Nächtliches Gespräch mit einem verachteten Menschen / Stranitzky und der Nation - Friedrich Dürrenmatt - E-Book

Nächtliches Gespräch mit einem verachteten Menschen / Stranitzky und der Nation E-Book

Friedrich Dürrenmatt

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Beschreibung

»Dürrenmatt ist ein Meister der sprachlichen Perspektive, er hat sie nicht zuletzt am Hörspiel ausgebildet. Im Unternehmen Wega wird die Auseinandersetzung zwischen West und Ost auf unserem Planeten ausgeweitet auf einen neuen möglichen Kriegsschauplatz: die Venus. Sie ist zur Strafkolonie der Erde geworden. In Stranitzky und der Nationalheld rückt das Staatsoberhaupt Baldur von Moeve infolge Erkrankung an Aussatz auf die Seite der Geächteten und Geschändeten. Einer von diesen, der an beiden Beinen amputierte Kriegsverletzte und ehemalige Fußballchampion Stranitzky, hält nun seine Stunde für gekommen. Die bisherigen Opfer der Politik werden regieren ­ denn zum Regieren braucht es ja schließlich keine Beine, wohl aber einen Kopf. Das Nächtliche Gespräch ist nicht nur ganz allgemein ein Kurs für Zeitgenossen, sondern im besonderen eine Anleitung für Dürrenmatt-Leser, vielleicht sogar d i e Anleitung.«"

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Friedrich Dürrenmatt

Nächtliches Gespräch mit einem verachteten Menschen | Stranitzky und der Nationalheld | Das Unternehmen der Wega

Hörspiele und Kabarett

Diogenes

Nächtliches Gespräch mit einem verachteten Menschen

Ein Kurs für Zeitgenossen

Die Stimmen

Der Mann

Der andere

Geschrieben 1951

Eine Fensterscheibe klirrt.

DER MANN ruhig und laut

Kommen Sie bitte herein.

Stille.

DER MANN

Kommen Sie herein. Es hat keinen Sinn, auf dem Fenstersims sitzen zu bleiben in dieser unangenehmen Höhe, wenn Sie schon heraufgeklettert sind. Ich kann Sie ja sehen. Der Himmel da draußen hinter Ihrem Rücken ist immer noch heller in seiner Dunkelheit als die Finsternis dieses Zimmers.

Ein Gegenstand fällt auf den Boden.

DER MANN

Sie haben die Taschenlampe fallen lassen.

DER ANDERE

Verflixt.

DER MANN

Es hat keinen Sinn, nach ihr auf dem Boden zu suchen. Ich mache Licht.

Ein Schalter knackt.

DER ANDERE

Vielen Dank, Herr.

DER MANN

So. Da sind Sie. Die Situation ist gleich sympathischer, wenn man sich sieht. Sie sind ja ein älterer Mann!

DER ANDERE

Haben Sie einen jungen erwartet?

DER MANN

Allerdings. Ich habe dergleichen erwartet. Nehmen Sie auch die Taschenlampe wieder zu sich. Sie liegt rechts vom Stuhl.

DER ANDERE

Verzeihung.

Eine Vase zersplittert.

DER ANDERE

Verflixt nochmal. Jetzt habe ich eine chinesische Vase umgeworfen.

DER MANN

Den griechischen Weinkrug.

DER ANDERE

Kaputt. Es tut mir leid.

DER MANN

Macht nichts. Ich werde kaum noch Gelegenheit haben, ihn zu vermissen.

DER ANDERE

Es ist schließlich nicht mein Metier, Fassaden zu klettern und einzubrechen. Was jetzt von einem verlangt wird, soll doch der Teufel – meine Ungeschicklichkeit tut mir wirklich leid, Herr!

DER MANN

Das kann vorkommen.

DER ANDERE

Ich glaubte –

DER MANN

Sie waren der Meinung, ich schliefe im andern Zimmer. Ich verstehe. Sie konnten wirklich nicht wissen, daß ich um diese Zeit noch im Finstern an meinem Schreibtisch sitze.

DER ANDERE

Normale Menschen liegen um diese Zeit im Bett.

DER MANN

Wenn normale Zeiten sind.

DER ANDERE

Ihre Frau?

DER MANN

Machen Sie sich keine Sorgen. Meine Frau ist gestorben.

DER ANDERE

Haben Sie Kinder?

DER MANN

Mein Sohn ist in irgendeinem Konzentrationslager.

DER ANDERE

Die Tochter?

DER MANN

Ich habe keine Tochter.

DER ANDERE

Sie schreiben Bücher? Ihr Zimmer ist voll davon.

DER MANN

Ich bin Schriftsteller.

DER ANDERE

Liest jemand die Bücher, die Sie schreiben?

DER MANN

Man liest sie überall, wo sie verboten sind.

DER ANDERE

Und wo sie nicht verboten sind?

DER MANN

Haßt man sie.

DER ANDERE

Beschäftigen Sie einen Sekretär oder eine Sekretärin?

DER MANN

In Ihren Kreisen müssen über das Einkommen der Schriftsteller die wildesten Gerüchte zirkulieren.

DER ANDERE

So befindet sich demnach zur Zeit außer Ihnen niemand in der Wohnung?

DER MANN

Ich bin allein.

DER ANDERE

Das ist gut. Wir brauchen absolute Ruhe. Das müssen Sie begreifen.

DER MANN

Sicher.

DER ANDERE

Es ist klug von Ihnen, mir keine Schwierigkeiten zu machen.

DER MANN

Sie sind gekommen, mich zu töten?

DER ANDERE

Ich habe diesen Auftrag.

DER MANN

Sie morden auf Bestellung?

DER ANDERE

Mein Beruf.

DER MANN

Ich habe es immer dunkel geahnt, daß es heute in diesem Staat auch Berufsmörder geben muß.

DER ANDERE

Das war immer so, Herr. Ich bin der Henker dieses Staats. Seit fünfzig Jahren.

Stille.

DER MANN

Ach so. Du bist der Henker.

DER ANDERE

Haben Sie jemand anders erwartet?

DER MANN

Nein. Eigentlich nicht.

DER ANDERE

Sie tragen Ihr Schicksal mit Fassung.

DER MANN

Du drückst dich reichlich gewählt aus.

DER ANDERE

Ich habe es heute vor allem mit gebildeten Leuten zu tun.

DER MANN

Es tut nur gut, wenn die Bildung wieder etwas Gefährliches wird. Willst du dich nicht setzen?

DER ANDERE

Ich setze mich ein wenig auf die Schreibtischkante, wenn es Sie nicht geniert.

DER MANN

Tu nur wie zu Hause. Darf ich dir einen Schnaps offerieren?

DER ANDERE

Danke, aber erst für nachher. Vorher trinke ich nicht. Damit die Hand sicher bleibt.

DER MANN

Das sehe ich ein. Nur mußt du dich dann selbst servieren. Ich habe ihn extra für dich gekauft.

DER ANDERE

Sie wußten, daß Sie zum Tode verurteilt worden sind?

DER MANN

In diesem Staate ist alles zum Tode verurteilt, und es bleibt einem nichts anderes mehr übrig, als durchs Fenster in den unermeßlichen Himmel zu starren und zu warten.

DER ANDERE

Auf den Tod?

DER MANN

Auf den Mörder. Auf wen sonst? Man kann in diesem verfluchten Staat alles berechnen, denn nur das Primitive ist wirklich übersichtlich. Die Dinge nehmen einen so logischen Verlauf, als wäre man in eine Hackmaschine geraten. Der Ministerpräsident hat mich angegriffen, man weiß, was dies bedeutet, die Reden Seiner Exzellenz pflegen unästhetische Folgen zu haben. Meine Freunde beschlossen zu leben und zogen sich zurück, da sich jeder zum Tode verurteilt, der mich besucht. Der Staat schloß mich in das Gefängnis seiner Ächtung ein. Aber einmal mußte er die Mauern meiner Einsamkeit aufbrechen. Einmal mußte er einen Menschen zu mir schicken, wenn auch nur, um mir den Tod zu geben. Auf diesen Menschen habe ich gewartet. Auf einen, der so denkt, wie meine wahren Mörder denken. Diesem Menschen wollte ich noch einmal – zum letztenmal – sagen, wofür ich ein ganzes Leben lang gekämpft habe. Ich wollte ihm zeigen, was die Freiheit ist, ich wollte ihm beweisen, daß ein freier Mann nicht zittert. Und nun bist du gekommen.

DER ANDERE

Der Henker.

DER MANN

Mit dem zu reden es keinen Sinn hat.

DER ANDERE

Sie verachten mich?

DER MANN

Wer hätte dich je achten können, verächtlichster unter den Menschen.

DER ANDERE

Einen Mörder hätten Sie geachtet?

DER MANN

Ich hätte ihn wie einen Bruder geliebt, und ich hätte mit ihm wie mit einem Bruder gekämpft. Mein Geist hätte ihn besiegt in der Triumphstunde meines Todes. Aber nun ist ein Beamter zu mir durch das Fenster gestiegen, der tötet und einmal fürs Töten eine Pension beziehen wird, um satt wie eine Spinne auf seinem Sofa einzuschlafen. Willkommen, Henker!

DER ANDERE

Bitte schön.

DER MANN

Du wirst verlegen. Das ist verständlich, ein Henker kann nicht gut antworten: Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.

DER ANDERE

Sie fürchten sich nicht?

DER MANN

Nein. Wie denkst du, die Exekution auszuführen?

DER ANDERE

Lautlos.

DER MANN

Ich verstehe. Es muß Rücksicht auf die Familien genommen werden, die noch in diesem Hause wohnen.

DER ANDERE

Ich habe ein Messer bei mir.

DER MANN

Also gewissermaßen chirurgisch. Werde ich zu leiden haben?

DER ANDERE

Es geht schnell. In Sekunden ist es vorbei.

DER MANN

Du hast schon viele auf diese Weise getötet?

DER ANDERE

Ja. Schon viele.

DER MANN

Es freut mich, daß der Staat wenigstens einen Fachmann schickt und keinen Anfänger. Habe ich noch etwas Bestimmtes zu tun?

DER ANDERE

Wenn Sie sich entschließen könnten, den Kragen zu öffnen.

DER MANN

Darf ich mir vorher noch eine Zigarette anzünden?

DER ANDERE

Klar. Das ist Ehrensache. Das bewillige ich jedem. Es eilt auch gar nicht so mit dem andern.

DER MANN

Eine Camel. Rauchst du auch eine?

DER ANDERE

Erst nachher.

DER MANN

Natürlich. Du machst alles erst nachher. Wegen der Hand. Dann lege ich sie zum Schnaps.

DER ANDERE

Sie sind gütig.

DER MANN

Zu einem Hund ist man immer gütig.

DER ANDERE

Da haben Sie Feuer.

DER MANN

Ich danke dir. So. Und nun ist auch der Kragen offen.

DER ANDERE

Sie tun mir wirklich leid, Herr.

DER MANN

Ich finde es auch etwas bedauerlich.

DER ANDERE

Dabei dürfen Sie von Glück sagen, daß dies alles so ganz privat in dieser Nacht zu geschehen hat.

DER MANN

Ich fühle mich auch ungemein bevorzugt.

DER ANDERE

Sie sind eben ein Schriftsteller.

DER MANN

Nun?

DER ANDERE

Da werden Sie für die Freiheit sein.

DER MANN

Nur.

DER ANDERE

Dafür sind sie jetzt alle, die ich töten muß.

DER MANN

Was versteht ein Henker schon von der Freiheit!

DER ANDERE

Nichts, Herr.

DER MANN

Eben.

DER ANDERE

Sie haben Ihre Zigarette zertreten.

DER MANN

Ich bin etwas nervös.

DER ANDERE

Wollen Sie jetzt sterben?

DER MANN

Noch eine Zigarette, wenn ich darf.

DER ANDERE

Rauchen Sie nur. Die meisten rauchen vorher noch eine Zigarette und dann noch eine. Jetzt sind’s amerikanische und englische. Früher französische und russische.

DER MANN

Das kann ich mir denken. Zwei Zigaretten vor dem Tod und ein Gespräch mit dir, das möchte ich auch nicht missen.

DER ANDERE

Obgleich Sie mich verachten.

DER MANN

Man gewöhnt sich auch ans Verächtliche. Aber dann ist es höchste Zeit zum Sterben.

DER ANDERE

Hier haben Sie noch einmal Feuer, Herr.

DER MANN

Danke.

DER ANDERE

Jeder hat eben doch ein wenig Furcht.

DER MANN

Ja. Ein wenig.

DER ANDERE

Und man trennt sich ungern vom Leben.

DER MANN

Wenn es keine Gerechtigkeit mehr gibt, trennt man sich leicht davon. Aber von der Gerechtigkeit wirst du auch nichts verstehen.

DER ANDERE

Auch nicht, Herr.

DER MANN

Siehst du, ich habe nie im geringsten das Gegenteil angenommen.

DER ANDERE

Die Gerechtigkeit ist eine Sache von euch da draußen, denke ich. Wer soll auch klug werden daraus. Ihr habt ja immer wieder eine andere. Da lebe ich nun fünfzig Jahre im Gefängnis. Ich werde ja erst in der letzten Zeit auch nach außen geschickt, und dies nur bei Nacht. Hin und wieder lese ich eine Zeitung. Hin und wieder drehe ich das Radio an. Dann vernehme ich vom rasenden Ablauf der Schicksale, vom unaufhörlichen Versinken und Aufsteigen der Mächtigen und Glänzenden, vom donnernden Vorbeigang ihrer Trosse, vom stummen Untergang der Schwachen, doch bei mir bleibt sich alles gleich. Immer die gleichen grauen Mauern, die gleiche rinselnde Feuchtigkeit, die gleiche schimmelnde Stelle oben an der Decke, die fast wie Europa aussieht im Atlas, der gleiche Gang durch den dunklen, langen Korridor in den Hof hinaus im fahlen Morgengrauen, die immer gleichen bleichen Gestalten in Hemd und Hose, die mir entgegengeführt werden, das immer gleiche Zögern, wenn sie mich erblicken, das immer gleiche Zuschlagen, bei Schuldigen und bei Unschuldigen: zuschlagen, zuschlagen wie ein Hammer, zuschlagen wie ein Beil, das man nicht fragt.

DER MANN

Du bist eben ein Henker.

DER ANDERE

Ich bin eben ein Henker.

DER MANN

Was ist einem Henker schon wichtig!

DER ANDERE

Die Art, wie einer stirbt, Herr.

DER MANN

Die Art, wie einer krepiert, willst du sagen.

DER ANDERE

Da sind gewaltige Unterschiede.

DER MANN

Nenne mir diese Unterschiede.

DER ANDERE

Es ist gewissermaßen die Kunst des Sterbens, nach der Sie fragen.

DER MANN

Dies scheint die einzige Kunst zu sein, die wir heute lernen müssen.

DER ANDERE

Ich weiß weder, ob man diese Kunst lehren kann, noch wie man sie lernt. Ich sehe nur, daß sie einige besitzen und viele nicht, daß Stümper in dieser Kunst zu mir kommen und große Meister. Sehen Sie, Herr, vielleicht wäre für mich alles leichter zu verstehen, wenn ich mehr von den Menschen wüßte, wie sie in ihrem Leben sind, was sie denn eigentlich unternehmen die ganze ungeheure Zeit über, bis sie zu mir kommen; was das heißt, heiraten, Kinder haben, Geschäfte machen, eine Ehre besitzen, eine Maschine handhaben, spielen und trinken, einen Pflug führen, Politik betreiben, sich für Ideen oder ein Vaterland aufopfern, nach Macht streben, und was man nur immer tut. Das werden gute Leute sein oder schlechte, gewöhnliche und kostspielige, so wie man eben versteht zu leben, wie es die Umstände ergeben, die Herkunft, die Religion, oder das Geld, das man gerade dazu hat, oder zu was einen der Hunger treibt. Daher weiß ich denn auch nicht die ganze Wahrheit vom Menschen, sondern nur meine Wahrheit.

DER MANN

Zeig sie her, deine Henkerswahrheit.

DER ANDERE

Zuerst habe ich mir das alles ganz einfach vorgestellt. Ich war ja auch nicht viel mehr denn ein dumpfes Tier, eine brutale Kraft mit der Aufgabe zu henken. Da habe ich mir gedacht: Alles, was man verlieren kann, ist das Leben, etwas anderes als das Leben gibt es nicht, der ist ein armer Teufel, der dieses Leben verliert. Aus diesem Grunde war ich ja auch ein Henker geworden, damals vor fünfzig Jahren, um mein Leben wiederzugewinnen, das ich, aufgewachsen wie ein rohes Stück Vieh, vor dem Gericht verloren hatte, und als Gegenleistung verlangte man eben, daß ich ein tüchtiger Henker werde. Das Leben wollte doch auch verdient sein. Ich wurde Henker, wie einer da draußen bei euch Bäcker wird oder General: um zu leben. Und das Leben war das gleiche wie Henken. War das nicht ehrlich gedacht?

DER MANN

Gewiß.

DER ANDERE

Nichts schien mir natürlicher, als daß ein Kerl sich wehrte, wenn er sterben mußte, wenn sich zwischen ihm und mir ein wilder Kampf entspann, bis ich seinen Kopf auf dem Richtblock hatte. So starben die wilden Burschen aus den Wäldern, die im Jähzorn töteten oder einen Raubmord unternahmen, um ihrem Mädchen einen roten Rock zu kaufen. Ich verstand sie und ihre Leidenschaften, und ich liebte sie, war ich doch einer von ihnen. Da war Verbrechen in ihrem Handeln und Gerechtigkeit in meinem Henken, die Rechnung war klar und ging auf. Sie starben einen gesunden Tod.

DER MANN

Ich verstehe dich.

DER ANDERE

Und dann waren andere, die starben anders, obgleich es mir manchmal scheint, daß es doch ein gleiches Sterben war. Die behandelten mich mit Verachtung und starben stolz, Herr, hielten vorher prächtige Reden über die Freiheit und über die Gerechtigkeit, spotteten über die Regierung, griffen die Reichen an oder die Tyrannen, daß es einem kalt über den Rücken lief. Die, denke ich, starben so, weil sie sich im Recht glaubten und vielleicht auch recht hatten, und nun wollten sie zeigen, wie gleichgültig ihnen der Tod war. Auch hier war die Rechnung klar und einfach: Es war Krieg zwischen ihnen und mir. Sie starben im Zorn und in der Verachtung, und ich schlug im Zorn zu, die Gerechtigkeit lag bei beiden, meine ich. Die starben einen imposanten Tod.

DER MANN

Brav umgekommen! Mögen heute viele so sterben!

DER ANDERE

Ja, Herr, das ist eben das Merkwürdige: Heute stirbt man nicht mehr so.

DER MANN

Wie das, Schurke! Gerade heute ist jeder ein Rebell, der durch deine Hand stirbt.

DER ANDERE

Ich glaube auch, daß viele so sterben möchten.

DER MANN

Es steht jedem frei, zu sterben, wie er will.

DER ANDERE

Nicht mehr bei diesem Tod, Herr. Da gehört durchaus Publikum dazu. Das war vorher noch so unter den vorigen Regierungen, da war die Hinrichtung ein Anlaß, zu dem man feierlich erschien: Der Richter war da, der Staatsanwalt, der Verteidiger, ein Priester, einige Journalisten, Ärzte und andere Neugierige, alle in schwarzem Gehrock, wie zu einem Staatsakt, und manchmal war sogar noch ein Trommelwirbel dabei, um die Angelegenheit recht imposant zu machen. Da lohnt es sich für den Verurteilten noch, eine zündende Schmährede zu halten, der Staatsanwalt hat sich oft genug geärgert und auf die Lippen gebissen. Aber heute hat sich das geändert. Man stirbt allein mit mir. Nicht einmal ein Priester ist dabei, und es war ja auch vorher kein Gericht. Da man mich verachtet, spricht man auch nicht mehr, und das Sterben stimmt dann auch nicht, weil die Rechnung nicht aufgeht und der Verurteilte zu kurz kommt. So sterben sie denn, wie Tiere sterben, gleichgültig, und das ist doch auch nicht die rechte Kunst. Wenn es aber doch ein Gericht gegeben hat, weil dies der Staat bisweilen braucht, und wenn einmal doch der Staatsanwalt und der Richter erscheinen, da ist der Verurteilte ein gebrochener Mann, der alles mit sich machen läßt. Das ist dann ein trauriger Tod. Es sind eben andere Zeiten gekommen, Herr.

DER MANN

Andere Zeiten! Sogar der Henker nimmt dies wahr!

DER ANDERE

Es wundert mich nur, was in der Welt heute denn eigentlich los ist.

DER MANN

Der Henker ist los, mein Freund! Auch ich wollte sterben wie ein Held. Und nun bin ich mit dir allein.

DER ANDERE

Allein mit mir in der Stille dieser Nacht.

DER MANN

Auch mir bleibt nichts anderes übrig, als umzukommen, wie die Tiere umkommen.

DER ANDERE

Es gibt ein anderes Sterben, Herr.

DER MANN

So erzähle mir, wie man in unserer Zeit anders stirbt denn ein Tier.

DER ANDERE

Indem man demütig stirbt, Herr.

DER MANN

Deine Weisheit ist eines Henkers würdig! Man soll in dieser Zeit nicht demütig sein, Bube! Man soll auch nicht demütig sterben. Diese Tugend ist heute unanständig geworden. Man soll bis zum letzten Atemzug gegen die Verbrechen protestieren, die an der Menschheit begangen werden.

DER ANDERE

Das ist die Sache der Lebenden, aber die Sache der Sterbenden ist eine andere.

DER MANN