New York Grand Hotel - Karin Bell - E-Book
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New York Grand Hotel E-Book

Karin Bell

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Beschreibung

Eine Liebe, die alle Hindernisse überwinden muss …
Der bezaubernde Liebesroman vor der winterlichen Kulisse New Yorks

Seit Kindesbeinen an sind Evan und Brianna beste Freunde und machen hinter den Kulissen das Grand Hotel unsicher. Sie spielen in den endlosen Fluren Verstecken, beobachten rauschende Bälle und kosten von den Köstlichkeiten, die der ältere Konditor – Briannas Grandpa – tagtäglich zubereitet. Doch gerade als sich die Teenager verlieben, wird Evan nach Europa geschickt, wo er das Gastgewerbe von der Pike auf lernen soll. Jahre vergehen und Brianna hört nichts mehr von ihm. Um sich abzulenken und ihre Enttäuschung zu überspielen stürzt sie sich in die Arbeit und steigt zur jüngsten Chef Patissière des Hotels auf. Gerade als ihr Glück perfekt zu sein scheint, kehrt Evan nach New York zurück. Selbst nach all den Jahren ist da immer noch diese starke Anziehung zwischen ihnen … doch die beiden sind längst keine Kinder mehr.

Erste Leser:innenstimmen
„Ein wunderbarer Liebesroman voller Romantik, Freundschaft und dem Wunsch nach dem eigenen Glück.“
Karin Bell versteht es, die Leidenschaft fürs Backen und die Liebe zu einer Großstadt wie New York auf eindrucksvolle Weise zu vermitteln.“
„Die romantische und magische Atmosphäre dieses Feel-Good-Romans hat mich vollkommen verzaubert. Ich konnte förmlich den vorweihnachtlichen Zauber des Grand Hotels in New York fühlen.“
„Dieses Mal entführt uns die Autorin in das winterliche New York und besticht wie immer mit ihrem grandiosen Schreibstil und liebevoll gezeichneten Charakteren.“

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Seitenzahl: 335

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Über dieses E-Book

Seit Kindesbeinen an sind Evan und Brianna beste Freunde und machen hinter den Kulissen das Grand Hotel unsicher. Sie spielen in den endlosen Fluren Verstecken, beobachten rauschende Bälle und kosten von den Köstlichkeiten, die der ältere Konditor – Briannas Grandpa – tagtäglich zubereitet. Doch gerade als sich die Teenager verlieben, wird Evan nach Europa geschickt, wo er das Gastgewerbe von der Pike auf lernen soll. Jahre vergehen und Brianna hört nichts mehr von ihm. Um sich abzulenken und ihre Enttäuschung zu überspielen stürzt sie sich in die Arbeit und steigt zur jüngsten Chef Patissière des Hotels auf. Gerade als ihr Glück perfekt zu sein scheint, kehrt Evan nach New York zurück. Selbst nach all den Jahren ist da immer noch diese starke Anziehung zwischen ihnen … doch die beiden sind längst keine Kinder mehr.

Impressum

Erstausgabe Oktober 2023

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-268-8 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-487-3

Covergestaltung: ARTC.ore Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Mo-ven von shutterstock.com: © Cara-Foto, © ssguy, © Maxim Mitsun, © Andrey Jyk, © Edward Bend, © Fotokon Lektorat: Mira Massong Korrektorat: Katrin Ulbrich

E-Book-Version 08.01.2024, 09:55:22.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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New York Grand Hotel

Prolog

Brianna

„Dort oben herrscht eine andere Welt, es gelten andere Regeln.“ Die wohlbekannten Worte ihres Grandpas erklangen, als sie in ihr schönstes Kleid schlüpfte und sich vor dem Spiegel in der kleinen Wohnung im Untergeschoss einmal um die eigene Achse drehte.

Genau genommen waren es nur zwei miteinander verbundene Zimmer, die Brianna und ihr Grandpa ihr Zuhause nannten. Zimmer, die man den Angestellten des Juwels gegen kleines Geld zur Verfügung stellte.

„Aber heute ist der Winterball!“, erwiderte sie mit Panik in der Stimme, während sich ihre Gedanken wild überschlugen. Und Evan holt mich gleich ab. Hatte ihr Grandpa es sich im letzten Moment anders überlegt? Sie wusste, dass er es nicht gern sah, wenn sie sich in der Eingangshalle herumtrieb oder sich in den Ballsaal schlich. Hier unten war ihr Revier. Gleich neben der riesigen Konditorei und der hauseigenen Wäscherei.

Brianna hielt für einen Moment inne und atmete dann – als keine Antwort mehr kam – erleichtert aus. Auch wenn sie ihren Grandpa Joseph nicht sehen konnte, der ältere Herr saß nebenan auf der Couch, so wusste sie, dass sich zwischenzeitlich ein nachsichtiges, liebevolles Lächeln auf seine Lippen geschlichen hatte. Sie hatte ihm schließlich noch nie Anlass zur Sorge gegeben, ihm Kummer bereitet oder ihn in eine peinliche Lage gebracht, die ihn seine Anstellung im Hotel hätte kosten können. Das Luxushotel am Central Park war Josephs einziger Lebensinhalt gewesen, bis ein tragischer Schicksalsschlag ihrer beider Leben für immer verändert hatte und sie als kleines Mädchen zu ihm gezogen war.

Brianna schnappte sich das kitschige, strassbesetzte Diadem, das auf ihrer Kommode lag, und steckte es sich am Oberkopf fest. Was Evan wohl zu ihrem Outfit sagen würde? Sie liebte das goldschimmernde Kleid, dessen Unterseite aus mehrlagigem Tüll bestand, und die Pailletten am Oberteil, die im Licht nur so funkelten.

Aber erst einmal müsste sie an ihrem Grandpa vorbei, der bei ihrem Aufzug wahrscheinlich aus allen Wolken fallen würde.

Mit klopfendem Herzen verließ sie ihr Zimmer und fühlte sich plötzlich sehr erwachsen. Zum ersten Mal sah sie selbst aus wie eine der reichen Damen, die sich oben in der Lobby tummelten – nur dass ihr Schmuckstück nicht von Tiffany war, sondern von Target. Brianna musste grinsen, denn es war wirklich zu komisch.

„Alles in Ordnung?“ Brianna sah ihren Großvater besorgt an, denn anstelle der erwarteten Moralpredigt verzog dieser bei ihrem Anblick nur traurig lächelnd das Gesicht.

„Du bist deiner Mom wie aus dem Gesicht geschnitten.“ Seine Augen füllten sich mit Tränen, und Brianna wusste, was in ihm vor sich ging. Er versuchte erst gar nicht, ihr etwas vorzumachen – denn Geheimnisse hatte es zwischen ihnen nie gegeben. Besonders jetzt zur Weihnachtszeit holten ihn die Erinnerungen immer wieder ein und erfüllten sein altes Herz mit Schmerz. Bei Brianna dagegen verblassten die wenigen Erinnerungen an ihre Eltern von Jahr zu Jahr mehr, wie die Farben der Fotografie auf ihrem Nachtschränkchen. Sie legte dem älteren Herrn mitfühlend die Hand auf die Schulter. In wenigen Stunden würde seine Schicht beginnen, wie für so viele Menschen in New York, während die Gäste des Juwels in ihren Luxussuiten schlummerten. Menschen, die im Hintergrund alles dafür taten, um die Stadt am Laufen zu halten oder um anderen ein unvergessliches Erlebnis zu bieten.

Brote, Bagels und Kuchen würden die Backstube verlassen, aber auch allerlei exquisite Köstlichkeiten für die mehrstöckigen Etageren, die man im hauseigenen Café zum Frühstück und später zum Nachmittagstee servierte.

Köstliche Düfte würden in den frühen Morgenstunden nach oben ziehen, sich ihren Weg nach draußen bahnen und sogar den nahe gelegenen Central Park in einen Hauch von Luxus hüllen.

Auch wenn ihr Grandpa in diesem Moment müde wirkte, wusste Brianna, dass er zu seiner Schicht wieder hellwach wäre.

Mit einem stolzen Lächeln sah der Konditor nun seine Enkeltochter an, ehe er sicherheitshalber den Zeigefinger hob. „Um elf bist du wieder hier.“

Brianna nickte überglücklich. Sie durfte ihr Kleid nicht nur anbehalten, ihr Grandpa hatte ihr auch indirekt grünes Licht für den Besuch des Winterballs gegeben. Natürlich würde sie nicht wirklich zum Ball gehen, obwohl Evan es vorhatte. Nein, sie würden sich wie in all den Jahren zuvor heimlich auf die Empore schleichen und von dort aus alles beobachten.

***

„Du hast sogar Proviant besorgt?“ Brianna sah erstaunt zwischen den Sandwiches und Zimtschnecken, die sich in einer Pappschachtel befanden, und Evan hin und her. Für einen Moment trat sogar Evans Smoking in den Hintergrund. Auch er hatte sich für ihr heutiges Vorhaben in Schale geworfen und grinste sie nun verschmitzt an.

„Du weißt doch, dass Edna mir keinen Wunsch abschlagen kann.“

Edna, die wie Briannas Großvater seit vielen Jahren fürs Juwel arbeitete, hatte den einzigen Erben des Hotels bereits in ihr Herz geschlossen, als man ihn im Kinderwagen zum ersten Mal durch die luxuriöse Lobby schob. Aber diese Zuneigung war nicht nur einseitig. Auch Evan hatte schon als kleiner Junge einen Narren an der herzlichen Köchin gefressen. Ein Grund dafür war sicher der, dass sie ihn, wann immer er sich ins Untergeschoss geschlichen hatte, mit einer heißen Tasse Kakao und Gebäck verwöhnte.

Brianna fiel auf, dass Evans Blick bewundernd an ihrem Diadem hängen geblieben war.

„Du siehst heute so anders aus“, stellte er lächelnd fest und streckte die Hand nach dem Haarreif aus, um ihn kurz zu berühren.

Brianna schnitt eine Grimasse und hoffte, dass Evan ihr ihre Nervosität nicht ansah. Zu ihrer Vorfreude auf den Ball mischte sich dieses Jahr noch ein anderes Gefühl: Verliebtheit.

Dabei kannte sie Evan fast ihr ganzes Leben lang. Sie lebten nicht nur beide im Juwel, wenn auch in unterschiedlichen Welten, sondern waren zudem beste Freunde. Wobei er sich die meiste Zeit über hier unten im Personalbereich aufhielt.

Sehr zum Missfallen seiner Mutter, die Brianna seit einigen Monaten mit Argwohn beäugte. Evans Dad dagegen verbrachte seine Zeit gelegentlich selbst hier unten, ob es nur ein kurzer Plausch mit den Angestellten in der Backstube und der Wäscherei war oder eine Partie Schach im Aufenthaltsraum mit ihrem Grandpa. Mister Simon Wayne war ein Mann mit Charakter, Verstand und Herz, wie ihr Großvater ihn oft bewundernd beschrieb. Unabhängig von seinem Stand und Einfluss. Solche Männer waren auf dieser Welt rar gesät. Und auch wenn Brianna erst zwölf war, wusste sie genau, was ihr Grandpa damit meinte, denn Evan war genauso.

„Willst du hier Wurzeln schlagen oder gehen wir?“ Evans gut gelaunte Stimme holte sie aus ihren Gedanken und er bot Brianna galant seinen Arm an.

Brianna schloss die Tür zu ihrer Wohnung und hakte sich nach kurzem Zögern kichernd bei ihm unter. Dabei klopfte ihr Herz bis zum Hals. Für Evan dagegen schien es die normalste Geste der Welt zu sein. Warum auch nicht, schließlich waren sie nur beste Freunde.

„Du hättest mit deinen Eltern auf den Ball gehen können“, erinnerte Brianna ihren Begleiter und fügte in Gedanken hinzu: Anstatt mit mir.

„Damit ich mich dort nur langweile?“ Evan schüttelte den Kopf. „Mit dir macht es viel mehr Spaß.“

Brianna lächelte zerknirscht, denn an Tagen wie diesen wurde ihr noch mehr bewusst, wie verschieden ihre Welten doch waren. Auch wenn sie ebenfalls von klein auf von all dem Luxus umgeben war, könnten ihre Leben nicht unterschiedlicher sein. Evan wohnte mit seiner Familie in der riesigen Suite, die sich auf zwei Stockwerke verteilte und den Großteil der obersten Etage im Juwel einnahm. Brianna war aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen, als Evan sie zum ersten Mal mit hinauf genommen hatte. Nicht nur die Einrichtung hatte ihr die Sprache verschlagen, sondern auch der atemberaubende Ausblick auf den Central Park.

Kein Wunder. Sie wohnte im Keller, und was die Einrichtung anging, zählte für ihren Grandpa eher die Devise: praktisch statt modern. Die Möbel in ihrer Wohnung waren mehrere Jahrzehnte alt und erfüllten rein ihren Zweck.

Außerdem besuchte Evan im Gegensatz zu ihr keine staatliche Schule, sondern eine private, die in unmittelbarer Nähe zur Columbia University lag. Er nahm auch nicht den Bus; ihr bester Freund wurde jeden Morgen pünktlich um sieben Uhr von seinem Chauffeur abgeholt, der ihn hinauf bis nach Morningside Heights brachte, ein Stadtteil Manhattans, der sich auf der anderen Seite des Central Parks befand. Von ihren unterschiedlichen Hobbys mal ganz zu schweigen. Fechten. Welcher normale Junge übte sich im Fechten?

„Achtung, Hector im Anmarsch!“

Augenblicklich war Brianna wieder im Hier und Jetzt. Inzwischen befanden sie sich im Korridor, der zu den öffentlichen Bereichen führte. Doch zu spät, der hagere Concierge hatte sie bereits entdeckt.

„Guten Abend, Master Evan“, biederte sich der Mann im Frack mit einem falschen Lächeln an. Brianna würdigte er keines Blickes. Warum auch, sie war ja nur die Enkelin des Konditors und dazu ein Kind. „Wo geht es hin?“ Sein Blick wanderte zu der bedruckten Pappschachtel, die eindeutig als eine aus der hauseigenen Konditorei zu identifizieren war.

„Zur Party“, erwiderte Evan unbeeindruckt und schenkte Brianna ein strahlendes Lächeln.

„Aber ihr könnt doch nicht!“, antwortete Hector harsch und vergaß für einen Moment seine aufgesetzte Höflichkeit.

„Mom und Dad wissen Bescheid. Einen schönen Abend, Hector.“

Nur mit Mühe konnte sich Brianna ein Grinsen verkneifen, als sie, immer noch bei Evan eingehakt, am Concierge vorbeischritt und zum Trotz stolz den Kopf hob. Schließlich hatte ihr Diadem vom Supermarkt auch etwas Aufmerksamkeit verdient.

„Dem hast du es gegeben.“ Auch wenn Brianna dachte, dass ihr Herz heute nicht schneller schlagen könnte, hatte Evans Coolness sie beeindruckt.

„Der Pinguin im Frack hat mir nichts zu sagen, obwohl er Moms Liebling ist.“

Brianna grinste, denn immer öfter lehnte sich ihr bester Freund gegen den persönlichen Spitzel seiner Mutter auf, der sämtliche Mitarbeiter im Untergeschoss abschätzig behandelte.

Musste wohl so ein Teenagerding sein – immerhin war Evan mit seinen fünfzehn Jahren ganze drei Jahre älter als sie.

Für einige Augenblicke liefen die beiden stumm nebeneinanderher, bis sie das Ende des langen Korridors und die Empore erreichten, von der aus man die gesamte Hotellobby betrachten konnte.

Wie jedes Mal, wenn Brianna herkam, stockte ihr der Atem. Es waren die unzähligen Kronleuchter, Materialien und Stoffe, die die Lobby in einen palastartigen Eingangsbereich verwandelten. Der Weg zur Rezeption war mit weichen Teppichen ausgelegt, die perfekt mit den messingfarbenen Gepäckwagen harmonierten, auf denen sich Koffer, Taschen und Hutschachteln stapelten. Die auf Hochglanz polierte Drehtür, hinter der sich eine der meistbefahrenen Straßen New Yorks befand, und der glänzende Marmor am Boden rundeten das Bild ab. Es herrschte ein geschäftiges Durcheinander und der Duft von Luxus und der großen weiten Welt, aus der die Gäste kamen, lag in der Luft.

Aber jetzt zur Weihnachtszeit kam noch etwas anderes dazu: märchenhafte Magie. Auch wenn es kaum möglich war, wirkte das Juwel, wenn es wie heute in den Schneemassen versank, einladender und imposanter als sonst. Die mehrere Meter hohe Nordmanntanne, die man vor einer Woche unter großem Krafteinsatz und so leise wie möglich während der Nacht hereingeschleppt und geschmückt hatte – schließlich durften die Gäste nicht gestört werden – brachte ihre Augen zum Leuchten.

Wie in Trance ließ Brianna Evans Arm los und steuerte auf das Balustergeländer zu, um das weihnachtliche Bild, das leider nur wenige Wochen anhielt, in sich aufzunehmen. Unzählige Lichter brachten den Baum zum Funkeln und die außergewöhnlichen Kugeln und Zapfen, die ein Glasbläser extra für das Juwel gefertigt hatte, schimmerten zwischen den Tannenspitzen wie Eiskristalle. Am Boden unter der deckenhohen Tanne türmten sich Geschenke in allen Größen und Formen, und obwohl Brianna wusste, dass es sich hierbei nur um Dekoration handelte, wurde ihr beim Anblick ihres Weihnachtsbaums ganz warm ums Herz. Wie immer hatte man den Baum mit Absperrständern und Kordeln vor neugierigen Gästen geschützt. Nur für den Fall, dass jemand auf die Idee käme, auch nur ein Detail in Unordnung zu bringen.

Für einen Moment vergaß Brianna fast, dass sie für heute noch andere Pläne hatten – den alljährlichen Winterball im Juwel.

Ihr Blick wanderte zur messingfarbenen Tür, die nun von zwei Pagen geöffnet wurde. Herein kam ein Ehepaar. Es war unschwer zu erkennen, dass es sich bei den Neuankömmlingen um Besucher des Balls handelte. Trotz des Reichtums, den die beiden durch ihre teuren Mäntel ausstrahlten, wirkten sie sympathisch.

„Dana und Henry Carter“, kommentierte Evan deren Ankunft erfreut. „Ich mag sie, sie sind nicht solche Snobs wie die anderen.“

Für einen Moment starrte Brianna fasziniert auf das cremefarbene Kleid der Frau, das über und über mit Pailletten besetzt war. Sie wirkte, als wäre sie einem Märchenbuch entsprungen.

„Komm, lass uns gehen, sonst verpassen wir die Begrüßung!“ Evan stupste sie freundschaftlich in die Seite, ehe er einen verstohlenen Blick in die Pappschachtel warf. Ganz offensichtlich konnte ihr Freund es nicht erwarten, es sich mit den Köstlichkeiten aus der Konditorei gemütlich zu machen.

Aber auch Brianna lief beim Duft der zimtigen Minischnecken das Wasser im Mund zusammen. Eine Spezialität von Edna, die es nur im Untergeschoss gab und die sich im Aufenthaltsraum der Angestellten größter Beliebtheit erfreute.

Endlich wandte Brianna den Blick von Dana Carter ab und schloss zu Evan auf, der sich in diesem Moment nicht gerade wayne-like eines der kleinen Gebäckstücke in den Mund schob.

„Tschuldigung“, murmelte der Erbe des Luxushotels mit vollem Mund und sah Brianna ertappt an. Dabei wirkte er wieder wie der sechsjährige Lausbub, der es geliebt hatte, Hector Streiche zu spielen.

Brianna schüttelte amüsiert den Kopf und gemeinsam liefen sie einen weiteren Korridor entlang, der zum Haupteingang des großen Ballsaals führte.

„Was hast du vor?“ Brianna blieb wie angewurzelt stehen, als ihr klar wurde, dass Evan mit einer fast beängstigenden Selbstsicherheit direkt auf die Türsteher des exquisiten Events zusteuerte.

„Na, ich hab dir doch versprochen, dass wir auf den Ball gehen.“

Die mahnende Stimme ihres Grandpas meldete sich augenblicklich in Briannas Kopf. Er hatte sie nur gehen lassen, weil er davon ausging, dass Evan und sie sich wie immer im Hintergrund halten würden. Was so viel bedeutete wie den Hintereingang zu benutzen und von dort aus alles still und heimlich zu beobachten. Wie die Taubenfrau aus Kevin – Allein in New York, die sich im Schutz der Dunkelheit unter dem Gebälk des Opernhauses eine Vorführung ansah.

Aber heute wollte sich Evan allem Anschein nach nicht wie Kevins Turteltaubenfreundin verstecken.

Beherzt griff er nach Briannas Hand, klemmte sich die Schachtel mit Gebäck unter den Arm und steuerte unbeirrt auf die Absperrung zu. Denn auch hier signalisierten mehrere Ständer mit Kordeln den Besuchern des Hotels, dass auf dieser Veranstaltung nur geladene Gäste erlaubt waren.

Unbehaglich sah sich Brianna um, doch bis auf die Carters, die in diesem Moment die geschwungene Treppe hinaufkamen, war der Bereich vor dem Saal menschenleer. Kein Wunder, schließlich war es bereits kurz vor acht und das alljährliche Spektakel würde jeden Moment losgehen.

„Siehst du, mein Liebling, wir haben es rechtzeitig geschafft.“ Henry Carter schenkte seiner Frau ein liebevolles Lächeln. „Trotz des Schneegestöbers und der Reifenpanne.“

„Na, was für ein Glück“, erwiderte Dana Carter mit einem herzhaften Lachen, ehe sie die beiden Kinder im Foyer entdeckte. „Evan, so eine Freude!“ Auf dem Gesicht der Frau breitete sich ein herzliches Lächeln aus. „Schön, dass du in diesem Jahr auch dabei bist.“ Dann sah sie überrascht zu Brianna. „Und in so bezaubernder Gesellschaft.“

Auch Mister Carter schenkte ihr ein freundliches Kopfnicken und Brianna spürte, wie sie bei dieser ungeteilten Aufmerksamkeit bis unters Diadem rot anlief.

„Das ist Brianna, meine Freundin und zukünftige Chef-Patissière des Juwels“, stellte Evan sie stolz vor, während er weiterhin ihre Hand hielt. Bitte mach es nicht noch schlimmer, wir werden einen Riesenärger bekommen. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie Hectors Schatten, der hinter einem schweren Brokatvorhang aufgetaucht war. Dennoch hatte Evan recht. Gebäck und Törtchen waren ihre große Leidenschaft. Es war von klein auf ihr Traum, in die Fußstapfen ihres Grandpas zu treten, um ebenfalls Konditorin zu werden.

„Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Brianna.“

„Mich ebenfalls, Mrs. Carter“, stammelte sie geistesgegenwärtig, ehe das Ehepaar am Eingang seine Karten vorzeigte und sich kurz darauf verabschiedete.

Karten, sie hatten keine Karten. Es war also nicht zu spät, umzukehren und den Hintereingang zu nehmen.

Doch bevor sie dazu kam, Evan von seinem Plan abzubringen, drang seine Stimme zu ihr durch.

„Meine Eltern erwarten uns schon …“

„Aber natürlich, Mr. Wayne. Dann beeilen Sie sich lieber, es geht jeden Moment los.“

1

Evan

Zehn Jahre später

Wir brauchen dich hier, du bist der Einzige, der mit allen Abläufen vertraut ist.

Evan schüttelte ungläubig den Kopf, denn die verzweifelte Bitte seiner Mutter verfolgte ihn seit ihrem Telefonat am Morgen. Nicht nur, weil er in ihrer Stimme die nackte Angst gehört hatte, sondern weil es das erste Mal überhaupt gewesen war, dass sie ihn verzweifelt angefleht hatte. Evan lachte zynisch. Die Frau, der es vor zehn Jahren nicht schnell genug gegangen war, dass er das Gastgewerbe von der Pike auf lernte. Nicht etwa im Juwel bei seiner Familie, nein, in Europa. Fernab von seinem Elternhaus – und Brianna. Er war erst sechzehn gewesen, bis über beide Ohren verliebt und konnte kein einziges Wort Französisch, doch das hatte seine Mutter nicht interessiert.

Evan lief zum Fenster und sah nachdenklich hinaus. Dieser unerwartete Anruf war nicht nur zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt gekommen, er stellte auch sein Leben komplett auf den Kopf. Mittlerweile war er längst nicht mehr der verlorene Jugendliche, der kein Wort verstand, sondern einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner in ganz Paris und er hatte hier alle Hände voll zu tun.

Sein Blick wanderte automatisch zum Wahrzeichen der Stadt, das sich goldleuchtend von der Dunkelheit absetzte, und zum ersten Mal seit einer langen Zeit gestattete sich Evan einen Gedanken an Brianna. Der Schmerz, den er viele Jahre verdrängt hatte, war verschwunden. Dennoch trug er es ihr bis heute nach, dass sie ihm nie geantwortet hatte. Keinen einzigen verdammten Brief, und er hatte in seinen Lehrjahren weiß Gott Besseres zu tun gehabt, als verliebte Briefe zu schreiben, auf die er nie eine Antwort bekam.

Evan ging gedanklich seine To-do-Liste durch. Den Hoteldirektor, der ihn während seiner Abwesenheit vertreten würde, hatte er bereits am Morgen instruiert. Ebenso seine Assistentin. Sie würde die geplanten Meetings alle absagen oder notfalls auf Videokonferenzen umleiten. Außerdem hatte sie versprochen, sich um Jean-Luc zu kümmern – ein Graupapagei, den ihm seine Freunde zum Einzug geschenkt hatten, obwohl Tiere im Hotel eigentlich nicht gestattet waren. Das war vor drei Jahren gewesen, kurz nachdem die Tinte auf dem Kaufvertrag für eine weitere Immobilie, die in den Besitz der Waynes überging, getrocknet war. Beinahe zur selben Zeit hatte er Vivien kennengelernt – seine heutige Verlobte. Mist, dann mussten sie wohl auch ihre Tortenverkostung verschieben, dies war ja leider nicht über Zoom möglich.

Der Flug war ebenfalls schon gebucht und sein Koffer gepackt. Dieser stand ohnehin immer bereit, da er oft spontan verreisen musste. Da er allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht sagen konnte, wie lange sein Aufenthalt in New York dauern würde, war es wohl besser, etwas mehr einzupacken. Vor allem warme Kleidung, denn zu dieser Jahreszeit konnte es im Big Apple eisig werden. Was nicht nur an seiner Mutter lag, sondern vielmehr am kalten Wind, der durch die tiefen Häuserschluchten pfiff.

Augenblicklich verzog sich sein Mund zu einem Lächeln, als er sich an einen längst vergangenen Wintertag aus seiner Kindheit erinnerte. Sein Dad und er hatten vor den Toren des Juwels einen Schneemann gebaut und ihn gebührend verziert. Mit dem Frack, wie die Concierges sie trugen, und dem hochnäsigen Gesicht aus schwarzen Steinchen hatte er eine verblüffende Ähnlichkeit mit Hector gehabt. Doch diese Zeiten und die Schneeballschlachten vor den Drehtüren des Juwels waren längst vorbei und Evan fragte sich, wie schlecht es um seinen geliebten Vater wirklich stand. Noch im Sommer hatten sie einige Tage zusammen verbracht und Simon hatte keineswegs den Eindruck gemacht, dass es ihm gesundheitlich schlecht ginge. Im Gegenteil, er wirkte losgelöst und entspannt – fernab von New York. Vor allem ihre Spaziergänge am Abend entlang der Seine hatte er genossen, ebenso wie die Speisen und den hervorragenden Wein in dem kleinen Restaurant in der Avenue de Versailles. Er sah seinen alten Herrn förmlich vor sich, wie er sich nach dem Essen – in Butter pochierter Hummer mit Champignons und Sauce Bordelaise – glücklich den Bauch rieb. Seitdem gab es dieses Gericht auch regelmäßig an Ednas Küchentisch. Obwohl die Köchin mittlerweile im Ruhestand war, so ließ sie es sich nicht nehmen, Simon Wayne, wann immer es die Zeit zuließ, kulinarisch zu verwöhnen.

Bittersüße Erinnerungen mischten sich mit einem Gefühl von Hilflosigkeit, denn Evan wollte nicht glauben, dass sein Vater wirklich so krank war, dass selbst seine Mutter in Panik verfiel. Wahrscheinlich wurde ihr erst jetzt bewusst, was alles auf dem Spiel stand und was es bedeutete, wenn ihr Mann für längere Zeit oder gar für immer ausfiel. Evan schluckte, denn allein der Gedanke, dass sein Vater – einst unerschütterlich und tatkräftig – nun handlungsunfähig im Bett lag, schnürte ihm die Kehle zu.

Kündigte sich ein Schlaganfall überhaupt in irgendeiner Weise an? Er kam meist unerwartet, so wie jetzt bei seinem Dad. Vielleicht wurde seinem alten Herren auch so langsam alles zu viel. Er war ein Mann vom alten Schlag, für den ein Wort noch genauso viel zählte wie ein Vertrag und dem es manchmal schwerfiel, mit all den Neuerungen Schritt zu halten. Besonders im Hotelgewerbe hatte sich in den letzten Jahren so viel verändert, doch sein Dad hielt nach wie vor an den goldenen Zeiten und dem guten Namen des Juwels fest. Zwischen all den neuen Hotelketten, die wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, musste sich ein Luxushotel mit altmodischem Charme und kauzigen Angestellten erst einmal behaupten. Aber war es nicht genau dieses Alleinstellungsmerkmal, das sie in New York einzigartig machte? Nein, sogar auf der ganzen Welt war das schlossähnliche Hotel mit seinen unzähligen Erkern und Türmchen direkt am Central Park bekannt.

Evan fuhr sich müde übers Gesicht, seine Gedanken wanderten zu den Aufgaben, die ihn im New Yorker Haus erwarten würden. Gegen das zwanzigstöckige Gebäude im französischen Renaissance-Stil mit seinen fünfhundert Zimmern war sein Balzac geradezu winzig, auch wenn es über hundert Zimmer zählte. Was Eleganz anging, stand es seinem großen Bruder jedoch in nichts nach. Das Herrenhaus im neoklassizistischen Stil lag nur wenige Gehminuten von der Champs Élysées und dem Triumphbogen entfernt und punktete mit seinem unvergleichlichen Pariser Charme, den die Touristen so sehr liebten.

Zwischenzeitlich fühlte sich Evan sogar mehr französisch als amerikanisch. Die Zeiten, in denen er als Teenager fettige Burger mit Pommes verschlungen und Cola getrunken hatte, waren lange vorbei. Nicht dass ein gelegentlicher Burger in einem Diner keinen Genuss versprach – schnellen Genuss –, aber er liebte es noch mehr, sich beim Essen Zeit zu nehmen und mit allen Sinnen zu genießen. Vorzugsweise in einem der vielen Pariser Eckrestaurants mit Sonnenterrasse, in denen aufstrebende Sterneköche ihre Kreationen anboten.

Er würde sein Paris vermissen, auch wenn sein Aufenthalt in der Heimat nur von begrenzter Dauer wäre. Dennoch breitete sich allmählich eine Art Vorfreude in seinem Körper aus, als er nun an die bevorstehende Reise dachte. Zehn Jahre waren vergangen, seit er New York verlassen hatte. Die ersten davon geprägt von Liebeskummer und Heimweh. Doch sein Ehrgeiz und Stolz hatten diese Gefühle mit der Zeit beiseitegeschoben und aus ihm einen Mann gemacht, der den Geistern der Vergangenheit nicht nachtrauerte. Er war ein Wayne und würde irgendwann das Familienimperium fortführen – nur hoffte er, dass dieser Moment nicht schon jetzt gekommen war.

Evan lief zum Schreibtisch und holte das lederne Fotoalbum heraus, das Brianna ihm zum Abschied geschenkt hatte. Mit einem wehmütigen Lächeln schlug er die erste Seite auf und betrachtete das Gruppenfoto, das einige der Angestellten des Juwels zeigte. Wie viele davon wohl mittlerweile im Ruhestand waren? Allein auf diesem Foto waren mindestens zwanzig Personen zu sehen, die seit seiner Kindheit im Hotel gearbeitet und schon damals zu den Alten gehört hatten. Darunter ein Schnappschuss von Edna und Joseph. Sein Dad hatte ihm im Sommer erzählt, dass der Konditor wenige Monate zuvor in den wohlverdienten Ruhestand gegangen war. Evan konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen, denn Joseph war vom selben Schlag wie sein Dad und nicht dafür gemacht, nur herumzusitzen. Was Brianna anging, hatte er ehrlich gesagt keinen blassen Schimmer. Er konnte nicht einmal sagen, ob sich ihr Kindheitswunsch zwischenzeitlich erfüllt hatte und sie die erste weibliche Patissière des Juwels geworden war. Sein Dad hatte sie, nachdem Evan ihm sehr deutlich gesagt hatte, dass er nichts mehr von ihr wissen wollte, nie wieder erwähnt.

Und er hatte ihn nie wieder nach ihr gefragt. Dabei schien es, als wäre es erst gestern gewesen, dass sie ihm von ihren Träumen und ihrer Liebe für das Backen erzählt hatte.

Evan blätterte zum nächsten Bild, das die riesige Konditorei im Untergeschoss des Hotels zeigte. Das Foto war durch das Sprossenfenster aufgenommen worden, das die Konditorei vom Flur trennte. Er konnte nicht zählen, wie oft er sich die Nase an der Scheibe platt gedrückt hatte. Besonders zu Weihnachten war es dort zugegangen wie in einer Wichtelwerkstatt am Nordpol – und es hatte auch genauso ausgesehen. Lichterketten und Tannengirlanden verzierten die Türrahmen und Fenster, und die Mitarbeiter hatten ihre weißen Schürzen und Mützen traditionell gegen rot gemusterte Weihnachtsstoffe getauscht.

Evans Lächeln wurde breiter, denn erst jetzt entdeckte er sich selbst auf diesem lebhaften Foto, das mit seinen unzähligen Details und Aktionen stark an ein Wimmelbild erinnerte. Im Hintergrund war ein Teil der gemütlichen Küche zu sehen, und die Eckbank, auf der er einen großen Teil seiner Kindheit verbracht hatte. Ganz offensichtlich war es seine Legophase gewesen, wie er mit einem leisen Lachen feststellte, denn Han Solos Millennium Falcon war trotz des kleinen Bildausschnitts deutlich zu erkennen. Das Raumschiff nahm gut ein Viertel des Küchentisches ein; er hatte es fast genauso sehr geliebt wie die Weihnachtskekse und den Kakao mit Marshmallows, den Edna ihm in diesem Moment kredenzte.

Was war er nur für ein Glückspilz gewesen?

Unzählige Erinnerungen an seine Kindheit stürzten auf ihn ein und erfüllten sein Herz mit Wärme. Eine Wärme, die er die meiste Zeit über im Untergeschoss des Hotels gesucht hatte. Bei Menschen, die im Grunde nur für seine Eltern arbeiteten und sich sonst nicht weiter für ihn interessieren mussten. Aber das Gegenteil war der Fall gewesen. Sie hatten ihn in ihrer Mitte aufgenommen, als wäre er einer von ihnen.

Er konnte den würzigen Duft von Kakao und Zimt förmlich riechen, als er nun weitere Details aus dem Bild in sich aufnahm. Kein Wunder, dass er sich als kleiner Junge gern ins Souterrain des Luxushotels hinuntergeschlichen hatte. Hier war es gemütlich gewesen, besonders am großen Holzofen, in dem man die Brote und andere herzhafte Leckereien backte. Und obwohl es im Untergeschoss nie einen glamourösen Weihnachtsbaum mit kristallenen Kugeln gegeben hatte, konnte er hier den Zauber der Weihnacht förmlich spüren.

Evan schluckte fest, als er auf einem weiteren Bild seinen Dad und Joseph erkannte, wie sie in jungen Jahren Schach spielten. Die beiden saßen an einem Tisch im Aufenthaltsraum und ihre Gesichter leuchteten vor Freude. Auch wenn Evan bis jetzt stark geblieben war, konnte er die Tränen nunmehr nicht länger zurückhalten. Er würde alles dafür geben, dass sein Vater schnell wieder auf die Beine kam. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er während des unerwarteten Anrufs seiner Mutter nicht einmal imstande gewesen war, sie nach Einzelheiten zu fragen – vermutlich, weil er es einfach nicht wahrhaben wollte. Simon Wayne war schließlich ein Mann, der mit Herz und Verstand ein Millionenimperium führte und den nichts umhaute –, und solche Männer waren in New York rar gesät, erinnerte er sich erneut an Josephs damalige Worte.

Evan klappte das Album wieder zu und legte es in den Koffer. Die nächsten Seiten ließ er geflissentlich aus, denn bei seiner Heimkehr ging es nicht um Brianna. Wahrscheinlich war sie auch schon längst fort. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie immer noch in einer der winzigen Kellerwohnungen im Personalbereich lebte, in die kaum Tageslicht kam. Erst recht nicht, nachdem sie ihm offen gesagt hatte, was sie von der Entscheidung seiner Mutter hielt, und sich danach nicht mehr bei ihm gemeldet hatte.

Vermutlich war sie inzwischen längst verheiratet. Evan schnitt eine Grimasse, denn die Tatsache, dass sich seine Gedanken seit dem Morgen ständig um seine erste große Liebe drehten, ärgerte ihn. Zu viel Zeit allein mit seinen Gedanken tat ihm eindeutig nicht gut. Wie praktisch, dass er sich gleich mit einem Bewerber für die Stelle des neuen Sous Chef treffen würde. Ein kreatives Genie, wie seine Assistentin ihn genannt hatte. Okay, es war ihr Cousin zweiten Grades, was sollte sie auch sonst sagen?

Evan schnappte sich sein Jackett, das er achtlos aufs Bett geschmissen hatte, und zog es über sein Businesshemd. Seit er CEO des Balzac war, trug er fast täglich Kleidung einer bestimmten italienischen Marke am Körper. Die Anzüge waren nicht nur bequem, sondern saßen auch wie angegossen, sodass er sich den persönlichen Gang zum Herrenausstatter sparen konnte. Wie sehr hatte er es als kleiner Junge und später als Teenager gehasst, wenn der hauseigene Schneider des Juwels sein Maßband gezückt hatte … Er wollte sich lieber nicht an das stundenlange Strammstehen auf einem Hocker und die darauffolgenden Anproben erinnern. Glücklicherweise konnte er mittlerweile selbst darüber entscheiden, ob er einen seriösen und respektablen Eindruck machte. Und das war in seinem dunklen italienischen Anzug zweifelsohne der Fall. Seine Freunde hatten ihn im Scherz sogar schon gefragt, ob er nicht als Mr. Millionaire auf der nächsten Fashion Week in Paris mitlaufen wollte.

„Armani“, krächzte Jean-Luc, als Evan zurück ins Wohnzimmer kam.

„Ja, ich hab’s kapiert“, erwiderte er unbeeindruckt und rollte mit den Augen. Evan hätte seinen Freund erwürgen können, dem es während einer seiner Geschäftsreisen gelungen war, seinem Haustier dieses Wort einzubläuen. Seitdem hörte er es jeden Tag, genau genommen jedes Mal, wenn er sich sein Jackett überzog. Wenn sich der Graupapagei einmal nicht meldete, wusste Evan, dass er etwas vergessen hatte.

„Bis später, Jean-Luc.“

„Armani!“, kam es prompt zurück.

Evan schnappte sich seine lederne Dokumentenmappe und sein Handy und verließ schließlich mit einem amüsierten Kopfschütteln das luxuriöse Appartement.

***

„Bonsoir, Monsieur Wayne“, begrüßte ihn einer der Kellner sichtlich überrascht, als er wenige Minuten später das Restaurant im Erdgeschoss betrat. „Sie haben noch einen Geschäftstermin?“

„Guten Abend, Pierre. Ja, da ich morgen kurzfristig verreisen muss.“

Der ältere Herr nickte, und Evan hätte seine rechte Hand darauf verwettet, dass seine Angestellten bereits von seiner bevorstehenden Reise wussten. Warum sollte es hier auch anders sein als im Juwel? Er war damals hautnah dabei gewesen, wenn sich die Zimmermädchen und Portiers über die neuesten Skandale ausgetauscht hatten. Zwar immer verhalten, aber als kleiner Junge war er oft unentdeckt geblieben und hatte seine feinen Antennen überall ausgefahren. Besonders über die schlüpfrigen Themen hatte er sich mehr als amüsiert.

„Dann wünsche ich Ihnen trotz allem eine angenehme Reise“, kam es vom Kellner zurück und sein mitfühlender Blick verriet ihm, dass er bereits bestens Bescheid wusste.

„Danke, Pierre.“

Evan nahm an einem der hinteren Tische Platz und lauschte für einige Momente dem Klavierspiel. Es war eine Darbietung von White Christmas. Gerade laut genug, um die Unterhaltungen der Gäste nicht zu stören. Dazu mischten sich Geschirrgeklapper und gelegentlich das Zischen der Espressomaschine. Selbst von hier aus hatte man einen Blick auf den Eiffelturm, auch wenn es nur das obere Drittel der Spitze war. Ein Anblick, der Evan nicht weiter faszinierte, im Gegensatz zum deckenhohen Weihnachtsbaum neben der kleinen Bühne. Wie in den zwei Jahren zuvor hatte man die kristallenen Kugeln und Zapfen aufgehängt, die auch die imposante Tanne in der Lobby des Juwels schmückten. Evan wusste bis heute nicht, wer es gewagt hatte, ein Dutzend der limitierten Schmuckstücke zu entwenden, um sie ihm einfach nach Paris zu schicken.

Sein Dad war es jedenfalls nicht gewesen. Und Brianna? Evan lachte sarkastisch auf. Die hatte ihm ja nicht einmal zurückgeschrieben.

2

Brianna

Brianna zog sich ihren knielangen Daunenmantel über und schlüpfte eilig in ihre Lammfellboots. Schon wieder hatte sie eine der Szenen aus Velvet derart gefangen genommen, dass sie völlig die Zeit vergaß. Nur dass sie im Gegensatz zu Edna, die ihr die Serie mit einem verheißungsvollen Blick empfohlen hatte, arbeiten musste. Die pensionierte Köchin war mit dem Liebesdrama um Ana, eine bescheidene Näherin, und Alberto, Erbe eines exklusiven Modehauses in Madrid, längst durch. Brianna dagegen kam nur am Abend vor ihrer Schicht dazu, die Geschichte zwischen den beiden weiter zu verfolgen. Am liebsten mit einem Becher Kaffee, um wach zu werden, denn ihr Arbeitstag begann zu einer Zeit, in der die halbe Stadt schon schlief.

Doch ihr Leben stand ohnehin auf dem Kopf. Ob mit nächtlichem Kaffee oder ohne. Sie hatte die beziehungsunfreundlichsten Arbeitszeiten, die man sich nur vorstellen konnte. Aber wer brauchte schon eine Beziehung, wenn es Netflix, Törtchen und Desserts gab?

Brianna schnappte sich ihre Handtasche und verließ die kleine Mietwohnung, die sich in einem Brownstone in der Upper West Side befand. Vorsichtig setzte sie auf der schneebedeckten Treppe einen Fuß vor den anderen, dabei hielt sie sich am gusseisernen Geländer fest. Immerhin war es nicht gefroren, sonst hätte sie bis zum Morgen hier festgeklebt, ohne dass es irgendjemand bemerkt hätte. Okay, nicht ganz. Spätestens gegen ein Uhr hätte sich eine ihrer Kolleginnen gewundert, wo sie steckte, schließlich kam die frisch gebackene Patissière des Juwels nie zu spät – genauso wenig wie ihr Großvater in fünfzig Arbeitsjahren keinen einzigen Tag zu spät gekommen war. Aber Joseph hatte es ja auch nie weit gehabt. Nur den Flur hinunter, immer der Nase nach.

Briannas Mund verzog sich zu einem liebevollen Lächeln, denn der pensionierte Konditormeister lebte noch heute dort, in seiner alten Wohnung im Untergeschoss des Hotels.

Brianna erreichte den Gehweg, auf dem sich ebenfalls wieder Schnee gesammelt hatte – wozu Schnee schaufeln, wenn sie kaum hinterherkamen? –, und stapfte vor zur Central Park West. Im Gegensatz zu ihrem Sträßchen, das fast im Dunkeln lag, leuchtete hier die Weihnachtsbeleuchtung auch nachts. Kein Wunder, die exklusiven Appartementhäuser, die sich hier aneinanderreihten, hatten schließlich ihren Preis. Sie wurden nicht nur rund um die Uhr bewacht, es gab auch einen Wäsche- und Parkservice. Selbst die Türen mussten die Mieter nicht selbst öffnen. Diese Aufgabe übernahm ein uniformierter Doorman, der sich dick eingemummelt unterhalb des Vordachs bereithielt. Es erinnerte an einen Pavillon aus Stoff und überspannte den Gehweg bis zur Straße hin.

Brianna blieb für einen Moment stehen und betrachtete die funkelnden Lichterketten und roten Schleifen, die man am Dach befestigt hatte. Mit einem versonnenen Lächeln setzte sie ihren Weg fort, dann wanderte ihr Blick wie immer verstohlen nach oben zu dem hell erleuchteten Christbaum hinter dem Erkerfenster. Die Zeit schien plötzlich stillzustehen, als dicke Schneeflocken auf sie herabschwebten. Es war pure Magie oder wie Edna sagen würde: ein Zeichen des Himmels. Denn auch jetzt hatte Brianna das Gefühl, ihren Eltern ganz nahe zu sein. Eine Reihe solcher Zufälle und der Rückhalt im Juwel hatten ihr in den vergangenen Jahren geholfen, mit ihrem Verlust umzugehen.

Die Geräusche der Nacht drangen gedämpft zu ihr durch, einzig das Knirschen ihrer Stiefel auf Schnee war zu hören. Brianna passierte den Columbus Circle und da sah sie es schon von Weitem: hell erleuchtet und in goldenen Farben verströmte das Juwel seit jeher Luxus und Wärme. Die roten Teppiche, die am Boden auslagen und die Gäste zum Eingang führten, rundeten das Bild perfekt ab. Ebenso die Portiers mit ihren Zylindern und unverkennbaren Uniformen. Sie ähnelten mit ihren roten Jacken und goldenen Kordeln denen des weltbekannten Nussknackers aus Tschaikowskis Ballett.

Briannas Schritte wurden automatisch schneller, denn das Juwel zog sie wie schon als Kind magisch an. Es war der Zauber der weiten Welt, die Gäste, die hier ein und aus gingen, aber vor allem die Menschen, die hier arbeiteten. Es war, als würde sie heimkehren, was sie ja in gewisser Weise auch tat.

„Brianna, wir dachten schon, du hast verschlafen“, sagte der junge Portier gut gelaunt, als sie vor den Eingangsbereich trat.

„Ich doch nicht, Lucas. Ich konnte mich nur nicht von Velvet losreißen. Und tagsüber habe ich keine Zeit zum Fernsehen, da schlafe ich.“

Lucas schüttelte amüsiert den Kopf und Brianna wusste, dass er sie verstand. Ihm ging es während des Superbowls ähnlich. Wie gut, dass es während dieser Zeit im Pausenraum einen großen Fernseher gab, damit sich die sportbegeisterten Kollegen in ihren Pausen informieren konnten. Simon Wayne hatte diese Tradition eingeführt, denn egal ob Football, Baseball oder Fußball, in den USA oder auf der ganzen Welt … im Juwel gab es immer irgendeinen Fan, der hinter seinem Team stand. Als Kind war sie oft dabei gewesen und hatte die Giants lautstark unterstützt.

Heute jedoch konnte Brianna mit Bällen nichts mehr anfangen, außer sie waren aus fluffigem Gebäck oder steckten als Kugel auf einem Popsicle Stick. Am besten mit ganz viel Creme und Kokosraspeln umhüllt. So wie ihr aktuelles Meisterstück, das sie für den diesjährigen Winterball kreierte. Dana Carter hatte sie auf die Idee mit der selbst gemachten Kokoscreme gebracht. Die Dame gehörte nach wie vor zu den illustren Gästen des Juwels und besuchte mit ihrem zweiten Ehemann oft und gern das hauseigene Café im Erdgeschoss.

Als Brianna nun die Lobby passierte, weckten der Gedanke an Mrs. Carter und der Anblick des Christbaums schlagartig Erinnerungen an einen ganz bestimmten Abend vor vielen Jahren. Auch an diesem Tag hatte es so sehr geschneit, dass viele der Gäste sehr spät zum beliebtesten Ball des Jahres eingetroffen waren. Warum erinnerte sie sich ausgerechnet jetzt an diesen einschneidenden Tag in ihrem Leben? Der Tag, an dem Evan sie zum ersten Mal geküsst hatte. Ein Kribbeln durchfuhr ihren Körper, denn erst jetzt wurde ihr bewusst, dass seitdem genau zehn Jahre vergangen waren.

Zum Glück war Evan in letzter Sekunde zur Vernunft gekommen und sie hatten sich wie immer auf der Empore versteckt, um von dort aus alles zu verfolgen. Auch wenn Brianna nichts lieber getan hätte, als an einem der festlich gedeckten Tische zu sitzen, so gab es etwas, was ihr noch wichtiger war – ihren Grandpa nicht zu enttäuschen.

Heute brauchte sie sich nicht mehr zu verstecken. Im Gegenteil, sie hatte das Kommando in der Konditorei und trug die alleinige Verantwortung, dass sämtliche Kreationen in einem einwandfreien Zustand das Untergeschoss verließen. Dazu musste sie sich regelmäßig selbst einen Überblick während der Veranstaltungen verschaffen. Doch irgendetwas fehlte … es war diese verbotene Vorfreude, die sie damals schon Tage vor dem eigentlichen Event verspürt hatte. Die allgemeine Geschäftigkeit und Magie, die in der Luft lag … und Evans Freundschaft. Obwohl sie es niemals zugegeben hätte, war er derjenige gewesen, der jedes dieser Ereignisse zu etwas Besonderem gemacht hatte.