Nachts wenn Tode schreien - Sascha Ruppenthal - E-Book

Nachts wenn Tode schreien E-Book

Sascha Ruppenthal

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Beschreibung

Die 9jährige Anna wird entführt und Gefangen gehalten, während sie einer Bestie ausgesetzt ist, leiden ihre Eltern unter Höllenqualen. Gleichzeitig ist ihr Vater Marc in einer mysteriösen Hütte im Pfälzerwald gefangen, an einem Ort an dem Raum und Zeit bedeutungslos sind. Nachts erscheinen ihm schreckliche Wesen aus dem Wald und am Ende kommt er einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur.

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Seitenzahl: 252

Veröffentlichungsjahr: 2025

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1. Im Wald
2. Die Familie
3. Im Keller
4. Die Hütte
5. Eine schreckliche Nacht
6. Eine Erfahrung reicher
7. Alles friedlich
8. Spuren der Zeit
9. Der Lauf der Zeit
10. Die Nacht der Qualen
11. Dunkle Schatten ohne Spuren
12. Realität oder Fantasie?
13. Schmerzen und Erinnerungen
14. Kein Entkommen
15. Mutterliebe
16. Die Geister, die ich rief
17. In Furcht und Hoffnung
18. Die Wege des Herrn
19. Die Modenschau
20. Die Diagnose
21. Reue
22. Visionen oder Realität?
23. Keine Antworten
24. Nachts, wenn Tote schreien
25. Der Mann mit dem Hut
26. Verlangen nach Anna
27. Ruhet in Frieden
28. Dem Schicksal kann man nicht entrinnen
29. Der Besuch in der Hütte
30. Der Kreis schließt sich

Vorwort

Erst einmal möchte ich mich bei Ihnen für den Kauf meines neuen Buches herzlich bedanken. Ich hoffe, dass Sie die Geschichte spannend finden werden und dass diese Sie fesseln wird.

Eigentlich war ein ganz anderes Buch geplant, welches ich auch schon angefangen hatte. Es sollte direkt an mein letztes Werk „Das Klassentreffen“ anknüpfen, ich entschied mich jedoch im Januar für eine neue Geschichte.

Dieser Roman basiert auf eine Kurzgeschichte, die ich bereits mit 14 Jahren geschrieben hatte. Es war damals meine beste Kurzgeschichte und daher kam ich auf die Idee, aus dem Stoff einen Roman zu schreiben, der natürlich mehr ins Detail gehen wird.

Es handelt sich um eine Horrorgeschichte, die in einem der Wälder in der Pfalz spielt. Lassen Sie sich einfach überraschen. Nun viel Spaß beim Lesen.

Sascha Ruppenthal

Nachts, wenn Tote schreien

Text: Sascha Ruppenthal

Lektorat: Dietmar Seidler

Cover: Sascha Ruppenthal, Armin Freitag

1. Im Wald

Sommer 2024

„Sollen wir uns, wie immer trennen?“, fragt Werner seinen Freund Bernd, der gerade das Gewehr aus seinem Kofferraum nimmt. Er überprüft seine Waffe und antwortet: „Ja klar, machen wir doch immer. Wir haben viel bessere Chancen diese Biester zu finden, wenn wir uns trennen. Hier hast du noch ein Funkgerät, stell es auf Kanal 3“ und gibt dieses seinem Freund. Werner findet es etwas rückständig, dass sie sich immer noch mit einem Funkgerät verständigen, gerade im Zeitalter der Smartphones. Bernd findet es einfach zuverlässiger, denn oft waren sie schon im Wald und hatten plötzlich keinen Empfang. Beide ziehen sich noch schnell ihre Nachtsichtgeräte an, bevor sie sich getrennt auf den Weg machen. Sie gehen keinen Weg entlang, ganz im Gegenteil, sie bahnen sich einen Weg durch das Gebüsch, querfeldein. Dabei gehen sie über einen kleinen unscheinbaren Hügel. Es ist bereits seit Stunden finstere Nacht und ohne ihre Geräte würden sie nicht einmal die Hand vor Augen erkennen. Bernd und Werner gehen immer nachts auf die Jagd, denn da sind viele Tiere aktiv. Normalerweise sind sie in den französischen Wäldern unterwegs, doch Werner hörte von diesem Wald in der Pfalz, dass man da sehr gut jagen kann, und Bernd war direkt dabei. Jeder der beiden streift leise und behutsam durch die Büsche, nur wenige hundert Meter voneinander entfernt, gekleidet in ihren grünen Tarnanzügen und mit dem Gewehr im Anschlag. Sie achten auf jedes Geräusch, doch außer dem Wind, der durch die Bäume bläst, ist nichts zu hören. Die Wolken am Himmel verdecken den Vollmond und somit umgibt die beiden eine unheimliche Dunkelheit. Wie ein geheimnisvoller Schleier legt sich eine unheimliche Nebeldecke über den Waldboden. Plötzlich bekommt Werner ein ungutes Gefühl, er fühlt sich beobachtet, als wenn tausend Augen ihn aus der Dunkelheit beobachten würden. Langsam dreht er sich um, erkennt durch sein Nachtsichtgerät nichts außer Bäumen und Büschen. Dann ein Knistern, als ob jemand beim Gehen einen Ast zerbrochen hätte. „Bernd, bist du das?“, fragt er leise in die Dunkelheit, doch sein Ruf verstummt in der Finsternis. Keine Antwort. Er nimmt sein Funkgerät und funkt seinen Freund an: „Bernd, bitte kommen“, mit zittriger Stimme. Es dauert ein paar Sekunden, bis eine Antwort folgt: „Was ist denn? Hast du etwas gesehen?“, möchte er wissen. „Nein, ich habe etwas gehört, ein seltsames Geräusch, als ob mich jemand verfolgen würde. Wo bist du? Ich kann dich nicht sehen“, fragt er ängstlich nach. Es ist für Werner das erste Mal, dass er solche Gefühle bei der Jagd verspürt, sie waren schon sehr oft jagen, doch noch nie bekam er dabei Angst. Bernd blickt sich um, kann ebenfalls nichts erkennen, auch nicht Werner, der eben noch wenige Meter von ihm entfernt gewesen ist. „Keine Ahnung, ich glaub, wir haben uns etwas verlaufen. Du bist doch auch nur geradeaus gegangen, oder?“ Doch bevor Werner darauf antworten kann, ist plötzlich ein lauter Schrei zu hören, der durch die Ruhe der Nacht hallt. Werner bleibt fast das Herz dabei stehen und er denkt, dass der Schrei aus der Richtung vor ihm gekommen sein muss. „Bernd, hast du das gehört? Was zum Teufel war das?“, fragt er über das Funkgerät. Nervös antwortet Bernd: „Ja, verdammt noch einmal. War das eine Frau? Es hörte sich an, als würde eine Frau schreien, ich habe mir fast in die Hose gemacht.“ Kurz Ruhe, beide gehen in die Hocke, blicken nervös und ängstlich durch die Nacht, ihre Gewehre halten sie schützend vor sich. Plötzlich wieder dieser laute Schmerzensschrei, der tief aus den Wäldern kommt. „Was sollen wir jetzt machen? Vielleicht braucht jemand unsere Hilfe, was meinst du?“, so Werner, der zitternd sein Gewehr vor sich hält. Bernd schüttelt den Kopf, obwohl dies Werner nicht sehen kann, ordnet seine Gedanken und antwortet: „Nein, das war nicht ein Hilfeschrei, es hörte sich eher bedrohlich an und es scheint näher zu kommen. Wir sollten so schnell wie möglich verschwinden“. Ohne zu antworten, bewegt sich Werner langsam rückwärts, seine Blicke sind nach vorn in den finsteren Wald gerichtet. In ihm steigt die Angst, sein Herz pocht und seine Hände zittern immer heftiger, aus Angst davor, was auf ihn zukommen mag. Bernd dagegen dreht sich um und rennt fast schon, in Richtung des Waldweges, auf dem sie ihren Wagen geparkt haben. Plötzlich wieder dieser Schrei, doch diesmal kommt er aus allen Richtungen, Werner zuckt zusammen und lässt vor Schreck seine Waffe fallen. Bernd dagegen rennt schneller und schneller, doch der Waldweg bleibt ihm verwehrt. Immer wieder schlägt er mit seinem Gewehr die Äste zur Seite, die ihm den Weg erschweren, wieder dieser Schrei und Bernd lässt sich zu Boden fallen, schließt fest seine Augen und hofft einfach auf das Beste. Als er seine Augen wieder öffnet, erkennt er nur Dunkelheit, er stellt fest, dass sein Nachtsichtgerät ausgegangen ist. Verzweifelt versucht er, dieses wieder anzuschalten, doch es scheint defekt zu sein. „Werner hörst du mich? Ich sehe nichts mehr, mein Gerät ist kaputt, hörst du mich?“ Es dauert ein paar Sekunden, bevor Werner antwortet: „Mein Gerät ging auch auf einmal aus, was ist hier los?“ Angst und Panik durchströmt ihren Körper, wie das Blut in ihren Adern. Dann erinnert sich Werner an die Geschichten, die er über diesen Wald gehört hatte. In der Gegend sind schon viele Menschen spurlos verschwunden. Er hörte einen Tag vor ihrer Abreise davon, hielt es aber für dummes Zeug, das von Tierschützern im Internet verbreitet wurde. Er stieß zufällig darauf, als er sich im Internet nach dieser Gegend informiert hatte. Angeblich seien erst letzten Monat zwei Wanderer verschwunden, als diese durch diese Wälder streiften. Es war ein älteres Ehepaar, man fand nur ihre Rucksäcke, aber sonst keine Spur von ihnen. Plötzlich wieder ein Schrei, aber diesmal von einer für Werner bekannten Stimme, Bernd. Noch nie hörte er seinen Freund solche Laute von sich geben, es waren angsterfüllte Schmerzensschreie. „Was ist passiert? Wo bist du?“, ruft er in den finsteren Wald hinein, doch es folgt keine Antwort mehr, die Schreie von Bernd sind plötzlich verstummt. Die Angst steigt stärker und stärker, Panik breitet sich aus und Werner rennt schneller und schneller in die Richtung des Waldweges, den er jedoch immer noch nicht erkennen kann. Als ob sich der Wald um ihn herum verändern würde, ihm die Sicht nimmt und somit die Hoffnung, diesen lebend zu verlassen. Die Äste greifen nach Werner, ziehen ihn immer wieder zurück, seine Schritte werden langsamer und langsamer und sein Atem immer heftiger. Wieder ein Schrei, nur wenige Meter von Werner entfernt, der nun schützend seine Hände vor sein Gesicht hält. Seine letzten Gedanken sind bei seiner Frau und bei seinem Sohn, wie gerne würde er sie noch einmal sehen, doch im Innern weiß er genau, dass er bald sterben wird. Es ist dieses unangenehme Gefühl, dass man verspürt, wenn man genau weiß, dass die Zeit gekommen ist. Er fasst seinen Mut zusammen, nimmt die Hände aus seinem Gesicht und öffnet die Augen. Was er vor sich erkennt, lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren. Er schüttelt den Kopf: „Nein, nein, das kann nicht sein. Was passiert hier?“ Vor sich erkennt er seinen Freund Bernd, er ist an einen Baum gepresst, seine Augen weit geöffnet, ebenso sein Brustkorb, dessen Inneres nach Außen gedrückt wurde. Überall Blut, nur Blut. Werner schüttelt seinen Kopf, fängt an zu heulen und rennt an seinem Freund vorbei. Dieses schreckliche Bild, diesen Tod, den sein Freund erleiden musste. Welches Wesen ist zu solch einer Tat fähig? Ohne nachzudenken, rennt Werner immer weiter, in der Hoffnung bald den Weg zu finden. Plötzlich wieder diese Schreie, die ihn nun völlig umzingelt haben. Es scheinen mehrere Personen zu sein, die ihn umkreisen, doch er kann nichts erkennen. Vor ihm plötzlich ein Geräusch, dass ihn dazu zwingt stehen zu bleiben. Es ist nun absolute Stille, nichts ist zu hören, selbst der Wind verwehrt ihm jedes Geräusch. Dann plötzlich spürt Werner, dass irgendjemand oder etwas hinter ihm steht. Er spürt diesen kalten Hauch in seinem Nacken und die Nähe einer unheimlichen Gestalt. Er fasst seinen ganzen Mut zusammen, dreht sich langsam um und blickt in die Augen des Todes, die ihn bedrohlich anstarren. Ein lauter und heftiger Schrei durchströmt die Stille des Waldes, ein letztes Aufatmen von Werner, bis auch er von den Armen des Todes umschlingen wird und er in der Dunkelheit verschwindet.

2. Die Familie

Zwei Monate später

Das Geräusch des Weckers, reist Marc aus dem Schlaf. Was noch vor wenigen Monaten seine Frau getan hatte, macht nun ein kleines technisches Gerät, das er auf dem Wohnzimmertisch platziert hatte. Er schläft schon lange nicht mehr bei seiner Frau im Schlafzimmer, zu viel ist passiert. Zu viel, mit dem Beide leben müssen, und ihn quält es, jeden Tag wieder wach zu werden. Er betet zum Herrn, endlich einschlafen zu dürfen und nie wieder wach zu werden, doch dieser Wunsch bleibt ihm verwehrt. Um sein Leben selbst zu beenden, fehlt ihm jeder Mut, Mut den er mit seiner kleinen Tochter Anna verloren hatte.

Es war an einem Donnerstag, an einem sehr heißen Donnerstag, als Anna nicht mehr nach Hause gekommen ist. Marc stand am Herd und versuchte das Lieblingsessen, von seiner Tochter zu kochen. Nina, seine Frau war auf der Arbeit und normalerweise hätte sie das Essen einen Tag vorher schon vorbereitet, doch es fehlte einfach die Zeit. Nina arbeitet als Abteilungsleiterin in einer großen Spedition in Saarlouis und ist fast den ganzen Tag auf der Arbeit. Marc ist im öffentlichen Dienst bei der Stadt Saarbrücken tätig und seine freien Tage sind unregelmäßig, während seine Frau immer das Wochenende frei hat, bekommt er immer diesen einen Rolltag und den Sonntag frei. Anna ist neun Jahre alt und für ihr Alter schon sehr selbstständig, manchmal kommt sie nach der Schule nach Hause, ohne dass einer ihrer Eltern zu Hause ist, aber es ist immer Essen für sie vorbereitet. Die Familie Singer ist relativ wohlhabend, der Dank für ihren Fleiß und für ihre Arbeit, doch auf der Strecke bleibt das normale Familienleben, der Preis für zweimal im Jahr in den Urlaub zu fliegen, der Preis für so vieles, was andere Familien besitzen. Marc füllte die Knödel mit Hackfleisch und roher Bratwurst, denn so mag Anna die gefüllten Knödel am liebsten, dazu feine Specksoße und Sauerkraut, das Leibgericht von ihr. Doch beim letzten Mal passierte Marc ein Fehler und die Knödel begannen sich im heißen Wasser aufzulösen, als Lösung gab es damals den Bestellzettel eines Heimlieferdienstes. Marc ist so mit dem Essen beschäftigt, dass er völlig die Uhrzeit aus den Augen verloren hatte. Anna hatte sechs Stunden Schule und schon längst wäre es an der Zeit gewesen, dass sie zu Hause sein müsste. Gerade, als er den letzten Knödel in das Wasser eingibt, fällt ihm die Uhrzeit auf. Mit einem feuchten Handtuch säubert er seine Hände, geht aus der Küche und starrt auf die Haustür. Auf dem Boden liegt kein Schulranzen und keine Schuhe von Anna. Vom Eingang der Küche aus hat er einen optimalen Blick in den Gang mit der Haustür, die sich, seit Stunden nicht mehr öffnete. „Anna, bist du da?“, ruft er durch die Wohnung, doch es folgt keine Antwort. Ein nochmaliger Blick auf seine silberne Armbanduhr zeigt ihm, dass es bereits nach vierzehn Uhr ist und normalerweise müsste Anna schon mindestens eine halbe Stunde zu Hause sein. Nervös nimmt er sein Smartphone aus der Hosentasche, um erkennen zu müssen, dass er von Anna auch keine Nachricht bekommen hat. Er sucht ihren Namen unter den Kontakten und ruft besorgt an. Es klingelt mehrmals, doch niemand nimmt das Telefonat entgegen. Marc versucht es noch dreimal, bis er sich entschließt, die Schule anzurufen. „Mellinschule Frau Zimmer“, meldet sich eine weibliche Stimme. „Guten Tag, Singer hier. Ich rufe wegen meiner Tochter Anna an, sie ist noch nicht aus der Schule und ich mache mir langsam etwas Sorgen“, antwortet er mit aufgeregter Stimme, dass Frau Zimmer auch direkt wahrnehmen kann. „Ja, in welcher Klasse ist denn ihre Tochter?“, fragt sie nach. Marc überlegt kurz und antwortet mit einem leichten Stottern in seiner Stimme: „Bei Frau Stang“. Es dauert einige Sekunden, bevor eine beunruhigende Antwort folgt: „Die Klasse von Frau Stang hatte heute nur vier Stunden, die letzten beiden Stunden sind wegen einem Krankheitsfall ausgefallen.“ Als Marc diese Worte hört, bekommt er einen kleinen Schock. „Was ist mit Anna?“, denkt er sich. „Nur vier Stunden?“, fragt er nochmals nach. Als dies von Frau Zimmer bestätigt wird, legt er einfach auf, rennt in die Küche, schaltet den Herd aus, rennt in den Flur, nimmt seine Autoschlüssel und verlässt die Wohnung. Ein Gefühl der Hilflosigkeit durchströmt seinen Körper, auf dem Weg zu seinem Mercedes, den er in der Tiefgarage geparkt hatte. Er kann keinen klaren Gedanken fassen, er denkt nur an seine kleine Anna und hofft, sie auf dem Schulweg zu finden.

Er fährt den kompletten Schulweg ab, nach jedem Meter wird er nervöser. Am Quierschieder Berg sind mehrere Kinder auf dem Schulweg, doch von seiner Anna fehlt jede Spur. Er biegt in den Mellinweg ein, dort befindet sich die Grundschule, dabei versucht er immer wieder seine Tochter über das Telefon zu erreichen, ohne Erfolg. „Verdammt Anna, wo bist du?“, fragt er vor sich selbst. Fast eine Stunde lang fährt er den Schulweg immer wieder ab, bis er sich entschließt, bei Annas Freundin Laura nachzufragen. Es dauert nur ein paar Minuten bis in die Ritterstraße, er steigt schnell aus und klingelt bei der Familie Roser. Nach wenigen Sekunden öffnet eine Frau mit einem Kochlöffel die Tür, sie erkennt Marc und fragt instinktiv nach, was los sei? „Anna ist nicht nach Hause gekommen, ich wollte Laura fragen, ob sie zusammen nach Hause gegangen sind?“, fragt Marc nach. Die Mutter blickt sehr besorgt und ruft ihre Tochter, die auch direkt aus einem Zimmer gerannt kommt, in den Händen hält sie einen Controller einer Spielkonsole. „Schatz, bist du heute mit Anna zusammen nach Hause gegangen?“, möchte die Mutter wissen. Bevor Laura antworten kann, redet Marc dazwischen: „Sie ist nicht nach Hause gekommen, hast du sie gesehen?“, möchte er wissen. Laura ist überrascht, blickt fragend zu ihrer Mutter und dann wieder zu Marc. „Da war dieser Mann“, sagt sie mit ruhiger Stimme. Dieser Satz, dieser eine Satz bringt in Marc eine Welt zum Einstürzen. Er steht an der Eingangstür, ist sichtlich geschockt und bekommt keinen Ton mehr raus. Ihm wird schwindlig und muss sich am Türrahmen festhalten. „Welcher Mann?“, fragt die Mutter nach. Laura überlegt kurz und antwortet rasch: „Er hielt neben uns an, sagte, dass etwas passiert sei und das er daher Anna abholen sollte“, Marc unterbricht Laura: „Was genau hat er gesagt?“ Ungeduldig wartet er auf eine Antwort. Laura blickt auf den Boden, danach in die Augen von Marc und antwortet: „Er sprach direkt Anna an, fragte nach dem Namen ihrer Mutter, sie antwortete mit Nina und er meinte danach, ja das ist deine Mutter. Sie liegt im Krankenhaus, dein Vater gab mir den Auftrag dich abzuholen. Genau so sprach er Anna an, genau so.“ Marc schüttelt den Kopf: „Und dann? Was passierte dann?“ Laura zuckt mit den Schultern und antwortet: „Sie stieg in das Auto. Danach fuhren sie weg, mehr weiß ich nicht.“ Marc nimmt sein Smartphone und informiert die Polizei, Laura bricht dabei in Tränen aus, so dass ihre Mutter sie fest in den Arm nimmt.

Das passierte an jenem Tag, ein Schicksalstag, der die Familie Singer zerbrochen hatte. Anna wurde nie gefunden, auch dieser geheimnisvolle Mann bleibt wie ein Phantom verschwunden. Niemand hat dieses Fahrzeug oder den Mann je gesehen, obwohl schon drei Monate vergangen sind, fühlt es sich für Marc so an, als wäre es gestern gewesen. Seine Frau Nina hat sich ebenfalls nicht davon erholt. Sie liegt nur noch im Schlafzimmer in ihrem Bett, wenn sie mal bei Bewusstsein ist, starrt sie aus dem Fenster. Mit ihrem Mann wechselt sie kaum noch Worte, beide finden keine Möglichkeit, sich gegenseitig Trost zu spenden. Der Gedanke des Ungewissen ist wie ein Krebsgeschwür, der sich langsam durch ihre Körper frisst. Langsam steht Marc von der Couch auf, streift sich mit seinen Händen durch das unrasierte Gesicht und beschließt, dieses Wochenende das Saarland zu verlassen. Er braucht Abstand, benötigt Zeit, um seine Gedanken zu ordnen. Schon längst gab er die Hoffnung auf, von der Polizei positive neue Nachrichten zu bekommen und mit Nina ein Gespräch zu suchen, ist hoffnungslos. Laut den Aussagen von Laura hatte das Fahrzeug mit dem geheimnisvollen Mann, einen Aufkleber am Heck, das auf die Pfalz hindeutet. Die Polizei ging natürlich dieser Sache nach, ohne Ergebnis. Marc hingegen hat auf eigene Faust Recherchen begonnen und stieß auf seltsame Parallelen. Denn auch in der Pfalz gibt es vermehrt Vermisstenfälle, zwar keine Kinder, aber es gibt Ähnlichkeiten, denkt sich Marc. Ein Ort Namens Wallhalben in der Pfalz mit einem großen Waldgebiet, indem mehrere Personen verschwunden sind. Durch einen Freund bekam Marc einen Ansprechpartner, der in dem Wald eine kleine Hütte besitzt, eine Hütte, in der Marc über das Wochenende verbleiben möchte. Er hat es Nina schon vor mehreren Tagen mitgeteilt, doch von ihr kam keine Reaktion, nicht einmal, dass sie eventuell dabei sein möchte. Ihr fehlt jede Kraft, mit ihrem Leben weiterzumachen. Ihre Gedanken kreisen nur um Anna, sie denkt an ihr bezauberndes Lächeln, ihre liebenswerte Art und an ihr Wesen, dass viel Freude in das Familienleben einbrachte. Marc bat Stefanie, die Schwester von Nina, auf sie während seiner Abwesenheit zu achten, was für Stefanie auch schwerfällt. Sie verstand sich noch nie besonders mit Nina und für sie ist es eine ungewohnte Art, sich um sie zu kümmern.

3. Im Keller

1 Woche nach der Entführung

Schon längst hat sie das Gefühl für Raum und Zeit verloren, schon zu lange befindet sie sich in diesem feuchten und dunklen Keller. Die Wände sind kalt, es ist dunkel und man hört kaum Geräusche. An der Seite befindet sich eine schmutzige Matratze und eine dünne Decke, in der sich Anna in der Nacht notdürftig einkuschelt. Immer wieder denkt sie, mit Grauen, an diesen verhängnisvollen Tag, den Tag, als sie in dieses Auto eingestiegen ist. Der Mann war anfangs nett und Anna dachte wirklich, dass ihre Mutter im Krankenhaus sei, doch als er mit seinem Fahrzeug falsch abgebogen ist, schöpfte sie direkt Verdacht und erinnerte sich daran, was ihre Eltern ihr immer wieder sagten. „Gehe nie mit Fremden mit, nie.“ Doch der Mann war viel stärker als Anna, sie konnte sich nicht gegen ihn behaupten und noch immer weiß sie nicht genau, was dieser Mann eigentlich von ihr möchte.

Plötzlich hört sie, wie sich die Kellertür öffnet, sie hört vorher das Schloss, dass aufgeschlossen wird. Ein großer und kräftiger Mann kommt in den Raum, er hält einen weißen Teller in den Händen und stellt diesen ein paar Meter vor Anna auf den Boden. „Hier, dein Essen. Sei artig und tue das, was ich will, dann bekommst du auch immer etwas zu essen“, sagt er mit ruhiger Stimme. Eigentlich ist das Erscheinungsbild des Mannes sehr freundlich. Er trägt eine Brille, hat dadurch große braune Augen, fast eine Glatze, nur an den Seiten sind wenige braune Haare. Auffällig sind seine dicken Lippen und seine seltsam freundliche Art, die er versucht Anna entgegenzubringen. Sie weiß nicht genau, was er eigentlich will. Bisher hat er sie kaum berührt, er geht sogar sehr behutsam mit ihr um, als ob Anna eine zerbrechliche Glaspuppe sei. Begierig blickt sie auf den Teller und erkennt eine Art von Eintopf. „Das ist eine Linsensuppe“, sagt der Mann und lächelt leicht. „Ich hoffe, du magst diese Suppe. Ich habe dir noch ein Wiener Würstchen dazu gegeben. Lass es dir schmecken“, sagt er weiter. Anna blickt ihn verängstigt an, hält sich ihre Tränen zurück und bittet: „Ich will zu meiner Mama, bitte zu meiner Mama.“ Diese Worte verändern plötzlich das Verhalten des Mannes. Er steht in der Mitte des Raumes, blickt zu Anna, seine Blicke ändern sich in eine Art Boshaftigkeit, er beißt sich auf die Lippe und antwortet mit einem Zorn in der Stimme: „Ich sagte dir schon einmal, lass das. Sonst bekommst du nichts mehr von mir. Lass das, du bist jetzt bei mir, verdammt noch einmal, versteh das endlich“, brüllt er Anna an. Sie zuckt zusammen, verkriecht sich in einer Ecke und hält sich ihre Hände vor das Gesicht, rechnet damit, von dem Mann geschlagen zu werden, etwas, was er bisher noch nie getan hatte. Doch auch diesmal rührt er Anna nicht an. Zornig und laut verlässt er den Raum, schließt hinter sich wieder die Tür ab und Anna bleibt in diesem trostlosen kalten Raum zurück, zusammen mit der Linsensuppe.

Sie erinnert sich an jenen Morgen, als sie in dieses Auto eingestiegen ist, ein Tag, der wie jeder andere angefangen hatte. Sie wurde von ihrer Mutter geweckt, zärtlich und liebevoll, wie immer. In der Wohnung roch es schon nach heißem Kakao, den ihre Mutter schon seit dem Kindergarten für sie vorbereitet. Jeden Morgen fast das gleiche Ritual, Frühstück mit Kakao und einem Nutellabrot. Allerdings muss Anna dies meist alleine zu sich nehmen, denn ihre Mutter muss immer früh aus dem Haus und der Vater, je nach Dienst, ist entweder schon auf der Arbeit oder befindet sich noch im Land der Träume. In Annas Gesicht prägt sich ein leichtes Lächeln, als ihre Gedanken von diesem Morgen geprägt sind, doch als sie sich umsieht, ist sie mit der kalten und trostlosen Wahrheit konfrontiert.

Kaum ist der Mann aus dem Keller in seiner Wohnung, hört er auch schon seine pflegebedürftige Mutter nach ihm rufen: „Norman, wo warst du denn schon wieder? Wieder in diesem vermoderten Keller? Was machst du da immer? Du musst doch meine Füße massieren.“ Genervt verdreht er seine Augen und antwortet, ohne das ihn seine Mutter sehen kann: „Ja Mutter, ich war im Keller. Du weißt doch, dass ich mir eine Werkbank gekauft hatte, ich komme gleich zu dir und massiere dir die Füße.“ Danach geht er ins Badezimmer, blickt in den Spiegel und denkt über sein vergeudetes Leben nach. Was hätte er alles erreichen können? Und wo ist er nun gelandet? Er lebt in diesem großen Haus mit seiner alten und herrsüchtigen Mutter zusammen, hat kaum Freizeit und wird ständig kontrolliert. Nicht einmal eine Frau darf er kennenlernen, laut seiner Mutter sind sie alle verdorben, treiben Unzucht und wollen nur das Haus. Worte, die er immer zu hören bekommt. Schon längst hat er die Suche nach einer passenden Frau aufgegeben, seine große Leidenschaft gilt eher den Mädchen, den jungen Mädchen. Er liebt diese kindliche und fast jugendliche Art, deren zarte Haut und deren unberührte Weiblichkeit, als er Anna das erste Mal gesehen hatte, war es um ihn geschehen. Diese langen schwarzen Haare, diese dunklen Augen und diese liebenswerte Art, faszinierte ihn von Anfang an. Innerlich hofft er, dass er an ihr länger Spaß haben wird, mehr als mit ihrer Vorgängerin, die er mit dem Rasiermesser züchtigen musste. Er war gezwungen ihr die Pulsadern aufzuschneiden, denn sie lehnte ihn ab, ein Gefühl der Ablehnung akzeptiert Norman nie und dementsprechend muss er reagieren.

„Norman, wo bleibst du?“, hört er wieder seine Mutter nach ihm rufen. Ohne Antwort zu geben, wäscht er noch seine Hände, bevor er genervt in das Wohnzimmer geht. Der Fernseher ist angeschaltet, viel zu laut eingestellt. Eine langweilige Fernsehserie ist eingeschaltet, die Mutter sitzt im Sessel und hat ihre Füße auf einem Stoffhocker vor sich liegen. „Ah, da bist du ja. Hast du dich etwa mit einer Frau getroffen? Ich sage dir, die wollen nur das Eine.“ Norman verdreht nochmals seine Augen, ist sichtlich von seiner Mutter und deren ständigen Bemerkungen genervt. „Nein Mutter, ich treffe mich doch nicht mit Frauen, ich habe ja nur dich lieb, das weißt du doch.“ Die Mutter lächelt ihn daraufhin an, es ist aber kein freundschaftliches Lächeln, eher strahlt dieses eine Art von Genugtuung aus. Danach fängt Norman damit an, die Füße seiner Mutter zu massieren.

4. Die Hütte

Die Fahrt dauerte über eine Stunde, da sich Marc noch verfahren hatte. Sein Navigationsgerät verlor den Empfang und mit seinen Gedanken war er so beschäftig, dass er es zuerst gar nicht bemerkte. Der Abschied von seiner Frau belastet ihn schwer. Sie lag, wie immer in ihrem Bett. Er ging ins Schlafzimmer, setzte sich zu ihr und streifte ihr die Haare aus ihrem Gesicht. Versuchte, mit ihr zu reden, doch es kam von ihrer Seite überhaupt keine Reaktion. Marc erklärte ihr genau, dass er das Wochenende in dieser Hütte verbringen wird, die sich im Labacher Wald befindet, direkt an dem gleichnamigen kleinen Fluss und das er erst wieder montags zurückkommen wird. Doch seine Frau starrte nur zum Fenster, zu groß ist ihr Schmerz. Sie vergisst dabei völlig, dass auch Marc unter dem Verlust der Tochter seelische Qualen erleiden muss. Zum Abschied gab er ihr einen leichten Kuss auf die Wange, den sie ausdruckslos akzeptierte, danach nahm er seine große Sporttasche und verschwand aus der Wohnung.