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Am Ende von Mut liegt das ganz große Glück
Eine weitere Geschichte aus dem New York Grand Hotel voller Liebe, Neuanfängen und ganz großen Gefühlen
New York in den 1950er Jahren: Der junge George stammt aus ärmlichen Verhältnissen und musste sich vieles in seinem Leben hart erarbeiten. Doch seit er klein ist, hat er nur einen Traum: Eines Tages die Leitung des prachtvollen Grand Hotel übernehmen, dass er bei einem seiner Botengänge von Innen sehen durfte. Seit diesem Tag lässt ihn dieser besondere und eindrucksvolle Ort einfach nicht mehr los. Nach Jahren harter Arbeit zahlt es sich endlich aus und George wird die Stelle als Manager des Grand Hotel angeboten. Er ist überglücklich und geht völlig in seinem Job auf. Doch etwas fehlt in Georges Leben – bis Catherine in sein Leben tritt. Die junge charismatische und mitreißende Frau nimmt im Grand Hotel eine Stelle als Hausdame an. George und Catherine verbringen immer mehr Zeit miteinander und beginnen tiefe Gefühle füreinander zu entwickeln. Doch Catherines Vergangenheit folgt ihr mit großen Schritten und droht, ihr vorsichtiges Glück wieder zu zerstören …
Erste Leser:innenstimmen
„Eine wunderschöne Liebesgeschichte und mitreißende Charaktere!“
„Toll, wieder zu Gast im New York Grand Hotel zu sein! Romantisch, lustig und zum Träumen."
„Ein Liebesroman mit Tiefgang und bezaubernden Momenten!“
„Super schöner Roman im New York der 50er Jahre – einfach toll erzählt!“
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Seitenzahl: 345
Veröffentlichungsjahr: 2025
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New York in den 1950er Jahren: Der junge George stammt aus ärmlichen Verhältnissen und musste sich vieles in seinem Leben hart erarbeiten. Doch seit er klein ist, hat er nur einen Traum: Eines Tages die Leitung des prachtvollen Grand Hotel übernehmen, dass er bei einem seiner Botengänge von Innen sehen durfte. Seit diesem Tag lässt ihn dieser besondere und eindrucksvolle Ort einfach nicht mehr los. Nach Jahren harter Arbeit zahlt es sich endlich aus und George wird die Stelle als Manager des Grand Hotel angeboten. Er ist überglücklich und geht völlig in seinem Job auf. Doch etwas fehlt in Georges Leben – bis Catherine in sein Leben tritt. Die junge charismatische und mitreißende Frau nimmt im Grand Hotel eine Stelle als Hausdame an. George und Catherine verbringen immer mehr Zeit miteinander und beginnen tiefe Gefühle füreinander zu entwickeln. Doch Catherines Vergangenheit folgt ihr mit großen Schritten und droht, ihr vorsichtiges Glück wieder zu zerstören …
Erstausgabe Oktober 2025
Copyright © 2025 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-69090-019-5 Taschenbuch-ISBN: 978-3-69090-037-9
Covergestaltung: ArtC.ore-Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © lovelyday12 adobe.firefly.com: © Christin Peulecke Lektorat: Astrid Rahlfs
E-Book-Version 17.09.2025, 09:08:55.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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New York 1943
„Aber Mr. Miller zahlt mir einen Vierteldollar je Botengang! Das sind fünf ganze Dollar die Woche!“
George sah zu seiner Mutter, die vor einer halben Stunde von der Arbeit zurückgekehrt war und in diesem Moment einige Scheiben Fleischwurst in die gusseiserne Pfanne legte. Es war die Ringwurst vom Haken, die es trotz der mageren Kriegsjahre an guten Tagen in der Metzgerei um die Ecke gab. Not macht erfinderisch lautete die Devise seiner Mom, und so servierte sie die Wurst voller Überzeugung als Fleischersatz. Nicht dass George sich je beschwert hätte, aber von dicken Steaks und saftigen Schmorbraten konnte er derzeit nur träumen.
Laura wischte sich mit dem Handrücken eine Strähne aus der Stirn und schob die aufgerollten Hemdsärmel weiter hoch. Sie steckte immer noch in ihrer blauen Arbeitshose, wie sie die Nieterinnen in der Fabrik trugen. Eine Fabrik, in der die Frauen neben ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter arbeiteten und ihren Beitrag an der Heimatfront leisteten. Allerdings nur so lange, bis ihre Männer vom Krieg zurückkehrten und sie ihr ursprüngliches Rollenbild wieder einnahmen.
Seine Mutter hatte ihm nicht viel von ihrem Job erzählt, nur dass sie eine bedeutende Aufgabe für Amerika übernahm und es neben den Nieterinnen auch Schweißerinnen gab – die allesamt mit fürchterlichen Augenproblemen zu kämpfen hatten. Was ihn jedoch seit einigen Tagen beschäftigte, hatte er nicht von seiner Mutter, sondern von einem Nachbarsjungen erfahren. Es handelte sich um eine derjenigen Fabriken, die die Soldaten an der Front mit den nötigen Materialien versorgte. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, gerade weil doch sein Vater bereits seit zwei Jahren an der sogenannten Front sein Leben riskierte. Die Vorstellung, dass seine Mom – geschickt wie sie war – einen Kotflügel für den neuesten Buick Century zusammennietete, hatte ihm eindeutig besser gefallen als die Arbeit in der Rüstungsfabrik.
Nichtsdestotrotz war George sehr stolz auf sie. Sein Mund verzog sich zu einem liebevollen Lächeln, denn seine Mom hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit dieser Rosie, die man fast täglich in den Zeitungen und in Übergröße auf Werbeplakaten sah. Sie war die personifizierte Patriotin und wirkte in ihrem Jeanshemd, dem kussechten Lippenstift und den Victory Rolls wie ein echter Filmstar. Eine Hochsteckfrisur aus voluminösen Haarlocken, die nach einem Flugmanöver benannt worden war und im Alltag sehr beliebt war. Viele Frauen trugen die Victory Rolls voller Stolz und signalisierten so auch modisch ihre Unterstützung mit den kämpfenden Truppen.
Ein typisches Accessoire war sowohl bei Rosie als auch bei seiner Mom ein rotes Haarband mit weißen Punkten, das die Haare zurückhielt, um sich bei der Arbeit nicht zu verletzen. Doch auch schweres Gerät, sprühende Funken und das ohrenbetäubende Nageln des Nietautomaten trübten den Arbeitseifer seiner Mom nicht.
We can do it! Diesen Spruch schien Laura wortwörtlich zu nehmen, denn tatsächlich arbeitete sie von früh bis spät. Dies und das bevorstehende Weihnachtsfest waren die Gründe, warum George seit einigen Wochen nach der Schule Botengänge für Mr. Miller erledigte. Er wollte seiner Mutter unter die Arme greifen und ebenfalls seinen Beitrag leisten.
„Ich werde später bei diesem Miller vorbeigehen und mir ein Bild von ihm machen. Ich kann einfach nicht glauben, dass du mir nichts gesagt hast.“ Laura sah ihren Sohn voller Besorgnis an. „Ich will nicht, dass du in irgendetwas hineingerätst.“
„Mom, dieser Kerl ist vereidigter Buchprüfer und kein Mafiaboss!“
Laura sah ihren Sohn an und lachte dann herzhaft. George konnte sich nicht erinnern, wann er dieses unbeschwerte Lachen zuletzt gehört hatte.
Er verfolgte, wie sie die angebratenen Wurstscheiben und einige Pellkartoffeln vom Vortag auf zwei Teller verteilte und anschließend ebenfalls am Küchentisch Platz nahm.
Allein beim Anblick seines Abendessens lief George das Wasser im Mund zusammen. Schnell schob er seine Hausaufgaben beiseite und fuhr nach dem gemeinsamen Tischgebet und dem ersten Bissen aufgeregt fort.
„Stell dir vor, er hat sein Büro im Rockefeller Center und arbeitet für die ganz Großen. Erst gestern habe ich einen Umschlag mit Rechnungen bei Barnes & Noble abgeholt – übermorgen ist doch schon Buchungsschluss.“
Laura verzog angesichts Georges Enthusiasmus lächelnd den Mund. Der vergaß vor lauter Begeisterung sogar die Fleischwurst.
„Bei Katz‘s war ich erst letzte Woche. Du weißt schon, der Laden mit den dick belegten Pastrami-Sandwiches. Der Besitzer ist sehr nett und schenkt mir jedes Mal eine eingelegte Essiggurke!“ George sah seine Mom mit flehendem Blick an und hoffte auf ihre Zustimmung.
„Okay“, gab sich Laura mit amüsiertem Kopfschütteln geschlagen, „du darfst weiterhin für Mr. Miller arbeiten.“
Dennoch wurde ihr Blick für einen Moment ernst. „Aber bitte pass gut auf dich auf, hörst du, George?“
„Ja Mom, ich nehme nur die beleuchteten Wege und rede nicht mit Fremden. Das und dass ich meine Pflichten im Haushalt und in der Schule nicht vernachlässigen werde, musste ich auch schon Mr. Miller versprechen.“
Laura sah ihren Sohn überrascht an, woraufhin dieser mit einem breiten Grinsen erwiderte: „Ich sagte doch, er ist vereidigter Buchprüfer, er nimmt alles sehr ernst.“
Wie gerne hätte er seinem Dad von seinem Job im Rockefeller Center erzählt. Okay nicht ganz, die meiste Zeit über war er zu Fuß in Manhattan unterwegs. Doch die Tatsache, dass er Zugang zu einem der beeindruckendsten Wolkenkratzer der Welt hatte, erfüllte ihn mit großem Stolz. Er kam sich mit der Schiebermütze aus Tweed, die ihn vor Wind und Wetter schützte, und der ledernen Botentasche wie ein wichtiger Teil der amerikanischen Infrastruktur vor – selbst die Pförtner kannten ihn bereits mit Namen.
Georges Blick wanderte zum angrenzenden Wohnzimmer und dem abgewetzten Polstersessel, über dessen Lehne immer noch die Strickjacke seines Vaters hing. Auf der mahagonifarbenen Kommode daneben stand ein gerahmtes Schwarz-Weiß-Bild, das ihn in seiner Uniform zeigte. Es handelte sich dabei um eine Winteruniform aus olivgrüner Wolle, die ganzjährig in Zonen mit gemäßigtem Wetter getragen wurde, wohingegen die Sommeruniform aus khakifarbenem Baumwollstoff in tropischen Gebieten zum Einsatz kam. Auch wenn sein Vater darin sehr stattlich wirkte, gefiel ihm keine der beiden, denn sie bedeuteten nur eins – Unheil und viel Leid.
George schluckte den Kloß, der sich augenblicklich in seinem Hals gebildet hatte, hinunter. Sechs Monate waren seit dem letzten Brief, der aus Deutschland gekommen war, vergangen, und niemand konnte ihnen sagen, ob sein Dad verschollen, verschleppt oder gefallen war. Seine Mutter fand Trost und Zuversicht im Gebet, doch er selbst hatte die Hoffnung auf ein Lebenszeichen längst aufgegeben. Dies ließ er sich allerdings nicht anmerken, schließlich war er vorübergehend der Mann im Haus. Außerdem hatte er seinem Dad eins versprochen – auf seine Mom aufzupassen.
„Gibt es eine Nummer, unter der ich Albert Miller erreichen kann, nur zur Sicherheit?“
George, der sich gerade seinen Mantel anzog, schenkte seiner Mutter ein nachsichtiges Lächeln. Er hatte gewusst, dass sie die Sache weiter beschäftigte.
„Bitte Mom, mach dir keine Sorgen.“ Er griff in seine Jackentasche und reichte ihr eine der Visitenkarten, die Mr. Miller für potenzielle Kunden und Geschäftspartner bereithielt.
Laura sah sich das kleine Kärtchen interessiert an, das neben den Kontaktdaten in geschwungener Schrift auch eine passende Grafik schmückte. Amüsiert verzog sie über die Saldiermaschine in Goldprägung den Mund, dann sah sie zu George.
„Dein Vater wäre so stolz auf dich, und ich bin es auch, mein Schatz.“
„Danke, Mom.“ Er drückte die Frau in Arbeitshose und aufgerollten Hemdsärmeln kurz, ehe er sich die Schiebermütze schnappte und sich von seiner Mutter verabschiedete.
Im Treppenhaus des Mietshauses begegnete er einem älteren Herrn aus dem vierten Stock. Einer der wenigen Männer, die noch hier waren, die Wehrtauglichen waren alle an der Front. George konnte sich kaum vorstellen, wie es in dem einst sehr belebten Wohnblock früher einmal gewesen war. Die Tage, an denen sein Dad und er auf der Straße mit Nachbarn Fußball gespielt hatten, waren mittlerweile zu einer bittersüßen Erinnerung verblasst. Wie viele Männer würden wohl nach Hause zurückkehren?
Als George den Senior mit den Worten „Guten Tag, Mr. Scott“ begrüßte, erkannte er auch in dessen Gesicht die allgegenwärtige Sorge.
„Oh, hallo George“, erwiderte er mit traurigem Lächeln. „Wie geht es dir und deiner Mom? Kommt ihr zurecht?“
„Ja, Mr. Scott, uns geht es gut. Und vielen Dank nochmal für Ihre Hilfe, Dads altes Transistorradio läuft wieder wie geschmiert.“
Augenblicklich hellte sich das Gesicht des älteren Mannes auf. „Nichts zu danken, ich freue mich, wenn ich was zum Basteln habe.“ Er schien einen Moment zu überlegen, ehe er vorsichtig nachhakte. „Immer noch kein Lebenszeichen?“
George schüttelte nur den Kopf.
„Das tut mir sehr leid, mein Junge.“
Als George an diesem Nachmittag das Rockefeller Center erreichte, kribbelte sein Körper vor Vorfreude. Er konnte es kaum mehr erwarten, endlich einen Blick auf den Baum zu werfen. Wie gerne wäre er heute Morgen beim Aufbau dabei gewesen, doch er war selbstverständlich in der Schule.
Albert Miller hatte das Spektakel sicher vom Fenster des Eckbüros aus verfolgt, mit Sicht auf die Fifth Avenue und den Rockefeller Plaza. Georges Mund verzog sich zu einem Schmunzeln. Okay, viel wahrscheinlicher war, dass sein Boss eine der komplizierten Bilanzen durchleuchtet hatte.
Georges Herzschlag setzte beim Anblick des Sechszehn-Meter-Baumes für einen Moment aus. Um ihn in seiner vollen Größe zu erfassen, legte er den Kopf in den Nacken. Mit der Hand hielt er die Tweedmütze fest, damit sie ihm nicht vom Kopf rutschte und im Schneematsch landete.
Die Zweige waren mit patriotischen Dekorationen geschmückt – blaue, weiße und rote Ornamente wechselten sich ab – und signalisierten ebenso wie die Victory Rolls ihre Unterstützung mit den kämpfenden Truppen. Die Wurzeln des lebenden Baumes steckten in einem mit Sackleinen geschützten Erdball. Im Radio hatte er gehört, dass man den riesigen Baum nach Weihnachten auf einem Grundstück auf Long Island wieder einpflanzen wollte. Nur eine Sache trübte seine Euphorie über die gigantische Tanne. Jetzt, am Tage, fiel es nicht weiter auf, aber am Baum befanden sich keinerlei Lichter. Aufgrund des aktuellen Kriegsgeschehens und der Verdunkelungsvorschriften blieb der Baum auch in diesem Jahr leider unbeleuchtet.
George wandte den Blick vom Weihnachtsbaum ab und steuerte nun auf das Gebäude zu. Auch hier hatte sich einiges verändert. Viele Stockwerke standen leer, weil man sämtliche Mietverträge mit Mietern aus Ländern, die gegen die Vereinigten Staaten kämpften, gekündigt hatte. Darunter Italien, Japan und allen voran Deutschland.
George passierte eine der vielen Tafeln, die man auch überall im Rockefeller Komplex angebracht hatte. Diese zu verinnerlichen, war seine erste wichtige Amtshandlung bei Albert Miller gewesen. Darauf war beschrieben, wie man zum Schutz vor feindlichen Fliegerangriffen sicher verdunkelt und Sandsäcke zum Löschen von Bränden einsetzte. Die Tafeln waren für ihn nichts Neues, er kannte sie längst aus der Schule und von daheim. Dennoch hatte George einen kurzen Test ablegen müssen, den er mit Bravour bestanden hatte.
Der Junge zeigte am Empfang kurz seinen Ausweis vor und nahm anschließend den Aufzug zum zwanzigsten Stock. Dort fühlte er sich schon fast wie zu Hause. Er öffnete entschlossen die Tür zu Mr. Millers Kanzlei und vernahm sofort das mechanische Rattern aus dessen Zimmer. Die Saldiermaschine mit Springwagen und Papierrolle war Alberts ganzer Stolz, er bezeichnete sie als Meilenstein der mechanischen Rechenkunst.
„Guten Tag, Mr. Miller.“
„Hallo George, wie geht‘s?“ Wie immer trug sein Boss einen braunen Tweedanzug mit Fischgrätenmuster und wirkte leicht zerstreut. Der Mann um die Fünfzig rückte sich die schwarze Hornbrille, die im Eifer des Gefechts leicht verrutscht war, wieder zurecht und sah den Jungen aufmerksam an.
„Danke, mir geht‘s gut.“ George nahm seine Mütze ab. Dabei fiel sein Blick auf Mr. Millers Schreibtisch, der unter dem Gewicht der unzähligen Akten und der schweren Saldiermaschine fast zusammenbrach. Die Thermoskanne mit Kaffee – Alberts Treibstoff – stand griffbereit und auch der dicke Umschlag im Ausgangsfach. Georges Augen wurden groß, als er den Namen des Adressaten erkannte.
„Der ist fürs Grand Hotel?“
„Ja, es handelt sich um einen neuen Mandantenvertrag, der heute noch zugestellt werden muss“, erwiderte Albert. Dabei umspielte ein leichtes Lächeln seinen Mund. „Kennst du den Weg?“
„Aber sicher, Sir. Ich komme jeden Tag daran vorbei.“
Der Rockefeller Baum war vergessen, denn in diesem Moment wurde George bewusst, dass sich einer seiner kühnsten Träume erfüllen würde. Wie oft hatte er schon vor dem Luxushotel gestanden und das Kommen und Gehen von der Straße aus verfolgt. Sich ausgemalt, wie es im Inneren des schlossähnlichen Gebäudes wohl aussehen mochte. Die unzähligen Erker und Türmchen erinnerten ihn an Cinderellas Märchenschloss. Jetzt, im Winter, wenn die Schneeflocken wild herumwirbelten, wirkte das Hotel genauso verzaubert wie das Innenleben der leicht vergilbten Schneekugel, die seine Mom in der Vitrine im Wohnzimmer aufbewahrte. Solche Momente und die Tatsache, dass Weihnachten kurz bevorstand, ließen den Zwölfjährigen trotz der schweren Zeit wieder auf ein Lebenszeichen seines Vaters hoffen.
Den Vertrag sicher in der ledernen Umhängetasche verwahrt, machte sich George einen Moment später auf den Weg. Es war nur ein kurzer Fußmarsch, die Fifth Avenue zum Central Park hinauf. Trotzdem schlug ihm das Herz vor Aufregung bis zum Hals, denn heute lief es anders als sonst. Er ging im Kopf nochmals alle wichtigen Schritte durch.
Als er das Hotel erreichte, zeigte er am Eingang wie besprochen die Karte der Kanzlei vor und wurde von einem uniformierten Doorman hineingelassen.
An der Rezeption nahm er die Schiebermütze ab und fragte in geschäftsmäßigem Ton nach dem Hoteldirektor. Erleichtert atmete er aus, denn die erste Hürde war geschafft.
„Bitte nehmen Sie dort drüben Platz. Mr. Clark kommt gleich herunter.“ Die Dame schenkte ihm ein warmes Lächeln, und erst jetzt wagte George einen ersten Rundumblick durch die riesige Lobby. Während er im tiefen Polster des Sessels fast versank, wanderte sein Blick über die imposante Treppe hinauf zu den stuckverzierten Decken und den kristallenen Kronleuchtern, die allerdings nur vereinzelt an waren. Auch im Hotel gab es die obligatorischen Schilder mit Anweisungen, die jeden Gast sofort an das Kriegsgeschehen erinnerten. Wie auch im Rockefeller lief der Betrieb aufgrund von Versorgungsengpässen nur auf Sparflamme, selbst das Restaurant hatte nur einen winzigen Bereich geöffnet, um wenigstens den Gästen gerecht zu werden.
Doch auch das trübte Georges Faszination nicht. Seine Fantasie reichte vollkommen aus, um sich das Hotel in den schillerndsten Farben und seiner einstigen Glanzzeit vorzustellen.
Ein Mann mit Schnauzbart in elegantem Anzug mit Weste erregte seine Aufmerksamkeit. Auch ohne ihn zu kennen, erhob sich der Junge schnell.
Ein Lächeln huschte über Mr. Clarks Gesicht und glättete für einen kurzen Moment die tiefe Sorgenfalte auf seiner Stirn. „Es freut mich, dich kennenzulernen.“
George erwiderte den Händedruck mit festem Griff. „Die Freude ist ganz meinerseits. Mr. Miller lässt Sie herzlich grüßen und bedankt sich noch einmal für das entgegengebrachte Vertrauen in seine Kanzlei.“
Albert wäre über seine Wortgewandtheit sicher mächtig stolz.
„Dann lass uns zur Tat schreiten“, erwiderte der Mann leicht amüsiert und forderte den Botenjungen mit einer Geste auf, wieder Platz zu nehmen.
George holte den Umschlag mit den Dokumenten aus der Ledertasche und legte sie auf dem Tischchen vor ihnen ab, ebenso Mr. Millers Füllfederhalter und ein Tintenfass. Sein Boss hatte wirklich an alles gedacht.
„Wie lange arbeitest du schon für Albert Miller?“, fragte der Hoteldirektor interessiert, nachdem er den Vertrag im Original und Duplikat unterschrieben hatte.
„Seit einem Monat, Sir. Ich möchte ebenfalls meinen Beitrag leisten. Meine Mom ist Nieterin, und mein Dad kämpft seit zwei Jahren an der Front.“
Der Mann sah den Jungen für einen Moment nachdenklich an. In seinen Augen lagen Anerkennung und aufrichtiges Mitgefühl. Kurzerhand öffnete er sein Portemonnaie und holte fünf ganze Dollar heraus.
„Aber Mr. Clark, das kann ich unmöglich annehmen.“
„Aber sicher doch. Bald ist Weihnachten, und du bist nun ein Teil des Grand Hotel. Du hast dir dein Trinkgeld mehr als verdient. Nicht nur ich bin sehr stolz auf dich, ich wette, deine Mutter ist es auch.“
1958
George lenkte den türkisfarbenen Buick Century rückwärts in die Parklücke, der Wagen mit Weißwandreifen und verchromten Heckflossen war Walthers ganzer Stolz. Es war das erste Mal, dass er mit dem Fahrzeug seines Vaters zur Universität gefahren war. Während seines Studiums in den letzten vier Jahren hatte er immer den Bus genommen, denn das Automobil wurde nur zu besonderen Anlässen genutzt. Heute war einer dieser besonderen Tage. George hatte sein Studium an der Columbia Business School mit großem Erfolg abgeschlossen, und seine Mutter, die auf der Rückbank saß, platzte beinahe vor Stolz.
Sein Mund verzog sich zu einem liebevollen Lächeln. In ihrem neuen Ensemble, bestehend aus elegantem Midirock und passender Jacke, sah sie aus wie ein Filmstar. Nichts erinnerte mehr an die Nieterin, die körperlich hart gearbeitet hatte, um sich und ihren einzigen Sohn während der Kriegsjahre über Wasser zu halten. Sie trug ein kleines Cocktailhütchen mit Schleier und am Revers ihr Lieblingsaccessoire – die zierliche Libellenbrosche.
Auch wenn George längst kein kleiner Junge mehr war, freute er sich jedes Mal, wenn seine Mutter das Schmuckstück trug, das er ihr vor fünfzehn Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte. Das großzügige Trinkgeld von Mr. Clark hatte er sinnvoll investiert. Dank ihr hatte er in all den Jahren den Mut nicht verloren und für seine Träume gekämpft.
Der Traum, zu studieren, dazu an einer der renommiertesten und ältesten Ivy-League-Universitäten im Land, hatte sich erfüllt. An manchen Tagen fühlte es sich immer noch surreal an, denn er bewegte sich hier in einer ganz anderen Welt. Er teilte den Hörsaal mit jungen Männern, deren Familien Immobilien auf Cape Cod oder den Hamptons besaßen ‒ ein schickes Strandhaus und Segelboot inklusive ‒ und deren Väter und Großväter wichtige Posten in der Politik bekleideten oder ihr eigenes Unternehmen leiteten. Selbstverständlich hatten die Mütter seiner Kommilitonen niemals als Nieterinnen arbeiten müssen.
Ein schickes Cabriolet, das gerade die Einfahrt zum Parkplatz passierte, lenkte Georges Aufmerksamkeit auf sich. Dagegen wirkte der Wagen seiner Eltern geradezu solide.
Auch Walther, der neben ihm auf dem Beifahrersitz saß, staunte ob der Luxuskarossen auf dem Campusparkplatz nicht schlecht. Sein Dad haderte an manchen Tagen immer noch mit sich, da er seiner Familie nicht mehr hatte bieten können. Dass er nach seiner Rückkehr aus Europa aufgrund einer Kriegsverletzung körperlich sehr eingeschränkt war, vergaß er in solchen Augenblicken.
George zog den Schlüssel ab und stieg aus. Anschließend öffnete er seinem Dad die Tür. Nur mit Mühe gelang es Walther, aus dem Auto zu steigen, doch wie immer ließ er sich von niemandem helfen. Auf die Achselkrücken, die er im Lazarett bekommen hatte und auf die er anfangs angewiesen gewesen war, konnte er mittlerweile verzichten. Doch an seinem langsamen Gang und dem rechten Bein, das immer noch hinkte, konnte man erahnen, was er im Krieg und der Gefangenschaft durchlebt hatte.
Seine Mom hakte sich bei ihrem Mann unter, und George bemerkte, wie sich die beiden einen liebevollen Blick zuwarfen. Trotz allem oder gerade wegen all der Höhen und Tiefen war die Liebe zwischen seinen Eltern unerschütterlich.
Sie nahmen den mit Hortensienbüschen gesäumten Weg, der zum heutigen Veranstaltungsort führte. Mittlerweile kannte George den Campus wie seine Westentasche. Zu Beginn jedoch hatte er seine Schwierigkeiten gehabt, sich auf dem riesigen Gelände mit seinen über zweihundert Gebäuden und Fakultäten zurechtzufinden. Trotz der eindrucksvoll in Stein gemeißelten Beschriftungen über den Torbögen und Eingängen.
Die Worte in lumine tuo videbimus lumen –in deinem Licht werden wir Licht sehen ‒ formten sich in seinem Kopf. Es handelte sich nicht nur um einen Bibelvers, sondern auch um das Motto der Universität.
Sein Mund verzog sich augenblicklich zu einem Lächeln. Er war nun ebenfalls ein Teil dieses Netzwerks aus Absolventen.
Viele Alumni hatten es weit gebracht. Es gab unter ihnen Nobelpreisträger, Oscargewinner und sogar Präsidenten.
Die kollektive Aufregung war geradezu greifbar, als sie nun auf den Festbereich zusteuerten. Hier wimmelte es nur so von Vätern in eleganten Anzügen und Müttern in Cocktailkleidern. Dazwischen tummelten sich Professoren und Gönner, die man sofort an ihren Tweedanzügen und Hornbrillen erkannte.
Wo sonst das altehrwürdige, von Efeu umrankte Gebäude alle Blicke auf sich zog, so war es heute der festlich geschmückte Rasenbereich unter den alten Eichen. Für den zeremoniellen Teil der Veranstaltung hatte man selbstverständlich die große Bühne aufgebaut und Klappstühle für die Gäste aufgestellt. Blaue Wimpel in den Farben der Universität schmückten die Bewirtungsstände.
„Da hinten ist John!“ Endlich hatte George in dem Getümmel einen seiner Kommilitonen ausfindig gemacht.
Laura und Walther folgten seinem Blick. „Oh, schaut nur, er trägt bereits Talar und Hut.“ Ein stolzes Lächeln zeichnete sich auf dem Gesicht seiner Mutter ab, nachdem sie den besten Freund ihres Sohnes entdeckt hatte, dann richtete sie ihren Blick auf George. Natürlich bemerkte er den verräterischen Glanz in ihren Augen sofort. Die heutige Absolventenfeier war Neuanfang und Abschied zugleich.
Laura schloss ihren Sohn in die Arme, und es war ihm egal, was die anderen dachten. Dieser Tag gehörte seinen Eltern ebenso wie ihm. Ohne sie hätte er es nicht geschafft.
„Na geh schon“, murmelte seine Mutter mit einem verschmitzten Lächeln, als sie sich von ihm löste, um sich mit ihrem bestickten Stofftaschentuch die Tränen abzutupfen.
„Wir suchen uns schon mal Plätze“, ergänzte sein Dad, der nicht minder stolz wirkte.
Als George zu seiner Klasse aufschloss und sich noch einmal nach seinen Eltern umdrehte, stellte er mit einem Schmunzeln fest, dass sie sich bereits in einer der vordersten Reihen platziert hatten. Von nun an würde er für seine Eltern sorgen, dieses Versprechen hatte er sich an seinem ersten Tag an der Columbia gegeben.
„Familie Wayne, bitte!“, rief die Assistentin des Fotografen, der professionelle Bilder von allen Absolventen mit ihren Familien machte.
George, der zwischen seinen Eltern stand und seinen Vater um einen Kopf und seine Mutter um ganze zwei überragte, setzte sein strahlendstes Lächeln auf, während seine Mutter schon wieder mit den Tränen kämpfte. Sein Dad dagegen schien neben ihm geradezu zu wachsen. Georges Herz floss über, denn er wusste, wie viel Kraft es Walther heute kostete. Sein Bein musste ihm zwischenzeitlich, nach mehreren Stunden auf den Beinen, höllisch wehtun.
„Dort drüben ist noch ein schönes Plätzchen frei, direkt unter dem blühenden Kirschbaum“, bemerkte Laura verzückt, als sich die Menge nach dem Fototermin in alle Richtungen zerstreute.
„Zu spät, Johns Familie ist uns zuvorgekommen.“ George schnitt eine Grimasse und sah sich um. „Dort hinten gibt es weitere Tische.“
„Alles okay, Dad?“ Er wandte sich mit besorgtem Blick an seinen Vater, der immer noch in Richtung Kirschbaum sah.
„Ja, alles in Ordnung. Ich dachte nur für einen Moment, ich hätte einen Geist gesehen.“ Walther schüttelte über sich selbst schmunzelnd den Kopf. „Der ältere Herr dort drüben könnte glatt als Bobby durchgehen.“
George musste nicht erst fragen, welchen Bobby er meinte – er kannte nur einen. Lieutenant Robert Stan, den alle nur Bobby nannten.
Im selben Moment, als das Wörtchen Stan in Georges Kopf nachhallte, wurde ihm bewusst, dass Johns Großvater, jener geschätzter Lieutenant war, für den Walther sein Leben riskiert hatte.
Als hätte Bobby die ungeteilte Aufmerksamkeit gespürt, richtete er seinen Blick auf Walther und George.
Die Spannung unter den blühenden Bäumen war nahezu greifbar. George musste seinen Dad nicht erst aufklären, dass er richtiglag. Wie in Trance setzte sich Walther in Bewegung und lief, das rechte Bein hinter sich herziehend, auf Bobby zu.
Nie im Leben hätte George damit gerechnet, dass es sich bei dem gepflegten Herrn um die Siebzig um jenen Mann handelte, der mit seinem Vater durch die Hölle gegangen war. Natürlich kannte er Johns Familie, seine Eltern sogar persönlich. Die Stans gehörten zu einer der einflussreichsten Dynastien an der Ostküste und bekleideten verschiedene Posten in der Politik. Erst kürzlich hatte John beiläufig erwähnt, dass sich sein Dad mit Senator Kennedy getroffen hätte – einem jungen Politiker aus Massachusetts.
„Walther?“ Mit fragendem Blick kam Bobby auf sie zu. Trotz des Altersunterschieds wirkte er noch rüstig und stark. „Bist du es wirklich?“
In Sekundenschnelle erfasste der Mann die körperliche Konstitution seines ehemaligen Schützlings. Ein schmerzlicher Schatten huschte über sein Gesicht, und seine Augen füllten sich mit Tränen. „Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen, nachdem sie euch …“
Er musste nicht ausführen, welches Schicksal Walther und seinen Kameraden widerfahren war, George kannte die Geschichte nur allzu gut.
Die beiden Männer fielen sich in die Arme und erst nach einer Ewigkeit, in denen jeder mit seinen eigenen Erinnerungen kämpfte, lösten sie sich voneinander.
„Dass wir uns ausgerechnet hier über den Weg laufen …“ Walther schmunzelte, dann fiel sein Blick auf seine Liebsten, die sich bis jetzt zurückgehalten hatten. Eilig fuhr er fort: „Das sind Laura und George.“
„Es freut mich, Sie endlich kennenzulernen.“ Robert reichte Laura mit einem strahlenden Lächeln die Hand. „Es ist kein Tag vergangen, an dem Walther nicht von Ihnen schwärmte.“
Die Wangen seiner Mutter färbten sich kirschrot, bevor sie einen fragenden Blick mit ihrem Mann tauschte. Walter jedoch zuckte nur verschmitzt mit den Schultern. Ganz offensichtlich hatte er nicht nur in seinen Briefen das Herz auf der Zunge getragen, sondern auch vor seinen Kameraden.
Nun richtete Bobby seine Aufmerksamkeit auf George. Es kam selten vor, dass er mit anderen auf Augenhöhe war, denn mit seinen eins neunzig stach er oft aus der Menge heraus. Aber es waren nicht nur Bobbys Größe und der maßgeschneiderte Anzug mit Einstecktuch, die ihm ein respektvolles Erscheinungsbild verliehen, so von Angesicht zu Angesicht spürte George auch dessen unglaubliche Aura. Nun verstand er endlich, warum sein Dad nach all den Jahren immer noch voller Respekt für seinen ehemaligen Lieutenant war. Es war, als würde ein Teil seines unerschütterlichen Glaubens auf ihn abfärben. Auch wenn der ältere Herr heute keine Uniform mehr trug, um eine ganze Einheit anzuführen, empfand George für ihn nichts als Ehrfurcht.
„Mr. Stan, es freut mich, Sie endlich persönlich kennenzulernen.“
Selbst der Händedruck war aus einer anderen Liga. George entging nicht, wie Bobby ihn blitzschnell abzuscannen schien und sich sein Mund kurz zu einem anerkennenden Lächeln verzog.
„Mich freut es ebenfalls, dich kennenzulernen. Und herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Abschluss ‒ eine Leistung, auf die du sehr stolz sein kannst.“
„Danke, Mister“, erwiderte George und sah zu John, der zwischenzeitlich zu ihnen aufgeschlossen hatte.
„John, ich hatte ja keine Ahnung, dass du die ganze Zeit von Lieutenant Stan gesprochen hast.“
Bobbys Enkel sah seinen besten Freund leicht verwirrt an. „Warum setzen wir uns nicht, und du klärst mich endlich auf?“
Wenige Minuten später war die Sitzgarnitur unter den duftenden Kirschblütenzweigen bis auf den letzten Klappstuhl besetzt, und Robert klärte seine Familie mit großer Begeisterung über die neuesten Ereignisse und ihre gemeinsame Vergangenheit auf.
Dieser Nachmittag fühlte sich für alle wie ein großes, langersehntes Familientreffen an, und George konnte sich nicht erinnern, wann er seine Eltern jemals so unbeschwert erlebt hätte.
Während die Damen an ihren eisgekühlten Limonaden nippten und darüber sinnierten, wie sich der frischgebackene GI Elvis Presley wohl im Armeedienst schlagen würde, wandte sich Bobby mit nachdenklichem Blick an George.
„John hatte mir gegenüber vor einiger Zeit erwähnt, dass du bereits mehrere vielversprechende Angebote von Firmen bekommen hast. Hast du dich schon auf eine Richtung festgelegt?“
Mit dieser Frage hatte George nicht gerechnet, weswegen er Bobby für einen Moment überrascht ansah. Schon gegen Ende des zweiten Studienjahres hatten sich führende Vertreter aus Wirtschaft und Politik bei den entsprechenden Klassen vorgestellt. Auf dem Campus der Columbia Business School war die Dichte der Headhunter besonders hoch gewesen. Offensichtlich suchte man an allen Ecken und Enden hochqualifiziertes Personal, um die Wirtschaft in Amerika wieder auf Kurs zu bringen. Namhafte Automobilhersteller und die Haushaltsgeräteindustrie ‒ Wäschetrockner waren der neueste Clou ‒ übertrumpften sich geradezu mit attraktiven Benefits. Er hatte sogar mit einem Mitarbeiter der neu gegründeten Weltraumagentur ein Gespräch geführt, das ihn in einem Zustand der völligen Faszination zurückgelassen hatte. Doch immer wieder war er zum selben Ergebnis gekommen: Weder Detroit noch Florida waren die Orte, wo er sich eine Zukunft aufbauen wollte. An New York hing sein Herz. Es ging nicht nur um seine Eltern, die immer noch in der kleinen Mietwohnung lebten, sondern auch um die Stadt, die so aufregend pulsierend war und ihn mitriss. Schon als Botenjunge der Kanzlei Miller hatten ihn die Wolkenkratzer und historischen Gebäude Manhattans fasziniert.
Viele Firmen, Versicherungen und Banken hatten in diesen Gebäuden ihre Headquarters, und er war bereits bei mehreren Vorstellungsgesprächen gewesen. Doch etwas hatte ihn bei all diesen vielversprechenden Karriereaussichten gestört:
Es ging überall nur um mehr Profit und Macht. An manchen Tagen wünschte er sich, er wäre so zielstrebig wie John. Sein bester Freund hatte schon am Immatrikulationstag gewusst, dass er einmal als CEO bei Chrysler arbeiten würde. Wahrscheinlich hatte er diese Entscheidung bereits in den Kinderschuhen getroffen. Bei diesem Gedanken musste George kurz schmunzeln.
Mit den Worten „Ich wünschte, ich wäre so entschlossen wie John“, wandte sich George wieder an Lieutenant Stan. „Es soll kein Großkonzern sein, sondern ein älteres Unternehmen mit Charme. Ein Ort mit immateriellem Wert und zugänglich für die breite Öffentlichkeit. Ich glaube kaum, dass ich diesen Ort in einem verspiegelten Wolkenkratzer finden werde.“
Bobby nickte verstehend. „Dann meinst du so einen Ort wie das Kaufhaus Macy’s oder das Grand Hotel?“
Für einen Moment überlegte George, ob er John gegenüber je das Hotel am Central Park erwähnt hatte. Nein, er wüsste nicht wann.
„Dann hat uns heute wohl das Schicksal zusammengeführt“, erwiderte Bobby mit feierlicher Stimme. „Ich habe vor einigen Monaten ins Grand Hotel investiert. Es dauert zwar noch eine Weile bis zur Wiedereröffnung im Herbst, doch ich könnte mir dich gut in der Stelle des Hotelmanagers vorstellen.“ Er sah den jungen Mann abwartend an.
George war sich immer noch nicht sicher, ob ihm seine Ohren nur einen Streich gespielt hatten. Seine Gedanken überschlugen sich geradezu, als ein lauer Windstoß duftende Kirschblüten auf sie herabrieseln ließ, die sanft auf dem Picknicktisch landeten. Sollte sich sein Kindheitstraum, der ihn durch all die harten Tage getragen hatte, heute wirklich erfüllen? George schluckte fest, dann sah er Bobby entschlossen an.
„Habe ich Sie eben richtig verstanden, Mr. Stan? Sie bieten mir gerade einen Job an?“
An Tagen wie diesen konnte sich Catherine kaum vorstellen, dass ihr Leben noch schöner sein könnte. Seit Frank und sie vor einem halben Jahr in die Buttercup Lane gezogen waren, fühlte sich alles wie im Traum an. Ihr wunderschönes Einfamilienhaus befand sich in einer idyllischen Wohngegend, die Anfang der Fünfziger Jahre auf dem Reißbrett entstanden war und in der sich ein Haus an das andere reihte. Der Gründer der Siedlung konnte zu Recht als Genie bezeichnet werden, denn die verschiedenen Modelle gab es, bequem zum Auswählen, aus dem Katalog. In nahezu jeder Preisklasse war etwa Passendes dabei: kleinere Häuser mit den Namen Prince und Duke, größere, wie das King oder das absolute Luxusmodell President. Außerdem hatten sie hier alles für den täglichen Bedarf: Schulen, Ärzte, Kirchen und einen großen Supermarkt am Magnolia Drive. Es waren die unzähligen kleinen Details, die aus ihrer Nachbarschaft eine Welt machten, die zuweilen etwas surreal daherkam ‒ weil sie einfach zu perfekt wirkte.
Die Vorgärten, die sich mit ihren Blumen zu übertrumpfen schienen, die Auffahrten, auf denen nie auch nur ein einziges Blatt lag. Die schicken Karossen, auf Hochglanz poliert, sodass die verchromten Heckflossen in der Sonne glänzten und ihre männlichen Besitzer mit Stolz erfüllten. Und Cheryl, die als einzige Frau in der Straße ein Automobil besaß. Sie war eine der wenigen im Besitz eines Führerscheins, weil ihr Mann ihr die Erlaubnis dazu gab.
Catherines Blick wanderte zu dem schicken Cabrio ihrer Nachbarin, das nur wenige Meter entfernt in der Auffahrt parkte. Ganz offensichtlich hatte sie heute vor lauter Aufregung vergessen, das Verdeck zu schließen. Denn zwischenzeitlich hatten sich auf dem Armaturenbrett und den Sitzen einige Kirschblüten verirrt. Ein Missgeschick, mit dem sich Cheryl nicht weiter befassen würde, denn wie immer kümmerte sich Roberta darum. Die Schwarze Haushälterin würde alles dafür tun, um das perfekte Bild der amerikanischen Vorstadtidylle wieder herzustellen. Dies und die Tatsache, dass der Kirschbaum nicht zur Straße zeigte, waren wahrscheinlich die Gründe, warum der Baum noch da war, auch wenn er nur Arbeit machte.
Catherine liebte ihn. Er erinnerte sie nicht nur an ihre unbeschwerte Kindheit im ländlichen West Virginia, er bot ihr, wie in diesem Moment, eine willkommene Abwechslung während des Abwaschs, da ihr Küchenfenster zur Seite hinauszeigte.
Der Wecker, der das Ende der Backzeit des Lemon Curd Cake ankündigte, riss sie aus ihren Gedanken. Schnell trocknete sie sich die nassen Hände am Geschirrtuch ab und öffnete anschließend den hochwertigen Ofen – ihr ganzer Stolz, wie auch die neue Resopal-Einbauküche in Pastellgrün. Frank hatte schon immer viel Wert auf Qualität gelegt, doch seit er zum Produktentwickler einer der bekanntesten Hersteller für Haushaltsgeräte aufgestiegen war, brachte er regelmäßig ein neues technisches Spielzeug mit nach Hause.
Catherine machte die Stäbchenprobe, denn das konnte der neue 500 Deluxe noch nicht. Im Spaß hatte sie dies einmal Frank gegenüber erwähnt und es im Nachhinein bitter bereut. Er hatte über ihre Bemerkung nicht lachen können, schlimmer noch, er hatte sich dadurch provoziert gefühlt. Dieser Streit war so lächerlich gewesen, dass sie ihn seitdem nicht mehr auf Backöfen, Kühlschränke oder Waschmaschinen angesprochen hatte. Ganz offensichtlich nahm er seinen neuen Job bei General Electrics viel zu ernst.
Catherine schüttelte den Gedanken an diesen hässlichen Vorfall ab und holte die Backform aus dem Ofen. Ihr Mund verzog sich zu einem stolzen Lächeln. Der Biskuitteig war einfach perfekt. Sie hatte das Rezept in der neuesten Ausgabe der Modern Housewife entdeckt, und der Kuchen war wie geschaffen für die Tupperparty ihrer Nachbarin Cheryl an diesem Nachmittag. Auch wenn Catherine noch nicht wusste, was sie dort erwartete. Ganz offensichtlich war es eine große Sache, denn schon am Vormittag war ihr der rosafarbene Century Caballero am Straßenrand aufgefallen. Die engagierte Dame im schicken Kostüm und mit toupierter Frisur hatte einen Karton nach dem anderen in Cheryls Haus geschleppt. Catherine hatte zwar schon von dieser Art Partys gehört, die nur Frauen vorbehalten waren, war aber, wie sie zugeben musste, noch etwas skeptisch. Sie konnte sich nicht vorstellen, ausgerechnet Lebensmittel in Kunststoff zu packen, den sie mit stark riechenden Quetschflaschen und bunten Hula-Hoop-Reifen in Verbindung brachte.
Dennoch wollte sie dem Ganzen eine Chance geben, wenn Cheryl sie nun schon einmal eingeladen hatte. Für gewöhnlich ging ihr Verhältnis nicht über einen höflichen Gruß hinaus, da sie schlicht in ganz unterschiedlichen Welten lebten. Die kühle Blondine von nebenan, die ihr schulterlanges Haar elegant wie Grace Kelly trug, verbrachte den Großteil ihrer Zeit in schwindelerregenden Pumps.
Frank dagegen hatte noch nie Probleme damit gehabt, Anschluss zu finden, im Gegenteil, die ganze Straße liebte ihn. Sie hatten sich in den ersten Monaten vor Einladungen kaum retten können … hier ein Barbecue, dort ein Dinner oder ein Sportevent. Ihr Mann war überall ein gern gesehener Gast und hatte viele Freunde.
Catherine hätte allein schon eine liebe Freundin ausgereicht, mit der sie sich ab und zu in der Buttercup Lane hätte austauschen können. Aber ganz offensichtlich war sie hier die Einzige, die sich nicht nur für Mode, Frisuren und Partys interessierte. Musik, Literatur und ‒ in gesundem Maße auch Politik ‒ standen ganz oben auf ihrer Liste. Doch bisher war es nur Roberta gewesen, die sie auf ihr Buch angesprochen hatte. Sie hatte im Garten gelesen, als diese auf der anderen Seite des Zauns die Wäsche zum Trocknen aufgehängt hatte. Nur mit großer Mühe war es Catherine an diesem Nachmittag gelungen, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Sie schämte sich noch heute für ihre Vorurteile. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass ausgerechnet die Maid ihrer Nachbarin eine leidenschaftliche Leserin von englischer Literatur war. Wie sehr hatte sie solche Gespräche in den letzten Monaten vermisst. Vielleicht hätten sie später Gelegenheit, sich auszutauschen.
Catherine sah zur Uhr und verließ kurz darauf aufgeregt die Küche, um sich für die Party zurechtzumachen. Doch nach einem Blick in ihren Kleiderschrank verzog sie unschlüssig den Mund. Sie hatte keinen blassen Schimmer, was sie zu dieser Tupperparty anziehen sollte. Für gewöhnlich trug sie auf Partys das schicke Cocktailkleid, in dem Frank sie so gerne sah, doch da noch helllichter Tag war, und sie bis zum Abend bestimmt wieder zu Hause sein würde, erschien es ihr unpassend. Catherine verzog nachdenklich den Mund. Sie wusste ja nicht einmal, was sie erwartete, wie sollte sie da ein passendes Outfit auswählen? Wenn sie es sich im Freien gemütlich machten, würden ihre pastellfarbenen Petticoatkleider, besonders das vanillefarbene, jedes Insekt im Umkreis einer Meile anziehen.
Am praktischsten wären wohl die Caprihosen im Gingham-Muster und die ärmellose Bluse, nur für den Fall, dass voller Körpereinsatz gefragt war. Cheryl hatte ihr immerhin so viel verraten, dass man im Anschluss jede Schüssel ausprobieren und mit dem Salat-Karussell sogar Lollo Rosso schleudern konnte.
Wenige Augenblicke später war Catherine schon im angrenzenden Badezimmer, um sich zu frisieren und zu schminken. Was das anging, hielt sie es schlicht. Sie fasste ihr braunes Haar lediglich zu einem Pferdeschwanz zusammen und toupierte anschließend ihren kurzen Pony. Diese Frisur war nicht nur sehr praktisch, sie lenkte den Blick zudem auf ihre ausdrucksstarken Augen. Für gewöhnlich verzichtete sie während eines nachmittäglichen Besuchs auf Make-up, aber heute war ja ein besonderer Tag, weshalb sie etwas Wimperntusche und einen Hauch von ihrem kussechten roten Lippenstift von Avon auftrug.
Ganz offensichtlich hatten die engagierten Vertreterinnen von Tupperware die geschäftstüchtigen Damen von Avon abgelöst, denn schon für den nächsten Monat hatte Pamela von Gegenüber ihr Debüt als Gastgeberin angekündigt.
Mit einem amüsierten Schmunzeln verließ Catherine das Badezimmer und lief die Treppen zum Erdgeschoss hinunter. Dort stürzte sie den noch lauwarmen Kuchen auf die kristallene Kuchenplatte, die sie von ihrer Großmutter geerbt hatte, und verzierte ihn mit der Zitronencreme, die sie bereits am Morgen zubereitet hatte. Deren frisches Aroma vermischte sich mit dem Duft der Kirschblüten und zauberte ihr ein seliges Lächeln ins Gesicht. Ein leises Zwitschern hinter ihr lenkte ihre Aufmerksamkeit zum Fenster. Catherines Gesicht hellte sich auf, als sie erneut den winzigen Vogel zwischen den von Blüten bedeckten Zweigen entdeckte. Er kam seit einigen Tagen regelmäßig vorbei und leistete ihr beim Spülen oder im Garten Gesellschaft. Als Teenager hatte sie ihre Großmutter liebevoll mit ihrem Hobby als leidenschaftlicher Bird-Watcher aufgezogen, wenn diese mit ihrem Fernglas auf der Veranda gesessen und akribisch Buch über alle gesichteten Vögel geführt hatte … heute erfreute sich Catherine ebenfalls daran. Sie selbst führte zwar kein spezielles Notizbuch über ihre Sichtungen, aber der kleine Vogel hatte es immerhin in ihr ledernes Büchlein geschafft, in dem sie ihre Gedanken und Ideen festhielt.
Sie wandte sich wieder dem Kuchen zu, danach spülte sie den Löffel und die Glasschüssel, in der sie die Zitronencreme kaltgestellt hatte, noch schnell ab. Frank legte Wert darauf, nach einem langen Arbeitstag in ein schönes Zuhause zurückzukehren. Und da Catherine alles dafür tat, um eine gute Ehefrau zu sein, respektierte sie den Wunsch ihres Mannes.
Wenige Augenblicke später verließ die junge Frau samt Lemon Curd Cake ihr Zuhause und machte sich auf den kurzen Weg zu ihrer Nachbarin, die mit ihrem Mann Fred das Luxusmodell President bewohnte. Das Haus war um einiges größer als ihres und verfügte nicht nur über zwei Zimmer mehr, sondern auch über eine Doppelgarage. Von den zwei Stechpalmen hinter dem Haus, die im Preis inbegriffen gewesen waren, und der Vermittlungsgebühr einer Schwarzen Maid mal ganz zu Schweigen.
Wie zu erwarten, öffnete ihr nicht Cheryl die Tür, sondern Roberta. Wie immer steckte sie in der obligatorischen Dienstmädchenuniform. Diese bestand aus einem hellblauen Hemdblusenkleid und weißer Schürze. Die Maids trugen dazu festes Schuhwerk und, je nach Jahreszeit, blickdichte Strümpfe. Das dunkle Haar hatte Roberta zu einem strengen Knoten im Nacken zurückgekämmt.
Auf ihrem Gesicht erkannte Catherine aufrichtige Freude, die sich in tiefen Grübchen und einem Funkeln in den Augen widerspiegelte – aber auch etwas anderes. Die Frau mittleren Alters schien ganz offensichtlich überrascht zu sein, Catherine zu sehen. Doch Profi wie sie war, wechselte sie schnell zu ihrer förmlichen Dienstmädchenstimme.
„Mrs. Kelly, kommen Sie doch bitte herein.“
Catherine überreichte ihr den Kuchen und folgte ihr anschließend ins riesige Wohnzimmer. Mit einem freundlichen Nicken signalisierte Roberta ihr, dass sie von jetzt an auf sich allein gestellt war. Etwas hilflos sah sie der Frau hinterher, die mit dem Kuchen in der angrenzenden Küche verschwand.