Mythor 20: Der Mann auf dem Einhorn - Hans Kneifel - E-Book

Mythor 20: Der Mann auf dem Einhorn E-Book

Hans Kneifel

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Beschreibung

Nachdem der Lichtbote nach seinem Sieg über die Finsternis die Welt sich selbst überlassen hatte, begannen die Kräfte des Bösen, die sich in die Dunkelzone geflüchtet hatten, wieder zu erstarken. Inzwischen greifen sie aus der Dunkelzone, einem Ring kosmischer Trümmer, der die Welt umgibt und in eine Nord- und eine Südhälfte teilt, an und beeinflussen bereits weite Teile der nördlichen Länder und deren Bewohner. Das gilt besonders für die Caer, ein Kriegsvolk, das, von Dämonenpriestern angeführt, einen Eroberungsfeldzug beginnt und seine Nachbarn mit Feuer und Schwert heimsucht. Im Verhältnis zu den Horden der Caer ist die Zahl derer, die auf Seiten der Lichtwelt gegen die Mächte des Dunkels kämpfen, erschreckend gering. Eigentlich ist es nur eine kleine Gruppe von Menschen, die angeführt wird von Mythor, den man den Sohn des Kometen nennt. Gegenwärtig hat der junge Held der Lichtwelt gerade eine bittere Enttäuschung erlebt. Mythor fand im verwunschenen Tal die für ihn bestimmten legendären Begleiter nicht mehr vor, da Hester, der Sohn des Königs von Nyrngor, sie ihm sozusagen vor der Nase weggeschnappt hat. Hester ist nun DER MANN AUF DEM EINHORN ...

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Nr. 20

Der Mann auf dem Einhorn

von Hans Kneifel

Nachdem der Lichtbote nach seinem Sieg über die Finsternis die Welt sich selbst überlassen hatte, begannen die Kräfte des Bösen, die sich in die Dunkelzone geflüchtet hatten, wieder zu erstarken. Inzwischen greifen sie aus der Dunkelzone, einem Ring kosmischer Trümmer, der die Welt umgibt und in eine Nord- und eine Südhälfte teilt, an und beeinflussen bereits weite Teile der nördlichen Länder und deren Bewohner.

Das gilt besonders für die Caer, ein Kriegsvolk, das, von Dämonenpriestern angeführt, einen Eroberungsfeldzug beginnt und seine Nachbarn mit Feuer und Schwert heimsucht.

Im Verhältnis zu den Horden der Caer ist die Zahl derer, die auf Seiten der Lichtwelt gegen die Mächte des Dunkels kämpfen, erschreckend gering. Eigentlich ist es nur eine kleine Gruppe von Menschen, die angeführt wird von Mythor, den man den Sohn des Kometen nennt.

Gegenwärtig hat der junge Held der Lichtwelt gerade eine bittere Enttäuschung erlebt. Mythor fand im verwunschenen Tal die für ihn bestimmten legendären Begleiter nicht mehr vor, da Hester, der Sohn des Königs von Nyrngor, sie ihm sozusagen vor der Nase weggeschnappt hat.

Hester ist nun DER MANN AUF DEM EINHORN ...

Die Hauptpersonen des Romans

Mythor – Der Sohn des Kometen am Berg der Gesichter.

Feithearn – Ein Caer-Priester als Statthalter von Nyrngor.

Hester – Der Mann auf dem Einhorn.

Torasc – Hesters Gegenreiter.

Urzuguhr

1.

Der pfeifende Westwind fegte dichte Schneeschauer über das Land. Der Winter war endgültig über Dandamar hereingebrochen. Die beißende Kälte hatte nachgelassen, aber der einsame Reiter und sein Pferd froren trotzdem. Das Fell des gedrungenen Rappen dampfte, der Mann im Sattel hatte den Kragen des Fellmantels hochgeschlagen und festgeknotet, und der Atem stand als weiße Wolke vor dem Gesicht.

Es war ein einzelner Reiter, der seine Spur durch die dünne Schneedecke zog. Die Silhouette des schwarzen Pferdes hob sich scharf gegen die weißen Flächen ab. Die Hufspur war gestochen scharf, und jedem Wildländer wäre es ein leichtes gewesen, dem Reiter zu folgen. Die Spur führte aber nicht gerade durch die kältestarre Einöde, sondern sie ließ erkennen, dass der Reiter nicht genau zu wissen schien, wohin er die Schritte des Tieres lenken sollte.

Mythor befand sich östlich des verwunschenen Tales.

Seit Tagen ritt er in mäßigem Tempo dahin. Bisher hatte er nicht ein einziges menschliches Wesen gesehen. Trotzdem hatte er das Gefühl gehabt, als beobachteten ihn unsichtbare Augen. Im Wald, abseits von seinem Weg, rührte sich nichts. Nur hin und wieder fiel Schnee von den Ästen.

Mythor zog am Zügel.

Willig blieb der Rappe stehen. Mythor richtete sich in den Steigbügeln auf und betrachtete nachdenklich seine eigene Spur. Zwar verlief sie stets in der bestmöglichen Deckung, aber sie bewies ihm endgültig, dass ihn der Helm des Gerechten im Stich gelassen hatte.

Noch fühlte er bisweilen dieses eigenartige Summen und das Wispern und Flüstern der vagen gedanklichen Beeinflussung, aber seit Tagen ließ sich davon nichts ableiten.

Warum half ihm der Helm jetzt nicht?

Einmal trieb er ihn in diese Richtung, dann wieder in eine andere. Im Augenblick ritt er nach Süden, aber das konnte sich rasch ändern. Auf seinem Weg hierher hatte er nicht einmal in weiter Ferne etwas gesehen, das seiner Betrachtung wert gewesen wäre. Nichts!

Mythor zuckte mit den Schultern und trieb den Rappen wieder an. Das Tier schnaubte und stapfte weiter durch den Schnee. Mythor ritt zwischen dem Wald und der langgezogenen Buschreihe hervor und sah weit voraus, zwischen den stäubenden Schneefahnen, ein Haus. Es schien ein verlassener Bauernhof zu sein. Verlassen deswegen, weil aus dem Kamin kein Rauch aufstieg.

Der Helm flüsterte ihm nichts zu. Er spürte keinen Drang und keinen Zwang, dorthin zu reiten.

Trotzdem ritt er auf das einzeln stehende Gehöft zu. Es wurde langsam Abend, und er begrüßte die Gelegenheit, nicht unter Bäumen oder in feuchtem Laub schlafen zu müssen. Vielleicht fand sich auch noch Futter für den Rappen.

Auch das Pferd schien etwas zu wittern, denn es wurde schneller, ohne dass Mythor die Sporen einsetzte.

Stunden, so schien es, dauerte der Ritt. Als Mythor das Loch in der Hecke passierte, keuchten die Lungen des Tieres wie Blasebälge. Der heiße Atem des Rappen gefror in der Luft. Ein letzter Schneeschauer wirbelte um den Reiter, als er sich von einer niedrigen Tür aus dem Sattel gleiten ließ. Er spürte trotz der dicken Stiefel seine Füße nicht mehr. Langsam zog er das Tier hinter sich her, bis er einen windgeschützten Winkel und dort eine geduckte Scheune erreichte. Holzstapel und große, schneebedeckte Haufen schirmten den Hof ab.

»Ein glücklicher Tag!«

Die Scheune, in der Halbdunkel herrschte, war halb voll Heu. Mythor sattelte das Pferd ab, rieb es trocken und sah zu, wie der Rappe hungrig zu fressen begann.

Ein großer Holzbottich stand neben dem aufgerissenen Torflügel der Scheune. Der Inhalt war zu Eis gefroren. Mythor zog das Gläserne Schwert, hielt es in beiden Händen und lief zum Haus hinüber. Er hämmerte mit der Faust gegen die Tür; niemand antwortete. Er stieß die Tür auf und blickte in einen niedrigen Raum hinein, in dessen Zentrum ein riesiger offener Kamin gemauert war.

»Ist jemand hier?«, brüllte Mythor. Er durchquerte den Raum, hielt die Hand in die Asche. Sie war eiskalt. Vielleicht, so dachte er, war der Bauer bei der Nachricht, dass die Caer Nyrngor angriffen, in die Stadt geflüchtet.

Mythor fand Werkzeug zum Funkenschlagen. Kurze Zeit darauf brannte ein kleines Feuer im Kamin, und er konnte vorsichtig trockenes Holz darauf schichten, das er unter dem Herd fand.

Zuerst wärmte sich Mythor am Feuer. Dann schwenkte er den Kessel über die Flammen. Als sich der massive Eisbrocken darin aufgelöst hatte, goss er das noch immer kalte Wasser in einen Trog und, nach kurzer Überlegung, holte er den Rappen und einen Armvoll Heu in denselben Raum. In der hintersten Ecke fraß das Pferd, tauchte sein Maul in das aufgetaute Wasser, und schließlich holte Mythor auch noch den Sattel.

Dann erst legte er wuchtige Kloben nach, keilte einen Holzstamm gegen die Tür und zog den Mantel aus.

Draußen heulte der Sturm.

Als er durch einen Fensterspalt lugte, sah er, dass es bereits finstere Nacht war. Er packte die Reste des Proviants aus, fand Öl in einem Krug, und irgendwie gelang es ihm, aus den kärglichen Zutaten eine würzige, heiße Suppe zu kochen. Er ließ den Rest im Kessel, für den nächsten Morgen. Dann nahm er den Helm ab, der die letzte Zeit nutzlos gewesen war.

»Man kann nicht alles haben«, murmelte er und bereitete sich neben dem Feuer ein Lager aus alten Decken, einigen Fellen und dem Laub, das in geflochtenen Körben war. Das Schwert rammte er in eine Ritze der Bodenbretter.

Mit geschlossenen Augen, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, vor sich das wärmende Feuer, lag er da. Noch schlief er nicht; die Ereignisse seit dem Absturz der Nomadenstadt zogen in qualvoller Langsamkeit an seinem inneren Auge vorbei. Er war ebenso ratlos wie vor dem Betreten des verwunschenen Tals. Im Bewusstsein, an einem toten Punkt angekommen zu sein, schlief er ein. Ruhig stand der Rappe in seiner Ecke und kaute an den Halmen des Heubüschels.

Am Morgen war aus dem Feuer ein großer Haufen schwarzroter Glut geworden. Rasch erhitzte er sich die Suppe, die Mythor mit einem grob geschnitzten Holzlöffel aß.

Draußen herrschte eine tödliche Ruhe.

Mythor wusch sich Gesicht und Hände im eiskalten Wasser. Dann blickte er durch den Fensterspalt: Hof und Scheune waren unberührt, es gab keine Spuren. Als er durch einen zwei Finger breiten Riss der Eingangstüre starrte, zuckte er zurück und sah dann genauer hin.

Einen halben Bogenschuss weit, im Loch der Hecke, standen fünf Gestalten in dicker Pelzkleidung. Ihre Gesichter waren unter den Kapuzen nicht zu erkennen. Jeder der Krieger, an deren Gürtel Schwerter und Äxte hingen, hielt zwei oder drei Wurfspeere in der Hand.

Wildländer!

*

Es herrschte sternenlose Nacht, und doch war es nicht völlig finster. Die Männer konnten den Fuß der Mauer erkennen und gerade noch den schmalen, stellenweise überwehten Pfad, den die Caer-Patrouillen getreten hatten. Gegen Mitternacht, nach einem letzten wütenden Ansturm, ließ der Wind nach und schlief endlich ganz ein.

Die Zinnen trugen dünne Schneehauben, zwischen den Quadern hingen Eiszapfen. Nicht nur den beiden frierenden Posten auf dem Turm des Hafentors erschien die Stadt wie eine Festung, vom Schnee und dem Dunst eingeschlossen. Jedermann in Nyrngor hatte in diesen Stunden und Tagen dieselbe Empfindung. Große, gefährliche Dinge schienen sich hinter den Vorhängen des fallenden Schnees zu verstecken.

»Caer-Blut!«, murmelte der Posten mit blaugefrorenen Lippen. »Ich sage dir, dieses verfluchte Einhorn ist kein Geistertier.«

»Es ist ein Geist. So stark und schnell ist kein Pferd. Ich habe noch nie so etwas erlebt.«

»Abwarten. Ob er auch heute Nacht wieder kommt?«

»Ich glaube es ganz sicher«, war die unwillige Antwort.

Zwischen ihnen, im windgeschützten Winkel, stand ein eiserner Korb aus geflochtenen Bändern. Er war voller roter Glut, darüber lagen brennende Scheite. Aber die stechende Hitze, die er ausstrahlte, konnte die Posten nicht wirklich vor der Kälte schützen, die der Stein gespeichert hatte. Sie froren erbärmlich, ihre Stimmung war dementsprechend.

Jede Nacht warteten sie.

Diejenigen, die schliefen, wurden durch das Heulen des Wolfes aufgeweckt und durch die gellenden Schreie des Falken. Wer nicht schlief, saß da und wartete darauf, ob der Einhornreiter erschien oder nicht. Die Posten versuchten, sich gegen Überraschungen zu schützen und hielten ihre Waffen bereit. Niemand wusste, an welchem Teil der Stadtmauer Hester mit dem schwarzen Einhorn zuerst auftauchen würde.

Niemand hatte Hester aus so geringer Entfernung gesehen – außer Feithearn und einigen Caer – dass er es mit Gewissheit sagen konnte. Aber jeder Nyrngorer war davon überzeugt.

Der Schneefall hörte langsam auf.

An vielen Stellen der Mauern leuchteten Fackeln, deren Licht sich im Schnee zu spiegeln und zu vervielfachen schien. Ein fernes Geräusch drang an die Ohren der Wartenden. Die Caer hoben die Köpfe.

Und dann erschienen auf dem Schnee zwei dunkle Punkte, ein größerer und ein kleinerer. Sie kamen rasch näher, und zwar auf das Hafentor zu, von Süden herangaloppierend und laufend. Das Einhorn hatte unfassbar gewaltige Kräfte, denn es sprengte durch den stellenweise tiefen Schnee, als gäbe es ihn nicht. Auch der Wolf, der neben dem Reiter trabte, wurde vom Schnee nicht in seinen Bewegungen behindert.

»Halte die Speere bereit!«, zischte der Posten seinem Kameraden zu und trat an die Brüstung.

»Geister und Dämonen sind mit unseren Waffen nicht zu töten«, gab der andere zurück.

»Aber wenn es kein Geist ist ...?«

Der schaurige Schrei des großen Wolfes schnitt seine Worte ab. Echos zitterten über Nyrngor dahin. Für die Stadtbewohner war es ein Zeichen, dass die Freiheit nicht mehr fern war, für die Caer bedeutete es Kampf und die Konfrontation mit Mächten, über die sonst nur ein Zauberpriester des Herzogtums verfügte. Die Posten packten ihre Speere fester, als der Ruf des Falken ertönte.

Im gestreckten Galopp kam der Reiter näher. In der rechten Hand trug er drei kurze Wurfspeere, deren Blätter im Fackellicht golden auffunkelten. Das schwarze Einhorn, dessen Fell glänzte, hatte eine breite und tiefe Spur durch den aufstiebenden Schnee gezogen, eine schmalere stammte vom Wolf, der unaufhörlich sein schauerliches Heulen in die kalte Luft schickte.

Flügelschlagend und in kurzen Abständen seinen durchdringenden Jagdruf ausstoßend, schwebte der weiße Falke über Reiter und Wolf.

So kamen sie näher, näherten sich direkt dem offenen Hafentor, und die Caer-Wachen stürzten zu dem provisorischen Wall aus Steinquadern und Eisplatten, der jetzt das Tor bis auf eine schmale Passage verschloss.

Genau unter dem Torturm bäumte sich das Einhorn auf. Ein Hagel Pfeile schoss unter dem Torbogen hervor, aber keiner von ihnen traf. Entweder lenkte sie eine Zauberkraft ab, oder sie waren in der Kälte schlecht gezielt gewesen. Hester bog seinen Arm zurück und schleuderte, während das Einhorn wieder auf die Vorderbeine zurückfiel, einen Speer durch die treibenden Schneeflocken.

Auch den halbblinden Jungen schien eine ungeahnte Kraft zu erfüllen. Die Flugbahn des Speeres war absolut gerade.

Ein ächzender Schrei hallte durch das Gemäuer.

Ein Posten, dem der Speer durch die Pelze und die Rüstung gedrungen war, taumelte rückwärts und brach zusammen. Blut färbte den Schnee rot.

Auf dem Turm über dem Torbogen spannte der Caer-Posten seinen Bogen. Er fixierte das Ziel. Während der Wolf mit glühenden Augen die Umgebung musterte und durchdringend heulte, galoppierte Hester weiter und hielt sich an der flatternden Mähne des Einhorns fest. Zum ersten Mal sah der Posten, der den Pfeil auf die Brust des Reiters richtete, das Horn auf der Stirn des Tieres, das bis auf diesen Unterschied die Körpergestalt eines starken Rapphengstes hatte.

Er löste die Sehne. Heulend flog der Pfeil abwärts. Der Caer hätte geschworen, dass er gut genug gezielt hatte, um wenigstens den Reiter zu verletzen. Aber eine unwirkliche Kraft schien den Pfeil schon nach dem Verlassen der Sehne in die falsche Richtung zu lenken. Er ging neben dem Falken, der rüttelnd auf der Stelle über dem Dreigespann stand, wirkungslos durch die Luft.

Der Reiter, halb in seinen flatternden Mantel gehüllt, hob den Arm und schüttelte ihn drohend mitsamt den beiden Speeren gegen den Turm.

Dann wieherte das Einhorn grell auf. Die Caer zuckten zusammen und starrten nach unten, wo Hester und das Einhorn wieder die Richtung änderten und entlang der Mauer nach Norden galoppierten. Sie verschwanden für die Soldaten auf dem Hafentorturm nach wenigen Augenblicken hinter dem dünnen Schneetreiben.

»Hörst du den Lärm aus der Stadt?«, fragte einer der Posten und deutete mit dem Daumen über seine Schulter.

»Ja, und ich weiß, was er bedeutet. Wir hatten die Bevölkerung in der Hand«, sagte der andere. Immerhin wohnten dort dreißigtausend Menschen oder sogar mehr. Zwar waren sie wehrlos gemacht worden, und auch Hunger und Kälte würden sie von einem organisierten Angriff abhalten, aber ...

»Sie werden neue Hoffnungen schöpfen. Du weißt, wie viele Kameraden nicht mehr in die Quartiere zurückkehren?«

»Ich weiß. Und dass viele überfallen und ausgeplündert werden, weiß ich auch.«

»Und vielleicht überfällt er auch die Reiter, die nach dem Tal unterwegs sind.«

»Sie hätten früher losreiten müssen. Jetzt kommen sie mitten in den schlimmsten Winter!«, pflichtete der andere bei.

Es waren kritische Stimmen laut geworden. Die Soldaten fragten sich, warum Nyrngor so spät im Jahr angegriffen worden war. Ein Kriegszug, der in den Winter fiel, begünstigte zwar die Angreifer, wenn sie wohlausgerüstet waren. Aber er brachte über jede Armee eine Fülle von Problemen, unter denen sie jetzt litten.

Aber die Befehle waren Sache von Herzog Murdon oder gingen von dem geheimnisumwitterten Drudin aus, dem Herrscher der unterirdischen Städte, von denen geflüstert wurde im Herzogtum, und die niemand kannte.

»Sei froh, dass du nicht mitgeritten bist!«, tröstete der Posten. In der Ferne verlor sich das Heulen des Wolfes.

Das Summen und das Stimmengebrodel in den Gassen der Stadt aber blieb, solange der Einhornreiter entlang der Mauer ritt. Heute, zum ersten Mal, hatte er sich mit Waffen gegen die Versuche der Besatzungssoldaten gewehrt, ihn zu töten.

*

Immer wieder musste die Gruppe der ersten Reiter ausgewechselt werden. Die Männer waren nicht weniger erschöpft als die Tiere, denen der Schweiß im Fell gefror. Zwar gelang es ihnen, sich einen Weg durch den Schnee zu bahnen, aber der niedergetretene Pfad, den sie für die Nachfolgenden schufen, kostete Unmengen an Kraft.

Feithearn hatte dreihundert Reiter ausgeschickt, um das verwunschene Tal von den Tieren zurückzuerobern und die Kuppelruine zu untersuchen.

Jetzt, in der einsetzenden Dunkelheit, waren die Caer-Reiter noch knapp einen Tagesritt vom Talrand entfernt.

Der Wind riss und zerrte an ihren Schilden und an den dicken Mänteln. In den Mähnen und Schweifen der Pferde knisterten Eiskristalle. Der Zug der Krieger wand sich in der Spur dahin, die von den Hufen der Pferde immer härter und leichter gemacht wurde. Der Rückweg würde leicht sein, der Weg zum Tal war es nicht.