Never love a Rockstar 2 - Tina Keller - E-Book

Never love a Rockstar 2 E-Book

Tina Keller

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Beschreibung

Nick und Ann bleiben getrennt. Während Ann in ihrer neuen Beziehung glücklich ist und endlich ihren Frieden gefunden hat, tobt sich Nick hemmungslos aus. Er versucht, den Schmerz über die zerbrochene Beziehung dadurch zu kompensieren, indem er sein wildes Sex, Drugs & Rock Leben exzessiver lebt als je zuvor. Anns Ruhe gerät ins Wanken, als ihre Band Smash als Vorgruppe für Nicks berühmte Band Guardian engagiert wird. Wird es ihr gelingen, wochenlang so eng mit Nick zusammen zu sein und ihm zu widerstehen? Große Sorgen macht sie sich um ihren engsten Freund David, der immer mehr im Drogensumpf versackt. Sie spürt, dass sie ihn nicht retten kann, doch mit der Tragödie, die schließlich passiert, hat sie nicht mal in ihren schlimmsten Alpträumen gerechnet. Ein weiterer Verrat lässt sie in die Knie gehen und fast am Leben verzweifeln. Als sie wieder langsam Boden unter den Füßen bekommt, erscheint Nick auf der Bildfläche und beteuert, sich geändert zu haben. Kann sie ihm vertrauen? Kann der Bad Boy par excellence sie nun endlich wirklich lieben?

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 - Nick

Kapitel 2 – Ann

Kapitel 3- Ann

Kapitel 4 - Ann

Kapitel 5 - Ann

Kapitel 6 - Ann

Kapitel 7 - Ann

Kapitel 8 - Nick

Kapitel 9 - Ann

Kapitel 10 - Ann

Kapitel 11 - Ann

Kapitel 12 - Nick

Kapitel 13 - Ann

Kapitel 14 - Nick

Kapitel 15 - Ann

Kapitel 16 - Ann

Kapitel 17 - Ann

Kapitel 19 - Ann

Kapitel 20 - Ann

Kapitel 21 - Ann

Kapitel 22 - Nick

Kapitel 23 - Ann

Kapitel 24 - Ann

Kapitel 25 – Nick

Kapitel 26 - Ann

Kapitel 27 - Nick

Kapitel 28 - Ann

Kapitel 29 - Nick

Kapitel 30 - Ann

Kapitel 31 - Nick

Kapitel 32 - Ann

Kapitel 33 - Nick

Kapitel 34 - Ann

Kapitel 35 - Ann

Kapitel 36 - Ann

Kapitel 37 - Nick

Kapitel 38 - Ann

Kapitel 39 - Nick

Kapitel 40 - Ann

Kapitel 41 - Nick

Impressum

Kapitel 1 - Nick

Wir sind alle zur Grammy Verleihung eingeladen worden, Guardian und Rising Star. Es ist ein Riesenbremborium und alles, was Rang und Namen in der Musikszene hat, ist anwesend. Die Rolls Royce und privaten Jets stapeln sich nur so. Eigentlich ist dieser Markt der Eitelkeiten nicht mein Ding. Aber ich muss hin, denn ich bin in der Kategorie Bester Rockgitarrist nominiert worden. Klar, das schmeichelt mir schon. Andererseits: Ich weiß auch so, dass ich spielen kann, dafür brauche ich keinen Pokal.

Bei der Verleihung langweile ich mich ziemlich. Die Dankesreden sind immer dieselben, es gibt keine Überraschungen, und die ganze Veranstaltung dauert Stunden. Wie gesagt: Es ist nicht meine Welt, wenn sich alle aufbrezeln bis zum Geht-Nicht-Mehr und unbedingt darstellen wollen, wie toll und einzigartig sie sind. Frühmorgens, wenn sie ihre falschen Haarteile und die fünf Schichten Make up abgelegt haben, sehen sie aus wie jeder andere auch. Da gibt es keinen Unterschied. Sie denken immer nur, sie seien was Besonderes. Nur, weil sie zufällig singen können oder ein Instrument beherrschen. Andere können auch was, Menschen aufschneiden und den Blinddarm rausnehmen oder so. Ist das nicht viel wichtiger? Und die lassen sich nicht feiern.

Mich widert dieses Spektakel eher an. Ich bin null aufgeregt. Eigentlich bin ich froh, wenn es endlich vorbei ist.

„Und der beste Rockgitarrist ist ...“

Gene Simmons von Kiss, mit und ohne dieses fürchterliche Geschmiere im Gesicht hässlich wie die Nacht, fährt seine ekelhaft lange Zunge aus. Erstaunlich, dass er sich auf seinen seltsamen Stiefeln mit den fünf Meter hohen Absätzen überhaupt fortbewegen kann. Ich hätte mir schon längst sämtliche Knochen gebrochen.

Ein Raunen geht durch das Publikum. Dieses eidechsenhafte Gezüngele ist nicht jedermanns Sache. Meine auch nicht.

„... der unglaubliche Nick Winson von Guardian!“, schreit Gene und züngelt noch mehr. Wenn er das macht, wenn ich neben ihm stehe, flippe ich aus.

Jetzt bin ich es also offiziell. Der beste Rockgitarrist auf diesem Planeten. Irgendwie schon ein geiles Gefühl.

Ich stehe auf, alle neben mir springen ebenfalls in die Höhe und klatschen wie verrückt. Tyler fällt mir völlig zugedröhnt um den Hals. Ausgerechnet er.

Plötzlich durchzuckt mich – Trauer. Dies hier ist ein besonderer Moment, ganz klar. Der Grammy ist die höchste Auszeichnung für Künstler, und es wäre schön, diesen besonderen Moment mit einem besonderen Menschen zu erleben. Mit ihr. Ann. Was würde ich dafür geben, wenn sie es wäre, die mir jetzt in die Arme fallen würde anstatt mein nerviger Sänger. Wenn sie mich mit ihren leuchtenden Augen anstrahlen würde, stolz auf mich wäre, sich freuen würde, diesen Augenblick mit mir teilen würde.

Aber in diesem besonderen Moment meines Lebens bin ich allein, obwohl um mich herum Hunderte von Menschen sind. Das ist bitter. Und ich bin selbst schuld daran. Ich habe dieses wunderbare Mädchen, das ich über alles liebe, mit meinem Verhalten vertrieben.

Wie in Trance stehe ich auf und gehe zur Bühne, um die Trophäe entgegenzunehmen. Nun strahlt mich immerhin Gene an, und er scheint sich ehrlich zu freuen. Kiss ist eine der wenigen Hardrock Bands, die nach eigenen Angaben keine Drogen nehmen und nicht mal trinken. Obwohl ich mir das sehr langweilig vorstelle, ringt mir das einen gewissen Respekt ab.

„Herzlichen Glückwunsch“, sagt er ohne das Mikro, so dass nur ich es höre. „Du hast es verdient, Alter. Du bist grandios. Ich verehre dich zutiefst.“

Ich spüre ein warmes Gefühl in mir aufsteigen. Das tut gut. Er ist doch ganz okay. Anerkennung von Kollegen tut immer gut.

„Danke, Gene.“

Ich klopfe ihm auf die Schulter und verzeihe ihm seine lange Zunge. Es hat mal das Gerücht gegeben, dass er sich eine Kalbszunge implantieren lassen hat, doch das wurde widerlegt.

Der Applaus ebbt langsam ab, und ich muss jetzt was sagen. Aber was? Wem soll ich danken? Die meisten danken ihren Eltern, aber das kommt nicht in Frage. Meinen Erzeuger kenne ich nicht, und meiner Mutter könnte ich höchstens dafür danken, dass sie mich so Scheiße behandelt hat, dass ich mich aus lauter Schmerz in die Musik geflüchtet habe. Ich könnte mir selbst danken, weil ich nie aufgegeben und so lange auf meiner Klampfe geübt habe, bis das aus mir geworden ist, weshalb ich jetzt hier stehe: einer der besten Rockgitarristen.

Ich würde gern Ann dafür danken, dass sie mir gezeigt hat, was Liebe ist, aber leider ist diese Liebe zerbrochen, weil ich nicht fähig war, sie zu leben.

Also danke ich meinen Fans, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin. Die mir Selbstbewusstsein geben, die mein Motor sind und ohne die ich ein Niemand wäre. Ich bin dieser gesichtslosen Masse dankbar, dass sie mich anhimmelt und vergöttert und mir das gibt, was ich früher nie hatte: das Gefühl, einzigartig zu sein. Dafür liebe ich sie aus tiefstem Herzen. Das ist ehrlich gemeint. Und das alles sage ich auch.

Der Rest der Verleihung ist einschläfernd. Die Veranstaltung dauert drei Stunden, und außer viel Geschwafel und ein paar Auftritten passiert nichts. Ich verstehe nicht, warum ich nicht auftreten und zeigen kann, warum ich den Grammy bekommen habe. Ich würde so gern auf die Bühne gehen und die Leute mit ein paar Gitarrensoli beglücken. Aber okay, der Grammy wird in über siebzig Kategorien verliehen, und es können nicht über siebzig Künstler auftreten. Dennoch. Ich hätte es gern getan und bin etwas enttäuscht.

Rising Star erhält die Trophäe auch, und zwar als beste Hardrockband. Glückwunsch.

Nachdem die Zeremonie beendet ist, treffe ich die Jungs von Rising Star vor der Bühne, wo sie zusammen mit ihrem Manager rumstehen und Fotos machen. Ich greife mir David und quatsche eine Weile mit ihm. Als er mir erzählt, dass Ann wieder bei ihm wohnt, trifft mich der Pfeil direkt ins Herz. Ich spüre die alte Konkurrenzsituation. Ich war immer eifersüchtig auf David. Ich habe gespürt, dass da eine tiefe Bindung zwischen ihm und Ann ist, wenn auch nicht sexuell. Aber trotzdem. Es hat mich immer gestört, und es hat mir weh getan. Daran hat sich nichts geändert.

„Sie hat mir in einer echt schlimmen Situation geholfen“, erklärt Dave. „Ich bin eine Weile ziemlich versackt.“

Er zieht mich in eine Ecke. Das soll wohl niemand hören.

„Ich habe es einfach nicht mehr hingekriegt, mein Haus in Schuss zu halten.“ Jetzt flüstert er fast. „Es sah überall aus wie Sau.“

„Na und? Das war bei uns doch immer so“, entgegne ich.

Hey, wir sind Rockstars. Wir haben keine Zeit, uns um so einen Mist wie Haushalt, Aufräumen und Putzen zu kümmern. Wir haben Besseres zu tun. Unsere Aufgabe ist es, Gitarre zu spielen und Songs zu schreiben. Den Rest können andere machen.

David seufzt. „Ja, schon, aber bei mir ist es aus dem Ruder gelaufen. Das ganze Haus war vollgestopft und völlig versifft. Ich war der totale Messie.“

Tja, Dave, erzähl mir mal was Neues. Messie war er auch schon, als wir noch zusammengewohnt haben. Und ich auch. Ich finde nichts Schlimmes daran. Es gibt Leute, die können Musik machen, und dann gibt es Leute, die können ein Haus in Ordnung halten. Das sind selten dieselben Menschen. Und da wir mit unserer Musik einen Haufen Kohle verdienen, können wir andere Menschen dafür bezahlen, dass sie in unseren Häusern Ordnung schaffen. Da muss David sich doch nicht schlecht fühlen. Ich habe auch mein Personal, das sich um die alltäglichen Dinge kümmert. Jeder Rockstar hat das. Was hat David für ein Problem damit? Das sage ich ihm natürlich auch. Dankbar guckt er mich an.

„So locker siehst du das?“, vergewissert er sich. „Ich komme mir total unfähig vor, weil ich es nicht hinkriege, Ordnung zu halten. Jedenfalls habe ich Ann zufällig getroffen, als ich mir ein neues Haus ansehen wollte. Sie hat damals für eine Maklerin gearbeitet. Ich habe sie gefragt, ob sie mir helfen kann und wieder bei mir einzieht, damit ich nicht untergehe. Und das hat sie auch gemacht.“

Back to the roots sozusagen. So, wie es damals auch angefangen hat, als Ann bei uns eingezogen ist und unseren Haushalt in Schwung gebracht hat.

Ich bin eifersüchtig. Er kann mit Ann zusammenleben. Ich nicht.

„Wie geht es ihr?“, erkundige ich mich.

Dave zuckt mit den Achseln.

„Gut. Sie probt viel mit ihrer Band und schmeißt den Haushalt. Natürlich will sie kein Geld von mir annehmen, du kennst sie ja. Sie meint, es sei mehr als genug, dass sie umsonst bei mir wohnen kann und ich das Essen bezahle. Dabei tut sie genug dafür.“

Ja, so kennen wir sie beide. Mein tapferes, kleines Mädchen. Ich spüre eine tiefe Wärme in mir aufsteigen. Sie wollte uns nie ausnutzen, sie wollte uns immer nur helfen. Sie ist wirklich ein Good Girl. Viel zu gut für einen Bad Boy wie mich. Deshalb ist sie jetzt weg, und der Bad Boy ist allein.

Mir kommt eine Idee.

„Meinst du, sie würde von mir ein bisschen finanzielle Hilfe annehmen? Schmerzensgeld sozusagen?“

Dave sieht mich überrascht an.

„Keine Ahnung. Wieso?“

„Ich habe das Gefühl, ich bin ihr noch was schuldig.“

Okay, das, was ich ihr angetan habe, kann ich mit Geld natürlich nicht wieder gutmachen. Aber dennoch. Sie kann es bestimmt gebrauchen.

Ich krame einen Scheck aus meiner Lederjacke und kritzele darauf herum. Zwanzigtausend Dollar. Ann werden sie sicher weiterhelfen, und ich merke sie nicht mal. Es wäre ein gutes Gefühl, wenn ich wenigstens irgendetwas tun könnte, das ihr hilft, anstatt ihr immer nur wehzutun. Dann werde ich sentimental und schreibe ihr eine Liebeserklärung auf einen Zettel. Es ist die Wahrheit und sie soll es ruhig wissen.

„Du meinst es wohl ernst“, erkennt David sehr richtig.

Ich nicke. „Weißt du, du hattest damals schon Recht“, gebe ich zu. „Ich wollte eine Beziehung mit Ann führen, aber ich kriege es einfach nicht auf die Reihe. Und das finde ich viel schlimmer, als wenn man nicht in der Lage ist, eine verdammte Hütte aufzuräumen. Ich will es, aber ich kann es nicht. Und es stimmt, dass sie wegen mir durch die Hölle gegangen ist. Es war genauso, wie du gesagt hattest.“

David sieht mich eine Weile an. Dann legt er seine Hand auf meine Schulter. In dieser Geste liegt eine Menge Zärtlichkeit. Wir waren eben auch mal Lover, und irgendwas von dieser Verbundenheit bleibt. Das geht nie vorbei, wenn es auch nur noch eine Erinnerung ist.

„Ich kenne dich eben ganz gut.“ Seine Stimme ist richtig sanft. „Du bist kein schlechter Kerl, Nick. Du hast eben nur viele Sachen erlebt, die du nicht verarbeitet hast. Genauso wie ich. Und das hat Auswirkungen auf unser heutiges Leben. Das weiß Ann. Sie hat wirklich viel Verständnis. Aber irgendwann ist genug auch genug. Und bei dir war es mehr als genug.“

„Ich weiß.“ Ich senke den Kopf. Dann hebe ich ihn wieder. „Aber wenn du dich jetzt doch noch umorientierst und was mit Ann anfängst, reiße ich dir die Eier ab.“

Dave lacht schallend.

„Nein, keine Sorge. Mache ich nicht.“

„Ich liebe sie nämlich.“

Mir schießen plötzlich und ungewollt Tränen in die Augen.

„Ich liebe sie und werde sie immer lieben. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es irgendwann doch noch mit uns klappt.“

„Hey, ihr beiden begnadeten Rockstars, darf ich mal kurz stören?“, hören wir eine helle Stimme und drehen uns beide um.

Vor uns steht Gloria Glorious (was für ein bescheuerter Künstlername, in Wirklichkeit heißt sie Elsie Sweats, was natürlich gar nicht geht – Elsie schwitzt!) in einem hautengen, weißen Kleid ohne BH und mit aufgestellten Nippeln. Ihre Haut ist dunkel, und sie hat ellenlange, schwarze Haare, die mit Sicherheit nicht echt sind. Genauso wenig wie ihre dramatisch langen Wimpern und die Fingernägel. Damit kann sie einem ja die Vorhaut abreißen!

Wie alle Weiber hier hat sie meterdicke Schminke im Gesicht, ohne die man sie wahrscheinlich gar nicht erkennen würde. Es ist alles so unecht hier. Ann ist echt, sie ist authentisch. Aber sie ist nun mal nicht mehr da. Es tut so verdammt weh.

„Ich möchte euch gern zu meiner Privatparty einladen“, säuselt Gloria. „Es sei denn, ihr wollt lieber zu der offiziellen Party gehen. Aber ich kann euch jetzt schon verraten, dass meine Party sehr viel aufregender werden wird.“

Das ist doch ein Angebot. Ich habe echt keine Lust, nach diesen drei langweiligen Stunden stocksteif an einer gediegenen Tafel zu sitzen und öde Konversation à la „Du bist ja so toll, und ich bin noch viel toller“ zu führen. Dann doch lieber vögeln in gehobenem Ambiente. Also, ich bin dabei!

David natürlich nicht. Er ist schwul und niemand darf es wissen, was soll er also auf einer Sexparty? Es würde nur unangenehm für ihn werden, wenn sich die Mädels an ihn ranschmeißen und er in Wirklichkeit einen Schwanz haben will.

Gloria hat einen elitären Club gemietet, wo alles vom Feinsten ist. Tische mit weißen Tüchern, Spiegel überall, schwere Teppiche, Kronleuchter, eine riesige Bar, gedämpftes Licht, leise Musik. Die erste Besonderheit ist, dass die äußerst gutgebauten Kellner nur einen winzigen String tragen und die Kellnerinnen auch. Den werden sie im Verlauf des Abends sicher noch ablegen. Ich bin ja nicht zum ersten Mal auf so einer Party. Meistens ist das Personal nicht nur zum Bedienen da, sondern auch dafür, sich den Gästen zu widmen, die niemanden abkriegen. Es soll keiner leer ausgehen.

Ich schaue mich um. Es sind einige Musiker von der Grammy Verleihung da, aber die meisten kenne ich nicht. Den Musikern ist es meistens zu peinlich, an so einer Party teilzunehmen. Man weiß nie, ob sich nicht doch ein Reporter unter die Leute gemischt hat. Dann steht nämlich morgen in der Zeitung: Grammy Gewinner auf wilder Sexparty erwischt, und das entsprechende Bild ist gleich daneben abgedruckt. Auf so eine Publicity verzichtet jeder gerne. Da gehen sie dann doch lieber auf die offizielle Feier und vögeln anschließend im Geheimen irgendein Callgirl.

„Ich hoffe, es gefällt dir hier, Nick.“

Gloria hat es offenbar heute Abend auf mich abgesehen. Klar, warum nicht? Mir ist es egal, wer meinen Schwanz kriegt. Sie soll nur mit ihren krallenartigen Nägel aufpassen. Ich grinse sie statt einer Antwort an. Sie kommt etwas näher und ich rieche ihr Moschusparfüm.

„Dir eilt dein Ruf ja voraus“, gurrt sie. „Ich habe schon viel von dir gehört. Und bis jetzt nur Positives.“

Das kann ich mir vorstellen. Wer genug kokst, kann auch stundenlang ficken. Davon war bis jetzt noch jede begeistert.

„Das freut mich“, entgegne ich.

Ist sie nicht eigentlich verheiratet? Aber das bedeutet den meisten nichts. Es ist lediglich gut fürs Image. Manche sind nur verheiratet, weil sie schwul oder lesbisch sind und das nicht an die Öffentlichkeit dringen soll.

Aber ich habe erstmal Hunger und will mich stärken. Bumsen kann ich immer noch. Ich schlendere um das Buffet herum und kann dabei zuschauen, wie sich die Gäste nicht nur die kulinarischen Köstlichkeiten aussuchen, sondern auch ihren Sexpartner. Mit hungrigen Augen fixieren sie möglichst unauffällig die anderen Anwesenden und nehmen Blickkontakt auf. Es ist sehr lustig, das zu beobachten.

Gloria ist nicht die einzige Interessentin. Die beiden Tänzerinnen von Bill Rebel schwirren um mich herum und erinnern mich an die Sucker Twins. Ich gehe davon aus, dass Bill sie nach jedem Konzert ordentlich rannimmt, zusätzlich zur Gage. Der knallt alles, was nicht rechtzeitig wegrennen kann. Aber er ist ein lustiger, umgänglicher Typ, und ich mag ihn. Schade, dass er nicht hier ist, dann könnten wir zusammen was reißen, so wie damals.

Gloria wirft den Tänzerinnen mörderische Blicke zu. Sie will mich nicht teilen, obwohl ich auch alle drei schaffen würde. Überall liegen Tütchen mit Koks herum. Die Frauen wollen es lange und hart.

Als ich mit dem Essen fertig bin, ziehe ich mir eine Line rein und zünde mir eine Zigarette an. Noch ein Drink in der Hand und ich fühle mich super. Jetzt können die Anwärterinnen kommen!

Gloria ist schon ganz ungeduldig und trippelt um mich herum. Sie kann es offenbar kaum erwarten. Schade eigentlich. Ich mag es, etwas zu spielen, zu locken und zu reizen. Okay, manchmal gefällt es mir auch, sofort loszulegen, aber heute nicht. Ich habe heute den Grammy bekommen. Das war etwas Besonderes, und ich will auch jetzt etwas Besonderes haben. Am liebsten hätte ich Ann. Ich seufze auf. Wenn ich weiterhin an sie denke, kriege ich nie einen hoch. Also pfeife ich mir vorsichtshalber noch eine Line rein.

Gloria hat jetzt keine Geduld mehr. Ohne mich zu fragen, ob ich überhaupt will, zieht sie mich hinter sich her. Zu meiner Überraschung landen wir in einer mondänen Dusche. Was will sie denn hier? Will sie mit mir baden?

Nein, das will sie nicht. Sie hat ganz spezielle Wünsche.

„Ich will, dass du mich anpinkelst“, sagt sie mit heiserer Stimme. „Piss mir zwischen meine Brüste.“

Ich starre sie an. Ist sie verrückt geworden? Das hat echt noch keine Frau von mir verlangt.

„Aber du trägst ein hunderttausend Dollar Kleid“, wende ich ein. „Das ist danach ruiniert.“

Glorias Augen fangen an zu glänzen.

„Darum ja gerade“, keucht sie. „Ich will, dass du mich beschmutzt. Ich will, dass du auf mich herabsiehst und mich besudelst.“

Oh Mann, die Frau hat offenbar gravierende psychische Probleme. Vielleicht ist ihr der schnelle Erfolg zu Kopf gestiegen. Eben noch ein mittelloses Kind aus der Bronx, von einem Tag auf den anderen der totale Superstar. Sie wird mit Preisen überhäuft, und alle schnappen über. Damit kann sie wohl nicht umgehen. Innerlich ist sie immer noch das verstoßene Kind aus den Slums. Und das will sie jetzt wieder werden. Aber nicht mit mir.

Ich schüttele den Kopf.

„Tut mir leid, das kann ich nicht. Außerdem muss ich gar nicht pinkeln.“

„Ich hole dir was zu trinken.“ Eifrig rennt Gloria zur Tür. „Was willst du haben? Ich hole dir alles, was du willst.“

Ich schüttele wieder den Kopf.

„Ich will nichts trinken, und ich will dich nicht anpissen. Ich stehe nicht auf so was.“

Mann, sie ist aber wirklich ganz schön pervers. Und krank. Nichts wie weg.

Als ich später tatsächlich pieseln muss, rennt sie mir doch glatt auf die Toilette hinterher. Jetzt ist aber mal wirklich Schluss!

„Bitte“, winselt sie und hängt sich an meinen Arm. „Du kannst doch jetzt. Bitte, Nick! Ich brauche es so sehr.“

„Was du brauchst, ist eine Therapie“, rate ich ihr. „Und jetzt lass mich los.“

Echt, ich könnte das nicht. Mir würde eher die Blase platzen, als dass auch nur ein einziger Tropfen käme. Es gibt einfach Grenzen.

Gloria heult fast, aber nicht lange. Hinter mir steht nämlich ein Bulle von Kerl, den ich noch nie gesehen habe. Er hat unser Gespräch gehört und ziert sich nicht so wie ich. Eine Minute später hat er seinen Schwanz rausgeholt und tut das, was ich nicht zu tun imstande bin. Hier sind nämlich auch Duschen. Gloria stöhnt wie verrückt, zieht ihr Kleid hoch und reibt sich wie wild zwischen den Beinen. Ich bin fasziniert und angewidert zugleich. Sowas habe ich echt noch nie gesehen.

Als der Typ fertig ist, wichst er seinen Dödel, bis er hart ist und besorgt es Gloria dann in der Dusche. Erst jetzt bemerke ich den Mann, der schon die ganze Zeit mit unbewegtem Gesicht neben dem Waschbecken steht. Er trägt eine durchsichtige Tasche, in der sich ein neues hunderttausend Euro Kleid für Gloria befindet. Damit kann sie gleich dann wieder strahlend auf der Party erscheinen und niemand wird wissen, was gerade passiert ist. Oh Mann.

Man möchte manchmal gar nicht wissen, was hinter der Fassade der sogenannten Schönen und Reichen abgeht. Die meisten sind psychisch ganz schöne Wracks. Okay, ich auch, aber anpissen lasse ich mich nicht. Never.

Die beiden Tänzerinnen sind verschwunden, also greife ich mir eine vollbusige Blonde, die höchst entzückt ist, dem Grammy Gewinner einen blasen zu dürfen. Wie in jedem guten Club gibt es Separés, und dort machen wir es dann. Es fühlt sich gut an, aber ich muss immer wieder abwechselnd an Ann und diese durchgeknallte Gloria denken. Dadurch flacht meine Geilheit ziemlich ab, und die Kleine hat nun wirklich einen Blow Job, denn es ist harte Arbeit, damit er hart bleibt. Als Dank bumse ich sie, aber es bereitet mir echte Mühe, einen Orgasmus zu kriegen. Irgendwie war es heute mehr Arbeit als Vergnügen. Mit Koks lässt sich nicht alles ausschalten. Vor allem nicht der Schmerz über eine verlorene Liebe.

Zum Glück ändert sich das wieder. Ich muss einfach mehr Drogen nehmen und mehr Sex haben. Und das tue ich dann auch. Ich ficke, so oft es geht und kokse mir mein Hirn weg. Ich mache es im Studio, zu Hause, auf Partys, nach Konzerten, in Clubs, auf der Straße, im Aufzug, in Hotels, sogar im Supermarkt mit einer Regalauffüllerin. Die Möglichkeiten sind unerschöpflich. Solange ich benebelt bin, spüre ich mein gebrochenes Herz nicht.

So auch an einem ganz normalen morgen nach einer ganz normalen Orgie. Ich stehe in der Küche und versuche, die Espressomaschine in Gang zu bringen, was mir nicht gelingt. Da kommt Sid herein geschlurft, kratzt sich am Sack und sieht mich belämmert an.

„Meine Kohle ist weg“, jammert er los. „Ich hatte gestern ein paar Tausender in meiner Lederjacke, und jetzt sind die verschwunden.“

„Wieso trägst du so viel Geld mit dir rum?“, frage ich und suche den Einschaltknopf.

Nick Winson, der Rockgott, kann einen Saal mit zehntausend Leuten zum Kochen bringen, aber nicht mal eine verfickte Kaffeemaschine?

Sid zuckt mit den Schultern.

„Wieso nicht? Mache ich immer. Man könnte es doch mal brauchen.“

„Man könnte auch seine American Express mitnehmen“, schlage ich vor. „Das hat dir bestimmt die Tussi geklaut, die gestern deinen Lolli eingesaugt hat.“

„Welche von den vieren meinst du?“

Sid runzelt die Stirn. Er konnte sich gestern mal wieder nicht entscheiden und hat einfach alle genommen. Ich war bescheidener, es waren nur zwei.

Ich zucke mit den Schultern. Ist ja auch egal, welche von den Schlampen ihm seine Kohle gestohlen hat. Die sieht er sowieso nie wieder. Die Kohle nicht und die Pussy auch nicht.

Endlich habe ich es geschafft und der Kaffee tropft in die Tasse. Stolz schaue ich dabei zu.

Sid gähnt herzhaft.

„Hast du Stoff da? Der ist nämlich auch weg.“

Ich stöhne auf und reiche ihm ein Tütchen. Sid ist immer klamm, wenn es um Koks geht. Er schnorrt sich immer durch, und das ärgert uns alle. Zumal er selbst nie was abgibt, dieser Geizhals. Eigentlich geschieht es ihm ganz recht, dass ihm jemand sein Geld weggenommen hat. Das ist ein fairer Ausgleich.

„Tyler ist übrigens voll breit und pisst gerade gegen deine Les Paul“, informiert Sid mich relativ spät.

Ich stürze an ihm vorbei. Warum sagt der Arsch das denn nicht gleich? Wenn mein Vollwichser von Sänger wirklich gegen meine Lieblingsgitarre pinkelt, war das sein letzter Tag auf dieser Erde.

Als ich wutentbrannt in meinem Zimmer lande, wo meine Klampfen stehen, liegt Tyler breitbeinig auf dem Rücken in meinem Bett und schnarcht wie eine Motorsäge. Ich renne zu meiner geliebten Les Paul und reiße sie aus dem Ständer. Zum Glück ist ihr nichts passiert, ich untersuche sie ganz genau. Tyler hat nur auf den Teppich gepisst, die alte Sau.

Überall liegt was rum. Klamotten, Essensreste, Gläser, Nutten. Die meisten pennen noch. Es war eine heiße Party letzte Nacht. Wir haben viel getrunken, viel gekokst und vor allem viel gebumst.

Das ist mein Leben. So will ich leben. Ich genieße es. Zumindest bilde ich mir das ein. Es gibt Tage, da arbeite ich hart und übe von morgens bis spät in die Nacht auf meiner Klampfe, bis zur Bewusstlosigkeit. Ich bin wie besessen, wenn ich an meinen Songs schreibe und tauche völlig ab. Oder ich probe mit der Band.

Dann gibt es wiederum Tage, da knalle ich mir die Birne zu und vögele sinnlos herum mit allem, was mir gerade über den Weg läuft. Da gibt es einfach kein Halten mehr.

Ich genieße es, frei zu sein, tun und lassen zu können, was ich will. Wenn mir eine gefällt, ficke ich sie, so what? Niemand kann es mir verbieten. Niemand sitzt da mit vorwurfsvollem Gesicht und labert mich zu, ich solle treu sein.

Ich kann das nicht. Ich will das nicht. Ich bin nur mir selbst treu. Basta.

Ann wollte mich in etwas hineinpressen, das nicht zu mir passt. Ich bin nun mal kein treuer, solider Bankbeamte, verdammt noch mal. Ich bin ein Rockstar! Rockstars nehmen Drogen und vögeln wie wild herum. Und sie pissen auf den Teppich.

Dann hat die Putzfrau wenigstens eine Aufgabe. Die kann ruhig mal was tun. Jetzt werde ich mir erst mal einen Joint reinziehen und nachsehen, ob noch irgendwo eine Pussy liegt, die mir einen blasen kann.

Long live Sex, Drugs & Rock'n'Roll.

Kapitel 2 – Ann

Ich liebte es, wieder mit David zusammenzuleben. Es war, als sei ich nach Hause gekommen. Unser Verhältnis wurde noch viel intensiver und inniger, was auch daran lag, dass nicht mehr ein eifersüchtiger Nick herumschwirrte. David verbot mir, im Haus auch nur einen Finger krumm zu machen und trug mir auf, diverse Leute einzustellen, die sich um das Haus und den Garten kümmerten.

David fühlte sich allein und wollte jemanden um sich haben. Darum wohnte ich nicht mehr in meinem geliebten Gartenhaus, sondern in Nicks ehemaligem Zimmer. Anfangs fühlte es sich etwas seltsam an, denn dort hatten wir viele heiße Stunden miteinander verbracht, aber mit der Zeit verblasste die Erinnerung immer mehr. Und schließlich war es nur noch ein wunderschönes Zimmer mit Blick auf das Meer.

Zuerst hatte ich etwas Angst, David zu stören oder ihm nicht genug Privatsphäre zu geben, doch David war sehr unkompliziert. Wenn er nicht gestört werden wollte, hängte er einfach ein Schild mit der Aufschrift Fuck off an die Tür. An zwei bis drei Tagen war er sowieso in der Stadt. Wir sprachen nicht darüber, aber mir war klar, dass er downtown Männer aufriss, um mit ihnen Sex zu haben.

Ganz selbstverständlich verbrachten wir einen Großteil des Tages miteinander. Morgens joggten wir oder drehten ein paar Runden im Pool, danach gab es Frühstück. Mittags kochte Luisa, eine italienische Frohnatur, uns etwas Schmackhaftes zu essen. Zwischendurch widmeten wir uns unserer Musik, allein oder zusammen, hingen vor dem Fernseher, gingen shoppen und fühlten uns bald wie ein altes Ehepaar.

Für David war es wichtig, dass er eine Tagesstruktur hatte. Sobald ich ein paar Tage bei Sandy war, versackte er völlig. Wenn ich wiederkam, sah es aus, als seien diverse Bomben eingeschlagen und ich war tagelang damit beschäftigt, alles wieder aufzuräumen. Infolgedessen blieb ich nie länger als zwei Tage bei Sandy, weil ich mich verpflichtet fühlte, wenigstens das Haus in Ordnung zu halten. Schließlich wohnte ich umsonst dort und David bezahlte die Lebensmittel und auch sonst alles.

Ich verbrachte mit David wesentlich mehr Zeit als mit Sandy. Sandy unternahm viel mit ihren zahlreichen Freunden und war oft sportlich unterwegs. Sie war wild und umtriebig und selten zu Hause. Ihr Tempo stresste mich manchmal, und ich hing lieber faul mit David im Garten oder am Pool herum. Manchmal taten wir das auch zu dritt oder es kamen noch unsere Bandkollegen vorbei. Es war eine schöne Zeit, und ich genoss sie in vollen Zügen. Endlich keine Auseinandersetzungen mehr, kein Streit, keine Tränen. David tat mir gut, und Sandy tat mir gut. Ich hörte auf, Nick zu vermissen.

Smash hatte jeden Monat etwa fünf Auftritte, und allmählich legte sich unsere Nervosität. Es machte uns immer mehr Spaß, vor Publikum aufzutreten. Wir probten drei Mal in der Woche und hatten etwas mehr Freizeit als in unserer Anfangsphase, als wir fast jeden Tag im Übungsraum gewesen waren. David hatte Sandy einen Job als Studiomusikerin besorgt, bei dem sie sehr gut verdiente und sich ein viel schöneres Apartment leisten konnte.

Sie war etwas enttäuscht, als ich es ablehnte, dort mit einzuziehen, aber ich wollte David nicht im Stich lassen. Tatsächlich hatte ich den Eindruck, dass er mich brauchte, um sein Leben auf die Reihe zu kriegen. Nicht das Leben als Musiker, sondern das ganz normale Leben abseits des Ruhms. Er schien nicht in der Lage zu sein, seinen Tag zu organisieren und gammelte lieber vor sich hin. Wenn ich mich nicht darum kümmerte, verschlampte David alles und suchte den ganzen Tag irgendwelche Dinge. Er hasste es, sich um die banalen Alltäglichkeiten zu kümmern. Er fühlte sich zu Höherem berufen – und das war er zweifelsohne auch. Aber auch ein Gitarrengott musste ab und zu essen oder auf die Toilette gehen. Und das, was er dazu brauchte, besorgte ich, denn David interessierte das nicht die Bohne. Es sollte einfach immer alles wie von Zauberhand da sein.

Aber es war nicht nur das. Ich fühlte mich auch emotional für ihn verantwortlich. Manchmal kroch er nachts zu mir ins Bett, weil er sich einsam fühlte. Zuerst schlief jeder brav auf seiner Seite, aber nach ein paar Nächten legte ich zaghaft den Arm um ihn. Ich hatte das Gefühl, dass er gerade diese unschuldige Zärtlichkeit dringend brauchte.

Als ich Sandy etwas schuldbewusst davon erzählte, lachte sie nur. Sie war selbst sehr offen und nahm ihre Freunde gern und oft in den Arm. Ich war froh, dass sie mir keine Szene machte, so wie Nick mir eine gemacht hätte.

David hatte ihr angeboten, mit in sein Haus zu ziehen, doch das wollte sie nicht. Sie mochte es nicht, „Almosen” anzunehmen und wollte lieber ihr eigenes Reich haben. Manchmal war sie ein paar Tage lang bei uns, und das war dann immer besonders schön. Sandy brachte viel Pep in Davids und mein beschauliches Leben. Sie scheuchte uns erbarmungslos herum und trat uns in den Hintern, weil sie der Meinung war, wir würden zu viel herumhängen. Damit hatte sie nicht ganz unrecht.

Manchmal fand ich meine Lebenssituation schon etwas skurril, wenn ich darüber nachdachte. Ich, die eigentlich auf Männer stand, war mit einer Frau zusammen. Ich lebte bei einem schwulen Mann, an den ich mich nachts ankuschelte – und er war der Ex-Lover meines Ex-Freundes. Vom Verstand her fand ich das alles ziemlich schräg, aber es fühlte sich trotzdem gut und richtig an. Also beschloss ich, mir nicht zu viele Gedanken zu machen, sondern es einfach zu leben.

Debbie hatte ihren verhassten Supermarkt-Job an den Nagel gehängt. Sie war mittlerweile so gut, dass sie oft als Background-Sängerin oder Rhythmus-Gitarristin angeheuert wurde. Auch da hatte David seine Finger im Spiel gehabt. Serena arbeitete nach wie vor als Studiogitarristin. Es ging uns allen sehr viel besser als am Anfang, und dazu hatte David nicht unerheblich beigetragen. Ich war ihm zutiefst dankbar und liebte ihn wie einen Bruder.

Eigentlich lief also alles ganz wunderbar, aber ich wurde immer unzufriedener, weil sich mit Smash einfach nichts Entscheidendes tat und wir nicht weiterzukommen schienen.

„Was können wir denn tun? Ich meine, womit könnte man die Sache vorantreiben?“, fragte ich ungeduldig, als wir wieder einmal mit Mike zusammensaßen und darüber diskutierten, wie wir die Welt erobern konnten.

Mike runzelte die Stirn.

„Was euch vielleicht weiterhelfen könnte, wäre, eine Single auf den Markt zu bringen“, überlegte er. „Das würde die Chance erhöhen, in diversen Rundfunkanstalten gespielt zu werden. Dann könnte man über eine kleine Tournee als Vorgruppe nachdenken.“

„Und ohne Single geht das nicht?“, fragte Debbie.

„Schlecht. Die Veranstalter buchen keine Band, von der es nicht mal eine Kleinrille gibt. Das ist nahezu unmöglich.“

„Und was kostet es, eine Single aufzunehmen?“, erkundigte ich mich.

Mike seufzte. „Ich glaube, das können wir vergessen. Mindestens zehntausend.“

Wir zuckten alle zusammen.

„Warum ist das denn so teuer?“, fragte ich verstört.

„Erst mal dauern die Aufnahmen länger, als ihr wahrscheinlich glaubt. Die Verspieler, die ihr damals auf dem Demo Tape gehört habt, sind nichts gegen die, die sich in einem Tonstudio offenbaren. Ihr müsst absolut exakt spielen, und das ist sehr zeitaufwendig. Diese Zeit kostet natürlich Geld, denn die Mieten für ein Tonstudio sind sehr hoch. Dann wollen der Tontechniker und die Plattenpresserei bezahlt werden, und das Cover muss auch gedruckt werden.“

„Das kann man wirklich vergessen“, seufzte Serena resigniert. „So viel Geld haben wir nicht.“

„Doch“, widersprach ich und erinnerte mich an die zwanzigtausend Dollar, die ich noch nicht angerührt hatte. Sandy hatte sich natürlich standhaft geweigert, von Nicks Geld auch nur einen Cent anzunehmen.

„Lieber schlafe ich in der Mikrowelle und fahre mit dem Bus“, hatte sie erklärt.

Ich hatte sie sogar verstanden. Auch ich hatte mich schwergetan, etwas von dem Geld zu nehmen und es erst mal auf ein Konto gepackt.

Vier Augenpaare sahen mich erstaunt an.

„Seit wann das denn? Haben wir ein Geschäftskonto, von dem ich nichts weiß?“, wollte Serena wissen.

„Nick hat David bei der Grammy Verleihung einen Scheck für mich mitgegeben“, informierte ich sie. „Das habe ich euch doch erzählt. Wieso hört ihr mir eigentlich nie zu?“

„Sag bloß, das Geld hast du noch?“, fragte Serena erstaunt.

„Natürlich“, erwiderte ich. „Ich habe noch keinen Cent davon ausgegeben. Also, wenn die Produktion einer Single am Geld scheitern sollte, stelle ich uns die Kohle natürlich zur Verfügung.”

„Das würdest du wirklich tun?“, fragte Debbie ungläubig. „Immerhin gehört es dir, und wenn du Pech hast, ist es für immer weg.“

Ich zuckte die Achseln.

„Dann ist das eben so. Ich habe schon so viel von allen möglichen Leuten bekommen. Ich kann auch ruhig mal einen winzigen Teil zurückgeben. Außerdem bleibt mir die Hälfte.“

Ich dachte an Davids Großzügigkeit und seine Worte „Wer genug hat, kann auch mal was abgeben.“ Das fand ich auch. Ich wollte endlich mal etwas geben, anstatt immer nur zu nehmen.

„Das finde ich wirklich spitze von dir.“

Serena tätschelte meinen Arm. Sandy, Debbie und Mike stimmten ein.

„Du kannst sofort einen Termin im Tonstudio vereinbaren“, wandte ich mich an Mike.

„Halt, halt“, stoppte Mike mich. „Übt zuerst die Songs, die ihr aufnehmen wollt, denn Zeit ist Geld.“

„Wir können unsere Songs im Schlaf spielen“, behauptete Serena kühn.

„Das wird sich im Studio noch zeigen“, brummte Mike.

Wir probten unsere beiden Lieblingsstücke so lange, bis wir sie für vollkommen hielten – und bis wir sie nicht mehr hören konnten.

Aufgeregt und gespannt auf die Dinge, die folgen würden, fanden wir uns eine Woche später in einem kleinen Tonstudio wieder. Wie üblich wurde mit der Aufnahme des Schlagzeugs begonnen, dann war ich an der Reihe. Ich hörte das Schlagzeug vom Band und das Metronom, während Serena und Debbie zwar mitspielten, selbst aber nicht aufgenommen wurden.

Ich hatte mir alles wesentlich einfacher vorgestellt und flippte fast aus, als ich ständig um den Bruchteil einer Zehntelsekunde neben dem Takt lag. Im Gegensatz zu Sandy hatte ich überhaupt keine Geduld. Ich hätte am liebsten alles hingeworfen und wäre nach Hause gegangen.

„Ich schaffe es einfach nicht!“, schrie ich erbost und stampfte mit dem Fuß auf. „Dieses blöde Metronom macht mich noch verrückt. Ich kann einfach nicht exakt dazu mitspielen. Es geht nicht!“

„Doch, du kannst“, entgegnete Serena. „Komm, mach mal eine kurze Pause, dann klappt es gleich besser.“

Stöhnend ließ ich mich auf den nächsten Stuhl fallen.

„Ich zittere schon vor lauter Anstrengung. Außerdem läuft mir der Schweiß in Strömen den Rücken runter. Könnt ihr euch vorstellen, wie das sein wird, wenn wir eine ganze LP einspielen?“

„Hauptsache, wir kriegen erst mal den einen Song hin“, seufzte Debbie.

„Wenn ich so weitermache, schaffen wir das in diesem Jahr aber nicht mehr“, prophezeite ich.

Sandy klopfte mir beruhigend auf die Schulter.

„Reg dich nicht auf, Baby, das wird schon“, machte sie mir Mut und kniff mir ein Auge.

Ich biss meine Zähne zusammen und unterdrückte mühsam einen Tobsuchtsanfall. Irgendwann, als ich die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, klappte es endlich.

Als Serena und Debbie ihre Gitarrenparts aufnahmen, zogen Sandy und ich es vor, den Ort des Schreckens zu verlassen. Wir konnten sowieso nichts mehr tun.

Abends hörte David amüsiert zu, als ich ihm mein Leid klagte.

„Tja, Prinzessin, Geduld ist wohl nicht gerade deine Stärke, was?“, charakterisierte er mich und grinste.

„Das habe ich auch gerade festgestellt“, stöhnte ich. „Ich tippe mal, das Tonstudio wird sich nicht unbedingt zu meinem Lieblingsort entwickeln.“

David lachte. „Das kenne ich. Aber es ist ein wichtiger Schritt. Es ist gut, wenn ihr zumindest eine Single auf dem Markt habt. Ich könnte da vielleicht was anleiern, aber das sage ich euch erst, wenn es definitiv ist.“

„Was denn? Bitte, David, sag es“, bettelte ich und hängte mich an seinen Arm.

David schüttelte den Kopf.

„Du brauchst deinen Sex-Appeal gar nicht an mich zu verschwenden. Streng dich bloß nicht an, es ist vergebliche Mühe.“

„Komm, Baby“, schmeichelte ich. „Du wirst deinem Schwesterchen doch wohl verraten, was du ausgeheckt hast, oder?“

David gab mir einen Kuss auf den Mund. Er war da ganz locker, und auch Sandy störte sich nicht daran.

„Erst, wenn es sicher ist. Sonst freut ihr euch, und dann klappt es am Ende gar nicht.“

„Jetzt hast du mich aber auch neugierig gemacht“, mischte Sandy sich ein. „Also los, lieber Schwager, erzähle uns dein Geheimnis.“

David grinste. „Schwager ist gut. Ann, du weißt, dass in Amerika auch zwei Frauen heiraten können, oder?“

„Jaja“, erwidere ich ungeduldig. „Jetzt lenk nicht vom Thema ab, und rück endlich mit der Sprache raus.“

„Na gut“, wurde David weich und setzte seine geheimnisvollste Miene auf. „Also …“

Er legte eine kunstvolle Pause ein.

„Ich habe mit Kenny gesprochen. Wir suchen für unsere nächste Tour noch eine Vorgruppe und vielleicht … wenn ihr immerhin eine Single vorweisen könntet …“

Ich hielt den Atem an. Um mich herum drehte sich alles.

„Du willst doch nicht im Ernst behaupten, wir hätten auch nur im Entferntesten die Chance, mit der absoluten Supergruppe Rising Star zu touren?“, schrie ich los und brach in Indianergeheul aus.

David nickte. „Doch, die Chance besteht durchaus. Ich kriege Kenny schon rum. Ihr habt das große Plus, dass ihr eine rein weibliche Formation seid und das etwas Besonderes ist. Außerdem haben wir viele männliche Fans, und da kommt ihr sicher gut an.“

Sandy verzog das Gesicht.

„Das ist aber ein tolles Kompliment an unsere Musik.“

„Vorläufig sollten wir dankbar sein, wenn sich überhaupt jemand für uns interessiert – egal, aus welchem Grund.“

Ich war da nicht so anspruchsvoll.

„Wenn sich unsere Single gut verkaufen würde und wir endlich mal was damit verdienen würden, anstatt immer nur draufzuzahlen, wäre das super. Mir wäre es völlig egal, warum sie sich verkauft. Hauptsache, sie tut es und wir machen Karriere.“

David blickte von einer zur anderen.

„Wann weißt du denn definitiv Bescheid?“, wollte Sandy wissen.

„Ich schätze, in etwa drei Wochen fällt die Entscheidung“, gab David bekannt.

„Ich fände das einfach Wahnsinn“, schwärmte ich. „Egal, warum wir genommen werden würden – es wäre eine Riesenchance.“

Sandy hatte sich noch mit einer Freundin verabredet, und David legte sich wie so oft ganz selbstverständlich neben mich ins Bett. Ich konnte kaum schlafen vor lauter Aufregung und nervte David so lange, bis er sich Watte in die Ohren steckte und einen Ohnmachtsanfall simulierte. Ich stürzte mich mit Gebrüll auf ihn und wir lieferten uns eine lustige Kissenschlacht, bis ich lachend auf ihm lag und er meine Handgelenke festhielt. Plötzlich hörte er auf zu lachen und zog meinen Kopf ein Stück weit zu sich hinunter. Mein Herz hämmerte wie verrückt. Unsere Lippen waren nur noch wenige Millimeter voneinander entfernt, als er mich abrupt losließ. Dann drehte er sich um und ich starrte auf seinen Rücken. Ich zuckte zusammen, als ich merkte, dass er anfing zu weinen. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seine Schulter und streichelte ihn.

„Es ist alles gut“, flüsterte ich. „Ich bin bei dir.“

David holte tief Luft. Dann drehte er sich zu mir herum und sah mich mit einem unendlich traurigen Blick an.

„Ann, es ist unglaublich schön mit dir“, sagte er leise. „Ich genieße es sehr, mit dir zusammen zu sein und Zeit mit dir zu verbringen. Ich fühle mich wahnsinnig wohl mit dir. Und ich würde furchtbar gern richtig mit dir zusammen sein. Aber ich kann es nicht.“

Irgendwie hatte ich diese Worte doch schon mal gehört. War das nicht Nicks Ansprache gewesen, als er mir erklärt hatte, warum unserer ersten Liebesnacht nichts mehr folgen sollte?

Ich nahm Davids Hand in meine und zögerte. Es war eine saublöde Frage: Warum bist du eigentlich schwul? Die konnte ich ihm nicht ernsthaft stellen.

„Du willst wissen, warum ich es nicht kann.“

David sah mich aus seinen wunderschönen blauen Augen an.

„Du willst wissen, warum ich schwul bin.“

Er konnte offenbar meine Gedanken lesen.

„Gibt es denn dafür eine Erklärung? Ist das nicht einfach so?“

David schüttelte den Kopf.

„Bei mir gibt es eine Erklärung. Sie ist allerdings furchtbar.“

Er holte tief Luft. „Willst du es hören?“

Die Parallelen waren frappierend. Genau das hatte Nick auf dem Flug nach New York gefragt, bevor er mir seine leidvolle Lebensgeschichte erzählt hatte. Was würde jetzt kommen? Und was sahen die beiden Männer eigentlich in mir, dass sie sich ausgerechnet mich ausgesucht hatten, um sie zu heilen? Wie sollte ich das mit meinen 19 Jahren denn machen? Ich hatte doch überhaupt keine Ahnung von dieser dunklen Welt, aus der sie offenbar kamen. Oder vielleicht gerade deshalb?

„Ja“, sagte ich. „Wenn du willst, erzähl es mir.“

David senkte seinen Blick.

„Ich habe noch nie darüber gesprochen. Es weiß keiner, nicht mal Nick. Ich schäme mich so dafür, obwohl ich selbst nichts dafür kann. Aber ich fühle mich so besudelt, so beschmutzt ... Ich muss mich übergeben, wenn ich daran zurückdenke.“

Er begann zu zittern. Eine Klammer legte sich um mein Herz. Was würde jetzt kommen? Ich hatte immer geahnt, dass es etwas Schweres in Davids Leben gab. Er war nicht einfach nur so schwul, weil er eben auf Männer stand. Mir war immer klar gewesen, dass irgendetwas passiert war, das ihn dahin gebracht hatte. Und jetzt würde er es mir sagen.

David sprang aus dem Bett und stellte sich mit dem Kopf zur Wand. Offenbar konnte er mich jetzt nicht ansehen. Er holte noch einmal tief Luft.

„Ich war dreizehn”, begann er stockend. „Ich lag im Bett und machte es mir selbst, da … da kam meine Mutter ins Zimmer. Sie lachte und grölte, dass das doch Verschwendung sei, wo ich der einzige Mann im Haus sei. Mein Vater war zu der Zeit schon tot. Sie hielt nichts von Verschwendung. Sie zog ihren Rock hoch und setzte sich kurzerhand auf mich drauf.“

David griff nach einer Flasche Wein, die auf dem Nachttisch stand. Als er sie an die Lippen setzte, zitterte seine Hand. Ich fuhr erschrocken zusammen. Darauf war ich nicht im Entferntesten gefasst gewesen.

„Was? Deine eigene Mutter? Du bist von deiner eigenen Mutter vergewaltigt worden?“

Ich konnte es kaum aussprechen, so ungeheuerlich fand ich das.

David lachte bitter auf.

„Ja, meine eigene Mutter. Da, wo ich rausgekommen war, sollte ich auch wieder rein, wie sie mir sagte. Von diesem Tag an ließ sie mich nicht mehr in Ruhe und fingerte ständig an mir rum. Ich wollte nicht, aber ich war ein hormongesteuerter Teenager. Da musst du nicht erregt sein, um eine Erektion zu haben. Wenn ich die dann hatte, zog sie sich schnell aus und dann … Oh Gott, es war so grässlich.“

Er ballte seine Hände zu Fäusten und stöhnte gequält auf.

Ich war völlig geschockt und brachte kein Wort heraus. Ich konnte nicht mal irgendetwas denken, geschweige denn sagen.

„Ich habe heute noch Albträume davon. Manchmal werde ich nachts schweißgebadet wach und denke, sie kommt wieder ins Zimmer, um auf mich draufzusteigen. Ann, es war so gottverdammt eklig, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Es war so widerlich, dass ich danach nie mehr eine Frau anfassen konnte. Ich habe es versucht, aber für mich hatten sie alle den Körper meiner Mutter. Ich wollte das einfach nicht mehr spüren.“

David hatte Mühe, seine Tränen zurückzuhalten. Dann rannte er plötzlich wie von der Tarantel gestochen ins Bad und ich hörte, dass er sich übergab.

Ich begann zu zittern. Die Tränen liefen mir in Strömen die Wangen hinunter. Das also war Davids furchtbares Geheimnis. Was für tiefes Leid hatte er erfahren müssen. Mein Herz quoll über vor Mitgefühl. Es sprengte komplett mein Vorstellungsvermögen. Eine Mutter war dazu da, ihr Kind zu behüten und beschützen – nicht, um es zu quälen. Was diese kranke Frau getan hatte, war ungeheuerlich.

Jetzt begriff ich plötzlich, warum David dankbar war, wenn ich ihm sagte, was er zu tun hatte. Wahrscheinlich hatte er das in seiner Kindheit mit seiner eigenen Mutter nie erlebt. Er holte mit mir irgendetwas nach. Ich war für ihn seine Mutter, die sich um ihn kümmerte. Und ich verstand, was David und Nick zueinander hingezogen hatte. Sie waren beide in ihrer Kindheit misshandelt worden und hatten deshalb ein tiefes Verständnis füreinander. Doch zwei verwundete Seelen konnten sich nicht immer gegenseitig heilen.

Nach einer Weile kehrte David bleich und völlig fertig zurück. Ich stand auf und ging auf ihn zu.

„Es ist so entsetzlich.”

Ich griff zaghaft nach seiner Hand und drückte sie. Ich wusste kaum, wie ich mich verhalten sollte.

„Du tust mir so leid. Ich kann gar nichts dazu sagen, so geschockt bin ich. Mir fällt überhaupt nichts ein, das dich irgendwie trösten könnte.“

„Halt mich einfach fest”, murmelte David.

Ich nahm ihn in meine Arme und streichelte seinen Rücken. In mir tobte es. Hass auf diese kranke Frau, die ihn missbraucht hatte, wechselte ab mit tiefem Mitgefühl für seine geschundene Seele und großer Hilflosigkeit. Was konnte ich schon sagen oder tun, um ihn zu trösten? Es gab nichts, das diese widerliche Ungeheuerlichkeit wieder ungeschehen machen konnte.

Lange Zeit standen wir engumschlungen da, und ich spürte, wie David sich ganz langsam etwas entspannte.

„Lebt deine Mutter noch?“, wollte ich wissen.

David schüttelte den Kopf.

„Nein. Und es tut mir nicht leid. Ich bin froh darüber. Sie hat es nicht besser verdient. Sorry. Ich kann ihr nicht vergeben. Ich weiß, es wäre für mich besser, wenn ich es könnte, aber ich kann es einfach nicht.“ Seine Augen wurden feucht.

„Dieser ganze Selbsthass … Das habe ich ihr zu verdanken. Das wird wohl auch nie weggehen.“ Er seufzte resigniert auf.

„Wahrscheinlich nehmt ihr alle Drogen, um den ganzen Mist aus eurer Kindheit zu vergessen”, sagte ich eher zu mir selbst als zu David und dachte an Nicks Geschichte.

David nickte zustimmend.

„Das ist ganz sicher so. Und wir wollen alle geliebt werden, darum wollen wir berühmt sein. Die Fans sollen uns das geben, was uns unsere Eltern nicht gaben und was wir uns selbst nicht geben können. Nur leider funktioniert das nicht. Darum die Drogen. Und auch das klappt nicht. Kein Stoff der Welt kann mich dieses Ekelgefühl vergessen lassen, das ich hatte, wenn diese Schlampe ihre Krallen nach mir ausfuhr. Ich muss heute noch kotzen, wenn ich nur daran denke.“

David ballte seine Hände zu Fäusten. Der Schmerz und der Hass in seinen Augen erinnerte mich an Nick, als er mir von seiner Kindheit erzählt hatte. Auch in seinen Augen hatte viel Schmerz und Leid gelegen.

David sah mich eindringlich an.

„Ann, du erzählst das aber niemandem. Nicht mal Sandy, okay?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Wenn du das nicht willst, natürlich nicht, das ist doch klar.“

David stöhnte laut auf.

„Ich will jetzt auch nicht mehr über das Thema reden. Ich will nichts mehr darüber hören. Stell mir keine Fragen, ja? Quäl mich nicht.“

Ich streichelte sanft seine Hand.

„Nein, das tue ich nicht. Danke, dass du es mir gesagt hast. Danke für dein Vertrauen. Willst du heute Nacht lieber allein bleiben?“

David nickte. „Das ist wohl besser. Ich werde sicher noch eine ganze Weile mit Heulen beschäftigt sein.“

Es zerriss mir das Herz, zu wissen, dass David in seinem Bett lag und sich die Seele aus dem Leib weinte, aber dabei musste er allein sein. Bei seiner Trauer und seinem Zorn konnte ihm niemand helfen, das musste er rauslassen und ausleben, um es irgendwann zu überwinden.

Kapitel 3- Ann

Nachdem Serena und Debbie zwei Tage allein im Studio verbracht hatten, gesellten Sandy und ich uns wieder zu ihnen. Ich sollte bei der B-Seite den Leadgesang übernehmen, und der Backgroundgesang für beide Stücke von uns allen fehlte auch noch. Das Singen empfand ich als noch komplizierter als den Bass. Ich war so mit den Nerven am Ende, dass ich kurz davor war, die Singerei jemand anderem zu übertragen. Außerdem war ich abends total heiser.

„So eine Schinderei“, schimpfte ich. „Ich bringe keinen Ton mehr raus.“

„Ist doch toll, da komme ich mal wieder zu Wort.“

Sandy verlor ihre gute Laune nur äußerst selten.

„Komm, Darling, ich habe dir einen Tee gemacht. Das wird schon wieder.“

Ich kuschelte mich in ihre Arme, und alles war wieder gut. Mit Sandy war einfach alles gut. Sie war immer fröhlich und bestens gelaunt, und nach Davids Offenbarung am Abend zuvor war das genau das, was ich jetzt brauchte.

Nach all den Anstrengungen stand immer noch der Gesang für die A-Seite aus, den zum Glück Serena übernahm. Den Backgroundgesang hatten wir nach endlosen Versuchen im Kasten. Dann war endlich alles fertig, und wir selbst auch.

Wir hatten über eine Woche jeden Tag mindestens zehn Stunden im Studio verbracht. Aber es hatte sich gelohnt: Die beiden Songs klangen einfach saugut.

Mit dem Ergebnis der Masterkopie, von der dreitausend Singles gepresst werden sollten, waren wir sehr zufrieden. Für das Cover wurden in einem Fotostudio unzählige Fotos geschossen. Davon suchten wir uns die schönsten aus und machten uns auf den Weg zu der Redaktion eines Hardrock-Magazins. Dort versprach man uns, einen zweiseitigen Bericht in Farbe über uns zu bringen, und wir schwebten gleich drei Meter über dem Boden.

„Schade, dass es noch nicht offiziell ist, dass wir die Tour mit Rising Star machen“, fand ich. „Das wäre eine tolle Werbung.“

Mike, in dessen Büro wir uns eingefunden hatten, runzelte die Stirn.

„Glaubt ihr nicht, dass es zu früh ist, um mit so einer berühmten Band auf Tour zu gehen?“

Überrascht sahen wir ihn an.

„Warum das denn?“

Mike wiegte den Kopf hin und her.

„Ich will euch keineswegs eure musikalischen Qualitäten absprechen, denn die besitzt ihr zweifellos. Bloß: Von einer Vorgruppe, die für eine so bekannte Band eröffnet, erwartet man einiges. Wenn ihr mit einer Band spielen würdet, die kleiner ist, wären die Ansprüche des Publikums nicht so hoch. Wenn ihr bei Rising Star durchfallt, könnte euch das wirklich schaden. Über die Tournee wird es massenweise Berichte geben, auch über die Vorgruppe. Und wenn die negativ sind, habt ihr keine gute Zukunft.“

Wir schwiegen betreten und sahen uns desillusioniert an.

„Außerdem müsst ihr euch über eins im Klaren sein“, sagte Mike nachdrücklich. „Die Tour dauert zwei volle Monate. Was auch immer in der Zeit passiert: Ihr müsst weitermachen. Wenn ihr an den ersten drei Abenden durchfallt, könnt ihr nicht einfach aufhören. Ihr müsst dann auch die nächsten dreißig oder vierzig Konzerte durchziehen. Das ist auch körperlich kein Kinderspiel. Ihr müsst richtig fit sein. Bei einer kleinen Tournee von zwei Wochen wäre das besser zu managen. Die kriegt man immer hin.“

Wir schwiegen eine Weile. Jede hing ihren Gedanken nach. War es wirklich noch zu früh? Wollten wir zu schnell zu viel? Waren wir noch gar nicht so weit? Überschätzten wir uns gnadenlos?

„Du beschreibst das Szenario, dass wir beim Publikum nicht gut ankommen“, sagte Serena schließlich. „Aber angenommen, die Fans akzeptieren uns: Das könnte dann wirklich so was wie ein Durchbruch sein.”

„Ich weiß nicht, ob ihr schon reif für so etwas Großes seid“, gab Mike zu bedenken. „Ihr habt erst zwanzig Auftritte hinter euch, das ist nicht viel. Ich bezweifele, dass diese Erfahrungen ausreichen. Bis jetzt habt ihr vor maximal vierhundert Zuschauern gespielt. Bei der Tour würdet ihr in einer Halle mit zehntausend Leuten auftreten. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Da müsste eigentlich ein Zwischenschritt kommen.“

„Aber diese Chance können wir uns nicht entgehen lassen“, fand ich. „Du siehst doch selbst, dass wir so nicht weiterkommen. Wir müssen einfach was unternehmen. Dann gehen wir das Risiko eben ein. Es kann immerhin auch gut ausgehen.“

Mike seufzte. „Ihr seid also wirklich fest entschlossen?“

Wir nickten eifrig.

„Mut habt ihr, das muss ich euch lassen.“ Mike lächelte. „Ich bin zwar nicht ganz davon überzeugt, dass es zu diesem Zeitpunkt richtig ist, aber ich kann mich irren. Wenn es fest ist, sprechen wir die Verträge gründlich durch.“

Eine Woche später teilte David uns offiziell mit, dass es geklappt hatte. Wir überschrien uns fast vor Freude und feierten die ganze Nacht ausgelassen eine wilde Party.

Ein paar Tage später saßen wir mit glühenden Gesichtern und völlig aufgeregt in Mikes Büro und hielten die Verträge in den Händen.

„Ich verstehe kein Wort“, stöhnte ich. „Kann mir das jemand auf Deutsch übersetzen?“

„Tröste dich, ich kapiere auch nichts“, meinte Serena. „Aber das kennt man bei Verträgen ja. Die sind immer so formuliert, dass niemand weiß, was drinsteht.“

„In meinem früheren Leben war ich Jurist“, verriet Mike. „Ich erkläre euch das alles.“

In den nächsten Stunden überschüttete er uns mit einer Fülle von Informationen, und uns surrten die Köpfe.

„Ihr dürft tatsächlich die P.A. der Jungs nutzen, das ist super“, freute sich Mike. „Zu meiner Verwunderung wohnt ihr in denselben Hotels. Seltsam, dass der Veranstalter das zahlt. Da haben die Jungs sicher ein gutes Wort für euch eingelegt oder sogar auf einen Teil ihrer eigenen Gage verzichtet. Freundschaft ist in dieser Branche alles. Oder was auch immer. Nicht wahr, Ann?“ Dabei grinste er mich an.

„Ich habe nichts mit David“, stellte ich zum hundertsten Mal klar. „Wann glaubst du mir das endlich?“

„Nie“, erwiderte Mike. „Dazu seid ihr einfach ein zu schönes Paar. Ist auch nicht so wichtig. Aber ihr passt rein optisch super zusammen.“

Ich schwieg. Manchmal hatte ich den Eindruck, Sandy zu verraten, aber wir waren uns einig, dass es für unseren Erfolg nicht gut gewesen wäre, unsere Beziehung publik zu machen. Das Ego der männlichen Fans hätte es nicht verkraftet, wenn die Musikerinnen nicht auf Männer standen.

Doch ich sah das merkwürdigerweise gar nicht so. Obwohl ich mit Sandy zusammen war und mit ihr logischerweise auch Sex hatte, sah ich mich nicht mal als bi an. Sandy amüsierte sich köstlich darüber und lachte sich über ihren eigenen Satz „Sie glaubt immer noch, sie ist hetero“ regelmäßig kaputt. Tatsächlich hielt ich mich für hetero, bis eben auf die große Ausnahme, die Sandy hieß. Ich hätte mir niemals vorstellen können, etwas mit einer anderen Frau anzufangen. Ich war „hetero plus Sandy“.

In den nächsten vier Wochen, die uns bis zum Start der Tournee blieben, zogen meine drei Bandkolleginnen in Davids Villa ein und gaben ihre Jobs auf, damit wir uns intensiv vorbereiten konnten. David hatte ein Abo bei einem Catering organisiert und wollte nichts von einer Kostenbeteiligung hören.

„Übt lieber und blamiert uns nicht“, waren seine Worte. „Das ist viel wichtiger.“

Eine Woche vor der Tournee kam er in mein Zimmer und kaute nervös auf seinen Fingernägeln herum.

„Ann, kann ich dich um einen Gefallen bitten?“

„Jederzeit, das weißt du doch.“ Ich lächelte ihn an.

David setzte sich neben mich.

„Kenny hat mich gerade angerufen. So langsam sickert wohl durch, dass ich für Frauen nichts übrighabe. Das gefällt Kenny überhaupt nicht. Er meint, wir könnten dadurch eine Menge Fans verlieren. Hättest du was dagegen, wenn ich dich bei unserer Pressekonferenz offiziell als meine Freundin vorstelle? Irgendwer hat Wind davon gekriegt, dass wir zusammenwohnen und natürlich gleich eine tolle Love-Story daraus gemacht. Dass wir jetzt auch noch zusammen auf Tournee gehen, weil wir uns nicht voneinander trennen können, tut ein Übriges. Allerdings gibt es innerhalb der Crew ein paar Leute, denen man nicht trauen kann und die der Presse die Wahrheit erzählen könnten.“

Er seufzte und sah mich bittend an.

„Im Klartext heißt das, dass wir uns wenigstens ab und zu ein Zimmer teilen müssten. Sonst wirkt das alles etwas seltsam. Glaubst du, du könntest es aushalten, ein paar Mal auf Sandy zu verzichten und bei mir schlafen? Ich habe eine Suite, und da gibt es sowieso mehrere Betten. Es wäre wirklich wichtig für mich.“

„Kein Problem“, erwiderte ich, ohne zu überlegen. „Das ist doch überhaupt keine Frage. Du bist mein bester Freund und hast schon so viel für mich getan. Ich bin froh, wenn ich dir auch mal einen Gefallen tun kann.“

David grinste. „Wir können ja Fernsehen gucken, während alle denken, wir geben uns einer heißen Liebesnacht hin.“

Wir lachten.

„Danke.“ David umarmte mich. „Du bist ein Schatz. Jetzt müssen wir nur noch absprechen, wann wir uns wo kennengelernt haben und wie lange wir schon zusammen sind. Es wäre peinlich, wenn du den Reportern was völlig anderes erzählen würdest als ich.”

Und so dachten wir uns eine abenteuerliche Geschichte aus, wie wir uns kennengelernt hatten und warum wir uns ineinander verliebt hatten.

Die Zeit raste, und ehe wir uns versahen, war es so weit: Die Tournee begann mit dem ersten Konzert in Los Angeles. Wie aufregend!

Serena stieß mich auf dem Weg zur Halle in die Seite.

„Weißt du noch, als ich dich auf das Konzert von den Jungs mitgenommen habe? Es scheint hundert Jahre her zu sein. Damals haben wir noch die Sattelschlepper bestaunt. Und jetzt gehen wir mit genau diesem Equipment selbst auf Tour, wenn wir es auch nur zu einem Bruchteil benutzen.“

„Das ist der pure Wahnsinn.“ Ich atmete tief durch. „So ganz fassen kann ich es immer noch nicht. Es ist so viel passiert in den letzten Monaten.“

Es waren noch zehn Stunden bis zum Konzert. Auf der Bühne herrschte bereits reger Betrieb. Kabel wurden verlegt, Boxen aufgebaut, das Mischpult angeschlossen und die Lichtshow ausprobiert.

„Hektisch wie immer“, bemerkte David. „Das ist nichts für mich. Die Pressekonferenz ist in zwei Stunden. Sollen wir noch mal alles durchgehen? Was wollen wir anziehen? Wir könnten im Partnerlook auftreten. Entweder wir tragen beide durchlöcherte T-Shirts oder kurze Miniröcke.”

Ich knuffte ihn in die Seite. Es würde mir nicht schwerfallen, die Verliebte zu geben. Ich liebte David wirklich, eigentlich vom ersten Moment an. Es war eben eine platonische Liebe.

„Und denk daran: Du musst mich immer total debil-verknallt angrinsen”, schob David nach. „Du bist ganz verrückt nach mir.”

„Stimmt doch auch.”

Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann trennten sich unsere Wege. Ich fand es aufregend, durch die Halle zu laufen und die Leute bei ihrer Arbeit zu beobachten. So viele Menschen waren daran beteiligt, dass heute Abend für zwei Stunden die Träume vieler Menschen wahr wurden. Sie würden ihre Stars sehen! Nun, das waren zwar noch nicht wir, aber vielleicht würden sie uns auch mögen.

„Hi, Bob“, begrüßte ich den Tontechniker. „Alles klar?“

„Wenn ich dich sehe, ist alles bestens, Blondie“, säuselte Bob. „Ich mache euch heute Abend einen Bombensound. Immer nur den besten Sound für die schönsten Frauen. Das ist doch klar. Pass mal auf, da fliegt dir glatt das Trommelfell weg.“

„Ich hoffe, er übersteuert uns nicht aus gekränkter Eitelkeit, wenn keine mit ihm ins Bett geht“, flüsterte mir Serena ins Ohr, die plötzlich hinter mir aufgetaucht war.

„Noch überschlagen sich die Kerle förmlich, aber wer weiß, wie das aussieht, wenn sie merken, dass sie bei uns auf Granit beißen.“

„Ich muss mich jetzt schminken“, verabschiedete ich mich. „David will mich gleich irgendwelchen Reportern als seine Freundin vorstellen.“

Serena sah mich erstaunt an.

„Wozu das denn?“

Ich beugte mich zu ihr.

„Damit keiner auf die Idee kommt, dass er schwul sein könnte.“

Serena zuckte mit den Schultern.

„Und was sagt Sandy dazu?“

„Sandy hat das eigentlich ganz gelassen aufgenommen.“

„Dann viel Glück“, wünschte mir Serena.