Nachtflucht – Hinter dir der Tod - Jessica Barry - E-Book

Nachtflucht – Hinter dir der Tod E-Book

Jessica Barry

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Beschreibung

Zwei Frauen. Ein Killer. Zu viele Geheimnisse. Eine nächtliche Fahrt durch die Wüste von New Mexico. Zwei Frauen in einem Auto, die sich nie zuvor begegnet sind. Beide haben Geheimnisse, die sie um jeden Preis bewahren wollen. Doch jetzt haben sie ein gemeinsames Ziel. Und einen gemeinsamen Verfolger. Denn jemand beobachtet sie. Jemand will sie töten. Aber welche der beiden hat der mysteriöse Unbekannte im Visier? Für die Frauen ist nur eines sicher: Wenn sie überleben wollen, müssen sie einander vertrauen.   Lesen Sie auch den spannenden Thriller »Freefall« von Jessica Barry!

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Seitenzahl: 367

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Über das Buch

Zwei Frauen auf einer nächtlichen Fahrt durch die Wüste von New Mexico. Cait Monaghan und Rebecca McRae haben einander nie zuvor gesehen. Doch jetzt hilft Cait Rebecca, einem Albtraum zu entkommen. Sie stellt keine Fragen, ihr Job ist es, Frauen in Not in Sicherheit zu bringen. Aber Rebeccas Geheimnis könnte für sie beide höchst gefährlich werden. Und als in der menschenleeren Wüste auf einmal Scheinwerfer im Rückspiegel auftauchen und ein Wagen rasend schnell näherkommt, müssen sie plötzlich um ihr Leben kämpfen. Jemand will sie von der Straße drängen – und nicht nur das. Wer ist es, der sie verfolgt und töten will? Und auf welche von ihnen beiden hat er es eigentlich abgesehen? Denn auch Cait hat ein Geheimnis ... Eines ist ihnen bald klar: Wenn sie überleben wollen, müssen sie einander vertrauen.

 

 

 

 

Zuerst ist da nur Geruch: nach verbranntem Gummi und Benzin. Dann setzt der Schmerz ein. Das Blut dröhnt in ihren Ohren, ihr Atem gurgelt gepresst.

Sie blinzelt durch die geborstene Windschutzscheibe. Für den Bruchteil einer Sekunde weiß sie nicht, wo sie ist. Als es ihr einfällt, schlägt die Angst wie eine schwarze, erstickende Welle über ihr zusammen.

Und dann hört sie es: ein lang gezogenes Schrammen von Metall auf Metall.

Sie sieht ein Gesicht am Fenster.

Ihn.

Er ist draußen und will herein.

Lubbock, Texas483 Kilometer bis Albuquerque

Cait ließ den Motor laufen.

Sie hatte den Jeep im Sommer vor ihrem Studium gebraucht gekauft, nachdem sie Hunderte Stunden in der Richland Mall gejobbt hatte, und manchmal spielte er verrückt. Normalerweise störte sie das nicht weiter. Es machte ihr Spaß, unter die Motorhaube zu schauen, und sie wusste auch ziemlich oft, wie sich das Problem lösen ließ. Ihr Vater hatte sie schon als Sechsjährige mit in die Autowerkstatt genommen. Doch gerade jetzt wollte sie auf keinen Fall riskieren, dass der Motor nicht wieder ansprang.

Reif glitzerte auf dem Rasen. Ein so elegantes Haus hatte sie nicht erwartet. Meist waren sie heruntergekommen, Mehrfamilienhäuser aus Betonblöcken oder Bungalows mit löchrigem Putz, beengte Wohnverhältnisse in Gegenden, in denen sie sich nach Einbruch der Dämmerung lieber nicht auf der Straße aufhalten wollte.

Vor etwa einem Monat musste sie an den Stadtrand von Abilene, gleich hinter den Bahnschienen an der Route 20. Zuerst war sie glatt an dem Haus vorbeigefahren, obwohl die Nummer 22 deutlich sichtbar auf den Briefkasten gemalt war. Unmöglich, dass hier jemand wohnte, hatte sie gedacht – es war kaum mehr als ein Schuppen und wirkte verlassen, die Fenster waren vernagelt, davor stand ein rostiger Pick-up ohne Räder. Sie war der Straße noch einige hundert Meter gefolgt und hatte nach dem richtigen Haus gesucht, aber nur Ackerland gefunden. Also hatte sie die Adresse noch einmal überprüft, und es war tatsächlich der Schuppen. Eigentlich hätte sie sich das denken können, die Zentrale machte in dieser Hinsicht keine Fehler. Sie hatte gewendet, gehalten, und dann war ein Mädchen, kaum älter als achtzehn, hinter dem Haus hervorgerannt und schweigend in den Jeep gestiegen. Cait erinnerte sich an ihr nervöses Lächeln, den langen, geflochtenen Zopf, der ihr schimmernd über den Rücken fiel, die schmutzigen Halbmonde unter ihren Fingernägeln.

Hier aber war es ganz anders: ein Pseudo-Herrenhaus mitsamt Doppelgarage und beleuchtetem Rentier auf dem Rasen. Das Rentier war eines dieser geschmackvollen Objekte aus Draht und winzigen weißen Lichtern, nicht zum Aufblasen wie die schlaffen Rentiere, die einen aufgeblähten Weihnachtsmann über das Dach zogen, wie früher daheim bei ihren Eltern in Waco. Das Haus war aus rotem Backstein und hatte kleine Giebel, ein gepflasterter Weg schlängelte sich zur imposanten Eingangstür. Immobilien waren hier zwar billiger als in Austin – fast überall war es günstiger als in Austin –, aber der Besitzer dieses Hauses musste definitiv Kohle haben.

Das Haus brachte sie ein bisschen aus der Fassung.

Sie hielt Ausschau, ob sich auf der Straße etwas tat. Die Fenster waren dunkel, das einzige Licht kam von den hübschen Straßenlaternen, die den Gehweg säumten. In einer Einfahrt lag ein rotes Dreirad, vergessen bis zum nächsten Morgen. Sie stellte sich ein pausbäckiges kleines Mädchen vor, das auf dem Gehweg auf und ab strampelte, die kleinen Finger fest um den Lenker gelegt. Wie es immer schneller fuhr und im Fahrtwind vor Freude und Angst quietschte.

Der Verkehr war schnell ausgedünnt, nachdem sie das Stadtgebiet von Austin verlassen hatte, nur wenige Autos rollten über die endlos scheinende Straße. Die Aussicht war immer gleich, eine kahle Ebene, die sich ins Unendliche erstreckte, nur hin und wieder unterbrochen vom Grün bewässerter Rasenflächen und von Häusern mit säuberlich markierten Grundstücken, die eine Stadt ankündigten.

Acht Stunden später saß sie nun hier und wartete. Sie rutschte auf dem Sitz herum, kratzte sich, unterdrückte ein Gähnen. Sie musste sich unterwegs einen Kaffee besorgen. Aber erst, wenn die Stadt hinter ihnen lag.

Sie schaute auf die Uhr am Armaturenbrett. 00:10 Uhr. Mitternacht war vereinbart gewesen, aber sie war vorsichtshalber ein paar Minuten früher gekommen. Jetzt wartete sie schon eine ganze Weile. Das kam gelegentlich vor. Manche wurden nervös, überlegten es sich anders. Eigentlich sollten sie ihr dann ein Zeichen geben: dreimal rasch das Licht an- und ausschalten, damit sie wusste, dass sie nicht kommen würden. Zweimal galt als Notruf, dann verständigte sie die Polizei.

Bisher hatte sie kein Lichtsignal wahrgenommen.

Cait machte sich keine Sorgen, jedenfalls noch nicht. Sie suchte wieder die Straße ab. Alles ruhig im Vorstadtidyll. Alle Autos sicher in der Garage, alle Bewohner sicher im Bett.

Plötzlich bemerkte sie etwas aus den Augenwinkeln. Sie umklammerte mit einer Hand das Lenkrad, mit der anderen den Schaltknauf. Ihr Herz hämmerte. Was war das? Dann sah sie das Opossum, das unter einer dichten Hecke verschwand, und erschauerte. Sie war mit Opossums aufgewachsen, mochte sie aber trotzdem nicht. Als Jungtiere waren sie ganz niedlich, doch ausgewachsen ziemlich biestig. Egal, ein Opossum war keine Herausforderung.

Blick zurück zum Haus. Immer noch dunkel, immer noch still. Mittlerweile war es 00:15 Uhr. Sie würde noch fünf Minuten warten. Länger sollten sie sich nicht aufhalten, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Falls ein Nachbar aufstand, um auf die Toilette zu gehen, und einen ramponierten alten Jeep auf der Straße entdeckte, würde er in einer Gegend wie dieser umgehend die Bullen rufen. Und die ließ man lieber außen vor. Man wusste nie, auf wessen Seite sie standen.

Ein Vorhang oben im Haus bewegte sich, kurz darauf ging unten das Licht an. Es war so weit: jetzt oder nie. Sie setzte sich aufrecht hin und wischte sich die verschmierte Wimperntusche unter den Augen weg.

Mach dich bereit. Sowie sie einsteigt, fährst du los.

Kurz darauf tauchte eine blonde Frau in einer gebügelten weißen Bluse zu khakifarbener Hose auf, mit einer teuer wirkenden Tasche über der Schulter. Sie sah überhaupt teuer aus – blitzsauber, auf Hochglanz poliert, einfach tipptopp. Cait sah zu, wie die Frau die Haustür abschloss, zögerte und sich noch einmal vergewisserte, dass sie wirklich abgeschlossen war.

Schweiß kribbelte auf ihrem Rücken. Machschonmachschonmachschon.

Die Frau warf einen Blick auf die Nachbarhäuser und ging schnell den Weg entlang.

Cait lehnte sich über den Beifahrersitz und stieß die Tür auf. Das Gesicht der Frau erschien in der Öffnung.

»Hi, Rebecca?« Cait lächelte, als sie den Namen aussprach. Es war wichtig, ihnen so schnell wie möglich die Nervosität zu nehmen. Die Frau nickte und stieg ein. Ihr Geruch erfüllte den Wagen: Baumwolle, Vanille und Sandelholz. »Ich bin Caitlyn«, sagte sie, obwohl die Frau das sicher schon wusste. »Aber Sie können mich Cait nennen.« Die Frau nickte erneut und drückte ihre Tasche an sich. »Der Gurt ist rechts«, sagte sie. Die Frau griff hinter sich und ließ den Gurt einrasten. Dabei schaute sie unverwandt auf die verlassene Vorortstraße.

Cait fuhr los. »Haben Sie ein Telefon dabei?«

Die Frau schloss die Augen.

»Ein Mobiltelefon.« Manchmal wurden sie nervös und erstarrten. Sie hatte gelernt, ihnen Informationen zu entlocken. »Falls ja, schalten Sie es bitte aus.«

Die Frau riss die Augen auf. »Wieso?«

»GPS.«

Sie runzelte die Stirn. »Ist das wirklich …«

»Ja, ist es. Tut mir leid. Es mag ein bisschen extrem wirken, aber …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende. Beide wussten, dass dies extreme Umstände waren.

Die Frau wühlte in ihrer Tasche und holte das Handy heraus. Cait vergewisserte sich mit einem Seitenblick, dass sie es ausschaltete.

»Wie lange brauchen wir?«

»Etwa sechs Stunden. Vielleicht ein bisschen weniger. Auf dem Rücksitz sind Wasserflaschen. Bedienen Sie sich.«

Rebecca drückte ihre Tasche noch fester an die Brust. »Danke, es geht schon.«

Im Rückspiegel sah Cait, wie in einem Nachbarhaus das Licht anging und ein Gesicht am Fenster erschien.

Ganz ruhig. Einfach normal fahren, denk dir nichts dabei.

»Haben Sie engen Kontakt zu Ihren Nachbarn?«, fragte sie beiläufig.

Rebecca schaute sie überrascht an. »Eigentlich nicht.«

Cait hielt die Augen auf den Rückspiegel geheftet. Der Vorhang fiel wieder vors Fenster, das Licht ging aus. Sie seufzte. »Scheint eine Gegend zu sein, in der man freundschaftlichen Umgang pflegt. Straßenfeste und so. Gibt es eine Nachbarschaftswache?«

»Ich glaube nicht.«

»Gut.« Mit denen hatte sie schon Schwierigkeiten gehabt. Wenn man jemandem ein Abzeichen und ein bisschen Autorität gab, konnten die Dinge schnell aus dem Ruder laufen. In den übrigen Häusern blieb es dunkel. Kein Auto auf der Straße. Sie hatten das Wohngebiet fast hinter sich gelassen. Auf den Hauptstraßen würde es einfacher werden. »Darf ich das Radio einschalten? Nur damit ich wach bleibe.«

Die Frau nickte. Cait drückte den Wählknopf. Das Geschwafel eines Talkmasters erfüllte den Jeep – die große Geißel von Texas. Sie schaltete durch die Sender, bis sie bei der Magic Station landete. Billy Joel schnulzte seinen »Piano Man« aus den Lautsprechern. Sie ließ es an. Billy Joel war nie verkehrt.

Rebecca wohnte im Südosten von Lubbock, sodass sie quer durch die Innenstadt fahren mussten, um zum Highway 60 zu gelangen. Cait bog auf den Broadway ein und fuhr an einer Anwaltskanzlei vorbei. »Willkommen in der City! Sie zahlen nur, wenn wir gewinnen!« An jeder zweiten Kreuzung gab es eine Ampel, und jede sprang auf Rot, sobald sie sich näherten, als hätten sie sich gegen die beiden verschworen, damit sie die Stadt nicht verließen.

»Na los, komm schon«, murmelte Cait und klopfte aufs Lenkrad. Dass so wenig los war, gefiel ihr nicht. Das war das Schwierigste an den nächtlichen Touren: die leeren Straßen. Wenn Betrieb herrschte, fiel man nicht so leicht auf.

Ein Mann mit einer Weihnachtsmannmütze kam auf sie zu, in einer Hand ein schmutziges Tuch, in der anderen ein Schild: »Hunger, bitte helft mir.« Er klopfte ans Fenster, als sie vor der roten Ampel warteten. Cait wollte ihn verscheuchen, doch er beschrieb eine Geste mit seinem Tuch und fing an, die Windschutzscheibe abzuwischen, wobei er schmierige Streifen hinterließ. Rebecca saß zusammengekauert auf dem Beifahrersitz und umklammerte den Riemen ihrer Tasche. Ihre Fingerknöchel waren weiß.

Cait ließ das Fenster herunter und hielt dem Mann ein paar Dollarscheine hin. »Danke für die tolle Arbeit.« Er nahm sie, tippte sich an die Weihnachtsmannmütze und schlurfte weiter, als die Ampel auf Grün sprang.

»Alles okay?«, fragte sie.

Rebecca nickte, doch sie hatte die Zähne fest zusammengebissen und starrte mit glasigen, blicklosen Augen nach vorn. Sie hatte sich nicht gerührt, seit sie losgefahren waren.

»Wir sind gleich raus aus der Stadt.«

Die vierspurigen Straßen waren von Supermärkten, Megakirchen und kleinen mexikanischen Restaurants gesäumt, die für den Taco-Dienstag warben, genau wie in jeder anderen texanischen Stadt. Gelegentlich überflutete eine neonbeleuchtete Plakatwand sie mit kränklichem Licht und beschwor seltsam flackernde Schatten herauf. Die Weihnachtsbeleuchtung hing schon – bunte Sterne und blassblaue Schneeflocken, ein Engel, der hoch über der Straße schwebte, die golden glitzernden Flügel ausgebreitet. Die Schilder in den Schaufenstern warben für Champagner zum halben Preis und billige Diamantarmbänder.

Cait hasste Weihnachten. Dann schlug die Stunde der Blindgänger: Alkohol, peinliche Weihnachtsfeiern und alte Kerle, die einen nach ein paar Whisky zu viel begrapschten. JB, ihr früherer Boss in der Kneipe, hatte darauf bestanden, einen Mistelzweig über die Theke zu hängen, und wann immer sie zum Kühlschrank gegangen war, um Champagner zu holen, hatte ein Kerl dort herumgelungert, um sie abzupassen. Inzwischen hatte eine Frau seinen Job übernommen, doch da die Arbeitskleidung nach wie vor enge Oberteile und Stetson-Hüte vorschrieb, hatte sie wenig Hoffnung, dass sich etwas ändern würde. Immerhin bekam man in dieser Zeit anständige Trinkgelder.

Cait dehnte sich und verzog das Gesicht. Ihr Rücken tat weh. Sie war seit Stunden unterwegs, hatte sich durch den Berufsverkehr gekämpft, der aus Austin hinaus auf die 183 strömte. Sie wohnte seit acht Jahren in der Stadt, und es schien mit jedem Jahr schlimmer zu werden. Auf den Straßen stauten sich Pick-ups, Rostlauben und glänzende neue Sportwagen, die die Arterien der Stadt verstopften und ihrem Herz die Luft abschnitten.

Freunde sprachen davon, wegzuziehen. Sie konnten den Verkehr nicht mehr ertragen und die ständig steigenden Mieten für immer beschissenere Wohnungen und die Tesla-Ladestationen, die wie Löwenzahn überall wucherten und ständig besetzt waren. Doch das war nur so dahingesagt. Keiner zog je weg. Wohin denn auch? Etwa in einen Ort wie diesen?

Sie kamen an Church’s Chicken und dem Eleganté Hotel vorbei. Die Stadt lockerte ihren Griff ein wenig, die Grundstücke und Häuser wurden größer. Sie bemerkte, dass Rebeccas Schultern etwas von ihrer Anspannung verloren hatten und sie die Handtasche nicht mehr ganz so fest umklammerte.

Endlich passierten sie das Ortsausgangsschild von Lubbock. »Geschafft. Den schwierigsten Teil haben wir hinter uns.«

Rebecca wagte ein Lächeln.

Sie fuhren durch Littlefield, vorbei an einem Traktorhändler und einem Schild, das freie Zimmer im Plains Motel anpries. Sie war die Strecke schon zweimal gefahren – mit einer reizenden Collegestudentin, die die ganze Zeit für ihre Biologieprüfung gelernt hatte, und einer Frau aus Odessa, die kaum aufhören konnte zu weinen.

Das war heftig gewesen, aber nicht ihr schlimmstes Erlebnis.

Einige Klientinnen hatten flexible Arbeitszeiten oder Partner, die ihnen nicht an den Fersen klebten. Diese Frauen brachte sie nach Austin, Dallas oder Fort Worth. Die meisten aber fuhren über die Grenze nach New Mexico, wo die Vorschriften lockerer waren. Die Fahrt dauerte zwar länger, aber alles in allem ging es schneller. Lubbock lag ungünstig: fünf Stunden Fahrt, egal in welche Richtung. Die Klientin entschied. Heute Abend ging es nach Westen.

Sie sah in den Rückspiegel. Hinter ihnen fuhr ein Sattelzug. Sie gab Gas, seine Scheinwerfer wurden kleiner. Wie es aussah, wurden sie nicht verfolgt. Cait entspannte sich ein bisschen. In der Nähe des Wohnorts war es immer am gefährlichsten. Je mehr Kilometer sie fraßen, desto sicherer waren sie. Am Ziel wurde es noch einmal kritisch, aber darüber würde sie sich morgen früh den Kopf zerbrechen.

Cait war wie immer auf den letzten Drücker losgefahren und hatte nicht zu Abend gegessen. Hunger mischte sich mit Erschöpfung, ihre Augen taten weh, die Knochen fühlten sich schwer an. Eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen würden reichen, damit sie wieder munter wurde. »Hätten Sie was dagegen, wenn wir hinter der Grenze kurz anhalten?«

Rebeccas Kopf schoss herum. »Wieso?«

»Ich brauche einen Kaffee. Ich bin seit sechs Uhr morgens unterwegs.«

Der hübsche Mund verzog sich. »Na schön. Wenn es sein muss.«

»Danke. Ich beeile mich, versprochen. Ich weiß, dass Sie nervös sind, aber wir sind jetzt aus der Gefahrenzone raus.«

»Woher wollen Sie das wissen?«

»Neunzig Prozent aller Zwischenfälle ereignen sich innerhalb der ersten zehn Minuten. Die meisten Schwierigkeiten habe ich unmittelbar vor der Haustür erlebt. Jetzt, wo wir aus Lubbock raus sind, dürfte alles glattgehen.«

Rebecca nickte, schien aber nicht überzeugt. Ihr Profil erinnerte an eine römische Münze, mit gerader Nase und festem Kinn. Patrizisch. Cait lächelte. Die Beschreibung war gut, die musste sie sich merken. Vielleicht könnte sie sie mal verwenden.

Vorher aber musste sie den Artikel über die Arbeitsbedingungen auf dem Bio-Bauernhof bei Austin fertigstellen. Der Redakteur fragte seit Wochen danach, aber der Text saß noch nicht richtig. Bei dem, was er zahlte, durfte er sich nicht beschweren, aber sie wollte es sich auch nicht mit ihm verderben. Zurzeit bekam sie nur selten eine Chance.

Sie ließen Littlefield hinter sich und fuhren jetzt in Richtung Wüste. Bald gäbe es nur noch Gestrüpp und Himmel. Caits Magen knurrte. Sie konnte gar nicht schnell genug nach Clovis kommen. Es wäre die letzte Gelegenheit, heute Nacht noch eine anständige Tasse Kaffee zu bekommen.

Sie sah zu der Frau hinüber. »Haben Sie es bequem? Soll ich die Heizung anmachen oder so?«

Rebecca schüttelte den Kopf. »Danke, alles gut.«

»Sagen Sie einfach Bescheid. Heute Nacht soll es unter null werden. Es könnte sogar schneien.« Sie tätschelte das Armaturenbrett. »Keine Sorge, der hat keine Probleme mit Schnee.«

Rebecca lächelte schwach. »Gut zu wissen.« Dann sah sie wieder aus dem Fenster.

Sie war nicht besonders gesprächig. Na gut. Dafür war immer noch genug Zeit.

Neun Monate zuvor

Cait wälzte sich aus dem Bett und stolperte ins Badezimmer. Die Glühbirne war durchgebrannt, sodass sie sich zur Toilette tasten musste. Bloß nicht den Kopf an der Dachschräge stoßen. Sein Schnarchen übertönte das Plätschern in der Toilettenschüssel. Gut. Sie hatte ihn nicht geweckt.

Als sie fertig war, erhob sie sich vorsichtig und drehte sich zum Spiegel. Sie hatte sich mittlerweile ans Dämmerlicht gewöhnt und konnte die dunklen Höhlen ihrer Augen und die schimmernden Zähne sehen. Sie presste die Stirn ans Glas. Scheiße, was machst du eigentlich hier?, fragte sie sich, wusste aber keine Antwort. Er schnarchte ungestört weiter.

Alyssa war an allem schuld. Sie hatte darauf bestanden, an ihrem Geburtstag ins Cedar Street zu gehen, obwohl es ein Drecksloch voller betrunkener Collegestudenten und Touristen war, die auf eine »authentische Erfahrung« aus waren. Doch Alyssa hatte wochenlang gequengelt, bis Caitlyn endlich zugestimmt hatte, nur damit sie Ruhe gab. Alyssa hatte vor Freude gequiekt und sie umarmt, und ihre Freundin so glücklich zu sehen, entschädigte Cait beinahe für die Aussicht, an ihrem kostbaren freien Abend bescheuerte Verbindungsstudenten daran zu hindern, ihr Tequila über die Turnschuhe zu kippen.

So war sie nun einmal. Wenn es um ihre Freundinnen ging, war sie einfach ein Schaf. So hatte ihre Mutter es jedenfalls ausgedrückt, als sie in der Schule ihre nagelneue silberne Stiftedose gegen Melissa Brandinos altes verbeultes Ding eingetauscht hatte, nur weil Melissa sie davon überzeugt hatte, dass Silber besser zu ihren polierten Riemchenschuhen passte als zu Caits ramponierten Turnschuhen. »Oh, Caity«, hatte ihre Mutter kopfschüttelnd gesagt und geseufzt. »Manchmal bist du einfach zu nett.«

Mittlerweile war es lange her, dass jemand sie als »zu nett« bezeichnet hatte.

Also waren sie ins Cedar Street gegangen. Keine zehn Minuten später hatte jemand Tequila über ihre nagelneuen Nikes gekippt, und sie hatte beobachtet, wie sich ein Mädchen schwallartig gegen die Toilettentür erbrach. »Warum sind wir gleich noch mal hier?«, hatte sie Alyssa gefragt, doch die war viel zu sehr damit beschäftigt, einem Haufen Technik-Nerds ihren Geburtstagsanstecker unter die Nase zu halten. Cait zog ab zur Theke, bestellte einen doppelten Maker’s pur und kippte ihn in einem einzigen feurigen Schluck hinunter. Wenn du sie nicht schlagen kannst, verbünde dich mit ihnen. Da hatte sie auf einmal Jake entdeckt, der durch den Innenhof stiefelte und in einem Radius von mehreren Metern die Blicke sämtlicher Frauen auf sich zog. Auch ihren.

Sie hatte von ihm gehört. Ein Gast in der Kneipe war Musikjournalist beim Digg und hatte ihn neulich nach einem Sierra zu viel in den höchsten Tönen gelobt und behauptet, er sei der nächste Superstar. Nach ihrer Schicht hatte sie ihn aus Neugier bei Spotify gesucht. Country-Musik war eigentlich nicht ihr Ding, obwohl – oder gerade weil – sie im tiefsten Texas aufgewachsen war, aber selbst sie musste zugeben, dass er etwas hatte. Seine Stimme brummte leise über feinfühligen Gitarrenriffs, tief und fesselnd und wahnsinnig sexy.

Cait sah sich nach Alyssa um, deren Zunge tief im Hals eines Technik-Nerds steckte, stahl sich aus der Kneipe und folgte Jake einige Straßenblocks bis zum Pearl in der Fourth Street. Sie wusste selbst nicht so genau, warum sie das tat – normalerweise lief sie fremden Männern nicht hinterher –, doch etwas an diesem Zusammentreffen war ein bisschen schicksalhaft gewesen, so kitschig das auch klingen mochte.

Sie blieb hinten, als er zum Soundcheck auf die Bühne ging. Zu ihrer Überraschung war es erst kurz nach zehn. Weil es im Cedar Street vor Betrunkenen nur so wimmelte, hatte sie angenommen, dass es schon nach Mitternacht sei. Cait bestellte ein Bier und lehnte sich mit dem Rücken an die Theke, während Jake die ersten Akkorde anschlug.

Das Pearl war relativ leer – kein Wunder an einem Montagabend –, füllte sich aber rasch, als seine Stimme die Leute herbeilockte. Bald stand Cait vorn an der Bühne, schwang die Hüften zur Musik und sah zu, wie Jake im Scheinwerferlicht der Schweiß übers Gesicht lief.

Ihre Augen trafen sich, und sie bemerkte, dass ein Grinsen um seine Lippen zuckte. Frech. Das gefiel ihr. Sie tanzte weiter, spürte seine Blicke auf ihrem Körper und sah das Begehren in ihm aufflackern. Sie ließ die Hüften kreisen und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Du gehörst mir, dachte sie, und das Gefühl ihrer Macht berauschte sie.

Er beendete das Programm, stieg von der Bühne, und es kam, wie es kommen musste: verschwitzte Knutscherei im Hinterzimmer, Gefummel auf der Taxifahrt zu seiner Wohnung, die sehr nach armem Musiker und kaum nach kommendem Superstar aussah.

Der Sex war anfangs ziemlich normal – sie war eine Weile oben, dann warf er sie auf den Rücken. Es war gut, doch etwas an der Art und Weise, in der er sich auf eine Stelle knapp über ihrem Kopf konzentrierte, statt ihr in die Augen zu sehen, vermittelte Cait das Gefühl, dass es nicht um sie ging, dass es ihm vollkommen egal war, mit welcher Frau er schlief. Im Grunde störte es sie nicht – es war Sex, keine Verlobungsfeier –, aber sie hätte nichts dagegen gehabt, wenn er sich ein bisschen mehr bemüht hätte, sie zum Höhepunkt zu bringen.

Und dann, als sie schon dachte, er sei fertig, legte er die Hände um ihren Hals und drückte so fest zu, dass sie fast – aber nicht ganz – das Bewusstsein verlor. Zuerst kämpfte sie, bohrte die Nägel in seinen Rücken, umklammerte seine Hände und wollte sie von ihrem Hals reißen, doch der Kampf schien ihn nur noch mehr zu erregen, und der Sauerstoffmangel im Gehirn ließ ihre Kraft erlahmen, bis sie schließlich erschlaffte. Er ließ sie los, um ihr den Schwanz in den Mund zu stecken und sie eine verfickte Hure zu nennen, als er kam. Dann küsste er sie auf die Wange – nicht auf den Mund, und erst nachdem sie geschluckt hatte –, rollte sich zur Seite und schlief ein.

Sie nahm ihre Sachen mit ins Wohnzimmer und zog in der Ecke, die am weitesten von der Klimaanlage entfernt war, Jeans und BH an. Sie streifte sich das T-Shirt über den Kopf, den sie sehr still hielt, weil ihr Hals bei jeder Bewegung wehtat. Morgen früh würde sie blaue Flecken haben, die sie mit Concealer verdecken musste, um Fragen – oder eher blöde Witze – von den Kerlen an der Theke zu vermeiden.

Er hatte nicht gefragt, ob sie auf so etwas stand. Er hatte es einfach vorausgesetzt, oder es war ihm egal gewesen. Von wegen sensibler Liedermacher, so ein Schwachsinn. Er war nur ein weiteres Arschloch in einer langen Reihe von Arschlöchern, die sich genommen hatten, was sie wollten, ohne sich die Mühe zu machen, sie zu fragen. Sie hatte es so satt. Sie erinnerte sich an den Musikjournalisten, der gesagt hatte, Jake stünde kurz vor einer großen Tournee und würde bald landesweit bekannt sein. Kein Wunder, dass er meinte, mit dieser Scheiße durchzukommen.

Doch diesmal, beschloss Cait, würde er dafür bezahlen.

Sie bestellte sich einen Lyft zu seiner Wohnung. Der nächste Wagen war neun Minuten entfernt, also noch Zeit genug. Sie holte Notizbuch und Stift aus der Tasche und schrieb drauflos. Als das Auto kam, hatte sie den Artikel, der ihr Leben verändern sollte, schon zur Hälfte fertig.

Amherst, Texas445 Kilometer bis Albuquerque

Rebecca hatte zugesehen, wie die Umrisse der Stadt im Außenspiegel verschwanden und vom Nachthimmel verschluckt wurden. Erst dann erlaubte sie sich, richtig durchzuatmen.

Nun, da sie Lubbock hinter sich gelassen hatten, war es einfacher. Es war der erste und zugleich größte Schritt gewesen.

Als der Jeep vor dem Haus gehalten hatte, hatte sie im dunklen Schlafzimmer gesessen, die Hände im Schoß gefaltet, und auf das schwache Motorengeräusch gelauscht. Sie hatte es gewollt – es sorgfältig geplant –, doch als es jetzt so weit war, fühlte sie sich wie gelähmt. Fünf Minuten vergingen, dann zehn. Man hatte ihr gesagt, der Wagen werde zwanzig Minuten warten – keine Minute länger. Als die Fünfzehn-Minuten-Marke überschritten war, schnappte sie sich ihre Tasche und lief zur Tür. Wenn sie auch nur eine Sekunde länger zögerte, würde sie es niemals schaffen. Sie trat in die eisige Nacht hinaus, wo ein Mädchen in einem Jeep auf sie wartete.

Sie konnte nicht fassen, wie still die Gegend um diese Zeit war. Der Motor des Jeeps dröhnte leise, von fern ertönte der Schrei eines Fuchses. Ihr Herz hämmerte, als sie das Türschloss prüfte. Dann lief sie so leise wie möglich zum Wagen. Letztlich war es ganz einfach.

Und doch ließen die Sorgen sie nicht los. Wenn er nun früher nach Hause kam? Wenn jemand ihre Pläne herausgefunden und ihm davon erzählt hatte? Man hatte ihr am Telefon Vertraulichkeit zugesichert, aber sie wusste, wie die Leute waren. Man konnte niemandem vertrauen, vor allem nicht, wenn es um Geld ging.

Sie schaute zu dem Mädchen hinüber. Sie war jung, etwa Mitte zwanzig. Fast noch ein Kind. Sie hatte jemand Älteres erwartet. Es war seltsam, von einer so viel jüngeren Frau gefahren zu werden, eine Umkehrung der natürlichen Ordnung.

Sie schaute wieder auf die Straße. Nichts. Nichts. Getreidesilo. Nichts. Nichts. Lagerhaus. Sie kam sich hier draußen winzig vor, wie eine der Papierpuppen, mit denen sie als Kind gespielt hatte.

Fast drei Jahre war sie nun schon in Texas, und es fühlte sich immer noch so fremd und sonderbar an wie am ersten Tag.

Sie war eine Fremde an dem Ort, den sie Zuhause nennen sollte.

Drei Jahre zuvor

Patricks blaue Augen blickten voller Ernst und Leidenschaft. »Es wird Zeit, Liebste.« Er beugte sich über den Tisch und ergriff ihre Hand. Ein Klacks Sahnesauce hing in einem Winkel seines schön geschwungenen Mundes.

Sie hielt inne, die Gabel in der Luft. »Ich wusste nicht, dass wir unter Zeitdruck stehen.«

»Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich verspreche dir, du wirst begeistert sein. Weites, offenes Land, frische Luft, bodenständige Menschen … Komm schon, Becs. Du siehst doch auch, wie sich die Stadt verändert. Es ist, als lebte man in einem Museum. Hier gibt es keine echten Menschen mehr.«

Das stimmte. San Francisco hatte sich verändert. Sie erlebte es jeden Tag an der Highschool, an der sie Englisch unterrichtete: Familien waren gezwungen, wegen der schwindelerregenden Mieten umzuziehen. Die Zahl der Obdachlosen schoss in die Höhe, die psychische Gesundheit ihrer Schüler litt, weil sie nach immer besseren Noten strebten. Die Tech-Unternehmen hatten die Stadt mit Venture-Capital-Millionären überflutet und ihren schmuddeligen Charme weißgewaschen. Selbst das Restaurant, in dem sie gerade aßen, würde nach Oakland umziehen. Als sie den Kellner danach fragten, sagte er bloß achselzuckend: »Fortschritt.«

Dabei war die Bay Area seit jeher der einzige Ort, den sie als ihr Zuhause betrachtet hatte. »Unser ganzes Leben ist hier.«

»Unser Leben ist da, wo wir zusammen sind. Ich möchte nach Hause, Becs. Bitte. Meine Oma lebt dort allein und wird nicht jünger. Ich muss mehr Verantwortung übernehmen.«

»Mein Vater ist auch allein.«

»Dein Vater ist Anfang sechzig und fitter als ich. Oma wird nächstes Jahr achtzig. Du hast doch an Weihnachten gesehen, in welchem Zustand ihr Haus ist. Sie kann sich nicht mehr allein darum kümmern.«

»Wir könnten jemanden anstellen, der ihr hilft«, schlug sie vor. »Oder sie zieht in ein Betreutes Wohnen. Ich habe gehört, dass es da inzwischen ganz nette Einrichtungen gibt. Die sind eher wie Luxushotels.« Sie klammerte sich an Strohhalme.

»Du weißt, dass meine Oma ihr Haus nicht verlassen wird. Sie sagt immer, man würde sie mit den Füßen voran raustragen müssen, und das meint sie zweifellos ernst.« Er drückte ihre Hand, seine warme Haut fühlte sich vertraut an. »Ich weiß, es ist viel verlangt, aber dir wird Lubbock schon bald sehr gefallen. Die Menschen sind so authentisch, und es gibt so viel Platz … So viele Möglichkeiten …« Er holte Luft. »Für die Staatsanwaltschaft zu arbeiten reicht mir nicht. Ich könnte mehr tun. Wenn ich Kongressabgeordneter wäre oder Senator …«

»Weil Kongressabgeordnete ja so viel bewirken können«, sagte sie ein wenig spitz.

Er hob die Hände. »Ich weiß, ich weiß. Ich glaube trotzdem, dass ich in einem solchen Amt mehr bewirken könnte, anstatt wie hier Deals mit Kleindealern und Prostituierten auszuhandeln. Und hier bekomme ich politisch keinen Fuß auf den Boden. Du weißt, wie eingefahren die Politik in Kalifornien ist. In Texas wäre ich ein Einheimischer, der in einem Bundesstaat mit demokratischer Mehrheit schon etwas geleistet hat. Das macht mich zu einem starken Kandidaten. Die Demografie verändert sich gerade. Ich glaube, ich hätte eine echte Chance.«

Sie stellte sich vor, wie er Hände schüttelte und Babys auf dem Arm hielt, hinter sich auf der Bühne ein Banner mit seinem Namen. Ihre Freunde hatten schon immer gesagt, er solle in die Politik gehen. Nur war ihr nicht klar gewesen, dass Patrick es auch wollte.

Sie fasste nach dem goldenen Kreuz, das sie um den Hals trug. Versuchte, sich neben ihm auf der Bühne zu sehen, wie sie stolz lächelte, während ihn die Menge mit Liebe überschüttete. Denn sie würden ihn lieben. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Alle liebten Patrick. Er war ein Glückskind. Genau das hatte sie an ihm angezogen. Von allen Frauen auf dieser Welt hatte er sich für sie entschieden. Was auch sie zum Glückskind machte.

Sie hätte wissen müssen, dass er die Welt erobern wollte.

Sie schaute ihn über den Tisch hinweg an und sah das stille Selbstvertrauen eines Menschen, der immer gewinnt und weiß, dass seine Glückssträhne nicht enden wird. Patrick war es gewohnt, zu bekommen, was er wollte, und sie war ihm immer gern entgegengekommen.

»Zwei Jahre«, sagte sie, faltete die Serviette und legte sie auf den Tisch. »Ich versuche es zwei Jahre lang, aber wenn ich Texas hasse, ziehen wir für immer hierher zurück.«

»Abgemacht.« Das Lächeln teilte sein Gesicht fast in zwei Hälften. »Becky, Schatz, ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen. Ich glaube wirklich, dass mir die politische Arbeit liegen könnte. Wenn ich in eine Machtposition gelange, kann ich wirklich etwas bewegen.«

Sie redete sich ein, gewonnen zu haben. Zwei Jahre waren nichts verglichen mit einem ganzen Leben, ein Tapetenwechsel konnte ihnen nicht schaden. Hatte sie sich nicht ständig darüber beklagt, dass die Stadt sie zermürbte? Der Bildungsetat war brutal zusammengekürzt worden, sie hatte seit Jahren keine Gehaltserhöhung bekommen, die Klassen wurden immer größer, während die finanziellen Mittel schrumpften. Es wäre kein Problem, die Lehrerlaubnis für Texas zu bekommen. Sie könnte ein paar Jahre an einer netten Vorortschule unterrichten, vielleicht nebenher ein paar Uni-Kurse belegen. Dort könnten sie auch in eine größere Wohnung ziehen – vielleicht sogar in ein Haus mit Vorgarten und Garage und Auto. Müssten sich nicht mehr beim Zähneputzen auf die Füße treten. Keine verschwitzten Busfahrten mehr, schwer bepackt mit Einkaufstüten.

Weiter Himmel. Weites Land. Mit Patrick an ihrer Seite.

Zwei Jahre waren nichts. Ein Blinken auf dem Radarschirm.

Damals hatte sie noch nicht geahnt, wie rasch ein Leben ausgelöscht werden konnte. Wie eine Sandburg von der Flut.

Sudan, Texas 435 Kilometer bis Albuquerque

Rebecca sah auf die Uhr. Es war kurz vor eins, also Mitternacht an der Westküste. Vielleicht schlief er schon oder trank in der Hotelbar einen Wodka Tonic, am Hemd noch einen dieser »Hallo, ich heiße«-Aufkleber, als würden die Leute den Namen des Hauptredners nicht kennen. Sie hatten nach seiner Rede miteinander telefoniert. Er war gerade aus der Dusche gekommen – er duschte immer vor dem Abendessen –, und sie konnte über den Lautsprecher hören, wie er sich anzog, wie die Seide durch seine Finger glitt, als er die Krawatte um den Hals legte. Sie hatte die üblichen Fragen beantwortet – Ließ sie es ruhig angehen? Hatte sie zu Mittag gegessen? Hatte sie die Alarmanlage eingeschaltet? – und versprochen, ihn morgen früh gleich als Erstes anzurufen. Sie hatte ihm gesagt, dass sie ihn liebte und vermisste, obwohl die Wahrheit deutlich komplizierter war.

Sie griff in die Tasche, umfasste das Handy und ließ es wieder los. Es war spät – wenn er hätte anrufen wollen, hätte er es längst getan. Er weckte sie ungern auf. Trotzdem strichen kalte Finger der Angst über ihren Nacken. Würde er jemanden zum Haus schicken, wenn er anrief und sie sich nicht meldete? Was würde er unternehmen, wenn derjenige feststellte, dass sie nicht daheim war?

Sie dachte an die Papiere in ihrer Tasche. Vielleicht hatte er sie schon aufgespürt. Vielleicht waren sie schon unterwegs.

Sie umklammerte den Türgriff. Dieses Engegefühl in der Brust. Da war es wieder: die Wände, die näher rückten, die Dunkelheit am Rand ihres Sichtfelds. Plötzlich war der Jeep zu klein, ein winziger Metallkäfig, in dem es nicht genügend Luft für zwei gab. Sie atmete Caits Atem ein und Cait den ihren, und damit verbrauchten sie den ganzen Sauerstoff. Sie würden in dieser dämlichen Blechbüchse ersticken, in der es nach abgestandenem Zigarettenrauch und künstlichem Kiefernduft und Caits Shampoo und dem Parfum roch, das Patrick ihr zum 35. Geburtstag geschenkt hatte, und, mein Gott, wie sollte sie das überleben, wie sollte sie das nur überleben?

Sie spürte, wie das Mädchen sie von der Seite ansah. Schau mich nicht an. Schau nicht her. Die Wände rückten noch näher. Sie fühlte sich wie ein winziges, noch nicht geschlüpftes Vogeljunges. Ihre Lungen brannten.

Kalifornien.

Es war ein Kniff, den sie sich nach den ersten Panikattacken beigebracht hatte. Wenn sie ihrem eigenen Verstand entkommen musste, versetzte sie sich nach Kalifornien. Sie stellte sich die Palmen in den Parks vor, die viktorianischen Häuser mit ihren bonbonfarbenen Fassaden und den Geruch von Salzwasser, der über allem hing. Wenn sie die Augen schloss und sich konzentrierte, konnte sie den Blick auf San Francisco vom Crown Beach aus sehen: Wolkenkratzer im Nebel, die Anhöhe von Nob Hill, den weiten Bogen der Bay Bridge.

Der Druck in ihrem Brustkorb ließ nach, ihr Atem ging leichter. Sie fühlte sich stark genug, um zu sprechen. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich das Fenster ein bisschen aufmache? Ich brauche Luft.«

Cait nickte. »Tut mir leid, ist ein bisschen stickig hier drin.«

Die Luft war von belebender Kälte, und Rebecca spürte, wie jeder Atemzug sie zurück in ihren Körper brachte.

Cait sah sie immer noch an. »Alles okay? Sie sehen ein bisschen …«

Eine flüchtige Bewegung im Scheinwerferlicht. Aufblitzende Zähne und dunkles Fell. Ein dumpfer Aufprall. Ein Wimmern. Cait trat fest auf die Bremse, die Reifen quietschten auf dem Asphalt, zu spät. Stille.

»Was war das?«

Cait schüttelte den Kopf. Sie sah blass und betroffen aus. »Ich weiß nicht. Vielleicht ein Kojote?«

Sie öffnete die Tür und ging langsam nach vorn vor den Wagen, sichtlich wackelig vom Schock. Rebecca folgte ihr. Sie sahen es gleichzeitig: verschmiertes Blut und ein Büschel borstiger Haare am Kühlergrill. Struppiges rötliches Fell. Eine einzelne schlaffe Pfote.

Es war ein Fuchs. Wie er so reglos dalag, hätte er auch schlafen können. Nur das dunkelrote Blut an seiner Schnauze verriet, was geschehen war.

»O Gott.«

Cait blickte auf und sah Rebecca an. »Steigen Sie wieder ein.«

»Ist er …?« Eine Antwort war überflüssig. Sie wusste es schon.

»Steigen Sie ein. Sie sollten nicht hier draußen sein.«

Der Fuchs war klein – vermutlich ein Weibchen und noch jung. Rebecca dachte an den Fuchsbau unter dem alten Trampolin im Garten ihrer Eltern. Ihr Vater hatte immer so getan, als würden sie ihn in den Wahnsinn treiben – »räudige überdimensionale Ratten«, hatte er gemurmelt, wenn er einen frischen Kothaufen entdeckte –, doch sie hatte ihn auch mehr als einmal dabei ertappt, wie er die Füchse lächelnd vom Fenster aus beobachtete. In einem Sommer hatten sich die Jungen auf dem Trampolin vergnügt und waren auf ihren kurzen Beinen umhergesprungen, während die Füchsin wachsam in der Nähe lauerte. »Die sind gar nicht so anders als Hunde«, hatte Caits Mutter gesagt und ihr die Hand auf die Schulter gelegt. »Nur ein bisschen wilder.«

Rebecca streckte die Hand aus und berührte die Brust des Fuchses. Der Pelz war weich und noch warm.

Cait schaute auf das tote Tier und dann auf die verlassene Straße. »Wir können ihn nicht einfach liegen lassen. Alles in Ordnung? Sie sind nicht verletzt?«

»Mir geht’s gut. Und Ihnen?«

»Kein Problem. Es tut mir nur leid. Ich hätte …« Sie verstummte. Die Scheinwerfer bildeten zwei sich überlappende Kreise. Man hörte nur das Brummen des Motors und das leise Rauschen des Radios.

Cait richtete sich abrupt auf und klopfte sich die Jeans ab. »Setzen Sie sich doch in den Wagen.« Sie wollte Rebecca zur Tür schieben. »Ich kümmere mich darum.«

Rebecca schüttelte den Kopf. »Sie können ihn nicht allein bewegen.«

»Klar kann ich das.«

»Bitte.« Sie beugte sich vor und legte dem Fuchs eine Hand auf den Kopf. »Ich möchte helfen.«

Sie machten sich schweigend ans Werk. Cait ergriff die Hinterläufe, Rebecca packte ihn am Genick. Gemeinsam zogen sie das Tier unter dem Jeep hervor und trugen es an den Straßenrand. Es war erstaunlich schwer, der Pelz fast unerträglich weich.

»Sieht so aus, als wäre es schnell gegangen. Schmerzlos.«

Cait nickte. »Hoffentlich.«

Sie betteten den Fuchs auf ein Fleckchen Gras vor einem Trailerpark. »Vielleicht findet ihn morgen früh jemand und begräbt ihn richtig«, sagte Cait mit einer Kopfbewegung zur Häuserreihe.

»Vielleicht.«

Beide wussten, dass es unwahrscheinlich war. Auf solchen Straßen gab es tote Füchse wie Sand am Meer, seine Leiche würde von den Geiern gefressen werden oder in einer Mülltonne landen.

Rebecca starrte auf den Fuchs und kämpfte gegen den plötzlichen Drang an, einfach loszuheulen. Er sah so einsam aus, wie er da im Gras lag. So klein. Als hätte seine Mutter ihm nie das Fell sauber geleckt oder ihn liebevoll gebissen, während er mit den anderen Jungen spielte. Sie wandte sich ab. Die Welt war schrecklich. Manchmal unerträglich.

Sie hörte, wie die Tür des Jeeps zuschlug, und sah Cait mit einem Stoffbündel in den Armen auf sich zukommen. Sie bückte sich und legte ein altes Sweatshirt über den Körper des Fuchses. Sie wirkte verlegen und trotzig zugleich. »Gegen die Kälte.«

Als sie weiterfuhren, konnte Rebecca den Fuchs noch als dunklen Fleck im Mondlicht erkennen, der immer kleiner wurde. Dann war er verschwunden.

Zweieinhalb Jahre zuvor

Rebeccas Handflächen waren glitschig vor Schweiß, sie wischte sie unauffällig an ihrem Kleid ab. Zum Glück trug sie Schwarz, obwohl Patrick befürchtet hatte, es könnte nach Beerdigung aussehen.

»Ich habe mich für den Jackie-O.-Look entschieden«, sagte sie, als sie die Perlenkette umlegte.

Patrick zwinkerte ihr zu. »Du siehst himmlisch aus, egal in welchem Look.«

Rich Cadogan, der frisch angeheuerte Wahlkampfmanager und laut Patrick einer der besten seines Fachs, schlenderte herein und reichte Patrick einige Stichwortkarten. »Sieh zu, dass du jeden Punkt abhakst«, sagte er und schlug ihm auf den Rücken.

Patrick zählte sie an der Hand ab. »Niedrigere Steuern für hart arbeitende Familien. Bessere Gesundheitsversorgung. Gemeinnützige Programme. Strengere Strafen für Wiederholungstäter. ›Hart gegen das Verbrechen, hart gegen die Ursachen.‹«

»Super!«, strahlte Rich, dann schaute er Rebecca an. »Weg mit den Perlen.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Damit kommst du zu elitär rüber. Das gilt auch für die Schuhe. Denk dran, die Leute müssen dich ebenso mögen wie Patrick. Und die Leute lieben Patrick. Hab ich recht, Mann?«

Patrick grinste. »Aber nur dank dir.« Dann bemerkte er Rebeccas Gesichtsausdruck und schraubte sein Lächeln herunter. »Ich finde, Rebecca sieht toll aus. Sie hat Klasse. Wie Jackie O.«

»Die Kennedy-Masche zieht hier nicht. Wir zielen auf die Mütter aus den Vororten, und da ihr keine eigenen Kinder habt, seid ihr da schon mal im Nachteil. Wenn sie so rausgeht, halten die sie für eine Zicke.« Rich schaute sie an. »Nicht böse gemeint.«

Rebeccas Wangen fingen an zu glühen. »Aber ich hab nur dieses Kleid mitgenommen. Ich habe sonst nichts zum Anziehen.«

»Mal sehen, was sich machen lässt.« Rich glitt in einer Wolke von Tom Ford aus dem Raum.

Patrick sah zu, wie sie die Perlenkette abnahm. »Er meint es nicht so.« Er legte ihr zögernd die Hand auf den Arm. »Er tut nur seine Arbeit.«

»Ich weiß.« Tränen brannten heiß in ihren Augen. »Ich möchte es doch nur richtig machen.«

Er drehte sie zu sich um und drückte sie an seine Brust. »Das wirst du, Liebes. Das wirst du.«

Aber du bist noch nicht so weit. So war es doch gemeint, oder? Irgendwann würde sie es hinbekommen, aber das dauerte noch. Und das Schlimmste war, dass er recht hatte. Letzte Woche hatte Rich eine Journalistin vorbeigeschickt, die sie zu Hause als Paar interviewen sollte, und sowie sie über die Schwelle getreten war, hatte Rebecca gespürt, dass sie gewogen und für zu leicht befunden wurde. Die Küche war zu steril. Das Wohnzimmer mit den offenen Bücherregalen spießig; dass ein Fernseher fehlte, wirkte bemüht. Die Kekse, die Rebecca ihr angeboten hatte – und die sie extra in der erstklassigen Bäckerei in der 82. Straße gekauft hatte –, wurden mit einer höflichen Grimasse entgegengenommen, und sie wusste sofort, dass sie besser eine Backmischung gekauft und sich selbst in die Küche gestellt hätte.

Als das Porträt dann veröffentlicht wurde, war sie bei ihrer Beschreibung zusammengezuckt. Sie sei »beherrscht« und »reserviert«, und ihre blonden Haare wurden gleich zweimal als gepflegt beschrieben. (Schlampige Redaktion, hatte Rebecca spontan gedacht.) Der Artikel machte viel Aufhebens um die Tatsache, dass sie an der Westküste geboren und aufgewachsen war und in Berkeley studiert hatte. »Rebecca McRae unterrichtete sechs Jahre lang Englisch an einer modernen Highschool in San Francisco.« Sie konnte förmlich sehen, wie die Leute die Augen verdrehten.

Patrick hingegen wurde als heldenhafter Heimkehrer dargestellt, als Junge von hier, der gegen die dämonischen Küsteneliten gekämpft hatte und siegreich in den Lone Star State zurückgekehrt war. Die Verfasserin beschrieb seine Augen bis ins kleinste Detail und erwähnte insbesondere die muskulösen Unterarme, die dank der aufgerollten Hemdsärmel sichtbar waren.

An jenem Abend hatte sich Rebecca im Badezimmer eingeschlossen und ihr Spiegelbild angestarrt. War das wirklich sie: eine hochnäsige Hausfrau mit einem schlechten Geschmack, was Backwaren betraf? Sie hätte sich stärker darum bemühen müssen, in Lubbock eine Stelle als Lehrerin zu finden, doch die Genehmigung zu bekommen war schwieriger als erwartet gewesen, und als sie endlich die Zulassung erhielt, hatte das neue Schuljahr schon begonnen. Dann wurde Patrick für die Kongresswahlen aufgestellt und erwartete, dass sie ihn bei seinem Wahlkampf unterstützte.

»Wenn ich gewählt werde, hast du auch eine Plattform, um über Bildung zu sprechen. Du kannst mit deinem großen Talent Tausenden Kindern in Lubbock helfen und nicht nur den dreißig, die das Glück haben, von dir unterrichtet zu werden.« Er hatte die Hand ausgestreckt und ihr Kinn festgehalten. »Wir werden ein verdammt gutes Team sein, du und ich. Texas wird gar nicht wissen, wie ihm geschieht.«

Rich stürmte wieder ins Zimmer und warf ihr eine himmelblaue Strickjacke und ein Paar zu kleiner Ballerinas hin. »Die habe ich der Praktikantin geklaut.«

Sie zog die Strickjacke über – die Praktikantin benutzte Shalimar, wovon sie schon immer Kopfschmerzen bekommen hatte – und quetschte ihre Füße in die zu kleinen Schuhe. Patrick lächelte. »Du siehst perfekt aus.« Er küsste sie auf die Wange.

Rich reckte einen Daumen in die Höhe. »Für heute reicht es. Nächstes Mal besorge ich eine Styling-Beraterin.«

Rebecca betrachtete sich im Ganzkörperspiegel. Sie erkannte sich nicht wieder.

Sie hörte, wie Patrick angekündigt wurde, wie der Applaus losbrach, und spürte ihre Hand in seiner, als er sie auf die Bühne zog. Sie stand hinter ihm, das Kinn gesenkt, das Gesicht sorgsam beherrscht, um Stolz und Ernsthaftigkeit, Bürgernähe und Familienwerte und all die anderen Attribute zu verkörpern, die Rich ihr eingebläut hatte. Sagen musste sie nichts – das war ihnen sogar lieber –, sondern einfach nur dastehen und Patricks Hinterkopf anbeten, während sie still in die Strickjacke der Praktikantin schwitzte. Ihre Füße taten jetzt schon weh.

Patrick trat mit einem einstudierten Winken ans Rednerpult und begann mit den Worten, die er an diesem Morgen in der Dusche geprobt hatte. »Guten Tag. Ich heiße Patrick McRae. Meine wunderbare Frau Rebecca und ich sind hier, um Sie alle zu bitten, mich zum nächsten Kongressabgeordneten für unseren großartigen Staat Texas zu wählen!«

Muleshoe, Texas376 Kilometer bis Albuquerque