Nicht denken ist auch keine Lösung - Dr. phil. Christoph Quarch - E-Book
SONDERANGEBOT

Nicht denken ist auch keine Lösung E-Book

Dr. phil. Christoph Quarch

0,0
13,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Alles nur eine Sache des Bauchgefühls? Entscheiden mit Kopf und Herz Was ist eine gute Entscheidung? Gibt es so etwas überhaupt – und wenn ja: Wie trifft man eine gute Entscheidung? Die Philosophie bietet eine solide und für jedermann im Alltag anwendbare Grundlage dafür, auf eine gute Weise entscheiden zu können. Denn ganz ohne Denken geht es nicht. Kündigen oder bleiben? Aufgeben oder durchhalten? Vom Banalsten bis zum Wichtigsten – die Frage, was man tun soll, holt einen immer wieder ein, und ist nur selten leicht zu beantworten. Verschiedene Stimmen konkurrieren miteinander, die Intuition bleibt aus, Argumente und Gegenargumente halten sich im schlimmsten Fall die Waage. Genau hier setzt Christoph Quarchs philosophischer Entscheidungshelfer an: Unterhaltsam, informativ und praktisch identifiziert er die Faktoren, die bei der Entscheidungsfindung eine Rolle spielen und zeigt Wege, wie wir diese Faktoren gewichten und berücksichtigten können. Aus Erkenntnissen der Neuropsychologie und Philosophie entsteht ein spielerischer Zugang, bei dem der Leser in alltägliche Entscheidungssituationen versetzt wird und unterschiedliche Entscheidungswege durchspielen kann. Am Ende wird er über ein umfassendes Arsenal an Entscheidungshelfern verfügen und seine eigene Entscheidungen verantwortungsbewusst und mit einem gutem Gefühl treffen können.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 291

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Unsere eBooks werden auf kindle paperwhite, iBooks (iPad) und tolino vision 3 HD optimiert. Auf anderen Lesegeräten bzw. in anderen Lese-Softwares und -Apps kann es zu Verschiebungen in der Darstellung von Textelementen und Tabellen kommen, die leider nicht zu vermeiden sind. Wir bitten um Ihr Verständnis.

EINLEITUNG

Sie wollen gute Entscheidungen treffen? Willkommen im Club, da sind Sie nicht allein. Und deshalb ist es auch nicht überraschend, dass Sie nicht lange nach Menschen Ausschau halten müssen, die sich anbieten, Ihnen als Entscheidungshelfer zur Seite zu stehen: Coaches und Berater, jede Menge Trainer, Psychologen, Pädagogen – wenn Sie sich umsehen, werden Sie staunen, wer und was sich alles auf dem Marktplatz der Entscheidungshilfe tummelt. Und nun kommt noch ein Philosoph hinzu: einer, der das Denken zu seinem Beruf gemacht hat – und der Ihnen in diesem Buch gern zeigen möchte, dass es nicht unnütz ist, sich mit der Weisheit der Philosophen zu befassen, wenn es einem darum zu tun ist, die Kunst der Entscheidungsfindung zu erlernen. Der Titel des Buches sagt es ja bereits: Nicht denken ist auch keine Lösung.

Warum ist das so? Weil nichts guten Entscheidungen so sehr im Wege steht, wie falsche oder irrige Ideen davon, was eigentlich eine Entscheidung ist, warum man Entscheidungen treffen sollte, woran man dabei Maß nehmen sollte, wer oder was dabei in uns entscheidend ist. Und nicht zuletzt ist man nicht schlecht beraten, auch die Frage aufzuwerfen, ob man denn überhaupt selbst etwas entscheiden kann oder ob nicht irgendetwas in uns die Entscheidungen für uns trifft.

Das, liebe Leserin und lieber Leser, sind Fragen, die nicht unerheblich sind. Tatsächlich hilft es beim Entscheiden, ein klares und verlässliches Verständnis davon zu gewinnen, worum es wirklich geht; und das sollten Sie tun, bevor Sie sich konkreten Tipps und Ratschlägen von Coaches, Trainern oder Psychologen anvertrauen – oder eben auch denen des Philosophen, der sich durchaus anschickt, nicht nur jene genannten großen Fragen zu erörtern, sondern Ihnen auch konkrete Vorschläge zu machen, wer oder was Ihnen helfen kann, wenn Sie nicht wissen, wie Sie sich entscheiden sollen.

Vorm Entscheiden steht die grundsätzliche Frage, was Entscheiden eigentlich genau bedeutet.

WAS HEISST EIGENTLICH ENTSCHEIDEN?

Entscheiden ist ein merkwürdiges Wort, ein sogenanntes Kompositum, ein »Zusammengesetztes«. Es setzt sich zusammen aus der Vorsilbe »ent-« und dem Verbum »scheiden«. Wenn Sie vor einer Entscheidung stehen, dann legt dieses Wort die Vorstellung nahe, dass es eine Scheidung gibt, die aufgehoben, überwunden werden soll. Wenn Sie entschieden sind oder entschieden haben, dann ist diese Scheidung nicht mehr da. Durch die Ent-scheidung haben Sie sie ent-fernt.

Die Scheidung, die durch die Ent-scheidung aufgehoben wird, wohnt in Ihrem Inneren. Auch das lehrt die Sprache: Sie entscheiden sich. Das heißt: Sie heben eine Scheidung auf, die Sie in sich tragen – und die Sie unbefriedigt lässt, solange sie andauert. Es geht beim Ent-scheiden mithin vor allem darum, so etwas wie eine innere Einigkeit, Ungeschiedenheit (nicht zu verwechseln mit Unentschiedenheit!), einen inneren Einklang mit sich selbst zu erzeugen oder wiederzugewinnen.

Dieser Wink der Sprache bringt uns auf eine Spur zum Geheimnis guter Entscheidungen – allerdings in einer Weise, die uns dazu nötigt, eine andere große Frage aufzuwerfen: Wer sind wir eigentlich, dass wir in uns geschieden sein können? Wer ist eigentlich der Mensch, dass er überhaupt scheidungs- und entscheidungsfähig ist? Und wer, um alles in der Welt, ist für die Scheidung und Entscheidung in uns verantwortlich zu machen? Vielleicht ist hier bereits erkennbar, was uns in diesem Buch immer wieder begegnen wird: Am Anfang aller Entscheidungsfindung steht die Selbsterkenntnis. Und deshalb werden wir insbesondere im ersten Teil dieses Buches diesem Thema einige Aufmerksamkeit widmen.

Es geht in der Entscheidungskunst darum, innere Widersprüche, Scheidungen, Konflikte aufzulösen. Wie aber macht man das? Auch dazu gibt die Sprache einen Wink: Was tut man mit Entscheidungen? Welches Verb gehört zu diesem Substantiv? Die Sprache bietet uns zwei Möglichkeiten: Man trifft eine Entscheidung, oder man fällt sie. Eigentlich fällt man ja sonst nur Bäume. Wieso dann auch Entscheidungen? Wenn man eine Tanne fällt, dann tut man etwas dafür, dass sie einem zufällt. Das ist mehr als eine Spielerei mit Worten, denn es weist auf einen bedeutsamen Umstand. Unsere Sprache suggeriert, dass Entscheidungen schon da sind, bevor man sie fällt; und dass es in der Entscheidungskunst darum geht, dafür Sorge zu tragen, dass sie einem auch wirklich zuteilwerden.

Das Verbum »treffen« weist in die gleiche Richtung: Da ist eine Entscheidung, sie kommt vielleicht auf einen zu, und nun geht es nur darum zu verhindern, dass sie an einem vorbeisaust, sondern dass man sie trifft – sie antrifft, mit ihr zusammentrifft. Dazu gehören, ganz wie wenn Sie sich mit Ihrer Freundin treffen, immer zwei, die sich aufeinander zubewegen.

Das heißt dann aber: Entscheidungen sind nichts, was Sie von sich aus machen, was Sie aus eigenen Stücken eigenmächtig herstellen könnten. Decision-Making, wie es im Business-Jargon heißt, ist eigentlich ein Unding, das es gar nicht gibt. Es verrät ein fragwürdiges Verständnis von Entscheidung, das wir erst einmal aus unseren Köpfen herausbekommen müssen, bevor wir auf eine gute Weise entscheiden lernen. Auch darum soll es in diesem Buch gehen.

UNSER WEG: VON DER PHILOSOPHIE IN DIE PRAXIS

Dieses kurze Hören auf die Sprache weist uns die Richtung, die wir einschlagen wollen. Philosophische Entscheidungshilfe heißt: Verstehen, was, wer, wie und warum entscheidet. Deshalb werden Sie im ersten Teil des Buches noch keine konkreten Tipps und Hinweise finden, sondern Gedanken, die Sie in die Lage versetzen werden, das Thema Entscheidungen so anzugehen, dass Sie die inneren Voraussetzungen dafür schaffen, auf eine gute Weise Entscheidungen treffen zu können. Im zweiten Teil werde ich Ihnen dann einige Entscheidungshelfer vorstellen, die in konkreten Entscheidungssituationen von Ihnen in Anspruch genommen werden können. Dabei geht es dann also durchaus praktisch zu.

Und nun verrate ich Ihnen auch gleich noch, was das Beste an der ganzen Sache ist: Wenn wir gemeinsam diesen Weg von der Philosophie in die Praxis gehen, werden Sie nicht nur etwas darüber in Erfahrung bringen, wie Sie gute Entscheidungen zu treffen vermögen, sondern auch – was vielleicht noch wichtiger ist –, wer Sie selbst eigentlich sind. Und darum sollte es uns gehen, denn: Entscheidend sind am Ende Sie.

DIE PHILOSOPHIE DES ENTSCHEIDENS

Nichts steht guten Entscheidungen so sehr im Wege wie ein unzureichendes Verständnis dessen, was Entscheidungen eigentlich sind – was bei ihnen vorgeht, woran sie Maß nehmen, wer sie trifft. Wenn Sie Entscheidungshilfe wünschen und die Kunst erlernen wollen, möglichst reibungslos und klug Entscheidungen zu treffen, dann sind Sie gut beraten, mit diesem ersten Teil des Buches einen kurzen Gang durchs weite Land des Denkens anzutreten.

DAS ENTSCHEIDEN: WARUM SOLLTEN WIR TUN, WAS WIR KÖNNEN, OBGLEICH WIR ES MÜSSEN?

Was ich Ihnen in diesem Teil des Buches in Aussicht stelle, ist eine Art Landkarte, die es Ihnen erlaubt, in allen Arten von Konfliktsituationen einige wichtige Fragen beantworten zu können: Soll ich mich überhaupt entscheiden, und wenn ja, warum? Woran soll ich mich bei meiner Entscheidung orientieren? Wie finde ich heraus, was ich eigentlich will? Und ist das, was ich will, auch wirklich das, was mir die Richtung weisen sollte? Und weiter: Wer ist es eigentlich, der in mir die Entscheidungen trifft – ist es der Wille oder der Verstand, ist es der Bauch oder das Herz, oder ist es dieser wunderliche Fremde in mir, den man gemeinhin das Gehirn nennt? Sie sehen, es gibt reichlich Fragen, die zu klären sind, bevor wir uns im zweiten Teil des Buches konkreten Entscheidungssituationen zuwenden. Sie können diesen ersten Teil überspringen – aber das wäre, wie wenn Sie ein Haus ohne Fundament bauen. Und denken Sie daran: Das Buch, das Sie in Händen halten, heißt nicht zufällig: Nicht denken ist auch keine Lösung …

»Die schlimmste Entscheidung ist Unentschlossenheit.«Benjamin Franklin

NICHT ENTSCHEIDEN IST AUCH KEINE LÖSUNG. WARUM WIR UM ENTSCHEIDUNGEN NICHT HERUMKOMMEN

Es war einmal ein Esel, der unter großem Hunger litt. Da traf es sich dem Anschein nach recht gut, dass er nur wenige Schritte vor sich eines wohlriechenden Heuhaufens gewahr wurde. Allein, da war auch noch ein zweiter Heuhaufen: genauso groß, genauso aromatisch duftend, genauso weit entfernt. Der arme Esel wusste weder ein noch aus. Kaum, dass er sich zum einen Haufen in Bewegung setzen wollte, erhob sich in ihm eine Stimme und flüsterte ihm zu, der andere Haufen werde durchaus besser schmecken. Sobald er aber seinen Huf in dessen Richtung streckte, gemahnte ihn eine andere Stimme, es sei wohl richtiger, doch zu dem ersten Haufen hinzutrotten, denn ganz gewiss sei dieser schmackhafter als jener. So ging es hin und her. Die Zeit verstrich, der Hunger wuchs, am Ende war der Esel tot. Als Todesursache notierte der hinzugeeilte Veterinär »Verenden infolge einer fürchterlichen Pandemie«. Sie heißt: Entscheidungsschwäche.

Der arme Esel hat es immerhin zu einiger Berühmtheit gebracht. Als »Buridans Esel« ist er in die Lexika und Lehrbücher der Philosophie eingegangen. Einfach deshalb, weil ein gewisser Johannes Buridan (1295–1363) im 14. Jahrhundert das Gleichnis von dem zaudernden Esel erzählt haben soll, um damit darzulegen, wie wenig der bloße Wille auszurichten vermag, sofern er nicht durch eine Einsicht oder Erkenntnis in eine bestimmte Richtung gelenkt werde.

Entscheidungen, so wollte der mittelalterliche Denker mit der Eselsstory zu verstehen geben, verdanken sich nicht einfach der Willenskraft, sondern entscheidend ist die rechte Einsicht des Verstandes. Womit wir bereits auf dem besten Wege sind, uns in einigen der Schlingen und Fallstricke zu verheddern, die unsere Meisterdenker für alle diejenigen ausgelegt haben, die sich auf das schwierige Terrain der philosophischen Entscheidungstheorien wagen. Also für uns.

Aber das kann noch warten. Bleiben wir zunächst bei der Tragödie unseres armen Esels und stellen dazu ein paar Dinge richtig: Erstens stammt sie gar nicht von Johannes Buridan. Vermutlich hat der gute Mann das Stück bei einem Kollegen abgeschrieben, und zwar bei dem gut zwei Jahrhunderte früher lebenden persischen Philosophen Al-Ghazali (1058–1111), der in seinem Hauptwerk »Inkohärenz der Philosophen« notiert hatte: »Wenn ein durstiger Mann auf zwei unterschiedliche Gläser Wasser zugreifen kann, die für seine Zwecke in jeder Hinsicht gleich sind, müsste er verdursten, solange eins nicht schöner, leichter oder näher an seiner rechten Hand ist.«

Nun gut, Sie haben recht: Hier ist nicht von einem hungrigen Esel die Rede, sondern von einem durstigen Mann, aber man sieht doch leicht, dass es Al-Ghazali um das gleiche Thema geht: um das Problem der Entscheidungsfindung. Oder besser: um die Tragödie der Entscheidungsunfähigkeit.

Der zweite Punkt, den wir richtigstellen müssen, betrifft den Esel. Den gibt es nämlich gar nicht. Zumindest bei Buridan kommt er nicht vor, in keinem seiner Werke. Wohl erzählt er einmal von einem Hund, der sich nicht zwischen zwei Fressnäpfen entscheiden konnte und deshalb elendiglich verreckte. Vom Esel aber fehlt im Werk dieses Philosophen jede Spur. Und das ist gut so. Denn nach allem, was man heute über Esel weiß, steht eines fest: Ein Esel wäre nie zwischen den Heuhaufen verhungert, weil diese Tiere in hohem Maß über das verfügen, was uns Menschen meistens fehlt, weshalb uns die Entscheidungsfindung so schwerfällt: die Intuition. Ein Esel würde gar nicht überlegen, sondern einfach losmarschieren und sich am Heuhaufen gütlich tun – schnurzpiepegal an welchem, wenn es denn nur schmeckt und satt macht.

Wie es um Buridans Hund bestellt ist, bleibe dahingestellt, den können wir getrost vergessen. Nicht, weil er eh unbekannt geblieben ist, sondern weil er uns am Ende doch nur vom Weg abbringen würde – vom Weg zum Menschen: zu Al-Ghazalis entscheidungsschwachem Durstigem. Denn wenn wir ehrlich sind, ist niemand als ein Mensch zu einer solchen Eselei imstande. Entscheidungsschwäche und Entscheidungsunfähigkeit sind seine fragwürdigen Privilegien. Und zwar deshalb, weil kein anderes Wesen sich überhaupt entscheiden kann … und sich entscheiden muss. Womit wir nun bei der ersten wichtigen Erkenntnis angelangt wären, die zugleich die eigentliche Pointe der wunderlichen Geschichte von Buridans Esel ist. Sie lautet: Ob es uns nun passt oder nicht, wir müssen uns entscheiden. Sich nicht zu entscheiden, wäre tödlich.

»Tödlich« ist dabei nicht buchstäblich zu lesen. Die Eselstragödie ist ja nur ein Gleichnis. Das elende Ende des Esels dürfte darauf deuten, dass Menschen, die sich nicht entscheiden (wollen oder können), damit ihr eigentliches Menschsein opfern. Man könnte sagen: Sie verwesen, weil sie ihr Wesen preisgeben. Denn Mensch zu sein, erfordert unabdingbar die Bereitschaft zur Entscheidung. Entscheidungslos sein Leben zu verdümpeln, mag zwar nicht unbedingt den Tod zur Folge haben, wohl aber führt es zum Verlust der menschlichen Lebendigkeit, des eigentlichen, wesentlichen Menschseins. Es führt zum Seelentod.

Sie finden, das ist eine steile These? Das stimmt, und deshalb werden Sie verstehen, dass wir ein wenig bei ihr bleiben müssen, um darüber nachzudenken, was es eigentlich mit unserem Menschsein auf sich hat. Dabei werden Sie flugs feststellen, dass es in diesem Buch am Ende um gar nichts anderes geht als um die gute alte Frage, was unser Menschenleben gelingen lässt. Aber das will gründlich vorbereitet sein, und deshalb kann ich es Ihnen nicht ersparen, Sie gleich zu Beginn mit ein paar Gedanken über das Wesen des Menschseins zu traktieren. Übrigens – das werden Sie gleich merken – ist das ziemlich interessant.

Eines steht fest: Wenn Sie ein Esel wären, dann bräuchten Sie dieses Buch nicht.

Ob es uns nun passt oder nicht, wir müssen uns entscheiden. Sich nicht zu entscheiden, wäre tödlich.

Was macht das Menschsein aus?

Eine These steht im Raum. Sie lautet: Menschsein heißt Sich-entscheiden-Müssen. Oder in anderen Worten: Menschen müssen Entscheidungen treffen. Warum ist das so?

Die Antwort ist gar nicht so schwierig: Weil Menschen Wesen sind, deren Alleinstellungsmerkmal darin besteht, sich zu sich selbst verhalten zu können bzw. sich zu sich selbst verhalten zu müssen. Oder um es mit dem Philosophen Martin Heidegger zu sagen: »Dasein versteht sich in irgendeiner Weise und Ausdrücklichkeit in seinem Sein. Diesem Seienden eignet, dass mit und durch sein Sein dieses ihm selbst erschlossen ist.«1 Diese Formulierung ist so etwas wie eine Kurzformel für das, was man gemeinhin Bewusstsein nennt. Bewusstsein bedeutet: Ich kann zu mir selbst »ich« sagen. Oder auch: Ich kann mich zu mir selbst verhalten. Und wenn wir das so sagen, dann heißt das zwangsläufig immer auch: Ich muss mich zu mir selbst verhalten. Ich kann gar nicht anders, als irgendeine Art von Selbstverhältnis zu mir zu pflegen. Denn aufgrund unseres Bewusstseins sind wir – anders als Buridans Esel, Hund und alle anderen nicht-humanen Wesenheiten – dazu gezwungen, nicht einfach nur zu leben, sondern ein Leben zu führen. In diesem einfachen Umstand liegen Glanz und Elend des Menschseins verborgen – unser Bewusstsein ist Fluch und Segen zugleich.

Was ist damit gemeint? Zunächst gar nichts so Spektakuläres. Machen Sie sich einfach klar, dass Sie hier und jetzt die Möglichkeit haben, zu sich selbst Ja oder Nein zu sagen; oder, wenn Sie es etwas dramatischer haben wollen, mit Shakespeares Hamlet zur räsonieren: »To be or not to be, that’s the question« (»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage«). Das heißt: In dem Augenblick, in dem Sie sich zu sich selbst verhalten, öffnet sich für Sie ein Spielraum, der Sie vor die Wahl stellt: Will ich mich überhaupt oder will ich mich nicht? Und wenn ja – wie viele …?

Dieser Spielraum ist das, was man gemeinhin Freiheit nennt. Ein großes Wort, hinter dem sich unendlich viele Konnotationen, Assoziationen und Probleme verbergen, auf die wir auch noch – das verspreche ich Ihnen – zu sprechen kommen werden. Alles zu seiner Zeit. Hier möchte ich Sie nur darauf aufmerksam machen, dass wir die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, gar nicht von dem Gedanken der Freiheit lösen können. Anders gesagt: Es würde überhaupt keinen Sinn machen, auch nur einen Augenblick über Entscheidungen nachzudenken oder gar einen »Entscheidungshelfer« zu lesen (geschweige denn zu schreiben), wenn es nicht irgendwo in den Tiefen unseres Seins so etwas gäbe wie Freiheit. Und die gute Nachricht ist: Voilà, wir haben sie gefunden, denn sie liegt genau da, wo wir Menschen uns kraft unseres Bewusstseins in der Lage sehen, uns zu uns selbst verhalten zu können, bzw. die Möglichkeit haben, uns so oder anders zu uns zu verhalten. Freiheit – wenn Sie mir bitte diesen steilen Satz erlauben wollen –, Freiheit gründet in der Möglichkeit, etwas mit uns selbst anfangen zu können. Unfrei ist, wer von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht.

Für diese Form der Freiheit hat Martin Heidegger ein Wort geprägt, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte, weil es allein für sich genommen sehr viel davon verrät, inwiefern es zum Wesen des Menschseins gehört, entscheiden zu können. Es heißt Entschlossenheit – ein Wort, das davon kündet, dass der Entschlossene nicht länger in sich selbst verschlossen oder eingeschlossen ist, sondern sich gleichsam hinauswagt ins Freie, um eine der dort waltenden Möglichkeiten seiner selbst zu ergreifen: »In der Entschlossenheit«, sagt Heidegger, »geht es dem Dasein um sein eigenstes Seinkönnen«2, wobei der Entschluss zu verstehen sei als »das erschließende Entwerfen und Bestimmen der jeweiligen faktischen Möglichkeit«3. Das klingt kompliziert, ist es aber nicht. Heidegger will einfach nur sagen, dass wir dann, wenn wir bereit sind, unser Leben in die Hand zu nehmen, und uns ins Freie des Möglichkeitsspielraumes wagen, auf eine grundlegende, existenzielle Weise entschlossen sind; und dass das gut ist, weil – um es noch mal mit Heidegger zu sagen – mit der Entschlossenheit »die ursprünglichste, weil eigentliche Wahrheit des Daseins gewonnen«4 ist.

Okay, wir können also sagen: Als entschlossenes, bewusstes und freies Wesen sind wir Menschen unweigerlich vor die Wahl gestellt. Wir können grundsätzlich das eine oder das andere wählen. Wir können wählen, ob wir unser Leben mit Entschiedenheit und Entschlossenheit führen wollen – oder ob wir uns lieber wie ein langer träger Fluss durchs Leben treiben lassen: to live or let live, zu leben oder uns leben zu lassen. Auch Letzteres wäre eine Möglichkeit; und zwar eine, von der – Gerüchten zufolge – eine ganze Menge Leute Gebrauch macht. Das wäre dann immer noch ein Leben, aber es wäre ein fahles, flaches Leben: ein »uneigentliches Dasein«, wie Heidegger das nannte, bei dem die Menschen sich dem Diktat des »man« ergeben haben.

Wie so ein flaches Leben aussieht und wohin es führen kann, hat der dänische Philosoph Sören Kierkegaard mit Verve beschrieben. In seinem Opus »Entweder – Oder« hat der Meisterdenker die Figur eines Ästheten – was bei Kierkegaard so viel heißt wie Lebemann – entworfen, der es zu seinem Lebensprogramm gemacht hat, keine Entscheidungen zu treffen. Das gipfelt dann in seinem viel zitierten »Ekstatischen Vortrag«: »Heirate, du wirst es bereuen; heirate nicht, du wirst es auch bereuen; heirate oder heirate nicht, du wirst beides bereuen; entweder heiratest du, oder du heiratest nicht, bereuen wirst du beides. Lache über die Torheit der Welt, du wirst es bereuen; weine da­rüber, du wirst es auch bereuen; lache oder weine über die Torheit der Welt, du wirst beides bereuen; entweder du lachst über die Torheit der Welt, oder du weinst darüber, bereuen wirst du beides. Traue einem Mädchen, du wirst es bereuen; traue ihr nicht, du wirst es auch bereuen; trau ihr oder trau ihr nicht, du wirst beides bereuen; entweder du traust einem Mädchen, oder du traust ihr nicht, bereuen wirst du beides. Hänge dich, du wirst es bereuen; hänge dich nicht, du wirst es auch bereuen; häng’ dich oder häng’ dich nicht, du wirst beides bereuen; entweder du hängst dich oder du hängst dich nicht, bereuen wirst du beides. Dies, meine Herren, ist der Inbegriff der Lebensweisheit.«5

Die hier gepriesene Lebenshaltung des »First of all: no decisions!« ist genau das, was Kierkegaard grässlich findet. Wer so lebt, meint er, lebt gar nicht wirklich. Er dümpelt vor sich hin und ist damit zufrieden, als Nutzer oder auch Verbraucher seine Tage zu fristen. Wirklich leben heiße vielmehr: entschieden sein. Und zwar entschieden zu sich selbst; entschieden dazu, in eigener Verantwortung das eigene Leben zu führen und, wie Kierkegaard sagt, sich »selbst zu gewinnen« 6. Dabei gehe es nicht primär um Richtig oder Falsch. »Es ist«, sagt Kierkegaard, »nicht so sehr die Rede davon, dass man zwischen dem Wollen des Guten und dem Wollen des Bösen wählt, als vielmehr davon, dass man das Wollen wählt« 7. Es sei also gar nicht entscheidend, wofür wir uns im Einzelnen entscheiden. Entscheidend seien vielmehr der »Ernst, das Pathos, mit denen man wählt« 8. Denn »die Wahl selbst ist entscheidend für den Gehalt der Persönlichkeit« 9, so wie das Sich-Herumdrücken um den Ernst der Wahl den Verlust von Persönlichkeit und echtem Selbst-Sein zur Folge habe.

Entschlossen zu sein bedeutet, Ja zu sagen zu den eigenen Möglichkeiten, Ja zu sagen zur Freiheit, sich entscheiden zu können; Ja zu sagen zu der Notwendigkeit, sich entscheiden zu müssen.

Existenziell entschieden

Das ist stark gedacht und lässt uns ahnen, warum es bei diesem »Entscheidungshelfer« um mehr geht als allein darum, in irgendwelchen unklaren oder strittigen Situationen eine gute, kluge oder sinnvolle Entscheidung zu treffen. Nein, es geht ums Ganze: Es geht darum, entschieden zu leben – ein Leben zu führen und entschieden die Verantwortung dafür zu übernehmen, indem wir immer wieder Entscheidungen treffen. In dieser existenziellen Entschiedenheit gründet, wie Kierkegaard zeigt, nicht nur unsere Menschenwürde, sondern am Ende auch unser Glück. Der Preis, der uns für unser entschiedenes Ja zur Selbstverantwortung winkt, ist nichts anderes als echte, tiefe, authentische Lebendigkeit – »eigentliches Dasein«, um Heidegger noch einmal zu bemühen.

So gesehen sollten wir uns also nicht davor drücken, mit Entschiedenheit Entscheidungen zu treffen. Es sei denn, wir zögen es vor, so zu enden wie Buridans Esel und kläglich Hungers zu sterben – zwar nicht physischen, aber doch seelischen Hungers. Von daher sind wir gut beraten, ernst zu nehmen, was ein anderer großer Denker, Jean-Paul Sartre, im Anschluss an Kierkegaard sagte: »Sein bedeutet für den Menschen, dazu verdammt sein, sich wählen zu müssen. Alles ist Wahl: wir können uns als Fliehenden, Ungreifbaren, Zögernden usw. wählen, die Verantwortung liegt bei uns. Was auch unser Sein sein mag, es ist die Wahl.« 10 Das vorausgeschickt, werden Sie sich nicht wundern, dass eben dieser Sartre das weithin bekannte Wort prägen konnte: »Der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein.« 11

»Verurteilt« oder auch »verdammt«. Wie geht es Ihnen damit? Das klingt irgendwie mehr nach Fluch als nach Segen, oder? Sartre ist offenbar nicht so rückhaltlos von der menschlichen Entscheidungsfähigkeit begeistert wie sein Kollege Kierkegaard. Es scheint, als ahne er die Doppelgesichtigkeit oder Ambivalenz der menschlichen Freiheit zur Entscheidung. Es scheint, als ahne er, dass Freiheit vielen Menschen Angst macht. Es scheint, als ahne er, dass es für viele Menschen sehr viel attraktiver ist, sich in enger Selbstbezüglichkeit und Egoismus zu verschließen, als sich zur Freiheit zu entschließen und das eigene Leben mit Entschiedenheit zu führen.

Bevor wir uns konkreten Entscheidungssituationen und den in ihnen nützlichen Helfern zuwenden, ist es mir wichtig, bei Ihnen dafür zu werben, überhaupt Entscheidungen zu wagen und sich entschlossen in den Freiraum Ihrer Möglichkeiten vorzuwagen. Dafür sollten wir herausfinden, was uns daran hindert, unser Leben entschieden selbst zu führen. Ist es vielleicht die uneingestandene, heimliche Angst, wir könnten einen Fehler machen? Ist es die Angst, die falsche Wahl zu treffen …?

Wenn wir in die Welt blicken, finden wir reichlich Anhaltspunkte dafür, dass Menschen die Freiheit fürchten. Denn Menschen, die entschieden und bewusst im freien Spielraum ihrer Möglichkeiten leben, trifft man eher selten. Verbraucher und Nutzer dafür umso öfter.

Ungewissheit und Fehleranfälligkeit sind der Preis der Freiheit. Dass wir ihn zahlen und allen Unwägbarkeiten zum Trotz dennoch Entscheidungen treffen, ist die eigentliche Essenz unserer menschlichen Würde.

WENN SCHON, DENN SCHON. WARUM WIR UNS UM GUTE ENTSCHEIDUNGEN BEMÜHEN SOLLTEN

Die Angst vor falschen Entscheidungen ist nicht ganz unbegründet. Wer sich entscheidet, läuft unausweichlich Gefahr, Fehler zu machen. Wer die eine Möglichkeit ergreift, lässt die andere – oder tausend andere – ungenutzt, obgleich sie im Nachhinein vielleicht besser gewesen wären. Es ist nun einmal so: Jede Entscheidung birgt ein Risiko, denn jede Entscheidung zielt in eine Zukunft, die uns nicht verfügbar ist. Und das ist auch gut so: Denn wenn wir alles vorher wüssten oder vorhersagen könnten, nähme unsere Freiheit Schaden, beruht sie doch zu einem guten Teil darauf, dass uns die Zukunft möglich und nicht wirklich ist.

Das ändert nichts an dem Problem, dass wir irgendwie mit dem Risiko klarkommen müssen, dass sich Entscheidungen als falsch und schlecht erweisen können. Zumal dann, wenn wir in einer Welt der Multioptionalität leben, das heißt in einer Welt, in der so gut wie alles möglich ist. Und unsere Welt ist eine solche Welt. Zumindest in unseren Breiten, wo sich längst herausgebildet hat, was der Schweizer Soziologe Peter Gross bereits in den 1990er-Jahren eine »Multioptionsgesellschaft« nannte 12. Das war vor nun bald 30 Jahren. Seither haben sich die Optionen des durchschnittlichen Bürgers der westlichen Welt noch vervielfacht: Die Globalisierung der Märkte, die ständig wachsende Mobilität und die Digitalisierung der Welt haben uns schier unbegrenzte neue Möglichkeiten eröffnet. Vor allem Smartphone, Internet & Co. haben uns in rasanter Geschwindigkeit in eine multioptionale Welt katapultiert.

Das alles ist ja auch ganz schön und macht zuweilen eine Menge Spaß. Zugleich aber sehen wir immer deutlicher, dass die Flut der Möglichkeiten das menschliche Fassungsvermögen übersteigt. So unüberschaubar ist die Zahl der Optionen geworden, dass es vielen Menschen immer schwerer fällt, sich für die eine und gegen alle anderen Möglichkeiten zu entscheiden. Stress, Reizüberflutung, Burn-out, Depression – die Folgen der optionalen Überfütterung sind nicht mehr wegzudiskutieren. Und wer bei alledem nicht gleich krank wird, den überkommt womöglich eine große Traurigkeit »über die nicht ergriffenen Optionen, über das, was alles gewesen sein könnte, aber nicht geworden ist. So gesehen«, heißt es weiter in einem Artikel der Zeitschrift »Hohe Luft«, »sterben wir alle tausend Tode, weil wir nicht die sind, die wir sein könnten.« 13

Kein Wunder, dass in der Multioptionsgesellschaft deshalb eine brennende Sehnsucht nach Grenzen und Schranken aufkeimt – eine Sehnsucht nach Überschaubarkeit, die nunmehr auf das Feld der Politik übergreift und dort ihr Unwesen treibt. Denn es könnte sein, dass die virtuelle Grenzenlosigkeit des Cyberspace den Ruf nach neuen physischen Grenzen mindestens mitverursacht hat: Fremdenfeindlichkeit, Abschottung und Protektionismus sind die Folgen. So kommt man nicht umhin zu konstatieren: Ein Zuviel an Möglichkeiten ist uns Menschen offenbar schwer verdaulich, ein Übermaß an Optionen bekommt uns schlichtweg nicht. Wir haben heute allen Grund zur Annahme, eine »Tyrannei der Möglichkeiten« (Hannah Arendt) sei über uns hereingebrochen – und mit ihr eine Plage, die der alte Bismarck schon vor mehr als hundert Jahren als die »Krankheit unserer Zeit« glaubte diagnostizieren zu müssen: die Verantwortungslosigkeit – oder, wenn Sie es lieber trendy haben wollen: das postmoderne anything goes (Paul Feyerabend).

Wir stehlen uns aus der Verantwortung des Entscheidens, weil bei einer jeden anstehenden Entscheidung das Gewicht der nicht realisierten Möglichkeiten so drückend wird, dass uns zuletzt die Power fehlt, überhaupt noch etwas zu entscheiden. Zu übermächtig ist die Sorge, etwas zu verpassen oder am Ende doch nicht das optimale Schnäppchen erwischt zu haben. Und zu lähmend ist die Angst, entgegen allen Verheißungen gewiefter Werbestrategen zuletzt eben doch »blöd« zu sein, als dass man sich mit Lust und Schmackes einfach mal entscheiden würde. Lieber wartet man und zögert. Dann wartet man und zögert, schließlich wartet man und zögert … Buridans Esel lässt grüßen.

So viel sollte nunmehr deutlich sein: Wer ständig Angst hat, etwas zu verpassen, verpasst am Ende noch sich selbst. Diese Gefahr ist real – zumal dann, wenn man sein Lebensglück davon abhängig macht, stets ein Schnäppchen zu machen und jedes Mal das Optimum für sich herauszuholen. Auch das ist eine Lektion, die uns der Zeitgeist lehrt: Je mehr der Mensch sich als Verbraucher oder Konsument versteht, desto größer wird der Zwang zur richtigen Entscheidung – und desto lähmender die Angst vor der falschen.

Wie kommt man aus der Nummer raus? Es ist gar nicht so schwer. Sie sollten sich nur an das erinnern, was wir eingangs sagten: Menschsein heißt entscheiden müssen. Und: Entscheiden müssen schließt immer die Möglichkeit ein, danebenzuliegen. Fehlentscheidungen zu treffen, ist menschlich. Und weil es menschlich ist, ist es auch nicht schlimm.

Zumal dann nicht, wenn die wachsende Masse der Optionen es immer unwahrscheinlicher sein lässt, dass Sie ausgerechnet die eine, optimale Variante treffen – und dass ausgerechnet Sie es sind, der diesen Treffer landet. Vergessen Sie’s und sagen Sie sich lieber: »Macht doch nichts, wenn ich mich mal falsch entscheide. Lieber eine falsche Entscheidung als gar keine Entscheidung.« So zu denken, ist in Ordnung. So zu denken, macht das Leben leichter; gerade in einer multioptionalen Welt.

Nur sollte es Sie nicht dazu verleiten, dem Irrtum zu erliegen, angesichts des Hauptsache-überhaupt-Entscheidens die Frage zu vernachlässigen, welche der jeweils möglichen Optionen denn nun die beste ist. Klar, es kann sein, dass Sie sich darüber täuschen, was am besten ist; und das ist – wie gesagt – grundsätzlich auch nicht schlimm. Allerdings nur dann, wenn Sie Ihre Entscheidung in der sicheren Annahme fällen, die von Ihnen gewählte Option sei richtig und gut. Warum? Weil erst diese Ausrichtung auf das Gute oder Richtige Ihre Entscheidung überhaupt zu einer Entscheidung macht. Aus Jux und Dollerei den einen Weg zu gehen und den anderen auszuschlagen, ist keine Entscheidung, es sei denn, Sie haben sich zuvor dazu entschieden, dass Jux und Dollerei in diesem Fall die bessere Einstellung ist als ein rationales Abwägen. In diesem Fall haben Sie dann eine Art Hintergrundentscheidung getroffen, indem Sie für sich zu der Überzeugung kamen, Jux und Dollerei seien für dieses Mal das Mittel der Wahl.

Schon die alten Griechen wussten, dass Überschaubarkeit gut ist. Sie wurden nicht müde zu betonen, dass der Mensch für Grenzenlosigkeit und Unendlichkeit schlechterdings nicht ausgestattet sei.

Gut, richtig, besser

Halten wir fest: Zum Entscheiden gehört das Zielen dazu, das Zielen auf das Richtige, das Gute oder Optimale. Die Frage »Was ist richtig?« oder »Was ist besser?« ist – auch wenn sie nicht ausdrücklich gestellt wird – integraler Bestandteil dessen, was wir eine Entscheidung nennen. Das heißt: Wenn Sie die Kunst des Entscheidens lernen wollen, dann kommen Sie nicht daran vorbei, die Kunst des Gut-Entscheidens zu lernen – wohl wissend, dass Sie auch als Meister dieser Kunst niemals dahin kommen werden, nur noch solche Entscheidungen zu treffen, von denen Sie im Nachhinein feststellen werden, dass sie richtig waren.

Entscheiden wollen heißt richtig entscheiden wollen. Das heißt: Sie können bei Lichte besehen überhaupt erst dann entscheiden, wenn Sie irgendeine Vorstellung von »gut«, »richtig« oder »besser« haben. Buridans Esel hat so etwas nicht. Deshalb entscheidet er sich auch nicht. Sie aber können sich entscheiden. Sie können das Bessere wählen. Das macht Sie zum Menschen. Das gibt dem Spielraum, der Ihnen dadurch zuwächst, dass Sie sich zu sich selbst verhalten können, erst so etwas wie eine Struktur. Das macht Sie zu einem freien Wesen. Sie haben die Freiheit zu wählen – das heißt: zwischen gut und weniger gut oder gut und besser zu entscheiden.

Vielleicht kennen Sie noch die alte Geschichte von Adam und Eva im Paradies. Das waren die ersten Menschen, aber wenn man’s genau nimmt, waren sie am Anfang noch gar keine Menschen, sondern wurden erst in dem Augenblick zu solchen, in dem sie eine Entscheidung treffen mussten – eine vermaledeite Entscheidung, wie sich später herausstellen sollte: die Entscheidung darüber, ob sie fortan entscheidungsfähig sein wollten. Denn darum – zumindest kann man die Geschichte so lesen – ging es eigentlich bei dem verhängnisvollen Angebot der Schlange, die Menschen mögen doch die Frucht vom Baume der Erkenntnis kosten, um so das Wissen darum zu erwerben, was gut und was böse ist.

Bekanntlich langte Eva zu (wohl eher instinktiv, denn bevor sie in den Apfel biss, hatte sie ja noch keinen Schimmer von Gut und Böse), und Adam folgte ihrem Beispiel. Die Theologen nennen dies den Sündenfall.

Viel interessanter aber ist es, Evas Biss als etwas durchweg Positives zu würdigen, nämlich als den Biss zur Freiheit. Denn dadurch, dass Eva gemäß der Verheißung der Schlange durch ihren Biss die Möglichkeit öffnete, etwas als »gut« dem »Schlechten« oder »Bösen« vorzuziehen, erhielt der Mensch den Kompass, den er braucht, um sich im freien Spielraum des Entscheiden-Müssens zurechtzufinden. Wir wären gar nicht wirklich frei, wenn wir uns nicht für das entscheiden könnten, was uns am besten oder wenigstens doch besser scheint.

Das heißt: Sie können überhaupt nur deshalb Entscheidungen treffen, weil Sie die wunderliche Gabe besitzen, Optionen unterschiedlich zu bewerten. Anders gesagt: Sie können überhaupt nur deshalb etwas entscheiden, weil Sie »gut« von »schlecht« unterscheiden können.

Für ein selbstbestimmtes Leben im Sinne Kierkegaards reicht es deshalb noch nicht, sich einfach nur fürs Entscheiden zu entscheiden. Richtig rund wird das Ganze erst dann, wenn Sie sich außerdem darüber im Klaren sind, dass Sie sich mit Ihrer Entscheidung für ein entschieden selbstbestimmtes Leben auch immer schon dafür entschieden haben, gute Entscheidungen treffen zu wollen – wohl wissend, dass Sie dabei nicht immer erfolgreich sein werden.

Wie aber trifft man nun gute Entscheidungen? Jetzt wird die Sache spannend. Denn jetzt öffnet sich der Fragehorizont, um den es uns ja eigentlich geht.

Zugleich aber kreuzen damit einige neue gewichtige Fragen unser Blickfeld: Wer oder was gibt uns das Maß, nach dem wir ermessen können, was eine gute und was eine schlechte, eine falsche Entscheidung ist? Sind es unsere Werte? Ist es Kants Kategorischer Imperativ? Sind es unsere Interessen? Ist es unser Seelenheil? Ist es unsere Bestimmung? Ist es unser Karma? Sie dürfen die Liste gern erweitern. Bestimmt fällt Ihnen noch mehr ein, was Sie dafür verantwortlich machen könnten.

In dieses Dickicht müssen wir jedenfalls ein bisschen Klarheit bringen. Denn erst wenn wir das getan haben, können wir unsere eigentliche Frage angehen: Wer oder was hilft uns dabei, richtige und gute Entscheidungen zu treffen? Auch hier hätte ich ein paar mögliche Kandidaten für Sie zur Hand: Informationen? Argumente? Intuition? Bauchgefühl? Orakelsprüche? Eingebungen? Ratgeber? Auch diese Liste ist nicht abgeschlossen.

WER ODER WAS ENTSCHEIDET EIGENTLICH?

Ich habe noch eine weitere Frage für Sie auf Lager; eine, die in der gängigen Ratgeberliteratur meistens nicht behandelt wird, von der ich aber meine, dass wir sie uns als Allererstes vornehmen sollten:

Wer oder was entscheidet eigentlich? Okay, da sagen Sie: »Der Mensch entscheidet.« Das ist natürlich richtig. Doch die Frage ist damit noch nicht beantwortet. Denn was heißt hier »Mensch«? Ist es sein Wille oder sein Verstand? Oder sind es beide gleichzeitig? Oder keiner von beiden, sondern sein Gehirn und die darin stattfindenden biochemischen Prozesse? Oder ist es vielleicht doch die Seele? Oder die göttliche Vorsehung?

Lachen Sie nicht. Das alles haben Menschen schon erwogen, und zwar auf höchstem Niveau. Sie werden staunen, wenn Sie dazu im Text weiterlesen.

WARUM SELBSTERKENNTNIS ALLER GUTEN ENTSCHEIDUNGEN ANFANG IST

Darf ich Sie zu einer kleinen Zeitreise einladen? Darf ich Sie ins alte Griechenland entführen? Ganz an den Anfang, sozusagen? Einverstanden? Gut, dann wollen wir mal: Es war einmal ein großer König, der hieß Kroisos. Auf dem Gebiet der heutigen Türkei herrschte er über ein stattliches Reich namens Lydien. Eigentlich ging es ihm nicht schlecht dabei, aber irgendwie überkam ihn die Expansionslust, und er fasste den Plan, eines seiner Nachbarländer anzugreifen. Das war nun ausgerechnet das mächtige Persien, in dem der Großkönig Kyros sein Regiment führte. Angesichts der Größe und Macht des Perserreiches überkamen den guten Kroisos schließlich doch einige Zweifel, ob er den Streich nun wagen, mit seinem Heer den Grenzfluss Halys überschreiten und zum Angriff blasen sollte … oder lieber nicht. Er konnte sich nicht entscheiden. Was tun?