Nicht ganz nach Plan - Stephanie Long - E-Book

Nicht ganz nach Plan E-Book

Stephanie Long

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Beschreibung

Die 15-jährige Laura ist am Boden zerstört, als die Romanze mit Nick zerbricht. Enttäuscht und traurig möchte sie sich nur noch in ihrem Zimmer verkriechen. Ihre Freundin Tamara hat jedoch einen anderen Plan. Durch einen Flirt mit dem süßen Patrick soll Laura ihren Ex-Freund vergessen. Was harmlos beginnt, wird zu einem heftigen Kribbeln im Bauch. Als auf einmal fiese Gerüchte kursieren, scheint ihr alles um die Ohren zu fliegen.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Stephanie Long

 

Nicht ganz nach Plan

 

1. Auflage, März 2019

 

Copyright © 2019 Stephanie Long

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat und Korrektorat: Rohlmann & Engels

Cover: Bianca Holzmann (Cover up – Buchcoverdesign)

Verwendete Fotos im Cover: Shuttetock.com

 

Stephanie Long

c/o AutorenServices.de

König-Konrad-Str. 22

36039 Fulda

 

Taschenbuch ISBN: 978-3-7481-9137-7

 

Facebook: https://www.facebook.com/Stephanie-Long

E-Mail: [email protected]

 

INHALT

Titel

Copyright

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Danksagung

Über die Autorin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1

 

 

Morgen sieht alles anders aus und Das wird schon wieder sagt man Kindern, wenn sie etwas traurig macht. Aber eigentlich ist es nicht wahr. Leute lügen. Jeden Tag. Nicht, dass ich in den fünfzehn Jahren, die ich auf dieser Erde wandle, nie gelogen hätte. Aber wem hilft diese Art von Trost denn schon?

Sähe morgen wirklich alles anders aus, säße ich jetzt unten am Frühstückstisch. Auf meinem Gesicht läge ein Lächeln. Ein echtes, kein geheucheltes. Mein Zwillingsbruder Jonas würde mich nerven, wie er es jeden Morgen tut. Dennoch liebe ich ihn mehr, als ich es vor ihm je zugeben würde. Um elf Uhr würde es an der Tür klingeln und Nick, der Junge, der gestern noch mein Herz zum Rasen gebracht hat, stünde davor. Der Samstag war in den Sommerferien unser Tag gewesen. Er hat einen Ferienjob im Elektrogeschäft seines Onkels. Samstags ist Nicks freier Tag.

Der Gedanke an sein sandfarbenes Haar, das in der Sonne einen goldenen Schimmer annimmt, versetzt mir einen Stich in meinem Herzen. Ich habe es geliebt, mit meinen Fingern hindurchzufahren.

In seinen braunen Augen läge dieses wundervolle Funkeln, das sie immer zeigten, wenn er mich ansah. Bei seinem Anblick würde sich ein Lächeln in meinem Gesicht breitmachen. Seine Mundwinkel würden ebenfalls nach oben wandern. Die Schmetterlinge, die noch bis gestern meinen Magen durcheinandergebracht haben, würden unter meiner Bauchdecke tanzen. Aber all das passiert heute nicht, und dass nur, weil diese Sätze nicht stimmen. Nichts wird über Nacht einfach ungeschehen gemacht.

Stattdessen liege ich heute in meinem Bett. Die Beine an meine Brust und die Decke über meinen Kopf gezogen. Aus meiner Stereo-Anlage ertönt die Stimme von Taylor Swift. Ist vielleicht nicht die beste Methode, mit Liebeskummer umzugehen, aber das Lied All you had to do was stay spendet mir momentan mehr Trost als alles andere. Und sie hat ja so recht. Das Einzige, was Nick hätte tun müssen, wäre zu bleiben gewesen. Nicht, dass ich ihn nach seiner Tat noch gewollt hätte.

Obwohl mir alles wehtut, schnaube ich bei diesem Gedanken. Wieso soll ich mir was vormachen? Natürlich hätte ich ihn zurückgenommen, wenn er sich entschuldigt und wirkliche Reue gezeigt hätte. Doch nicht einmal das war ich ihm wert.

Meine Brust schmerzt, die Tränen laufen ununterbrochen über mein Gesicht. Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich schon eingemummelt in meinem Bett liege. Es fühlt sich an, als ob an der Stelle, wo sich gestern um diese Zeit noch mein Herz befunden hat, nun nur ein großes, klaffendes Loch übrig ist, das auch den Rest von mir zu verschlingen droht.

Mit verquollenen und brennenden Augen schaue ich auf meinen Wecker und stelle fest, dass es kurz vor zehn Uhr ist. Diese Nacht habe ich bestimmt keine Minute geschlafen. Ob das Brennen in meinen Augen vom vielen Weinen oder der schlaflosen Nacht herrührt, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich von beidem.

Noch vor elf Stunden habe ich gedacht, dass es das beste Jahr meines Lebens werden würde. Mein letztes Schuljahr. Die neunte Klasse ist eine große Sache. Diese Stufe bekommt sogar ein eigenes Schulhaus. Gestern, am letzten wirklichen Ferientag, denn das Wochenende zählt nicht, wurden die Sommerferien mit einer Party ausgeläutet. Luca veranstaltete schon seit der sechsten Klasse eine Ferien-Ende-Party für die ganze Jahrgangsstufe.

Der ganze Abschlussjahrgang hat sich in der Villa von seinen Eltern eingefunden.

Hand in Hand bin ich mit meinem Freund Nick durch die weiße, doppelflügelige Haustür gegangen. Ich habe mich in seiner Nähe so sicher gefühlt. Der Gedanke an die Wärme seiner Hand ist mir nun unerträglich.

Der Abend hat für mich ein jähes Ende gefunden, als ich eine Stunde später auf dem Weg zur Toilette dem Mädchen, das vom Kindergarten bis zur ersten Klasse meine beste Freundin war, über den Weg gelaufen bin. Linda ist gerade rückwärts in ein Zimmer gestolpert, doch nicht alleine. Mit ihr – oder besser gesagt, an ihr festgewachsen – mein Freund Nick. Seine Arme um ihre Taille geschlungen, die Lippen auf ihre gepresst, ist er dabei, mit ihr in das Schlafzimmer zu gehen. Mit ihren Körpern schieben sie die Tür auf, woraufhin ich einen kurzen Blick in das Gästezimmer erhaschen kann. Tränen stechen in meinen Augen. Man braucht kein Genie zu sein, um zu erkennen, was die beiden tun wollen.

Bei dem Anblick bekomme ich Magenkrämpfe. Das flaue Gefühl gibt mir den Rest. Leider kann ich mich nicht zurückhalten, ein Keuchen auszustoßen und noch im Flur in Tränen auszubrechen.

Im Nachhinein kann ich nicht mehr genau sagen, in welcher Reihenfolge die Dinge danach passiert sind. Ob Nick den Kopf gehoben und mich gesehen hat, bevor oder nachdem ich einige Schritte nach hinten gestolpert bin, wo ich gegen Patrick, den besten Freund meines Bruders, prallte. Doch eigentlich spielt das auch keine Rolle. Nur eines war wichtig: Von Reue war in Nicks Blick nichts zu sehen.

Patrick konnte mich gerade noch auffangen. Bevor er etwas hatte sagen können, was die ganze Sache um einiges schlimmer gemacht hätte, habe ich mich aus seinem Griff gelöst und bin die Treppe hinuntergerannt. Patrick hat mir hinterhergerufen, dass ich warten soll, aber ich habe nicht angehalten. So schnell meine Beine mich getragen haben, bin ich von der schrecklichsten Party meines Lebens geflohen. Zu Hause angekommen, bin ich in meinem Zimmer verschwunden und habe es seither nicht verlassen.

Die gesamte Vorfreude auf die neunte Klasse ist in diesem Flur an einem schönen Sommerabend verpufft. Und mit ihr auch die Beziehung zu dem Jungen, mit dem ich seit einem Jahr zusammen war und von dem ich gedacht habe, dass ich mit ihm mein gesamtes Leben verbringen würde. Zu Staub ist sie zerfallen. Vor meinen Augen. Und mein Herz ist in tausend Stücke zerbrochen.

Meine Mutter hat heute Morgen einmal bei mir reingeschaut, hat mich gefragt, ob sie etwas für mich tun kann. Anscheinend hat Jonas oder meine beste Freundin Tamara sie auf den neuesten Stand gebracht. Ich habe ihr keine Antwort gegeben. Hätte ich den Mund geöffnet, hätte ich womöglich angefangen zu schluchzen. Mama hätte daraufhin mein Zimmer nicht so schnell wieder verlassen, dabei wollte ich nur allein sein. Also habe ich ganz ruhig unter meiner Bettdecke verharrt und gewartet, bis sie die Tür hinter sich zuzog.

Natürlich habe ich gewusst, dass ich nicht für immer in meinem Kokon aus Decken und Kissen bleiben kann. Ich habe nur gehofft, eine Schonfrist von vielleicht ein, zwei Tagen zu bekommen, doch da habe ich die Rechnung ohne meine Freundin gemacht.

Tamara betritt am Nachmittag mein Zimmer. „Ich habe Schokoeis und einen riesigen Stapel an Filmen dabei. Die werden dich bestimmt von deinem Kummer ablenken.“

Mit einem Mal ist die Musik aus, stattdessen höre ich Geklapper, als Tamara ihren Stapel DVDs abstellt, dann wird mir auch schon die Decke weggezogen. Verzweifelt versuche ich, sie mir zurückzuerobern, indem ich mich an einem Zipfel festhalte und daran ziehe. Aber Tamara ist stärker. Mit einem kräftigen Ruck reißt sie sie mir aus den Händen und wirft sie vor meinem Bett auf den Boden. Ich müsste aufstehen, um sie zurückzuholen, wozu mir im Moment die Kraft fehlt. Ich verziehe mein Gesicht zu einer schmollenden Grimasse.

„Komm schon, Laura. Der erste Film ist …“ Sie hält mir eine Hülle vor die Nase. „Er steht einfach nicht auf dich! Dein Lieblingsfilm.“ Sie lächelt aufmunternd.

Stöhnend lasse ich mich in mein Kissen zurücksinken. Das ist typisch Tamara. Sie meint es nicht böse, hat aber von ihrer gesamten Filmsammlung den schrecklichsten von allen rausgesucht. Klar, ich liebe diesen Film. Es gibt wohl kein romantischeres Ende in der Filmgeschichte. Dennoch macht es allen Frauen auf der Welt Hoffnungen auf ein Happy End in ihrer eigenen tragischen Liebesgeschichte. Aber Hollywood ist nicht das echte Leben. Warum also soll ich mir anhören wollen, warum Nick nicht auf mich steht? Der Grund wird immer derselbe sein. Linda … Ausgerechnet sie.

„Das glaube ich kaum“, antworte ich schniefend und hoffe zum ersten Mal, dass mir stattdessen Jonas einen seiner Filme aufdrückt. Da würde sich gewiss keiner verlieben. Niemand hätte eine rosarote Brille auf und ich müsste mich nicht bei jeder Szene vor einem Heulkrampf fürchten. Alle Filme von Jonas, egal wie brutal, unsinnig oder verblödet sie sein mögen, wären mir jetzt lieber. Letzte Woche hat er sich mit Patrick und Luca Das A-Team angesehen. Ich habe zehn Minuten mitgeschaut, weil ich Bradley Cooper toll finde. Aber es waren verschwendete zehn Minuten.

Tamara stemmt ihre Hände in die Hüften. „Ich schon. Als ich damals Liebeskummer wegen Robin hatte …“

„Du bist nie mit Robin zusammen gewesen“, unterbreche ich sie. „Es hat sich lediglich herausgestellt, dass er bereits vergeben ist. Deine Verliebtheit hat auch nur drei Wochen angedauert. Du hast ihn nach einem Wochenende wieder vergessen.“ Mir fällt auf, dass ich immer lauter geworden bin, doch das scheint Tamara nicht zu stören.

„Spielt keine Rolle“, meint sie achselzuckend und macht sich daran, die DVD aus ihrer Hülle zu holen. „Man sollte den Schmerz rauslassen. Mit diesem Film wird dir das gelingen. Da bin ich mir sicher. Mir hat es auch geholfen. Den ganzen Tag im Bett liegen und Trübsal blasen, schadet der Gesundheit.“

Ich bin mir fast sicher, dass sie den letzten Teil frei erfunden hat. Und ich bezweifle, dass mich ein Liebesfilm auf andere Gedanken bringt.

„Seit wann ist Sich-im-Selbstmitleid-suhlen ungesund?“, frage ich sie. Meine Stimme gleicht einem Krächzen, was mir erst jetzt auffällt. Ich räuspere mich in der Hoffnung, dass sie danach etwas weniger rau und mitgenommen klingt. „Ich denke, dass es das Beste ist, was man machen kann. Der Körper braucht Erholung. Liebeskummer ist eine Krankheit. Und jetzt gib mir meine Decke zurück. Mir ist kalt.“ Ich strecke eine Hand danach aus.

„Das war noch nie eine gute Art“, gibt Tamara mir auf dem Rückweg vom Fernseher zur Antwort.

Sie hebt die Decke vom Boden auf und wirft sie zusammengeknüllt auf meine nackten Beine. Mit einem finsteren Blick in ihre Richtung entwirre ich sie, um sie mir bis unters Kinn zu ziehen.

„Niemand kann Menschen leiden, die sich in Selbstmitleid suhlen. Die Menschen mögen starke Menschen. So ist das Leben, Lou.“ Mit diesen Worten quetscht sie sich neben mich auf mein Bett, nimmt die Fernbedienung und drückt auf Start.

 

Wie ich schon befürchtet habe, hat sie sich geirrt. Ich halte nur bis zur ersten Begegnung von Gigi und Alex durch, dann öffnen sich die Schleusen. Die Tränen wollen kein Ende nehmen.

Da wird mir klar, dass ich diesen Film nie wieder sehen kann. Ich weiß, dass Tamara es nur gut gemeint hat, und wahrscheinlich hat diese Strategie bei ihr auch wirklich geholfen. Bei mir hat es den entgegengesetzten Effekt. Ich vergrabe mich heulend in meinen Kissen. Nachdem sie den Fernseher ausgeschaltet hat, nimmt sie mich in den Arm.

Alle Filme, in denen Justin Long und Ginnifer Goodwin mitspielen, sind von nun an mit der schlimmsten Nacht meines Lebens verbunden.

Tamara verzieht ihr Gesicht zu einer zerknirschten Miene. „Ich hätte dieses Mal doch besser auf dich gehört“, sagt sie und legt ihren Kopf auf meinen.

So bleiben wir fast den restlichen Tag in meinem Zimmer. Tamara hört mir geduldig zu. Obwohl ich gedacht habe, schon alle Tränen vergossen zu haben, kommen immer neue nach. Kurz vor dem Abendessen streckt Jonas seinen Kopf ins Zimmer und teilt uns mit, dass Tamaras Vater angerufen habe, woraufhin sie sich mit einem mitleidigen Gesichtsausdruck verabschiedet.

Ich bleibe in dem mit Papiertaschentüchern übersätem Bett alleine zurück.

 

Den Sonntag verbringe ich mit dem Versuch, nicht an Nick, Linda und die Party zu denken, wobei ich jämmerlich versage. Meine Gedanken kreisen nur darum. Später kommt Jonas in mein Zimmer und setzt sich neben mich auf mein Bett.

„Frische Luft würde bestimmt helfen“, meint er mit einem leisen Lächeln auf den Lippen. Aber weder sein Lächeln noch sein Versuch, mich aufzuheitern, indem er Schokoladeneis hinter seinem Rücken hervorzaubert wie Tamara gestern, können mich aus dem Strudel aus Kummer und Elend herausholen. Mir ist nicht nach Eisessen. Ich habe sowieso keinen Hunger. Mit einem Seufzen stellt er das Eis auf meinem Nachttisch ab, steht auf und lässt mich schließlich in Ruhe. Die Tränen beginnen, wieder zu laufen, und ich schließe die Augen. Ich höre nicht, wie er die Tür hinter sich schließt, aber als ich die Augen öffne, ist die Tür zu.

Auch die Nacht schlafe ich nicht viel. Irgendwann stehe ich auf, um zur Toilette zu gehen. Gedämpft durch die Fenster höre ich die Kirchenglocke drei Uhr schlagen. Ich habe noch keinen Schlaf abbekommen und beim Gedanken an morgen verkrampft sich mein Magen. Würgend kralle ich mich einige Minuten an der Toilettenschüssel fest, bevor ich mich schwer atmend aufrichte, das Badezimmerfenster öffne und tief durchatme. Nachdem sich die Übelkeit verflüchtigt hat, schließe ich das Fenster und tappe in mein Zimmer zurück wo ich in mein Bett krieche und die Beine anziehe.

Ich muss doch eingeschlafen sein, da ich durch den Alarmton meines Handyweckers unsanft aus dem Schlaf geholt werde. Nach einem kurzen Moment des Friedens, den ich immer nach dem Aufwachen habe, wird mein Körper steif wie ein Brett, da mir der Gedanke: Der erste Schultag nach den Ferien durch den Kopf schießt.

Den sorgenvollen Blicken meiner Mutter gehe ich heute Morgen geflissentlich aus dem Weg. Erst zehn Minuten bevor ich losgehen muss, ziehe ich mich an, um schnell an ihr und Jonas vorbeizuhuschen. Leider hat das zur Folge, dass ich kein Frühstück bekomme. Also gehe ich kurzerhand bei der Bäckerei vorbei, kaufe mir dort ein Brötchen für jetzt und ein Sandwich für später und mache mich auf den Weg zur Schule.

Obwohl ich noch immer keinen Appetit habe, muss ich etwas essen. Wie soll ich mich sonst konzentrieren? Mir entfährt ein Schnauben. Konzentration kann ich heute wahrscheinlich sowieso vergessen.

Kurze Zeit später sitze ich auf der steinernen Tischtennisplatte auf dem Schulhof, knabbere an meinem Brötchen und warte auf Tamara.

„Guten Mor- … wow.“ Sie bleibt einen Meter von dem Tisch entfernt stehen und schaut mich mit schräg gelegtem Kopf und entsetztem Gesichtsausdruck an. „Hast du heute schon mal in den Spiegel geschaut?“, fragt sie und kommt langsam auf mich zu, als wäre ich ein wildes Tier, das sie gleich anfallen könnte.

„Dafür hat die Zeit nicht gereicht. Ich habe meine Haare einfach hochgebunden“, antworte ich. Dabei fahre ich mir durch den zerzausten, schwarzen Pferdeschwanz. Wenn ich es recht bedenke, hätte ich mir die Zeit nehmen sollen. Aber nun ist es zu spät, etwas daran zu ändern.

„Davon rede ich gar nicht. Obwohl die auch etwas Besseres verdient hätten.“ Tamara hat den Tisch erreicht, nimmt ihre Tasche von der Schulter und beginnt, etwas darin zu suchen. Sobald sie es gefunden hat, streckt sie es mir entgegen. „Das Zeug sollte deine Augenringe überdecken“, fügt sie hinzu.

„Concealer?“, frage ich mit einem Blick auf die beige Tube, während ich danach greife. „Echt so schlimm?“

„Schlimmer“, antwortet sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Als sie ihre Tasche geschultert und gerade gerückt hat, nimmt sie mir die Tube wieder ab. Sie drückt sich einen Punkt von dem Zeug auf die Fingerspitze und macht sich an meinem Gesicht zu schaffen. Das wiederholt sie, bis es klingelt. Dann verstaut sie die Tube in ihrer Tasche. Sie bewundert ihr Werk einen Moment und lächelt mich an. „Viel besser.“

Doch das war nur der Anfang dieses Tages. Nicht alles lässt sich so einfach beseitigen wie Augenringe. Nach der dritten Stunde läutet die Schulklingel und ich stehe erleichtert auf. Es ist erst halb zehn und schon jetzt fühle ich mich vollkommen gerädert. Ich gebe dem Schlafmangel die Schuld. Immer noch ohne jegliches Hungergefühl hole ich mein Sandwich aus der Tasche. Ich bin einfach nur froh über diese Pause.

Gerade gehe ich aus dem Klassenzimmer, da sehe ich auf der anderen Seite des Flurs Linda vorbeigehen. Unwillkürlich keimt Wut in mir auf. Warum taucht sie genau jetzt in diesem Flur auf? Ich war zuerst da.

Ich stutze. Was ist das denn für ein seltsames Denken? Das passt gar nicht zu mir. Ich schüttle den Kopf über mich selbst und meine Gedanken wandern weiter. Könnte es sein, dass Linda jeden Tag hier entlanggegangen ist und ich sie nie gesehen habe? Vielleicht war sie mir nicht wichtig genug, um sie zu bemerken. Seit der zweiten Klasse habe ich ihr kaum noch Beachtung geschenkt. Möglicherweise hat sie sich sogar hinter meinem Rücken mit Nick getroffen, wenn er zur Toilette musste oder in einer der kleinen Pausen, ohne dass es mir aufgefallen wäre.

Ich verbanne diesen Gedanken. Ich will nicht mitten in einem Schulflur in Tränen ausbrechen.

Dass ich meine freie Hand zu einer Faust geballt habe, bemerke ich erst durch den brennenden Schmerz eines Krampfes. Langsam löse ich meine Fingernägel aus meiner Handfläche. Ich schüttle sie, um die Schmerzen zu vertreiben.

Ich gehe weiter, nur um beim Ausgang Nick zu entdecken, wie er sich mit Luca unterhält – obwohl es eher nach einem Streit aussieht. Die Leere kehrt sofort zurück. Es ist wie eine Lawine, die man nicht kommen sieht. Sie reißt einen erbarmungslos mit. Es gibt nichts, was man tun könnte, um es zu verhindern.

Ich sehe nicht, wohin ich renne. Ich habe kein Ziel. In meinem Kopf dröhnen nur zwei Worte: Weg hier! Die erste Türklinke, die ich zu fassen kriege, ergreife ich. Im Inneren des Raums schaltet sich mein Gehirn wieder ein. Ich schaue mich um, wodurch mir auffällt, dass ich mich in der Toilette befinde. Dann entdecke ich … Patrick. Er steht am Spülbecken und schaut mich für einen Moment verwirrt, dann jedoch belustigt an.

„Hast du dich verlaufen?“, fragt er. Ohne seinen Blick von mir zu lösen, dreht er den Wasserhahn ab und greift nach einem Papiertuch. Dabei zucken seine Mundwinkel.

Ich will ihn gerade fragen, was er damit meint, stocke aber, als ich mich im Raum umsehe. Die Toilette ist seitenverkehrt. Dort wo die Kabinen sind, sollte eigentlich das Spülbecken stehen. Und beim Anblick der zwei Pissoire an der Wand macht es Klick in meinem Kopf. Sofort spüre ich, wie meine Wangen heiß werden, und ich presse mich an die Tür hinter mir. Ich bin in die Jungstoilette gelaufen! Wie peinlich.

Alles in mir schreit mich an, dass ich mich umdrehen und sofort verschwinden soll, bevor diese Situation noch peinlicher wird. Doch ich kann nicht. Ich habe das Gefühl, meine Füße seien am Boden angewachsen.

Patrick kommt auf mich zu. Er ist groß, viel größer, als ich ihn in Erinnerung habe. Am Freitag auf der Party habe ich das gar nicht bemerkt. Und obwohl er Jonas‘ bester Freund ist und sich oft bei uns zu Hause aufhält, fällt es mir erst jetzt auf. Er ist in den letzten drei Jahren mindestens dreißig Zentimeter gewachsen. Damals in der sechsten Klasse, war er nur zwei oder drei Zentimeter größer als ich.

Ich blicke zu ihm auf. Zwei blaugraue Augen fangen meinen Blick ein und auf einmal habe ich das Gefühl, meine Knie hätten sich in Gummi verwandelt. Seine braunen Haare sind vorne wuschelig nach oben gegelt. In der Grundschule hat er schon gut ausgesehen, aber jetzt … Wow. Ich kann meine Augen nicht von ihm abwenden.

Er stützt eine Hand an der Tür hinter mir ab. Langsam lehnt er sich zu mir vor. „Oder bist du vielleicht mit Absicht hier?“

In meinem Bauch kribbelt es, meine Knie zittern. Diese Gefühle irritieren mich zwar, doch ich schenke ihnen nicht lange Beachtung. Stattdessen sage ich mir, dass ich ihm bald eine Antwort geben sollte, sonst denkt er womöglich noch, ich sei beschränkt. „Ich … falsch abgebogen“, stammle ich. Super. Das hat ja prima geklappt. Innerlich verdrehe ich die Augen über meine Unbeholfenheit.

Um seine Lippen spielt ein Lächeln, als er sich von mir entfernt. Er nickt mit dem Kinn in Richtung Tür. „Na, dann solltest du das nächste Mal besser schauen, wo du hinläufst.“

Mein Herz wummert in meiner Brust. Sein Blick hält meinen immer noch gefangen. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die ich dort wie an die Tür genagelt stehe, dreht er seinen Kopf weg. In diesem Moment ist es, als würde wieder Leben in meine Füße fließen. Ich drehe mich um, öffne die Tür und stolpere aus der Jungstoilette. Erst als ich draußen bin, bemerke ich, dass ich mich weder für die Störung entschuldigt noch mich verabschiedet habe.

Völlig benebelt mache ich einige Schritte, sodass ich mit einem Mädchen zusammenstoße, wobei mir mein Sandwich zu Boden fällt.

„Pass doch auf!“, zischt sie mich an, doch ich ignoriere sie. Ich bin in Gedanken immer noch in dieser Toilette … mit ihm. Ich fahre mir mit der Hand über das Gesicht, bevor ich mich hinknie, um das in Folie eingewickelte Sandwich aufzuheben.

„Da bist du ja“, schreckt mich Tamara auf. „Ich warte schon seit fünf Minuten auf dich. Wo bleibst du denn so lange?“

Ich öffne den Mund, schließe ihn aber sofort wieder, als mir bewusst wird, was gerade passiert ist. Patrick Tanner, der Junge, den ich neben Jonas wohl am längsten kenne, mit dem ich meine halbe Kindheit verbracht habe, hat mich angesprochen. Mit Worten. Und dass, nachdem er mich seit Monaten nicht mehr angesehen, geschweige denn ein Gespräch mit mir geführt hat.

Es scheint, als ob Tamara gar keine Antwort erwartet, denn sie zerrt mich abwinkend zu den Treppen und nach unten auf den Pausenhof.

Kapitel 2

 

 

Leider haben Tamara und ich nicht den gleichen Stundenplan, was auch unsere Mittagspause beeinflusst. Ich hatte immer mit Jonas, Nick und Luca eine Stunde vor Tamara Mittag. Das war kein Problem … bis heute. Heute würde ich liebend gern mit ihr mittagessen. Ihre Gesellschaft hätte mich vielleicht vom Grübeln abgehalten. Zu allem Überfluss sitzt statt Luca nun Patrick an unserem Tisch. Nick hat sich mit seinen Freunde einige Tische weiter einen Platz gesucht. Das und die Tatsache, dass Linda so weit von mir entfernt ist wie in diesem Raum möglich, macht mir die Mittagspause etwas leichter. Linda fällt mir seit heute zu meinem Ärger überall auf, wo ich sie vorher noch nie bemerkt habe. Ihre Freundin Nicole – ein blondes Mädchen, das wütende Blicke in meine Richtung wirft – hat gegenüber von ihr Platz genommen. Als ich bemerke, dass ich schon seit langer Zeit die Menschen anstarre, die mein Leben aus den Fugen gerissen haben, wende ich meinen Blick abrupt ab und versuche, sie auszublenden.

Jonas und Patrick haben ihr Essen bereits heruntergeschlungen, während ich meins kaum angerührt habe. Patricks Anwesenheit fühlt sich seltsam an. Er redet nicht mit mir, schaut mich auch nicht an. Dabei muss es anstrengend sein, sein Gegenüber so hartnäckig zu ignorieren.

Jonas sitzt, wie es in den letzten Tagen öfter der Fall ist, mit seinem Handy bewaffnet da und tippt darauf herum. Auch er beachtet mich die Mittagspause hindurch kein einziges Mal. Manchmal blickt er kurz von seinem Handy auf, um mit Patrick zu sprechen, aber mehr nicht.

 

Endlich ist der erste Tag des letzten Schuljahres geschafft und ich kann nach Hause gehen. Dahin, wo ich nicht fürchten muss, an jeder Ecke Nick oder Linda über den Weg zu laufen. Patrick bin ich nicht mehr begegnet. Obwohl ich nicht sagen kann, ob das gut oder schlecht ist. Das Aufeinandertreffen von zuvor lässt mein Herz immer noch wie wild klopfen. Hat er mit mir geflirtet? Ich glaube schon. Die Frage ist nur, warum er mittags so getan hat, als ob ich gar nicht da gewesen wäre. Ich schüttle leise seufzend den Kopf, um die Gedanken um Patrick zu verscheuchen. Dafür, dass wir bisher kaum miteinander zu tun hatten, nimmt dieser Typ einen zu großen Teil meines Gehirns in Anspruch.

„Was war eigentlich heute Morgen mit dir los?“

Aus meinen Gedanken aufgetaucht, schaue ich meine Freundin ein paar Sekunden stumm an. Tamara verlangt also eine Erklärung. Dabei war ich bloß fünf Minuten zu spät dran.

„Ich musste noch zur Toilette“, sage ich so gelassen wie möglich, obwohl ich mich so fühle wie auf einer Achterbahn, wenn die Wagen fast stehen bleiben, bevor sie in den Abgrund sausen. Dieses beängstigende Kribbeln macht sich in meinem Bauch breit. Ein Gefühl, das einem sagt, dass man nicht mehr aussteigen kann. Die Bahn wird den Abgrund hinuntersausen, auch wenn man eine Heidenangst davor hat.

Ich bemerke erst nach einigen Schritten, dass Tamara nicht mehr neben mir hergeht. „Was ist?“, frage ich über meine Schulter hinweg und drehe mich schließlich zu ihr um.

Tamara zieht die Augenbrauen hoch. „Auf die Toilette wolltest du, ja? Und dass es die falsche war, ist dir gar nicht aufgefallen? Auch nicht, als du diese Dinger an der Wand gesehen hast, die den Jungs den Gang zur Toilette erleichtern sollen? Ist ja auch ganz normal, Pissoirs in der Mädchentoilette.“ Sie grinst fies.

Mein Mund klappt auf, aber es kommt nichts raus, daher schließe ich ihn wieder. Tamara beginnt zu lachen. Ich gehe auf sie zu, damit nicht jeder meine nächsten Worte mitbekommt. Wobei alle in der Nähe Tamara wahrscheinlich gehört haben.

„Woher weißt du, dass ich auf der Jungstoilette war?“, frage ich zischend und schaue mich um. Ich bin zwar nicht absichtlich in die falsche Toilette gegangen, aber wie soll man das jemandem erklären, der nur einige Fetzen eines Gesprächs mitbekommt? Zum Glück steht niemand nahe genug, um uns zu belauschen.

„Meinst du echt, dass so etwas nicht die Runde macht? Und ernsthaft, schon als mir aufgefallen ist, dass du so belämmert im Flur herumstehst, habe ich mir gedacht, dass du etwas Grausiges gesehen haben musst. Durch die Bestätigung von Emmy habe ich herausgefunden, warum du so doof aus der Wäsche geschaut hast.“ Sie lacht erneut.

Mist. Ich habe ganz vergessen, dass der Flur bei meinem stürmischen Verlassen der Toilette nicht ganz leer war. War Emmy auch da? Oder hat Patrick etwa geplaudert? Ich balle die Hände zu Fäusten, löse sie aber sofort wieder.

---ENDE DER LESEPROBE---