Neues Glück in Cheltenham - Zoë Barnes - E-Book

Neues Glück in Cheltenham E-Book

Zoë Barnes

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Beschreibung

Achtung, Babyalarm! Ally ist glücklich verheiratet, hat zwei kleine Kinder, und obwohl das Geld ständig knapp zu sein scheint, ist sie vollkommen zufrieden mit ihrem unaufgeregten Leben in der beschaulichen Kleinstadt Cheltenham. Ihre Schwester Miranda wiederum ist mit einem gutaussehenden Millionär verheiratet und genießt ihre Zeit im Luxus und Glamour der Reichen und Schönen. Die beiden Frauen könnten unterschiedlicher nicht sein – umso überraschter ist Ally, als Miranda mit einer ungewöhnlichen Bitte auf sie zukommt: Sie soll als Leihmutter den langgehegten Baby-Wunsch ihrer Schwester erfüllen – und nebenbei all ihre Geldsorgen vergessen. Ally ist empört. Auf gar keinen Fall kann sie sich auf so etwas einlassen! Aber … was wäre, wenn doch? »Eine unterhaltsame und bewegende Lektüre.« Daily Mail Eine warmherziger Liebesroman mit viel Humor – für alle Fans von Susan Elizabeth Phillips und Jenny Colgan.

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Seitenzahl: 487

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

 

Ally ist glücklich verheiratet, hat zwei kleine Kinder, und obwohl das Geld ständig knapp zu sein scheint, ist sie vollkommen zufrieden mit ihrem unaufgeregten Leben in der beschaulichen Kleinstadt Cheltenham. Ihre Schwester Miranda wiederum ist mit einem gutaussehenden Millionär verheiratet und genießt ihre Zeit im Luxus und Glamour der Reichen und Schönen. Die beiden Frauen könnten unterschiedlicher nicht sein – umso überraschter ist Ally, als Miranda mit einer ungewöhnlichen Bitte auf sie zukommt: Sie soll als Leihmutter den langgehegten Baby-Wunsch ihrer Schwester erfüllen – und nebenbei all ihre Geldsorgen vergessen. Ally ist empört. Auf gar keinen Fall kann sie sich auf so etwas einlassen! Aber … was wäre, wenn doch?

eBook-Neuausgabe Oktober 2025

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2007 unter dem Originaltitel »Special Delivery« bei Piatkus Books Ltd, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2013 unter dem Titel »Neun Monate Lieferzeit« bei Weltbild, Augsburg

Copyright © der englischen Originalausgabe 2007 by Zoë Barnes

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2013 by

Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: A&K Buchcover, Duisburg, unter Verwendung eines Bildmotives von shutterstock/Konmac, depositphotos/esvetleishaya, depositphotos/jrp_studio, depositphotos/chfonk, depositphotos/Soyka564, depositphotos/likephotoman, depositphotos/tongpatong, depositphotos/Toomler, depositphotos/SinaEttmer, depositphotos/konstsem

eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (ah)

 

ISBN 978-3-69076-454-4

 

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people . Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

 

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Zoë Barnes

Neues Glück in Cheltenham

Ein Cheltenham-Roman

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

 

Für Grizzle, Tino, Pizza, Jupiter und Jim, jene Felidaes, ohne deren »Hilfe« das Sehreiben an diesem Buch ungleich einfacher vonstattengegangen wäre ...

Prolog

Ein sehr gewöhnlicher Montagmorgen am gar nicht begehrten Ende von Cheltenham ...

 

»Mum, ich finde meine Unterhose nicht«, jaulte eine Jungenstimme über das Gebrabbel des Zeichentrickkanals im Küchenfernseher hinweg.

Ally Bennett wandte den Kopf halb zu ihrem Sohn, während sie automatisch die beiden Butterbrotdosen weiter befüllte und den uralten Toaster im Blick behielt, der die Brotscheiben binnen einer Nanosekunde von anämisch in verkohlt verwandeln konnte. Eine Haarsträhne war margarineverschmiert, doch das war nichts Neues.

»Welche Unterhose? Ich hatte dir eine aufs Bett gelegt.«

»Die doch nicht. Ich will meine Little-Britain-Unterhose!«, erwiderte der siebenjährige Kyle in einem Tonfall, als wäre jedwede andere Unterwäsche schlechterdings untragbar. »Meine beste Unterhose.« Er stand in seinem Schulhemd und dem Pullover, kombiniert mit einer Pyjamahose auf Halbmast in der Küchentür.

»Tja, die ist nicht in der Wäsche«, antwortete seine Mutter, »also habe ich keinen Schimmer, wo du sie gelassen hast. Zieh einfach die an, die ich dir rausgelegt habe.«

»Aber die will ich nicht!«

»Pech, Kyle.«

Eine deutliche Trotznote schlich sich in die Unterhaltung ein. »Aber ich will ...«

Ruhig widmete Ally sich wieder ihrer Sandwichfertigung und würgte ihren Sohn so mitten im Satz ab. Mit einem Schulkind, einer Tochter im Kleinkindalter und einem Ehemann, die allesamt bis halb neun versorgt und aus dem Haus sein mussten, konnte man sich keinerlei Unterbrechung der täglichen Routine leisten. Nicht einmal von Lieblingsunterwäsche. »Zieh die Unterhose an«, sagte sie mit einem winzigen Hauch von Strenge. »Jetzt, oder der Schokopudding heute Abend ist gestrichen.«

Unter mürrischem Gemurmel schlurfte ihr Ältester nach oben, während seine dreijährige Schwester Josie eifrig mit ihren Cornflakes herumspritzte, von denen es einige in ihren Mund schafften, der Großteil jedoch auf dem Boden landete.

Jeden Morgen herrschte in der Brookfield Road 22 Chaos, doch Ally nahm es gelassen. Nein, um ganz ehrlich zu sein, sie liebte es. Manche Leute warfen ihr womöglich vor, ihr würde es an Ehrgeiz fehlen, aber so ein Leben war immer schon ihr Traum gewesen: ein Ehemann, den sie liebte, ein eigenes Heim und zwei wichtige Jobs – als Teilzeitlehrerin und Vollzeit-Mum. Okay, ein bisschen mehr Geld wäre sicher nicht verkehrt, und in die gesellschaftlichen Kreise ihrer großen Schwester würde sie gewiss nie aufsteigen, doch was machte das? Sie kamen zurecht. Ally würde um nichts auf der Welt mit ihrer hochnäsigen Single-Schwester Miranda tauschen wollen.

Luke Bennett kam gähnend in die Küche, er war noch dabei, sein Arbeitshemd anzuziehen. Eine sandfarbene Locke fiel ihm über ein Auge. Er sah eigentlich ziemlich gut aus, wenn auch auf eine zerknüllte Art; egal was Ally anstellte, seine Sachen wirkten stets ungebügelt. Luke war einer von jenen Männern, die schon um sieben Uhr morgens einen Fünf-Uhr-Schatten haben konnten: Ganz gleich wie oft er sich rasierte, er sah immer aus, als hätte er das Rasieren ausfallen lassen. Was für ein Glück, dass man von Sozialarbeitern bei der Obdachlosenhilfe gemeinhin kein geschniegeltes Äußeres verlangte. Und außerdem liebte Ally ihn genau so, wie er war. Sie hatte dem schicken Banker-Typ noch nie etwas abgewinnen können; und erst recht nicht dem »Metrosexuellen«, der sich heimlich an der Feuchtigkeitscreme seiner Frau vergriff.

»Hi, Schatz.« Luke drückte Ally und gab ihr einen kitzelnden Kuss in den Nacken. »Was ist mit Kyle los? Er zieht ein Gesicht wie ein verdroschener Hintern.«

»Seine Unterhose ist weg.«

»Wie? Schon wieder? Wie kann man seine Unterhose verlieren?« Luke trat versehentlich in eine Milchpfütze und schüttelte seinen Hausschuh. »Josie!«

Die Kleine hielt ihrem Dad den Löffel entgegen und grinste.

Luke betrachtete seinen durchnässten Schuh, als auch schon der Kater Ungenannt herbeigetrottet kam und anfing, das Leder sauberzulecken. »Ach, na wenigstens ist es nur Milch.«

»Dann sehen wir mal, ob wir doch noch ein bisschen Frühstück in dich hineinbekommen«, sagte Ally, die wie alle Mütter Augen im Hinterkopf hatte. Mit einer schwungvollen Bewegung schnappte sie sich Josies Cornflakes-Schale und gab ihr in Streifen geschnittenen Toast. »Iss die lieber. Du magst Toasty-Soldiers. Kyle! Frühstück. Jetzt!«

Luke zog einige Umschläge aus seiner Hosentasche. »Die Post ist da. Hauptsächlich Werbung. Ah, und ein Brief für dich.« Er wedelte mit dem Umschlag vor ihrem Gesicht. »Oho, guck mal, ein Poststempel aus Wiltshire!«

Ally stöhnte. Sie kannten nur zwei Menschen in Wiltshire, und einer davon arbeitete zurzeit in Dubai. Der andere war Miranda.

»Mach du ihn auf«, sagte sie und schmierte Marmelade auf Kyles Toast, als der in die Küche gelaufen kam. »Meine Finger sind klebrig.«

»Feiges Huhn.«

»Ja, ich geb’s ja zu.«

»Ist der Brief von Tante Miranda?«, flötete Kyle höchst interessiert. »Kommt sie uns besuchen? Wann kommt sie?«

Gütiger, ich hoffe gar nicht, dachte Ally und bekam prompt ein schlechtes Gewissen, weil eine Schwester so etwas nicht denken durfte. Sie glaubte allerdings nicht, dass sich ihr Minderwertigkeitskomplex schon von Mirandas letztem Besuch erholt hatte. Ginge es indes nach ihren Kindern, war die reiche Tante Miranda jederzeit in Cheltenham willkommen. Sicher gab es nicht viele andere Kinder, deren Tanten sie mit derart teuren Geschenken zuschütteten.

Luke antwortete nicht. Er war zu sehr mit dem Lesen beschäftigt und lachte leise. »Aber hallo ...«

»Aber hallo was?«, fragte Ally neugierig.

»Was sagst du zu diesem Mr Schicki-Micki?« Luke gab ihr ein Foto von einem dunkelhaarigen schlanken Mann im Anzug, dessen fast smaragdgrüne Augen allein vom Bild Ally magnetisch anzogen. Er war nicht im klassischen Sinne gutaussehend, aber auffällig. Und er hatte dieses anziehende Etwas, bei dem eine Frau hingucken und nie wieder weggucken wollte.

Ally zuckte betont lässig mit den Schultern. »Er ist ... okay, schätze ich. Wer ist das? Wieder einer von Mirandas Schauspielerfreunden oder so?«

Luke lachte. »Ob du es glaubst oder nicht, der Kerl ist ein schwerreicher Bauunternehmer, der ein eigenes Polo-Team besitzt. Ach ja, und er ist auch der künftige Mr Miranda.«

»Was?« Ungläubig riss Ally die Augen weit auf. »Sie hat mit keinem Wort ...«

»Und dennoch, Schatz, wird es Zeit, dass du dir einen Hut kaufst. Deine heiß und innig geliebte Schwester kommt endlich unter die Haube.«

 

Dies sollte die Verlobungsparty schlechthin werden, und es tummelten sich Massen von Designer-gekleideten Klonen auf hohen Absätzen in der Overbury Suite. Trotzdem überragte Allys Schwester sie buchstäblich alle wie ein ein Meter achtzig großer Strahl purer Schönheit.

Miranda Morris war die Sorte Frau, die wie auf unsichtbaren Rädern durch einen Raum glitt. Sie war überdies die ärgerliche Sorte Frau, die niemals über etwas stolperte, mit der falschen Gabel aß oder in irgendwelchen Momenten weniger als atemberaubend aussah – mit oder ohne Make-up. Die Sorte Frau, von der Allys bester Freund Zee einmal spitz behauptete, sie würde sogar Kartoffelchips mit Messer und Gabel essen. Ach ja, und sie hatte genug Geld, um für den Rest ihres Lebens in Manolo Blahniks herumzulaufen.

Folglich ließ sich unschwer erraten, was ein Mann in ihr sehen mochte. Und doch konnte Ally nicht umhin, ein klein wenig Mitleid mit Gavin zu empfinden. Schließlich hatte Ally ihre Kindheit in einem Zimmer mit Miranda verbracht, und es war ... nun ja ... eine Erfahrung gewesen, die sie nicht unbedingt wiederholen wollte. Gavin Hesketh musste ziemlich hart im Nehmen sein, dass er ernsthaft erwog, dauerhaft ein Schlafzimmer mit Miranda zu teilen.

Nach Jahren in ihrem Schatten hätte Ally ihre große Schwester wohl hassen müssen, aber das Verblüffende war, dass niemand Miranda hasste. Ally vermutete, dass es genetisch ausgeschlossen war. Trotzdem war dies die Frau, die als Kind wirklich alles bekam, was sie verlangte, und die nie auch nur einen Funken Dankbarkeit gegenüber ihren wenig begüterten Eltern oder der zu kurz gekommenen Schwester zeigte. Dann war sie auf die Medizinische Hochschule abgeschwirrt, die sie nach ein paar Jahren hinschmiss, um eine Karriere als international gefragtes Model einzuschlagen, und posierte und schmollte sich ein Bankkonto herbei, dass exponential größer war als ihr extrem kesser Hintern.

Heute, im reifen Alter von siebenunddreißig Jahren, betätigte sich das Mädchen, das keinen Knopf annähen, geschweige denn ein Ei kochen konnte, als erfolgreiche Innenarchitektin und verbrachte den Rest ihrer Zeit mit »Wohltätigkeitsarbeit«, die (wie Luke anmerkte) hauptsächlich aus dem Ausrichten vornehmer Dinnerpartys für Lokalgrößen bestand. Alles in Mirandas Leben war so unsagbar einfach. Ally fragte sich, ob es nun anders würde, da sie auch an jemand anderen denken müsste. Aber bei Miranda traf das wohl eher nicht zu.

Ally hatte ihr Make-up fertig nachgebessert, richtete sich auf und betrachtete ihr Spiegelbild im großzügigen Vorraum der Damentoilette. Nicht allzu schlecht für eine dreißigjährige zweifache Mutter: halbwegs annehmbare Brüste, hübsches goldblondes Haar und kaum Schwabbelbauch. Dennoch fiel es schwer, sich nicht ausgegrenzt zu fühlen, wenn man Rock und Top vom letzten Jahr trug und alle anderen in der aktuellen Prada-Kollektion herumliefen. Ally war noch nicht ganz in dem Stadium angekommen, in dem sie aus lauter Verzweiflung die abgelegten Sachen ihrer Schwester annahm. Und das nicht bloß, weil Miranda ungefähr doppelt so groß und halb so fett war. Nein, sie hätte einfach zu sehr das Gefühl, als würde sich die Geschichte wiederholen.

Ihr Leben lang hatte Ally sich wie ein Nachzügler gefühlt. Ihre Eltern hatten acht Jahre lang versucht, ein Baby zu bekommen, als Miranda ihren dramatischen Auftritt hinlegte. Und vom ersten Tag an war Miranda immer »die Besondere« in der Familie gewesen. Es half natürlich, dass sie das schönste Baby aller Zeiten war, die Klügste des Jahrgangs in der Schule und brillant in allem und jedem, was sie anfasste, ob Makramee oder Panzerfahren. Vor allem aber war sie das Goldene Kind, das Baby, von dem Maureen und Clive gefürchtet hatten, dass sie es nie bekommen würden.

Als dann sieben Jahre später vollkommen unerwartet Ally geboren wurde, kurz nachdem ihre Mum sämtliche Babysachen weggegeben hatte, hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Nicht dass mit Ally irgendwas nicht stimmte, ganz und gar nicht. Sie war gesund, absolut vorzeigbar und überdurchschnittlich intelligent. Aber verglichen mit ihrer großen Schwester war sie, nun ja, ein bisschen ... gewöhnlich. Und wie konnte sie neben Miranda etwas anderes sein?

 

Ein letzter Tupfer Lippenstift, dann begab Ally sich zurück zur Party. Sie kam allerdings nur wenige Meter weit auf dem Hotelflur, da hörte sie, wie jemand ihren Namen rief.

»Alison?«

Verwundert blieb sie stehen und drehte sich um.

»Du bist doch Alison, nicht? Ich habe mir die Namen und Gesichter noch nicht alle gemerkt.« Der große, dunkle und irgendwie gutaussehende Gavin Hesketh kam auf sie zu. »Entschuldige, wenn ich dich erschreckt habe. Ich wollte mich nur für euer Verlobungsgeschenk bedanken.«

Ally wusste nicht, wohin mit ihren Händen, und war seltsam nervös, weil diese fast unheimlich strahlenden grünen Augen sie ansahen. Sie lösten eine Gänsehaut bei ihr aus. Eine angenehme, wohlgemerkt. »Ähm, prima, das ist schön. Und gern geschehen.«

»Ich dachte bloß, dass Miranda ein bisschen ... also, seien wir ehrlich, so sehr ich sie auch liebe, sie kann manchmal ein bisschen unsensibel sein.«

Ally zog eine Braue hoch. Vielleicht war Schönling Gavin doch nicht blind vor lauter Lust. Normalerweise waren Mirandas Verehrer so hin und weg von ihr, dass sie die wahre Miranda erst erkannten, nachdem sie schon eine ganze Weile abserviert waren. »Ach, glaubst du das?«, fragte sie mit einem Anflug von Amüsiertheit.

Er lachte. »Ich weiß es. Und du bist ihre Schwester, also ist es dir erst recht bewusst. Ich schätze, du hast schon mehr von Mirandas ›Direktheit‹ eingesteckt, als du dich erinnern kannst. Jedenfalls fand ich, dass ihre Reaktion auf euer Geschenk sehr ungehörig war. Die handgestickten Tischdecken sind wirklich sehr schön, und sie zu sticken war sicher eine Riesenarbeit.«

Er ergriff ihre Hand, nur für wenige Sekunden, und Ally konnte sich nicht entscheiden, ob sie sich wünschte, dass er sie sofort losließ oder dass er sie für immer festhielt. Sie wagte es nicht, ihm ins Gesicht zu sehen, denn diese grünen Augen würden zweifellos die Wahrheit erkennen: Dass er Gefühle in ihr auslöste, die überhaupt nicht schwägerinnenkonform waren.

»I-ich ... äh ... geh mal lieber«, stammelte sie schließlich. Nun sah sie doch zu ihm auf und bemerkte ein wahrlich nicht unangenehmes Knistern zwischen ihnen.

»Ja, ist wohl besser«, antwortete Gavin nach einem Moment.

Also hatte er es auch gespürt.

 Kapitel 1

Cheltenham, drei Jahre später ...

 

Gavin trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Schreibtisch und versuchte, nicht die Melodie mitzusummen, die ihm ins Ohr träufelte. Er war es nicht gewöhnt, in einer Warteschleife zu hängen. Das mied er bewusst, indem er sich Anrufe von seiner Sekretärin vermitteln ließ. Bei diesem ging es nicht, denn er wollte nicht, dass Karen etwas erfuhr, was sie eventuell Miranda gegenüber erwähnte und damit alles zum Platzen brachte. Leider war das alte Sprichwort nur allzu wahr: Wollte man, dass etwas richtig gemacht wurde, machte man es lieber selbst.

Die elektronische Fahrstuhlmusik brach abrupt ab, und eine körperlose weibliche Stimme erklang am anderen Ende.

»Ich habe mit Mr Sallis gesprochen, Sir, und er fragt, ob Sie nicht ein Festzelt auf dem Anwesen vorziehen würden? Die meisten Leute ...«

»Ja, aber ich bin nicht die meisten Leute«, fiel er ihr schroff ins Wort. »Also erklären Sie Mr Sallis bitte noch einmal, dass ich entweder das Haus für das ganze Wochenende bekomme oder mich gezwungen sehe, die Feierlichkeiten an einen anderen Ort zu verlegen.«

 

Oben auf dem Dachboden der Brookfield Road 22 zupfte sich Ally einen klebrigen Spinnfaden von der Nasenspitze und nieste. »Erklär mir doch nochmal, warum ich mich von dir hier raufzerren ließ, Zee.«

»Warum?« Zebedee Goldman, dessen Name sehr viel exotischer klang, als er selbst war, grinste ihr durch ein Zickzack aus staubigen Dachsparren zu. Er sah eher wie einer von Fagins Gassenjungen aus, nicht wie ein fünfunddreißigjähriger alleinerziehender Vater. »Weil du pleite bist und keiner Schatzsuche widerstehen kannst. Genau wie ich.«

»Schatz?«, höhnte Ally. »Auf meinem Dachboden?«

»Na ja ... Krempel, der jedenfalls noch gut genug ist, um ihn auf dem Flohmarkt zu verticken. Der gilt doch auch als Schatz, nicht?«

Ally ließ ihre puppenblauen Augen skeptisch über den Boden schweifen: Augen, die manche Leute verleiteten, sie zu unterschätzen. Männer zumeist. »Ich raube dir ja ungern die Illusion, aber das hier ist ein Ex-Sozialbau aus den Fünfzigern. Die letzten Bewohner hielten Hühner im Schuppen. Ich bezweifle, dass sie für schlechte Zeiten einen Picasso auf dem Dachboden verstaut haben.«

Zee, der gerade in einem eingeknickten, verstaubten Pappkarton wühlte, in dem anscheinend nur kaputte Teekannen und alte Lego teile waren, richtete sich auf. »Tja, aber das kannst du nicht wissen, solange du nicht nachgesehen hast. Hast du die Sendung auf Channel Six letzte Woche gesehen? Über die Frau, die ein Pergament aus dem Mittelalter in einem alten Schreibtisch gefunden hat? Und den Typen, der auf seinem Klo eine Ikone hängen hatte? Das könnten wir sein, nächstes Jahr um diese Zeit.«

Ally schüttelte den Kopf und schmunzelte über Zees kindischen Enthusiasmus. Sie liebte Zee auf eine schwesterliche, freundschaftliche Art. Sie beide hatten sich auf Anhieb verstanden, als sie sich erstmals im Kindergarten ihrer jeweiligen Kinder begegneten, und seitdem verwickelte er Ally unentwegt in seine Pläne, Sperrmüll zu Geld zu machen. Allerdings musste man auch seinen Hut vor einem jungverwitweten Vater ziehen, der seinen gut bezahlten Job als Buchgestalter aufgab, um als Freiberufler zu arbeiten, der hin und wieder Krimskrams auf eBay verkaufte, nur damit er mehr Zeit für seine Tochter hatte.

Im Laufe der Jahre hatten Zee und Luke sich auch angefreundet, und mittlerweile mutete es fast komisch an, dass Luke einmal misstrauisch wegen der engen Freundschaft zwischen Zee und Ally gewesen war. Jeder, der halbwegs aufmerksam hinsah, erkannte sofort, dass es nicht diese Art Beziehung war. Außerdem fand Ally ihren Freund ungefähr so anziehend wie einen einohrigen Teddybären.

Sie blies die dicke Staubschicht von einem Papierstapel. »Oho, guck mal, Cheltenham-Courant-Ausgaben von 1953. Und ein paar halbleere Lackdosen. Alles unterschiedliche Farben natürlich.«

»Kein Problem«, versicherte Zee ihr. »Wir gießen die alle in eine Dose, rühren einmal um und verticken sie für 50 Pence. Regenbogenlack. Sehr postmodern.«

Ally lachte. Tatsächlich hatte sie sich zu dem Glauben verleiten lassen, ein privater Flohmarkt könnte sich lohnen, nur war schwer vorstellbar, dass irgendjemand so blöd war, gutes Geld für diesen Quatsch rauszuwerfen. »Wohl eher sehr schwachsinnig. Aber Luke findet es sicher gut, wegen Recycling und so.«

»Was ist das denn?«, rief Zee und hielt eine flache, lederbezogene Kiste in die Höhe, die er in der alten Wäschetruhe unterm Dachfenster gefunden hatte. Bevor Ally antworten konnte, hatte er den kleinen Kasten geöffnet und stieß einen Pfiff aus. »Hey, die sehen echt gut aus. Was immer das auch sein mag.«

»Warte mal.« Vorsichtig stakste sie über die Bodendielen zu ihm und bemühte sich, nicht daran zu denken, wie ihr Vater früher einmal im Bademantel auf die falsche Dachbodendiele getreten war und Allys Freundinnen in den Genuss kamen, ein Paar sehr haarige Beine durch die Decke baumeln zu sehen.

Zee beäugte seinen Fund prüfend. »Ich schätze, die sind aus massivem Silber. Die müssen irgendwem was wert sein.«

Sanft, aber bestimmt nahm Ally ihm den Kasten ab, klappte ihn zu und legte ihn zurück in die Kommode. »Sind sie, meiner Schwester.«

»Häh?«

»Es sind antike Kaviarlöffel mit Elfenbeingriff«, erklärte Ally. »Ein Hochzeitsgeschenk von Miranda.«

»Ah, verstehe. Dann bist du nicht selbst losgezogen und hast dir die Dinger gekauft?«

Ally schmunzelte, weil allein der Gedanke lächerlich war. »Machst du Witze? Sie hat sie in einem Antiquitätenladen entdeckt, ausgerechnet in Genf, und – zieh dir das rein – sie dachte, ›die wären ganz praktische Ehrlich, das waren ihre Worte.«

»Kaviarlöffel?«

»Kaviarlöffel.«

»Ich frage mich, wofür die praktisch sein sollen.« Zee fuhr sich durch die staubigen braunen Locken. »Und hat Luke nicht sowieso was gegen Elfenbein?«

»Er will das Zeug nicht im Haus haben, deshalb bewahren wir die Löffel hier oben auf. Aber selbst wenn er keine ethischen Bedenken hätte, was sollen wir wohl mit Löffeln, die zu klein sind, um damit Baked Beans zu essen? So oder so traue ich mich nicht, sie loszuwerden, und immer, wenn Miranda in der Nähe ist, hole ich den Kasten nach unten.«

Zee runzelte die Stirn.

»Würde sie denn nicht verstehen, dass du die verkaufst? Schließlich habt ihr Kinder und könnt ein bisschen Geld gebrauchen.«

Ally schloss den Deckel der Eichentruhe mit einem deutlichen Rumms. »Auch wenn es feige wirken mag, darauf will ich es lieber nicht ankommen lassen.«

 

Gavins Pläne nahmen Gestalt an. Noch am Vormittag konnte er den Besitzer von Nether Grantley Hall überreden, ihm Haus und Privatgrundstück für das gesamte Wochenende zu überlassen, und das für ein Drittel weniger, als Gavin zu zahlen bereit gewesen wäre.

Natürlich hätten sie die Party auch zu Hause geben können, nur wäre es eine erbärmlich kleine Veranstaltung geworden. In der luxuriös ausgebauten Scheune der Heskeths mit ihren acht Schlafzimmern wäre es schwierig geworden, zwanzig Übernachtungsgäste unterzubringen, an die über zweihundert übrigen Gäste gar nicht zu denken. Außerdem war es Mirandas Vierzigster, und der sollte etwas Besonderes sein. Wie Gavin zu sagen pflegte: Wer Vermögen und Stil besitzt, muss beides hier und da auch mal zeigen.

 

Alles in allem war es gut, dass sich die Dinge so reibungslos fügten, denn Gavin hielt grundsätzlich nichts von einem Plan B. Ein Notfallplan war schlicht nicht seine Art. Er bekam das, was er wollte, denn alles andere war zweitklassig und mithin inakzeptabel.

Diese Philosophie hatte Gavin Heskeths Immobiliengeschäft binnen fünf Jahren aus einem Einfamilienhaus in Swindon in den Megareichtum katapultiert.

Dort draußen gab es massenhaft Leute, die gern Gavin Hesketh wären; er jedoch würde nicht im Traum mit einem von ihnen tauschen wollen. Ihm machte es viel zu viel Spaß, er selbst zu sein.

Die Entertainment-Agentur rief ihn auf dem Handy an, als er mittags ein leichtes Sushi an seinem Schreibtisch aß und die Zahlen für das neue Tagungszentrum durchging, das er bauen wollte. Man soll niemals eine Sache tun, wenn man gleichzeitig zwei tun kann, lautete Gavins Motto; und schaffte man drei parallel, umso besser. Wer nicht ständig auf dem Sprung war, Chancen zu ergreifen, dem wurden sie von anderen weggeschnappt.

»Ah, Mr Bergstrom, hi«, sagte er und klemmte sich das Telefon unters Kinn. »Haben Sie mein Orchester?«

»Ich kann Ihnen eine sehr gute Vierziger-Nostalgie-Combo anbieten, Sir. ›White Cliffs of Dover‹ und all die alten Schlager. Gute Musiker, sehr geschmackvoll und mit Originalkostümen und der passenden Ausstattung.«

»Ich sagte Zwanziger.«

»Um ehrlich zu sein, Mr Hesketh, sind die Zwanziger derzeit etwas aus der Mode. Die werden einfach nicht gebucht, wenn Sie verstehen. Wie wäre es mit einem Elvis-Auftritt? Die sind immer sehr beliebt.«

Gavin stöhnte genervt. Anscheinend tummelten sich nichts als Amateure in dieser Welt. »Verschwenden wir nicht unsere Zeit, Mr Bergstrom. Ich will ein Zwanzigerjahre-Orchester für Sonnabend, mitsamt Sängern und Tänzern. Und ich bin bereit, dafür zu bezahlen. Fliegen Sie Leute aus Vegas ein, wenn es sein muss.

Und falls Sie das nicht können, finden Sie jemanden, der es kann.«

 

In den Büros von ChelShel, Cheltenhams Obdachlosenhilfe in der Henrietta Street, schlugen die Uhren anders. Lukes Klient mittleren Alters war weit weniger wählerisch als Gavin Hesketh. Er wäre mit jeder Lösung glücklich, die ihm noch eine Nacht in einem stinkenden Ladeneingang ersparte.

Hoffnungsvoll blickte er auf, als Luke in das kleine Büro zurückkam, das er sich mit Chas, dem anderen Sozialarbeiter, teilte. Doch sogleich schwand all seine Hoffnung dahin. »Haben Sie kein Zimmer für mich gefunden?«

Lukes bedauernde Miene sagte alles. »Tut mir leid, Jake. In dieser Gegend gibt es nur wenige Unterkünfte, und die sind alle voll.«

»Na, prima.«

»Aber vielleicht wird etwas für morgen Abend frei. Kommen Sie morgen Vormittag wieder, dann sehe ich, ob ich etwas finde.«

»Mache ich das nicht immer?« Langsam raffte Jake seine armseligen Sachen zusammen. Luke beobachtete ihn frustriert und voller Mitgefühl.

»Es tut mir wirklich sehr leid, Jake, aber wir wissen beide, wie es ist. Sie entsprechen nicht den blöden Behördenvorgaben für Härtefälle. Sie sind nicht unter sechzehn, nicht schwanger oder alleinerziehend, oder über fünfundsechzig oder psychisch krank ... «

»Im Klartext heißt das also, weil ich es schaffe, irgendwie über die Runden zu kommen, ohne mir die Pulsadern aufzuschlitzen, müssen die gar nichts für mich tun.«

Luke versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen, denn leider hatte Jake recht. Vor lauter Wut hätte Luke gegen die Wand boxen können.

»Nun ... sagen wir, Ihr Fall hat keine Priorität.«

Jake stand auf und schwang sich seinen Rucksack auf die Schulter. »Leute wie ich haben nie Priorität, nicht? Wir sind mehr wie ein störender Fleck an der Straßenecke.« An der Tür drehte er sich noch einmal um, den Hauch eines Lächelns auf den Lippen. »Wenn Sie mich fragen, müsste mein Sohn bei der Behörde arbeiten. Der scheint jedenfalls genauso zu denken wie die.«

Mehrere Sekunden verstrichen, bis die Tür leise hinter ihm ins Schloss gefallen war, dann zischte Luke ein »Scheiße« vor sich hin und trat den Papierkorb quer durch den Raum. Klappernd landete er kopfüber an der Wand.

»Dir ist klar, dass du nicht der Schulmeister des Universums bist, oder?«, bemerkte eine leise Stimme hinter ihm. »Manchmal kannst du die Welt nicht zwingen, sich so zu verhalten, wie sie es deiner Meinung nach sollte.«

»Ach nein?«

»Nein, und du weißt, dass ich recht habe.«

Die Worte kamen von einem Mann in den Vierzigern, der Jeans, Arbeitsstiefel und ein altes Star-Wars-T-Shirt trug und mit dem betagten Kopierer kämpfte. ChelShel bekam nur wenig öffentliche Förderung, und es wurde sogar geraunt, dass es dem Gemeinderat ganz recht war, so die Zahl der Notunterkünfte für Obdachlose niedrig zu halten. Schließlich wollte man das Problem der zunehmenden Verarmung am liebsten unter den Teppich kehren. Die Stadt würde alles tun, um die wohlhabenden Touristen nicht abzuschrecken, die zu den zahlreichen Festivals nach Cheltenham gereist kamen. Luke hegte den Verdacht, dass die Gemeinde mehr Geld für Hängeblumenkörbe an den Straßenlaternen ausgab als für die gut sechzig Leute, die jede Nacht auf der Straße schlafen mussten.

Mürrisch setzte er sich wieder hin. »Ist ja schon gut, Chas. Ich schätze, du willst mir jetzt wieder erzählen, dass Priester immer und in allem recht haben.«

Chas lachte. »Falls ja, glaub mir lieber nicht. Die bringen uns bei, so zu reden, wie wir reden. Auf die Weise fühlen sich alle anderen gut und sicher, und am Ende sind wir diejenigen, die sich wundern.«

»Gut und sicher dürfte Jake sich wohl kaum fühlen«, sagte Luke. »Ich meine, da hat der arme Kerl endlich ein Dach über dem Kopf, eine Wohnung, die er sich mit seinem Sohn teilt. Und dann zieht die Freundin vom Sohn mit ein, und auf einmal heißt es, ›Ich weiß ja, dass du nirgends hinkannst, Dad, aber wir kriegen ein Baby, also kannst du bitte deinen Kram packen und abschwirren?‹ Wohltätigkeit fängt zu Hause an, ja? Mann, was für ein ausgemachter Schwachsinn!«

Er rieb sich das stoppelige Kinn, während ihm ein Gedanke durch den Kopf ging, der ihn schon eine Weile umtrieb. »Vielleicht könnte ich ...«

Chas stellte ihm stumm einen Becher Kaffee hin.

»Ah, danke.« Er sah zu Chas. »Wir haben doch den Abstellraum.«

Der Priester hielt sofort eine Hand in die Höhe. »Vergiss es, Luke. Nicht einmal du bringst sämtliche Obdachlosen in Cheltenham in deiner Doppelhaushälfte in Whaddon unter. Und die reizende Alison hätte dazu gewiss auch das eine oder andere zu sagen.«

Luke stellte sich Allys Reaktion vor, wenn er ihren Abstellraum – den sie irgendwann zu einem Arbeitszimmer umbauen wollten – in eine Notunterkunft verwandeln würde. Chas hatte wahrscheinlich recht. »Tja, ich gebe den Mann nicht auf«, erklärte er, während er in seiner Schreibtischschublade nach seinem kleinen schwarzen Adressbuch mit nützlichen Kontakten tastete. »Hier muss es jemanden geben, den ich überreden kann, etwas zu tun.«

Chas zuckte mit den Schultern. »Nur zu, ich wünsch dir viel Glück.«

In dem Moment klingelte das Bürotelefon, und Chas nahm ab. »ChelShel? Ja, sicher, Augenblick. Luke, eine Miranda für dich.«

Chas hatte die göttliche Miranda und deren Entourage an schönen Menschen mit riesigen leeren Häusern bislang nicht kennengelernt. Der Mann hatte wahrlich etwas verpasst.

Lukes Hand verkrampfte sich unwillkürlich, als er nach dem Hörer griff.

»Hallo, Miranda. Wie geht’s?«

»Ach, du weißt ja, viel zu viel zu tun. Die neue Tapetenkollektion kommt am Montag raus, und ich habe das Gefühl, keine zwei Sekunden zum Luftschnappen zu haben.«

»Ah, wirklich?« Luke war bewusst, wie sarkastisch er klang. Leider förderte Miranda verlässlich seine schlechtesten Eigenschaften zu Tage. »Hier ist übrigens auch einiges los. Was hältst du von ein paar Mietern für eure dritte Garage, die ihr nie benutzt?«

»Wie bitte?«

»Uns rennen hier Obdachlose die Bude ein, die dringend Notunterkünfte brauchen. Ich denke, wir könnten ein halbes Dutzend von denen in eurer Garage unterbringen, wenn ich einen Tischler schicke, der ein paar Sperrholztrennwände einzieht.«

Es entstand eine Pause, während Miranda überlegte, ob er scherzte; dann beschloss sie offenbar, dass es ein Scherz gewesen sein musste, denn so gemein konnte Luke unmöglich sein, und sie kicherte wie eine atemlose Sechzehnjährige. »Ach, du bist witzig, Luke! Erstaunlich, wie du dir deinen Humor bewahrst, wo du an solch einem tristen Ort arbeitest. Hör mal, ich habe ganz aufregende Neuigkeiten für dich. Die muntern dich auf.«

Du ziehst auf den Mond, dachte Luke. »Ach was?«, sagte er laut.

»Ja! Weißt du, Gavin organisiert eine gigantische Party zu meinem Vierzigsten nächsten Monat, von der ich offiziell natürlich nichts weiß, weil sie eine Überraschung sein soll.«

»Das ist ... ähm ... nett von ihm«, murmelte Luke, der in seinem Buch nach jemandem, irgendwem blätterte, der ihm einen Gefallen schuldete. »Und was genau kann ich für dich tun?«

»Tja, du kannst Alison sagen, dass ihr euch das ganze Wochenende um meinen Geburtstag freihalten müsst, denn ich habe gehört, dass es sehr extravagant wird, und da dürft ihr selbstverständlich keine Minute verpassen.«

»Wir werden uns bemühen«, antwortete Luke. Dumm wie er war, hatte er gehofft, es gäbe ein kurzes Familientreffen, und danach könnte er nach Hause und die Fußball-Highlights im Fernsehen sehen. »Aber mit der Arbeit, dem Haushalt und dem Hin- und Herchauffieren der Kinder zu ihren Clubs und so ...«

»Du wirst mehr als dein Bestes geben, Schätzchen. Ihr seid dabei.« Diesen Dominaton beherrschte Miranda aus dem Effeff. »Und du wirst noch etwas für mich tun, nicht wahr, Luke?«, ergänzte sie schnurrend.

»Das wäre?«, fragte er ein bisschen ängstlich.

»Du ziehst dir etwas ... Nettes an, ja? Nur dieses eine Mal.«

 

»Palmen«, wiederholte Gavin, der vorsichtig zur Stalltür hinauslugte, ob seine Frau auch nicht in Hörweite war. Die Luft war rein. »Ich will Palmen, und zwar reichlich.«

»Echte oder künstliche?«, fragte die Stimme im Handy.

»Echte natürlich! Wofür halten Sie mich? Für billig? Eingeborenenhütten, Lianen, ach, und einige von diesen Paradiesvögeln und so.«

»Die Bäume und die Hütten sind kein Problem«, versicherte ihm die Stimme. »Zufällig haben wir noch welche vom Bühnenbild des Tarzan-Musicals letztes Jahr im Bristol Hippodrome. Die tropischen Arten hingegen könnten schwierig werden. Es gibt heutzutage eine Menge Regeln und Beschränkungen.«

Gavin machte mehrmals »hmm« und »mhm«, was bei ihm selten vorkam. Gut möglich, dass das mit den Vorschriften stimmte, aber ...

»Verfluchte Bürokratie. Na, okay, besorgen Sie alles, was Sie kriegen können. Oh, und ein Tigerbaby.«

»Ein was?«

»Sie haben mich verstanden. Beschaffen Sie ein niedliches.

Meine Frau liebt Tiger.«

»Ähm ... die sind ein bisschen schwer zu bekommen, Gav. Gefährdete Spezies und so.«

Ich habe ja nicht gesagt, dass Sie selbst losziehen und eines einfangen sollen. Leihen Sie eins oder so. Vermietet der Londoner Zoo die nicht tageweise?«

»Ich könnte Ihnen einen von Damien Hirsts Haien besorgen.«

»Ein Tigerbaby. Oder Sie sind gefeuert.«

Keine Kompromisse, sagte Gavin sich. Mirandas Geburtstagswochenende musste vollkommen werden, absolut vollkommen, als wäre es ihrem Lieblingsbuch entsprungen. Und das würde er hinkriegen, denn alles andere ließ er nicht zu.

 

Miranda rief an, als Ally nach dem nachmittäglichen Unterricht zur Haustür hereingestolpert kam, gefolgt von den meckernden Kindern und mit etwa tausend Einkaufstüten behängt, die ihr langsam die Arme auf anderthalbfache Länge dehnten.

Sie warf alles auf den Küchentisch, angelte den Kater von seinem üblichen Schlafplatz, der ehedem eine Obstschale war, und griff nach dem Wandtelefon.

»Hallo? Ja?«

»Bist du das, Ally?«, fragte Miranda. »Aber was rede ich denn? Natürlich bist du’s! Wer sonst spricht die Vokale so komisch aus?«

»Was?«

»Deine Vokale. Die sind ziemlich betont. Du weißt schon, sehr ... nach Gloucestershire klingend.«

»Meinst du gewöhnlich?« Ally streckte ihr die Zunge raus, was Miranda leider nicht sehen konnte. »Vielen Dank auch. Wenn ich mich recht erinnere«, fügte sie hinzu, während sie versuchte, eine Familienpackung Chips in den Küchenschrank zu quetschen, »hast du dich genauso angehört, bevor du dieses Wohltätigkeitsdings mit Joanna Lumley gemacht hast.«

Mirandas Lachen plätscherte wie Kristallwasser an einem Berghang. »Ach, Ally, du bist so witzig! Ein echter Brüller.« Wie auf Kommando erscholl ein ohrenbetäubendes Kreischen, das ihr das linke Trommelfell zu zerreißen drohte. »Was um Himmels willen machen deine Kinder? Die sind schrecklich ... laut.«

»Das sind Kinder nun mal«, erwiderte Ally mit einem strengen Blick zu ihrer ungebärdigen Brut. »Bloß normaler Kinderkram. Genau genommen ist es ein Fechtkampf mit Selleriestangen.«

»Ah, wie kreativ. Also, hör zu, es geht um meine Party nächste Woche.«

»Deine ...Überraschungsparty?«, fragte Ally grinsend. »Die, von der du nichts wissen sollst?«

»Ach, Gav weiß, dass ich Bescheid weiß, und wir beide wollen, dass sie vollkommen wird. Außerdem bin ich viel besser im Organisieren solcher Veranstaltungen als er. Also, ich wollte dir nur schon mal sagen, wie der Dresscode ist.«

Ally stand der Mund offen. »Wieso Dresscode? Ich dachte, das wird eine Familienfeier.«

»Nun, ein bisschen mehr wird es schon, Süße. Ich werde ja nicht jedes Jahr vierzig, Gott sei Dank. Tatsächlich habe ich überlegt, nächstes Jahr wieder zu neununddreißig zurückzugehen und dann rückwärts zu zählen. Wie dem auch sei, für den Samstag ist ein Kostümfest geplant, aber keine Sorge, ich lasse euch und den Kindern die Kostüme nähen.«

»Was?!«

»Von einer wunderbaren Designerin. Du wirst begeistert sein, wenn du die Sachen siehst, garantiert.«

Ally sank auf einen der Küchenstühle, blinzelte ungläubig und brauchte dringend Schokolade. »Kostüme?«, wiederholte sie matt. »Ich wollte eigentlich zum Schlussverkauf bei Matalan.«

 Kapitel 2

 

In der Küche der Brookfield Road 22 kugelten sich mehrere Leute vor Lachen; Luke zählte nicht zu ihnen. Er starrte entgeistert auf den offenen Karton auf dem Tisch.

»Nie im Leben kriegt ihr mich da rein.« Er zog das Kostüm mit Daumen und Zeigefinger hoch, als könnte es jeden Moment explodieren. »Gütiger Himmel, guckt euch das doch mal an!«

»Aber es ist super, Dad!«, rief Kyle. »Sogar mit Schwert und allem! Gibt’s auch eine Pistole?«

»Das nehme ich«, sagte Ally, die ihrem Sohn eilig das Schwert entwand. Nicht auszudenken, was ein Zehnjähriger seiner Schwester mit einer einen Meter langen Klinge aus silbernem Kunststoff antun könnte. Und Ally verspürte nicht die geringste Lust, schon wieder in der Notaufnahme zu erscheinen. Wahrscheinlich erholten sie sich dort noch von dem Drama mit der verschluckten Tannenbaumkugel letzte Weihnachten. »Wollt ihr zwei nicht nach oben gehen und die schönen Geschenke verpacken, die ihr für Tante Miranda gebastelt habt?« Ally fragte sich, was ihre verwöhnte Schwester von Josies schiefer Pappwindmühle und Kyles »Schmuckkasten« (eine mit Fußballstickern verzierte Cornflakes-Verpackung) halten würde. Eines musste man Miranda immerhin lassen: So grausam ihre Bemerkungen zu Geschenken anderer auch ausfallen konnten, hatte sie noch nie ein böses Wort über die Gaben der Kinder verloren, egal wie armselig sie sein mochten.

»Ich will Daddy im Kostüm sehen!«, protestierte Josie.

»Ja, Dad«, stimmte Kyle ein, »wir wollen dich in dem Soldatenkostüm sehen.«

»Da könnt ihr lange warten«, entgegnete Luke mit einem vernichtenden Blick auf das Kostüm. »Ich werde nicht als Statist aus Zulu verkleidet zu einer Party gehen. Besser noch, ich gehe einfach gar nicht hin!«

»Daddy führt euch sein Kostüm später vor«, versprach Ally, die sämtliche Verweigerungsversuche Lukes geflissentlich ignorierte. »Jetzt geht nach oben und packt die Geschenke ein. Und vergesst nicht, sie irgendwo hinzupacken, wo der Kater sie nicht anknabbert!«, rief sie ihren Kindern nach, als sie kichernd die Treppe hinaufliefen.

Als sie wieder in die Küche kam, hockte Luke mit einem Tropenhelm auf der Tischkante, der ihm mindestens zwei Nummern zu groß war, sodass er sein Gesicht zur Hälfte verdeckte. »Ich habe immer gewusst, dass deine Schwester mich hasst«, bemerkte er trocken. »Mir war nur nicht klar, wie sehr.«

»Ach, komm schon, der steht dir!«, konterte Ally.

»Ja, und wie.«

»Doch, wirklich! Ich habe schon oft gedacht, dass dir Uniformen stehen würden, und diese viktorianischen sind ganz schön sexy. Außerdem ist es bloß ein Kostüm, und kostümiert sieht jeder dämlich aus.«

»Ah, dann gibst du es also zu! Ich sehe damit dämlich aus!«

Sie neigte sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: »Schatz, du wirst noch sehr viel bescheuerter aussehen, wenn ich dir dieses Plastikschwert in den Allerwertesten schieben muss. Los jetzt, zieh das an, und lass uns sehen, wie es passt.«

Luke stieß einen Märtyrerseufzer aus und rutschte vom Tisch. »Du bist eine erbarmungslose Frau, Ally Bennett.«

Sie grinste. »Und ob!«

Grummelnd und murrend schlüpfte er in die engen Kniebundhosen und das rote Jackett. »Was soll das Ganze überhaupt? Ich dachte, das am Samstag soll eine Geburtstagsfeier sein, keine Modenschau für Tote.«

Ally schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich habe dir doch gesagt, dass jemand Gavin von der rauschenden ›Dschungel‹-Party erzählt hat, die vor genau hundert Jahren auf Grandey Hall stattfand. Und du weißt, wie er ist, sowie etwas seine Fantasie ankurbelt. Er hat beschlossen, Grandey Hall zu mieten und den Ball von damals nachzustellen, nur für Miranda. Ist das nicht romantisch?«

Luke schnaubte. »Vor allem teuer.«

»Na und? Er kann es sich leisten. Und, wie ist die Kniebundhose, Major Bennett?«

»Eng«, keuchte er.

»Das soll sie auch sein, glaube ich.« Sie betrachtete ihn genüsslich, als er den Uniformrock zuknöpfte. »Oh ja, wirklich sehr hübsch. Meinetwegen darfst du das heute Abend im Bett tragen.«

»Verdorbenes Weib.«

»Beklagst du dich?«, fragte sie erstaunt.

Luke lachte. »Ganz und gar nicht. Nein, vielmehr überlege ich ... Wenn wir Kyle und Josie für den Rest des Nachmittags zu Zee bringen, könnten wir zwei diese Hose direkt ausprobieren.«

»Und was ist mit der Bügelwäsche?«, neckte Ally ihn. »Und mit dem Lehrplan, den ich morgen abliefern muss?«

»Vergiss das Bügeln, und erteil mir eine Lektion«, erwiderte Luke und zog sie zwinkernd in seine Arme. »Und das darfst du als Befehl verstehen.«

 

Am nächsten Morgen war Ally in noch größerer Hetze als sonst, weil sie neuerdings einen festen Teilzeitjob an der örtlichen Vorschule »Weidenkätzchen« hatte. Wenn die Kinder eines Tages beide die Grundschule hinter sich hatten, würde sie sich wahrscheinlich nach einer Ganztagesstelle als Lehrerin umsehen, aber vorerst war sie froh, stundenweise im Job zu bleiben und für die restliche Zeit einfach Mum zu sein.

Als sie in ihrem treuen alten Fiesta an einer roten Ampel stand, beobachtete sie die anderen Fahrer in ihren schnittigen BMWs und Porsches, von denen die meisten viel zu sehr in Eile oder zu schlecht gelaunt waren, um den doppelten Regenbogen über der Friedhofspforte zu bemerken oder das Rotkehlchen auf dem Zaunpfosten ganz in der Nähe. In dem Moment, in dem die Lichter von Rot auf Gelb sprangen, stampften sie aufs Gas und preschten davon wie Greyhounds auf der Hunderennbahn.

Solch eine Einstellung zur Arbeit war Ally von jeher fremd. Sie fühlte sich nicht getrieben wie so viele Frauen heute. Nicht dass ihre Arbeit ihr egal wäre; sie war stolz, eine gute Lehrerin zu sein. Nur war es eben bei Weitem nicht das Einzige in ihrem Leben, und darüber war sie heilfroh – auch wenn ihre Eltern es nicht waren.

Selbstverständlich kam ihnen niemals über die Lippen, dass sie von Ally »enttäuscht« wären – zumindest nicht, solange sie in Hörweite war. Aber auf die eine oder andere Art machten Mum und Dad Morris hinreichend deutlich, dass es in der Familie bloß eine echte Erfolgsgeschichte gab, und zwar nicht Allys.

Als sie noch ein Kind war, hatte es sie verletzt, wie sehr ihre Eltern Miranda vergötterten. Was Miranda auch wollte, sie bekam es. Und da die Morrises nicht sonderlich gut dastanden, bedeutete es, wenn Miranda etwas Teures wollte, mussten alle anderen zurückstecken, weil Miranda Großes bestimmt war. Die Eltern schienen nicht wahrzunehmen, dass ihre jüngere Tochter genauso gut in der Schule war, jedoch weit weniger Brimborium darum machte.

Erst als Teenager war Ally klar geworden, dass sie nicht einmal kapierten, was sie taten. Warf sie ihnen vor, die große Schwester zu bevorzugen, waren sie aufrichtig entsetzt. Vielleicht hatten sie ja doch recht: Vielleicht hatte Miranda etwas, das Ally nicht hatte, sei es Verstand, Talent, Charisma oder schlicht die Tatsache, dass sie im Gegensatz zu 99,9 Prozent aller weiblichen Wesen auf dem Planeten unwiderstehlich hübsch aussah, wenn sie weinte. Jedenfalls hörte Ally von dem Moment an auf, sich zu beschweren. Und das nicht, weil sie begriff, dass sie nie gewinnen könnte, sondern weil Konkurrenzkampf eben nicht ihr Ding war. Sollte Miranda ruhig den Glanz und die Glorie abbekommen, die sie wollte – und das Theater. Ally hatte alles, was sie sich jemals gewünscht hatte, hier in der Brookfield Road.

Dessen ungeachtet dachte Ally, als sie mit dreißig Meilen die Stunde die A-Road entlangzockelte – zum Verdruss der Fahrer hinter ihr –, dass ein bisschen was von Mirandas Geld nicht ungelegen käme. Angesichts der horrenden Kosten für Schulschuhe und Judostunden ...

Ach, und was war mit dem Nebeneffekt des Mirandaseins, dem umwerfenden Gavin?

Bei dem bloßen Gedanken an ihn errötete Ally. Wie beschämend! Sie mochte den Kerl nicht mal besonders. Natürlich nicht. Zumindest nicht so. Trotzdem hatte er eine Art, sie anzusehen, die sie völlig blöd und kicherig machte, und dann kriegte sie weiche Knie wie eine Vierzehnjährige, die in ihren Mathelehrer verschossen war. Es lag an diesen tiefen, leuchtenden, bestimmenden Augen ... Und es half wenig, dass andere Leute hin und wieder Bemerkungen fallen ließen, wie »gut« sie beide sich verstanden. Derlei Kommentare gaben ihr lediglich das Gefühl, die halbe Welt würde erwarten, dass sie zusammen in die Kiste sprangen oder so. Was ja quasi Inzest wäre!

Ally war sich ziemlich sicher, dass Gavin keinerlei Interesse an ihr hatte. Warum sollte er, wo er die atemberaubende Miranda hatte?

Dennoch war die Situation unangenehm, weshalb Ally sich angewöhnt hatte, Gavin möglichst weiträumig aus dem Weg zu gehen. Super, dachte sie, und jetzt blüht mir ein ganzes Wochenende, an dem ich ihn unauffällig meiden darf Ein ganzes Wochenende, an dem er dunkel und souverän sein wird, Luke ungenießbar, weil ich ihn zwinge, diese Uniform anzuziehen, die Kinder hyperaktiv von zu viel Limo und Kuchen, und Miranda ... na ja, die wird eben Miranda sein.

Die Vorstellung war derart beängstigend, dass Ally um ein Haar die Einfahrt verpasst hätte. Ihre plötzliche Vollbremsung bewirkte wildes Gehupe hinter ihr. Ich dürfte wirklich nicht Auto fahren, dachte Ally nicht zum ersten Mal. Wem ständig zwei, drei verschiedene Sachen durch den Kopf gingen, wurde hinterm Steuer zu einem Risikofaktor.

Genauso war es, als sie in die Einfahrt der Weidenkätzchen-Grundschule bog. Denn während sie im Geiste durchging, was sie heute Morgen im Unterricht machen wollte, war ein anderer Teil ihres Gehirns mit Gavin Hesketh beschäftigt; und grübelte.

Hatte er ebensolche Bedenken wegen Mirandas Geburtstagswochenende? Oder bildete sie sich bloß etwas ein?

 

Bis Luke an dem Abend von der Arbeit zurückkam, waren die Kinder bereits abgefüttert, gebadet und im Bett, wo sie sich lauthals beschwerten, dass ausnahmslos alle anderen Kinder in ihrer Schule einen Computer, eine PlayStation und einen Fernseher in ihrem Zimmer hätten und bis nachts um zwei MTV gucken durften. Kater Ungenannt schlief oben auf dem Fernseher, sodass sein Schwanz vor dem Bildschirm baumelte. Ally lümmelte sich auf dem Wohnzimmersofa, die Hausschuhe abgestreift, und gönnte sich Brazil-Schokonüsse sowie ein kleines bisschen Bailey’s.

Ungenannt war als acht Wochen altes Moppelkätzchen ins Leben der Bennettfamilie getapst und inzwischen zu einem fellbespannten Fass von Kater herangewachsen. Er huldigte der Philosophie, dass man sich nur bewegte, wenn es absolut unerlässlich war. Nicht dass er schon früher so phlegmatisch gewesen wäre. An dem Tag, als er bei ihnen einzog, hatte er es geschafft, fast das gesamte Polster des neuen Sofas vollzupieseln, den Inhalt des Küchenmülleimers auf dem Boden zu verteilen und die Hälfte von Allys Lieblingsgrünpflanze abzubeißen. Als Luke an jenem Abend nach Hause kam und fragte, was in aller Welt passiert wäre, hatte Ally lachend auf das Kätzchen gezeigt und gesagt: »Der Verdächtige bleibt bis zum Schuldbeweis ungenannt.« Und das blieb er.

Ungenannt schnarchte längst zufrieden, als die Vordertür laut ins Schloss fiel und Lukes Schritte durch den Flur wummerten. Ally horchte auf. Sie konnte an seinem Gang erkennen, wie sein Tag gewesen war, und heute Abend war eindeutig ein munterer Schwung herauszuhören.

Er strahlte buchstäblich, als er ins Zimmer kam und seine Schultertasche auf einen der Sessel warf. »Hallo, Schatz. Tut mir leid, dass ich nicht zeitig hier war, um die Kinder ins Bett zu bringen. Kriege ich einen Kuss?«

»Nur wenn ich auch einen kriege.«

Sie umarmten und küssten sich. »Hattest du einen guten Tag?«, fragte Ally.

»Und ob! Erinnerst du dich an Jake? Der, von dem ich dir erzählt habe, den sein Sohn vor die Tür gesetzt hat?«

»Mhm.«

»Tja, ich habe eine Bleibe für ihn gefunden! Und nicht bloß eine in einer Obdachlosenunterkunft. Ich konnte ihn in einer dieser neuen billigen Einzimmerwohnungen im Bluebell Estate unterbringen.«

»Klasse. Aber hattest du nicht gesagt, dass der neue Block frühestens in drei Monaten bezugsfertig ist?«

»Ja, das ist der Haken bei der Sache. Plus, dass es ein privates Projekt ist, also Gewinn machen muss, und mir wäre ein gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen lieber gewesen. Aber sei’s drum, es sind immer noch gute Neuigkeiten. Jetzt muss ich bloß noch etwas finden, wo er bis zum Einzug bleiben kann ... Egal, wie war’s bei dir? Haben sich die Wadenbeißer benommen?«

Sie grinste. »Ja, ganz gut. Sie ließen mich lebend wieder raus. Oh Mann, ich fürchte, ich werde alt. Ich bin total erledigt. Drei Runden Kanon ›The Wheels on the Bus‹, und ich bin zu nichts mehr zu gebrauchen. Zu nichts außer einem schönen heißen Bad und dem Bett.«

»Hmm, das klingt gut«, sagte Luke und ließ vielsagend die Brauen auf- und abhüpfen.

»Nun, es ist eine große Badewanne«, erklärte Ally übertrieben ernst. »Allein könnte ich mich da drin ein bisschen einsam fühlen.«

»Was wir nicht zulassen dürfen, oder?«

»Ich hatte gehofft, dass du das sagst.«

Worauf Ally hingegen gar nicht gehofft hatte, war ein Anruf. Und als das vermaledeite Telefon bimmelte, wollte sie es am liebsten kurzerhand aus der Wand reißen. Aber in den Jahren bei ChelShel war das Anrufeannehmen für Luke so sehr zu einem Reflex geworden, dass er schon abgenommen hatte, ehe Ally »Geh nicht ran!« sagen konnte.

»Maureen, hi! Wie geht’s? Ja, bestens, bestens. Nein, es hat sich am Ende nicht als Ringelflechte entpuppt, sondern war nur eine Allergie oder so. Ja, klar, ich reich dich weiter.« Er drehte sich zu Ally um und verkündete vollkommen überflüssigerweise: »Deine Mum.«

Ally hatte sich schon oft gefragt, ob ihre Mutter irgendwelche übernatürlichen Kräfte besaß. Auf jeden Fall gelang es ihr verblüffend oft, telepathisch jede drohende Intimität zu erahnen und erfolgreich zu verhindern. Wie, wenn nicht mit telepathischen Gaben, war zu erklären, dass sie mit einem Lammtopf oder irgendwelchen Urlaubsfotos ausgerechnet dann vor der Tür aufkreuzte, wenn Luke mit Geschenken aus einem Reizwäschegeschäft nach Hause kam? Oder dass sie anrief, um sich nach den Weihnachtswünschen der Kinder zu erkundigen, wenn Luke und Ally gerade in der Hängematte draußen ein bisschen verspielter wurden? Wie Luke häufiger sagte, war es ein Wunder, dass sie trotz Maureen überhaupt Kinder bekommen hatten.

Ally atmete tief durch. »Hallo, Mum, wie geht’s dir? Und Dad?«

»Uns geht es ganz wunderbar, Kind, aber wir machen uns wegen euch Sorgen.«

»Wegen mir?« Ally rümpfte die Nase.

»Wegen euch beiden.« Maureen räusperte sich, als müsste sie ein höchst unangenehmes Thema ansprechen. »Es geht um die Geburtstagsfeier deiner Schwester. Ihr blamiert uns doch nicht, oder?«

Der Hörer rutschte von Allys Ohr. Für einen kurzen Moment war sie sprachlos. »Mum denkt, wir blamieren die Familie auf Mirandas Party«, sagte sie zu Luke und machte sich nicht die Mühe, die Sprechmuschel abzudecken.

»Das lässt sich problemlos vermeiden«, sagte Luke ein bisschen zu prompt. »Wir gehen einfach nicht hin.«

Maureen sagte irgendwas, aber Ally hörte nur ein vages Surren und Klopfen, wie von einer Wespe, die in einem Marmeladenglas gefangen war. »Mum«, sagte sie schließlich und hob den Hörer wieder an ihr Ohr, »wieso um Himmels willen sollen wir irgendwen blamieren?«

»Ich weiß ja, dass ihr es nicht absichtlich macht«, antwortete Maureen, »aber weil ihr beide, du weißt schon, nicht direkt arm seid, aber doch ... na ja ... ich meine, Geschenke sind heutzutage so teuer, nicht?«

»Ja«, stimmte Ally ihr zu, die merkte, dass ihre Mutter auf einem ihrer Erkundungszüge war. »Dann habt ihr Miranda also etwas richtig Nettes gekauft, ja? Schön tief in die Tasche gegriffen?«

Ganz so leicht gab Maureen dann doch nichts preis. »Was? Ja, natürlich haben wir das, aber darum geht es nicht. Was ich wissen will, ist, was ihr für sie gekauft habt.«

Ally stöhnte, sah Luke an und lächelte ihm zu. »Eigentlich«, sagte sie und legte eine extralange Pause ein, »haben wir bis jetzt noch gar nichts gekauft, nicht wahr, Luke?«

Lukes »noch nicht« ging in Maureens entsetztem Luftschnappen unter. »Was? Was! Mein Gott, Alison, wenn ihr euch kein anständiges Geschenk leisten könnt, wieso sagt ihr denn nichts?«

»Ich ...«

»Nein, ist schon gut. Dein Vater und ich werden etwas Angemessenes kaufen, und dann könnt ihr so tun, als wenn es von euch ist. Es wäre nur wirklich schön gewesen, hättest du mal früher was gesagt. John Lewis kann freitagsnachmittags die Hölle sein, und ...«

»Noch nicht«, wiederholte Ally, als ihre Mutter ihren Redeschwall unterbrach, um zu atmen.

»Wie?«

»Ich sagte, ›noch nicht‹. Wir haben Miranda noch nichts gekauft. Entspann dich, Mum. Wir sind nur bisher nicht dazu gekommen, das ist alles. Aber ich bin sicher, dass wir rechtzeitig etwas Hübsches finden.«

»Meinst du wirklich?«

»Ja, meine ich.«

»Sie ist immer noch deine große Schwester, denk dran. Und du bist ihr enorm wichtig.«

Ach was?, dachte Ally sehr skeptisch.

Schließlich sprachen sie hier über dieselbe große Schwester, die sämtliche Teddys von Ally enthauptet und deren Köpfe auf dem Schultreppengeländer aufgereiht hatte, bloß weil Ally versehentlich gegenüber Mirandas damaligen Verehrer ausplauderte, dass die ganze Familie gerade Kopfläuse gehabt hatte.

»Du kannst aufhören, schlaflose Nächte zu verbringen, Mum. Ich werde ihr schon nichts im Ein-Pfund-Shop kaufen.«

Doch als sie den Hörer auflegte, hatte Ally das sehr bestimmte Gefühl, dass ihre Mutter nicht überzeugt war.

 

»Nicht lachen!«, ermahnte Ally ihn streng. »Das ist nicht im Mindesten witzig.«

Zee war sich dessen nicht so sicher. Seine Schultern zuckten verdächtig, als er zum Van zurückging, um den nächsten Karton mit Flohmarktwaren zu holen. »Ach, komm, Al, das ist zum Brüllen! Meine Mum hat mir keine Geschenke mehr für andere gekauft, seit ich ungefähr vier war. Du bist in den Dreißigern, hast zwei Kinder und braust mit Rückenwind durchs Leben, und trotzdem hat deine Mutter noch Angst, dass du dein Taschengeld für die falschen Sachen verbratscherst?«

Ally warf ihm einen Blick zu, von dem sie inständig hoffte, dass er vernichtend ausfiel, obwohl sie selbst merkte, dass sie eher wie ein verhuschtes Kaninchen dreinblickte. »Du weißt genauso gut wie ich, warum sie so ist«, murmelte sie, als sie einen Korb mit alten Kleidungsstücken aus dem Van hievte und ihn zu dem Tapeziertisch zog, den sie aufgestellt hatten.

»Weiß ich das?«

»Es geht nur darum, dass es ein Geschenk für meine perfekte Schwester ist. Ich meine, die auserwählte Miranda darf um Himmels willen nicht durch ein Geschenk beleidigt werden, das weniger als atemberaubend ist. Obwohl sie und Gavin genug Geld haben, um Gott und Lottes Goldminen aufzukaufen.«

Zee lachte. »Du bist herrlich, wenn du wütend wirst. Deine Brauen veranstalten dann echt schräge Dinge.«

Gar nicht gut waren die mordlustigen Gedanken, die Ally kamen und gegen die Zee sich als vollkommen immun erwies. Ally konnte nur genervt seufzen. »Erinnere mich doch bitte nochmal, wieso ich um halb acht an einem feuchten Oktobermorgen auf einem nassen Rasen stehe und versuche, blödsinnigen Krempel zu verkaufen.«

»Weil alles von diesem sogenannten Krempel unser Ticket zu gigantischem Reichtum sein könnte«, erklärte Zee und beschrieb mit der Hand einen Bogen über die unerwünschten Artefakte.

Nun war es Ally, die loslachte. Sie hob eine einzelne braune Socke hoch. »Du bist ein hoffnungsloser Optimist, Zee, das muss man dir lassen.«

»Na schön, dann bist du hier, weil du noch ein paar Mäuse verdienen willst, um deiner Schwester ein anständiges Geschenk zu kaufen, und ich bin hier, weil ich die Gasrechnung bezahlen muss. Also, los jetzt, hilf mir, dieses Tuch über den Tisch zu legen, damit es hübsch und professionell aussieht.«

Sie zurrten und schoben an der Plastikdecke herum, bis sie vernünftig aussah, ehe sie ihre gefühlten zweihundert Pfund Müll darauf arrangierten. Sie hatten alles: Souvenirs aus Alicante, Wackeldackel, denen ein Ohr fehlte, Gummihühner, fiese Suppenteller, unbrauchbare Fotoapparate, eine verrostete Lötlampe und sogar ein Poster von Fidel Castro.

»Ich fänd’s ehrlich gut, wenn sie es nicht ganz so offensichtlich machen würde«, sagte Ally, die vier hühnerförmige Eierbecher bedenklich grob auf dem Tisch aufstellte.

»Was?«

»Na, mich anzurufen und nachzufragen, ob wir ein anständiges Geschenk haben. So waren Dad und sie schon immer. Zuerst kommt Miranda. Miranda bekommt, was Miranda will, und der Rest von uns kriecht dankbar in ihrem Schatten herum.« Eine befremdliche Unsicherheit überkam sie. Gott, dachte sie, ich höre mich wie ein jaulender Teenager an! »Wahrscheinlich sollte ich inzwischen viel abgehärteter sein, was diese Anwandlungen bei meinen Eltern betrifft«, gestand sie, »aber manchmal reagiere ich so empfindlich, weil ich weiß, dass es völlig schnurz ist, was ich mache, ich kann eh nie mithalten. Ich kann es doch nicht ändern, dass ich ... eine Nachzüglerin war.«

Zee knuffte sie sanft. »Hey, so schlimm ist es doch eigentlich nicht, oder?« Allys Schweigen beantwortete seine Frage. »Oh, na ja, ich bin ziemlich sicher, dass sie dich auch lieben, aber das können sie eben nicht gut zeigen.«

»Hmm«, machte Ally, stand auf und wischte sich die klammen Haare aus der Stirn. »Bist du gut darin, diesen Krempel zu verticken?«

Zee schenkte ihr ein Grinsen, das vor lauter weißen Zähnen strahlte.

»Nenn mich den Donald Trump der Flohmärkte!«

»Na, dann los, Donny, lass deine Zauberhand wirken, denn ich muss ein Geschenk kaufen, und das muss möglichst bombastisch sein, sonst bin ich geliefert.«

 

»Donald Trump, ja?«

Ally blickte über den beladenen Tapeziertisch hinweg zu Zee, der sich wacker unter einem Regenschirm hielt und versuchte, über sein Handy seine Babysitterin zu erreichen.

Er sah sie unglücklich an. »Vielleicht doch eher wie Kenneth Parcell in 30 Rock«, gab er zu. »Aber, hey! Wir haben einen Läufer verkauft, auf den der Hund gekotzt hat! Kannst du dir vorstellen, dass die echt dachten, der Bleichefleck gehört zum Muster?«

Als Ally den Kopf schüttelte, stoben Regentropfen in alle Richtungen.

»Mein Gehirn ist derart verwässert«, antwortete sie, »dass ich jetzt so gut wie alles glauben würde, außer dass wir irgendeinen Gewinn gemacht haben.«

In der letzten halben Stunde hatte der Regen richtig zugelegt, und Ally sah allmählich ein, warum die Kinder am liebsten gar nicht mitgekommen wären, um einen »spannenden« Tag mit Mum und Onkel Zee zu verbringen und »tonnenweise Geld zu verdienen.« Sie verfügten zweifellos über Insider-Informationen und wussten, dass Flohmärkte vor allem bedeuteten, übervolle Kartons aus einem Wagen zu einem Stand zu schleppen und fast genauso voll wieder zurück. Und das alles in strömendem Regen.

Ally schloss die Augen und malte sich aus, zu Hause zu sein, in einem warmen Bett mit einem netten, warmen Ehemann. Dafür war es aber leider ein bisschen zu spät. Luke war schon längst zum Fußballtraining, mit Umweg über den Pub, und die Kinder hockten bei Kerri nebenan, wo sie Videospiele spielten, die Ally und Luke ihnen nie erlauben würden, und alles aßen, was sie irgendwie kriegen konnten.

»Meine Schuhe lecken«, sagte Ally, als ihr klar wurde, dass ihr die klamme Taubheit bis zu den Knöcheln stieg. »Und ich würde mir jetzt wirklich wünschen, ich hätte diese dämlichen Kaviarlöffel verkauft.«

Zee hörte gar nicht hin. Vielmehr war er verschwunden. Als er wenige Minuten später wiederkam, sah er aus, als hätte er gerade den Heiligen Gral gesehen. »Hey, das errätst du nie!«

»Du hast was gekauft?«

Er nickte begeistert.

»Etwas ... Gutes?«

Nun nickte er so heftig, dass ihm fast der Kopf abfiel.

»Wow.« Trotz aller Skepsis wurde Ally doch neugierig. »Was ist es? Komm schon, lass sehen!«

Zee lüpfte schwungvoll das Tuch. »Ta-dah!«

Ally sah hin. »Das ist eine Puppe, Zee. Eine Barbiepuppe, die nichts anhat.«

»Nicht irgendeine Barbiepuppe. Dies ist die limitierte I978er-Ausgabe mit extralangem Haar – pinkem Haar! Die sind total selten.«

»Zee, die hat nur ein Bein, und ihr Gesicht ist mit grünem Filzer beschmiert.«

»Ja, schon, aber mit ein bisschen Herrichten und einem neuen Bein kann die ... ja ... glatt fünfzehn Pfund wert sein.«

Schweig still mein Herz, dachte Ally. Bedaure, Miranda, aber wie es aussieht, gehe ich doch noch zum Ein-Pfund-Laden.

 Kapitel 3

 

Denkst du wirklich, dass ihr das Geschenk gefällt?«, fragte Ally besorgt, als die Rostlaube der Bennett-Familie durch die schwache Oktobersonne gen Wiltshire rumpelte. Es war ein schöner Nachmittag, nur hatten sie versprochen, bis mittags in Nether Grandey Hall zu sein, folglich dürften sie es sich schon jetzt mit Miranda verscherzt haben.

Luke würdigte die eingewickelte Schachtel auf Allys Schoß keines Blickes, als er antwortete: »Wie soll ihr es nicht gefallen? Schließlich hat es ein Vermögen gekostet.«

»Nicht nach Mirandas Maßstäben«, widersprach Ally. Sie senkte die Stimme, obwohl es vollkommen sinnlos war, denn sie drängten sich zu viert auf einer Fläche, die kaum größer als eine durchschnittliche Mülltonne war. »Glaubst du ehrlich, dass sie nicht merkt, dass es zweite Wahl ist?«

»Was ist zweite Wahl, Mummy?«, fragte prompt eine Kinderstimme von hinten.

Ally drehte sich um und lächelte ihrer Tochter mit dem Supergehör zu. »Nichts weiter, Josie«, sagte sie.

Diese Erklärung mochte für Josie in Ordnung sein, wohingegen Kyle fand, dass sein überlegenes Wissen nicht verborgen bleiben sollte. »Das heißt, dass mit den Sachen was nicht stimmt, und deshalb hat Mum sie billiger gekriegt. Also eigentlich ist es Schrott.«