Nathan der Weise - Gotthold Ephraim Lessing - E-Book

Nathan der Weise E-Book

Gotthold Ephraim Lessing

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Beschreibung

Kernstück dieser Dichtung ist die "Parabel von dem Ring", dessen Besitz den Erben der wahren Religion kenntlich machen soll. Lessing will im "Nathan" zeigen, dass "nicht die Wahrheit, in deren Besitz ein Mensch ist oder zu sein vermeint, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, den Wert des Menschen macht". Das zeichnet die neue preisgünstige Reihe aus: - Lesefreudlicher Originaltext - Breite Randspalte mit kurzen Worterklärungen - Platz für eigene Notizen - Navigationsleiste zur besseren Orientierung - Biografie des Autors - Ausführlicher Wort- und Sacherklärungsteil - Umfangreiche Materialien, nach Themenbereichen gebündelt

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Text und Materialien

GOTTHOLD EPHRAIM LESSING

NATHAN DER WEISE

Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen

Introite, nam et heic Dii sunt. Apud Gellium 

HAMBURGER LESEHEFTE PLUSKÖNIGS MATERIALIEN501. HEFT

Zur Textgestaltung Dem Text unserer Ausgabe liegen Lessings Werke, vollständige Ausgabe in fünfundzwanzig Teilen, hrsg. von Julius Petersen und Waldemar von Olshausen, Berlin / Leipzig / Wien / Stuttgart (1925) zugrunde, deren ausgezeichneten Kommentar wir für unsere Anmerkungen dankbar benutzt haben. Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden behutsam den neuen amtlichen Regeln angeglichen.

 

Analysiert und interpretiert mit Textverweisen auf dieses Heft wird Nathan der Weise in Königs Erläuterungen, Band 10, C. Bange Verlag.

 

2. Auflage 2021

 

Alle Drucke dieser Ausgabe und die der Hamburger Lesehefte sind untereinander unverändert und können im Unterricht nebeneinander genutzt werden.

 

Heftbearbeitung Text: F. Bruckner und Kurt Sternelle Heftbearbeitung Materialien: Carina Orf Umschlaggestaltung und Layout: Petra Michel Umschlagzeichnung: Ingeborg Strange-Friis

 

ISBN: 978-3-8044-2595-8PDF: 978-3-8044-6595-4EPUB: 978-3-8044-7595-3 © 2019 by C. Bange Verlag GmbH, Hollfeldwww.bange-verlag.de

 

ISBN: 978-3-87291-530-6PDF: 978-3-87291-706-5EPUB: 978-3-87291-656-3 © 2019 by Hamburger Lesehefte Verlag, Husumwww.hamburger-lesehefte.de

Hinweise zur Bedienung

Inhaltsverzeichnis Das Inhaltsverzeichnis ist vollständig mit dem Inhalt dieses Buches verknüpft. Tippen Sie auf einen Eintrag und Sie gelangen zum entsprechenden Inhalt.

 

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Die E-Books der Reihe Hamburger Lesehefte Plus verwenden entsprechend der jeweiligen Buchausgabe gegebenenfalls Sperrungen. Diese Textauszeichnung wird nicht von allen Readern unterstützt.

Das E-Book enthält in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, diese verweisen auf die Printausgabe des Werkes.

Versdramen weisen zusätzlich zur Seitenzählung eine Versnummerierung in entsprechender Höhe auf dem Rand aus.

Inhaltsverzeichnis

Text

PERSONEN

ERSTER AUFZUG

ZWEITER AUFZUG

DRITTER AUFZUG

VIERTER AUFZUG

FÜNFTER AUFZUG

Biografie

Wort- und Sacherklärungen

Materialien

Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Stichwort Aufklärung

Kant: Was ist Aufklärung?

Lühmann: Was ist Aufklärung?

Literatur der Aufklärung

Stoffgeschichte: Boccaccios Decamerone

Stoffgeschichte: Jerusalem und die Kreuzzüge

Fragmentenstreit und Entstehung des Nathan

Brandstifter Reimarus

Der Fragmentenstreit mit Goeze

Wie sah Goeze Lessing?

Erziehung des Menschengeschlechts

Lessings Briefe

Entstehung, Quellen und Kontext

Aspekte der Interpretation

Rhetorik des Tabus

Die Bedeutungen von Ring und Recha

Die Sprache der Toleranz

Toleranz zwischen Natur- und Staatsrecht

Freuds Ringe: Fragestellungen

Rezeption

Das Scheitern der Uraufführung

Enttäuschende Inszenierung 1783

Aufnahme und Wirkung

Antisemitische Lessing-Darstellungen

Der Streit um den Islam

Ringkampf der Religionen

Jenseits aller Nathanroutine

Ein fiktives Interview mit Lessing

Text

[2]PERSONEN

SULTAN SALADIN 

SITTAH, dessen Schwester

NATHAN, ein reicher Jude in Jerusalem

RECHA, dessen angenommene Tochter

DAJA, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, als Gesellschafterin der Recha

EIN JUNGER TEMPELHERR

EIN DERWISCH

DER PATRIARCH VON JERUSALEM

EIN KLOSTERBRUDER

EIN EMIRnebst verschiednen Mamelucken des Saladin

 

Die Szene ist in Jerusalem

[3]ERSTER AUFZUG

ERSTER AUFTRITT

Szene: Flur in Nathans Hause.

Nathan von der Reise kommend. Daja ihm entgegen.

DAJA.

Er ist es! Nathan! – Gott sei ewig Dank,

Dass Ihr doch endlich einmal wiederkommt.

NATHAN.

Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch warum endlich?

Hab ich denn eher wiederkommen wollen?

5Und wiederkommen können? Babylon

Ist von Jerusalem, wie ich den Weg,

Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin

Genötigt worden, gut zweihundert Meilen;

Und Schulden einkassieren ist gewiss

10Auch kein Geschäft, das merklich fördert, das

So von der Hand sich schlagen lässt.

DAJA.

O Nathan,

Wie elend, elend hättet Ihr indes

Hier werden können! Euer Haus …

NATHAN.

Das brannte.

So hab ich schon vernommen. – Gebe Gott,

15Dass ich nur alles schon vernommen habe!

DAJA.

Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.

NATHAN.

Dann, Daja, hätten wir ein neues uns

Gebaut; und ein bequemeres.

DAJA.

Schon wahr! –

Doch Recha wär bei einem Haare mit

20Verbrannt.

NATHAN.

Verbrannt? Wer? meine Recha? sie? –

Das hab ich nicht gehört. – Nun dann! So hätte

Ich keines Hauses mehr bedurft. – Verbrannt

Bei einem Haare! – Ha! sie ist es wohl!

Ist wirklich wohl verbrannt! – Sag nur heraus!

25Heraus nur! – Töte mich: und martre mich

Nicht länger. – Ja, sie ist verbrannt.

DAJA.

Wenn sie

Es wäre, würdet Ihr von mir es hören?

NATHAN.

Warum erschreckest du mich denn? – O Recha!

O meine Recha!

DAJA.

Eure? Eure Recha?

[4]NATHAN.

30Wenn ich mich wieder je entwöhnen müsste,

Dies Kind mein Kind zu nennen!

DAJA.

Nennt Ihr alles,

Was Ihr besitzt, mit ebenso viel Rechte

Das Eure?

NATHAN.

Nichts mit größerm! Alles, was

Ich sonst besitze, hat Natur und Glück

35Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein

Dank ich der Tugend.

DAJA.

Oh, wie teuer lasst

Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen!

Wenn Güt, in solcher Absicht ausgeübt,

Noch Güte heißen kann!

NATHAN.

In solcher Absicht?

40In welcher?

DAJA.

Mein Gewissen …

NATHAN.

Daja, lass

Vor allen Dingen dir erzählen …

DAJA.

Mein

Gewissen, sag ich …

NATHAN.

Was in Babylon

Für einen schönen Stoff ich dir gekauft.

So reich und mit Geschmack so reich! Ich bringe

45Für Recha selbst kaum einen schönern mit.

DAJA.

Was hilft’s? Denn mein Gewissen, muss ich Euch

Nur sagen, lässt sich länger nicht betäuben.

NATHAN.

Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke,

Wie Ring und Kette dir gefallen werden,

50Die in Damaskus ich dir ausgesucht:

Verlanget mich zu sehn.

DAJA.

So seid Ihr nun!

Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!

NATHAN.

Nimm du so gern, als ich dir geb: – und schweig!

DAJA.

Und schweig! – Wer zweifelt, Nathan, dass Ihr nicht

55Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid?

Und doch …

NATHAN.

Doch bin ich nur ein Jude. – Gelt,

Das willst du sagen?

DAJA.

Was ich sagen will,

Das wisst Ihr besser.

NATHAN.

Nun so schweig!

DAJA.

Ich schweige.

[5]Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,

60Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, –

Nicht kann, – komm über Euch!

NATHAN.

Komm über mich! –

Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie? – Daja,

Wenn du mich hintergehst! – Weiß sie es denn,

Dass ich gekommen bin?

DAJA.

Das frag ich Euch!

65Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve.

Noch malet Feuer ihre Phantasie

Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht,

Im Wachen schläft ihr Geist: bald weniger

Als Tier, bald mehr als Engel.

NATHAN.

Armes Kind!

70Was sind wir Menschen!

DAJA.

Diesen Morgen lag

Sie lange mit verschlossnem Aug und war

Wie tot. Schnell fuhr sie auf und rief: „Horch! horch!

Da kommen die Kamele meines Vaters!

Horch! seine sanfte Stimme selbst!“ – Indem

75Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt,

Dem seines Armes Stütze sich entzog,

Stürzt’ auf das Kissen. – Ich, zur Pfort hinaus!

Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich! –

Was Wunder! ihre ganze Seele war

80Die Zeit her nur bei Euch – und ihm. –

NATHAN.

Bei ihm?

Bei welchem Ihm?

DAJA.

Bei ihm, der aus dem Feuer

Sie rettete.

NATHAN.

Wer war das? wer? – Wo ist er?

Wer rettete mir meine Recha? wer?

DAJA.

Ein junger Tempelherr, den wenig Tage

85Zuvor man hier gefangen eingebracht

Und Saladin begnadigt hatte.

NATHAN.

Wie?

Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin

Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder

War Recha nicht zu retten? Gott!

DAJA.

Ohn ihn,

90Der seinen unvermuteten Gewinst

Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.

NATHAN.

Wo ist er, Daja, dieser edle Mann? –

[6]Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen.

Ihr gabt ihm doch vors Erste, was an Schätzen

95Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles?

Verspracht ihm mehr? weit mehr?

DAJA.

Wie konnten wir?

NATHAN.

Nicht? nicht?

DAJA.

Er kam, und niemand weiß woher.

Er ging, und niemand weiß wohin. – Ohn alle

Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr

100Geleitet, drang mit vorgespreiztem Mantel

Er kühn durch Flamm und Rauch der Stimme nach,

Die uns um Hilfe rief. Schon hielten wir

Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme

Mit eins er vor uns stand, im starken Arm

105Empor sie tragend. Kalt und ungerührt

Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute

Er nieder, drängt sich unters Volk und ist –

Verschwunden!

NATHAN.

Nicht auf immer, will ich hoffen.

DAJA.

Nachher die ersten Tage sahen wir

110Ihn unter Palmen auf und nieder wandeln,

Die dort des Auferstandnen Grab umschatten.

Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte,

Erhob, entbot, beschwor, – nur einmal noch

Die fromme Kreatur zu sehen, die

115Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank

Zu seinen Füßen ausgeweinet.

NATHAN.

Nun?

DAJA.

Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub

Und goss so bittern Spott auf mich besonders …

NATHAN.

Bis dadurch abgeschreckt …

DAJA.

Nichts weniger!

120Ich trat ihn jeden Tag von neuem an,

Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen.

Was litt ich nicht von ihm! Was hätt ich nicht

Noch gern ertragen! – Aber lange schon

Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen,

125Die unsers Auferstandnen Grab umschatten –

Und niemand weiß, wo er geblieben ist. –

Ihr staunt? Ihr sinnt?

NATHAN.

Ich überdenke mir,

Was das auf einen Geist wie Rechas wohl

Für Eindruck machen muss. Sich so verschmäht

[7]130Von dem zu finden, den man hoch zu schätzen

Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen

Und doch so angezogen werden; – Traun,

Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken,

Ob Menschenhass, ob Schwermut siegen soll.

135Oft siegt auch keines; und die Phantasie,

Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer,

Bei welchen bald der Kopf das Herz und bald

Das Herz den Kopf muss spielen. – Schlimmer Tausch! –

Das Letztere, verkenn ich Recha nicht,

140Ist Rechas Fall: sie schwärmt.

DAJA.

Allein so fromm,

So liebenswürdig!

NATHAN.

Ist doch auch geschwärmt!

DAJA.

Vornehmlich eine – Grille, wenn Ihr wollt,

Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr

Kein irdischer und keines irdischen;

145Der Engel einer, deren Schutze sich

Ihr kleines Herz von Kindheit auf so gern

Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke,

In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer

Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr

150Hervorgetreten. – Lächelt nicht! – Wer weiß?

Lasst lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,

In dem sich Jud und Christ und Muselmann

Vereinigen; – so einen süßen Wahn!

NATHAN.

Auch mir so süß! – Geh, wackre Daja, geh;

155Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. –

Sodann such ich den wilden, launigen

Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt,

Hienieden unter uns zu wallen; noch

Beliebt, so ungesittet Ritterschaft

160Zu treiben: find ich ihn gewiss und bring

Ihn her.

DAJA.

Ihr unternehmet viel.

NATHAN.

Macht dann

Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: –

Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist

Ein Mensch noch immer lieber als ein Engel –

165So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen,

Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?

DAJA.

Ihr seid so gut und seid zugleich so schlimm!

Ich geh! – Doch hört! doch seht! – Da kommt sie selbst.

 

[8]ZWEITER AUFTRITT

Recha und die Vorigen.

RECHA.

So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater?

170Ich glaubt’, Ihr hättet Eure Stimme nur

Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge,

Für Wüsten, was für Ströme trennen uns

Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr

Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen?

175Die arme Recha, die indes verbrannte! –

Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht!

Es ist ein garst’ger Tod, verbrennen. Oh!

NATHAN.

Mein Kind! mein liebes Kind!

RECHA.

Ihr musstet über

Den Euphrat, Tigris, Jordan; über – wer

180Weiß was für Wasser all? – Wie oft hab ich

Um Euch gezittert, eh das Feuer mir

So nahe kam! Denn seit das Feuer mir

So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben

Erquickung, Labsal, Rettung. – Doch Ihr seid

185Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht

Verbrannt. Wie wollen wir uns freun und Gott,

Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen

Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel

Die ungetreuen Ström’ hinüber. Er,

190Er winkte meinem Engel, dass er sichtbar

Auf seinem weißen Fittiche mich durch

Das Feuer trüge –

NATHAN.

(Weißem Fittiche!

Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel

Des Tempelherrn.)

RECHA.

Er sichtbar, sichtbar mich

195durchs Feuer trüg, von seinem Fittiche

Verweht. – Ich also, ich hab einen Engel

Von Angesicht zu Angesicht gesehn;

Und meinen Engel.

NATHAN.

Recha wär es wert;

Und würd an ihm nichts Schönres sehn, als er

200An ihr.

RECHA

(lächelnd). Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem?

Dem Engel oder Euch?

NATHAN.

Doch hätt auch nur

[9]Ein Mensch – ein Mensch, wie die Natur sie täglich

Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt: er müsste

Für dich ein Engel sein. Er müsst und würde.

RECHA.

205Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher;

Es war gewiss ein wirklicher! – Habt Ihr,

Ihr selbst die Möglichkeit, dass Engel sind,

Dass Gott zum Besten derer, die ihn lieben,

Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?

210Ich lieb ihn ja.

NATHAN.

Und er liebt dich; und tut

Für dich und deinesgleichen stündlich Wunder;

Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit

Für euch getan.

RECHA.

Das hör ich gern.

NATHAN.

Wie? weil

Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,

215Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr

Gerettet hätte: sollt es darum weniger

Ein Wunder sein? – Der Wunder höchstes ist,

Dass uns die wahren, echten Wunder so

Alltäglich werden können, werden sollen.

220Ohn dieses allgemeine Wunder hätte

Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je

Genannt, was Kindern bloß so heißen müsste,

Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,

Das Neuste nur verfolgen.

DAJA

(zu Nathan).Wollt Ihr denn

225Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn

durch solcherlei Subtilitäten ganz

Zersprengen?

NATHAN.

Lass mich! – Meiner Recha wär

Es Wunders nicht genug, dass sie ein Mensch

Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder

230Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder!

Denn wer hat schon gehört, dass Saladin

Je eines Tempelherrn verschont? dass je

Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden

Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit

235Mehr als den ledern Gurt geboten, der

Sein Eisen schleppt; und höchstens seinen Dolch?

RECHA.

Das schließt für mich, mein Vater. – Darum eben

War das kein Tempelherr; er schien es nur. –

Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders

[10]240Als zum gewissen Tode nach Jerusalem;

Geht keiner in Jerusalem so frei

Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig

Denn einer retten können?

NATHAN.

Sieh! wie sinnreich.

Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja

245Von dir, dass er gefangen hergeschickt

Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.

DAJA.

Nun ja. – So sagt man freilich; – doch man sagt

Zugleich, dass Saladin den Tempelherrn

Begnadigt, weil er seiner Brüder einem,

250Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.

Doch da es viele zwanzig Jahre her,

Dass dieser Bruder nicht mehr lebt, – er hieß,

Ich weiß nicht wie; – er blieb, ich weiß nicht wo: –

So klingt das ja so gar – so gar unglaublich,

255Dass an der ganzen Sache wohl nichts ist.

NATHAN.

Ei, Daja! Warum wäre denn das so

Unglaublich? Doch wohl nicht – wie’s wohl geschieht –

Um lieber etwas noch Unglaublichers

Zu glauben? – Warum hätte Saladin,

260Der sein Geschwister insgesamt so liebt,

In jüngern Jahren einen Bruder nicht

Noch ganz besonders lieben können? – Pflegen

Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? – Ist

Ein alter Eindruck ein verlorner? – Wirkt

265Das Nämliche nicht mehr das Nämliche? –

Seit wenn? – Wo steckt hier das Unglaubliche? –

Ei freilich, weise Daja, wär’s für dich

Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur

Bedürf … verdienen, will ich sagen, Glauben.

DAJA.

270Ihr spottet.

NATHAN.

Weil du meiner spottest – Doch

Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung

Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten

Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe

Der Könige, sein Spiel – wenn nicht sein Spott –

275Gern an den schwächsten Fäden lenkt.

RECHA.

Mein Vater!

Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wisst, ich irre

Nicht gern.

NATHAN.

Vielmehr, du lässt dich gern belehren. –

Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt;

[11]Der Rücken einer Nase, so vielmehr

280Als so geführet; Augenbraunen, die

Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen

So oder so sich schlängeln; eine Linie,

Ein Bug, ein Winkel, eine Falt, ein Mal,

Ein Nichts, auf eines wilden Europäers

285Gesicht: – und du entkömmst dem Feu’r, in Asien!

Das wär kein Wunder, wundersücht’ges Volk?

Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?

DAJA.

Was schadet’s – Nathan, wenn ich sprechen darf –

Bei alledem, von einem Engel lieber

290Als einem Menschen sich gerettet denken?

Fühlt man der ersten unbegreiflichen

Ursache seiner Rettung nicht sich so

Viel näher?

NATHAN.

Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf

Von Eisen will mit einer silbern Zange

295Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst

Ein Topf von Silber sich zu dünken. – Pah! –

Und was es schadet, fragst du? was es schadet?

Was hilft es? dürft ich nur hinwieder fragen. –

Denn dein „Sich Gott umso viel näher fühlen“

300Ist Unsinn oder Gotteslästerung. –

Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. –

Kommt! hört mir zu. – Nicht wahr? dem Wesen, das

Dich rettete, – es sei ein Engel oder

Ein Mensch –, dem möchtet ihr, und du besonders,

305Gern wieder viele große Dienste tun? –

Nicht wahr? – Nun, einem Engel, was für Dienste,

Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?

Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten;

Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen;

310Könnt an dem Tage seiner Feier fasten,

Almosen spenden. – Alles nichts. – Denn mich

Deucht immer, dass ihr selbst und euer Nächster

Hierbei weit mehr gewinnt als er. Er wird

Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich

315Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher

Durch eu’r Entzücken; wird nicht mächtiger

Durch eu’r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!

DAJA.

Ei freilich hätt ein Mensch, etwas für ihn

Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft.

320Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren!

[12]Allein er wollte ja, bedurfte ja

So völlig nichts; war in sich, mit sich so

Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel

Sein können.

RECHA.

Endlich, als er gar verschwand …

NATHAN.

325Verschwand? – Wie denn verschwand? – Sich untern Palmen

Nicht ferner sehen ließ? – Wie? oder habt

Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?

DAJA.

Das nun wohl nicht.

NATHAN.

Nicht, Daja? nicht? – Da sieh

Nun, was es schad’t! – Grausame Schwärmerinnen! –

330Wenn dieser Engel nun – nun krank geworden! …

RECHA.

Krank!

DAJA.

Krank! Er wird doch nicht!

RECHA.

Welch kalter Schauer

Befällt mich! – Daja! – Meine Stirne, sonst

So warm, fühl! ist auf einmal Eis.

NATHAN.

Er ist

Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt;

335Ist jung; der harten Arbeit seines Standes,

Des Hungerns, Wachens ungewohnt.

RECHA.

Krank! Krank!

DAJA.

Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.

NATHAN.

Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld

Sich Freunde zu besolden.

RECHA.

Ah, mein Vater!

NATHAN.

340Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach,

Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!

RECHA.

Wo? wo?

NATHAN.

Er, der für eine, die er nie

Gekannt, gesehn – genug, es war ein Mensch –

Ins Feu’r sich stürzte …

DAJA.

Nathan, schonet ihrer!

NATHAN.

345Der, was er rettetet, nicht näher kennen,

Nicht weiter sehen mocht’, – um ihm den Dank

Zu sparen …

DAJA.

Schonet ihrer, Nathan!

NATHAN.

Weiter

Auch nicht zu sehn verlangt’, – es wäre denn,

Dass er zum zweiten Mal es retten sollte –

350Denn g’nug, es ist ein Mensch …

DAJA.

Hört auf, und seht!

[13]NATHAN.

Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts –

Als das Bewusstsein dieser Tat!

DAJA.

Hört auf!

Ihr tötet sie!

NATHAN.

Und du hast ihn getötet! –

Hättst so ihn töten können. – Recha! Recha!

355Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.

Er lebt! – komm zu dir! – ist auch wohl nicht krank;

Nicht einmal krank!

RECHA.

Gewiss? – nicht tot? nicht krank?

NATHAN.

Gewiss, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier

Getan, auch hier noch. – Geh! – Begreifst du aber,

360Wie viel andächtig schwärmen leichter, als

Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch

Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zu Zeiten

Sich schon der Absicht deutlich nicht bewusst –

Um nur gut handeln nicht zu dürfen?

RECHA.

Ach,

365Mein Vater! lasst, lasst Eure Recha doch

Nie wiederum allein! – Nicht wahr, er kann

Auch wohl verreist nur sein? –

NATHAN.

Geht! – Allerdings. –

Ich seh, dort mustert mit neugier’gem Blick

Ein Muselmann mir die beladenen

370Kamele. Kennt Ihr ihn?

DAJA.

Ha! Euer Derwisch.

NATHAN.

Wer?

DAJA.

Euer Derwisch; Euer Schachgesell!

NATHAN.

Al-Hafi? das Al-Hafi?

DAJA.

Itzt des Sultans

Schatzmeister.

NATHAN.

Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder? –

Er ist’s! – wahrhaftig, ist’s! – kömmt auf uns zu.

375Hinein mit euch, geschwind! – Was werd ich hören!

 

DRITTER AUFTRITT

Nathan und der Derwisch.

DERWISCH.

Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!

NATHAN.

Bist du’s? Bist du es nicht? – In dieser Pracht,

Ein Derwisch! …

[14]DERWISCH.

Nun? warum denn nicht? Lässt sich

Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?

NATHAN.

380Ei wohl, genug! – Ich dachte mir nur immer,

Der Derwisch – so der rechte Derwisch – woll

Aus sich nichts machen lassen.

DERWISCH.

Beim Propheten!

Dass ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.

Zwar wenn man muss –

NATHAN.

Muss! Derwisch! – Derwisch muss?

385Kein Mensch muss müssen, und ein Derwisch müsste?

Was müsst er denn?

DERWISCH.

Warum man ihn recht bittet,

Und er für gut erkennt: das muss ein Derwisch.

NATHAN.

Bei unserm Gott! da sagst du wahr. – Lass dich

Umarmen, Mensch. – Du bist doch noch mein Freund?

DERWISCH.

390Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?

NATHAN.

Trotz dem, was du geworden!

DERWISCH.

Könnt ich nicht

Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft

Euch ungelegen wäre?

NATHAN.

Wenn dein Herz

Noch Derwisch ist, so wag ich’s drauf. Der Kerl

395Im Staat ist nur dein Kleid.

DERWISCH.

Das auch geehrt

Will sein. – Was meint Ihr? ratet! – Was wär ich

An Eurem Hofe?

NATHAN.

Derwisch; weiter nichts.

Doch nebenher, wahrscheinlich – Koch.

DERWISCH.

Nun ja!

Mein Handwerk bei Euch zu verlernen. – Koch!

400Nicht Kellner auch? – Gesteht, dass Saladin

Mich besser kennt. – Schatzmeister bin ich bei

Ihm worden.

NATHAN.

Du? – bei ihm?

DERWISCH.

Versteht:

Des kleinen Schatzes, – denn des größern waltet

Sein Vater noch – des Schatzes für sein Haus.

NATHAN.

405Sein Haus ist groß.

DERWISCH.

Und größer, als Ihr glaubt;

Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.

NATHAN.

Doch ist den Bettlern Saladin so Feind –

DERWISCH.

Dass er mit Strumpf und Stiel sie zu vertilgen

Sich vorgesetzt – und sollt er selbst darüber

[15]410Zum Bettler werden.

NATHAN.

Brav! – So mein ich’s eben.

DERWISCH.

Er ist’s auch schon, trotz einem! – Denn sein Schatz

Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang

Viel leerer noch als leer. Die Flut, so hoch

Sie morgens eintritt, ist des Mittags längst

415Verlaufen –

NATHAN.

Weil Kanäle sie zum Teil

Verschlingen, die zu füllen oder zu

Verstopfen, gleich unmöglich ist.

DERWISCH.

Getroffen!

NATHAN.

Ich kenne das!

DERWISCH.

Es taugt nun freilich nichts,

Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.

420Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt’s

Noch zehnmal weniger.

NATHAN.

O nicht doch, Derwisch!

Nicht doch!

DERWISCH.

Ihr habt gut reden, Ihr! – Kommt an:

Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell

Euch ab.

NATHAN.

Was bringt dir deine Stelle?

DERWISCH.

Mir?

425Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern.

Denn ist es Ebb im Schatz, – wie öfters ist, –

So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor,

Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.

NATHAN.

Auch Zins vom Zins der Zinsen?

DERWISCH.

Freilich!

NATHAN.

Bis

430Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.

DERWISCH.

Das lockt Euch nicht? – So schreibet unsrer Freundschaft

Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab

Ich sehr auf Euch gerechnet.

NATHAN.

Wahrlich? Wie

Denn so? wieso denn?

DERWISCH.

Dass Ihr mir mein Amt

435Mit Ehren würdet führen helfen; dass

Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte. –

Ihr schüttelt?

NATHAN.

Nun, verstehn wir uns nur recht!

[16]Hier gibt’s zu unterscheiden. – Du? warum

Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem,

440Was ich vermag, mir stets willkommen. – Aber

Al-Hafi Defterdar des Saladin,

Der – dem –

DERWISCH.

Erriet ich’s nicht? Dass Ihr doch immer

So gut als klug, so klug als weise seid! –

Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet,

445Soll bald geschieden wieder sein. – Seht da

Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab.

Eh es verschossen ist, eh es zu Lumpen

Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden,

Hängt’s in Jerusalem am Nagel, und

450Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß

Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.

NATHAN.

Dir ähnlich g’nug!

DERWISCH.

Und Schach mit ihnen spiele.

NATHAN.

Dein höchstes Gut!

DERWISCH.

Denkt nur, was mich verführte! –

Damit ich selbst nicht länger betteln dürfte?

455Den reichen Mann mit Bettlern spielen könnte?

Vermögend wär im Hui den reichsten Bettler

In einen armen Reichen zu verwandeln?

NATHAN.

Das nun wohl nicht.

DERWISCH.

Weit etwas Abgeschmackters!

Ich fühlte mich zum ersten Mal geschmeichelt;

460Durch Saladins gutherz’gen Wahn geschmeichelt –

NATHAN.

Der war?

DERWISCH.

„Ein Bettler wisse nur, wie Bettlern

Zumute sei; ein Bettler habe nur

Gelernt, mit guter Weise Bettlern geben.

Dein Vorfahr, sprach er, war mir viel zu kalt,

465Zu rau. Er gab so unhold, wenn er gab;

Erkundigte so ungestüm sich erst

Nach dem Empfänger; nie zufrieden, dass

Er nur den Mangel kenne, wollt’ er auch

Des Mangels Ursach wissen, um die Gabe

470Nach dieser Ursach filzig abzuwägen.

Das wird Al-Hafi nicht! So unmild mild

Wird Saladin im Hafi nicht erscheinen!

Al-Hafi gleicht verstopften Röhren nicht,

Die ihre klar und still empfangnen Wasser

475So unrein und so sprudelnd wiedergeben.

[17]Al-Hafi denkt; Al-Hafi fühlt wie ich!“ –

So lieblich klang des Voglers Pfeife, bis

Der Gimpel in dem Netze war. – Ich Geck!

Ich eines Gecken Geck!

NATHAN.

Gemach, mein Derwisch,

480Gemach!

DERWISCH.

Ei was! – Es wär nicht Geckerei,

Bei Hunderttausenden die Menschen drücken,

Ausmergeln, plündern, martern, würgen und

Ein Menschenfreund an Einzeln scheinen wollen?

Es wär nicht Geckerei, des Höchsten Milde,

485Die sonder Auswahl über Bös und Gute

Und Flur und Wüstenei, in Sonnenschein

Und Regen sich verbreitet, – nachzuäffen,

Und nicht des Höchsten immer volle Hand

Zu haben? Was? es wär nicht Geckerei …

NATHAN.

490Genug! hör auf!

DERWISCH.

Lasst meiner Geckerei

Mich doch nur auch erwähnen! – Was? es wäre

Nicht Geckerei, an solchen Geckereien

Die gute Seite dennoch auszuspüren,

Um Anteil, dieser guten Seite wegen,

495An dieser Geckerei zu nehmen? He?

Das nicht?

NATHAN.

Al-Hafi, mache, dass du bald

In deine Wüste wieder kömmst. Ich fürchte

Grad unter Menschen möchtest du ein Mensch

Zu sein verlernen.

DERWISCH.

Recht, das fürcht ich auch.

500Lebt wohl!

NATHAN.

So hastig? – Warte doch, Al-Hafi.

Entläuft dir denn die Wüste? – Warte doch! –

Dass er mich hörte! – He, Al-Hafi! hier! –

Weg ist er; und ich hätt ihn noch so gern

Nach unserm Tempelherrn gefragt. Vermutlich,

505Dass er ihn kennt.

 

[18]VIERTER AUFTRITT

Daja eilig herbei. Nathan.

DAJA.

O Nathan, Nathan!

NATHAN.

Nun?

Was gibt’s?

DAJA.

Er lässt sich wieder sehn! Er lässt

Sich wieder sehn!

NATHAN.

Wer, Daja? wer?

DAJA.

Er! Er!

NATHAN.

Er? Er? – Wann lässt sich der nicht sehn! – Ja so,

Nur euer Er heißt er. – Das sollt er nicht!

510Und wenn er auch ein Engel wäre, nicht!

DAJA.

Er wandelt untern Palmen wieder auf

Und ab; und bricht von Zeit zu Zeit sich Datteln.

NATHAN.

Sie essend? – und als Tempelherr?

DAJA.

Was quält

Ihr mich? – Ihr gierig Aug erriet ihn hinter

515Den dicht verschränkten Palmen schon; und folgt

Ihm unverrückt. Sie lässt Euch bitten, – Euch

Beschwören, – ungesäumt ihn anzugehn.

O eilt! Sie wird Euch aus dem Fenster winken,

Ob er hinaufgeht oder weiter ab

520Sich schlägt. O eilt!

NATHAN.

So wie ich vom Kamele

Gestiegen? – Schickt sich das? – Geh, eile du

Ihm zu; und meld ihm meine Wiederkunft.

Gib Acht, der Biedermann hat nur mein Haus

In meinem Absein nicht betreten wollen;

525Und kömmt nicht ungern, wenn der Vater selbst

Ihn laden lässt. Geh, sag, ich lass ihn bitten,

Ihn herzlich bitten …

DAJA.

All umsonst! Er kömmt

Euch nicht. – Denn kurz; er kömmt zu keinem Juden.

NATHAN.

So geh, geh wenigstens, ihn anzuhalten;

530Ihn wenigstens mit deinen Augen zu

Begleiten. – Geh, ich komme gleich dir nach.

(Nathan eilet hinein, und Daja heraus.)

 

[19]FÜNFTER AUFTRITT

Szene: ein Platz mit Palmen,

unter welchen der Tempelherr auf und nieder geht.

Ein Klosterbruder folgt ihm in einiger Entfernung von der

Seite, immer als ob er ihn anreden wolle.

TEMPELHERR.

Der folgt mir nicht vor langer Weile! – Sieh,

Wie schielt er nach den Händen! – Guter Bruder, …

Ich kann Euch auch wohl Vater nennen; nicht?

KLOSTERBRUDER.

535Nur Bruder – Laienbruder nur; zu dienen.

TEMPELHERR.

Ja, guter Bruder, wer nur selbst was hätte!

Bei Gott! bei Gott! Ich habe nichts –

KLOSTERBRUDER.

Und doch

Recht warmen Dank! Gott geb Euch tausendfach,

Was Ihr gern geben wolltet. Denn der Wille

540Und nicht die Gabe macht den Geber. – Auch

Ward ich dem Herrn Almosens wegen gar

Nicht nachgeschickt.

TEMPELHERR.

Doch aber nachgeschickt?

KLOSTERBRUDER.

Ja; aus dem Kloster.

TEMPELHERR.

Wo ich eben jetzt

Ein kleines Pilgermahl zu finden hoffte?

KLOSTERBRUDER.

545Die Tische waren schon besetzt; komm aber

Der Herr nur wieder mit zurück.

TEMPELHERR.

Wozu?

Ich habe Fleisch wohl lange nicht gegessen:

Allein was tut’s? Die Datteln sind ja reif.

KLOSTERBRUDER.

Nehm sich der Herr in Acht mit dieser Frucht.

550Zu viel genossen taugt sie nicht; verstopft 

Die Milz; macht melancholisches Geblüt. 

TEMPELHERR.

Wenn ich nun melancholisch gern mich fühlte? –

Doch dieser Warnung wegen wurdet Ihr

Mir doch nicht nachgeschickt?

KLOSTERBRUDER.

O nein! – Ich soll

555Mich nur nach Euch erkunden; auf den Zahn

Euch fühlen.

TEMPELHERR.

Und das sagt Ihr mir so selbst?

KLOSTERBRUDER.

Warum nicht?

TEMPELHERR.

(Ein verschmitzter Bruder!) – Hat

[20]Das Kloster Euresgleichen mehr?

KLOSTERBRUDER.

Weiß nicht.

Ich muss gehorchen, lieber Herr.

TEMPELHERR.

Und da

560Gehorcht Ihr denn auch ohne viel zu klügeln?

KLOSTERBRUDER.

Wär’s sonst gehorchen, lieber Herr?

TEMPELHERR.

(Dass doch

Die Einfalt immer Recht behält!) – Ihr dürft

Mir doch auch wohl vertrauen, wer mich gern

Genauer kennen möchte? – Dass Ihr’s selbst

565Nicht seid, will ich wohl schwören.

KLOSTERBRUDER.

Ziemte mir’s?

Und frommte mir’s?

TEMPELHERR.

Wem ziemt und frommt es denn,

Dass er so neubegierig ist? Wem denn?

KLOSTERBRUDER.

Dem Patriarchen; muss ich glauben. – Denn

Der sandte mich Euch nach.

TEMPELHERR.

Der Patriarch?

570Kennt der das rote Kreuz auf weißem Mantel

Nicht besser?

KLOSTERBRUDER.

Kenn ja ich’s!

TEMPELHERR.

Nun, Bruder? nun? –

Ich bin ein Tempelherr; und ein gefangner. –

Setz ich hinzu: gefangen bei Tebnin,

Der Burg, die mit des Stillstands letzter Stunde

575Wir gern erstiegen hätten, um sodann

Auf Sidon loszugehn; – setz ich hinzu:

Selbzwanzigster gefangen und allein

Vom Saladin begnadiget: so weiß

Der Patriarch, was er zu wissen braucht; –

580Mehr, als er braucht.

KLOSTERBRUDER.

Wohl aber schwerlich mehr,

Als er schon weiß. – Er wüsst auch gern, warum

Der Herr vom Saladin begnadigt worden;

Er ganz allein.

TEMPELHERR.

Weiß ich das selber? – Schon

Den Hals entblößt, kniet’ ich auf meinem Mantel,

585Den Streich erwartend: als mich schärfer Saladin

Ins Auge fasst, mir näher springt und winkt.

Man hebt mich auf; ich bin entfesselt; will

Ihm danken; seh sein Aug in Tränen: stumm

Ist er, bin ich; er geht, ich bleibe. – Wie

[21]590Nun das zusammenhängt, enträtsle sich

Der Patriarche selbst.

KLOSTERBRUDER.

Er schließt daraus,

Dass Gott zu großen, großen Dingen Euch

Müss aufbehalten haben.

TEMPELHERR.

Ja, zu großen!

Ein Judenmädchen aus dem Feu’r zu retten;

595Auf Sinai neugier’ge Pilger zu

Geleiten; und dergleichen mehr.

KLOSTERBRUDER.

Wird schon

Noch kommen! – Ist inzwischen auch nicht übel. –

Vielleicht hat selbst der Patriarch bereits

Weit wicht’gere Geschäfte für den Herrn.

TEMPELHERR.

600So? meint Ihr, Bruder? – Hat er gar Euch schon

Was merken lassen?

KLOSTERBRUDER.

Ei, jawohl! – Ich soll

Den Herrn nur erst ergründen, ob er so

Der Mann wohl ist.

TEMPELHERR.

Nun ja; ergründet nur!

(Ich will doch sehn, wie der ergründet!) – Nun?

KLOSTERBRUDER.

605Das Kürzste wird wohl sein, dass ich dem Herrn

Ganz gradezu des Patriarchen Wunsch

Eröffne.

TEMPELHERR.

Wohl!

KLOSTERBRUDER.

 Er hätte durch den Herrn

Ein Briefchen gern bestellt.

TEMPELHERR.

Durch mich? Ich bin

Kein Bote. – Das, das wäre das Geschäft,

610Das weit glorreicher sei als Judenmädchen

Dem Feu’r entreißen?

KLOSTERBRUDER.

Muss doch wohl! Denn – sagt

Der Patriarch – an diesem Briefchen sei

Der ganzen Christenheit sehr viel gelegen.

Dies Briefchen wohl bestellt zu haben, – sagt

615Der Patriarch, – werd einst im Himmel Gott

Mit einer ganz besondern Krone lohnen.

Und dieser Krone, – sagt der Patriarch, –

Sei niemand würd’ger als mein Herr.

TEMPELHERR.

Als ich?

KLOSTERBRUDER.

Denn diese Krone zu verdienen, – sagt

620Der Patriarch, – sei schwerlich jemand auch

[22]Geschickter als mein Herr.

TEMPELHERR.

Als ich?

KLOSTERBRUDER.

Er sei

Hier frei; könn überall sich hier besehn;

Versteh, wie eine Stadt zu stürmen und

Zu schirmen; könne, – sagt der Patriarch, –

625Die Stärk und Schwäche der von Saladin

Neu aufgeführten, innern, zweiten Mauer

Am besten schätzen, sie am deutlichsten

Den Streitern Gottes, – sagt der Patriarch, –

Beschreiben.

TEMPELHERR.

Guter Bruder, wenn ich doch

630Nun auch des Briefchens nähern Inhalt wüsste.

KLOSTERBRUDER.

Ja den, – den weiß ich nun wohl nicht so recht.

Das Briefchen aber ist an König Philipp. –

Der Patriarch … Ich hab mich oft gewundert,