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„In der geheimnisvollen Nebelgasse liegt eine Frauenleiche – ohne persönliche Ausweise oder erkennbare Merkmale. Ein einzelner silberner Anhänger mit der Zahl „17“ ist der einzige Hinweis auf ein dunkles Geheimnis, das nie ans Licht kommen sollte. Für Elena Voss, eine Journalistin, beginnt damit nicht nur eine Recherche, sondern auch eine Reise in die eigene Vergangenheit. Als Elena den Anhänger entdeckt, ist es ihr ein Albtraum, da er einen schrecklichen Ort aus ihrer Jugend heraufbeschwört – ein Heim, dessen Existenz offiziell verleugnet wurde. Es war ein Ort des Schweigens, der Angst und des schockierenden Verschwindens von Kindern. Jetzt scheint jemand systematisch die Kinder von damals zu finden und zu töten, wobei jede Leiche eine verstörende Botschaft überbringt. Gemeinsam mit Kommissar Elias Dorn taucht Elena tief in vergessene Akten ein, dringt vor gegen die Mauern des Schweigens und enthüllt die versteckten Abgründe eines Systems, das die Vergangenheit ignorierte. Während sie tiefer in den Fall eintaucht, deckt Elena eine Wahrheit auf, die weit über einen einfachen Serienmord hinausgeht. Sie entdeckt ein lang verborgenes Geheimnis, das sich nun, wie der Nebel, seinen Weg bahnt und alles auf seinem Weg verschlingt. „Nebelgasse 17“ ist ein fesselnder psychologischer Thriller, der die Themen Trauma, Identität und das erschreckende Ausmaß erforscht, das Kinder ertragen können, bevor ihre Stimmen unterdrückt oder ausgelöscht werden. Mit seiner düsteren Atmosphäre, den intensiven Emotionen und dem lebendigen Setting bietet dieses Buch eine fesselnde Lektüre.“
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Prolog
Vorwort:
Kapitel 1 – Der Atem der Gasse
Kapitel 2 – Die Kinder der Stille
Kapitel 3 – Schatten in den Akten
Kapitel 4 – Die Wahrheit unter der Haut
Kapitel 5 – Die Jagd beginnt
Kapitel 6 – Kein Versteck mehr
Kapitel 7 – In der Dunkelheit
Kapitel 8 – Risse im Beton
Kapitel 9 – Das Schweigen der Wahrheit
Kapitel 10 – Zwischen den Schatten
Kapitel 11 – Schuld aus Fleisch und Blut
Kapitel 12 – Kein Zurück mehr
Kapitel 13 – Spuren der Schuld
Kapitel 14 – Die Dritte Stimme
Kapitel 15 – Die Linie
Kapitel 16 – Kein Licht, kein Schatten
Kapitel 17 – Spiegelkinder
Kapitel 18 – Die Wunde im System
Kapitel 19 – Die Nachtmarke
Kapitel 20 – Keine Zeit mehr
Kapitel 21 – Jenseits von Namen
Kapitel 22 – Der letzte Schritt
Nachwort des Autors:
Epilog – Die Stille danach
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Rechtlicher Hinweis
Impressum
Sie behaupteten, wir würden verblassen.
Sie sagten, Erinnerungen seien ein leichter, formbarer Stoff, der bis zur Vergessenheit geformt werden könne.
Doch manche Orte bewahren ihr Gedächtnis.
In der Nebelgasse ist es still. Kein lautes Weinen, nur Flüstern durchdringt die Luft. Und manchmal flüstert die Gasse zurück.
Alles begann mit einem verschwundenen Namen, einem verbrannten Hemd und einem Foto, das nicht existieren sollte.
Und es endete nicht.
Denn diejenigen, die Nummern zuteilen, zählen nicht mit Herz, sondern mit Absicht.
Und irgendwann beginnt die Zählung von vorn.
Nebelgasse 17 entfaltet sich aus Fragen hervor, die nie gestellt wurden.
Diese Geschichte taucht ein in die Schatten eines vergessenen Ortes und in die Erinnerungen von Menschen, die niemals vergessen durften.
Es ist ein Roman über die unruhige Vergangenheit und über Wahrheiten, die so tief vergraben sind, dass sie nur im Nebel wieder auftauchen können.
Die Geschichte dreht sich um ein Haus, ein Heim, eine Nummer und die Frage, wie viel Schweigen ein Kind ertragen kann, bevor es schreit.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Elena Voss, eine Journalistin, die merkt, dass sie selbst Teil der Geschichte ist, die sie zu erzählen glaubt.
Wenn Sie die Seiten dieses Buches aufschlagen, treten Sie in die Gasse ein.
Sie wird Sie sehen. Und vielleicht wird sie sich an Sie erinnern.
Triggerwarnung
Dieses Buch enthält Darstellungen von psychischer und physischer Gewalt, Missbrauch in Heimen, Vernachlässigung, Kindheitstrauma, Mord, Tod und institutionellem Schweigen. Einige Szenen können emotional belastend wirken oder Erinnerungen an eigene Erfahrungen auslösen. Bitte sei achtsam mit dir selbst beim Lesen. Solltest du von solchen Themen betroffen sein oder Unterstützung benötigen, zögere nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Niemand hörte den Schrei in der Nebelgasse.
Der Morgen dämmerte ohne Licht, nur ein fahler Nebel kroch durch Lindhofens Gassen, als wollte er etwas verbergen. Er legte sich über Dächer, verschluckte die Geräusche der Stadt und hinterließ eine Stille, die zu dicht war, um natürlich zu sein.
Wie ein vergessenes Versprechen legte er sich über die Dächer der Stadt und schlich sich in die Winkel des Fachwerks. Die Stadt atmete an, während die Dunkelheit sich zögerlich zurückzog. Ein gewöhnlicher Morgen wäre vom Klang der Kirchenglocken, dem Frühlingsgezwitscher der Vögel oder dem Klappern der Rollläden begrüßt worden. Doch heute herrschte Stille. Stille, die nur von einem dichter werdenden Nebel durchbrochen wurde, der alles in eine geisterhafte Umarmung hüllte.
In ihrer Dachgeschosswohnung im südlichen Teil der Altstadt stand Elena Voss am Fenster. In einer Hand eine halbvolle Kaffeetasse, in der anderen ihr vibrierendes Handy, das schon seit drei Minuten ununterbrochen vibrierte.
„Voss“, antwortete sie.
Die Stimme am anderen Ende war trocken und mechanisch. „Ein Toter. Nebelgasse. Keine Ausweise. Weiblich. Ihr Name wurde erwähnt.“
Sie wurde mit Ihrem Namen auf einem Zettel gefunden.
Elena runzelte die Stirn. ,,Warum sollte mich das betreffen?“
„Es betrifft Sie vielleicht mehr, als Sie denken“, drängte sie. „Gehen Sie hin.“
Mit einem Klick brach die Verbindung ab.
Sie starrte zunächst auf das Display und dann auf das Fensterglas, hinter dem sich der dichte Nebel wie ein lebendiges Wesen bewegte. Nebelgasse. Ein unbehagliches Gefühl der Bekanntheit machte sich in ihr breit.
Zwanzig Minuten später betrat Elena auf dem Landweg die schmale Gasse, die jahrzehntelang ihren unheilvollen Ruf verteidigte, wie ein altes Tier seine Höhle. Die Nebelgasse war nicht nur ein Ort, sondern eine Legende. In ihrer Kindheit hatte sie Geschichten über diese Gasse gehört: leise Flüstern im Dunkeln, seltsame Schatten, verschwundene Katzen – und einmal sogar ein Mann, der angeblich mitten auf der Straße auf mysteriöse Weise verschwand, ohne jede Spur oder Hinweis darauf, was passiert war.
Nun, da lag tatsächlich ein menschlicher Körper.
Polizeibänder flatterten matt in der feuchten Luft, während ein einzelner Streifenwagen schräg am Bordstein parkte. Zwei uniformierte Polizisten führten ein leises Gespräch, als wollten sie den umliegenden Nebel nicht stören. In der Mitte des Pflasters war eine Silhouette unter einer Plane zu sehen, die sich im Wind kaum bewegte. Daneben stand Kommissar Elias Dorn.
Er wirkte, als wäre er schon seit Stunden anwesend. Sein Mantel war offen, sein Hemd zerknittert und in seiner Hand hielt er eine Zigarette. Die glühende Asche wurde vom umliegenden Nebel verschluckt, bevor sie zu Boden fiel.
“Sie scheinen nicht überrascht zu sein”, bemerkte er, als Elena sich näherte.
“Das bin ich auch nicht”, antwortete sie. “Ich bin einfach nur wütend darüber, dass ich meine Schuhe ruiniert habe.”
Er sah sie kurz an. “Sie tragen Absätze in der Nebelgasse. Entweder Sie sind mutig – oder wahnsinnig.”
“Vielleicht beides”, entgegnete sie.
“Haben Sie letzte Woche mit dem Opfer gesprochen? Wie hieß sie?”, fragte er.
Elena zuckte zusammen. “Ich glaube nicht, dass ich das getan habe. Ich hätte mich erinnert.”
Dorn zog eine kleine Plastiktüte aus seiner Manteltasche. Darin befand sich ein kleiner, runder, silberner Anhänger mit einer schlichten Gravur: 17.
Elena näherte sich zögerlich. Ihre Hand hob sich langsam, um sich dann in der Luft zu verfangen. Ihre Augen weiteten sich.
„Den… den kenne ich doch. Von irgendwo“, sagte sie und stammelte die Worte hervor.
„Was meinen Sie?“, fragte Dorn neugierig.
„Vor langer Zeit“, begann sie zögerlich. „An einem Ort, über den ich nicht sprechen soll.“
Dorn musterte sie lange an, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder der Plane zuwandte. „Nun, es wird höchste Zeit, dass Sie mit der Wahrheit herausrücken.“
Sie saßen auf einer Parkbank, nahe dem Fluss und weit entfernt von der Einsatzstelle. Der Nebel hielt sich auch hier, aber weniger intensiv. Man konnte wenigstens wieder atmen.
Elena strich sich eine Hand durch das Haar, das durch die Feuchtigkeit in lose Wellen gefallen war.
„Ich war fünf Jahre alt“, begann sie. „Ich lebte… oder besser gesagt, ich wurde untergebracht… in einem Haus. Es hatte keinen richtigen Namen oder eine Adresse. Man nannte es einfach ‘die 17’. Nur eine Zahl.“
„Ein Heim?“, fragte Dorn.
„Offiziell ja. Inoffiziell jedoch…“, sagte Elena und brach ab. „Ich erinnere mich an dunkle Flure, Flüstern, verbotene Türen. Und an eine Frau mit einem silbernen Anhänger um den Hals. Genau wie den.“
Dorn schwieg, als ob er versuchte, durch das Rauchen seiner Zigarette Gedanken zu ordnen, die sich nicht ordnen ließen.
„Ich wurde mit sechs Jahren adoptiert“, fuhr Elena fort. „Danach wurde das Ganze nie wieder erwähnt. Meine Adoptiveltern wussten entweder nichts oder wollten nichts wissen. Ich habe versucht, es zu vergessen, bis heute.“
„Und Sie sind überzeugt, dass dieses Heim etwas mit der Nebelgasse zu tun hat?“, fragte Dorn skeptisch.
„Ich bin mir nicht sicher”, antwortete Elena, aber sie spürte einen seltsamen Anhänger und einen Namen – „Die 17” –, der ihr bekannt vorkam. Jetzt, da hier jemand leblos am Boden lag, fühlte es sich wie ein Echo an.
Dorn stand auf, und das leise Knarren der Bank verriet das Gewicht, das vom Holz verschwand. Er blickte auf den trägen Fluss und dann zurück zu Elena.
„Das könnte mehr als ein gewöhnlicher Mordfall sein”, sagte er.
„Ein Echo?”, fragte sie leise.
Er nickte.
Als Elena später alleine die Nebelgasse entlangging, war der Nebel dichter denn je. Die Polizei war abgezogen, der Tatort geräumt. Nur die Pflastersteine glänzten feucht, wo der Körper gelegen hatte.
Sie trat an die Hauswand, auf der mit weißer Farbe „17” gemalt war – alt, verwittert und kaum zu sehen. Sie hatte es nie zuvor bemerkt, aber es war immer da gewesen.
Mit zitternden Händen holte sie ihr Handy aus der Tasche und öffnete die Kamera. Als sie ein Foto machen wollte, fror sie vor Angst ein.
Für einen Augenblick glaubte sie eine Gestalt in einem Fenster im ersten Stock gesehen zu haben – still, bewegungslos und beobachtend.
Doch dann war sie weg. Nur noch der Nebel und ihr eigener Atem waren wahrzunehmen.
Am selben Abend saß Elena bei gedimmtem Licht in ihrer Küche, die Fenster beschlagen, vor sich auf dem Tisch Notizen, Zeitungsausschnitte und Ausdrucke aus alten Archiven. Seit Wochen hatte sie das Gefühl, dass etwas in dieser Stadt vor sich ging, als würde sich etwas wieder zu Regungen regen.
Jetzt sah sie es schwarz auf weiß.
Drei junge Frauen waren in den letzten sechs Monaten gestorben.
Alle Opfer wurden in oder in der Nähe der Altstadt entdeckt, eines davon direkt vor der Nebelgasse 17.
Obwohl die Fälle scheinbar unzusammenhängend waren, gab es einige auffällige Gemeinsamkeiten: verschiedene Todesursachen, keine eindeutigen Spuren und keine bekannten Verbindungen zwischen den Opfern. Ein Motiv, ein Muster – nichts. Nur der Tatort und der bedrückende Nebel.
Elena blätterte durch einen vergilbten Zeitungsartikel. Er zeigte ein altes Foto von einem Tatort von vor zwanzig Jahren. Es war eine junge Frau, und der Ort: die Nebelgasse.
Der Artikel trug die Schlagzeile: „Der Fluch der Gasse – Spukt es in Lindhofen?“
Flüsternd, als ob sie es selbst nicht glauben wollte, erklärte Elena: „Es war kein Zufall.“
Am nächsten Morgen rief Dorn sie ohne Begrüßung an.
„Sie hatten recht“, sagte er. „Der Anhänger mit der Nummer 17 taucht in einem Fall aus dem Jahr 1987 auf. Der Fall war fast vergessen und archiviert. Das Opfer war damals eine sechzehnjährige ohne Familie. Sie wurde tot in derselben Gasse gefunden.“
Neugierig erkundigte sich Elena: „Was hat sie mit dem aktuellen Opfer zu tun?“
Dorn antwortete vorsichtig: „Vielleicht nichts. Vielleicht aber auch alles.“
Als Elena das Polizeipräsidium betrat, schlugen ihr die Gerüche von abgekühltem Kaffee und jahrelang in Aktenordnern gelagertem Papier entgegen. Dorn hatte ihr Sonderzugang verschafft – offiziell als Journalistin, inoffiziell weil sie Dinge wusste, die andere nicht mal zu fragen wagten.
Er legte die Akte auf den Tisch und mahnte: „Sie dürfen sie nur ansehen, nicht kopieren oder etwas mitnehmen.“
Elena blätterte vorsichtig durch die brüchigen, maschinengeschriebenen Seiten. Die am Rande verfasste Handschrift des Ermittlers war kaum lesbar.
Der Tatort befand sich in der Nebelgasse. Das Opfer, eine weibliche Person im Alter von etwa 16 Jahren, war unbekannt.
Besonderheiten des Opfers: Sie trug einen Anhänger aus silbernem Metall mit der eingravierten Zahl „17“. Es gab Hinweise auf eine mögliche Verbindung zu einem Kinderheim in der Umgebung, dessen Name jedoch unbekannt war.
„Haben Sie nie herausgefunden, wer sie war?“, fragte Elena.
Dorn schüttelte den Kopf. „Niemand meldete sie vermisst. Sie hatte keinen Ausweis und keine Familienmitglieder. Es war, als hätte sie nie existiert.“
Elena lehnte sich zurück. Ihr Herz raste. Der Nebel war nicht nur ein Bild – er war real. Ein Schleier, der sich über Gesichter und Namen legte, über Taten, die nie ans Licht sollten.
An diesem Abend kehrten sie, diesmal zu zweit, zur Nebelgasse zurück. Das Licht war grau, das Pflaster glänzte, und irgendwo tropfte Wasser in ein rostiges Rohr. Elena blieb vor einem alten Haus stehen. Nummer 17.
Leise sagte sie: „Ich kenne dieses Fenster. Als ich noch ein Kind war, erinnere ich mich an den Lichtschein und die Geräusche.“
Dorn betrachtete das Gebäude. Die Fenster waren dunkel und vernagelt. Nur eine einzige Scheibe im ersten Stock war intakt – genau die, hinter der Elena am Vortag eine Silhouette gesehen hatte.
„Wir benötigen einen Durchsuchungsbeschluss“, sagte er. „Aber den bekommen wir nicht ohne Verdacht.“
„Dann gehen wir eben ohne“, entgegnete Elena ruhig.
Dorn hob die Braue. „Sie sind eine mutige Frau, Voss.“
„Oder wahnsinnig, wie Sie es nannten.“
Er zog eine Taschenlampe aus der Manteltasche. „Dann gehen wir eben gemeinsam rein.“
Das alte, verlassene Haus stand weit offen da, seine knarrende Tür atmete ein und aus, als würde sie seit Ewigkeiten schlafen. Im Inneren herrschten Dunkelheit, Staub und das feuchte, muffige Aroma von verrottendem Holz und altem Stein.
Der Lichtstrahl der Taschenlampe huschte über Tapetenreste, abblätternden Putz und eine einsame Treppe, deren Schritte gedämpft widerhallten.
In einem der Erdgeschossräume blieb Elena stehen. Auf dem Boden fiel ihr ein Stück Stoff auf. Es war ein altes Kindershirt, zerfetzt und verwaschen, mit einer gestickten Zahl am Kragenrand: 17.
“Das hier war kein Haus”, sagte sie mit brüchiger Stimme. “Es war eine Einrichtung, eine, die verschwand und nie wieder gesehen wurde.”
Dorn trat neben sie. “Jemand will verhindern, dass sie wieder zutage tritt.”
Als sie wieder nach draußen traten, hatte sich die Dunkelheit vertieft und der Nebel war dichter geworden, umhüllte sie wie ein schwerer, unausweichlicher Mantel.
“Aber was, wenn der Mörder nicht geflohen ist?” fragte Elena. “Was, wenn er einfach geblieben ist? Was, wenn er nie aufgehört hat zu töten?”
Dorn sah sie an, selbst die normalerweise unerschütterliche Fassade des erfahrenen Ermittlers schien von Unsicherheit überzogen zu sein.
“Dann hat er gewartet”, antwortete er schließlich. “Und jetzt ist seine Zeit zurückgekehrt.”
Später in der Nacht lag Elena wach im Bett, ihr Geist geplagt von diesen düsteren Gedanken.
Auf dem Sofa sitzend, mit einer Decke über den Knien gezogen, arbeitete sie am Laptop auf dem Couchtisch. Der Bildschirm flackerte, während sie verschiedene Suchanfragen, Archivdateien und ältere Zeitungsartikel durchging. Ihr Fokus lag auf „Haus 17“, einem Kinderheim, dessen Existenz offiziell geleugnet wurde. Es gab weder eine Adresse, einen Betreiber noch einen Abschlussbericht; nur Gerüchte und Geschichten über Todesfälle.
Sie scrollte durch ein Fotoarchiv aus den 1980er Jahren, das Schulklassen, Stadtansichten und Feierlichkeiten umfasste. Plötzlich erregte ein Gruppenfoto ihre Aufmerksamkeit. Sechs Kinder standen vor einem grauen Gebäude, ohne Schilder oder Schriftzüge. Doch in der linken oberen Ecke des Fotos, fast im Schatten verborgen, erblickte sie eine Zahl über der Tür: 17.
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie das Bild vergrößerte. Das dritte Kind von links hatte ihr Gesicht, nur jünger, kleiner und verloren wirkend.
Am nächsten Morgen erhielt Elias Dorn einen anonymen Umschlag.
Auf dem Umschlag befand sich keine Adresse und es fehlte eine Briefmarke. Stattdessen prangte in krakeliger Handschrift „Polizeidirektion Lindhofen“ auf dem Umschlag. Im Inneren befindet sich ein verblasstes Schwarzweißfoto, das aus dem selben Winkel wie Elenas Foto aufgenommen wurde. Dieses Mal waren jedoch die Fensterläden des Hauses geöffnet, und in einem bestimmten Fenster, demselben, durch das Elena gesehen hatte, war wieder eine schemenhafte Gestalt erkennbar, die kaum zu erkennen war.
Außen auf dem Foto war mit einem roten Filzstift eine erschütternde Nachricht geschrieben: „Sie beobachten dich auch, Dorn.“
Als Elena später ihr Büro betrat, fand sie einen unerwarteten Besucher vor. Auf ihrem Schreibtisch lag kein Zettel oder Brief, sondern ein kleiner, silberner Anhänger. Er hatte die gleiche Form und Gravur wie der vorherige Anhänger.
Die Zahl auf diesem Anhänger war jedoch anders. Sie war frisch poliert und neu, fast neu.
Die Polizei konnte keinen Sinn in der Situation erkennen. Sie hatten keine Zeugen, keine Kameraaufnahmen und die Ermittlungen im Mordfall in der Gasse schienen nirgendwohin zu führen. Es gab kein Motiv, keine DNA und kein Täterprofil, das helfen könnte, den Mord zu lösen.
Trotzdem machte das Gerücht in der Stadt die Runde. Menschen flüsterten untereinander in Geschäften, an Bäckertheken und auf dem Markt.