5,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 5,99 €
Ein psychologisch-abgründiger Thriller über Schuld, Wahrheit und die Schatten der eigenen Vergangenheit. Sechs Menschen erwachen an einem unbekannten Ort – ohne Namen, ohne Erinnerung an ihr Warum. Nur eine Stimme begleitet sie, ein Totenschädel aus Rauch, der durch Räume flackert wie ein Echo ihrer innersten Abgründe. Sie werden geprüft, befragt, entlarvt – nicht durch Gewalt, sondern durch das, was sie selbst verbergen. In einer labyrinthartigen Struktur aus Licht, Dunkelheit und Spiegelbildern müssen sie sich selbst erkennen – und entscheiden, ob ihre Wahrheit sie rettet oder zerstört. Was als Spiel erscheint, ist in Wahrheit ein Prozess der Auflösung: von Identität, Kontrolle, Moral. Jeder Schritt in diesem System ist ein Schnitt durch die eigene Vergangenheit. „Nichtlicht“ ist kein klassischer Thriller. Es ist ein psychologisches Kammerspiel, ein Experiment mit Schuld, Wahrnehmung und Nähe – intensiv, verstörend, existenziell.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 186
Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Prolog – Das Schweigen der Schatten
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Impressum
Nichtlicht
Ein Spiel beginnt. Sechs Menschen. Ein Wahnsinniger. Und das, was in ihnen lauert, ist tödlicher als alles draußen.
Triggerwarnung
Dieses Buch enthält Inhalte, die für manche Leser*innen belastend oder retraumatisierend sein können. Dazu zählen unter anderem:
•psychologische Manipulation
•Zwangssituationen und Kontrollverlust
•familiäre Traumata
•Suizidgedanken und psychische Erkrankungen
•emotionale und körperliche Grenzerfahrungen
•Tod und Verlust von Vertrauenspersonen
„Nichtlicht“ ist ein psychologisch intensives Werk, das sich mit innerer Zerrissenheit, Schweigen und Schuld auseinandersetzt. Es beleuchtet Themen, die in der Dunkelheit unserer Gedanken wurzeln – und diese Dunkelheit kann wirken.
Bitte lies achtsam – und nimm dir Pausen, wenn du sie brauchst. Hilfe zu suchen ist keine Schwäche, sondern Stärke.
Der Raum war still, so still, dass selbst das Ticken der vergessenen Uhr an der Wand wie ein scharfer Schnitt durch die Dunkelheit wirkte. Es war, als würde die Zeit selbst jede Sekunde mit einem Messer aufritzen, um sicherzustellen, dass niemand entkommen konnte, nicht einmal sie – jene sechs Seelen, deren Namen bald nur noch Flüstern sein würden, verzerrt in der Erinnerung eines Spiels, das nie als Spiel gedacht war.
Sie sahen ihn alle, früher oder später. Manche zuerst nur in Träumen, andere in flüchtigen Spiegelungen, wo Licht auf etwas traf, das keine Substanz, keine Dichte, kein Fleisch hatte. Nur Knochen, rot wie das Innerste eines Brandherdes. Und Rauch, der aus seinem geöffneten Maul strömte wie eine alte Wahrheit, die zu lange geschwiegen hatte. Ein Totenschädel, unbeweglich, aber wach, starr, aber voller Blick. Ein Lächeln wie eine Fratze, doch nicht von dieser Welt. Wer ihn sah, wusste tief in sich, dass nichts mehr so bleiben würde, wie es war. Es war kein Tod, den er brachte. Es war… ein Erwachen.
Sie hatten keine Namen füreinander, als sie dort erwachten. Keine Erinnerung an ein Warum oder Wie. Nur Kälte, Stahl und eine Stimme. Er verzerrte seine Worte, ließ sie durch Lautsprecher tropfen wie Gift – langsam, säureartig, mit dem Geschmack von Kontrolle. „Willkommen“, sagte er, „in der Tiefe eurer selbst. Hier draußen ist nichts. Nur das Nichtlicht.“
Was folgte, war kein Spiel. Es war ein Spiegel, zerbrochen in sechs Stücke, jeder schärfer als der letzte. Und jeder von ihnen – der stille Lehrer, die vernarbte Tänzerin, der schweigende Soldat, die träumende Ärztin, der flackernde Priester, das Kind mit den alten Augen – trug ein Geheimnis in sich, das nicht ans Licht durfte. Denn wer sprach, starb. Und wer schwieg… verlor sich.
Der Totenschädel wartete. Immer. Manchmal am Rand des Blickfelds. Manchmal mitten im Raum. Ein Atem aus Rauch, der niemandem gehörte. Eine Warnung – oder ein Versprechen?
Dies ist keine Geschichte über Erlösung. Es ist eine Geschichte über Masken, über Schuld, über Nähe, die tötet, und Sehnsucht, die zersetzt. Es ist ein Tanz auf Glassplittern. Ein Blick in das, was wir alle zu verbergen versuchen.
Dies ist Nichtlicht.
„Als sie erwachte, wusste sie nicht, wer sie war. Nicht, wo sie war. Nur, dass es dunkel war. Keine Dunkelheit wie Nacht. Sondern wie ein geschlossenes Auge. Eine Leere ohne Sprache. Ohne Laut. Ohne Grenze.“
Etwas tickte. Kein Uhrwerk, sondern etwas Tieferes. Wie ein langsamer Puls, der nicht in ihr schlug, sondern unter ihr – als würde der Boden selbst atmen.
Doch während sich ihr Bewusstsein wie Frost an die Ränder der Wirklichkeit legte, wuchs das Gefühl: Etwas war hier. Etwas, das nicht schlief.
Das Bewusstsein kam in Schüben. Zuerst das Kältegefühl – wie flüssiges Metall auf nackter Haut. Dann ein pulsierendes Summen, das sich erst wie Stille anfühlte, dann wie eine Frage. Malea öffnete die Augen nicht sofort. Irgendetwas sagte ihr, dass der Moment, in dem sie es tat, ein endgültiger sein würde – dass es kein Zurück gab, wenn sie sich entschied, zu sehen.
Als sie es doch tat, war das erste, was sie spürte, der Widerstand in ihren Lidern. Trockenheit, wie Wüstenstaub. Dann Dunkelheit. Keine vollkommene, sondern eine vibrierende Schwärze, durchzogen von rötlichem Schimmern – wie Nebel hinter geschlossenen Augen, wenn Licht durch eine blutunterlaufene Haut fällt. Sie lag auf etwas Hartem. Beton vielleicht. Oder Metall. Kalt, aber trocken. Ihre Hände waren frei. Ihre Beine auch. Und doch fühlte sich nichts daran frei an.
Sie setzte sich langsam auf. Der Raum war leer – oder schien es zu sein. Keine Fenster, kein erkennbarer Eingang, keine Geräusche außer ihrem eigenen Atem, der in der Stille zu einem rasenden Echo wurde. An der Wand gegenüber blinkte ein rotes Licht, monoton, wie der Puls eines Wesens, das nicht schlief.
Dann hörte sie es zum ersten Mal.
Ein Kratzen. Nicht laut, eher wie Fingernägel, die über Glas fuhren. Langsam. Zögerlich. Prüfend. Und ein Schatten – nicht in der Dunkelheit, sondern in ihrem Kopf – schälte sich aus den Nebeln ihres Bewusstseins.
Ein Totenschädel. Rauchend. Starr. Rot.
Malea zuckte kaum. Ihr Atem blieb ruhig – zu ruhig. Als würde ein Teil von ihr wissen, wie man solchen Dingen begegnet. Nicht aus Erinnerung, sondern aus einem Instinkt, der älter war als Erfahrung.
Etwas in ihr hatte diesen Blick schon einmal gesehen. Nicht als Erinnerung – als Echo. Als wäre ihr Körper klüger als ihr Geist, ihre Reaktion ein Reflex aus einer Tiefe, zu der sie keinen Zugang hatte. Vielleicht war es das auch nicht. Vielleicht war dieser Ort nicht die Hölle, sondern nur die Fortsetzung ihrer Erinnerung.
„Malea Rönne“, sagte die Stimme.
Sie kam aus dem Raum. Oder aus ihr. Oder aus beidem. Tief, mechanisch, ohne Emotion. Keine Bedrohung in der Tonlage – aber ein Wissen, das schneidend war.
„Du hast Kontrolle immer als Stärke betrachtet. Hier wirst du lernen, was passiert, wenn du sie verlierst.“
Sie stand auf, langsam, ließ ihre Schultern kreisen, den Hals knacken, die Muskeln erinnern, dass sie zu ihr gehörten. Keine Panik. Keine Wut. Nur eine wachsame Kälte, die sie wie ein Mantel um sich legte.
„Wer bist du?“, fragte sie, ohne zu schreien. Ihre Stimme schnitt durch die Stille wie ein chirurgisches Instrument.
Die Antwort war Stille. Und dann – ein leises Lachen. Krächzend. Wie aus einer Kehle, die lange verrottet war.
Der Totenschädel erschien wieder. Er sprach nicht. Aber er war nicht stumm. Es war, als lauschte sie einem Blick. Und sie wusste nicht, ob er die Stimme war – oder ihr Werkzeug. Diesmal klarer. An der Wand. Nicht als Objekt, sondern als Präsenz. Kein Hologramm. Kein echtes Licht. Eine Form aus Schatten, aus Rauch. Und das Gefühl, dass er sie kannte. Tiefer als sie sich selbst.
Malea trat einen Schritt näher. Sie roch nichts. Hörte nichts mehr. Nur dieses eine Bild. Und dann – Worte, in ihren Kopf gebrannt:
„Sechs von euch. Sechs Lügen. Sechs Entscheidungen. Eine Wahrheit.“
Sie hörte ein Klicken. Metall. Irgendwo öffnete sich eine Tür.
Nicht zurück. Nur vorwärts.
Und Malea ging.
Sie ging nicht sofort hindurch. Ihre Schritte blieben stumm, weil sie sich ihnen nicht ganz überließ – es war ein kontrolliertes, fast chirurgisches Vorrücken, als könnte jeder Zentimeter des Raumes noch eine Reaktion provozieren, eine weitere Prüfung, eine Bewegung, die analysiert werden sollte, bevor sie stattfand. Der Geruch änderte sich nicht. Auch das Licht nicht. Es war kein klassischer Raum, kein Ort im eigentlichen Sinn – es war wie das Innere eines Gedankens, unbenannt, unberührt, ein Zustand mehr als ein Raum.
Als sie die Schwelle übertrat, fühlte sich nichts anders an. Kein Luftzug. Keine Veränderung der Temperatur. Nur ein Gedanke, der sich in ihr einnistete, ohne dass sie ihn eingeladen hätte: Du bist jetzt drin. Du warst es vielleicht die ganze Zeit.
Der Korridor war schmal, metallisch, funktional. An den Seiten verliefen feine Linien in der Wand, als hätte jemand versucht, architektonische Adern zu ziehen, Leitungen unter der Haut des Gebäudes – wie bei einem lebendigen Körper, der im Inneren summte. Sie fuhr mit der Hand an einer Linie entlang. Spürte nichts. Doch es vibrierte. Nicht auf der Haut – sondern irgendwo tiefer, in den Gelenken, in den Gedanken.
Die Stimme meldete sich nicht wieder. Der Totenschädel war verschwunden. Aber das Gefühl, dass sie nicht allein war, wich nicht. Vielleicht war es auch kein Jemand, der sie beobachtete, sondern das Gebäude selbst. Vielleicht war alles an diesem Ort ein Auge. Oder ein Spiegel.
An einer der Wände entdeckte sie eine Nummer. 04. Keine Tür, keine Markierung. Einfach nur diese Ziffer, sauber eingraviert, ohne Kontext. Weiter vorn, dann: 03. Wieder keine Öffnung. Keine Reaktion, kein Hinweis, was das bedeutete. Und doch wuchs mit jeder Zahl das Gefühl, dass dies nicht nur eine zufällige Reihenfolge war. Es war ein System. Und sie war Teil davon – unfreiwillig, aber vollständig.
Dann – Bewegung. Keine Geräusche. Nur eine Veränderung in der Luft. Ein minimaler Druckabfall, wie bei einem Fahrstuhl, kurz vor dem Stockwerk. Und eine Ahnung, ein flüchtiger Schatten in der Peripherie ihres Blickfeldes. Sie blieb stehen.
Hinter ihr – nichts. Vor ihr – eine weitere Zahl: 02. Und darunter: eine feine Linie, diesmal vertikal. Als würde sich hier, wenn man nur lange genug wartete, eine Tür öffnen.
Und dann… öffnete sie sich.
Kein Geräusch. Keine Mechanik. Die Wand wich einfach zurück, als hätte sie nie fest existiert. Und dahinter: ein zweiter Raum.
Anders als der erste.
Heller. Aber nicht warm. Das Licht war diffus, wie durch Milchglas gefiltert. Und am Boden, zusammengekrümmt wie jemand, der sich gegen das eigene Dasein wehren wollte, lag eine Gestalt.
Ein Mann. Mitte, Ende zwanzig. Dunkles Haar, unruhig atmend.
Malea trat nicht näher. Noch nicht. Sie beobachtete. Die Art, wie seine Finger zuckten. Wie seine Lippen sich bewegten, ohne Worte zu formen.
Dann öffnete er die Augen. Und sah sie an.
Nicht überrascht. Nicht dankbar. Sondern… vorsichtig.
Als wüsste er längst, dass sie nicht kam, um zu helfen.
Das Geräusch kam näher, ohne sich zu verändern. Keine Schritte im klassischen Sinne, kein deutliches Auftreten, sondern ein rhythmisches Verschieben von Masse – als würde etwas Schweres, aber Ungreifbares durch einen Zwischenraum gleiten, zu groß für die Struktur, zu weich für die Schwerkraft. Kian drückte sich wortlos an die Wand, das Gesicht leicht nach vorn geneigt, als könne er durch die bloße Spannung seiner Muskeln die Dichte des Moments aufrechterhalten. Malea stand still, wie eine Figur aus Stein, innen wacher als je zuvor, außen unbewegt.
Dann – ein Flackern.
Das Licht – wenn man es so nennen konnte – zuckte kurz, verlor seine Richtung, zerbrach in etwas, das kein Schatten war, aber auch keine Helligkeit. Eine Unschärfe, eine Lücke im Raum. Und aus dieser Lücke trat es.
Zuerst war es nur Rauch. Schwer, dunkelrot, mit einem metallischen Schimmer, der sich nicht festhalten ließ. Dann formte sich aus dem Rauch eine Gestalt – nicht vollständig, nicht fest, aber da.
Der Totenschädel.
Er schwebte nicht, ging nicht, er war einfach da, als wäre er in eine Farbe bemalt, die nur von denen erkannt werden konnte, die bereits etwas in sich verloren hatten, und in das Gewebe der Luft eingewoben worden war.
Die Augenhöhlen brannten. Nicht heiß, sondern tief. Wie Blicke, die über Leben hinwegsehen. Der Kiefer geöffnet, als wollte er etwas sagen – und doch war da keine Stimme. Nur das Summen der Wände.
Kian flüsterte, ohne es zu merken. „Was ist das…?“
Und Malea, die sonst analysierte, ordnete, kategorisierte, flüsterte ein Wort – nicht aus Wissen, sondern aus einer inneren Tiefe:
„Nichtlicht.“
Der Begriff kam aus ihr, nicht aus dem Raum. Eine Erinnerung, eine Intuition, ein Fragment. Kein Gedanke. Eine Wahrheit.
Kian drehte sich zu ihr, blass, aber nicht panisch. „Was meinst du?“ Sein Blick war suchend, tastend, als wolle er erkennen, ob sie es ernst meinte – oder den Verstand verlor.
„Es ist… das, was nicht sein darf. Das, was außerhalb ist. Keine Dunkelheit. Keine Helligkeit. Nichts, was wir benennen können. Aber es sieht uns.“
Der Totenschädel blieb regungslos, doch ein Gefühl von Bewegung durchdrang die Luft. Es war, als würde er durch sie hindurchsehen, nicht in ihre Körper, sondern in die verborgenen Tiefen ihrer Seelen, in die unausgesprochenen Worte, die unter ihrer Haut schlummerten.
Dann sprach die Stimme.
Sie kam von überall. Von innen. Von unten. Von den Wänden.
„Ihr habt den ersten Raum überlebt. Eure Körper erinnern sich. Aber eure Namen – die werden euch nichts nützen. Was hier zählt, ist das, was ihr verschweigt.“
Malea spürte, wie sich etwas in ihrer Brust zusammenzog. Kein Schmerz. Keine Angst. Etwas anderes. Ein Bild, das sie verdrängt hatte. Eine Entscheidung.
„Der Schädel“, fuhr die Stimme fort, „zeigt sich nur denen, die zu lange geschwiegen haben. Er kennt eure Abgründe. Er wird euch begleiten. Solange, bis ihr euch selbst begegnet.“
Ein Summen begann. Erst leise, dann lauter. Wie ein Strom.
Dann – ein Lichtwechsel. Kalt. Klinikweiß. Und eine weitere Tür öffnete sich.
Diesmal stand niemand dahinter.
Nur ein weiterer Raum.
Und ein weiterer Schatten.
Das Licht flackerte nicht mehr. Es atmete. Wie etwas Lebendiges. Kein Stromimpuls, kein technischer Fehler – sondern ein Rhythmus, der sich nicht messen ließ, aber spürbar war, im Brustkorb, in den Schläfen, hinter den Augäpfeln. Malea trat als Erste durch die neue Öffnung. Ihre Schritte hinterließen keine Spuren, doch jeder von ihnen hallte in ihr nach, als würde der Boden, den sie betrat, nur für sie erschaffen, nur um unter ihr zu existieren. Kian folgte – schweigend, aber nicht passiv.
Der neue Raum war größer. Ein Trichter aus Dunkelheit und kaltweißem Licht, strukturiert wie eine umgekehrte Arena. Sechseckig. Glatt. Symmetrisch. An jeder der sechs Seiten: eine Tür. Fünf davon noch geschlossen. Eine – die hinter ihnen – offen.
Und dann: Bewegung.
Die nächste Tür öffnete sich. Kein Geräusch, keine Mechanik. Nur das Zurückweichen der Wand.
Ylvi stolperte ins Licht. Barfuß. Die Schultern zuckend, die Arme eng um sich geschlungen, als würde sie sich vor sich selbst schützen. Ihr Blick flackerte, fand Malea und Kian – und blieb haften. Nicht an ihren Gesichtern, sondern an den Haltungen. An dem, was nicht gesagt wurde.
Sie sprach kein Wort, nur ein kurzes, zittriges Nicken verließ ihre Lippen. Ihr Körper zitterte, feiner als sichtbar, als wäre selbst das Atmen eine Zumutung.
Dann öffnete sich die vierte Tür.
Elian trat ein. Aufrecht, angespannt. Der Blick klar, aber tief liegend. Nicht irritiert. Nicht panisch. Sondern vorbereitet. Als hätte er diesen Moment schon unzählige Male durchgespielt – im Kopf, im Traum, im Nachhall von Schuld. Seine Augen streiften die drei anderen, ohne zu verweilen. Kein Erkennen. Nur Abtasten.
„Was ist das hier?“, fragte er. Die Stimme fest, kontrolliert.
Niemand antwortete.
Fünf Sekunden später – Tür fünf.
Juna. Barfuß, wie die anderen. Haut wie aus Licht geschnitten, das nie warm war. Der Blick fest. Provokant. Wach. Kein Zögern in der Haltung. Als hätte sie den Ort erwartet. Als hätte sie ihn vielleicht sogar verdient. Sie sagte nichts. Aber sie lächelte.
Nicht aus Freude. Sondern aus Vorbereitung.
Die sechste Tür blieb verschlossen. Für einen Moment. Dann, fast zögerlich, öffnete sie sich. Und Neven trat ein.
Anders als die anderen. Kein Ausdruck im Gesicht. Kein sichtbares Erkennen. Kein Unbehagen. Er wirkte, als sei er bereits seit Stunden wach – oder nie eingeschlafen. Seine Augen suchten keine Verbindung. Nur Informationen.
Sechs Menschen standen im Raum. Fremd. Aber verbunden. Nicht durch Namen. Nicht durch Berührung. Sondern durch die Stille, die auf sie gefallen war – wie Staub, der sich auf Schuld legt.
Dann: Die Stimme.
„Willkommen.“
Sie kam von überall. Wieder dieser Klang, der keine Richtung kannte.
„Ihr fragt nicht, warum ihr hier seid. Ihr wisst es. Ihr wollt es nur nicht denken. Das ist der Unterschied zwischen euch und denen, die sterben, ohne zu schreien.“
Stille. Dann:
„Ihr werdet einander erkennen. Nicht durch Worte. Nicht durch Erinnerungen. Sondern durch das, was ihr verbergen wollt. Eure Wahrheit ist das Einzige, was euch zerstören kann. Und das Einzige, was euch retten wird.“
„Sechs Stimmen. Sechs Namen. Sechs Gestalten, die ebenso orientierungslos wirkten wie sie selbst.“
Einer von ihnen, Neven, sprach kaum. Vielleicht, weil er nichts zu sagen hatte. Vielleicht, weil er wusste, dass niemand wirklich zuhörte. Wenn Malea später an diese ersten Minuten dachte, erinnerte sie sich an jeden – außer an ihn. Er war wie eine Lücke im Raum, ein Gesicht, das dem Gedächtnis entkam – weil es nie wirklich ankam. Es war, als hätte sein Gesicht nie ein Licht berührt.
Malea zählte in Gedanken durch. Sechs. Immer sechs. Und doch – ein Teil in ihr flüsterte, dass jemand fehlte. Oder dass jemand nie ganz dagewesen war.
Das Licht dimmte sich.
Der Totenschädel erschien – über ihnen. Rauchend, schwebend, pulsierend.
Und er sprach nicht. Er sah. Durch sie hindurch, wie durch Glas. Und jeder von ihnen spürte: Was er sah, blieb nicht verborgen.
Sie standen im Kreis, lose, unverbunden, ,,Noch hielten sich Boden und Wände in trügerischer Starre – als wüssten sie, dass jede Ruhe hier nur Tarnung war. Doch alle spürten es: Dies war kein Stillstand. Es war der Moment vor dem nächsten Schlag’‘. und doch spürte jeder von ihnen das feine, kaum greifbare Band, das sich zwischen ihren Körpern spannte – ein Garn aus Schweigen, Misstrauen und der dumpfen Vorahnung, dass Nähe hier tödlicher sein könnte als jede Waffe. Der Totenschädel schwebte über ihnen, „Und doch – manchmal schien sein Blick zu lange auf einem von ihnen zu ruhen. Nicht zufällig. Nicht mechanisch. Sondern… wissend.“
eingebrannt in das diffuse Licht, das keine Wärme kannte, nur Härte, nur eine gläserne Kälte, die keine Fragen und keine Barmherzigkeit zuließ.
Dann die Stimme.
Nicht lauter als vorher. Aber näher. Als wäre sie nun nicht mehr irgendwo im Raum, sondern direkt unter der Haut.
„Dies ist das Spiel.“
Keine Einleitung. Kein Willkommen. Nur das scharfe, schneidende Ausatmen einer neuen Realität.
„Ihr seid sechs. Ihr wart mehr. Jetzt seid ihr die, die geblieben sind.“ Malea blinzelte. ,,Mehr‘‘? Der Gedanke kam wie ein Splitter. Hatte sie jemanden vergessen? Oder hatte jemand nie die Schwelle überschritten?
Ein Flüstern ging durch den Raum, kein echtes Geräusch, sondern ein Wechsel in der Luft, als hätten die Wände selbst ihre Struktur verändert, nur um den Druck auf ihre Lungen zu erhöhen.
„Ihr fragt euch nach dem Ziel.“
Kein Antwortversuch. Keine Bewegung. Nur starre Blicke, starre Körper, starre Gedanken, die zu schwer waren, um noch fließen zu können.
„Das Ziel ist einfach.“
Eine Pause. Nicht leer. Sondern geladen. Wie eine Waffe, die auf ein Herz gerichtet ist, von dem man nicht weiß, ob es noch schlägt.
„Erkenne dich selbst. Erkenne die anderen. Und entscheide.“
Malea spürte, wie sich ein Muskel in ihrem Nacken anspannte. Nicht aus Angst. Sondern aus Vorahnung.
„Entscheiden… was?“, fragte Kian leise, rau, als wäre seine Stimme eine Klinge, die zu lange im Frost gelegen hatte.
Die Antwort war keine Antwort.
„Wer schweigt, verliert sich. Wer lügt, wird gezeichnet. Wer spricht, verändert alles.“
„Versteht: kein Wort bleibt folgenlos. Kein Schweigen unbestraft.“
Eine Wand glitt zur Seite. Keine Tür. Kein Geräusch. Einfach nur eine Verschiebung der Welt. Dahinter: eine neue Kammer.
Steril. Hell. Und in der Mitte – ein einziger, schwarzer Stuhl.
Über dem Stuhl: ein Lichtstrahl, schmal wie ein Messer, vibrierend wie ein Nerv.
„Setzt euch, wenn ihr bereit seid. Verweilt, wenn ihr noch glauben wollt, dass es einen anderen Weg gibt.“
Keine Anweisung. Keine Drohung. Nur das nüchterne Angebot einer Wahl, die längst keine mehr war.
Ylvi schüttelte kaum merklich den Kopf, ihre Hände klammerten sich aneinander, als wollte sie sich selbst zusammenhalten, bevor etwas in ihr zersprang.
Neven bewegte sich keinen Zentimeter. Sein Blick war leer, nicht gleichgültig, sondern – fokussiert. Als sähe er bereits die Linien, die unsichtbar den Ausgang markierten.
Juna lächelte. Nur einen Hauch. Provokation oder Schutzreaktion – schwer zu sagen.
Elian trat einen halben Schritt vor, dann hielt er inne, als spüre er den Bruch, der von diesem Stuhl ausging – ein Bruch, der mehr war als Raum und Zeit, ein Bruch in allem, was sie über sich selbst zu wissen glaubten.
Malea blieb, wo sie war.
Kian lachte leise. Kein echtes Lachen. Ein Atemstoß, der zu spät kam, um noch Ironie zu sein.
„Einer von uns wird anfangen müssen“, sagte er. „Oder alle enden.“
Die Stimme antwortete nicht mehr.
Nur der Totenschädel bewegte sich. Langsam. Drehte sich im Kreis, als wolle er sie alle mustern, prüfen, wägen.
Und irgendwo, tief unter dem Boden, tief unter ihrem Bewusstsein, begann etwas zu zählen. Nicht Zeit wurde gezählt. Sondern Richtung. Jede Wahl, jeder Gedanke, jede Schwäche. Und bald – würde das Spiel die Rechnung aufmachen.
Es verging eine Ewigkeit oder eine Sekunde – in Räumen wie diesem unterschied sich die Zeit nicht mehr durch Dauer, sondern durch Dichte, durch das Gewicht der Stille auf den Schultern und die Schärfe des Atems in den Kehlen. Niemand bewegte sich. Und doch veränderte sich alles.
Malea fühlte es zuerst. Dieses feine Beben unter der Haut, ein vibrierendes Flüstern, das nicht von außen kam, sondern von innen, als würde etwas in ihr wachsen, eine Erkenntnis oder ein Zwang, schwer zu unterscheiden in einer Welt, in der Wahlfreiheit längst ein Trugbild war.
Juna trat schließlich einen Schritt vor. Vielleicht war es Stolz. Vielleicht war es Trotz. Vielleicht war es nur der Wunsch, nicht länger warten zu müssen – auf ein Urteil, das ohnehin kam.
Langsam. Die Hüften leicht geschwungen, der Blick geradeaus gerichtet, ohne Hast, ohne erkennbare Angst. Nicht Mut war es, der sie trieb. Sondern ein Bewusstsein für die Bühne, die sich hier auftat – und für die Kraft, die darin lag, sie als Erste zu betreten.
Sie ging auf den Stuhl zu, setzte sich, ohne sich noch einmal umzublicken. Ihre Hände ruhten locker auf den Armlehnen, die Finger leicht gespreizt, als läge darin eine Geste des Annehmens, nicht der Kapitulation. Das Lichtstrahl fiel direkt auf ihr Gesicht, tauchte ihre Züge in eine klinische Klarheit, die jede Pore, jede Regung bloßstellte.
Die anderen standen still. Kein Laut. Kein Atemzug zu viel.
Dann: Ein leises Summen.
Nicht von den Wänden diesmal. Nicht vom Totenschädel, der nun über Juna schwebte, still, lauernd, wie ein Richter ohne Urteil.
Das Summen kam aus dem Stuhl selbst.
Eine dünne, vibrierende Linie aus Licht erschien an der Kante der Sitzfläche, zog sich hoch an den Armlehnen, schwebte einen Moment über ihrer Haut, ohne sie zu berühren, bevor sie langsam in die Luft aufstieg – wie Rauch, wie Erinnerung.
Dann sprach die Stimme wieder.
„Juna Fehr.“
Die Worte waren weich, fast schmeichelnd, doch in ihnen lag der Widerstand von Stahl, der sich nicht biegen ließ.