Myrinha - Patrick Herger - E-Book

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Patrick Herger

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Beschreibung

Wenn der vierzehnjährige Windt auf seiner Laute spielt, geschehen Wunder: Die Luft erzittert, die Brunnen speien Wasser und das Feuer beginnt zu singen. Doch Windt verabscheut seine Magie, die ihn in seinem Dorf zum Aussenseiter macht. Auf dem diesjährigen Sommerfest findet Windt in dem abenteuerlustigen Magier Garlic zum ersten Mal jemanden, der ihn versteht. Doch dann wird Windts Grossvater entführt und plötzlich finden sich Windt und Garlic in einem Krieg wieder, in dem die Mächte von Licht und Dunkelheit aufeinanderprallen. Nur Windt ist dazu bestimmt, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Für welche Seite wird er sich entscheiden? Ist Garlic wirklich der freundliche Mentor, der er zu sein vorgibt? Und wer ist der Elf mit dem blutroten Haar, der auf der Suche nach einem geheimnisvollen Erzelixier über Leichen geht?

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhaltsverzeichnis

BLUT UND NAMEN

TEIL I DIE WEIßEN WIESEN

AUFTAKT

DER GEFALLENE ELF

DER ANFANG VOM ENDE

DIE SALIRFESTNACHT

REGENBOGENFUNKEN

EIN HAUCH VON SCHICKSAL

DIE PECHSCHWARZE KRIEGERIN

VERGEBEN UND VERGESSEN

FERNWEH

DER FEENLOSE WALD

SMIEZE UND DIE RITTER VON FARON

VOR DEN TOREN

VERFOLGUNG

TEIL II HINTER DEN MAUERN VON TALAMHAS

DAS GASTHAUS ZUM SCHNURRENDEN STIEFEL

INFILTRATION

UNTER ALLER HERRLICHKEIT

AUF LEISEN SOHLEN

EINDRINGLINGE!

VERLORENE ERINNERUNGEN

ÜBER DEN DÄCHERN DER STADT

DER PAKT

GARLIC'S VERMÄCHTNIS

DIE ZEREMONIE

DER TURM DER BOTENVÖGEL

UNTER BEOBACHTUNG

BALTUS STAUBPFOTE

DAS HAUS DER SCHERBEN

DER KAMPF DER GIGANTEN

SÖHNE DES FEUERS

BLUT UND REGEN

TEIL III DIE NEBEL VON ISAGAL

FEUER UND WIND

DIE FÜCHSIN

DER TANZ DES SALAMANDERS

GRIMHOLDS

VOM REGEN IN DIE TRAUFE

HIMMEL UND HÖLLE

SIR HAVARD UND DIE SEHERIN

BLUT UND LICHT

TEIL IV TUNDHIL, DAS REICH DER NACHT

FERNAB ALLER WEGE

DER ORDEN VON MISERIA

DOLORA

DUNKLE GEHEIMNISSE

VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

DIE GESCHICHTE VON REGENLIED

DIE SAAT DES WAHNSINNS

JÄGER DER NACHT

DIE EISBLAUE LICHTUNG

GEDULD

DER WÄCHTER DER GRENZE

SPINNENSEIDE

BLUT UND EISEN

DER ZORN DES WALDES

DANKSAGUNG

DER AUTOR

PROLOG

Blut und Namen

Ein gewaltiger Großsegler pflügte durch Meer und Nacht auf das Hafenbecken zu. Sowohl auf Back- als auch Steuerbordseite hatten sich zahlreiche kleinere Schiffe und Beiboote um den Riesen versammelt. Brengard beobachtete das Schauspiel nun schon eine ganze Weile. Wie ein Schwarm Flimmerfeen wuselten Hunderte Lichter über das Deck des Schiffes. Aus der Ferne wirkten die Boote mit ihrem Leuchten wie eine feierliche Prozession. Brengard seufzte und sein dichter Schnurrbart, der jedem Nebelwalross Konkurrenz gemacht hätte, erzitterte. Er verabscheute Nachtschichten. Als zweiter Lichtmeister von Tadsel hatte ihn die Gilde damit beauftragt, die Dunkelheit aus der friedlichen Hafenstadt im Westen Myrinhas zu vertreiben. Zugegeben, eigentlich hätte er das Leuchtfeuer im Turm schon bei Anbruch der Abenddämmerung entzünden müssen. Doch in den letzten Wochen legten nachts so lächerlich wenige Schiffe in Tadsel an, dass es ihm die Mühe einfach nicht wert war.

»Beim Grimmigen, was gäbe ich für ein Buckelbier...«, murmelte er. In Gedanken war Brengard schon wieder an seinem Platz im Drachenhals, seiner Stammkneipe, wo er sich von Freunden aus der Lichtmacher-Gilde und der Stadtwache alberne Beinamen verpassen ließ.

»Aha, das wandelnde Donnergrollen rollt an!«, riefen sie dann.

»Brengard, du solltest auf deine alten Tage nicht so viel trinken.«

»Wie kommt es, dass jemand, der ständig diese Stufen rauf und runter rennen muss, so einen Kessel vor sich herschleppt?«

Zugegeben, er war nicht mehr der Jüngste. Mit dem Alter war etwas in sein Leben eingezogen, das er als Weisheit bezeichnete und ihm das uneingeschränkte Recht gab, sich über alles und jeden beschweren zu dürfen. Einer der wenigen Vorteile, die seinen ständig schmerzenden Rücken und den Wanst wieder wett machten, den ihm die Jahre beschert hatten. Jetzt hockte er hier oben, unter der Kuppel des noch schlummernden Leuchtturms – seiner eigenen kleinen Welt – und beobachtete das erste einfahrende Schiff in dieser Nacht. Er seufzte noch einmal, verfluchte sich selbst und die Gilde und machte sich anschließend daran, das Leuchtfeuer zu entzünden. Wenn die Händler, Kaufleute oder wer auch immer ihren Weg an die Docks gefunden hatten, würde er hinuntergehen und sich nützlich machen. Dann musste er noch das Lager mit dem Lampenöl überprüfen und nachsehen, ob die Laternen entlang der Hauptstraße richtig brannten.

Seine Sandalen ächzten bei jedem Schritt. Brengard nahm eine der Fackeln aus ihrer Halterung und warf sie in die angerichtete Feuerstelle. Licht und Wärme breiteten sich über die Leuchtturmspitze aus und Brengard wurde ein wenig wohliger zumute. Vielleicht konnte er nachher tatsächlich einen kurzen Abstecher in den Drachenhals machen – nur, um sich einen oder zwei Birnenschnäpse zu holen. Er kehrte noch einmal an seinen Platz an der Balustrade zurück und spähte hinüber zu der sich nähernden Prozession. Dann erregte etwas Merkwürdiges seine Aufmerksamkeit. Bisher hatte er nicht darauf geachtet, doch jetzt, im Schein des Leuchtfeuers, kamen ihm diese Schiffe äußerst seltsam vor. Statt einer Galionsfigur ragte so etwas wie ein Schwert unter dem Bugspriet des Großseglers heraus, wie die Nase eines Sägefisches. Brengard blickte auf und versuchte mit zusammengekniffenen Augen das Wappen auf dem Hauptmast zu erkennen. Die Wärme wich aus seinem Inneren und machte einer Kälte der Furcht und aufsteigender Panik Platz. Er nahm das Fernrohr von seinem Gürtel und schob es aus, um ganz sicher zu sein. Kein Zweifel! Die Schiffe hatten Flaggen mit dem Zeichen der Goldenen Sonne gehisst. Schon beobachtete der Lichtmeister, wie die ersten Beiboote im Hafenbecken einfuhren. Er ließ den Blick über die Gestalten schweifen, die in ihnen saßen – jede der Kreaturen war mit einem Sturmlicht bewaffnet.

»Beim Grimmigen!«, fluchte er leise. »Sie sind es, die schneeweißen Teufel!«

Auf den Wappenröcken der Kreaturen erkannte Brengard das Sonnensymbol wieder. Es besaß Ähnlichkeit mit einem Morgenstern, obwohl diese Männer – oder was immer sie waren – unpassenderweise Schwerter an ihren Gürteln trugen. Er durfte keine weitere Zeit verlieren. Die ersten Schiffe legten jetzt an und auch der Großsegler war nun, wo das Leuchtfeuer lichterloh brannte, nicht mehr fern. Ich muss die Warnglocke läuten, schoß es ihm durch den Kopf.

»Bei den Nebeln von Isagal!«, brüllte Brengard, in der Hoffnung, dass jeder in Tadsel aus seinen Träumen fuhr. »Wir werden ange–«, doch weiter kam der Lichtmeister nicht. Ein Surren schnitt durch die Luft und im nächsten Augenblick bohrte sich ein Pfeil in Brengards Hals. Reflexartig riss er die Hände nach oben, röchelte, doch es war zu spät. Die Welt vor seinen Augen begann zu flackern. Er hörte nur noch, wie die Tür zur Kuppel aufgerissen wurde. Jemand rief etwas. Dann schwanden ihm die Sinne und der Lichtmeister fiel in die endgültige Dunkelheit.

Serias stand an Deck des größten Schiffes der Flotte und blickte zum Leuchtturm hinauf. Seine Miene ließ keinen Schluss darüber zu, was gerade in ihm vorging. Innerlich war ihm nach einem seltenen Lächeln zumute. Nach Sen Gil war Tadsel die zweite große Hafenstadt, die er einnehmen würde. Die Aussicht auf eine vielversprechende, eine gelungene Schlacht verdrängte die Gedanken an seine Mission. Serias' Herr war ein äußerst ungeduldiger Zeitgenosse, wie es bei der Krone häufig der Fall war. Doch auch wenn die Suche nach dem Erzelixier oder den Männern, die seine Rezeptur kannten, Vorrang hatte, wollte er sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.

In diesem Moment erhellte das Leuchtfeuer die Dunkelheit. Jetzt kam der Augenblick, in dem seine Männer an Land gehen konnten. Die Targakin – ihr Name war so schroff und kantig wie ihre Heimat, die einst den Zwergen gehört hatte – brauchten das Licht wie die Luft zum Atmen. Aus diesem Grund war keiner von Serias' Männern ohne Fackel oder Laterne unterwegs. Die Finsternis, oder vielmehr die Furcht davor, ließ das Volk von Alwaïs kollabieren, ließ sie wahnsinnig werden, bis ihr Herz schließlich aufhörte zu schlagen.

Etwas von der Gestalt eines Menschen wurde von der Leuchtturmspitze hinuntergeworfen und landete im Wasser. Der Kapitän des Großseglers – Serias hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich den Namen des Targakin zu merken – näherte sich. Er ging vornübergebeugt und hinkte, seine Augen leuchteten in der Nacht.

»Wir haben, wie befohlen, das Leuchtfeuer abgewartet. Bald wird diese Stadt in blutiges Morgenrot getaucht sein.« Beim Sprechen klackte der Targakin mit seinem gezahnten Schnabel. Serias hatte Geschichten über die Geburt der Targakin gelesen, in denen von Unzucht mit Tieren die Rede war. Die Ahnen von Alwaïs hatten alles verehrt, was stärker, schneller oder der Sonne näher war als sie und die Gottkönige von Novangard belohnten sie für diese fragwürdige Art der Anbetung mit übermenschlichen Kräften.

Serias Blick glitt zur Stadt hinüber, die sich allmählich mit Lichtkreisen füllte.

»Gut. Unsere Männer an Bord sollen ebenfalls ausschwärmen, wir gehen wie in Sen Gil vor. Riegelt alle Ausgänge ab, sorgt dafür, dass niemand die Stadt verlässt. Anschließend nehmen wir die Botschaften, die Stadtwache und die Rats- und Gemeindehäuser ein. Jemand soll eine Liste mit den Gilden erstellen und herausfinden, wer in welcher das Sagen hat. Außerdem will ich mit dem Stadtoberhaupt sprechen. Tötet alle, die Widerstand leisten.«

»Jawohl, Kommandant To'Nihlin!« Der Targakin salutierte mit einer vogelähnlichen Klauenhand und schlurfte von dannen.

Serias schnitt eine Grimasse. Er hasste es, mit diesem Titel angesprochen zu werden. Zwar verschaffte ihm der Beiname To'Nihlin einen gewissen Respekt, doch er erinnerte ihn auch daran, dass Serias geächtet war unter seinesgleichen. In der elfischen Sprache bedeutete es so viel wie derjenige, der vernichtet. Daran wollte er jetzt nicht denken.

Während das Schiff sich den Anlegestellen näherte, schritt Serias, der Kommandant eines ganzen Heers blutrünstiger Abscheulichkeiten, zur Reling und beobachtete das Gewimmel in Tadsel aus vorerst sicherer Entfernung. Soeben legten weitere Beiboote am Hafen an und die Targakin, in die Lichtinseln ihrer Lampen gehüllt, stiegen von Bord. Der Wind mischte Blut unter den salzigen Geschmack der Luft, auf den Straßen von Tadsel herrschte Panik. Die in Schneeweiß gekleideten Besucher verbreiteten sich wie eine Seuche, rissen alles an sich, dessen sie habhaft werden konnten.

Ein Schauer freudiger Erwartung lief Serias über den Rücken und er zog sein Schwert, dessen Klinge beinahe so lang war wie er selbst. Wohlwollend ließ er den Blick über den Zweihänder gleiten und leckte sich die Lippen. Schreie drangen aus der Stadt zu ihm herüber. Hörst du das, mein Liebling? Sie spielen unser Lied... Unzählige Jahre zogen ins Land, aber wir beide sind immer noch zusammen. Wie wäre es nach so langer Zeit mit einem kleinen Tanz auf heimatlicher Erde? Bald fünfzig Jahre ist es her, seit ich das letzte Mal in Myrinha angelegt habe.

Wenig später verließ Serias die Anlegestellen der Schiffe und trat auf einen kreisrunden, gepflasterten Platz hinaus. Der weißgoldene Harnisch mit den silbernen Schnörkeln, den er sich für diesen Tanz herausgesucht hatte, war nur den Kriegsfürsten der Targakin vorbehalten. Mit gezogenem Schwert blickte er sich um. Stark deformierte Körper säumten den Weg der Hauptstraße bis zum Stadttor. Einige von ihnen waren nicht mehr als ein Haufen von Blut und dampfenden Gedärmen. Serias sog die Luft durch die spitze Nase ein. Er schloss die honigfarbenen Augen für einen kurzen Augenblick und nahm sich einen Moment Zeit, um die Szenerie in vollen Zügen zu genießen.

Hinter ihm bewegte sich etwas. Ein Mann trat hinter einem Stapel Kisten hervor. Das Sturmlicht in seiner Rechten fiel auf ein nicht mehr ganz weißes Hemd mit einer blauen Weste darüber - die Kluft der Seefahrer. In der Linken hielt er einen Säbel, seine Hände schienen vor Wut zu zittern. »Ihr... Ihr Schweinehunde! Wie könnt ihr es wagen...!?«

Der Zorn in seinem Gesicht belustigte Serias. Er verzichtete auf ein Grinsen und begnügte sich damit, ganz in seiner Rolle als mordender Mistkerl aufzugehen.

»Du Abschaum!«, blaffte der Matrose. »Ich rede mit dir! Zeig mir deine hässliche Fratze und verabschiede dich von...!« Die hochgewachsene Gestalt von Kommandant To'Nihlin trat in den Schein der Sturmlampe. Im orangeroten Licht kamen seine spitz zulaufenden Ohren und das blutrote, überlange Haar zum Vorschein. »Das... das kann nicht sein...« Der Seemann taumelte zurück. »Ein Elf?«

»Nicht mehr«, antwortete die Gestalt vor ihm mit knurriger Stimme. Dann riss Serias sein Schwert nach vorn und durchbohrte den hilflosen Matrosen. Der Mann ließ Säbel und Sturmlicht fallen, als ihn sein Gegenüber mühelos in die Höhe hob und seine Füße den Boden verließen. Seine Augenlider flatterten. »Ein... Gef...fall...«

»Sei still!« Mit einem Ruck schwang Serias sein Schwert und beförderte den Seemann ins Meer.

Es begann zu regnen. Mit angewidertem Blick wischte der Kommandant das Blut von seinem Zweihänder und wandte sich dann wieder dem Treiben im Herzen von Tadsel zu. Gefallene – so wurden die Elfen genannt, die sich und ihr Leben dem Kriegshandwerk verschrieben und den Wäldern ihrer Heimat den Rücken gekehrt hatten. Aber jetzt war nicht die Zeit, in Wehmut und der Vergangenheit zu schwelgen. Er wollte das hier genießen. Die Pfützen auf den Straßen und Gassen schimmerten bereits rötlich. Serias schulterte sein Schwert und stapfte los.

In der Stadt waren zahlreiche Kämpfe ausgebrochen. Der übriggebliebene Rest der Wächter, auf die er unterwegs stieß, versuchte, sich gegen eine Überzahl von feindlichen Soldaten zu bewähren. Die Schmieden verteilten ihre Waffen auf beiden Seiten, Bauern schwangen Mistgabeln, sogar die Besucher der Schänken verließen ihre Stammplätze. Der Rest versuchte in einem heillosen Durcheinander seine Habseligkeiten zusammenzuraffen und unbeschadet das Stadttor zu erreichen.

Eine ganz in schwarz gewandete Gestalt stellte sich dem Kommandanten auf der Hauptstraße in den Weg. Ein dunkles Tuch, zusätzlich zur Kapuze, verbarg sein Gesicht.

Serias blieb stehen. »Ein Assassine?«

»Es ist nichts Persönliches!«, versicherte der Fremde ‒ der Stimme nach ein junger Mann. »Aber Ihr verscheucht mir Kunden und Beute. Wenn Ihr so weitermacht, gibt es hier für mich bald nichts mehr zu tun.«

»Der Parderclan wird nicht zulassen, dass Ihr ihm sein Revier streitig macht!«, schaltete sich eine zweite Stimme dazu. Auf den Schindeln eines abgeschrägten Daches nicht weit entfernt hockten weitere Gestalten. Auch ihre Gesichter waren verhüllt, in ihren Händen blitzten Krummdolche.

»Also doch nicht.« Serias spuckte aus. »Einfache Räuber, Diebesgesindel! Nun ja... dies ist eine einfache Stadt, kein Schlachtfeld. Vermutlich sollte ich weniger wählerisch sein...«

»Askat Nebul, unser Herr, hat Euch als Bedrohung eingestuft«, verkündete einer der Räuber auf dem Dach. Seine Stimme war weiblicher Natur. »Wir werden Eurem treiben hier ein Ende setzen.«

»Ich bin gespannt...«

Mit gezücktem Messer machte der Räuber auf der Straße einen Satz auf Serias zu. Der hob sein Schwert und ließ die Waffe seines Gegners am Schwertblatt abgleiten. Mit einem wuchtigen Stoß schleuderte er den Jungen auf den Rücken. Ohne zu zögern trat Serias auf ihn zu und rammte sein Schwert durch die Brust des Räubers in den Boden.

»Nein!« Die Frau auf dem Dach verließ ihre lauernde Haltung und stürmte auf den Mörder ihres Kameraden zu. Die Schindeln knackten unter ihren Füßen, als sie auf ihn zu sprang, dazu bereit, ihre Dolche wie die Reißzähne eines wilden Tieres in Serias zu versenken. Doch der Kommandant ließ sich nicht beirren. Behände zog er die Klinge aus dem noch röchelnden Räuber am Boden und ließ sie durch die Luft sausen. Für die todesmutige Frau kam jede Hilfe zu spät. Fleisch prallte auf Stahl und sie spuckte Blut, als die riesenhafte Klinge ihr mit bahnbrechender Gewalt den Brustkorb zertrümmerte. Serias presste sie gegen eine Häuserwand und zog das Schwert aus der bereits ohnmächtigen Frau. Sein Blick galt nun der letzten verbliebenen, schemenhaften Gestalt auf dem Dach.

»Wisst Ihr... Ich liebe den Geruch von Blut«, keuchte er mit einem boshaften Lächeln auf dem Gesicht. »Er versetzt mich in Ekstase. Es ist wie der Geschmack von gutem Wein auf der Zunge... Das Brechen der Knochen ist wie ein Trommelwirbel, der mich zu immer weiteren Höchstleistungen anspornt!« Mit jedem Wort war Serias' Stimme lauter geworden. Jetzt schrie er fast und seine Stimme ergänzte den prasselnden Regen wie mit einem Donnerschlag. »Also, wenn du ein Mann bist, dann kommst du zu mir herunter und stellst dich, damit ich diesen wahnsinnigen Tanz noch einmal aufführen kann!«

Statt zu antworten, vermischte sich der Schatten mit der Dunkelheit der Nacht und löste sich auf. Sichtlich enttäuscht wischte der Kommandant das Blut von seiner Klinge.

»Kommandant To'Nihlin!« Einer von Serias' Soldaten bog aus einer Seitengasse in die Hauptstraße ein. Wie sein Kamerad auf dem Schiff ging auch er gebeugt, besaß jedoch eher die Züge eines Reptils statt eines Vogels. Seinen gelben Augen glommen im Licht der Laterne auf, die Pupillen waren zu Schlitzen verengt. »Melde gehorsam: Es ist uns gelungen, das Hauptquartier der Stadtwache einzunehmen, Herr!« Der Soldat hielt kurz inne, als er die tiefroten Flecken auf dem Harnisch seines Kommandanten entdeckte. »Ist... alles in Ordnung mit Euch, Kommandant?«

»Ich habe mich ein wenig vergnügt«, erwiderte Serias schlicht. »Was ist mit den Ratshäusern? Habt ihr das Stadtoberhaupt ausmachen können?«

»Wir haben einen Mann festgenommen, der sich als Bürgermeister bezeichnet – vermutlich ist er also der Herr dieser Stadt. Nach dem, was er uns erzählt hat, gibt es nicht weit von hier eine Festung, wo ein gewisser Dalzar residiert. Sagt Euch das etwas, Herr?«

»Ein Dalzar... Einer von denjenigen, die führen, wenn ich die Übersetzung richtig im Gedächtnis habe«, knurrte Serias. »Die Festung ist vermutlich die alte Burg Wurmfels oben bei den Klippen. Wenn sie denn noch steht...«

»Mit Verlaub, Herr.« Der Soldat senkte den Kopf. Er wusste, dass der Gefallene schlechte Nachrichten verabscheute. »Wir haben alles durchsucht, aber... sein... sein Name steht nicht auf den Listen. In den Aufzeichnungen über die Gilden war er auch nicht zu finden. Ebenso wenig im Stadtbuch... Der Gläserne Druide... ist nicht hier, Herr!«

Serias knirschte mit den Zähnen. »Gut, ich verstehe... Nein, das ist nicht gut! Das war eine verdammte Zeitverschwendung!«, herrschte er den Lakaien an und war drauf und dran, sein Schwert zu erheben. Der Bursche zog winselnd den Kopf ein. Doch anstatt ihm sein Haupt vom Hals abzutrennen, verstaute Serias sein Schwert im Futteral auf seinem Rücken. Er wandte sich ab und blinzelte durch den anhaltenden Regenschauer zum Stadttor hinauf. »Gibt es Verluste in unseren Reihen?«

»Keine Nennenswerten. Die Stadtbewohner, die noch übrig sind, haben wir in den Lagerhäusern nahe der Anlegestellen eingepfercht.«

»Nehmt ein paar Frauen und Kinder als Geiseln, das wird die anderen gefügig machen. Schärft ihnen ein, dass diese Stadt von nun an unter unserem Kommando steht. Wer auch nur an Flucht denkt, ist dem Tode geweiht. Jeglicher Kontakt zur Außenwelt wird abgebrochen.«

»Jawohl, Herr! Wie... geht es jetzt weiter mit der Suche nach...«

»In den Ställen werden sicher irgendwo Nebelrösser bereitstehen. Wir warten auf die Ankunft eurer Lichtbrecher und machen uns dann auf den Weg zur Festung. Bei Sonnenaufgang greifen wir an. Sie werden gar nicht wissen, wie ihnen geschieht. Die Schiffe bleiben vorerst hier vor Anker, sie müssen rund um die Uhr bewacht sein. Bildet eine Stadtwache. Die Hälfte des verbliebenen Heers kommt mit mir!«

»Zu Befehl, Kommandant!« Der schuppige Lakai salutierte und machte sich dann über die Hauptstraße in südliche Richtung davon.

Serias begutachtete sein Werk – die beiden Leichen der aufmüpfigen Räuber und das Blut, das mit dem Regen bis ins Hafenbecken die Straßen hinunterfloss. Seine Arbeit hier war vorerst getan. Das nächste Ziel würde also Burg Wurmfels sein, keine Tagesreise von Tadsel entfernt. Dort würden sie ihr Lager aufschlagen und dann ging es weiter nach Norden bis hin zur Flüsternden Stadt, über die Ebenen von Anégal nach Dandelion. Bis nach Talamhas, wenn es sein musste.

Serias ballte die gepanzerte Faust. Gläserne Druiden... Diese alten Männer wussten über das Geheimnis des Erzelixiers Bescheid, mit dem man, so die Legende, alle Krankheiten heilen konnte. Serias hatte den Auftrag, es zu finden, koste es was es wolle. Die Suche nach diesem Elixier wird mich zu euch führen. Ihr könnt euch vor mir nicht verstecken. Und wenn ihr mir dann nicht antwortet, giert mein Schwert nach einem weiteren Tanz.

Teil I

Die Weißen Wiesen

KAPITEL 1

Auftakt

Kannst du nicht aufpassen, Teufelsbalg?« Windt rieb sich die schmerzende Stelle an der Schulter, wo er mit Mateus zusammengestoßen war. Er hatte ihn im Gedränge auf dem Marktplatz glatt übersehen. Sein Blick hatte den bunten Fähnchen und Girlanden gegolten, die zwischen den Häusern, Läden und Buden leuchteten – Orange, Gelb und Purpur. Überall in Kessl bereitete man sich auf das Mittsommerfest vor. Einige Händler kamen aus den entlegensten Winkeln Myrinhas herbei, um exotische Waren anzupreisen: Riesige Muscheln, Fische und Krabben von der westlichen Küste, magisch anmutende Schuppen aus der geheimnisvollen Reichsmitte und allerlei Schnickschnack aus der Hauptstadt. Zudem war heute Markttag und eigentlich hatte Windt vorgehabt, vor dem Gasthaus Maelins Zuflucht die Laute zu spielen. Die Frauen und Kinder, die um die Mittagszeit über den Platz schlenderten, boten ein angemessenes Publikum und hatten oft den einen oder anderen Kupfer-Basalt für ihn übrig. Seine traurigen Weisen rührten die Menschen zu Tränen und brachten die Hunde zum Winseln. An diesem Tag hatte Windt Pech.

»Hey, was ist? Ich rede mit dir!« Mateus stieß ihm unsanft gegen die Brust und ließ ihn ein paar Schritte rückwärts taumeln.

»Lass mich in Ruhe, Mateus...«, murmelte Windt und starrte eingeschüchtert auf seine Stiefelspitzen.

»Ja, lass ihn in Ruhe, Mateus!«, äffte ihn einer von Mateus' Begleitern nach. Sie waren zu fünft – allesamt Männer vom übelsten Schlag. In Kessl waren sie dafür bekannt, sich regelmäßig in Maelins Zuflucht volllaufen zu lassen und anschließend Unruhe zu stiften. »Du hast gesagt, du gibst die nächste Runde aus.«

»Ja, meine Kehle ist schon ganz trocken, was ist jetzt?«, stimmte ein anderer ein.

»Ich hab 'ne bessere Idee«, erwiderte Mateus und klatschte einmal geräuschvoll in die Hände. Das Lächeln auf seinem Gesicht gefiel Windt ganz und gar nicht. »Das Teufelsbalg hier soll uns einen ausgeben – als Entschädigung, weil er keine Augen im Kopf hat!«

»Ich habe kein Geld...«, sagte Windt leise und hielt den Kopf gesenkt.

»Dann verkaufen wir seine Laute!«, rief einer der Männer. »Für ein paar Buckelbier wird's reichen.«

Windt spähte unter seinen hellen Haarspitzen hervor und schaute sich um. Auf dem Marktplatz herrschte noch immer dichtes Gedränge. Er versuchte, den Blick einer vorbeieilenden Magd auf sich zu ziehen, doch sie schien keine Notiz von ihm zu nehmen und ging rasch weiter. Er musste ganz schnell jemanden finden, der ihm zu Hilfe kam, irgendjemanden!

»Bist du taub? Jetzt gib mir schon das Ding und verzieh dich. Meine Freunde und ich sind durstig. Oder willst du dir eine blutige Nase holen, Teufelsbalg?« Mateus knackste mit den Fingerknöcheln. Seine Freunde lachten hämisch. Dann begannen sie, Windt einzukreisen. Für eine Flucht war es allmählich zu spät. Er machte noch einen Schritt zurück und ließ seine Augen hilfesuchend mal hierhin, mal dorthin wandern. Mateus stand jetzt direkt vor ihm. Windt konnte seinen fauligen Atem riechen. Ein Bad hätte ihm sicher gutgetan.

Heftig schüttelte Windt den Kopf. »Nein...« Die Luft um ihn herum begann zu flimmern. Etwas kratzte in seiner Kehle und eine jähe Hitze, die nichts mit dem Sommerwetter zu tun hatte, erfasste seinen Körper. Nein... Nicht jetzt...

Es klatschte und Windts Hände schnellten hoch zu seiner Wange, die jetzt schmerzhaft brannte. Mateus starrte ihn an, die Hand vom Schlag immer noch erhoben. »Was hast du gesagt? Komm mir bloß nicht dumm, Teufelsbalg, ich warne dich. Rückst du die Laute jetzt freiwillig raus oder nicht?«

»Ich...« Windt war hundeelend zu Mute. In seinem Magen brodelte es, während das Blut in seinen Adern allmählich zu kochen schien. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Plötzlich hatte Windt das Gefühl, sich übergeben zu müssen.

Mateus bedachte ihn mit einem angeekelten Blick. »Wenn du mir auf die Stiefel kotzt, darfst du sie mit der Zunge sauberlecken, Kleiner. Los jetzt!« Er streckte die Hand nach Windt aus.

Fass mich nicht an! Die Worte nahmen in Windts Kopf Gestalt an, doch seine Zunge formte etwas anderes. Windt fühlte, wie sich ein saures Aufstoßen den Weg durch seine Kehle bahnte.

Als er den Mund öffnete, schoss ein Feuerschwall zwischen seinen Lippen hervor. Es versengte Mateus' ohnehin schon schütteres Haupthaar. Mateus kreischte und begann auf der Stelle einen verrückten Tanz aufzuführen. Seine Hände langten hinauf zu seinem Kopf, als er versuchte, die Flammen auszuschlagen. Einer seiner Männer riss sich das Hemd herunter und drosch damit auf ihn ein, in dem verzweifelten Versuch, ihn zu löschen.

Windt hustete und röchelte. Noch immer drang Feuer aus seinem Mund. Er schlug sich die Hände vors Gesicht und stöhnte auf, als er sich augenblicklich verbrannte. Panische Angst hatte die Umstehenden erfüllt und sie wichen hektisch von dem Jungen zurück. Mateus' schmerzerfülltes Geschrei war einem Wimmern gewichen, als er zu Boden sank, das Hemd seines Freundes über dem Gesicht. Die anderen schauten fassungslos zwischen ihm und Windt hin und her, der sich die Hände auf den Mund presste.

Dem Mann, der sich das Hemd vom Leibe gerissen hatte, gelang es schließlich, sich aus seiner Schockstarre zu befreien. »Jetzt sieh nur, was du angerichtet hast, du Scheusal!« Er kniete sich neben dem winselnden Mateus nieder und rieb ihm teilnahmsvoll die Schulter. »Dieses Monster hat ihm fast das ganze Gesicht versengt!«, rief er den anderen zu.

»Was sollen wir jetzt machen?«, fragte einer der anderen. »Ich fass das Teufelsbalg sicher nicht an. Schau doch, ihm steigt noch der Rauch aus der Nase!«

Tatsächlich roch es stark nach beißendem Rauch. Windts Kehle fühlte sich an, als hätte er die Flammen getrunken statt gespuckt.

»Mir reicht's! Mit dem Bengel hat man nichts als Ärger. Los, wir schauen mal, ob Helic heute anschreiben lässt.« Zwei von Mateus' Saufkumpanen hoben ihn an und trugen ihn in Richtung Schänke davon, die anderen trotteten schweigsam hinterher. Der Schock über das soeben Geschehene schien nichts, was ein kühles Buckelbier nicht kurieren würde. Als Mateus an Windt vorbeigetragen wurde, stieg ihm der Geruch von verbranntem Haar und Fleisch in die Nase.

»Der Grimmige soll dich holen!«, zischte Mateus. Seine Stimme war jetzt deutlich höher und dünner als zuvor.

Windt zitterte am ganzen Leib. Nach einer schieren Ewigkeit und erst, als die Saufbolde im Inneren von Maelins Zuflucht verschwunden waren, schaffte er es, sich zu rühren. Vorsichtig torkelte er zum Brunnen in der Mitte des Marktplatzes, ausnahmslos jeder ließ ihn vorbei. Gierig griff er nach dem Eimer, in dem noch Reste von kürzlich hochgeholtem Wasser zu finden waren, und trank alles in einem Zug aus. Er starrte auf seine Hände, die mit Brandblasen übersät waren. Windt zog eine Grimasse, als er den Eimer Stück für Stück in den Brunnen hinabließ, um sich frisches Wasser zu holen.

Er stöhnte kurz auf, als seine Hände in das kalte Nass glitten, das den Schmerz für ein paar Sekunden erträglicher machte. Dann hob er den Eimer an die Lippen und stürzte den Rest hastig hinunter. Die Geräusche vom Markt drangen wie eine dichte, misstönende Klangwand an Windts Ohren. Er blieb kurz am Brunnenrand sitzen, um etwas Ordnung in das Chaos seiner Gedanken zu bringen. Verdammt...

Ohne sich noch einmal zwischen den einzelnen Buden und Ständen umzuschauen, erhob sich Windt und marschierte schweigsam auf Maelins Zuflucht zu. Er hielt den Kopf gesenkt, sodass ihm die feindseligen Blicke, all das Misstrauen, erspart blieben. Neben dem Treppchen zur Schänke, das sang und ächzte, wenn Besucher darauf traten, befand sich eine Stelle mit vertrocknetem Kiemengras. Windt steuerte direkt darauf zu, schnallte sich die Laute vom Rücken und lehnte sich an den geduldigen Stein des Gasthauses. Langsam ließ er sich zu Boden gleiten und fing den Markt noch einmal aus einem anderen Blickwinkel ein.

Von seinem Platz aus wirkte es so, als beugten sich die Geschäfte und Häuser über den alten Brunnen, um höhnisch auf ihn herab zu stieren. Das Gebrüll der Kaufleute, Marktschreier und Feilbieter übertönte alles andere. Kinder tollten über den gepflasterten Platz und die Frauen tauschten Neuigkeiten und Gerüchte aus oder verwandelten die Fülle in ihren Geldbeuteln in gähnende Leere. Die Kirchturmglocke schlug und verkündete die zweite Stunde nach Mittag, die Bauern kehrten auf ihre Höfe und Felder vor dem Dorf zurück. Jeder ging seinem gewohnten Treiben nach und wer an Windt vorüberschritt, senkte den Blick. Das war etwas ganz Normales, eine Tatsache wie das Blau des Himmels oder das Lärmen der Kirchturmglocke zu jeder Stunde. Mach es ihnen nach. Tu so, als wäre gar nichts passiert. Mach einfach so weiter wie jeden Tag und versuch, das Beste daraus zu machen.

Windt spitzte die Ohren. Wenn sein Saitenspiel heute schlecht ausfiel, würde er ohne eine einzige Münze nach Hause zurückkehren. Das war nichts Ungewöhnliches. Wenn der Staub zu seinen Füßen am Ende des Tages leer blieb, hatte er stattdessen versucht, die Obst- und Gemüsehändler in einem unachtsamen Augenblick um ein paar Schleieräpfel zu erleichtern. Auch wenn sein Großvater es mit keinem einzigen Wort gutheißen mochte und ihn jedes Mal schrecklich schalt, wenn er mit gestohlenen Dingen auf ihren Hof zurückkehrte. Er war nun einmal das Teufelsbalg und niemand im Ort wollte ihm eine ehrliche Arbeit zutrauen oder gar unter Verdacht geraten, das Teufelsbalg von den Hügeln des Vergessens unter seinem Dach zu haben.

Genug davon! Er zuckte zusammen, als seine Finger über die Saiten strichen und sich der Schmerz augenblicklich zurückmeldete. Was für ein verkorkster Tag. Windt biss die Zähne zusammen und versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Die Melodie kam zaghaft, immer wieder musste er innehalten und warten, bis das Brennen ein wenig nachließ. Irgendwie schaffte Windt es dann doch, sich zwischen den Klängen zu verlieren. Traurig und schwer hallten sie über den Platz, trugen Einsamkeit und Kummer mit sich.

Schleich dich in die Herzen der Menschen. Berühre sie dort, wo keine Rüstung sie schützen kann. Schmerz und Leid dringt tiefer als jede Freude. Schau auf, wenn jemand vorübergeht, wenn jemand stehen bleibt. Schau ihnen in die Augen wie der geprügelte Hund, der du bist. Er hatte es noch jedes Mal geschafft.

Als wenig später das dritte Lied, welches Windt die Bettlerballade getauft hatte, endete und er mit der flachen Hand die Saiten verstummen ließ, lag noch immer keine einzige Münze zu seinen Füßen. Missmutig fiel sein Blick auf den weitläufigen Marktplatz, zu dem die Menschen mit leeren Körben hineilten und mit gefüllten wieder verschwanden. Seine Ohren zuckten kaum merklich, als er das Getratsche der Frau hinter dem Gemüsestand auffing, welche gerade eine Kundin bediente.

»Habt Ihr das Neueste schon gehört?«, hörte er sie flüstern. Verschwörerisch senkte sie die Stimme, als könnte es sie sonst die Zunge kosten. »Habt Ihr von diesem Mann gehört, diesem...«

»Ihr meint diesen unheimlichen Kerl aus der Schänke?«, erkundigte sich die Frau vor ihrem Stand, während sie hastig ein paar rote Zwiebeln in ihren Korb legte.

»Ja, er soll ein Magier aus Dandelion sein, ein Ketzer! Bei Oktavia, habt Ihr seine Hände gesehen? Voll dunkelblauer Flecken sind sie, wie die Blätter von diesem verfluchten Baum auf den Hügeln. Ich sag Euch, der Grimmige selbst hat ihm das verpasst!«

Windt schnaubte verächtlich. Wenn die Leute auf den Straßen ängstlich von Magie und Zauberei sprachen, kamen sie ihm noch dümmer vor, als sonst. Ein Magier aus Dandelion... Natürlich wusste jeder von den Drillingstürmen, die die Magiergilde vor etlichen Jahren in den Ebenen von Anégal erbaut hatte. Inzwischen war Dandelion nicht nur für seine umfassende Büchersammlung oder als Sammelpunkt für angehende Magier bekannt. Angeblich wurden dort in den Schmieden auch Werkzeuge mit besonderen Eigenschaften und unzerstörbare Waffen hergestellt, von den geheimen Experimenten und Forschungen der Magiergilde ganz zu Schweigen. In Kessl hielt man von diesen Praktiken nicht viel und natürlich war es Abgesandten von Dandelion schon seit vielen Generationen verboten, das Dorf zu betreten.

»Und dann noch dieser elfische Fremdling«, setzte die Gemüsefrau ihren Tratsch fort. »Er trägt eine prunkvolle Rüstung, aber man erzählt sich, dass ein dunkler Schatten über ihm zu schweben scheint! Er ist heute hier angekommen, nachdem er die letzten Wochen viel im Westen herumgereist ist. Ich wette, er ist ein Mörder, so wie er aussieht. Sein Haar ist lang und so rot wie Blut!«

»Das ist das Blut seiner Opfer!«, klagte die Frau vor dem Gemüsestand. »Warum hat man ihn überhaupt ins Dorf gelassen. Er wird nichts als Unglück nach Kessl bringen, das weiß ich ganz bestimmt!»

»Dann verriegelst du besser alle Fenster und Türen!«, plapperte die Gemüsefrau. »Pass bloß auf, dass dir nichts geschieht. Schau dich noch einmal auf dem Marktplatz um. Ich glaube, so ein älterer Herr verkauft hier Talismane gegen Unglück.« Ihre Kundin bedankte sich murmelnd, malte das Zeichen der Zwölf in die Luft und machte sich anschließend auf den Weg.

Windt brauchte ihr nicht nachzusehen, um zu wissen, wohin sie es so eilig hatte. Angewidert rollte er mit den Augen. Ein Mörder mit blutigen Haaren und ein Magier mit blauen Fingern, was für ein Unsinn, dachte er im Stillen, während er hier und da eine Saite nachspannte.

Nach unbestimmter Zeit angestrengten Lauschens und mühseligen Lautenspiels verfluchte Windt den Tag und wollte sich gerade auf den Heimweg machen, als der Marktplatz plötzlich mit buntem Treiben angefüllt wurde. Ein kleines Lächeln erhellte sein Gesicht. Darauf hatte er gewartet: Die Zeit der Gaukler und Spielleute war angebrochen. Einmal in der Woche konnte man ihre schelmischen Künste bestaunen. Auch wenn Windt selten mit ihnen zusammen spielte, zählte er sich doch oft zu einem von ihnen.

Eine kleine Gruppe mit Harfen, Klampfen und anderen Instrumenten bewaffneter Spielleute steuerte direkt auf ihn zu. So, wie sie sich jetzt vor ihm aufbauten, konnten sie unmöglich aus der näheren Umgebung stammen. Vielleicht waren sie aus der Hauptstadt angereist und verfolgten nun aus irgendeinem unerklärlichen Grund den Plan, sich auf dem Land umzuschauen.

»Hey, junger Freund!«, begrüßte ihn der Vorderste, dessen froschgrünes Glöckchen-Gewand bei jeder Bewegung klingelte. »Welch herzergreifende Klänge du da von dir gibst!«

»Und Ambar zwick mich, was für ein außergewöhnlich schönes Instrument!«, stimmte sein Kollege ein, dessen Federkappe Windt an jene Räuber erinnerte, von denen man gelegentlich hörte. Jene, die von den Reichen nahmen und mit den Armen teilten.

»Wie wär's? Spielst du morgen mit uns auf dem Salirfest?«, fragte der Glöckchenmann.

Seine Frage erstaunte Windt. Eigentlich wussten doch nur die Dorfbewohner und vermutlich noch die Menschen aus der näheren Umgebung Kessls vom Mittsommerfest. Salir, so nannten sie die Sommermonate, in denen das göttliche Geschwisterpaar Juneliar und Junikon verehrt wurden. »Ich bin nicht so gern auf Festen...«, nuschelte er und zuckte innerlich zusammen. Das Sprechen bereitete ihm noch immer Schmerzen.

»Ach, komm schon, kleiner Spielmannsbube!« Herr Federkappe grinste und sein spitz gezwirbelter Schnurrbart dehnte sich zu beiden Seiten aus. Seine Zähne waren makellos. »Gesell dich doch zu uns! Gemeinsam liefern wir den Leuten ein Spektakel, das sie nie vergessen werden und von den verdienten Basalt lässt sich's bestimmt ein paar Wochen aushalten! Was meinst du?«

Windt hatte noch nicht einmal den Mund zu einer Antwort geöffnet, als aus Maelins Zuflucht plötzlich eine wundersame Flötenmelodie nach draußen drang. Windt staunte nicht schlecht. Wer immer da in der Schänke auf seinem Instrument spielte, schien ebenfalls ein eifriger Spielmann zu sein. Die Sehnsucht und Traurigkeit, die in der Melodie lagen, kannte er nur zu gut.

»Das wird ja immer besser!«, jubelte der Glöckchenmann und eilte mit wenigen Sätzen die singenden Stufen hinauf. Seine Kameraden folgten ihm eilig. Ihre Instrumente – Trommeln, Flöten, Geigen, Harfen und dergleichen mehr – welche sie auf dem Rücken, am Gürtel oder in den Tiefen ihrer Taschen mit sich trugen, gaben bei jedem Schritt ihre leisen Klänge von sich. Die Federkappe hielt kurz inne und wandte ihr Gesicht mit einem niemals fröhlicheren Grinsen Windt zu, der immer noch wie eine Statue neben der Schänke auf dem Boden saß: »Also, wir sehen uns morgen, Spielmannsbube! Sag einfach, Rubin schickt dich, das Volk zu unterhalten. Dann bist du willkommen!« Und schon war auch er in der Schänke verschwunden, aus der nur kurze Zeit später angeheitertes Gegröle nach draußen drang.

Windt seufzte leise in sich hinein. Seine Sinne folgten der Flötenmelodie und er wandte den Kopf, um zu dem Fenster etwa drei Fuß über ihm aufschauen zu können. Seine Augen weiteten sich, als er das Flackern in der Luft erspürte. Das darf doch nicht wahr sein!

In diesem Moment kletterte eine Weinrebe, angeregt von der bittersüßen Flötenmelodie, an der Häuserwand empor. Sie schlängelte sich über dem Fenster bis hin zu dem verwitterten Holzschild, auf dem in verblassten, orangefarbenen Lettern »Maelins Zuflucht« geschrieben stand. Sommerwinde frischten auf und brachten die Girlanden und Fähnchen auf dem Marktplatz zum Tanzen.

Staunend verfolgte Windt das Schauspiel der tanzenden Rebe, bis das Flötenspiel verebbte und die Wirklichkeit zurückbrachte. Der Junge blinzelte ein paar Mal, doch er konnte sich einfach nicht getäuscht haben. Die Kletterpflanze liebkoste wie in zärtlicher Umarmung das Schild über der Tür zur Schänke. Neugierig schnallte sich Windt die Laute auf den Rücken und erhob sich aus dem Gras. Leider war er zu klein oder das Fenster lag zu weit oben, als dass er einen Blick in den Schankraum hätte riskieren können. Vorsichtig glitten seine Augen nach links, hin zur Tür, wo in unregelmäßigen Abständen Gäste ein- und ausgingen. Sollte er es wagen, sich hineinzuschleichen? Seit er einmal versucht hatte, in Maelins Zuflucht zu spielen, hatte er die Schänke nie wieder betreten. Bierkrüge und Weinkelche waren nur ganz knapp an seinem Kopf vorbeigesegelt und nach einigen kurzen Rangeleien hatte der Wirt ihn vor die Tür setzen müssen.

Trotzdem, er wollte ihn doch nur einmal sehen, den Flötenspieler, der dieselben Gefühle in den Herzen der Menschen erwecken konnte, wie Windt es mit seiner Musik schon etliche Male getan hatte. Die Gemüsefrau hatte sich nicht geirrt, das wusste er jetzt. Ein Magier hatte sich Zutritt nach Kessl verschafft – jemand, der ähnliche Kräfte besaß wie Windt selbst. Und jetzt, zu dieser Stunde, saß er in Maelins Zuflucht!

Hastig griff Windt nach seiner Laute, setzte einen Fuß auf die unterste Stufe und schlich sich dann vorsichtig Stück für Stück die verwitterte Treppe hinauf. Die Tür unter dem Namensschild der Schänke knarrte, als Windt sie vorsichtig einen spaltbreit öffnete und verstohlen in den Schankraum lugte.

Es roch genau wie damals - nach altem Hellebardenholz, Schweiß, Buckelbier und vereinzelt nach den widerlichen Speisen, die Helic in seiner Küche zubereitete. Die dunklen, grob gezimmerten Tische passten zu den Gestalten, die an ihnen saßen. Schwermut zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab. Windt hatte einmal gehört, dass die meisten sich in der Schänke betranken, um »etwas loszuwerden« – mal abgesehen von dem Geld in ihren Taschen. Doch es gab auch andere...

Zu dieser Stunde saß ein Mann in Maelins Zuflucht direkt am Tisch gegenüber der Tür, eine Schar wild gestikulierender Männer um sich versammelt. Sein ausdrucksloses Gesicht hätte jedem noch so beherzten Mann einen Schauer über den Rücken gejagt. Und es war nicht nur sein Gesicht... Die Augen des Fremden, soweit Windt es durch den Türspalt erkennen konnte, leuchteten honigfarben, obgleich sie so kalt wirkten wie Eis.

Vorsichtig schob der Junge seinen Kopf durch die Tür. Was war nur an diesem Mann, dass ihn so faszinierte? Dass es ihm in den Fingern juckte, zu ihm herüberzuspringen und ihm einen ganzen Haufen wilder Fragen an den Kopf zu werfen? Woher kam der Fremde? Aus dem Westen? War er wirklich ein Elf, so wie es auf dem Marktplatz gemunkelt wurde? Wer waren die Männer, die er um sich versammelt hatte, seine Vasallen? Diener? Ohne Zweifel war das der andere Fremde, von dem auf dem Platz so ehrfürchtig geflüstert wurde. Sein langes, stolzes Haar wand sich wie ein Wasserfall tiefroten Blutes bis über seine Schultern.

Das alte Holz der Eingangstür ächzte leise, als Windt sich mit eingezogenem Kopf in den Schankraum schlich. Er warf einen schnellen Blick zum Tresen – von Helic war nichts zu sehen. Für den Augenblick erleichtert ließ der Junge die Tür zurück ins Schloss fallen und kauerte sich rechter Hand auf den Boden. Sein Rücken berührte die kalte Steinwand der Schänke. Dort würde der Wirt ihn nicht sofort bemerken und er konnte in Ruhe seinen Beobachtungen nachgehen.

Als Windt den Blick zurück in Richtung des rothaarigen Fremden schweifen ließ, erblickte er sie – die Rüstung. Im Licht der Kerzen und Lampen im Raum strahlte sie wie ein nagelneuer Silbersoblin und der Junge glaubte, nie etwas Prachtvolleres gesehen zu haben. Sie war mit weiß glänzenden Schnörkeln verziert und wirkte eines erfahrenen Kriegers würdig. Darüber trug der Fremde einen schneeweißen mit himmelblauen Ornamenten verzierten Umhang. Hinter seinem Kopf erkannte Windt den Griff eines mächtigen Schwerts.

Als sein Blick weiterwanderte, bemerkte er, wie der Fremde ihn seinerseits musterte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als sich ihre Blicke nur ein, zwei Sekunden lang begegneten, und Windt glaubte eine beklemmende Ehrfurcht in seinem Herzen spüren zu können. Dieser Kerl konnte unmöglich ein Mensch sein! Mit einem Ausdruck im Gesicht, als würde er in Windt nichts anderes sehen als eine stinkende fette Sumpfratte hob er den Kelch, der zu seiner Linken auf dem Tisch stand und nippte an dessen Inhalt.

In diesem Moment wurde Windt bewusst, wie unverhohlen er den Fremden begaffte und schnell wandte er die Augen ab von dem, was er noch Stunden hätte bestaunen können. Hoffentlich habe ich ihn nicht verärgert. Hoffentlich kommt er nicht herüber, schoss es ihm durch den Kopf. Es würde doch gewiss keine Seele kümmern, wenn ihn dieses Wesen mit einem einzigen Streich seiner Klinge niederstreckte! Doch die Reaktion blieb aus und Windt atmete erleichtert auf.

Als Nächstes wanderte sein Blick über die Gefährten des unheimlichen Fremden. Ihre Gesichter waren größtenteils von den Kapuzen ihrer Umhänge verborgen. Die Rüstungen unter ihren Wappenröcken waren aus Leder und nicht annähernd so prächtig wie die des Bluthaarigen. Erst kurze Zeit später erkannte Windt das goldene Sonnensymbol, das jeder von ihnen auf der Brust trug.

Ein Wappen vielleicht? Wie auch immer. Windt schüttelte den Kopf und entledigte sich seiner Faszination. Er hatte keine Lust mehr herauszufinden, warum diese Männer wirklich hier waren. Sie sollten einfach nur schnell wieder verschwinden. Männer in Rüstungen brachten meist nichts als Ärger, das sagte selbst sein Großvater immer wieder. Hüte dich vor den Gepanzerten, denn sie führen den eisigen Hauch des Todes mit sich.

Erst jetzt bemerkte Windt, wie sehr seine Beine vom Knien schmerzten und er ließ sich vorsichtig auf dem steinernen Boden nieder. Nun fiel ihm auch wieder ein, weshalb er eigentlich erst an diesen muffigen Ort gekommen war: Der Flötenspieler!

Die Spielleute hatten sich ganz rechts an den einzigen Tisch am Fenster gesetzt. Ihre Taschen schienen voll zu sein, denn jeder hatte einen gut gefüllten Krug vor sich und ihre Trinklieder erfüllten den ganzen Raum. Bei ihnen saß eine gänzlich in schwarz gehüllte Gestalt und nippte an einem Becher mit dampfender Flüssigkeit. Windt vermochte nicht einmal zu sagen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Die Kapuze ihres Mantels verdeckte das Gesicht dieser unheimlichen Gestalt, doch so langsam dämmerte es dem Jungen, mit wem er es hier zu tun haben musste. Die Frauen draußen auf dem Marktplatz hatten von einem dandelischen Magier gesprochen und kurz darauf war jene liebliche Flötenmelodie aus Maelins Zuflucht auf den Platz gedrungen. Handelte es sich bei Mann mit den Malen an beiden Händen und dem geheimnisvollen Flötenspieler um ein und dieselbe Person? Zu gerne hätte Windt ihn einmal aus der Nähe begutachtet. Wenn er wirklich ein Magier aus Dandelion war, wusste er dann womöglich, woher seine unheimliche Beziehung zum Feuer herrührte? Konnte er ihn gar von dieser unliebsamen Gabe befreien, das Feuer von ihm nehmen, damit er endlich wie die anderen Jungen im Dorf ein einfaches, sorgenfreies Leben führen konnte, so wie er es sich erhoffte? Doch ob derselbe auch der Flötenspieler war, darauf fand Windt im Augenblick keine Antwort. Von einer Flöte war weit und breit nichts zu sehen, einzig ein dunkler Reisesack ruhte neben der Gestalt auf der Sitzbank.

Der vermeintliche Flötenspieler nahm noch ein paar weitere Züge aus dem dampfenden Becher, ließ sich ansonsten jedoch nichts anmerken. Von den lauthals feixenden Spielleuten schien sie beinahe gar nicht beachtet zu werden.

Unweigerlich fiel Windts Aufmerksamkeit noch einmal auf den rothaarigen Fremden zurück, dessen Platz sich nicht verändert hatte. Sein Kelch war leer und auch seine Lakaien hatten offenbar allen Sold versoffen. Ihr Lallen drang zu Windt herüber und ein weiteres Mal stahl sich die Angst in sein Herz. Trunkene Männer neigten häufig dazu, die Kontrolle über sich zu verlieren. Er konnte nur hoffen, dass sie ihn nicht zur Zielscheibe machten. Er wollte keinen Ärger und das letzte, was er gebrauchen konnte, war, dass sich das Schauspiel von vor wenigen Stunden auf dem Marktplatz wiederholte.

Als hätte er Windts Gedanken vernommen, erhob sich der rothaarige Fremde von seinem Platz und schritt auf den Wirt zu, der inzwischen hinter seine Theke zurückgekehrt war und dort pfeifend vor sich hinarbeitete. Die Rüstung klapperte bei jedem Schritt. Bei der unverfrorenen Eleganz, die dieser Fremde ausstrahlte, hätte Windt dahinschmelzen können. Jeder seiner Schritte war bestimmt, keine einzige Bewegung dem Zufall überlassen. Sein Großvater war in seinem langen Leben nur ein oder zweimal richtigen Elfen aus den östlichen Wäldern begegnet. Seinen Worten nach hatten sie oft diese Wirkung auf jemanden, der sie zum ersten Mal sah.

Der Fremde musterte Helic mit einem durchdringenden Blick und der dicke Wirt blinzelte erwartungsvoll zurück. Die Maus vor der Schlange, dachte Windt ehrfürchtig.

Ohne ein Wort knallte der Bluthaarige eine Hand voll Silber-Soblin auf den Tisch - selbst seine Hände waren in Metall gehüllt - und wandte sich dann stumm an seine angetrunkenen Kameraden. Diese verstanden sofort und räumten, ohne auch nur einen Moment zu zögern, ihre Bänke.

»Beehrt uns bald wieder, edle Herren!«, schnurrte Helic.

Für eine Hand voll Silber küsst dieses Lästermaul noch jedem die Füße, dachte Windt angewidert.

Bevor sich der Fremde zum Gehen wandte, ließ er seinen Adlerblick noch einmal durch den ganzen Raum schweifen, als ob er etwas Wichtiges vergessen hätte.

»Ihr da!«, erklang seine Stimme so scharf und plötzlich, dass Windt beinahe zusammenfuhr. Sein Anliegen galt den Spielleuten in der Fensterecke und obwohl er sich offensichtlich Mühe gab, seine Stimme nicht allzu kalt klingen zu lassen, meinte der Junge, die Verachtung heraushören zu können. »Ihr Spielleute! Stammt ihr aus diesem Dorf?«

Die Gaukler starrten höhnisch zu ihm herüber, die Gesichter rot vom Alkohol. »Nein, werter Herr, wir sind nur auf der Durchreise. Verzeiht!«

»Ich stamme aus diesem Dorf!« Windt hätte sich augenblicklich auf die Zunge beißen können. In Sekundenschnelle hatte er alle Aufmerksamkeit im Raum auf sich gezogen. Nun war es auch egal, solange der Fremde hier war, würden sie ihre Zungen im Zaum halten. Helic jedoch machte ihm einen Strich durch die Rechnung:

»Bei Augustus, du schon wieder! Was fällt dir eigentlich ein, hier herum zu lungern! Verschwinde sofort aus meinem Gasthaus, du Teufelsbalg!«.

»Schweigt!«, unterbrach ihn eine schneidende Stimme. Windts Gedanken überschlugen sich, als er bemerkte, dass es der bluthaarige Fremde war, der ihn zu verteidigen versuchte. Sogar eine Hand hatte er erhoben und Helic hatte sein Lästermaul tatsächlich ohne zu zögern zum Schweigen gebracht.

Windt erhob sich hastig und senkte demütig den Kopf, als ihm der Mann mit der Prunkrüstung entgegentrat. Er konnte spüren, wie ihn der Blutschopf mit abschätzigem Blick musterte. »Die Farbe deines Haars...? Wie junger Schnee... Äußerst ungewöhnlich.«

»An diesem Nebelsohn ist so gut wie alles ungewöhnlich«, versuchte Helic es noch einmal. »Ständig lungert er nördlich des Dorfes herum. Ihr habt vielleicht von dieser Gegend gehört, den Hügeln des Vergessens? Auch wenn er der Enkel vom alten Kräuterheiler ist, ich trau ihm nicht über den Weg. Macht ständig nur Ärger – stiehlt, streunt wie ein räudiger Straßenköter herum und spuckt dabei auf die Großen Zwölf und unsere Kirche.«

Ein einziger warnender Blick des fremden Kriegers genügte und Windt hätte schwören können, dass der Gasthausbesitzer in diesem Augenblick seine Zunge verschluckt hatte. »Du stammst also aus diesem Dorf?«, wandte sich der Blutschopf wieder an ihn, unverhohlenes Misstrauen in der Stimme. »Wie ist dein Name, Junge?«

»Windt!«, schoss es ruckartig aus ihm heraus. »Ja, mein Herr, so ist es. Was... Wie kann ich... Euch zu Diensten sein?«

»Nun...«, der unheimliche Fremde ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Auf einmal schien Windt die Schänke so still. Totenstill. »Weißt du, was ein Gläserner Druide ist, Junge?« Er atmete geräuschvoll durch die Nase ein, als Windt verwirrt den Kopf schüttelte. Es schien, als müsse er sich zusammenreißen, Geduld zu bewahren. »Ich bin auf der Suche nach jemanden, der sich - und sei es auch nur stümperhaft - mit dem Heilen von Krankheiten und derlei auskennt. Gibt es so jemanden in eurem Dorf?« Die Worte kamen langsam und überlegt, seine Stimme hätte den Frauen auf dem Marktplatz gefallen. Windt jedoch glaubte, eiskalte Verachtung aus ihr heraushören zu können.

»Mein... Großvater«, murmelte er. Ein falsches Wort, Windt, nur ein falsches Wort und er schneidet dir den Kopf ab!

»Fantastisch!« Das Wort kam dem Fremden ohne jede Begeisterung über die schmalen Lippen. »Würdest du mich zu ihm führen? Ich schätze, wir müssen seine Dienste in Anspruch nehmen. Wenn er seine Sache gut macht, dürft ihr mit meiner Großzügigkeit rechnen.«

»Gewiss doch, Herr. Bitte folgt mir.« Ohne den Kopf zu heben, schlurfte Windt aus der Schänke, den Wirt, die Spielleute, die schwarzgekleidete Gestalt – alles hinter sich zurücklassend. Für ihn zählte nur noch, dass er seinem Großvater soeben einen großen Auftrag beschert hatte, mit dem sich sicherlich ein paar Silbersobline, wenn nicht gar goldene Dalmadt verdienen ließen. Den Worten des Bluthaarigen zu urteilen bestimmt nicht zu wenige. Die Euphorie in seinem Herzen wich jedoch schon bald einem zarten Hauch von Angst und Ehrfurcht.

Das Einzige, was ihm signalisierte, dass ihm der Blutschopf folgte, war das im Takt klappernde Geräusch seiner Rüstung und das angeregte Tuscheln seiner Lakaien. Und doch... Windt spürte sie immer noch, diese ungebändigte, gewaltige Kraft, welche von diesem Fremden ausging. Es war, als würde man einem Volkshelden in die Augen blicken und dabei seine Taten sehen, wie heroisch und edelmütig er zahlreiche Ungeheuer bekämpft, die Völker aus unzähligen Welten ein ums andere Mal vor Tod und Unterdrückung befreit hatte. Doch war es bei diesem Blutschopf eben nicht genau dieses Gefühl. Wahrlich, man spürte einen Helden in diesem Mann, aber da war auch noch etwas anderes, ein Gefühl, dass Windt unweigerlich die Bilder von rotem Blut in den Kopf trieb, von Bergen zerbrochener Schädel und Knochen, ein Gefühl, dass ihn bis ins tiefste Innere seines Körpers schaudern ließ. Der eisige Blick des Blutschopfes tat sein Übriges, um diese Ehrfurcht, diese Beklommenheit heraufzubeschwören. Unzählige Male nach jenem schicksalhaften Tag hatte sich Windt gefragt, wieso er seinem Gefühl nicht vertraut hatte, wo er es doch sonst immer tat.

Als die Dorfbewohner auf dem Platz die sonderbare Prozession erblickten, neigten viele ehrfürchtig die Köpfe, andere malten das Zeichen der Zwölf zum Schutz vor Unglück in die Luft. Wieder andere flüchteten, so unauffällig es die Beine geboten, in ihre Hütten. Windt hörte die Gemüsefrau ängstlich flüstern: »Ich habe es immer gewusst! Dieser Junge wird uns eines Tages alle ins Grab bringen! Die Götter stehen uns bei...«

Mit gemischten Gefühlen steuerte er mit der im Gänsemarsch wandernden Gruppe den sandigen Pfad an, der sich nördlich des Platzes zwischen den angrenzenden Hügeln des Vergessens zum Hof seines Großvaters hinaufschlängelte.

KAPITEL 2

Der gefallene Elf

Zufrieden hockte der alte Heiler über seinem Kräuterbeet und wischte sich mit dem Arm den Schweiß von der Stirn. Die Handschuhe, die er sich zum Schutz vor Schnappnesseln angezogen hatte, standen vor Erde und Dreck. Nichtsdestotrotz war er zufrieden mit seiner Arbeit. In einigen Monaten würde es eine reiche Ernte geben, einige Kräuter konnte er wahrscheinlich schon früher verarbeiten. Gerade wenn Zamberl in seinem Mantel aus Bärenpelz erwachte, um den Winter in der Welt einzuleiten, waren viele Leute auf Heiler angewiesen.

Ein verhaltenes Lächeln fuhr über das Gesicht des Alten. Er hatte in den letzten Tagen und Wochen viel von dem Geld, das er für seine Dienste bekommen hatte, angespart. In der nächsten Woche würde er den Jungen damit überraschen und mit ihm zusammen eine Reise nach Agnorm unternehmen. Der Alte würde es so aussehen lassen, als müsse er dort noch ein paar weitere Zutaten einkaufen – Fieberschneckenschleim zum Beispiel, und Königinnenkraut gegen Frostbeulen. Gleichzeitig konnte er seinem Sproß die Stadt zeigen und ihn vielleicht bei dem einen oder anderen Lehrmeister vorstellen.

Er seufzte vor sich hin. Wie oft in der Woche beschwerte sich Windt darüber, dass er viel zu selten Geld von den Dorfbewohnern forderte? Manchmal gaben sie ihm Brot für seine Dienste, Obst, Gemüse oder in den kalten Monaten auch warme Decken. Das war ihm als Bezahlung stets genug, er war nicht geizig, auch wenn er sich über jeden eingenommenen Kupfer-Basalt freute.

Ächzend erhob sich der ehemalige Feldscher, nahm den Protest von Gliedern und Rücken ungerührt hin und schaute zu dem aufgeschichteten Brennholz hinüber. Es wurde bald Zeit für das Abendessen und wenn er mit dem Jäten fertig war, konnte er sich nun auch genauso gut ans Gemüseschneiden machen. Copper trat aus dem Haus und wedelte zur Begrüßung mit dem buschigen Schwanz. Im Vorbeigehen streichelte ihn der Heiler über den Rücken und wollte gerade ins Haus gehen, als der Hund aufgeregt zu bellen begann. Der Alte hielt an der Tür inne und blinzelte in das allmählich sinkende Sonnenlicht.

Dann erspähte er Windt, der sich an die Spitze einer kleinen Prozession gesetzt hatte und mit kaum merklich eingezogenem Kopf auf ihren Hof zusteuerte. Seine Begleiter trugen helle Waffenröcke und wallende Kapuzenumhänge – vermutlich waren es Reisende, die auf dem Weg nach Agnorm ihren Vorrat an Kräutern aufstocken wollten. Sollten sie nur, er würde sie nicht aufhalten. Das Essen reichte kaum für zwei und außerdem war er müde und wollte sich in seiner gemütlichen Stube von der schweißtreibenden Arbeit erholen. Den ganzen Tag hatte er Unkraut gejätet, Gemüse eingesammelt, Holz aufgeschichtet und hier und da im Haus einige Reparaturen vorgenommen. Für heute war es genug!

»Seid gegrüßt, die Herren! Wenn Ihr vorhabt, nach Agnorm weiterzureisen, werdet Ihr vermutlich erst morgen Abend dort ankommen!«, rief er den Fremden zu. »Zumindest, wenn Ihr zu Pferde unterwegs seid. Windt, du kannst schon mal ins Haus gehen und mit dem Gemüseschneiden anfangen, wir essen heute zeitig! Ich bin zum Umfallen müde.«

Der Junge ließ die Gruppe am Hofeingang stehen und eilte zu ihm herüber, die Aufregung war ihm ins Gesicht geschrieben. »Großvater, diese Herren wünschen, deine Dienste in Anspruch zu nehmen!«, rief er begeistert. »Sie suchen einen Heiler und ich war zufällig in der Nähe und-«

»Ist schon gut, Junge«, grummelte der Alte ergeben. »Dann kümmere ich mich schnell darum und danach machen wir uns ans Essen, einverstanden?« Der Kräuterheiler schaute zu den versammelten Weißmänteln hinüber. Sie hatten sich die Kapuzen so dicht ins Gesicht gezogen, dass man sie für Geister hätte halten können. Im Dorf mussten sie für einiges Aufsehen gesorgt haben. »Tretet näher!«, winkte er sie heran und erkannte den Rothaarigen in seiner Rüstung als ihren Hauptmann. »Mit wem habe ich die Ehre, was kann ich für Euch tun?«

Vor seinen alten Augen wuchs der Gepanzerte in die Höhe und als er leibhaftig vor ihm stand, war er zu einem wahren Hünen geworden, der den Alten um bestimmt zwei Haupteslängen überragte. Misstrauisch nahm der Heiler den Harnisch des Hauptmanns genauer in Augenschein. Ein Abgesandter des Dalzars aus Dandelion oder Lindtheim konnte er nicht sein. Die Verzierungen auf der polierten Oberfläche sprachen dafür, dass diese Fremden von weit herkamen, sehr weit her. Dies war eine Prunkrüstung, die dafür gedacht war, Eindruck zu schinden. Er selbst hatte nie so etwas Kostbares besessen – und wozu auch? Er hatte als einfacher Feldscher an Schlachten teilgenommen und war niemals an die Tische der Großen geladen worden.

»Wenn Ihr gestattet«, entgegnete der Fremde, dessen Haar so rot wie Blut war. Bei seiner Stimme regte sich etwas im Inneren des alten Mannes. »Lord Serias To'Nihlin. Ich bin mit meinen Männern auf der Suche nach den Erben der Gläsernen Druiden und meine Suche hat mich in Euer Dorf geführt. Ich nehme an, der Junge hat nicht gelogen und ihr seid ein Heiler, nicht wahr?«

Als der Großvater den Namen des Fremden vernahm, wich ihm das Blut aus dem Gesicht. Er nahm den Hünen mit dem langen, roten Haupthaar genauer in Augenschein, musterte sein Antlitz und kniff dann die Augen misstrauisch zusammen.

»Serias To'Nihlin, sagtet Ihr?«, fragte er langsam und leise, bevor er sich mit todernster Miene an seinen Enkel wandte: »Windt, geh ins Haus! Verriegele die Tür und bleib bei Copper!«

Der Junge schaute verdutzt – natürlich! Er hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging und wenn es nach dem Willen des Alten ging, sollte das vorerst auch so bleiben. »Aber... ich... Großvater? Ich wollte doch nur...«, stotterte Windt, doch der alte Heiler schob ihn hinter sich und baute sich dann vor dem Hauptmann der kleinen Gruppe auf.

»Mach schon, Junge! Geh ins Haus und bleib dort, bis ich dich holen komme!«, befahl er noch einmal und diesmal gehorchte Windt. Sein Großvater wartete, bis der Junge im Haus verschwunden war und er den Riegel hörte, der auf der anderen Seite der Tür vorgeschoben wurde. Erst dann setzte er das Gespräch mit Serias fort, sorgfältig darauf achtend, die Worte langsam und mit Bedacht zu wählen. »Es ist lange her...«

»Fünfzig Jahre, wenn nicht mehr«, bestätigte der Blutschopf. »Ihr habt einiges von Eurer einstigen Statur und Kraft eingebüßt, wie ich sehe.«

»Und Ihr seid noch am Leben«, erwiderte der Heiler kalt.

Auf dem Gesicht des Hauptmanns erschien ein Lächeln, in seinen Augen lag ein unheilvolles Leuchten. »Seine Majestät wird entzückt sein. Endlich habe ich Euch gefunden, einen der letzten menschlichen Erben der Gläsernen Druiden. Der Rest der Welt hat Euresgleichen längst vergessen.« Er rümpfte die Nase und wandte den Blick zu dem kleinen Dorf im Süden hinüber. »Sie fürchten uns, ohne dass wir ihnen einen Grund dafür gegeben hätten.«

»Was vermutlich eher nach Eurem Geschmack gewesen wäre, wie ich vermute«, warf der alte Heiler ein und ließ den Gefallenen nicht aus den Augen.

»Versteht mich nicht falsch. Manchmal kann es auch ganz amüsant sein, all das Blut gegen ein kühles Buckelbier zu tauschen, um der alten Heimat Willen. Abgesehen davon stellt so ein armseliges Dorf für mich wohl kaum eine Bedrohung dar. Ich hatte ehrlich nicht vermutet, dass es überhaupt noch existiert.« Jetzt glitt Serias Blick über den Hof, das Beet, den verwaisten Stall neben dem Haus und sein seltenes Lächeln wurde zu einem noch selteneren Grinsen. »Ihr habt es also endlich geschafft, Euch niederzulassen. Na ja, wenn man das so nennen kann.«

Der alte Heiler starrte ihm unbeirrt entgegen. War es wirklich schon fünfzig Jahre her? Für einen Menschen mochte dies eine halbe Ewigkeit bedeuten, für den Elf, der Serias To'Nihlin einst gewesen war, vermutlich nur ein paar unbedeutende Augenblicke. Einst waren sie Waffenbrüder gewesen, die unter einem gemeinsamen Banner gedient hatten. Doch dann hatte der Wahnsinn Serias' Geist vergiftet. Er war zu einem Gefallenen geworden, wie viele andere Elfen auch. Der alte Kräuterheiler war bislang überzeugt gewesen, sie wären mit dem Ende des letzten Krieges verschwunden, doch nun hatte der Grimmige den Schlimmsten unter ihnen von der Kette gelassen.

»Sagt mir einfach, was Ihr wollt und dann verschwindet aus unserem Dorf, Blutelf!«, knurrte der ehemalige Feldscher. Er wusste, dass er diesem To'Nihlin im Ernstfall nichts entgegenzusetzen hatte. Serias mochte mittlerweile an die dreihundert Jahre alt sein, doch im Gegensatz zu ihm schien er kaum an Kraft eingebüßt zu haben.

Der Gefallene schob sich das Haar hinter die spitzen Ohren. »Nun gut, kommen wir also zum Grund meines Besuches. Wie bereits erwähnt, bin ich auf der Suche nach den Erben der Gläsernen Druiden. Nur mit ihnen haben die Wälder das Geheimnis um das mächtigste aller Elixiere geteilt, das aus der Essenz des Dostarsiels gewonnen wird, dem seltensten aller Pilze. Euer Vater wusste um dieses Geheimnis und er war ein Gläserner Druide. Er muss sein Wissen an Euch weitergegeben haben, so wie es die Tradition verlangt!«

»So viele Jahre gingen ins Land und Ihr habt Euch kein bisschen verändert. Noch immer strebt Ihr nach dem, was unerreichbar ist, noch immer jagt Ihr alten Wundern hinterher und lasst Euch blenden von der Gier, der Ihr verfallen seid, als Ihr ein Gefallener wurdet. Der Pilz, von dem Ihr sprecht, ist ein Mythos, eine Legende. Und selbst wenn ich wüsste, wo er zu finden ist oder wie man aus ihm ein Erzelixier herstellt, wäret Ihr der Letzte, dem ich davon erzählen würde.«

»Nun seid doch nicht so stur!«, entgegnete Serias mit erhobener Stimme. »Ich weiß genau, dass Ihr mir etwas verschweigt. Das Wissen der Druiden muss an einen Blutsverwandten weitergegeben werden! Ihr müsst etwas wissen!«

»Für Gefallene haben wir hier keinen Platz, Serias. Ich denke, die Welt wird es verkraften, solltet Ihr vor Eurem Herrn in Ungnade fallen... Und jetzt verlasst meinen Hof. Lasst Euch hier nie wieder blicken!«