New Hope - Das Leuchten der Träume - Rose Bloom - E-Book

New Hope - Das Leuchten der Träume E-Book

Rose Bloom

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn plötzlich ein Knistern in der Luft liegt

Lu liebt es, sich für ihren Foodblog in kulinarische Abenteuer zu stürzen und neue ausgefallene Rezepte zu kreieren. Deswegen ist der Job in Curtis‘ Restaurant in New Hope, der Kleinstadt am Fuße der Sierra Nevada, perfekt für sie. Curtis ist aber nicht nur ihr Chef, sondern auch ihr bester Freund. Als ihr Haus renoviert werden muss, bietet er ihr sofort an, bei ihm zu wohnen. Während sie Tag und Nacht zusammen verbringen, merkt Lu, dass die Schmetterlinge in ihrem Bauch immer wilder flattern, wenn sie in Curtis‘ Nähe ist. Aber soll sie es riskieren, ihm ihre Gefühle zu gestehen und so vielleicht ihre Freundschaft zu gefährden? Denn selbst Curtis hat sie nie den wahren Grund verraten, warum sie damals nach New Hope gezogen ist …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 349

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Originalausgabe © 2022 by Rose Bloom © 2022 by MIRA Taschenbuch in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover. Covergestaltung von Zero Werbeagentur, München Coverabbildung von shutterstock / J nel, shutterstock / tomertu, shutterstock / Nella, shutterstock / dwph, shutterstock / Deny Wahyudi E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck ISBN E-Book 9783745703429www.harpercollins.de

Zitat

Vielleicht muss man die Liebe gefühlt haben, um die Freundschaft richtig zu erkennen.

Nicolas Chamfort

Kapitel 1

Lu

Mein Fuß wippte auf dem Boden im Takt mit. Stuck On Planet Earth dröhnte mit Skin Talk aus den Bluetoothboxen auf der Küchenanrichte und schallte sicherlich bis nach draußen. Summend schnappte ich mir meine Digitalkamera und schaute mir die Fotos auf dem Display an. Hm. Das war es noch nicht. Ich legte sie auf den Esstisch neben eine ganze Armada an goldenem Besteck, ein verbeultes Milchkännchen aus Messing, Stapel von verschiedenfarbigen Stoffservietten und allerlei anderes Küchenzubehör. In Gedanken schickte ich jedes Mal, wenn ich die gefüllten Kartons aus meiner Kammer hervorholte, ein riesiges Dankeschön an Mrs. Wang und ihre Straßenflohmärkte, die sie immer zum Leidwesen von Mr. Wang organisierte, weil er sich von seinen Kostbarkeiten trennen musste. Nirgendwo sonst konnte man solche Raritäten für die Bilder meines Foodblogs FoodLu’s finden.

Ich band mir die violetten Haare zu einem hohen Pferdeschwanz und zupfte danach an einem Basilikumblatt, das in dem Glas auf dem cremigen Schaum des Heidelbeer-Basilikum-Shakes steckte, den ich heute Morgen gemixt hatte. Das dunkle Blau der Beeren und das saftige Grün der Blätter bildeten einen wunderbaren Kontrast zu der weißen Holzplatte meines Tisches, auf dem ich alles in mühevoller Kleinarbeit arrangiert hatte. Hier noch ein paar Haferflocken, dort noch eine Handvoll lilafarbener Blüten … perfekt.

Eine Wolke zog an dem Fenster vorbei, vor das ich meinen Küchentisch geschoben hatte, und ich seufzte. Mein Blick fiel auf die Uhr über der Tür. Mist, Curtis würde mich umbringen, wenn ich zu spät käme. Dann würde ich die Bilder eben heute Abend nachbearbeiten müssen. Ich schoss Fotos aus allen möglichen Blickwinkeln, gestaltete hier und da noch etwas um, drehte das Getränk in andere Richtungen und veränderte das Arrangement immer wieder, ehe ich hastig alles wegräumte und den Inhalt des Glases hinunterstürzte. Immerhin hatte ich so heute Morgen ein leckeres Frühstück.

Ich stellte das leere Glas in den Geschirrspüler und tanzte zu der Musik. Beim großen Finale des nächsten Liedes meiner Lieblingsband setzte ich zu einem Sprung an und … verlor fast den Halt, als mein Fuß sich mit einem ohrenbetäubenden Krachen durch das morsche Holz meines Küchenfußbodens drückte. »Verdammt!«, keuchte ich, mein Herz raste, und mein Blick wanderte an meinem Bein nach unten. »Das kann jetzt nicht wahr sein«, murmelte ich und versuchte, meinen Knöchel zu befreien, der zwischen den aufgesplitterten Planken feststeckte. Laut knurrend schaffte ich es und starrte fassungslos auf das Loch in meinem Echtholzboden.

Wie auf Eisschollen lief ich über die knarrenden Dielen zurück zum Esstisch und schnappte mir mein Handy. Ich wählte die Nummer, die ich die letzten Wochen bereits mehrfach angerufen hatte, und hielt mir das Smartphone ans Ohr. Die Wut brodelte in mir wie aufsteigende Lava in einem Vulkan, und es wunderte mich selbst, wie ruhig ich darauf wartete, dass endlich abgenommen wurde. Mailbox, schon wieder.

»Guten Tag, danke, dass Sie den Kammerjäger Ihres Vertrauens anrufen …« Ich gab ein Schnauben von mir. »Leider kann ich gerade nicht ans Telefon gehen, hinterlassen Sie mir eine Nachricht, und ich rufe bald zurück. Bye.«

Als die fröhliche Stimme verklang, holte ich Luft. »Barney, Lu hier, mal wieder. Sagtest du nicht, wir hätten Zeit? Sie haben es geschafft, diese verdammten Termiten zerstören mein Haus! Ich bin eben in der Küche eingebrochen, ruf mich zurück! Schnell!«

Seufzend legte ich auf. Wenn Barney nicht der einzige Kammerjäger hier in der Gegend gewesen wäre, hätte sich dieses Problem längst erledigt. Ich lauschte den Geräuschen meines Hauses, dem Knarren und Knacken, und bildete mir ein, diese winzigen Monster fressen zu hören. Eine Gänsehaut kroch meinen Nacken hoch, und bei dem Gedanken daran schüttelte es mich.

Kurz wägte ich die Option ab, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich diese kleinen Biester aus dem Holz meines Hauses vertreiben konnte, ohne mich und meine Nachbarschaft einer giftigen Chemikalienwolke auszusetzen. Da ich ohnehin nichts anderes als warten konnte und zur Arbeit musste, wandte ich mich von dem besorgniserregenden Anblick des Fußbodens ab. Im Flur zog ich meine violette Daunenjacke an, die perfekt zum Ton meiner Haare passte, warf dem Bild meiner Eltern auf der Kommode noch einen Kuss zu und schnappte mir die lederne Umhängetasche vom Haken.

Ich freute mich auf den kommenden Frühling, denn der Wind pfiff eisig und schneidend über meine Haut, als ich mein Fahrrad aus der Garage schob und zu meinem Arbeitsplatz radelte. Das Marcy’s war etwas ganz Besonderes. Nach einem Autounfall konnte Curtis’ Mom den nach ihr benannten Blumenladen nicht mehr weiterführen, und so hatte Curtis ihn übernommen. Auch wenn er von seiner Mutter alles gelernt hatte, was er über Pflanzen wissen musste, hatte er mit Blumen in etwa so viel am Hut wie ich damit, Auto zu fahren. Deshalb hatte er seine Kochleidenschaft mit dem Laden verbunden und im hinteren Bereich ein wunderschönes Restaurant eröffnet, während im vorderen Raum entweder ich oder abwechselnd zwei Hilfskräfte mit den Blumenverkäufen aushalfen. Braxton Campbell, der eine der beiden Schreinereien im Ort besaß, hatte ihn dabei unterstützt, alles so aufzubauen, wie er sich das als Perfektionist vorstellte. Curtis und ich waren seit dem letzten Jahr der Highschool, in dem ich mit meinen Eltern nach New Hope gezogen war, befreundet. Deshalb und weil ich gutes Essen liebte, war es klar für mich gewesen, mit einzusteigen.

Jeden Morgen fuhr ich mit einem Lächeln zur Arbeit. Ich mochte unsere Gäste und Kunden, die gesamte Atmosphäre des Restaurants, das über und über mit Blumen und Pflanzen geschmückt war, und ich bewunderte, mit welcher Gelassenheit Curtis kochte und nebenbei den Laden schmiss. Auch wenn wir nicht gegensätzlicher sein könnten – ich, die Chaotin, und Curtis, der Perfektionist –, ergänzten wir uns als Freunde und als Arbeitskollegen.

Wenn man davon absah, dass von meinem geliebten Haus bald nur noch angefressene Trümmer übrig bleiben würden, konnte ich mir gerade nichts vorstellen, was ich ändern würde. Okay, wenn man darüber nachdachte, war dieser Punkt ein ziemlich großer auf der Liste. Wohnungslos zu sein war selbst in einer Kleinstadt kein Witz.

Von Weitem sah ich das grüne Holzschild des Marcy’s, stieg von meinem Fahrrad und schob es in den Hinterhof, um es dort in dem schmalen Gartenschuppen zu verstauen. Im letzten Sommer hatte Payton, Brax’ Freundin, eine wunderschöne Pergola errichtet, auf der im Herbst wilder Wein gewachsen war. Schon jetzt freute ich mich auf den Moment, wenn wir die Stühle und Tische für draußen aus dem Keller holen konnten, sich die Terrasse mit Menschen füllte und an den Ranken grüne saftige Blätter wuchsen.

Ich betrat die Küche durch den Hintereingang, Amal lehnte sich über die Küchenanrichte aus Edelstahl und schrieb etwas auf einen Zettel. Er war völlig in Gedanken versunken und summte irgendein Lied, während er sich wahrscheinlich das Menü der Woche ansah, das Curtis für ihn als Hilfskoch geschrieben hatte. Ich schlich mich leise von hinten an ihn heran und presste die Lippen aufeinander, damit mir nicht ein Glucksen entwich, das sich in mir aufbaute.

Nur noch drei Schritte. Ich streckte die Arme aus, und mein Herz schlug schneller.

Ich setzte gerade an, ihn zu erschrecken, da drehte er sich rasend schnell um. »Buh!«, rief er, und ich war es, die zusammenzuckte. Ein dröhnendes Lachen drang tief aus seiner breiten Brust, und er strich sich sogar eine Lachträne aus dem Augenwinkel. Immer wenn ich ihn sah, erinnerte er mich mit seiner Statur und der dunklen Stimme an Dwayne Johnson, nur ohne die Tattoos. »Hast du wirklich gedacht, der Punkt geht an dich?«

»Ich wollte dich gewinnen lassen.« Lässig zuckte ich mit den Schultern und schenkte ihm ein anerkennendes Grinsen. Hin und wieder ließen wir uns dazu verleiten, uns gegenseitig zu erschrecken, was Curtis jedes Mal ein Augenrollen und ein genervtes Brummen entlockte. Vielleicht war das der eigentliche Grund, weshalb wir es taten. Curtis war ziemlich süß, wenn er so tat, als hätte er keine Probleme damit, ernst zu bleiben.

Amal legte den Arm um meine Schultern. Ich wunderte mich jedes Mal, wie er es mit seiner Größe und seinen riesigen Händen schaffte, sogar winzige Zuckerblumen zu gestalten.

»Okay, okay, wann habe ich mich verraten?«, wollte ich wissen.

Amals Grinsen wurde breiter. »Ich hab dich schon draußen beim Schuppen rumpoltern gehört. Ich frage mich, wie so eine kleine Frau so viel Lärm machen kann.«

Er wandte sich ab und lachte immer noch, während er sich den Plan nahm und ich meine Sachen in dem schmalen Personalraum neben der Küche in meinen Spind hängte. »Dann wirst du dich nicht mehr einkriegen, wenn ich dir erzähle, was mir heute Morgen passiert ist«, sagte ich, als ich zurückkam und mir die türkisfarbene Schürze um die Hüften band. »Ich bin in meiner Küche eingebrochen.«

»Du bist was?«, fragte er und unterdrückte ein Lachen.

»Ja, bis zum Knöchel.« Ich hob den Fuß und deutete auf die Stelle. Obwohl es nicht wirklich zum Lachen war, dass ich definitiv so langsam ein Problem bekam, konnte ich nicht anders, als Amals Grinsen zu erwidern.

»Wieso wundert mich dieses Gespräch rein gar nicht?«, erklang auf einmal Curtis’ Stimme hinter mir, und ich drehte mich um. Er kam mit einer gefüllten Holzbox durch die Tür, die er auf einen freien Platz auf der Küchenzeile stellte. Sein Gesichtsausdruck wirkte immer ein wenig ernst, auch wenn ich wusste, dass er der humorvollste Mensch war, den ich kannte. Okay, sein konnte, wenn er denn wollte.

»Guten Morgen, Sonnenschein«, flötete ich entgegen meiner eigentlichen Laune. Zum einen, weil es mir furchtbar viel Spaß machte, Curtis herauszufordern, und zum anderen, weil ich eine Meisterin darin war, mir nicht anmerken zu lassen, wie es mir tatsächlich ging. Es lag mir nicht, mein Umfeld mit Dingen zu belasten, für die es nichts konnte.

Curtis lehnte sich an die Zeile und verschränkte die Arme vor der Brust, wodurch sein Shirt ein Stück nach oben rutschte und den Ansatz seiner Bizepse zeigte. Mein Blick fiel auf das grazile Tattoo an seinem Unterarm. Geometrische Formen, klare Linien, Perfektion. Ich wusste, dass die Dreiecke darin für seine beiden jüngeren Zwillingsschwestern und seine Mom standen.

»Soll ich Barney für dich anrufen?«, fragte er, wobei er mich ernst anschaute.

Ich winkte ab. »Hab ich schon, heute Morgen erst.« Er fuhr sich durch das blonde Haar, und ich sah ihm genau an, was er dachte. »Wehe, du übergehst mich und rufst ihn trotzdem an«, sagte ich und verschränkte genauso die Arme wie er.

»Es geht um dein Haus, Lu. Er hat dich viel zu lange warten lassen.«

»Ich kann das allein regeln.«

»Da sagt das Loch in deinem Fußboden aber etwas anderes.«

»Okay«, meinte Amal lang gezogen, schnappte sich die Lebensmittelbox und ging mit ihr in Richtung Kühlhaus. »Ich räum mal eben diese Sachen hier weg.«

»Curtis.«

»Lu.« Ein winziges Grinsen umspielte seine Lippen. »Wirklich bis zum Knöchel?«, flüsterte er, als dürfte er sich auf keinen Fall darüber lustig machen. »Das ist scheiße.«

Schnaubend ließ ich die Arme sinken. »Okay, ja, das ist es.«

»Kann man überhaupt noch etwas retten?«

»Keine Ahnung, ich hoffe es. Schau besser nicht im Internet danach, was Termiten alles anstellen können.« Ich schluckte schwer. Es ging schließlich um das Haus meiner Eltern. Auch wenn wir nicht lange dort gemeinsam gelebt hatten, war es etwas, das mich an sie erinnerte, seitdem sie durch die Welt reisten. Und mich zurückgelassen hatten wie ein Gepäckstück, das nicht mehr in den Kofferraum gepasst hatte.

Curtis zögerte, als wollte er etwas sagen, aber wüsste nicht, was. Glückwunsch, mir ging es genauso. Er stieß sich ab, und ich hob den Kopf, um ihm weiterhin in die Augen zu schauen. Der süße Duft von frisch gebackenen Brioches, die er bereits zubereitet hatte, zog über mich hinweg. Er zwickte mir in die Wange, wie er es oft bei seinen Schwestern tat, und ich zog die Nase kraus. »Hey!«

»Wenn er sich bis heute Mittag nicht gemeldet hat, übernehme ich den Anruf.«

»Das wagst du nicht!«, rief ich ihm hinterher, während er in Richtung Personalraum lief, um seine schwarze Kochjacke zu holen. Er reagierte nicht, was mich noch rasender machte. Er wusste genau, dass ich es hasste, wenn sich jemand in meine Angelegenheiten einmischte. Ich kam auch so gut zurecht und war mir sicher, nur weil er als großer, starker Mann bei Barney anrief, tauchte dieser nicht eher bei mir auf.

»Das letzte Wort ist da noch nicht gesprochen!«, sagte ich, als er fertig angezogen zurückkam.

Er hob eine Augenbraue, doch ich erkannte das amüsierte Funkeln in seinen schokoladenbraunen Augen. »Wieso hast du so ein Problem damit, wenn dir jemand helfen will?«, fragte er sachlich.

»Habe ich nicht.«

Er stieß ein trockenes Lachen aus. »Nein? Hast du nicht? Was war damals, als dein Fahrrad einen Platten hatte?«

»Da ging es nicht darum, dass ich deine Hilfe nicht wollte … Ich brauchte sie einfach nicht. Im Internet habe ich alles gefunden, was ich wissen musste, sogar, wie man einen Fahrradschlauch auswechselt.« Mein überlegenes Grinsen wurde breiter.

Curtis schüttelte seufzend den Kopf und fuhr sich mit den Fingern über den Ansatz seines Dreitagebartes, der einige Nuancen dunkler war als seine zerzausten blonden Haare. »Wie auch immer, Dickkopf. Dann halte ich eben die Füße still.«

Er wandte sich zum Kühlschrank und nahm die Dinge heraus, die er zur Vorbereitung für die Angebote auf der Frühstückskarte benötigte. Knackige rote Tomaten, saftiges Basilikum, frische Kräuter und eine gigantische Anzahl an Eiern. Die meisten Zutaten bekamen wir erntefrisch von der Farm der Campbells geliefert, die nicht nur eine riesige Obstplantage und zahlreiche Gemüsebeete bewirtschafteten, sondern zusätzlich noch ein Gewächshaus hatten, in dem sie zu allen Jahreszeiten Obst, Gemüse und Kräuter anpflanzten. Den Rest besorgten Curtis und Amal jede Woche auf einem Landmarkt in Bishop, der ungefähr eine Stunde mit dem Auto entfernt lag.

Ich wandte mich ab und wollte in den Gastraum gehen, um die Tische einzudecken, da hielt ich inne, als ich Curtis’ Stimme vernahm. »Wenn du doch meine Hilfe brauchst, bin ich da«, sagte er.

Ich zögerte. Einerseits hätte ich mich darüber gefreut, nicht zuständig für alles in meinem Leben sein zu müssen und die Verantwortung auch einmal abgeben zu können, andererseits war ich es nicht anders gewohnt und hatte keine Ahnung, wie man Hilfe wirklich annahm.

»Danke, aber nein«, erwiderte ich lässig, als wäre all das kein großes Ding. Ich drehte mich noch einmal zu ihm um. »Konzentrier du dich lieber auf deine Arbeit, nicht dass du dich verbrennst.« Ich zwinkerte ihm zu und verließ leise summend die Küche, wollte unbedingt verstecken, wie ich mich tatsächlich fühlte. Hilflos.

Kapitel 2

Curtis

Ich wusste genau, dass Lu nur so tat, als hätte sie all das wirklich im Griff. Doch sie war zu stur, um sich tatsächlich einmal helfen zu lassen.

»Willst du über irgendetwas sprechen?«

Ich hielt mit dem Messer inne und schaute auf. Amal hatte die dichten dunklen Augenbrauen in die Höhe gezogen und starrte mich an.

»Was meinst du?«, fragte ich.

»Du seufzt. Schon zum fünften Mal heute, und ich dachte, es wäre meine Pflicht als Freund und Angestellter, nachzuhaken, ob bei dir alles in Ordnung ist.«

»Klar, alles in Ordnung«, murmelte ich, senkte den Blick und hackte den Koriander weiter in gleichmäßiger Geschwindigkeit. Der Duft verbreitete sich überall. Koriander war genau wie Lakritz. Entweder man liebte ihn oder man hasste ihn, es gab einfach nichts dazwischen. Ich selbst liebte Koriander und konnte Lakritz nicht ausstehen. Bei Lu war es das komplette Gegenteil, fast als machte sie es extra, nur damit sie mich ärgern konnte.

»Es ist wegen Lu, oder?«

Erneut ließ ich das Messer sinken, vielleicht ein wenig zu energisch. Auf Amals Gesicht tauchte ein wissender Ausdruck auf.

»Okay, es ist wegen Lu«, stellte er fest.

Diesmal erwischte ich mich selbst beim Seufzen. Ich legte das Messer zur Seite und schob die gehackten Kräuter in eine Schüssel, ehe ich Amals Blick erwiderte. »Wieso will sie sich nicht helfen lassen?«

»Wer sagt, dass du ihr wirklich helfen kannst?«, entgegnete er. »Oder möchtest du nur dein Gewissen beruhigen, einer Freundin geholfen zu haben?«

»Nein, natürlich nicht! Ich möchte ihr helfen, weil sie Hilfe braucht.«

»Wer behauptet das?«

Genau deshalb hielt ich mich sonst aus solchen Sachen raus und behielt meine Gedanken die meiste Zeit für mich. Ich war kein Typ, der jede noch so kleine Kleinigkeit ausdiskutieren musste. Obwohl Amal vielleicht sogar recht hatte. Aber es ging mir gegen den Strich, wenn es etwas gab, das einen meiner Freunde belastete. Ich hätte das Gleiche für Wesley oder Cassie getan.

Der Bondrucker in der Ecke spuckte eine neue Bestellung aus, und ich konnte meine Aufmerksamkeit glücklicherweise darauf verlagern. »Okay, hab verstanden, raushalten«, murmelte ich und schnappte mir den Bon, ehe ich ihn an die Halterung hängte. »Eine California Poke Bowl«, sagte ich zu Amal und ignorierte sein Grinsen. Er wusste genau, dass ich mich nicht raushalten konnte, aber zum Glück verschonte er mich mit weiteren Weisheiten.

Wir arbeiteten an diesem Mittag genauso routiniert wie heute Morgen. Amal summte die Lieder mit, die aus einer Box am Ende der Küche drangen, in regelmäßigen Abständen kam Lu, nahm eine Bestellung mit, brachte dreckiges Geschirr oder unterhielt sich kurz mit uns. Es war ein ruhiger Montag, und fast hätte ich vergessen, was heute Abend noch anstand. Bis Lu breit grinsend die Küche betrat und ich in ihrem Blick genau lesen konnte, wer soeben das Restaurant betreten hatte.

»Wirklich? Haben sie nicht genug damit zu tun, alles für heute Abend vorzubereiten?«, fragte ich, und Lus Lächeln wurde noch ein wenig breiter. Sie neigte den Kopf zur Seite und biss sich auf die Unterlippe, als müsste sie ihr Lachen zurückhalten. Sie liebte es, mich zu quälen, auch wenn sie das niemals zugeben würde.

»Ich glaube, deine kleinen Schwestern wollen sich ihre Geburtstagsüberraschung abholen. Wie jedes Jahr.«

»Sie werden neunzehn, ich habe fälschlicherweise angenommen, dass sie mittlerweile zu erwachsen dafür sind.«

Lu kam näher und lehnte sich neben mich an die Küchenzeile. »Was hast du für die beiden gezaubert?«, überging sie meine Aussage, und ich hatte Mühe, mein Lachen zu verstecken.

»Nichts, sie können sich etwas von der Karte aussuchen wie jeder Gast und froh sein, dass sie nicht bezahlen müssen.«

Lu drehte sich zu Amal um. »Glaubst du das?«

»Auf keinen Fall!«, antwortete er und arbeitete summend weiter.

Als Lu den Kopf wieder zu mir wandte, erwischte sie mich dabei, wie ich sie musterte. Lu war hübsch mit ihren strahlenden grünen Augen, die einen Kontrast zu dem seidigen violetten Haar bildeten, der Stupsnase und den rosafarbenen, vollen Lippen. Unsere Freunde hatten recht, wenn sie behaupteten, dass ich das längst bemerkt hatte. Ich war schließlich nicht blind, aber unsere Freundschaft bedeutete mehr als reine Anziehung, die irgendwann wieder verflog.

»Gib zu, du hast dich dieses Mal wieder selbst übertroffen, oder?«, fragte sie leise, und ihre Unterlippe glänzte, nachdem sie diese kurz zwischen ihre Zähne gezogen hatte.

Ich verdrehte die Augen und tat, als wäre ich genervt, ehe ich in die angrenzende Kühlkammer ging und zwei viereckige Kartons hervorholte.

»Ich wusste es!« Lu klatschte in die Hände und zappelte nervös hin und her, während ich beide Verpackungen neben ihr abstellte. »Darf ich schauen? Bitte?«

»Tu, was du nicht lassen kannst«, erwiderte ich und beobachtete Lu dabei, wie sie eine Kiste nach der anderen öffnete.

»Oh, Curtis, sie sind wundervoll!«

»Nicht schlecht, Mann, sie sind ziemlich perfekt geworden«, sagte auch Amal, der zu uns gekommen war.

Ich begutachtete die beiden Geburtstagstorten für meine Schwestern. Auf einer stand in rosafarbener Zuckerschrift »Hailey«, und um den Namen hatte ich auf der weißen Fondantschicht essbare Rosen aus Baiser arrangiert. Grace liebte alles, was bunt war. Deshalb hatte ich den Fondant auf ihrer Torte mit regenbogenfarbigen Zuckerperlen versehen. Doch auch wenn die Torten sich zumindest äußerlich unterschieden, war das Innere eine Mischung aus fluffigem Schokoladenkuchen mit einer fruchtigen Kirschfüllung. Der absolute Lieblingsgeschmack beider Mädchen, die nun wirklich erwachsen wurden.

»Ich freue mich schon auf meinen nächsten Geburtstag!«, sagte Lu und schloss die Verpackungen.

»Wer behauptet, dass du ebenfalls eine bekommst?«, neckte ich sie.

Ihr Grinsen wurde breiter. »Weil du gar nicht anders kannst, als deiner liebsten, besten Freundin eine Freude zu bereiten. Genau wie deinen Schwestern. Du hast dir die Nacht um die Ohren geschlagen für diese Schmuckstücke, oder?«

Und den gestrigen Abend, doch das würde ich für mich behalten. »Bring sie den Nervensägen.«

»Das kannst du schön selbst machen, los.« Sie drückte mir einen Karton in die Hand, und ich seufzte mal wieder.

Es reichte, dass ich den ganzen Abend zwischen bunten Luftschlangen, dröhnender Popmusik und kreischendem Teeniegeschrei verbringen musste, denn unsere Mom hatte den beiden eine riesige Party organisiert, zu der gefühlt die halbe Highschool eingeladen war. Und das nur, weil sie in diesem Sommer gemeinsam auf ein College in der Nähe von Los Angeles gingen und somit nicht mehr zu Hause wohnten.

Doch noch hatten wir über ein halbes Jahr Zeit. Ich folgte Lu in den Gastraum, begrüßte einige Menschen, die an den Tischen saßen und ihr Essen genossen. Es gab mir ein unglaublich befriedigendes Gefühl, zu wissen, dass den Leuten das schmeckte, was ich kochte, obwohl es mir die meiste Zeit völlig reichte, im Hintergrund zu arbeiten.

Ich sah meine Schwestern bereits in einer Sitznische vor der breiten Fensterfront, die einen Ausblick auf den gemütlich gestalteten Hinterhof bot. Hailey trug die blonden Haare offen über den Schultern, und Grace hatte ihre wie so oft in einen Pferdeschwanz gebunden. Auch wenn sich ihre Gesichter bis auf ein Muttermal an ihrem Kinn, das jede auf der jeweils anderen Seite hatte, glichen, waren sie von ihrem Charakter her grundverschieden. Hailey war schon immer die Ruhigere gewesen, während Grace keinen Ärger ausließ. Unsere Eltern hatten sich ein Jahr nach dem Autounfall meiner Mom einvernehmlich getrennt, als es ihr wieder annähernd besser gegangen war. Mein Vater war nach Oklahoma gezogen und hatte dort eine neue Familie gegründet. Oberflächlich betrachtet hielten wir sporadisch Kontakt, im Grunde allerdings hatte unser Dad mit New Hope und uns abgeschlossen. Also lag uns allen nicht gerade viel daran, uns regelmäßig zu sehen. Somit ruhte die Verantwortung, auf meine Mom und meine Schwestern aufzupassen, auf meinen Schultern, und dieses erdrückende Gefühl wurde nicht besser, wenn ich daran dachte, wie weit sie bald weg sein würden.

»Ich wusste, dass du uns nicht hängen lassen würdest!«, rief Grace erfreut und sprang auf. »Her mit unserer Überraschung!«

»Nur mal langsam«, sagte ich und hielt den Karton außerhalb ihrer Reichweite. Sie schob schmollend die Unterlippe vor. »Hättet ihr es nicht bis heute Abend aushalten können?«

»Komm schon! Seitdem du das Marcy’s hast, ist das unsere Tradition«, erwiderte Grace. »Du tust so, als hättest du nichts für uns, dabei hast du Stunden in deiner Küche gestanden, um uns etwas zu backen. Weil du uns liebst, großer Bruder!« Grace’ Gesichtsausdruck triefte vor Selbstgefälligkeit. »Es ist zwecklos, es abzustreiten.«

Lu gab neben mir ein schnaubendes Lachen von sich, und ich warf ihr einen ermahnenden Blick zu. »Sie hat recht«, meinte Lu und stellte ihren Karton auf den Tisch vor Hailey, deren Grinsen immer breiter wurde.

»Happy Birthday euch wunderbaren Zwillingen!«

Ich reichte den Karton an Grace, und die beiden öffneten ihre Geschenke gleichzeitig.

»Oh mein Gott!«, rief Hailey.

»Wow, das ist unglaublich!«, kreischte Grace ebenfalls.

Lu lehnte sich zu mir, ich spürte ihre Schulter an meinem Arm. »Pass auf, dass sie dein Lächeln nicht sehen«, flüsterte sie.

Ich räusperte mich. »Ich habe nicht gelächelt, ich bin genervt darüber, dass diese gefräßigen Monster nun alles in sich reinschlingen und meine ganze Arbeit umsonst war. Das war ein Ausdruck des Schmerzes.«

»Natürlich, Sonnenschein.«

»Du kommst heute Abend auch, oder, Lu?«, fragte Hailey, während Grace sich tatsächlich schon eine der Gabeln auf dem Tisch geschnappt hatte und sie tief im Fondant versenkte. Mein Herz blutete ein wenig.

»Zu eurer Party? Aber natürlich! Die würde ich mir doch nicht entgehen lassen!«

»Großartig!«, stieß Grace schmatzend aus.

»Außerdem muss doch einer dafür sorgen, dass euer Bruder nicht einfach nach einer halben Stunde abhaut.« Lu hakte sich bei mir unter, und ich gab ein Brummen von mir. Genau das war mein Plan gewesen, sobald ich meiner Mom mit den Snacks und dem Essen geholfen hatte.

»Auf keinen Fall! Wir haben ein ganz besonders tolles Spiel geplant, bei dem du mitmachen darfst«, meinte Grace und grinste mich so wölfisch an, dass ich es mit der Angst bekam. »Sagt dir Lip Sync Battle etwas?«

»Mir wird auf einmal so heiß, ich glaube, ich kriege Fieber und kann leider nicht dabei sein«, erwiderte ich trocken.

Lus Griff wurde fester. »Auf keinen Fall, wir werden die Bühne gemeinsam rocken, darf ich mir den Song dazu aussuchen?«

Grace und Hailey nickten schnell und heftig. Wie schön, wenn sich die drei gegen mich verschworen hatten. Ich konnte nur verlieren.

Während sie philosophierten, wie fantastisch der Abend werden würde, dachte ich nur darüber nach, wie ich mich schnellstmöglich verdrücken konnte. »Ich glaube, ich habe Amal aus der Küche rufen gehört.«

Ich entzog Lu meinen Arm und schlang ihn stattdessen um ihre Schultern. Dabei drehte ich sie herum, weg von meinen Schwestern und ihren teuflischen Plänen. »Und Lu muss auch wieder an die Arbeit! Lasst es euch schmecken, Nervensägen!«, rief ich und zog Lu sanft mit mir.

Ich hörte ihr leises Lachen, aber zwang mich, sie nicht anzusehen.

»Man kann deine Angst förmlich riechen«, sagte sie, während ich mit ihr zur Theke ging, hinter der sich die Tür zur Küche befand.

»Ich bin überrascht, wie gut deine Nase ist«, erwiderte ich.

»Das nennt man Supersinne.«

Bei der Küchentür angekommen, ließ ich sie los und stellte mich vor sie. »Supersinne? Erzähl mir mehr, vielleicht könnten mir diese nützlich werden, um mich heute Abend leise davonzuschleichen.«

»Komm schon.« Sie boxte mir sanft gegen die Schulter. »Das wird total lustig!«

»Um das schon mal klarzustellen …« Ich lehnte mich näher zu ihr, spürte das leichte Kribbeln, das mich immer erfasste, wenn wir uns so tief wie jetzt in die Augen schauten. »Ich werde weder singen noch mich anderweitig vor den pubertierenden Freunden meiner Schwestern zum Affen machen.«

»Wie schade«, wisperte Lu. »Ich wäre gern dabei, wenn du dich mal zum Affen machst.«

Ich gab ein Schnauben von mir, von Lu konnte ich keine Unterstützung erwarten. Wahrscheinlich war sogar meine Mutter auf ihrer Seite, und die vier Frauen würden mich so lange anfeuern, bis ich wirklich irgendetwas gegen meinen Willen tat.

»Du hast übrigens noch fünf Minuten«, sagte ich stattdessen, und mir war bewusst, wie nah wir voreinander standen. Der Kirschduft ihres Lipglosses drang in meine Nase, und ich zwang mich, nicht auf ihre Lippen zu starren.

»Wofür?«, fragte sie leise.

Ich lehnte mich ein wenig zurück. In Sicherheit. »Um Barney zu erreichen. Sonst übernehme ich das.«

»Lenk ruhig ab, Angsthase!«, stieß sie lachend hervor.

Mit Lus Lachen im Ohr drehte ich mich um und ging in die Küche, um meine Arbeit wieder aufzunehmen. Und um mir noch in den nächsten Stunden eine geeignete Ausrede einfallen zu lassen, die es mir ermöglichte, heute Abend zu Hause zu bleiben.

Kapitel 3

Lu

Er hasste es. Und ich liebte es, wie schmerzverzerrt sein attraktives Gesicht wirkte, während Grace mit einer ihrer Freundinnen einen der angesagtesten Songs performte.

Wir standen am Rand des Wohnzimmers, in dem ein Dutzend Teenager herumsprangen wie ein Rudel Welpen mit zu viel Zucker im Blut.

»Ich geh mal meiner Mom helfen«, sagte er und verschwand schneller in der Küche, als ich ihn aufhalten konnte. Ich musste grinsen, aber nur, bis mein Handy klingelte und ich die Nummer darauf erkannte.

»Barney!«, rief ich in den Hörer, während ich mir mit der freien Hand das Ohr zuhielt und nach draußen in den Flur eilte.

»Hey, Lu! Es tut mir leid, ich hatte unheimlich viel zu tun!«

»Schon okay«, log ich, auch wenn ich ihm am liebsten vorgeworfen hätte, die Situation in meinem Haus völlig falsch eingeschätzt zu haben. »Dafür sagst du mir jetzt, dass du morgen vorbeikommst und die Biester aus meinem Haus vertreibst, richtig?«

»Du meintest, du bist heute Morgen eingebrochen?«, fragte er stattdessen.

»Ja.«

»Klingt übel.«

»Erzähl mir was Neues, Barney.« Ich trat einen Schritt zur Seite, um Kenneth vorbeizulassen. Er war Emilias Bruder und bester Freund der Zwillinge. Es war süß, wie er leicht errötete, als ich ihm zulächelte. Schnell verschwand er im Wohnzimmer, in dem die Party immer noch abging.

»Leider reichen die üblichen Mittel nicht mehr aus, wenn der Befall sich anscheinend auf dein gesamtes Haus ausgeweitet hat.«

Ich lief weiter den Flur hinunter, weil ich Barneys Stimme durch die Musik kaum verstand. Als ich die Treppe ins Obergeschoss erreichte, setzte ich mich auf die unterste Stufe. Curtis’ Mom gehörte ein wunderschönes Holzhaus mit weißen Bogenfenstern und einer umliegenden Veranda etwas außerhalb der Innenstadt. Soweit ich wusste, wohnte die Familie hier bereits seit Curtis’ Geburt vor sechsundzwanzig Jahren. Zahlreiche Familienbilder hingen an der Wand der Treppe, und mein Blick blieb an einem Foto von Curtis hängen, auf dem er ungefähr in dem Alter gewesen sein musste, in dem wir uns im letzten Jahr unserer Highschoolzeit kennenlernten.

»Was bedeutet ›die üblichen Mittel‹, Barney?«, kam ich zurück auf das Gespräch, das der Grund dafür war, weshalb alles in mir rotierte.

»Weil wir nicht wissen, wo sie sich überall ausgebreitet haben, und um so viel wie möglich zu retten, sollten wir dein Haus für die nächsten Wochen umfassend ausräuchern.«

»Ausräuchern?«

»Wir spannen ein kunststoffbeschichtetes Zelt um dein Haus …«

»Ein Zelt?« Mir wurde übel.

»Und fluten es mit Insektizid.«

»Entschuldige, aber das hört sich furchtbar an.«

»Ist es auch. Zumindest für die Termiten.« Er gab ein glucksendes Lachen von sich. »Außerdem kann es gut sein, dass du danach diverse Reparaturmaßnahmen umsetzen musst, um die Statik deines Hauses zu gewährleisten. Wer weiß, was die Biester alles zerstört haben.«

»Großer Gott …«

»Am besten, du übernachtest für die Zeit in einem Hotel. Wenn ich es mir recht überlege, solltest du heute Abend schon ausziehen, sicher ist sicher.«

»Du weißt, dass wir keine Pension mehr in New Hope haben, oder?«

»Bei Freunden?«

»Ja, ich kläre das«, antwortete ich genervt. Verdammt, hätte ich das abwenden können, wenn Barney sich früher gemeldet hätte? Oder war es ohnehin unaufhaltsam gewesen?

»Okay, ist dein Ding, ich bin nur für die Plagegeister zuständig. Ich komme morgen Mittag vorbei und nehme eine Probe, damit wir genau wissen, um welche Termitenart es sich handelt. Danach kann es losgehen.« Es hörte sich fast so an, als freute er sich darüber. Anscheinend hatte er genau den richtigen Job gewählt.

»Und wie lange wird das dauern?«

»Kann ich dir dann sagen, vielleicht nur ein paar Wochen.«

Nur Wochen? Oh verdammt! »Wie großartig«, erwiderte ich ironisch.

»Bis morgen, dir noch einen schönen Abend!« Witzig. Den würde ich jetzt ganz bestimmt noch haben …

»Dir auch.«

Ich legte auf, nachdem wir uns verabschiedet hatten, stand auf und ging hinüber zur Küche. Curtis’ Mom saß auf dem Barhocker vor der Kochinsel und strich Frischkäse auf Cracker. Seit ihrem Autounfall, bei dem sie eine Rückenmarkschädigung davongetragen hatte, war es schwierig für sie, lange zu stehen, außerdem hatte sie auch nach vier Jahren immer noch ein eingeschränktes Temperatur- und Schmerzempfinden. Auch wenn sie weniger ein Problem mit ihren Einschränkungen hatte, denn sie hatte sich gut damit arrangiert. Größere Sorge hatte Curtis, der am liebsten immer an Ort und Stelle gewesen wäre, um ihr zu helfen.

Curtis sah auf und hielt mit dem Schneiden einiger Tomaten inne. »Alles okay?« Ich zwang mich zu einem Lächeln auf seine Frage, doch mein bester Freund hatte ein unglaubliches Feingefühl für Stimmungen. Ich konnte ihm nichts vormachen.

Marcy drehte sich zu mir um, und auch sie deutete meinen Gesichtsausdruck richtig. »Komm her, Kleines.« Sie tätschelte den leeren Barhocker neben ihrem, und ich setzte mich darauf. »Was ist los?«

»Anscheinend muss mein Haus ausgeräuchert werden. Die Termiten sind überall.«

»Oh nein, das hört sich schrecklich an«, sagte Marcy.

Curtis’ Brauen zogen sich immer weiter zusammen. »Was bedeutet das?«

»Ich brauche wohl eine vorübergehende Bleibe. Wenn es nach Barney geht, am besten noch heute Abend.«

Marcy legte den Arm um meine Schulter und drückte mich kurz an sich. Ich mochte sie sehr, weil sie mich von Anfang an aufgenommen hatte wie ein neues Familienmitglied. Vor allem, als meine Eltern sich direkt nach meinem Abschluss aufgemacht hatten, um die Welt zu entdecken. »Wenn Curtis’ altes Zimmer nicht so eine furchtbare Rumpelkammer wäre, könntest du dort übernachten.« Sie wandte sich an ihren Sohn. »Vielleicht kannst du mir helfen, ein wenig aufzuräumen?«

»Das kommt gar nicht infrage«, sagte Curtis sofort, und wir schauten ihn verwundert an.

»Tut mir leid, ich bring deine alte Comicsammlung schon nicht durcheinander«, erwiderte ich scherzhaft, aber fühlte mich auf eine Art gekränkter, als ich zugeben wollte.

Er schüttelte den Kopf, als müsste er sich neu sortieren, und lehnte sich gegen die Küchenzeile. »Das sollte nicht so rüberkommen, sorry. Ich meinte es ganz anders. Lass den Raum, wie er ist, in meiner Wohnung steht noch ein Zimmer frei, das ich nicht nutze.«

»Du meinst, bei dir?«

Er lachte schnaubend. »Richtig, meine Wohnung, in der ich lebe«, wiederholte er.

»Du und ich.« Ich deutete zwischen uns hin und her. »Zusammen wohnen?«

Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Bevor ich zulasse, dass meine Mom ein ganzes Zimmer umräumt, wieso nicht den Raum nehmen, der bereits fertig ist? Es ist nichts Großes, es stehen ein Bett und eine Kommode drin, aber das reicht für die Zeit sicherlich aus.«

»Natürlich würde das ausreichen.« Ich war mir immer noch nicht sicher, ob das tatsächlich so eine gute Idee war. Wir arbeiteten zusammen und waren befreundet, deshalb wusste ich, wie sehr er die Ordnung brauchte. Wenn ich da an meine Dekorationskisten dachte, deren Inhalt überall in meiner Wohnung verteilt lag, weil ich mich nicht entscheiden konnte, wo der beste Platz für meine Foodfotografien war … er würde wahnsinnig werden.

Marcy schaute zwischen uns beiden hin und her. Ihr Grinsen wurde breiter. »Vielleicht ist das wirklich eine ganz ausgezeichnete Idee!«, meinte sie. »Ich finde ohnehin, dass Curtis viel zu lange allein gewohnt hat.«

»Ich ziehe nicht auf Dauer dort ein, Marcy«, sagte ich schnell.

»Nur übergangsweise«, betonte Curtis.

»Natürlich, übergangsweise«, wiederholte Marcy, und irgendetwas an ihrem Ton machte mich stutzig. Als heckte sie einen Plan aus.

»Ich kann auch Cassie fragen«, schlug ich vor und wandte mich an Curtis.

»Die gerade erst wieder mit Jackson zusammengekommen ist und im siebten Himmel schwebt?«

»Ja, stimmt, du hast recht. Da will ich ungern stören.«

Curtis trat einen Schritt nach vorn und stützte sich vor mir auf der Arbeitsplatte ab, lehnte sich ein Stück über die Kochinsel. Sein Blick war fest und eindringlich. »Nimm das Zimmer. Es macht mir nichts aus.«

»Echt nicht?«

Er schüttelte den Kopf. »Sonst würde ich es dir nicht anbieten.«

»Okay, dann nehme ich gerne dein Angebot an.«

Er nickte und schenkte mir ein schiefes Lächeln. Ich erwiderte es, als träfen wir eine stumme Vereinbarung. Es würde schon gut gehen, was sollte passieren? Sicherlich würde es nicht das Ende unserer Freundschaft bedeuten, wenn wir uns ein paarmal wegen rumliegender Sachen zofften. Hoffentlich.

»Also Barney sagt, du sollst heute Abend noch raus?«, fragte Curtis verschwörerisch.

»Vergiss es! Du hast jetzt keinen Grund gefunden, um von dem Geburtstag deiner Schwestern abzuhauen!«, antwortete ich.

Seine Schultern sackten nach unten, und er widmete sich erneut dem Schneiden der Tomaten. In perfekte, gleich große Scheiben.

»Du durchschaust ihn immer wieder, das konnte er schon als Teenager nicht ausstehen«, flüsterte Marcy mir lächelnd zu.

»Es lässt sich nicht ändern, Curtis ist ein offenes Buch für meine Supersinne«, sagte ich so laut, dass er es hörte. Seufzend verdrehte er die Augen, schaute aber nicht auf, was mich noch mehr amüsierte.

Die nächsten Wochen würden sicherlich ein totaler Spaß. Zumindest für mich.

Irgendwann setzte bei der Bande aus ausgelassenen, kreischenden Teenagern endlich die Müdigkeit ein. Einer nach dem anderen verabschiedeten sich Haileys und Grace’ Freunde, und nachdem wir Marcy geholfen hatten, das Chaos zu beseitigen, hatte Curtis mein Fahrrad in seinen riesigen Kofferraum geschmissen, und wir fuhren zu meinem Haus.

»Es ist wirklich nicht nötig, dass wir das heute schon machen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Haus in den nächsten Stunden einkracht.«

»Und wenn doch? Barney ist der Profi, oder?«, fragte Curtis. Einen Arm hatte er auf der Türverkleidung abgestützt, die Hand seines anderen lag auf dem Lenkrad. Aus dem Augenwinkel schenkte er mir einen kurzen Blick.

»Bei dir muss immer alles genau nach den Regeln laufen, oder?«

»Ich würde nicht behaupten, dass es darum geht, nach irgendwelchen Regeln zu spielen, Cake.« Ich stöhnte, als er den alten Spitznamen auspackte, den ich auf der Highschool von ihm kassiert hatte. Nur weil er mich damals erwischt hatte, wie ich mir im Schutze meines geöffneten Spindes einen seiner Minikuchen im Ganzen in den Mund gestopft hatte. Er hatte eben schon immer eine Gabe für das Kochen und vor allem das Backen besessen. »Ich würde es mir nur nicht verzeihen, wenn du heute Nacht im Schlaf von irgendeinem morschen Balken erschlagen wirst.«

»Wow, sehr bildlich, vielen Dank für diesen Gedanken. Aber nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass es so sein wird.«

»Du bist in der Küche eingebrochen.« Seine Stimme hörte sich ernsthaft besorgt an. Er setzte den Blinker, und wir erreichten den Anfang meiner Straße. Ich hatte selbst keine Ahnung, wieso ich immer noch mit ihm diskutierte, denn es stand definitiv fest, dass ich aus meinem Haus rausmusste. Vielleicht hätte ich gerne noch einige Stunden gehabt, in denen ich aufräumen oder packen konnte. Vielleicht lag es auch daran, dass ich Mühe hatte, darüber nachzudenken, was passierte, wenn mein Haus nicht mehr zu retten war. Ich hing so sehr an diesem Ort, der mir mehr ein Zuhause geworden war als mein früherer Wohnort in der Nähe von Chicago, in dem ich siebzehn Jahre gelebt hatte. Eine Kleinstadt, deren Bewohner sich völlig anders entpuppt hatten, als meine Eltern und ich angenommen hatten.

Curtis parkte vor meiner Zufahrt ein und drehte sich zu mir. Im Schein der Straßenlampe lag sein Gesicht halb im Dunkeln, nur seine Augen konnte ich besser als alles drum herum erkennen. Curtis hatte warme, ehrliche Augen mit kleinen Lachfältchen, die immer dann hervortraten, wenn sein Lächeln ernst gemeint war. »Es wird alles gut gehen, okay?«, sagte er leise. »Lass mich endlich der Freund sein, der ich sein möchte, um dir zu helfen. Du störst nicht, im Gegenteil, vielleicht freue ich mich schon jetzt auf dein Chaos in meiner Wohnung.«

Ein leichtes Grinsen zupfte an meinen Lippen. »Du lügst«, gab ich leise zurück.

Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Finde es heraus.«

»Versprich mir, dass wir deshalb nicht streiten werden. Du weißt, wie sehr ich die Harmonie brauche«, sagte ich.

Er hielt mir seine Hand hin, die ich vorsichtig entgegennahm. Sein Griff war fest und warm. »Versprochen. Ich hasse es, mit dir zu streiten, weil du immer recht haben willst.«

»Das liegt daran, dass ich immer recht habe.«

Endlich erschienen die Lachfältchen, doch er erwiderte nichts mehr darauf. Stattdessen ließen wir uns los und stiegen gemeinsam aus dem SUV.

Während ich aufschloss, wusste ich genau, was Curtis auf der Zunge lag. Immer wenn er zu Besuch bei mir war, gab er mir zahlreiche Tipps, wie ich Ordnung in meinen Haushalt bekommen könnte. Es nützte ja doch nichts. Ich räumte auf, und spätestens nach dem nächsten Fotoshooting lag ohnehin wieder alles herum. Es war nicht so, dass mein Haus besorgniserregend unordentlich war, es war einfach gemütlich. Mit bunten Kissen auf meiner weinroten Samtcouch, die nie akkurat lagen, oder einem hölzernen Couchtisch, der nie ganz freigeräumt war.

»Ich packe erst mal nur das Nötigste ein und geh eben in mein Schlafzimmer. Nimm dir was zu trinken aus dem Kühlschrank, wenn du möchtest.«

»Alles klar«, sagte er, setzte sich aber an den Esstisch, den ich immer noch nicht wieder zurück an seine Stelle in der Mitte der offenen Wohnküche geschoben hatte. Ich erkannte genau den Moment, als Curtis das Loch im Boden entdeckte, und wandte mich schnell ab, um seinen tadelnden Ausdruck nicht sehen zu müssen.

Es brauchte sicherlich eine halbe Stunde, bis ich alles zusammenhatte. Klamotten, mein liebstes Samtkissen, ohne das ich nicht schlafen konnte, Badeutensilien und vor allem die drei großen, schweren Kisten, in denen sich die Dekoration und meine Kamera für meine Shootings befanden.

»Ist das alles?«

»Vorerst«, erwiderte ich.

Curtis zog die Augenbrauen nach oben, schnappte sich eine der Kisten, und es dauerte nicht lange, da waren alle meine Dinge im gesamten Auto verstaut. Mein Fahrrad hatte ich zurück in die Garage gebracht. Nun würden Curtis und ich gemeinsam morgens zur Arbeit fahren, und falls ich es doch brauchte, konnte ich die Gehminuten zu Fuß auf mich nehmen und es von hier holen.

Ich gähnte, als wir zu Curtis’ Haus fuhren, denn mittlerweile war es schon recht spät und ich durch die Ereignisse des Tages furchtbar müde. Ich würde nur noch Zähne putzen und ins Bett fallen, auspacken konnte ich auch noch morgen.

Wir schleppten meinen Kram hinein, und Curtis zeigte mir das hübsche Gästezimmer mit einem hohen Doppelbett, auf dem eine nachtblaue Tagesdecke und akkurat gerichtete Kissen lagen, als hätte er jemanden erwartet. Ansonsten gab es nur noch eine Kommode und außer hellen Gardinen keinerlei Dekoration, aber Curtis war auch kein Typ für Schnickschnack.

Ich ging in den Raum hinein und entdeckte etwas auf dem Bett.

»Sorry, sonst nutze ich das Zimmer nur, um meine Wäsche zu machen«, sagte er und schnappte sich ein längliches blaues Plastikbrett, das auf den Laken gelegen hatte.

»Was ist das?«, fragte ich und starrte auf das Gadget, das mir irgendwie bekannt vorkam. »Das ist nicht eines dieser Bretter, um Wäsche passgenau zusammenzufalten, oder? Oh mein Gott, du bist wie Sheldon Cooper!«

»Es geht schneller so«, antwortete Curtis lässig. Ihm war sein Perfektionismus kein bisschen peinlich. »Und dieser Sheldon weiß eben, wie es geht.«

Ich legte die Hand auf mein Herz. »Dieser Sheldon? Sag mir bitte nicht, du kennst