Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand - Gottfried Wilhelm Leibniz - E-Book

Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand E-Book

Gottfried Wilhelm Leibniz

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Beschreibung

Eines der Meisterwerke des Rationalismus und eine Kritik an John Lockes "An Essay Concerning Human Understanding". Inhaltsauszug: Erstes Buch. Von den angeboreren Vorstellungen Zweites Buch. Von den Vorstellungen Drittes Buch. Von den Worten Viertes Buch. Von der Erkenntnis u.v.m.

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Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand

Nouveaux essais sur l'entendement humain

Gottfried Wilhelm Leibniz

Inhalt:

Gottfried Wilhelm Leibniz – Biografie und Bibliografie

Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand

Vorrede

Erstes Buch. Von den angeboreren Vorstellungen

Kapitel I. Ob es im menschlichen Geiste angeborene Vorstellungen gibt

Kapitel II. Dass es keine angeborenen praktischen Grundsätze gibt

Kapitel III. Fernere Betrachtungen über die angeborenen Grundsätze, sowohl die, welche die Theorie betreffen, als die welche der Praxis angehören

Zweites Buch. Von den Vorstellungen

Kapitel I. Worin von den Vorstellungen im allgemeinen gehandelt und gelegentlich untersucht wird, ob die Seele des Menschen immer denke

Kapitel II. Von den einfachen Vorstellungen

Kapitel III. Von den Vorstellungen, welche wir durch einen einzigen Sinn erhalten

Kapitel IV. Von der Dichtigkeit

Kapitel V. Von den einfachen Vorstellungen, welche aus verschiedenen Sinnen stammen

Kapitel VI. Von den einfachen Vorstellungen, welche aus der Reflexion stammen

Kapitel VII. Von den Vorstellungen, die aus der sinnlichen Empfindung und der Reflexion stammen

Kapitel VIII. Weitere Betrachtungen über die einfachen Vorstellungen

Kapitel IX. Von den Wahrnehmungen

Kapitel X. Von dem Vermögen des Behaltens

Kapitel XI. Von der Fähigkeit, die Vorstellung zu unterscheiden

Kapitel XII. Von den zusammengesetzten Vorstellungen

Kapitel XIII. Von den einfachen Modi und zunächst von denen des Raumes

Kapitel XIV. Von der Dauer und deren einfachen Modi

Kapitel XV. Von der Dauer und der Ausdehnung zusammengenommen

Kapitel XVI. Von der Zahl

Kapitel XVII. Von der Unendlichkeit

Kapitel XVIII. Von einigen anderen einfachen Modi

Kapitel XIX. Von den Modi, welche das Denken betreffen

Kapitel XX. Von den Modi der Lust und des Schmerzes

Kapitel XXI. Von der Macht und von der Freiheit

Kapitel XXII. Von den gemischten Modi

Kapitel XXIII. Von den zusammengesetzten Vorstellungen der Substanzen

Kapitel XXIV. Von den Kollektivvorstellungen der Substanzen

Kapitel XXV. Von der Relation

Kapitel XXVI. Von der Ursache und Wirkung und einigen anderen Relationen

Kapitel XXVII. Was Identität und Verschiedenheit ist

Kapitel XXVIII. Von einigen anderen Relationen und vor allem von den moralischen

Kapitel XXIX. Von den klaren und dunklen, deutlichen und verworrenen Vorstellungen

Kapitel XXX. Von den wirklichen und den chimärischen Vorstellungen

Kapitel XXXI. Von vollständigen und unvollständigen Vorstellungen

Kapitel XXXII. Von den wahren und falschen Vorstellungen

Kapitel XXXIII. Von der Assoziation der Vorstellungen

Drittes Buch. Von den Worten

Kapitel I. Von den Worten oder der Sprache im allgemeinen

Kapitel II. Von der Bedeutung der Worte

Kapitel III. Von den allgemeinen Ausdrücken

Kapitel IV. Von den Namen der einfachen Vorstellungen

Kapitel V. Von den Namen der gemischten Modi und der Relationsbegriffe

Kapitel VI. Von den Namen der Substanzen

Kapitel VII. Von den Umstandswörtern

Kapitel VIII. Von den abstrakten und konkreten Ausdrücken

Kapitel IX. Von der Unvollkommenheit der Worte

Kapitel X. Vom Mißbrauch der Worte

Kapitel XI. Über die gegen die besprochenen Unvollkommenheiten und Mißbrauche anzuwendenden Mittel

Viertes Buch. Von der Erkenntnis

Kapitel I. Von der Erkenntnis im allgemeinen

Kapitel II. Von den Graden unserer Erkenntnis

Kapitel III. Von der Ausdehnung der menschlichen Erkenntnis

Kapitel IV. Über die Realität unserer Erkenntnis

Kapitel V. Von der Wahrheit im allgemeinen

Kapitel VI. Von den allgemeinen Sätzen, ihrer Wahrheit und ihrer Gewißheit

Kapitel VII. Von den Sätzen, welche man Maximen oder Axiome nennt

Kapitel VIII. Von den inhaltsleeren Sätzen

Kapitel IX. Von der Erkenntnis unseres eigenen Daseins

Kapitel X. Von unserer Erkenntnis des Daseins Gottes

Kapitel XI. Von unserer Erkenntnis der übrigen Dinge

Kapitel XII. Von den Mitteln, unsere Erkenntnisse zu vermehren

Kapitel XIII. Weitere Betrachtungen über unsere Erkenntnis

Kapitel XIV. Über das Urteilen

Kapitel XV. Von der Wahrscheinlichkeit

Kapitel XVI. Von den Graden der Zustimmung

Kapitel XVII. Von der Vernunft

Kapitel XVIII. Vom Glauben, von der Vernunft und deren bestimmten Grenzen

Kapitel XIX. Vom Enthusiasmus

Kapitel XX. Vom Irrtum

Kapitel XXI. Von der Einteilung der Wissenschaften

Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, G. W. Leibniz

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849618674

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Gottfried Wilhelm Leibniz – Biografie und Bibliografie

Seit 1709 Freiherr von, einer der vielseitigsten Gelehrten und scharfsinnigsten Denker aller Zeiten, geb. 1. Juli 1646 in Leipzig, gest. 14. Nov. 1716 in Hannover. Nachdem er die Nikolaischule in Leipzig, wo sein Vater, ein Jurist, Professor der Moralphilosophie war, besucht hatte, bezog er in seinem 15. Jahr die Universität daselbst, um Rechtswissenschaft zu studieren, widmete sich aber daneben mit Vorliebe philosophischen Studien, besonders unter Leitung des Jakob Thomasius, und veröffentlichte schon 1663 eine Abhandlung: »De principio individui« (wieder hrsg. von Guhrauer, Bresl. 1837), in der er die Prinzipien des Nominalismus verfocht, schloss sich hierauf in Jena dem Mathematiker E. Weigel an, verfasste die Abhandlungen »Specimen difficultatis in jure« (1664) und »De arte combinatoria« (1666), wurde mit seiner Bewerbung um die juristische Doktorwürde von der Universität seiner Vaterstadt seiner Jugend wegen zurückgewiesen, weshalb er Leipzig für immer verließ. Nachdem er noch in demselben Jahr mit der Abhandlung »De casibus perplexis in jure« zu Altdorf promoviert hatte, schloss er sich 1667 dem kurmainzischen Minister Baron J. Chr. von Boyneburg an, für den er mehrere publizistische Schriften ausarbeitete, unter andern 1669 bei Boyneburgs Gesandtschaft nach Polen das »Specimen demonstrationum politicarum pro rege Polonorum eligendo«, dann das »Bedenken, welchergestalt securitas publica interna et externa und status praesens im Reich auf festen Fuß zu stellen«, und das »Consilium aegyptiacum«, das Ludwigs XIV. Ehrgeiz zu einem (nachher von Napoleon I. unternommenen) Zug nach Ägypten anstacheln sollte, um ihn von Deutschland abzulenken. In diesen und in andern Schriften zeigte sich L. als guter deutscher Patriot. In Paris, wohin er 1672 gesandt wurde, und bei einem Ausflug nach London kam L. in persönlichen Verkehr mit den berühmtesten Mathematikern und Naturforschern jener Zeit, namentlich mit Huygens, Rob. Boyle, Collins (mit Newton wechselte er nur Briefe), und die Anregung zur Wiederaufnahme seiner mathematischen Studien, die er dadurch erhielt, führte zur Erfindung der Differentialrechnung, wobei er vielleicht nicht ganz unabhängig von Newton war. Doch veröffentlichte L. sie früher als Newton, verbesserte die Methode wesentlich und machte den Grundgedanken erst recht fruchtbar. Auf einer Reise durch Holland hatte L. eine längere Unterredung mit Spinoza. 1676 trat er als Bibliothekar und Historiograph in hannoversche Dienste, verfasste im Auftrag und Interesse des braunschweigischen Hauses die Schrift »Caesarini Fuerstenerii de jure suprematus ac legationis principum Germaniae« (1677), sammelte Material zur Geschichte des Hauses, zu welchem Zweck er 1687 Wien und Italien besuchte, und arbeitete die Werke: »Codex juris gentium diplomaticus« (Hannov. 1693 bis 1700, 2 Bde.), »Accessiones historicae« (Leipz. u. Hannov. 1698–1700, 2 Bde.), »Scriptores rerum Brunsvicensium illustrationi inservientes« (das. 1707–11, 3 Bde.) und die »Annales imperii occidentis Brunsvicenses« aus, welch letztere damals ungedruckt blieben und erst lange nach seinem Tode von Pertz (das. 1843–45, 2 Bde.) aus L.' Handschriften herausgegeben wurden. Zum Zwecke dieser historischen Arbeiten unternahm er auch Reisen nach Wien und Rom. Seine durch die Jesuiten bis nach China reichenden Verbindungen benutzte er zu etymologischen Forschungen, denen wir die »Collectanea etymologica« (Hannov. 1717) verdanken. Bis 1694 korrespondierte er unter Vermittlung des katholisch gewordenen Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels fruchtlos mit Pélisson und Bossuet über eine Vereinigung der protestantischen und katholischen Kirche und verfasste zu diesem Zweck das konziliatorische »Systema theologicum« (Par. 1819; deutsch von Räß und Weis, Mainz 1820), das ihn in den Verdacht des Kryptokatholizismus brachte (vgl. Schulz, Über die Entdeckung, dass L. ein Katholik gewesen, Götting. 1827; Kiefl, Der Friedensplan des L. zur Wiedervereinigung der getrennten christlichen Kirchen, Paderb. 1904). Wie er selbst in seiner Person eine »Akademie« darstellte, ohne in irgend einer der Wissenschaften, für die er arbeitete, nur Liebhaber zu sein, so strebte er dahin, seine Verbindungen mit den Höfen in Berlin, Wien und Petersburg zur Gründung von Akademien der Wissenschaften nach dem Muster der Pariser und Londoner an diesen Orten zu benutzen. Durch seinen Einfluss auf die geistreiche Königin Sophie Charlotte, die Großmutter Friedrichs d. Gr., bei der er sich öfter in Charlottenburg aufhielt, setzte er 1700 die Stiftung der Akademie der Wissenschaften in Berlin durch und wurde deren erster Präsident. In Wien unterstützte der ihm gewogene Prinz Engen von Savoyen L.' Plan, der jedoch an dem Widerstand der Jesuiten scheiterte und erst 1846 zur Ausführung kam. In Petersburg gründete Peter d. Gr., der L. 1711 im Lager zu Torgau kennen lernte, die noch heute bestehende Akademie nach L.' Entwurf. Vom Kaiser Karl VI. wurde L. zum Freiherrn und Reichshofrat ernannt, von andern Fürsten durch Titel und Jahrgehalte ausgezeichnet. Er soll in der Neustädter Hofkirche zu Hannover beigesetzt worden sein, wo ihm ein einfaches Monument mit der Aufschrift »Ossa Leibnitii« errichtet wurde. Ein größeres Denkmal am Waterlooplatz in Hannover trägt die von Heyne angegebene Inschrift »Genio Leibnitii«. 1883 ward ihm ein Standbild, von Hähnel modelliert, in seiner Geburtsstadt errichtet. Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Philosophen I«. 1846 wurde das 200jährige Fest seiner Geburt gefeiert und in demselben Jahr die königlich sächsische Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig und die kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien eröffnet.

L.' gelehrte schriftstellerische Tätigkeit äußerte sich vielfach gelegentlich in Briefen und kurzen Aufsätzen, die sich in den Zeitschriften: »Acta Eruditorum«, »Miscellanea Berolinensia«, »Journal des Savants« sowie in den Briefsammlungen von Kortholt (Leipz. 1734–42, 4 Bde.), Gruber (Hannover u. Götting. 1745, 2 Bde.), Michaelis (Götting. 1755), Beesenmeyer (Nürnb. 1788), Feder (Hannov. 1815) und Cousin (im »Journal des Savants«, 1844), in »L.' und Huygens' Briefwechsel mit Papin« (hrsg. von Gerland, Berl. 1881), dem »Briefwechsel mit dem Minister von Bernstorff« (hrsg. von Döbner, Hannov. 1882) und in weitern Veröffentlichungen von Distel, Gerland u.a. finden. Sein philosophisches System stellte er kurz darin der sogen »Monadologie« (1714) sowie in den für den Prinzen Eugen von Savoyen geschriebenen »Principes de la nature et de la grâce« (1717). Ausführliche philosophische Werke von ihm sind die auf Veranlassung der philosophischen Königin Sophie Charlotte von Preußen geschriebenen »Essais de Théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l'homme et l'origine du mal« (zuerst Amsterd. 1710, 2 Bde.; hrsg. von Jaucourt, das. 1747, 2 Bde.; von Erdmann, Berl. 1840, 2 Bde.; lat., Tübing. 1771; deutsch, Mainz 1820, ferner in der »Philosophischen Bibliothek« von J. H. v. Kirchmann, Berl. 1877, und in Reclams Universal-Bibliothek von Habs, Leipz. 1884) und »Nouveaux essais sur l'entendement humain« (deutsch von Schaarschmidt, 2. Aufl., Leipz. 1904), eine in Form eines Dialogs durchgeführte Prüfung des Lockeschen Werkes über das Erkenntnisvermögen, die erst lange nach L.' Tod bekannt wurde und den wichtigsten Teil der von Raspe herausgegebenen »Œuvres philosophiques de feu M. de L.« (Amsterd. u. Leipz. 1765) ausmacht. Die erste (unvollständige) Ausgabe der Leibnizschen Werke besorgte Dutens (Genf 1768, 6 Bde.); neuere Gesamtausgaben auf Grundlage der Handschriften der hannoverschen Bibliothek wurden begonnen von Pertz (erste Folge: »Historische Schriften«, Hannov. 1843–47, 4 Bde.; zweite Folge: »Briefwechsel mit Arnauld und dem Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels«, das. 1846; dritte Folge: »Mathematische Schriften«, Berl. u. Halle 1849–1862, 7 Bde., hrsg. von Gerhardt, der auch L.' »Briefwechsel mit Mathematikern« herausgab, Bd. 1, Berl. 1898) und von O. Klopp (Hannov. 1862–84; 11 Bde.), beide unvollendet. Die philosophischen Schriften gaben Erdmann (Berl. 1839, 2 Bde.), Janet (St.-Cloud 1866, 2 Bde.) heraus und am vollständigsten Gerhardt (Berl. 1875–90, 7 Bde.). L.' »Deutsche Schriften« gab Guhrauer (Berl. 1838–40, 2 Bde.), »Lettres et opuscules inédits de L.«, darunter eine »Réfutation inédite de Spinoza par L.« (Par. 1854), Foucher de Careil heraus, der ebenfalls eine auf 20 Bände berechnete Gesamtausgabe begonnen hat, von der aber nur 7 Bände (1859–75) erschienen sind; den Briefwechsel L.' und die Leibniz-Handschriften in der königlichen Bibliothek in Hannover hat Bodemann beschrieben (Hannov. 1889 u. 1895). In der »Philosophischen Bibliothek« begann Cassirer eine Ausgabe der »Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie« (Leipz. 1903 f.). Eine vollständige Ausgabe der Werke ist von den Akademien in Paris und Berlin in Aussicht genommen.

Der Grundzug von L.' ganzem Wesen, auch von seiner wissenschaftlichen Tätigkeit, ist das Streben nach Vereinigung des Verschiedenen, nach »Harmonie«, indem er in allen Lehren etwas Wahres erblickte. Wie er auf religiösem Gebiet Einheit zu schaffen versuchte, so wollte er auch auf philosophischem die scheinbar entgegengesetzten Weltanschauungen miteinander verbinden, in ähnlicher Weise, wie das Platon und Aristoteles schon versucht hatten. Er erzählt selbst von sich, bereits als 15jähriger Jüngling, nachdem er mit den alten Philosophen und den Scholastikern schon bekannt gewesen sei, habe er sich in einem Wäldchen bei Leipzig, das Rosental genannt, einsam ergangen, um bei sich zu erwägen, ob er der teleologischen Anschauung des Aristoteles oder der mechanischen Demokrits sich zuwenden solle. Damals habe der Mechanismus bei ihm die Oberhand bekommen, später aber beim Aufsuchen der letzten Gründe für die Bewegungsgesetze sei er zur Metaphysik des Aristoteles zurückgekehrt. So zeigte sich zwar auch der Gegensatz bei ihm, aber er ist durch die Harmonie bald überwunden. L. knüpft in seiner Philosophie an den Cartesianischen Dualismus an, durch den jede direkte Einwirkung des Geistes auf die Materie und umgekehrt unmöglich gemacht wird. Es kommt darauf an, den einen Gegensatz auf den andern zurückzuführen. Der Körper (Materie) ist seinem Wesen nach (in seinen letzten Bestandteilen, den einfachen Substanzen, aus denen er zusammengesetzt ist) vom Geist nicht verschieden, dessen Wesen darin besteht, dass er eine einfache Substanz, und dass er als solche tätige, lebendige Kraft ist. Der »Körper« (Materie) als »Ausdehnung« ist als solcher nicht wirklich, sondern bloßes »Phänomen«, und das einzige, was wahrhaft existiert, sind die einfachen Substanzen, die »Monaden« (Einheiten), die »wahren Atome der Natur«. Dieselben sind (als »einfache«) sämtlich einerlei Art und, da der uns bekannte Geist, unsre eigne Seele, selbst eine einfache Substanz ist, sämtlich »geistiger« Natur und werden von L. ausdrücklich als »Seelen« (âmes) bezeichnet.

Sowohl der quantitative Monismus Spinozas, der nur eine einzige Substanz, als der qualitative Dualismus des Cartesius, der zweierlei Arten von Substanzen, geistige und materielle, kennt (vgl. Monismus und Dualismus), ist dadurch beseitigt; jenem setzt L. den Pluralismus (der unzählige), diesem den Spiritualismus (der nur geistige Substanzen kennt) entgegen. Jede einfache Substanz (»Monade«) ist unteilbar; das Allgemeine (Geist wie Materie) hat als solches keine, und nur die Individuen besitzen wirkliche Existenz. Eine Bestätigung dafür, dass die ausgedehnte Materie als solche nicht existiere, fand L. in der mittels des Mikroskops durch Leeuwenhoek und Swammerdam gemachten Entdeckung der Infusorien im Wassertropfen, die beweise, dass auch in dem anscheinend Leblosen noch zahllose lebendige Wesen enthalten seien. Sie gehört als »phaenomenon bene fundatum« lediglich der Erscheinungs-, keineswegs aber der Welt des an sich Seienden (der Monadenwelt) an, die als die Gesamtheit immaterieller, einfacher Substanzen selbst immateriell (eine Geisterwelt) ist. Die Monaden, obgleich sämtlich gleichartig, sind einander doch keineswegs gleich; vielmehr ist nach dem von L. aufgestellten Prinzip de identitate indiscernibilium (von der Einerleiheit des Nichtzuunterscheidenden) jede von jeder unterschieden. Da dieselben aber als immaterielle Wesen keine äußerlich wahrnehmbaren Verschiedenheiten besitzen können, ihre Natur jedoch nur darin besteht, dass sie wirksame Kräfte sind, so kann ihre Verschiedenheit nur eine innere, und zwar nur in dem verschiedenen Grad ihrer Wirksamkeit gelegen sein. Sämtliche Monaden stellen eine Reihe stufenweise, höher und niedriger, entwickelter Kraftwesen dar, deren unterste den niedrigsten, deren höchste den höchsten Erscheinungen der wirklichen (Körper- und Geistes-) Welt zugrunde liegen. Auch der menschliche Leib ist als solcher ein Aggregat von Monaden, die zu einer solchen (der Seele) in dem Verhältnis niedriger zur höheren stehen. So ständen der gegenseitigen Einwirkung von Seele und Leib auseinander von Seiten der Qualität, da sie gleichartig sind, nichts mehr entgegen; aber L. sagt: Die Wirksamkeit jeder Monas als einer »wirksamen Kraft« kann keine auf andre »übergehende« (transeunte), sondern nur eine auf das Innere der Monas selbst beschränkte sein; die Monaden, Kraftwesen, haben keine Fenster, es kommt nichts aus ihnen heraus und nichts in sie hinein. Da nun dasjenige, was innerhalb eines immateriellen Wesens geschieht, selbst nicht anders als immateriell sein kann, so muss auch alles, was wahrhaft geschieht, immaterieller (geistiger) Natur sein. Geistige Wesen und deren (gleichfalls) geistige Zustände machen allein die wahrhafte Welt aus, welche die wirkliche Grundlage der sinnlich erscheinenden Welt bildet. Die in dem Innern jeder Monade nacheinander ablaufenden Zustände bilden eine Reihe, in der jedes folgende Glied (nach dem von L. zuerst aufgestellten Prinzip des »zureichenden Grundes«) seinen Grund in dem vorhergegangenen hat und zugleich selbst den Grund für die nachfolgenden enthält, so dass »die Gegenwart schwanger mit der Zukunft« ist. Allein da keine Monade eine Anregung von außen empfangen kann, so gleicht jede einzelne Monade einem »geistigen Automaten«, der seine Bewegungen unabhängig von allem, was außer ihm ist und sich selbst bewegt, vollzieht. Eine Verschiedenheit unter den Monaden wird dabei dadurch begründet, dass ihre Perzeptionen, Vorstellungen, sämtlich dunkle oder wenigstens teilweise klare oder durchaus klare Bewußtseinsakte sind. Jene nehmen als »schlummernde« (Stein-, Pflanzen-, Tier-) Seelen die tiefste, letztere, die »göttliche« Seele, die höchste, die menschliche Seele aber nimmt als teilweise klares, teilweise dunkles Bewusstsein eine mittlere Stellung ein. Die Möglichkeit einer Übereinstimmung zwischen den Zuständen zweier oder mehrerer Monaden, z. B. der Seele und den Monaden des Leibes, hängt davon ab, ob auch die Bewegungen zweier oder mehrerer »Automaten« in Harmonie gebracht werden können. Dies kann dadurch bewirkt werden, dass Gott (wie der »ungeschickte« Uhrmacher die Zeiger seiner Uhren) die Zustände des einen gelegentlich nach jenen des andern regulierte, wodurch er zum »deus ex machina« herabgewürdigt würde, oder dadurch, dass Gott (wie der »geschickte« Uhrmacher seine Uhrwerke) die Natur jeder einzelnen Monas von Ewigkeit an so in Übereinstimmung mit der Natur aller übrigen angelegt hätte, dass ihre inneren Zustände mit jenen aller übrigen für alle Ewigkeit hinaus im Einklang bleiben müssten, was seiner als des zugleich intelligentesten und mächtigsten Wesens vollkommen würdig wäre. Es ist anzunehmen, dass Gott, wenn er überhaupt existiert, diese Harmonie aller Monaden und ihrer inneren Zustände untereinander nicht nur von Anfang an erkannt, sondern gewollt und hergestellt, d.h. dass er eine prästabilierte (universelle) Harmonie zwischen denselben geschaffen habe. Dass Gott aber existiert, folgt nach L. direkt aus seinem Begriff als dem eines Wesens, das alle Eigenschaften (also auch die Realität) im höchsten Grad in sich vereinigt, in dem sie nebeneinander möglich sind. Letzterer Zusatz ist notwendig, weil es Eigenschaften gibt (z. B. Heiligkeit und Allmacht), die zugleich im höchsten Grade nicht möglich sind. So verträgt es sich mit Gottes Heiligkeit nicht, das Böse zu tun, während dies aus seiner Allmacht als möglich folgen müsste. Aus dieser Selbsteinschränkung der göttlichen Eigenschaften folgt, dass Gott zwar alle möglichen Welten denken, aber nur die beste unter ihnen wollen und demgemäß schaffen kann. Die Existenz der bestehenden Welt als der besten unter allen möglichen (Optimismus) folgt daher unmittelbar aus Gottes eigner Existenz; er ist die Urmonas, zu der sich alle übrigen Monaden wie »Effulgurationen« verhalten. Durch die Behauptung, dass jede andre mögliche Welt notwendig unvollkommener wäre als die wirklich vorhandene, wird das Vorhandensein mannigfacher Übel und Unvollkommenheiten (z. B. der Sünde und des Bösen) in dieser keineswegs geleugnet, sondern nur die Annahme, dass eine Welt ohne diese überhaupt möglich wäre. Die Realisierung der besten Welt erfolgt dem göttlichen Weltplan gemäß (teleologisch) nach Zweck-, aber zugleich (mechanisch) durch wirkende Ursachen; jene, das Reich der Gnade, nach dem der Weltlauf willkürlich (von Gottes »Gnade« abhängig), diese, das Reich der Natur, nach dem er notwendig (von seinem Willen unabhängig) erscheint, sind beide wesentlich eins. Zwischen Freiheit und Notwendigkeit (Moral- und Naturgesetz) herrscht dieselbe prästabilierte Harmonie wie zwischen den einzelnen Monaden. Die Natur führt zur Gnade, und diese vervollkommnet die Natur, indem sie sich ihrer bedient; Gott als »Monarch« und Gott als »Architekt« der Welt stehen miteinander von Ewigkeit her in vollkommenster Übereinstimmung.

L. erkannte zuerst die Bedeutung der Zeichen und der Bezeichnung für die Mathematik, er erfasste ihr innerstes Wesen als Symbolik und sah ein, dass die bloße Kombination der Symbole von selbst zu neuen Entdeckungen führen müsse. Unsre ganze heutige Bezeichnung geht auf L. zurück (Punkt als Multiplikations-, Doppelpunkt als Divisionszeichen, die Indexbezeichnung etc.). Man kann L. als den Entdecker des Operationskalküls bezeichnen, denn er war sowohl der erste Entdecker der Determinanten, als er auch den Gedanken eines Logikkalküls gefasst hat. Auch den geometrischen Kalkül hat er mehrfach behandelt und seinem Wesen nach richtig erfasst. Das Kongruenzaxiom in der Fassung Bolzanos kommt bei L. wiederholt vor. Viele heute ganz geläufige Fachausdrücke gehen auf L. zurück (Funktion, Exponentialgröße, Analysis, Äquipollenz etc.). Über die Differentialrechnung s. oben. Erwähnenswert sind noch die Entwürfe einer Universalsprache und Universalschrift, die L. sein ganzes Leben hindurch beschäftigten. Die eigentliche Tiefe seiner Gedanken ist von seinem unmittelbaren Nachfolger, dem nüchternen Systematiker Christian Wolff, nicht voll erkannt und erst von Späteren, wie Lessing, Schelling, Hegel, Herbart, Lotze u.a., richtig gewürdigt worden.

Über L. haben unter andern geschrieben: Fontenelle (1716), Bailly (1769), v. Eccard (hrsg. von Murr, 1779), Jaucourt (1757), Kästner (1769), am gründlichsten Guhrauer (»G. W. Freiherr von L., eine Biographie«, Bresl. 1842, 2 Bde.; mit Nachträgen 1846), E. Pfleiderer (»L. als Patriot, Staatsmann und Bildungsträger«, Leipz. 1870), Kirchner (»G. W. L., sein Leben und Denken«, Köthen 1877) und J. Th. Merz (Lond. 1884; deutsch, Heidelb. 1886). Über seine Philosophie vgl. Ludw. Feuerbach, Darstellung, Entwickelung und Kritik der Leibnizschen Philosophie (Ansb. 1837); folgende Schriften von Robert Zimmermann: L.' Monadologie (Wien 1847), L. und Herbart (das. 1849), Das Rechtsprinzip bei L. (das. 1852), Über L.' Konzeptualismus (das. 1854), L. und Lessing (das. 1855); Kuno Fischer, L. und seine Schule (4. Aufl., Heidelb. 1902); Pichler, Die Theologie des L. (Münch. 1869, 2 Bde.); Stein, L. und Spinoza (Berl. 1890); Dillmann, Eine neue Darstellung der Leibnizschen Monadenlehre (Leipz. 1891); Vahlen, L. als Schriftsteller (Berl. 1897); Hahn, Die Entwickelung der Leibnizschen Metaphysik und der Einfluss der Mathematik auf dieselbe bis zum Jahre 1686 (Halle 1899); Hohenemser, Die Lehre von den kleinen Vorstellungen bei L. (Heidelb. 1899); Sticker, Die Leibnizschen Begriffe der Perzeption und Apperzeption (Bonn 1900); Cassirer, L.' System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen (Leipz. 1902); H. Hoffmann, Die Leibnizsche Religionsphilosophie in ihrer geschichtlichen Stellung (Tübing. 1903).

Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand

Vorrede

Da die von einem berühmten Engländer veröffentlichte Abhandlung über den menschlichen Verstand eines der schönsten und geschätztesten Werke unserer Zeit ist, so habe ich mich entschlossen, Bemerkungen dazu zu machen, weil ich, nach langem Nachdenken über denselben Gegenstand und den größten Teil der davon berührten Materien, dies für eine gute Gelegenheit halte, darüber etwas unter dem Titel »Neue Abhandlungen über den Verstand« erscheinen zu lassen und meinen Gedanken eine günstige Aufnahme zu verschaffen, indem ich sie in so gute Gesellschaft bringe. Auch glaubte ich die Arbeit eines anderen dazu gebrauchen zu dürfen, um nicht nur die meinige zu verringern (weil es in der Tat weniger Mühe macht, dem Wege eines guten Schriftstellers zu folgen, als in allen Stücken auf eigene Kosten zu arbeiten), sondern um auch dem, was er uns gegeben hat, etwas hinzuzufügen, was immer leichter ist, als von vorn anzufangen. Denn ich glaube, einige von ihm übrig gelassene Schwierigkeiten gehoben zu haben. So gereicht mir sein Ruf zum Vorteil, übrigens gern geneigte Gerechtigkeit zu üben und weit entfernt, die Achtung, welche man für jenes Werk hegt, herabzusetzen, würde ich sie vielmehr vergrößern, wenn mein Beifall von Gewicht wäre.

Allerdings bin ich oft ganz anderer Ansicht als er; aber weit entfernt, das Verdienst jenes berühmten Schriftstellers darum in Abrede zu stellen, lasse ich ihm vielmehr Gerechtigkeit widerfahren, indem ich angebe, worin und warum ich mich von seiner Meinung entferne, wann ich es zu verhüten für notwendig halte, daß sein Ansehen in einigen wesentlichen Punkten der Sache selbst Abbruch tue. Indem man ausgezeichneten Männern Genugtuung widerfahren läßt, macht man die Wahrheit nur um so willkommener, denn für sie, wie man anzunehmen hat, haben sie ja besonders sich bemüht. Obgleich der Verfasser der Abhandlung außerordentlich viel Gutes beibringt, dem ich beistimme, so sind doch in der Tat unsere Systeme bedeutend voneinander verschieden. Das seinige hat mehr Verwandtschaft mit Aristoteles, und das meinige mit Plato, obwohl wir uns in vielen Stücken alle beide von der Lehre dieser zwei Alten entfernen. Er ist allgemein verständlicher, und ich für meinen Teil bin mitunter gezwungen, ein wenig mehr akroamatisch und abstrakt zu sein, was für mich, zumal ich in einer lebenden Sprache schreibe, kein Vorteil ist. Indessen glaube ich dadurch, daß ich zwei Personen redend einführe, wovon die eine die aus der Abhandlung unseres Verfassers gezogenen Ansichten vorträgt, die andere meine Bemerkungen hinzufügt, die Parallele dem Leser zugänglicher zu machen, als es ganz trockene Bemerkungen tun würden, deren Lektüre in jedem Augenblick durch die Notwendigkeit unterbrochen würde, auf sein Buch zurückzugehen, um das meinige zu verstehen. Es wird jedoch gut sein, mitunter unsere Schriften noch zu vergleichen und seine Ansichten nur aus seinem eigenen Werke zu beurteilen, obgleich ich in der Regel dessen Ausdrücke beibehalten habe. Allerdings hat der durch den fremden Vortrag auferlegte Zwang, daß man mit seinen Bemerkungen dem Faden jenes folgen muß, bewirkt, daß ich das Anmutige des dialogischen Vertrags zu treffen nicht erwarten durfte, aber ich hoffe, daß der Inhalt selbst das Mangelhafte der Form gut machen wird.

Die Verschiedenheit unserer Ansichten betrifft gar wichtige Gegenstände. Es handelt sich darum, zu wissen, ob nach Aristoteles und dem Verfasser der Abhandlung die Seele an und für sich ganz leer ist, wie eine noch unbeschriebene Schreibtafel (tabula rasa), und ob alles, was darauf verzeichnet ist, einzig von den Sinnen und der Erfahrung herrührt, oder ob die Seele ursprünglich die Prinzipien mehrerer Begriffe und Lehren, welche die äußeren Gegenstände nur gelegentlich in ihr wieder erwecken, in sich erhält, wie ich es mit Plato und selbst mit der Schulphilosophie und mit allen denen glaube, welche in dieser Bedeutung die Stelle des h. Paulus (Br. a. d. Röm. K. 2 V. 15) nehmen, worin er bemerkt, daß das Gesetz Gottes in die Herzen geschrieben sei. Die Stoiker, nannten diese Prinzipien Gemeinbegriffe (Notiones communes, prolêpseis) d.h. Grundannahmen oder das, was man von vornherein als zugestanden setzt. Die Mathematiker nennen sie auch Gemeinbegriffe (notiones communes, koinas ennoias). Die neueren Philosophen geben ihnen andere schöne Namen, und Julius Scaliger insbesondere nannte sie semina aeternitates (Samenkörner der Ewigkeit), ebenso Zopyra, als ob er sagen wollte: lebendiges Feuer, leuchtende, in unserem Innern verborgene Züge, welche die Begegnung der Sinne mit den äußeren Gegenständen gleich den aus einem Gewehr durch das Losdrücken springenden Funken hervorbringt und nicht ohne Grund glaubt man, daß diese Geistesblitze etwas Göttliches und Ewiges zu bedeuten haben, welches vor allem in den notwendigen Wahrheiten erscheint. Daraus entsteht eine andere Frage, ob nämlich alle Wahrheiten von der Erfahrung, d.h. von der Induktion und den Beispielen abhängen, oder ob es deren gibt, welche noch einen anderen Grund haben. Denn wenn manche Ereignisse ohne jede damit gemachte Probe vorher gesehen werden können, so ist offenbar, daß wir etwas von unserer Seite dazu beitragen. Die Sinne mögen zwar für alle unsere tatsächlichen Erkenntnisse notwendig sein, sind aber doch nicht ausreichend, um sie uns alle zu gewähren, weil sie, die Sinne, stets nur Beispiele, d.h. besondere oder individuelle Wahrheiten geben. Nun genügen aber alle Beispiele, die eine allgemeine Wahrheit bestätigen, mögen sie noch so zahlreich sein, nicht, um die allgemeine Notwendigkeit eben dieser Wahrheit darzutun, denn es folgt nicht, daß das, was geschehen ist, immer ebenso geschehen werde. Die Griechen und Römer und alle übrigen Völker haben z.B. von jeher bemerkt, daß vor Ablauf von 24 Stunden der Tag sich in Nacht und die Nacht in Tag wandle. Man würde sich aber sehr geirrt haben, wenn man geglaubt hätte, daß dieselbe Regel überall zutrifft da beim Besuch von Nova Zembla das Gegenteil bemerkt worden ist. Und auch derjenige würde sich sehr täuschen, der da glauben wollte, daß dies wenigstens in unserer Zone eine notwendige und ewige Wahrheit sei, weil man annehmen muß, daß die Erde und selbst die Sonne nicht notwendig existieren, und vielleicht einmal eine Zeit kommt, wo dies schöne Gestirn mit seinem ganzen System, wenigstens in seiner gegenwärtigen Gestalt, nicht mehr sein wird. Daraus erhellt, daß die notwendigen Wahrheiten, wie man solche in der reinen Mathematik, besonders in der Arithmetik und in der Geometrie findet, auf Grundsätzen ruhen müssen, deren Beweis nicht von den Beispielen und folglich auch nicht vom Zeugnis der Sinne abhängt, obgleich man ohne die Sinne niemals darauf gekommen sein würde, daran zu denken. Dies muß man also sorgfältig unterscheiden und das hat denn auch Euclid sehr wohl begriffen, indem er das, was man durch die Erfahrung und die sinnlichen Bilder hinlänglich erkennen kann, aus der Vernunft beweist. Auch die Logik nebst der Metaphysik und der Moral wovon die erstere die natürliche Theologie die andere die natürliche Rechtswissenschaft bildet, sind voll solcher Wahrheiten, und folglich kann deren Beweis nur aus inneren Grundsätzen, welche man angeboren nennt, stammen. Allerdings darf man sich nicht einbilden, daß man diese ewigen Vernunftgesetze in der Seele wie in einem offenen Buche lesen könne so wie das Edikt des Prätors sich ohne Mühe und Untersuchung aus seinem Album lesen läßt, aber es reicht hin, daß man sie mittels der Aufmerksamkeit in uns entdecken kann, wozu die Sinne die Gelegenheiten bieten. Das Resultat der Erfahrungen dient der Vernunft zur Bestätigung, ungefähr so, wie die Proben in der Arithmetik dazu dienen, Rechnungsfehler besser zu vermeiden, wenn die Berechnung lang ist.

Eben hierin unterscheiden sich denn auch die Erkenntnisse der Menschen von denen der Tiere. Die Tiere sind bloß auf die Erfahrung angewiesen und richten sich nur nach Beispielen denn soviel sich urteilen läßt, kommen sie niemals dahin, notwendige Sätze zu bilden, während die Menschen zu demonstrativen Wissenschaften fähig sind. Das Vermögen der Tiere, Folgerungen zu ziehen, ist daher etwas der den Menschen innewohnenden Vernunft nicht Ebenbürtiges. Die Folgerungen, welche die Tiere machen, sind gleichsam nur die einfacher Empiriker welche behaupten, daß das, was einige Male geschehen ist, noch einmal geschehen werde, wo das ihnen Auffällige wiederkehrt, ohne daß sie dabei beurteilen können, ob wieder dieselben Ursachen obwalten. Das ist der Grund, warum es den Menschen so leicht ist, Tiere zu fangen, und warum es den einfachen Empirikern so leicht ist, Fehler zu machen. Selbst durch Alter und Erfahrung gewiegte Leute sind davon nicht frei, wenn sie sich zu sehr auf ihre Erfahrung verlassen, wie dies manchen in bürgerlichen und kriegerischen Dingen vorgekommen ist. Man zieht alsdann nicht genug in Erwägung, daß die Welt sich ändert und die Menschen geschickter werden, indem sie tausend neue Kunstgriffe erfinden, während die Hirsche und Hasen der Gegenwart nicht schlauer sind, als die der Vergangenheit. Die Folgerungen der Tiere sind nur ein Schatten von Vernunftschlüssen, nämlich nur eine Verknüpfung in der Phantasie und der Übergang von einem Bilde zum anderen, indem sie bei einem neuen Falle, der dem vorhergehenden ähnlich scheint, wieder das erwarten, was sie früher damit verbunden gefunden haben, gleich als ob die Dinge in der Wirklichkeit miteinander verbunden wären, weil ihre Phantasiebilder es im Gedächtnis sind. Allerdings läßt uns die Vernunft erwarten daß das, was einer langen Erfahrung der Vergangenheit entspricht, in der Regel zukünftig wieder geschehen aber dies ist darum doch keine notwendige und untrügliche Wahrheit, und das Resultat kann ausbleiben, wo man es am wenigsten erwartet, wenn nämlich die Ursachen, welche es hervorgebracht haben, wechseln. Aus diesem Grunde verlassen sich die klügsten Leute nicht allzusehr darauf und suchen vielmehr womöglich zur Ursache der Tatsache vorzudringen, um zu beurteilen, wann man Ausnahmen machen muß. Denn die Vernunft allein ist imstande, sichere Regeln aufzustellen und, was den als unsicher erfundenen fehlt, durch Beobachtung der Ausnahmen zu ergänzen, sowie endlich, gewisse Gedankenverbindungen von der Stärke notwendiger Folgerungen zu finden, wodurch man häufig das Mittel erhält, ein Ereignis vorherzusehen, ohne über die sinnlichen Zusammenhänge der Bilder Versuche anstellen zu müssen, worauf die Tiere angewiesen sind. Dergestalt dient das, was die inneren Grundsätze der notwendigen Wahrheiten rechtfertigt, auch zur Unterscheidung des Menschen vom Tiere.

Vielleicht möchte sich unser gelehrter Verfasser von meines Ansicht nicht ganz entfernen. Denn nachdem er sein ganzes erstes Buch darauf verwendet hat, die angeborenen Erkenntnisse, sofern man sie in einem gewissen Sinne nimmt, zu verwerfen, gesteht er gleichwohl zu Anfang des zweiten und in der Folge, daß diejenigen Vorstellungen, welche nicht in der sinnlichen Empfindung ihren Ursprung haben, aus der Reflexion stammen. Nun ist aber die Reflexion nichts anderes als die Aufmerksamkeit auf das, was in uns ist; die Sinne aber gewähren uns das nicht, was wir schon bei uns haben. Ist dies so, kann man dann leugnen, daß es in unserem Geiste viel Angeborenes gebe, da wir sozusagen uns selbst angeboren sind? Und daß es in uns gibt: Sein, Einheit, Substanz, Dauer, Veränderung, Tätigkeit, Wahrnehmung, Vergnügen und tausend andere Gegenstände unserer intellektuellen Vorstellungen? Da eben diese Gegenstände unmittelbare und unserem Verstande stets gegenwärtige sind (obgleich wir uns wegen unserer Zerstreuungen und Bedürfnisse ihrer nicht immer bewußt sind), so kann man sich nicht wundern, wenn wir sagten, daß diese Vorstellungen mit allem, was davon abhängt, uns angeboren sind. Ich habe mich auch der Vergleichung mit einem Stücke Marmor, das Adern hat, lieber bedient, als der mit einem ganz einartigen Marmorstücke oder einer leeren Tafel, nämlich einer solchen, welche bei den Philosophen tabula rasa heißt; denn wenn die Seele dieser leeren Tafel gliche, so würden die Wahrheiten in uns enthalten sein, wie die Figur des Herkules im Marmor, wenn der Marmor vollständig gleichgültig dagegen ist, diese oder irgend eine andere Gestalt zu erhalten. Gäbe es aber in dem Stein Adern, welche die Gestalt des Herkules eher als andere Gestalten anzeigten, so würde dieser Stein dazu mehr angelegt sein, und Herkules wäre ihm in gewissem Sinne wie angeboren, wenn auch Arbeit nötig wäre, um diese Adern zu entdecken und sie durch die Politur zu säubern, indem man alles entfernt, was sie zu erscheinen hindert. In dieser Weise sind uns die Vorstellungen und Wahrheiten als Neigungen, Anlagen, Fertigkeiten oder natürliche Kräfte angeboren, nicht aber als Tätigkeiten, obgleich diese Kräfte immer von gewissen, oft unmerklichen Tätigkeiten, welche ihnen entsprechen, begleitet sind. -

Unser gelehrter Verfasser scheint zu behaupten, daß es in uns nichts Potentielles gebe und sogar nichts, dessen wir uns nicht immer tatsächlich bewußt seien. Aber er kann dies nicht ganz streng nehmen, sonst würde seine Ansicht zu paradox sein, da wir auch die erworbenen Wertigkeiten und Gedächtnisvorräte, obgleich wir uns ihrer nicht immer bewußt sind, und sie uns nicht einmal immer nach Bedürfnis zu Hilfe kommen, häufig doch mit leichter Mühe bei irgend einer kleinen Gelegenheit, die uns dann erinnert, in den Geist zurückrufen, wie man z.B. nur den Anfang eines Liedes, um sich des übrigen wieder zu erinnern, nötig hat. Auch schränkt er an anderen Stellen seinen Satz durch die Bemerkung ein, es gebe in uns nichts, dessen wir uns zum wenigsten nicht früher bewußt gewesen wären. Außerdem aber, daß niemand durch die bloße Vernunft bestimmen kann, bis wie weit unsere ehemaligen Bewußtseinsakte, die wir möglicherweise vergessen haben, sich erstreckt haben mögen, - zumal wenn man der Wiedererinnerungstheorie der Platoniker folgt, welche, so fabelhaft sie auch sein mag, mit der Vernunft, rein für sich genommen, nicht im Widerspruch steht, - außerdem, sage ich, warum müssen wir denn alles durch die Auffassung äußerer Dinge erworben und warum können wir nichts in uns selbst innerlich entdeckt haben? Ist denn unsere Seele allein so leer, daß sie ohne die von außen entlehnten Bilder nichts ist? Das ist doch sicherlich eine Ansicht, welche unser scharfsinniger Verfasser nicht billigen kann. Und wo kann man eine Tafel finden, die nicht in sich irgend eine Unebenheit bietet? Kann man jemals eine vollkommen einartige und gleichmäßige Fläche sehen? Warum sollten wir uns also nicht auch einige Gegenstände des Denkens aus unserem eigenen Grunde verschaffen können, wenn wir darin nachsuchen wollten. Im Grunde genommen ist also, wie ich zu glauben geneigt bin, seine Ansicht über diesen Punkt von der meinigen oder vielmehr von der allgemeinen Ansicht nicht verschieden, sofern er zwei Quellen unserer Erkenntnisse annimmt, die Sinne und die Reflexion.

Ich weiß nicht, ob es so leicht sein wird, jenen Autor mit uns und mit den Kartesianern in Übereinstimmung zu bringen, wenn er annimmt, daß der Geist nicht immer denke, und besonders, daß er ohne sinnliche Empfindung sei, wenn man ohne Träume zu haben schläft. Er sagt, da die Körper ohne Bewegung sein können, könnten die Seelen ebensogut ohne Denken sein. Aber da antworte ich ein wenig anders, als gewöhnlich geschieht. Ich nehme nämlich an, daß eine Substanz von Natur nicht ohne Tätigkeit sein kann, und daß es selbst niemals einen Körper ohne Bewegung gibt. Schon die Erfahrung unterstützt mich, und man braucht nur das Buch des berühmten Herrn Boyle gegen die absolute Ruhe zu Rate zu ziehen, um sich davon zu überzeugen. Aber ich glaube auch, daß die Vernunft dafür ist. Und dies ist einer der Gründe, warum ich die Atome verwerfe. Übrigens gibt es gar viele Anzeichen, aus denen wir schließen müssen, daß es in jedem Augenblicke in unseres Innern eine unendliche Menge von Wahrnehmungen, jedoch ohne Bewußtsein und Reflexion, d.h. Veränderungen in der Seele selbst gibt, deren wir uns nicht bewußt werden, weil diese Eindrücke entweder zu schwach und zu zahlreich oder zu vereint sind, so daß sie nichts besonderes Unterscheidendes an sich haben, jedoch mit anderen verbunden darum ihre Wirkung dennoch nicht verfehlen und in ihrer Gesamtheit wenigstens auf verworrene Weise empfunden werden. So bewirkt die Gewohnheit, daß wir auf die Bewegung einer Mühle oder eines Wasserfalles nicht achtgeben, wenn wir einige Zeit lang ganz nahe dabei gewohnt haben. Dies geschieht nicht, weil jene Bewegung nicht immer unsere Sinnes Werkzeuge träfe und sich nicht auch in der Seele etwa zutrüge, das vermöge der Harmonie der Seele und des Körpers dem entspricht, sondern die auf die Seele und den Körper geschehenden Eindrücke, wenn sie den Reiz der Neuheit verloren haben, sind nicht stark genug, um unsere Aufmerksamkeit und unser Gedächtnis die sich nur mit fesselnderen Gegenständen befassen, auf sich zu ziehen. Jedwede Aufmerksamkeit verlangt Gedächtnis und wenn wir, sozusagen, nicht darauf hingewiesen werden, auf einige unserer eigenen Wahrnehmungen als uns gegenwärtig zu achten, so lassen wir sie ohne Reflexion und selbst ohne sie zu bemerken, vorübergehen; wenn uns jedoch jemand sofort darauf hinweist und uns z.B. auf irgend einen Lärm aufmerksam macht, der sich gerade hören ließ, so erinnern wir uns daran und werden uns bewußt, davon soeben eine Empfindung gehabt zu haben. Also waren es Wahrnehmungen, deren wir uns nur nicht gleich bewußt waren, indem das Bewußtsein davon nur in diesem Falle des Hingewiesenwerdens, nach einer sei es auch noch so winzigen Zwischenzeit, uns kommt. Um die geringfügigen Wahrnehmungen, die wir in der Menge nicht unterscheiden können, noch besser zu fassen, bediene ich mich gewöhnlich des Beispiels vom Getöse oder Geräusch des leeres, welches man vom Ufer aus vernimmt. Um dieses Geräusch, wie tatsächlich geschieht, zu hören, muß man sicherlich die dieses Ganze bildenden Teile, d.h. das Geräusch einer jeden Welle hören, obgleich jedes dieser geringen Geräusche nur in der verworrenen Gemeinschaft mit allen übrigen zusammen erkannt werden kann, und man es nicht bemerken würde, wenn die es verursachende Welle die einzige wäre. Denn man muß von der Bewegung dieser Welle ein wenig affiziert worden sein und von jedem dieser Geräusche, mögen sie auch noch so gering sein, einige Wahrnehmung haben, sonst würde man nicht die von hunderttausend Wellen haben, da hunderttausend Nichtse auch nichts wirken können. Übrigens schläft man niemals so fest, daß man nicht irgend eine schwache und verworrene Empfindung hätte, und würde niemals durch das stärkste Geräusch der Welt erweckt werden, wenn man nicht eine gewisse Wahrnehmung seines Anfangs hätte, der freilich geringfügig ist; wie man auch niemals durch die größtmögliche Anstrengung eine Schnur zerreißen würde, wenn man sie nicht durch geringere Anstrengungen ein wenig gespannt und verlängert hätte, mag auch diese kleine ins Werk gesetzte Spannung unmerklich sein.

Solche geringe Wahrnehmungen sind also von mehr Wirksamkeit, als man denken mag. Sie sind es, welche dies wunderbare Etwas, diese Geschmacksempfindungen, diese Bilder der sinnlichen Qualitäten erzeugen, die in ihrem Zusammensein klar, jedoch ihren einzelnen Teilen nach verworren sind, diese Eindrücke, welche die uns umgebenden Körper auf uns machen und die Unendliches in sich schließen, diese Verknüpfung, welche jedes Wesen mit dem ganzen übrigen Universum hat. Man kann sogar sagen, daß infolge dieser geringen Wahrnehmungen die Gegenwart der Zukunft voll und mit der Vergangenheit erfüllt, daß alles miteinander zusammenstimmend ist (sympnoia panta - wie Hippokrates sagte), und daß so durchdringende Augen, wie die Gottes, in der geringsten Substanz die ganze Reihenfolge der Begebenheiten des Universums: was ist, was war, und was die Zukunft bringt, lesen können. Diese unmerklichen Vorstellungen bezeichnen auch und bilden das nämliche durch diejenigen Spuren charakterisierte Individuum, die sie von den vergangenen Zuständen desselben Individuums aufbewahren, indem sie die Verbindung mit seinem gegenwärtigen Zustand herstellen; sie können auch durch einen höheren Geist erkannt werden, selbst wenn dies Individuum sie nicht bemerkte, nämlich wenn die ausdrückliche Erinnerung an sie nicht mehr da wäre. Sie geben sogar das Mittel ab, durch periodische Entwicklungen, die einmal eintreten können, im Notfall das Andenken wieder zu finden. Dies ist der Grund, weshalb der Tod ein bloßer Schlaf sein kann und nicht einmal ein solcher bleiben wird, indem die Wahrnehmungen nur hinlänglich deutlich zu sein aufhören und in einen Zustand der Verworrenheit bei den Lebewesen geraten, der das Bewußtsein zwar für eine Weile aufhebt, aber nicht immer dauern kann um hier nicht vom Menschen zu reden, welcher darin, um seine Persönlichkeit aufrecht zu erhalten, großen Vorzug genießt.

Durch die unmerklichen Wahrnehmungen erläutere ich auch jene wunderbare vorherbestimmte Harmonie der Seele und des Körpers und selbst aller Monaden oder einfachen Substanzen, die an die Stelle des unhaltbaren gegenseitigen Eingusses tritt, und die nach dem Urteil des Verfassers des trefflichsten Wörterbuches die Größe der göttlichen Vollkommenheit weit über das hinaus erhöht, was man je davon begriffen hat. Ich muß dem noch hinzufügen, daß diese schwachen Wahrnehmungen es sind, die uns bei vielen Vorfällen, ohne daß man daran denkt, bestimmen und den großen Haufen durch den Schein einer Gleichgewichtsindifferenz  täuschen, wie wenn es uns beispielsweise gleichgültig wäre, ob wir uns zur Rechten oder zur Linken wenden. Es ist nicht nötig, hier noch bemerklich zu machen, wie in dem Buch selbst geschehen ist, daß sie jene Unruhe verursachen, die, wie ich zeige, doch in etwas besteht, vom Schmerz sich nur wie das Kleine vom Großen unterscheidet und gleichwohl oft unser Verlangen und selbst unser Vergnügen ausmacht, indem sie ihm gleichsam ein Salz als Reizmittel gibt. Eben diese unmerklichen Teile unserer sinnlichen Wahrnehmungen sind es, welche die Vorstellungen der Farben, Wärmegrade und anderer sinnlichen Eigenschaften mit den entsprechenden Bewegungen in den Körpern in Verbindung setzen, während die Kartesianer mit unserem Autor, so scharfsinnig er auch ist, die Wahrnehmungen, welche wir von diesen Eigenschaften haben, als willkürliche betrachten, d.h. als ob Gott sie deshalb nach seinem Belieben ohne Rücksicht auf irgend eine wesentliche Beziehung zwischen den Wahrnehmungen und deren Gegenständen der Seele gegeben hätten eine mich befremdende Ansicht, die mir der Weisheit des Urhebers der Dinge, welcher nichts ohne Zusammenhang und vernünftige Absicht tut wenig würdig erscheint.

Die unmerklichen Wahrnehmungensind mit einem Worte in der Pneumatik (Lehre vom Geister) von ebenso großem Gewicht, wie die kleinsten Körper in der Physik; und es ist ebenso unvernünftig, die einen wie die anderen unter dem Verwände, daß sie außerhalb des Bereiches unserer Sinne fallen, zu verwerfen. Nichts geschieht auf einen Schlage und es ist einer meiner wichtigen und entschiedensten Grundsätze, daß die Natur niemals Sprünge macht. Ich habe dies das Kontinuitätsgesetz genannt, als ich einmal in den neuen Nachrichten aus der Gelehrtenrepublik davon sprach; und der Nutzen dieses Gesetzes in der Physik ist sehr bedeutend. Ihm zufolge geht man immer durch einen mittleren Zustand vom Kleinen zum Großen und umgekehrt, sowohl den Graden wie den Teilen nach und entsteht eine Bewegung niemals unmittelbar aus der Ruhe noch geht sie dazu anders über, als durch eine noch kleinere Bewegung, wie man niemals eine Linie oder Länge zu Ende läuft, ehe man eine kleinere Linie zurückgelegt hat. Diejenigen freilich, welche die Gesetze der Bewegung aufgestellt haben, haben dies Gesetz nicht bemerkt, indem sie glauben, daß ein Körper in einem Augenblick eine der vorausgegangenen entgegengesetzte Bewegung annehmen kann. Alles dies berechtigt zu dem Schluß, daß die bemerkbaren Wahrnehmungen stufenweise aus denjenigen entstehen, welche zu schwach sind, um bemerkt zu werden. Urteilt man anders, so zeugt dies von geringer Erkenntnis der unendlichen Feinheit der Dinge, die stets und überall eine wirkliche Unendlichkeit in sich schließt.

Ich habe ferner bemerkt, daß infolge der unmerklichen Verschiedenheiten zwei Individuen nicht vollkommen gleiche sein können und sich durch mehr als die bloße Zahl unterscheiden müssen. Dieser Satz hebt die leere Tafel der Seele, eine Seele ohne Gedanken, eine Substanz ohne Tätigkeit, den leeren Raum, die Atome und selbst die nicht wirklich geschiedenen Teilchen in der Materie, die völlige Einförmigkeit in einem Zeit-, Orts- oder Stoffteile, die aus ursprünglichen vollkommenen Würfeln gewordenen, vollkommenen Kugeln des zweiten Elements und tausend andere Phantasiegebilde der Philosophen auf, die aus ihren unvollständigen Begriffen stammen. Davon will die Natur der Dinge nichts wissen, und nur unsere Unwissenheit und unsere geringe Aufmerksamkeit auf das Unmerkliche läßt dergleichen zu; man kann es nur erträglich machen indem man es auf bloße Abstraktionen des Geistes beschränkt, der ausdrücklich erklärt, nicht zu leugnen, was er beiseite legt und in irgend eine augenblickliche Erwägung eintreten zu lassen nicht für nötig erachtet. Sonst, wenn man es ganz als bare Münze annähme, daß nämlich alles, dessen man sich nicht bewußt ist, auch nicht in der Seele oder im Körper sei, würde man in der Philosophie wie in der Politik einen Fehler begehen, indem man to mikron die unmerklichen Fortschritte, überginge, während es als bloße Abstraktion kein Irrtum ist, wenn man nur weiß, daß das doch wirklich da ist, was man verleugnet. Es verhält sich damit so, wie wenn die Mathematiker davon Gebrauch machen, daß sie von den anzunehmenden vollkommenen Linien, gleichmäßigen Bewegungen und anderen regelrechten Wirkungen reden, obschon die Materie, d.h. die Mischung der Wirkungen des uns umgebenden Unendlichen, immer eine gewisse Ausnahme macht. Man verfährt aber so, um die einzelnen Beobachtungen voneinander zu unterscheiden, um so viel als uns möglich ist, die Wirkungen auf die Ursachen zurückzuführen und um gewisse zukünftige Folgerungen daraus herzuleiten: denn je sorgfältiger man sich hütet bei den Beobachtungen, welche methodisch angestellt werden können, nichts zu versäumen, desto mehr entspricht die Praxis der Theorie. Aber nur der höchsten Vernunft, welcher nichts entgeht, kommt es zu, die ganze Unendlichkeit, alle Ursachen und alle Folgen, deutlich zu begreifen. Alles, was wir über das Unendlichviele vermögen, ist, es verworren zu erkennen und das wenigstens bestimmt zu wissen, daß es da ist; sonst würden wir über die Schönheit und Größe des Weltalls sehr falsch urteilen und auch keine gute Physik, um die Natur der Dinge im Allgemeinen zu erklären, und noch weniger eine gute Lehre vom Geist besitzen, welche die Erkenntnis Gottes, der Seelen und der einfachen Substanzen überhaupt umfassen soll.

Eine solche Erkenntnis der unmerklichen Wahrnehmungen dient ferner zu erklären, warum und wie zwei Menschenseelen oder zwei Dinge derselben Gattung nie vollständig gleich aus den Händen des Schöpfers hervorgehen, und eine jede stets ihre ursprüngliche Beziehung zu ihrem künftigen Stand im Weltall habe. Dies folgt aber schon aus dem, was ich von den zwei Individuen bemerkt habe, daß nämlich ihr Unterschied stets mehr als eins bloß numerischer ist. Dabei ist noch ein anderer Punkt aufzufassen, in dem ich mich nicht allein von den Ansichten unseres Autors, sondern auch der meisten Neuern zu entfernen gezwungen bin: ich glaube nämlich mit den meisten Alten, daß alle Geister, alle Seelen, alle einfachen geschaffenen Substanzen stets mit einem Körper verbunden sind, und daß es niemals Seelen gibt, die gänzlich davon los sind. Ich habe dafür Gründe a priori. Aber man wird auch bei dieser Lehre den Vorteil finden, daß sie alle philosophischen Schwierigkeiten über den Zustand der Seelen, deren immerwährende Erhaltung, über deren Unsterblichkeit und Wirksamkeit auflöst, indem der Unterschied von dem einen ihrer Zustände gegen den anderen immer nur der Unterschied eines mehr oder weniger sinnlichen oder mehr oder weniger vollkommenen oder umgekehrt ist oder gewesen ist, was ihren vergangenen oder zukünftigen Zustand ebenso erklärlich als ihren gegenwärtigen macht. Auch bei einer noch so geringen Überlegung merkt man hinlänglich, daß dies vernunftgemäß ist, und ein Sprung von dem einen Zustand zu einem anderen unendlich davon verschiedenen nicht natürlich sein kann. Ich bin erstaunt, daß die Schulphilosophie ohne Grund die Natur verlassen hat, um sich recht mutwillig in gewaltige Schwierigkeiten zu stürzen und dem Scheinsiege der starken Geister vorzuarbeiten, deren sämtliche Gründe durch diese Erklärung der Dinge mit einem Male zusammenfallen, indem es so nicht mehr Schwierigkeit macht, die Erhaltung der Seelen (oder vielmehr nach meinem System des lebendigen Wesens) zu begreifen, als die der Verwandlung der Raupe in den Schmetterling und die Erhaltung des Denkens im Schlafe, mit dem Jesus Christus den Tod göttlich schön verglichen hat. Auch habe ich schon gesagt, daß kein Schlaf immerfort dauern kann, und er wird kürzer oder fast gar nicht für die vernunftbegabten Seelen dauern, die stets dazu bestimmt sind, ihre Persönlichkeit und ihre Erinnerung, welche ihnen im Reiche Gottes verliehen ist, zu erhalten, um eben dadurch für die Belohnungen und Strafen empfänglicher zu sein. Ich füge noch hinzu, daß überhaupt keine Unordnung in den sichtbaren Organen imstande ist, eine gänzliche Verwirrung in einem lebenden Wesen hervorzurufen, oder alle Organe zu zerstören und die Seele ihres ganzen organischen Körpers und der unauslöschbaren Rest aller früheren Spuren zu berauben. Die Leichtigkeit aber, mit der man die alte Lehre von den mit den Engeln verbundenen feinen Körpern verlassen hat (welche man mit der Körperlichkeit der Engel selbst verwechselte), und das Einführen angeblicher unkörperlicher Geister unter den Kreaturen (wozu diejenigen, welche die Himmelssphären des Aristoteles sich bewegen lassen, viel beigetragen haben) und endlich die übel verstandene Meinung, daß man die Seelen der Tiere nicht erhalten lassen werden dürfe, ohne in die Seelenwanderung zu verfallen, haben meiner Ansicht nach bewirkt, daß man die naturgemäße Art, die Erhaltung der Seele zu erklären, vernachlässigt hat. Man ist damit auch der natürlichen Religion sehr zu nahe getreten und hat mehrere Leute glauben gemacht, daß unsere Unsterblichkeit, von der auch unser berühmter Autor, wie ich bald erwähnen werde, mit einigem Zweifel geredet hat, nur eine Gnade göttlichen Wunders sei. Aber es wäre zu wünschen, daß alle diejenigen, welche dieser Ansicht sind, sich ebenso vorsichtig und aufrichtig wie er ausgedrückt hätten, denn es ist zu fürchten, daß mehrere, die von der Unsterblichkeit durch Gnade sprechen, es nur tun, um den Schein zu retten und sich im Grunde jenen Averroïsten und einigen schlechtgesinnten Quietisten annähern, die sich eine Auflösung und Wiedervereinigung der Seele mit dem Ozean der Gottheit einbilden, eine Vorstellung, deren Unmöglichkeit mein System vielleicht allein klar zeigt.

Auch in Ansicht der Materie scheinen wir verschiedener Ansicht zu sein, indem der Verfasser urteilt, daß der leere Raum für die Bewegung nötig ist, weil er die kleinen Teile der Materie für unnachgiebig hält. Ich gebe zu, daß wenn die Materie aus solchen Teilen bestände, die Bewegung in vollem Raume unmöglich sein würde, wie wenn ein Zimmer mit einer Masse kleiner Kieselsteine erfüllt wäre, ohne daß der geringste leere Platz darin bleibt. Aber man gebe doch nicht jene Voraussetzung zu, wozu es meiner Meinung nach auch gar keinen Grund gibt. Freilich versteigt sich unser gelehrter Autor bis zu dem Glauben, daß die Unnachgiebigkeit oder die Kohäsion der keinen Teile das Wesen des Körpers ausmacht. Man muß sich den Raum vielmehr als von einer ursprünglich flüssigen, jeder Teilung fähigen und in Wirklichkeit bis ins Unendliche der Teilungen und Unterteilungen unterworfenen Materie erfüllt vorstellen, jedoch mit diesem Unterschiede, daß sie infolge der darin schon vorhandenen mehr oder weniger harmonischen Bewegungen an verschiedenen Punkten ungleich teilbar und geteilt ist, was ihr überall einen gewissen Grad sowohl von Unnachgiebigkeit als von Flüssigkeit gibt und macht, daß kein Körper im höchsten Grade hart oder flüssig ist, nämlich, daß man kein Atom von unüberwindlicher Härte darin findet, noch irgend eine gegen die Teilung vollkommen gleichgültige Masse. Auch hebt die Ordnung der Natur und besonders das Kontinuitätsgesetz in gleicher Weise das eine wie das andere auf.

Ich habe ferner gezeigt, daß die Kohäsion, wenn sie nicht selbst die Wirkung des Anstoßes oder der Bewegung wäre, eine Anziehung, dieselbe ganz im eigentlichen Sinne genommen, verursachen würde. Denn wenn es einen ursprünglich unnachgiebigen Körper gäbe, z.B. ein Atom des Epikur, der einen hervorstehenden Teil in Gestalt eines Lakens hätte (da man sich Atome von allen Arten Gestalt denken kann), so würde dieser Haken, wenn er angestoßen würde, den übrigen Teil des Atoms nach sich ziehen, nämlich den Teil, der nicht angestoßen wird und nicht in die Anstoßlinie fällt. Indessen erklärt sich unser gelehrter Autor selbst gegen diese von der Philosophie angenommenen Anziehungen der Art, wie man sie sonst der Furcht vor dem leeren Raum zuschrieb, er bringt sie auf Anstöße zurück, indem er mit den Neueren daran festhält, daß ein Teil der Materie auf den anderen unmittelbar nur dadurch wirkt, daß er ihn von nahe her anstößt. Ich gebe ihnen darin recht, weil sich sonst bei der Wirkung nichts Verständliches denken laßt.

Gleichwohl darf ich nicht verhehlen, daß ich bei unserem trefflichen Autor eine Art von Widerruf in bezug auf diesen Gegenstand bemerkt habe, und kann mich nicht enthalten, seine bescheidene Offenheit dabei zu preisen, ebenso wie ich bei anderen Gelegenheiten seinen durchdringenden Geist bewundert habe. In der Antwort auf den zweiten Brief des verstorbenen Bischofs von Worcester, der im Juli 1699 gedruckt worden ist, sagt er, um die gegen diesen gelehrten Prälaten von ihm behauptete Meinung, nämlich daß die Materie denken könne, aufrechtzuerhalten, unter anderem folgendes: »Ich gebe zu, behauptet zu haben (Buch II der Abhandlung über den Verstand Kap. 8 § 11), daß der Körper durch Anstoß und anders nicht wirke. Auch war dies meine Ansicht, als ich schrieb, und jetzt noch kann ich keine andere Art der Tätigkeit mir vorstellen. Aber ich bin seitdem durch das unvergleichliche Buch des scharfsinnigen Newton überzeugt worden, daß es zu viel Anmaßung wäre, die Macht Gottes durch unsere beschränkten Begriffe einengen zu wollen. Die Gravitation der einen Materie gegen die andere auf mir unbegreifliche Weise ist nicht allein ein Beweis, daß Gott, wenn es ihm gut scheint, in die Körper Kräfte und Wirkungsarten legen kann, die über das, was vielleicht aus unserer Vorstellung des Körpers abgeleitet oder durch unsere Kenntnis der Materie erklärt werden kann, hinausgehen, sondern es gibt auch noch einen unbestreitbaren Umstand, daß er es wirklich getan hat. Darum werde ich dafür sorgen daß in der nächsten Ausgabe meines Buches jene Stelle verbessert werde.« Ich finde denn auch, daß man sie in der französischen Übersetzung dieses Buches, die zweifelsohne nach der letzten Ausgabe gemacht worden ist, im erwähnten § 11 folgendermaßen geändert hat: »Wenigstens ist, soviel wir es begreifen können, ersichtlich, daß die Körper durch den Anstoß und nicht auf andere Weise aufeinander wirken, denn es ist uns unmöglich zu begreifen, daß ein Körper auf das, was er nicht berührt, wirken könne, was so viel ist, als sich einbilden, er könne wirken, wo er nicht ist.«

Ich kann nicht umhin, diese bescheidene Frömmigkeit unseres berühmten Schriftstellers zu loben, der da anerkennt, daß Gott über das hinaus, was wir verstehen können, wirken und es also in den Glaubensartikeln unbegreifliche Geheimnisse geben kann; aber ich möchte nicht, daß man im gewöhnlichen Lauf der Natur zu Wundern seine Zuflucht zu nehmen und schlechthin unerklärliche Kräfte und Wirkungsarten zuzulassen gezwungen wäre. Sonst würde man zugunsten dessen, das Gott tun kann, den schlechten Philosophen zu viel Spielraum geben, und wenn man diese zentripetalen Kräfte oder diese unmittelbaren Anziehungen aus der Ferne, ohne sie begreiflich machen zu können, zulassen wollte, so sehe ich nicht ein, wie man untere Schulphilosophen verhindern will zu behaupten, daß alles ganz einfach durch die Vermögen geschieht, und ihre »intentionellen Spezies« aufrechtzuerhalten, die von den Gegenständen her auf uns loskommen und bis in unsere Seelen einzudringen Mittel finden. Wenn das angeht, so wird geschehen, was alles mir unmöglich schien. Dergestalt scheint es mir, daß unser Verfasser, so scharfsinnig er sein mag, hier von einem Extrem ein wenig zu weit ins andere geht. Bei den Wirkungen der Seele macht er Schwierigkeiten, wo es sich bloß darum handelt, das, was nicht sinnlich ist, zuzulassen, und hier legt er den Körpern, was nicht einmal denkbar ist, bei, indem er ihnen Kräfte und Tätigkeiten einräumt, die meiner Meinung nach über alles was ein erschaffener Geist tun und verstehen kann, hinausgehen. Denn er räumt ihnen Anziehungskraft und zwar selbst auf große Entfernungen ein, ohne sich auf irgend eine Sphäre der Tätigkeit zu beschränken, und zwar, um eine um nichts weniger erklärbare Ansicht aufrechtzuerhalten, nämlich die Möglichkeit, daß die Materie der Naturordnung gemäß denke. Die Streitfrage, welche er mit dem berühmten Prälaten, der ihn angegriffen hatte, verhandelt, ist, ob die Materie denken kann und da es ein auch für das vorliegende Werk wichtiger Punkt ist, kann ich mich nicht enthalten, ein wenig darauf einzugehen und von ihrem Streit Notiz zu nehmen. Ich werde das Wesentliche über diesen Gegenstand darlegen und was ich davon halte, mir zu sagen die Freiheit nehmen. In der Befürchtung, daß unseres Autors Lehre von den Vorstellungen manchem dem christlichen Glauben schädlichen Mißbrauche ausgesetzt sei, - wozu aber meiner Meinung nach kein besonderer Grund vorliegt - unternahm der verstorbene Bischof von Worcester, einige Stellen desselben in seiner Rechtfertigung der Dreieinigkeitslehre zu prüfen. Nachdem er diesem ausgezeichneten Schriftsteller für das Anerkenntnis, daß er das Dasein des Geistes für ebenso sicher als das des Körpers hält, obgleich die eine dieser Substanzen ebensowenig erkannt sei wie die andere, hat Gerechtigkeit widerfahren lassen, fragt er (pag. 241 u. ff.), wie die Region uns vom Dasein des Geistes überzeugen kann, wenn Gott nach der Ansicht unseres Verfassers (Buch IV, Kap. 8) der Materie das Vermögen zu denken verleihen kann, weil auf diese Weise der Gedankengang, welcher zur Erwägung dessen dient, was der Seele und was dem Körper zukommt, unnütz würde statt daß, wie er im 2. Buch der Abhandlung über den Verstand Kap. 23, § 15. 27. 28 gesagt hatte, die Verrichtungen der Seele uns die Vorstellung des Geistes geben, und Verstand nebst Wille uns die Vorstellung des Geistes ebenso verständlich macht, wie das Wesen des Körpers uns durch Dichtigkeit und Anstoß verständlich gemacht wird. Darauf antwortet unser Verfasser in seinem ersten Brief (p. 65 ff.) in dieser Weise: »Ich glaube bewiesen zu haben, daß wir eine geistige Substanz in uns haben, denn wir erfahren in uns das Denken; nun kann diese Verrichtung oder dieser Modus nicht der Gegenstand der Vorstellung eines für sich bestehenden Dinges sein, und folglich bedarf dieser Modus eines Trägers oder Subjekts der Inhärenz, und die Vorstellung eines solchen Trägers führt auf das, was wir Substanz nennen. Denn da die allgemeine Vorstellung der Substanz durchweg dieselbe ist, so folgt, daß, wenn die Denken oder Denkvermögen genannte Modifikation sich damit verbindet, dies einen Geist ausmacht, ohne daß man dabei noch irgendwelche andere Modifikation in Betracht zu ziehen braucht, ob nämlich Dichtigkeit oder nicht damit verbunden ist, und auf der anderen Seite wird die Substanz, welche die Dichtigkeit genannte Modifikation hat, Materie sein, mag damit das Denken verbunden sein oder nicht. Verstehen Sie aber unter einer geistigen Substanz eine immaterielle Substanz, so gebe ich zu, nicht bewiesen zu haben, daß sich eine solche in uns findet, und daß man sie nach meinen Grundsätzen nicht auf bündige Art erweisen kann, obgleich das, was ich über die Systeme der Materie gesagt habe (Buch IV, Kap. 10, § 16), indem ich die Immaterialität Gottes dartat, es im höchsten Grade wahrscheinlich macht, daß die in uns denkende Substanz immateriell ist.... indessen habe ich gezeigt (fügt der Verfasser p. 68 hinzu), daß die großen Zwecke der Religion und der Moral durch die Unsterblichkeit der Seele gesichert sind, ohne daß man ihre Immaterialität vorauszusetzen nötig hat.«

Um zu zeigen, daß unser Verfasser anders gedacht habe, als er das zweite Buch seiner Abhandlung schriebe führt der gelehrte Bischof in seiner Antwort auf diesen Brief pg. 51 folgende daraus entnommene Stelle (aus dem genannten Buch K. 23, § 15) an, wo es heißt, »daß wir durch die einfachen Vorstellungen, welche wir von den Verrichtungen unseres Geistes abstrahiert haben, die zusammengesetzte Vorstellung eines Geistes bilden können und durch die Zusammenstellung der Vorstellungen des Denkens, der Wahrnehmung, der Freiheit und des Vermögens, unseren Körper zu bewegen, einen ebenso klaren Begriff von immateriellen wie von materiellen Substanzen haben.«