Neues aus dem Alltag eines Hochschullehrers - Bernd Sommer - E-Book

Neues aus dem Alltag eines Hochschullehrers E-Book

Bernd Sommer

0,0

Beschreibung

Die seit März 2020 anhaltende Corona-Krise hat nicht nur in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Sport und Bildungswesen für Aufregung gesorgt, sondern hat Entwicklungen in der Hochschullehre, die bisher eher im Verborgenen abliefen, in verstärktem Maße zu Tage gefördert. Digitales Lehren und Lernen waren und sind seit mehr als eineinhalb Jahren verordnet gewesen. Es zeigte sich relativ rasch, dass bewährte Präsenz-Lehre in den Hochschulen vor Ort nicht ohne weiteres auf Online-Lehrformate übertragen werden konnte. Hier sind didaktische Entscheidungen zu treffen, bei denen auch Grundhaltungen gegenüber Studierenden und das Selbstverständnis der Lehrenden gefragt sind. Im vorliegenden Band werden nicht in einem streng wissenschaftlichen Sinne Beobachtungen angestellt. Vielmehr sollen die aus den vergangenen Jahren gesammelten Geschichten und Erzählungen aus der Provinz dazu dienen, zum Nachdenken und selbstkritischen Reflektieren anzuregen – Kompetenzen, die nicht nur Studierenden, sondern auch Lehrenden an allgemeinbildenden Schulen und Hochschulen zu eigen sein sollten. Bernd Sommer ist seit fast 25 Jahren in der Hochschullehre tätig und beobachtet sich selbstkritisch als Lehrender in seinen (berufs-)biographischen Zusammenhängen. Die Generationen der Studierenden wie auch die Hochschullehre als solche scheinen dabei grundlegenden Veränderungen unterworfen zu sein.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 128

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bernd Sommer

Neues aus dem Alltag eines Hochschullehrers

Geschichten und Erzählungen aus der Provinz

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2021

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Copyright (2021) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Titelbild © kasto [Adobe Stock]

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

VORWORT

Der Titel des vorliegenden Bandes Neues aus dem Alltag eines Hochschullehrers – Geschichten und Erzählungen aus der Provinz suggeriert auf den ersten Blick die Fortsetzung eines bestehenden Buches. Dem ist auch so. Es wird an Spurensuche im Alltag eines Hochschullehrers aus dem Jahre 2015 angeknüpft. Manches von den Geschichten, Anekdoten, Erzählenswerten wird nochmals aufgenommen und weitergesponnen, anderes ist entstanden. In mehr als fünf Jahren seit Erscheinen des ersten Bandes sind Beobachtungen zu Tage getreten und neue Einsichten gewonnen, die im vorliegenden Band ihren Niederschlag finden werden.

Bücher zu hochschuldidaktischen Fragestellungen haben Konjunktur. Insbesondere die aktuelle Corona-Maßnahmen-Krise hat Entwicklungen, die sich seit Jahren eher im Hintergrund abgezeichnet haben, beschleunigt. Lehren und Lernen an der Hochschule sind in einem grundlegenden Umbruch begriffen. Auch dieses übergeordnete Thema scheint durch die nachfolgenden Erzählungen immer wieder durch.

Ich bin ein erklärter Anhänger des sogenannten Interaktiven Lehr- und Kommunikationsstils, einer Grundhaltung gegenüber und eines Selbstverständnisses von Hochschullehre, die ich in den vergangenen Jahren bereits in anderen Veröffentlichungen in ausführlicher Weise darzulegen versucht habe1.

Dass diese Art des Lehrens nicht unumstritten ist, liegt auf der Hand. Viele Studierende wollen unterhalten werden, warten erst einmal ab, was der oder die Lehrende anbietet, steigen dann ein, wenn es ihnen interessant erscheint, lenken sich und andere ab, wenn das Thema einer Veranstaltung oder die Art und Weise, wie die Inhalte vermittelt werden, ihnen nicht liegt, wenn sie selbst aktiv werden sollen und nicht ausschließlich eine konsumierende Haltung einnehmen können.

Auch auf Seiten der Kolleginnen und Kollegen ist das interaktive Miteinander nicht unumstritten. In reinen Vorlesungen kann in weniger Zeit wesentlich mehr Stoff dargeboten werden, wobei hier die meiner Meinung nach berechtigte Frage zu stellen ist, wie die Studierenden diesen zum Teil überbordeten Input an Wissen für sich verankern können.

Ein interaktiver Lehrstil geht immer zulasten der Quantität, d.h. indem ich mit den Studierenden in meinen Veranstaltungen Themen gemeinsam erarbeite, somit in einen Dialog mit ihnen trete, und nicht die Ergebnisse bereits zusammenhängend präsentiere, wird eine Beschränkung der Menge und Vielfalt an Inhalten, die in einer Lehrveranstaltung abgehandelt werden können, notwendig. Wir bewegen uns mit diesen Gedanken in dem Zusammenhang didaktischer Überlegungen.

Im Folgenden werden Gedanken zu meiner Meinung nach relevanten Aspekten hochschulischen Lehrens und Lernens abgebildet. Diese Überlegungen sind nicht in einem sachlich-nüchternen Duktus gehalten, nicht durchgängig über wissenschaftliche Literatur belegt. Ich habe einen anderen Zugang zu dem Thema gewählt. Ich werde wiederum, zum zweiten Mal im Rahmen einer Buchveröffentlichung, auf Spurensuche gehen.

Als Ausgangspunkt habe ich wiederum meinen Alltag als Hochschullehrer gewählt, das was mir tagtäglich an Themen begegnet und das was über Begegnungen mit Studierenden, mit Kolleginnen und Kollegen, mit Ehemaligen, aber auch durch den Einfluss von aktuellen bundes- und landespolitischen Entscheidungen als Themen repräsentiert wird.

Bei dieser Form von Spurensuche wurde mir zum wiederholten Male deutlich, dass Lernen eine biographische Dimension und auch Lehren eine biographische Dimension innewohnen.

Diese Sichtweise repräsentiert die Meinung und Haltung von mir als Verfasser dieses Bandes, sie ist demnach nicht verallgemeinerbar. Sie soll auf eine andere als der klassischwissenschaftlichen Weise unterhalten. Sie soll Denkanstöße für Kollegen/innen und Studierende bieten, wobei diese Sammlung nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Der vorliegende Band ist kein im strengen Sinne wissenschaftliches Werk. Es werden Gedanken und Überlegungen aus einer im kommenden Januar 25 Jahre umfassenden Lehrtätigkeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), ehemals Berufsakademie (BA), entwickelt zu Themen, die mir in Lehrveranstaltungen und im Arbeitsalltag eines Professors für Soziale Arbeit in dem Studiengang Sozialwirtschaft begegnen.

Dank gilt auch und besonders den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an meinen Lehrveranstaltungen aus den vergangenen 25 Jahren an der Hochschule. Auch die Schülerinnen und Schüler aus Kursen an einer Fachschule für Ergotherapie und denen einer Fachschule für Kinderpflege seien hier erwähnt.

Wir haben fachlich relevante Themen miteinander durchgesprochen. Mein Ansinnen bestand und besteht darin, das aus meiner Sicht Wesentliche zu Themen herauszuarbeiten und unter verschiedenen Perspektiven zu betrachten.

Die interessierten Fragen, die kritischen Beiträge und die in und durch sie zum Ausdruck kommenden Sichtweisen haben mich als (Hochschul-)Lehrender und als Mensch geprägt. Ich habe vieles gelernt – mit den Studierenden, den Schülerinnen und Schülern, über sie und über mich selbst.

Es sind bewegende Zeiten, in denen wir uns befinden. Die Diskussionen um die Corona-Pandemie und die von der Politik eingeschlagenen Wege und Strategien, dieser nicht ausschließlich auf medizinisch-gesundheitlicher Ebene stattfindenden Krise zu begegnen, haben längst qualitativ andere Ebenen des sozialen und gesellschaftlichen Lebens erreicht. Dies und die daraus resultierenden Konsequenzen auf den Hochschullalltag scheinen auch immer wieder im vorliegenden Band durch.

Für Rückmeldungen und konstruktive Nachfragen stehe ich den Leserinnen und Lesern gern zur Verfügung.

Bernd Sommer

Singen, im Oktober 2021

INHALTSVERZEICHNIS

1. Statt einer klassischen Einleitung

Und dann kam die Corona-Maßnahmen-Krise

Denken, Reflektieren, Erkenntnisse gewinnen

2. Aus dem Alltag eines Hochschullehrers

Klausuren

Schüler/innen – Studierende

Bachelorstudium – Unreflektierte Fortführung von Schule?

Interaktiv lehren

Lieblingsveranstaltungen

Erste Referate

Lernen an der Hochschule

Angst verhindert Lernen – Angstfreiheit fördert Lernen

Plagiate

Schriftliche wissenschaftliche Arbeiten

Exkurs

Präsenz- und Online-Lehre in Zeiten von Corona – Möglichkeiten und Grenzen am Beispiel des Reflexionsseminars

Literaturverzeichnis

3. Neue Herausforderungen

4. Literaturverzeichnis

5. Angaben zu dem Verfasser

1. STATT EINER KLASSISCHEN EINLEITUNG

Und dann kam die Corona-Maßnahmen-Krise …

Am Mittwoch, dem 11. März 2020 kam plötzlich, mitten in der Präsentation der studentischen Planspiel-Vorträge, die Anordnung der Baden-Württembergischen Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Frau Theresia Bauer, den Präsenz-Betrieb Lehre an der Hochschule mit sofortiger Wirkung einzustellen. Seitdem findet außer in begründeten Ausnahme-Situationen unter Anwenden der jeweils aktuell geltenden Corona-Verordnungen sowie ausgearbeiteter Hygiene-Konzepten so gut wie keine Präsenz-Lehre in den Hochschulen des Landes statt2.

Dies ist gewiss weder der richtige Ort noch die richtige Zeit, um über die Sinnhaftigkeit, die Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der politisch verordneten Maßnahmen zu streiten. Über die über mittlerweile mehr als 18 Monate in den Massenmedien verbreitete Angst- und Panikmache, so meine Vermutung, werden investigativ tätige Journalisten in den kommenden Jahren Hintergründe offenlegen, die bisher lediglich in Ansätzen deutlich werden. Auch die Rolle der Gerichte wird im Rahmen dieser kritischen Betrachtungen neu zu bewerten sein.

Was aber allemal sinnvoll und auch der Bedeutung dieser Krise angemessen gewesen wäre, wäre der ernsthafte Versuch, ausgewiesene Expertinnen und Experten mit den von ihnen vertretenen unterschiedlichen oder gar widersprüchlichen Meinungen zu einem gemeinsamen Austausch zu bitten, um dort kontroverse Grundhaltungen und daraus abgeleitete Konsequenzen zu diskutieren. Wissenschaft lebt vom Diskurs.

Nicht nur die politischen Entscheidungsträger, sondern auch Wissenschaft als Institution haben aus meiner Sicht in der Corona-Maßnahmen-Krise versagt. Statt die tatsächlich klügsten Köpfe, die im Bereich von Virologie und Epidemiologie zweifelsohne auch in Deutschland zu finden sind, sowie Vertreter/innen von Disziplinen wie beispielsweise der Soziologie, der Psychologie, der Erziehungswissenschaften, auch anderer Vertreter/innen der Medizin außerhalb von Virologie und Epidemiologie zu ihren begründeten und durchaus diskussionswürdigen Meinungen zu befragen, wurden auf Einzeleinschätzungen gründend nicht durchgehend nachvollziehbare Kennzahlen eingeführt: der berühmt-berüchtigte R-Wert, Inzidenzen mit willkürlich vorgenommenen Grenzwerten, die dann einem Automatismus gleichend Maßnahmen in Gang setzten, die sogenannte Ministerpräsidenten/innen-Konferenz mit der Bundeskanzlerin, ein nicht verfassungsmäßig legitimiertes Gremium. Es wurde in der Folgezeit kaum zwischen an und mit dem Virus Verstorbenen unterschieden, die Zahl der auf Corona-Virus positiv getesteten Menschen wurde nicht in Relation zu der Zahl der durchgeführten Tests abgebildet. Die Tests selbst bergen, so kritische Stimmen, eine Reihe von möglichen Testfehlern, das massenhafte, millionenfache Testen gesunder Menschen. Lock down, Lock down light, Brücken-Lock down, harter Lock down. Diese Aufzählung ist fortsetzbar.

Auch die Sinnhaftigkeit der ergriffenen Maßnahmen wurde und wird immer wieder kritisch hinterfragt und mit Studien unterlegt. Je nach politischer Ausrichtung werden Studien so oder auch anders ausgelegt. Dies ist für den Menschen auf der Straße kaum noch zu überschauen.

Wissenschaft als Institution ist aus meiner Perspektive innerhalb dieser Krise in Verruf geraten. Wissenschaft hat sich vor den Karren einseitig ausgerichteter Politik spannen lassen. Wissenschaft lebt von dem Austausch kontroverser Meinungen, die aber, dies ist ein wesentliches Kriterium Wissenschaftlichen Arbeitens, begründet und für den außenstehenden Betrachter gedanklich nachvollziehbar, argumentativ vorgetragen werden müssen. Aus den gleichberechtigt nebeneinander stehenden Meinungen sollten dann Konsequenzen in für die Bevölkerung transparenter Weise abgeleitet werden. So diente Wissenschaft als Orientierungshilfe für die Menschen im Alltag und gleichzeitig als unabhängig tätiges Beratungsorgan für die politisch Verantwortlichen.

Den Lehrbetrieb an Hochschulen einzustellen und eingestellt zu lassen, während Viertklässler und die sogenannten Abschluss-Klassen in den allgemeinbildenden Schulen unter Beachten ausgearbeiteter Hygiene-Pläne den Unterricht wieder aufnahmen, stellt aus meiner Sicht ein Armutszeugnis für Wissenschaft und Politik dar.

Hochschullehre hat in bekannten Präsent-Formaten in den vergangenen 18 Monaten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, schlichtweg nicht stattgefunden. Während berufstätige Eltern von Kindergarten- und Schulkindern nach einer gewissen Zeit des Duldens die politischen Entscheidungsträger massiv unter Druck gesetzt hatten, nachdem der Ruf einer am Boden liegenden Wirtschaft nach baldigem Ende der sogenannten Lock down immer stärker zu vernehmen war, kam von Seiten der Hochschulen und deren Vertretern/innen kein Widerstand gegen die mehrmals verlängerten Corona-Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung.

Ich bin Angehöriger der Generation 1 nach den 68ern. Ich bin sozialisiert worden in einem gesellschaftspolitischen Klima der 1960er und beginnenden 1970er Jahre, in denen die Reaktionen auf Protest und Widerstand gegen die vorwiegend von konservativen Kreisen beherrschte Bundespolitik in Aussagen gipfelten wie Geht doch rüber, wenn es Euch hier nicht gefällt. Mit rüber war die damalige DDR gemeint.

Ich bin über meine schulische, hochschulische und berufliche Sozialisation politisiert worden in einem Maße, dass ich mich nicht nachvollziehbar begründeten Verordnungen und Gesetzen nicht widerstandslos unterwerfen kann.

Ich brauche stichhaltige und verständige Begründungen für einschneidende Maßnahmen, was die Grund- und Freiheitsrechte der Menschen in Deutschland angeht. Politik steht hier in der Verantwortung, zum Teil unliebsame Maßnahmen zum Abwenden von Gefahren zu ergreifen, die jedoch von den Menschen auf der Straße getragen werden müssen.

Dies kann meiner Meinung nach nur gelingen, wenn ein gewisses Maß an Transparenz und Vertrauen geschaffen wird, was die Sinnhaftigkeit, die Rechtmäßigkeit und die Verhältnismäßigkeit der jeweils verordneten Maßnahmen angeht.

Aus dem regen Präsenzbetrieb von Hochschulen, mit dem lebendigen Austausch von Studierenden und Lehrenden, wurden also nicht nur ein, sondern drei sogenannte Online-Semester. Wie Pilze schossen, nur scheinbar zufällig, auf einmal Online-Formate, digitale Lehrveranstaltungsformen aus dem Boden der für den Publikumsverkehr geschlossenen Hochschulen.

Hier wird sich Jürgen HANDKE, Anglistik-Professor an der Philipps-Universität Marburg bestätigt gefühlt haben, werden doch die von ihm bereits seit Jahren publizierten Gedanken einer modernen digitalisierten, von ihm als zeitgemäß bezeichneten Lehre aufgenommen und wie eine General-Lösung für die aus einer veralteten Hochschule mit ihren verkrusteten Strukturen entstandenen Probleme angesehen3.

Diese verstärkt wahrnehmbare Entwicklung wird sich auch nach dem bisher nach wie nicht absehbaren Ende der Corona-Maßnahmen-Krise fortsetzen. Professoren/innen und andere Lehrende werden auch in Zukunft in verstärktem Maße auf digitale Lehr-Formate rückgreifen, kommen sie doch dem vermeintlichen Interesse der Studierenden nach technischen Errungenschaften und modernem Lehren und Lernen nahe. Digitalisierung ist zudem ein Stichwort, das auch und besonders Politikerinnen und Politiker gern in den Mittelpunkt ihres Wirkens stellen.

Steht damit die konventionelle Lehre vor ihrem Aus? Steht sie nicht, denn nicht nur die älteren Lehrenden hängen zum großen Teil dem Lehren in Präsenz an, auch jüngere Kollegen/innen äußern wiederholt Bedenken gegen den allgemeinen Trend einer totalen Digitalisierung der Hochschullehre.

Das Herstellen einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung, eine als angenehm und angstfrei wahrgenommene Arbeitsatmosphäre im Seminar, der persönliche Kontakt zu Studierenden mit all seinen ihm innewohnenden Möglichkeiten der verbalen und non-verbalen Kommunikation – dies sind ausgewählte Stichpunkte, die aus meiner Sicht lebendiges Lehren und Lernen in der Hochschule ermöglichen. Ob dies über Online-Formate in ähnlicher Intensität erreichbar wäre, ist diskussionswürdig.

Zukünftige Lehre an Hochschulen wird auch nach (vorläufigem) Ende der akuten Corona-Maßnahmen-Krise eine Mischung von analogen und digitalen Veranstaltungen sein. Der Artikel 5 Abs. 3 Grundgesetz Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung bietet den Professoren/innen und weiteren Lehrenden die Freiheit, in dieser oder jener Art zu lehren. Hier werden persönliche Vorlieben, biografische Prägungen, Grundhaltungen, das jeweils vorherrschende Menschenbild und das Selbstverständnis sowie die Zugehörigkeit zu einer Wissenschaftsdisziplin Kriterien darstellen, die die Grundlage für das individuelle Treffen hochschuldidaktischer Entscheidungen darstellen.

Denken, Reflektieren, Erkenntnisse gewinnen

Nicht erst durch die Corona-Krise angestoßen, sondern durch die Krise eher an die Oberfläche befördert worden sind bei mir Einsichten, warum ich Hochschullehrer geworden bin.

Seit einigen Jahren mache ich mir verstärkt Gedanken darüber, versuche ernsthaft zu ergründen, warum ich so lehre, wie ich lehre, warum ich als Lehrender so gegenüber Studierenden auftrete, wie ich auftrete. Dies hat neben über Familie, Schule und Hochschule erfahrener Sozialisation, neben der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Disziplin auch und besonders einen biographischen Hintergrund. Diese Einsicht ist nicht neu, wird aber befeuert durch eine durch Politik und Massenmedien heraufbeschworene Krise, in der es nach Worten des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, selbstverliebt, öffentlichkeitswirksam und machtbesessen, „um Leben und Tod“4 gehe.

Dieser Band wird darüber in Ansätzen Auskunft geben. Wie schnell sich die Welt, allgemein anerkannte Werte, das soziale Leben, das gesellschaftliche Miteinander und das politische Klima grundlegend verändern können, haben nicht zuletzt die vergangenen 18 Monate gezeigt.

In Erstsemester-Lehrveranstaltungen aus den vergangenen Jahren habe ich bereits vor der Ära der digitalen Lehre in den ersten Minuten bedeutsame Aspekte und Überlegungen stichwortartig an die Tafel geschrieben, worum es in einem Studium und dementsprechend im Rahmen meiner Lehrveranstaltungen gehe: Denken lernen, reflektieren und Erkenntnisse gewinnen, sich eine eigene begründete Meinung bilden und diese in Diskussionen behaupten können, aus der Auseinandersetzung mit theoretischen Inhalten handlungsleitende Orientierungshilfen ableiten können.

Dies sind hehre Ziele, die in einem Schmalspur-Studium, wie es das verschulte Bachelor-Studium in der Regel darstellt, nur unter großem Einsatz aller Beteiligten erreicht werden können.

Die Aufgaben von uns Lehrenden an Hochschulen sind vielfältig, werden aber oftmals, von einem verengten Blickwinkel aus betrachtet, auf zwei nach außen sichtbar werdende Tätigkeitsbereiche reduziert: Lehren und Forschen.

Die Möglichkeiten von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern scheinen dabei jedoch unbegrenzt, können sie sich doch auf ein Grundrecht der Bundesrepublik Deutschland berufen, das nach Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes bestimmt, dass „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre frei“5 seien.

Lehrende an Hochschulen genießen Freiheiten hinsichtlich der Auswahl von Inhalten von Lehrveranstaltungen, aber auch hinsichtlich der Art und Weise, wie sie diese Inhalte lehren. Niemand, und dies ist eine Tatsache, die kaum in der Öffentlichkeit bedacht wird, von uns hat Lehren gelernt.

Nicht nur in diesen gedanklichen Zusammenhang, sondern auch im Rahmen einer biographisch ausgerichteten Spurensuche ist eine meiner Hauptthesen des vorliegenden Bandes einzuordnen:

Lehren an der Hochschule beruht neben der Verwertung allgemein-wissenschaftlicher, pädagogischer und didaktischer Literatur vor allem auf den Erfahrungen mit Lernen und Lehren in der eigenen Kindheit und Jugend, in institutionellen Zusammenhängen wie Schule, Ausbildung und Hochschule sowie den daraus abgeleiteten Rückschlüssen.

Im strengen wissenschaftlichen Sinne kann diese These nicht belegt oder widerlegt werden. Aber sie kann dienen als eine erste Orientierung, wo ich nach möglichen Wurzeln für die Art und Weise, wie ich Lehre gestalten, wie ich Menschen in Gestalt von Studierenden an der Hochschule oder Schülerinnen und Schülern an Fachschulen begegne, suchen könnte.

Ausgehend von der eigenen Lernbiographie, über das Lesen und Verwerten von Beiträgen aus der Fachliteratur, über das Belegen von Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen zu Themen von (Hochschul-)Didaktik