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In dem kleinen, verschlafenen Städtchen Morgental gibt es einen alten Friedhof, der von allen gemieden wird. Man erzählt sich, dass er nach Einbruch der Dunkelheit zum Leben erwacht. Als die 12-jährige Mira und ihre Freunde auf die Erzählung von Miras Grossmutter hin nachts in den Friedhof eindringen, wird aus einem Muttest ein schauriges Abenteuer. Denn in dieser Nacht wird die alte Legende Wirklichkeit: Schatten flüstern, Gräber knarren, dunkle Nebelschwaden hüllen die drei Freunde ein – und eine längst vergessene Bedrohung erwacht.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Mira war sich nicht sicher, ob sie ihre Grossmutter richtig verstanden hatte. Sie hatte vom alten Friedhof am Stadtrand erzählt und von einem Wesen, das sie als „Kochenwächter“ bezeichnet hatte ...
Mira und ihre besten Freunde, Lea und Jan, sassen, wie schon oft, nach der Schule bei Mira’s Grossmutter Elvira. Die 78-Jährige wohnte in einem gemütlichen, alten Haus voller Bücher, Kerzen und seltsamer Gegenstände.
„Möchte jemand Tee? Ich habe Lust auf eine wärmende Tasse und falls Ihr auch mögt, mache ich gleich eine ganze Kanne.“ Mit diesen Worten bewegte sich Elvira zur Küche und gleich darauf hörten die drei Freunde sie mit Tassen, Kanne und Teedosen hantieren.
„Da schliessen wir uns gerne an“ liessen Mira und Lea gleichzeitig verlauten. Die beiden Freundinnen sahen sich an und lachten.
Mira lehnte sich zurück und betrachtete den Raum. Die Wände waren von oben bis unten mit Bücherregalen gefüllt, in denen uralte Folianten, abgegriffene Romane und vergilbte Pergamente standen. Dazwischen lagen geheimnisvolle Holzschatullen, kleine Statuen aus dunklem Stein und Kerzen, deren Wachs über die Jahre hinweg in dicken Tropfen an den Haltern hinabgelaufen war. In einer Ecke hing ein schwerer, handgewebter Wandteppich mit seltsamen Symbolen, die Mira noch nie zuvor aufgefallen waren.
Sie wusste, dass ihre Grossmutter eine Vorliebe für alte Geschichten hatte. Doch diesmal klang ihre Stimme anders. Ernsthafter. Fast … warnend.
„Und, was genau hast du gemeint mit diesem … Knochenwächter?“, fragte Mira schliesslich, während sie ihrer Grossmutter nachsah, die in der kleinen Küche verschwand.
Lea rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. „Ja, das klang ziemlich gruselig. Meinst du eine Art Geist?“
Jan, der bisher still gewesen war, schob seine Brille zurecht und runzelte die Stirn. „Oder eine alte Sage? Viele Legenden sind übertrieben, aber sie haben oft einen wahren Kern.“
Aus der Küche drang das leise Pfeifen des Teekessels, dann erschien Elvira wieder in der Tür. In einer Hand hielt sie ein Tablett mit dampfenden Tassen, in der anderen eine Schale mit Keksen. Ihr Blick war schwer zu deuten – ein wenig amüsiert, aber auch nachdenklich.
Sie stellte das Tablett vorsichtig auf den Tisch ab, goss den Tee in die Tassen und nahm sich einen Moment Zeit, um den Dampf aufsteigen zu lassen, bevor sie sprach.
„Ah, ihr seid interessiert? Das hätte ich mir denken können.“
Mira beugte sich gespannt nach vorne. „Erzähl uns alles.“
Elvira rührte langsam in ihrer Tasse, als würde sie nach den richtigen Worten suchen. Dann begann sie:
„Nun … vor vielen, vielen Jahren gab es in Morgental eine Zeit, in der die Menschen nicht nach Einbruch der Dunkelheit hinausgingen. Sie verschlossen ihre Türen und Fenster, hängten Talismane an ihre Häuser und flüsterten Gebete. Denn sie fürchteten etwas, das nachts über den Friedhof streifte. Ein Wesen, das keine Ruhe fand.“
Lea schluckte und sah Jan an, der mit grossen Augen zuhörte.
„Der Knochenwächter war einst ein Mensch“, fuhr Elvira fort. „Ein Hüter des Friedhofs, der darauf schwor, die Ruhe der Toten zu bewahren. Doch eines Nachts … geschah etwas. Etwas, das so düster ist, dass niemand mehr genau weiss, was wirklich passierte. Manche sagen, er wurde betrogen. Andere sagen, er beging einen schrecklichen Fehler. Was auch immer die Wahrheit ist – an jenem Abend veränderte sich etwas auf dem Friedhof. Und er wurde zu dem, was er heute ist.“
Mira spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief. „Was genau bedeutet das?“
Elvira legte ihre Tasse ab und faltete langsam die Hände. „Seit dieser Nacht wacht er über die Gräber … aber nicht mehr, um sie zu schützen. Sondern um sicherzustellen, dass niemand zu tief gräbt. Weder im Boden … noch in der Vergangenheit.“
Draussen prasselte der Regen stärker gegen das Fenster. Der Wind pfiff durch die Äste der alten Kastanie vor dem Haus, und ein dunkler Schatten huschte über die Fensterscheibe.
Jan atmete tief durch. „Das ist doch nur eine Legende … oder?“
Elvira sah ihn mit einem ernsten Blick an. „Viele Legenden haben einen wahren Kern, Jan. Manche mehr, als uns lieb ist.“
Lea schüttelte sich und griff nach ihrer Tasse. „Und wenn doch jemand … zu tief gräbt?“
Elvira lehnte sich zurück und betrachtete die drei Freunde einen Moment lang, bevor sie leise weitersprach.
„Dann hört man ihn kommen. Erst das Knirschen von Schritten auf Kies. Dann das Flüstern im Wind. Und schliesslich …“ Sie hielt inne, ihre Stimme kaum noch mehr als ein Hauch. „Dann sieht man die Schatten …“
In diesem Moment blitzte es draussen auf, und ein tiefes Grollen rollte über den Himmel.
Lea zuckte zusammen. „Okay, das war unheimlich gut getimt.“
„Das ist doch nur eine Geschichte, oder?“, fragte Mira vorsichtig.
Elvira lächelte schwach. „Natürlich, mein Kind. Nur eine Geschichte.“
Aber irgendetwas in ihrer Stimme liess Mira zweifeln.