ziehvater geerbt, dem Duke of Somerset. Der Onkel seiner Mutter und enge Freund seines Vaters, der ihn nach dem Unfalltod seiner Eltern aufgenommen hatte, war ein kinderloser Junggeselle gewesen – und derjenige, dem er sein Leben verdankte. Nicht, weil Ethan seit seinem Tod unermesslich reich war – sondern im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Ethan wäre schon allein mit dem Erbe seiner Eltern ausgesprochen vermögend, jedoch höchstwahrscheinlich längst nicht mehr am Leben, um all das Geld auszugeben.
Er war siebzehn, als ihn die Krankheit eiskalt erwischte und seinen Lebensplan zunichtemachte. Der Duke hatte ihn angespornt, gegen die akute lymphatische Leukämie anzukämpfen, als ob Ethan eines seiner Rennpferde gewesen wäre. Nach unendlichen nicht enden wollenden zwanzig Monaten hatte er die ALL besiegt – gemeinsam mit seinen Freunden Clive, Lance und Vincent.
Onkel Alistair, wie er den Duke genannt hatte, war viele Jahre sein Schutzengel, Lebensretter und die Vaterfigur gewesen, die ihm beide Elternteile ersetzte, die er zu früh verloren hatte, um sich noch wirklich an sie erinnern zu können.
Der Duke hat Ethan ebenso geliebt wie das Landgut Somerset Stud in Schottland und den Reitstall unmittelbar neben dem wundervollen Park hier in Wimbledon. Und genau aus diesem Grund zögerte Ethan weiterhin, eine moderne Struktur möglichst unweit der zehn Meilen westlich gelegenen Pferderennbahn zu errichten, wo seine Pferdetrainer und Jockeys mit seinen Rennpferden arbeiteten. Dabei kosteten das Verladen der Pferde und die Fahrt vor und nach jedem Training Zeit, die man letztendlich wesentlich besser nutzen konnte. Ganz zu schweigen davon, dass Ethan im Vorjahr ein zweites Standbein aufgezogen und mit der Zucht von englischen Vollblut-Rennpferden begonnen hatte. In Schottland züchtete er weiterhin alte schottische Pferderassen, die gutmütigen, kleinwüchsigen Highland Ponys und die kraftvollen, hochgewachsenen Clydesdale, die ursprünglich aus dem Tal des Flusses Clyde in den Lowlands stammen.
Noch vor der Geburt des ersten der beiden Stutenfohlen hatte er die ehemalige Firma Somerset Racing, wie von Onkel Alistair testamentarisch verfügt, in Reed Somerset Ltd umbenannt. Und nun würde bald das erste Hengstfohlen zur Welt kommen – und mit ihm hoffentlich ein zukünftiger Champion. Dieses Pferd würde der Meilenstein sein, der alles ändern würde. Die erste Stute hatte er in Wales decken lassen, die zweite in Schottland, Pretty Lady war hingegen von einem Hengst der weltberühmten Aga Khan Studs in der Normandie gedeckt worden. Die Belastung der weiten Reisen mit den Stuten zu den Deckhengsten waren jedoch nicht das, was er sich vorstellte. Ethan träumte davon, Vollblüter in einem großen Gestüt zu züchten, aber die finanzielle Seite würde für ihn nie an erster Stelle stehen. Es war das Tierwohl, das ihm am Herzen lag. Er wollte nicht nur ein paar Stuten, deren Fohlen als Jährlinge bei Auktionen verkauft wurden, wenn die Muttertiere längst wieder trächtig waren. Die Mittel, um seinen Plan umzusetzen, fehlten ihm nicht. Sein Onkel hatte nie geheiratet, seine Eltern hatten beide keine Geschwister gehabt, und er war ihr einziges Kind gewesen, und seine persönliche Zukunft ... Sein Schicksal war es, allein zu bleiben, aber das bedeutete ja wahrlich nicht, dass er sein Vermögen immer weiter vermehren musste. Für wen auch? Ethan konnte keine Familie gründen, aber es konnte viele Pferde glücklich machen. Und dazu brauchte er zuallererst einen größeren Stall in der idealen Umgebung. Er sollte also endlich damit beginnen, nach dem perfekten Platz für den neuen Standort zu suchen.
Daran dachte Ethan gestern, während er im Halbdunkel des Ganges in seinem Stall stehend durch die offene Tür die drei Halbwüchsigen beobachtete, die mit zunehmender Wucht und immer rascher Steine gegen die Fassade des auf der anderen Seite des weiten Platzes liegenden Gebäudes schleuderten.
Er hatte das nervöse Wiehern der ganz und gar gutmütigen Reitpferde in dem Stall gehört und sich gefragt, wann endlich jemand der Erwachsenen, unter denen sich doch auch die Eltern dieser Buben befanden, ein Machtwort sprechen würde.
Nichts war geschehen. Gar nichts. Zumindest nicht draußen auf dem Platz.
Hingegen hatte Ethan gespürt, wie sein Blutdruck anstieg. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt und sich gezwungen, stehen zu bleiben und nichts zu tun.
Menschen waren unberechenbar, auch wenn sie im Unrecht waren. Und die da draußen waren viele.
Er hingegen war allein – und musste jedes Risiko vermeiden, das ihn in Gefahr bringen konnte, so wie er es immer tat, seitdem er dem Tod damals von der Schippe gesprungen war. So wie Clive, Lance und Vincent auch. Sie lebten nach ihren Regeln, so schwer es ihnen manchmal fiel. Aber das, was hier vor seinen Augen geschah, machte ihn wütend. Sehr wütend.
Der Tierarzt, der aufgrund leichter Blutungen am Vorabend Pretty Lady kontrollieren würde, die trächtige Stute, deren errechneter Geburtstermin nicht mehr allzu weit entfernt war, kam nicht vor zwei. Die beiden Stallburschen, denen er eine verlängerte Mittagspause zugestanden hatte, wahrscheinlich ein wenig später.
Ethan hob das Handgelenk und schaute auf die Uhr. Noch mindestens fünf Minuten, eher zehn.
Genau in dem Moment, in dem er den Blick senkte, schmiss einer der Buben einen Stein durch eines der hoch angebrachten kleinen Fenster in den gegenüberliegenden Stall. Das Bersten war unüberhörbar.
Ethan riss den Kopf nach oben.
Ein Pferd in dem Gebäude gegenüber wieherte angstvoll auf, dann ein weiteres, ein drittes.
Hufe schlugen gegen Holz, vielleicht auch Beton. Der Aufprall war heftig.
Er sah, wie einer der Männer draußen auf dem Platz einem Jungen eine Ohrfeige gab.
Frauen kreischten, Kinder schrien.
Ethan hingegen rannte los.
Er wich der Menschentraube aus, lief auf die Stalltür zu, drückte sie mit aller Wucht auf – und fand sich plötzlich vor einem Grauschimmel, der offenbar aus seiner Box entkommen war.
Beherzt fasste er nach der Mähne und redete beruhigend auf die Stute ein. Das schien auch zu funktionieren, bis ein anderes Pferd aufgeregt wieherte und mit den Beinen gegen die Holzwand seiner Box schlug.
Die Stute sprang zurück und versetzte ihm dabei einen Stoß, der ihn an die Stallwand schleuderte.
Ich kann das, sagte er sich, seine Wirbelsäule durchgedrückt und das aufgeregte Pferd mit nachdrücklichen Schritten und weit ausgebreiteten Armen die Stallgasse entlang zu seiner Box getrieben. Kaum hatte er den Riegel zugeschoben, spürte er eine Hand auf seiner Schulter, drehte sich um und sah das Gesicht seines Tierarztes.
Was immer danach noch passiert war, hatte keine Bedeutung. So hatte er auch auf die überschwänglichen Dankesworte des Reitlehrers der Wimbledon Village Stables, der kurz darauf gemeinsam mit den Stallburschen vom Mittagessen zurückkam, wortlos mit einer wegwerfenden Geste reagiert und sich abgewandt.
Das Einzige, was Ethan interessierte, war, dass sich keines der Reitpferde durch das Glas des zerborstenen Fensters verletzt hatte. Das war zum Glück nicht der Fall gewesen. Tatsache war jedoch, dass zumindest einige der Tiere durch das minutenlang andauernde Schleudern der Steine gegen die Fassade, und nicht zuletzt den Bruch der Fensterscheibe, traumatisiert waren.
Aber das war nichts, was er zu seinem Problem machen durfte.
Wichtig war, dass es seiner trächtigen Stute und dem Hengstfohlen in ihrem Bauch gut ging, wie ihm der Tierarzt wenig später versicherte.
Und dass er endlich die Entscheidung getroffen hatte, sofort mit der Suche nach dem geeigneten Grundstück für den neuen Standort des Unternehmens zu beginnen. Reed Somerset Ltd brauchte einen Ort, an dem sich die Rennpferde zwischen den Rennen, vor und nach den harten Trainings, nachts und auch tagsüber erholen konnten. Es musste das perfekte Zuhause für die Zuchtstuten und zugleich ein richtiger Wohlfühlort für die Fohlen sein. Und sicher keiner, wo man an jedem Wochenende riskierte, dass rücksichtlose Menschen Pferde verletzten.
Der Vorfall hatte ihn betroffen gemacht und seine Laune war dem Nullpunkt nahe, als Ethan heimkam. So sehr, dass er aufstöhnte, sobald er sein Handy aus der Tasche zog, um es an das Ladekabel anzuschließen, und ihm eine Nachricht in dem Chat 4friends4ever angezeigt wurde.
Es war nicht einfach, vier Männer, die in ebenso vielen Ländern lebten und weder normale Berufe noch regelmäßige Arbeitszeiten hatten, unter einen Hut zu bekommen. Clive stammte zwar aus Washington D.C., doch er arbeitete seit Jahren in Genf für die Vereinten Nationen. Vincent lebte in der Champagne, zwei Stunden östlich von Paris, und Lance in Daytona Beach, seiner Geburtsstadt. Der Amerikaner besaß einen Rennstall, doch im Gegensatz zu ihm hatte er keine Pferde, sondern Stockcars, die mit knapp achthundert Pferdestärken unter der Motorhaube ihre Runden auf den NASCAR-Pisten der Vereinigten Staaten drehten und in den Cup Series mitmischten.
Dennoch versuchten sie, sich zumindest am Wochenende zu hören. Wenn möglich auch zu sehen dank der Videochats. Sie waren immer noch so sehr miteinander verbunden wie damals in der Klinik des Professor Habergam in Reading. Und sie waren mehr als nur Freunde. Es gab nichts, worüber sie nicht mit den anderen sprachen. Normalerweise.
Aber an diesem Sonntag wollte Ethan lediglich seine Ruhe und nicht daran denken, geschweige denn darüber reden, was im Stall vorgefallen war. Seufzend hatte er den Chat geöffnet.
LI: Hey, was ist los mit euch? Obwohl ich hier Stunden hinter eurer Zeit nachhänge und gerade erst aufgestanden bin, seid ihr alle stumm? Zu viel getrunken gestern Abend?
VA: Ha, ha, Lance. Wer von Berufs wegen tagein, tagaus mit Alkohol zu tun hat wie ich, der ist einfach nur froh, am Samstagabend Wasser zu trinken.
CA: Lügner! Du lehnst nie einen guten Roten ab, wenn wir zusammen sind, Vincent!
VA: Du sagst es – sobald wir vier uns treffen. Aber das ist ja nicht die Regel, sondern die Ausnahme.
LI: Leider.
CA: Hört ihr mein Seufzen? Wir sollten uns endlich wieder mal eine Auszeit nehmen und irgendwo ein paar Tage miteinander verbringen.
VA: Aber nicht, um irgendwelche Tests von Professor Habergam über uns ergehen zu lassen.
CA: Was ja glücklicherweise nicht mehr jedes Jahr der Fall sein wird.
VA: Sagt wer?
CA: Ethan hat doch kürzlich mit dem Professor gesprochen. Wo ist er überhaupt?
LI: Professor Habergam?
CA: Ethan, du Idiot!
LI: Nennst du mich einen Idioten oder Ethan?
VA: Ihr macht mich fertig.
CA: Was nichts daran ändert, dass Ethan offline ist.
VA: Sieht so aus.
LI: Ich hatte Lust, eure Gesichter zu sehen und über den Großen Teich hinweg virtuell mit euch anzustoßen, aber das erübrigt sich dann wohl für heute.
CA: Du wirst ja hoffentlich nicht schon zum Frühstück mit dem Saufen beginnen!
LI: Ich saufe nicht, Clive. Genauso wenig wie ihr, obwohl ich mir manchmal wünsche, über die Stränge zu schlagen.
VA: Mit Alkohol?
CA: Er meint sicher Sex, Vincent, du kennst ihn doch.
LI: Der ist ja auch das Einzige, was nicht gegen den gesunden Lebensstil spricht, den wir einhalten müssen.
VA: Tut mir einen Gefallen und lasst uns nicht davon sprechen. Ich will nicht an die ALL, Krebstherapien und all das denken. Dafür hatte ich für mein ganzes Leben genug.
CA: Nicht nur du!
LI: Dito. Deshalb werde ich mir jetzt ein paar Orangen auspressen und ein Müsli essen, um den Sonntag gesund zu beginnen.
CA: Meiner neigt sich dem Ende zu, aber ich wünsche dir trotzdem einen schönen Tag.
VA: Ebenfalls, Lance. Und dir einen schönen Abend, Clive.
LI: Ethan, wenn du das hier irgendwann liest, melde dich kurz. Einfach nur, damit wir ein Lebenszeichen von dir erhalten. Man weiß ja nie ...