Nie wieder Friede - Ernst Toller - E-Book

Nie wieder Friede E-Book

Ernst Toller

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Beschreibung

Über Nacht haben Militarismus und Kriegsertüchtigung wieder die Kontrolle über das öffentliche Leben übernommen. Noch gestern hatte man den Ewigen Frieden in der Verfassung beurkundet und sich stolz gebrüstet, bei den "Lehren aus der Geschichte" alle anderen zu überflügeln. Doch jetzt bläst dieselbe Fraktion zur Hetze gegen die "Lumpenpazifisten", bringt Militainment zur besten Sendezeit und setzt eine gigantische Aufrüstung der Waffenarsenale ins Werk. Die angestrebte Weltmeisterschaft gilt nunmehr dem Sektor der Totmach-Industrien. Ernst Tollers bittere Komödie "Nie wieder Friede" (1934/36) klärt uns auf, wie so etwas möglich ist. Das falsche Friedensplakat trug auf seiner Rückseite immer schon die Parole für neue Kriegsabenteuer: "Man muß es nur umdrehen." Ob Kosmopolitismus oder nationale Weltgeltung, ob Freiheitspredigt oder autoritäre Staatspolitik, ob Krieg oder Frieden - das entscheidet sich stets an der jeweiligen Lageeinschätzung der Besitzenden und Herrschenden. Zu folgen ist den Einflüsterungen der Kriegsprofiteure. Wer wird beim Experiment zur Kriegstauglichkeit der Erdenbewohner gewinnen: Soldatenkaiser Napoleon oder Franziskus aus Assisi? Der Verfasser des hochaktuellen Bühnenstücks war linker Pazifist mit jüdischer Herkunft. Damit passte er gleich dreimal ins Feindbildvisier der Nazis. 1933 setzte NS-Deutschland Toller auf die allererste Ausbürgerungsliste und warf seine Werke ins Feuer. Nach neun Jahrzehnten sollten wir die "verbrannten Bücher" wieder unter die Leute bringen, denn der Militarismus scheint unausrottbar zu sein. Zu den Beigaben dieser friedensbewegten Edition gehören acht Kapitel aus Tollers Autobiographie "Eine Jugend in Deutschland" (1933), der Schluß des Dramas "Hinkemann" (1923) und die Warnung des Schriftstellers vor dem deutschen Faschismus in der "Weltbühne" vom Oktober 1930. Ein Band der edition pace, herausgegeben von Peter Bürger

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Inhalt

Eine bittere Komödie

Vorwort des Herausgebers zu dieser friedensbewegten Edition eines Bühnenstücks aus dem Jahr 1936

N

IE WIEDER

F

RIEDE

Komödie von Ernst Toller

1934 / 1936

Personen

Erstes Bild ǀ Salon im Olymp

Zweites Bild ǀ Saal in Dunkelstein

Drittes Bild ǀ Olympische Scene

Viertes Bild ǀ Gefängniszelle

Fünftes Bild ǀ Olympische Szene

Sechstes Bild ǀ Dunkelstein

Siebentes Bild ǀ Olympische Scene

A

NHANG

Ernst Toller

: Eine Jugend in Deutschland (Auszüge aus der Autobiographie, 1933)

Ernst Toller

: Der deutsche Hinkemann (Aus den Schlußszenen der Heimkehrer-Tragödie, 1923)

Ernst Toller

: Reichskanzler Hitler (Warnung vor dem Nationalsozialismus, 1930)

Über Ernst Toller ǀ Werke

Kleine Bibliographie

Ernst Toller ǀ 1893 – 1939

Porträtfoto in der ‚George Grantham Bain Collection‘

commons.wikimedia.org

Eine bittere Komödie

Zu dieser friedensbewegten Edition eines Bühnenstücks aus dem Jahr 1936

Peter Bürger

Über Nacht haben Militarismus und Kriegsertüchtigung wieder die Kontrolle über das öffentliche Leben übernommen. Noch gestern hatte man den Ewigen Frieden in der Verfassung beurkundet und sich stolz gebrüstet, bei den „Lehren aus der Geschichte“ alle anderen zu überflügeln. Doch jetzt bläst dieselbe Fraktion zur Hetze gegen die Lumpenpazifisten, bringt Militainment zur besten Sendezeit und setzt eine gigantische Aufrüstung der Waffenarsenale ins Werk. Die angestrebte Weltmeisterschaft gilt nunmehr dem überaus einträglichen Sektor der Totmach-Industrien.

Ernst Tollers bittere Komödie ‚Nie wieder Friede‘ (1934/36) klärt uns auf, wie so etwas möglich ist. Das falsche Friedensplakat trug auf seiner Rückseite immer schon die Parole für neue Kriegsabenteuer: „Man muß es nur umdrehen.“ Ob Kosmopolitismus oder nationale Weltgeltung an der Spitze, ob Freiheitspredigt oder autoritäre Staatspolitik, ob Krieg oder Frieden – das entscheidet sich stets an der jeweiligen Lageeinschätzung der Besitzenden und Herrschenden. Zu folgen ist den Einflüsterungen der Kriegsprofiteure.

Wer wird beim Experiment zur Kriegstauglichkeit der Erdenbewohner ‚gewinnen‘: Soldatenkaiser Napoleon oder ein heiliger Franziskus? ‚Nie wieder Friede‘ spielt „in exemplarischen Szenen die irdische Probe auf einen ‚himmlischen‘ Prinzipienstreit durch. Im Olymp geraten Napoleon und Franziskus von Assisi in einen Streit über die Frage, ob die Menschen eher zum Krieg oder zum Frieden neigen. Wer von beiden recht hat, soll sich in dem irdischen Kleinstaat Dunkelstein erweisen, wo soeben eine große Feier des Friedens staatfindet. Auf die vom Olymp aus fingierte Nachricht, der Krieg sei ausgebrochen, erweist sich sehr schnell die Kriegsbereitschaft der soeben noch friedliebenden Gesellschaft. Der militaristische Umschwung […] bleibt nicht ohne Widerstand, scheint aber zunächst nicht aufzuhalten. Die erneute Wende zurück zum Frieden wird wiederum durch eine Manipulation aus dem Olymp veranlaßt und in Dunkelstein ebenso anstandslos nachvollzogen wie zuvor diejenige zum Krieg – ein Ausgang des Experiments, der den Bellizisten Napoleon ebenso wenig zufriedenstellt wie den Pazifisten Franziskus.“1 – „Die Frage, ob die Menschen eher zum Krieg oder zum Frieden neigen, bleibt offen. Am Ende zweifelt Franziskus, ob diese Frage überhaupt die richtige Frage war, und beginnt zu überlegen, ob es vielleicht an der Qualität des Friedens liegt, daß so viele Menschen ihn so leicht aufgeben“2 und jener gnadenlosen Ideologie des ‚Gewinnens‘ folgen, die – fast – nur Verlierer produziert.

Der Verfasser des hochaktuellen Bühnenstücks war linker Pazifist mit jüdischer Herkunft. Damit passte er gleich dreimal ins Feinbildvisier der Nazis. 1933 setzte NS-Deutschland Ernst Toller (18931939) auf die allererste Ausbürgerungsliste und warf seine Werke ins Feuer. Nach neun Jahrzehnten sollten wir die „verbrannten Bücher“ wieder unter die Leute bringen, denn der Militarismus scheint unausrottbar zu sein.

Christiane Schönfeld teilt zur Entstehung des am 11. Juni 1936 in London uraufgeführten – hernach auch in Nordamerika dargebotenen – Bühnenstücks mit: „Ernst Toller arbeitete an der deutschen Fassung von ‚Nie wieder Friede!‘ zwischen 1933 und 1936. Ein Typoskript, das als Grundlage für die englische Übersetzung diente, ist in der Tollersammlung der Yale-University-Library archiviert. Dieses Typoskript, das 1936 entstanden sein muss ([John M.] Spalek … datiert es dagegen auf die Zeit zwischen Ende 1934 und Frühjahr 1936), enthält bereits eine vollständige Fassung des Stücks, die aber noch vor der auf Englisch erfolgten Uraufführung durch weitere Liedstrophen und eine Szene in deutscher Sprache ergänzt wurde. Das Typoskript umfasst 62 nicht durchnummerierte Seiten mit zum Teil handschriftlichen Korrekturen Tollers. Es handelt sich bei dem Typoskript um die einzige bisher bekannt gewordene deutschsprachige Fassung des gesamten Textes.“3

Toller lässt die Frage, ob Kriegsertüchtigung oder Friedensfeier in der menschlichen Geschichte den ‚Sieg‘ davontragen werden, offen. Noch scheint die Sache nicht entschieden zu sein. Wenn nun das Programm ‚Krieg‘ doch keine ewige, unausweichliche ‚Naturtatsache‘ ist, welche unsere Gattung am Ende zwangsläufig auf Fatalismus und kollektiven Selbstmord festlegen müsste? Dann läge alles daran, daß Widerstehen – nicht Ergebung – bei einer neuen Generation ‚Schule macht‘ und zum Fest wird.

Die Basis des kriegerischen Überbaus überdauert, als wäre sie in Zement gegossen. Sollten wir doch lieber ansetzen beim ‚Olymp‘ über den Wolken, wo das Ringen um die geistig-kulturellen Hegemonie und also um die vorherrschende Grundgesinnung einer Gesellschaft ausgetragen wird? Schon 1517 rief Erasmus von Rotterdam in seiner – durchaus auch satirischen – ‚Klage des Friedens‘ (Querela Pacis) aus: „Alle müssen sich gegen den Krieg verschwören und ihn gemeinsam verlästern. Den Frieden aber sollen sie im öffentlichen Leben und im privaten Kreise predigen, rühmen und einhämmern.“4

Seit Jahrzehnten dominieren die massenkulturellen Produktionen von militärisch-unterhaltungsindustriellen Komplexen.5 Das dem entsprechende ‚Infotainment‘ – ein Zwitter – hat auch die seriösen Nachrichtenformate schon in beträchtlichem Ausmaß ersetzt. Gleichzeitig müssen Friedensvoten in den vorherrschenden Mediensortimenten mit der Lupe gesucht werden. ‚Blockbuster‘, welche die Schönheit und Kraft der Gewaltfreiheit ansichtig werden lassen, gibt es überhaupt nicht – aus gutem Grund, denn nichts fürchten die Herrschenden mehr als die Einsicht, daß Vernunft und Menschlichkeit übereinkommen. Allerwegen „den Frieden zu rühmen“, wie Erasmus es fordert, das ist nun zweifelslos die anspruchsvollste künstlerische Vision. Daß hier gegenüber der bellizistischen Leidenschaft eine ungleich größere, ja überhaupt die größte Herausforderung an die Kunst wartet, haben Wim Wenders und Peter Handke im Drehbuch zu ‚Der Himmel über Berlin‘ (BRD / Frankreich 1986/87) bedacht: „Noch niemandem ist es gelungen, ein Epos des Friedens anzustimmen. Was ist denn am Frieden, daß er nicht auf die Dauer begeistert und daß sich von ihm kaum erzählen lässt?“

Naheliegender ist – angesichts des unüberbietbaren Irrationalismus der auf allen Kanälen verkündeten, doch nirgendwo ‚evaluierten‘ Heilslehre des Militärischen – zur Stunde vielleicht die erasmische „Verlästerung des Krieges“.6 Wieso sollte diese der Liebe zum Leben gewidmete Unternehmung des Lästerns nicht lustvoll sondergleichen ihre Kreise ziehen, bis die Bitterkeit aus der Komödie entweichen kann? Die pathetische Moralpredigt des Franziskus in Tollers ‚Olymp‘ kann der großen Traurigkeit nicht wehren und wird die Welt gewiss nicht retten, leider! Auszurichten wäre „Das Fest der Narren: Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe“ (Harvey Cox, 1970). Wie wäre es, die hier vorgelegte kleine Edition würde einen Kreis oder mehrere Gruppen von Friedensbewegten und sogenannten Kulturschaffenden animieren, eine radikale Neuinszenierung des komischen Dramas ‚Nie wieder Friede‘ aus den Vorjahren des letzten Weltkrieges für unsere Tage zu erproben? „Wer keine Kraft zum Traum hat“, so heißt es in Ernst Tollers Heimkehrer-Stück ‚Der deutsche Hinkemann‘ (1923), „hat keine Kraft zum Leben“.

Toller verfasste seine Texte gegen den Krieg nicht aus einer augenblicklichen Laune heraus. Seinen Weg als ‚Kriegserfahrener‘, dem die ‚Süßigkeit‘ des allgegenwärtigen Heldengelabers gründlich verging, hat er in der 1933 abgeschlossenen Autobiographie „Eine Jugend in Deutschland“ beschrieben (womit nicht zuletzt aufgezeigt war, daß Pazifisten die mit der Kriegskloake so vertrauten Soldaten zu Wort kommen lassen müssen). Er wollte unbedingt mithelfen bei einem vollständigen Bruch mit jenen Herrschaften, die ihr Militärund Kriegsgeschäft zu allen Zeiten auf dem Rücken der Armen abwickeln. Doch in einem Land mit derart tiefsitzenden Macht-, Alltags- und Denkstrukturen des Militarismus wie Deutschland ist solches nicht möglich. – Im April 1919 beklagte der achte Deutsche Pazifistenkongreß, „daß seit der Revolution im Bürgerkrieg die Grundsätze des Pazifismus von der Heiligkeit des menschlichen Lebens nicht berücksichtigt sind. Wertvollste geistige Führer und hunderte namenlose Mitkämpfer sind auf diese Weise geopfert. Der Kongreß fordert, daß mit diesem Militarismus im Innern gänzlich gebrochen wird und kein Todesurteil, insbesondere nicht gegen den Pazifisten Toller, ausgesprochen und vollzogen wird …“7.

_____

Ein persönlicher Nachtrag sei an dieser Stelle noch angefügt: Im Jahre 1985 führten wir, Mitglieder einer ökumenischen Theatergruppe der evangelischen und der katholischen Studentengemeinde Tübingen, Tollers erst sehr spät und äußerst selten in deutschen Landen gespieltes Bühnenstück auf. Claudius Kurtz, Pfarrerssohn und evangelischer Theologiestudent mit absolviertem Wehrdienst, hatte damals die Rolle des Napoleon übernommen. Ich selbst – Sproß aus einer Heizungsbauerfamilie, Militärdienstverweigerer und katholischer Priesteramtskandidat – spielte den Friedensanwalt Franziskus: in der echten Kutte eines franziskanischen Kommilitonen. Eine der Szenen von damals ist auf dem Umschlag dieser Publikation zu sehen.

Während des Katholikentags 2018 in Münster diskutierte ich öffentlich mit Vertretern des Militärkirchenwesens über die neue ‚Einsatzbereitschaft‘ der Bundeswehr.8 Dort trafen wir beiden Tübinger Theater-Kontrahenten uns nach Jahrzehnten wieder. „Napoleon“ war kein Pazifist geworden und mich hatte die Militärreligion noch immer nicht bekehren können. In der letzten Zeit scheint „Napoleon“ aber sehr nachdenklich geworden zu sein …

Düsseldorf ǀ März 2024

Theatergruppe der beiden Tübinger Studentengemeinden ǀ 1885 Probenabend zu Ernst Tollers „Nie wieder Friede“

(Bildarchiv des Herausgebers)

1 Bernhard SPIES: Die Komödie in der deutschsprachigen Literatur des Exils. Ein Beitrag zur Geschichte und Theorie des komischen Dramas im 20. Jahrhundert. Würzburg: Königshausen & Neumann 1997, S. 44-53 (Tollers Stück) – hier S. 45.

2 Ebenda, S. 46 (die gesamte Interpretation von B. Spies sei empfohlen).

3„Nie wieder Friede! – Nachwort“. In: Ernst TOLLER: Sämtliche Werke, Band 2. Herausgegeben von Kirsten Reimers, Christiane Schönfeld, Thorsten Unger u. a.. Göttingen: Wallstein 2015, S. 772-794 (hier zitiert nach dem Online-Auszug auf: https://dspace.mic.ul.ie/handle/10395/2176). Dieser Beitrag erschließt alle Hintergründe zur ‚Geschichte‘ des Bühnentextes.

4 In Kürze legt die Redaktion der ‚edition pace‘ die kostenfreie Internetveröffentlichung einer gemeinfreien Übersetzung der ‚Querela Pacis‘ (mit nachfolgender Buchausgabe) vor, nebst einem einleitenden Text von Eugen Drewermann.

5 Vgl. dazu z. B. meine drei Kriegsfilmstudien: Napalm am Morgen (2004), Kino der Angst (2005/2007) und Bildermaschine für den Krieg (2007).

6 Die großen Hoffnungen, die wir zeitweilig sogar in das ‚öffentlich-rechtliche Kabarett‘ setzten, sind freilich schon verflogen – der Weg bleibt nichtsdestotrotz (als eine von mehreren Optionen) richtig.

7 Die Friedens-Warte, Jg. 1919, S. 118. [https://www.jstor.org/stable/23795079].

8https://www.katholische-militaerseelsorge.de/glaube-und-seelsorge/katholikentag-2018/responsibility-to-protect-aber-wie

Nie wieder Friede

Komödie von Ernst Toller

Musik von Hanns Eisler

(1934 / 1936)

Personen

FRANZISKUS VON ASSISI

NAPOLEON I. KAISER DER FRANZOSEN

SOKRATES

ENGEL

LABAN

EVA, SEINE FRAU

RAHEL, IHRE TOCHTER

MALE, RAHELS KINDERERAU

NOAH

JAKOBO

EMIL

TOMAS

JAMES

ROBERT

DER HAGERE }

DER DICKE } Händler und Geldwechsler

DER KLEINE }

ARZT

WACHEN

KINDER

VOLKSMENGE

Zeit: Heute

Die Handlung spielt im Olymp und in Dunkelstein

Erstes Bild

Salon im Olymp

(Vor einem offenen Kamin sitzen auf bequemen Wolken,

Franziskus und Napoleon. In der Ecke vor einem Schalttisch ein weiblicher Engel.)

NAPOLEON: Eine Zigarette, lieber Franziskus?

FRANZISKUS: Danke ich rauche niemals.

NAPOLEON (gießt sich Whisky ein): Whisky?

FRANZISKUS: Danke, ich trinke niemals.

NAPOLEON: Das Abendessen war scheußlich.

FRANZISKUS: Ich erlaube mir kein Urteil, lieber Napoleon. Seit Jahrhunderten esse ich stets das gleiche, ein wenig himmlisches Korn, ein wenig Regen, das genügt mir.

ENGEL: Wir haben einen neuen Koch, Majestät.

NAPOLEON: Der Mann muß aus England kommen. Die Vorliebe des Allmächtigen für die Engländer ist mir unbegreiflich. (Schwaches Donnern.)

FRANZISKUS (zeigt nach oben, droht mit dem Finger): Leiser! … Ein frommes Volk.

NAPOLEON: Auch ich hab es unterschätzt. Es versteht sich aufs Kriegführen.

(Pause.)

NAPOLEON: Fräulein, was sendet das nördliche Radio?

ENGEL: Darwin spricht „Mein Irrtum auf Erden. Warum der Mensch nicht vom Affen abstammen“.

NAPOLEON: Das habe ich dreihundertmal gehört. Was sendet das südliche Radio?

ENGEL: Wetternachrichten.

NAPOLEON: Sonniger Tag. Blauer Himmel. Ich weiß.

ENGEL: Musiksendung in der Radiozentrale. Der englische Chor.

NAPOLEON (zu Franziskus): Darf ich?

FRANZISKUS: Bitte.

(Lautsprecher, sanfter Choral):

Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre,

Der Schall pflanzt seinen Namen fort.

Ihn rühmt der Erdball, ihn preisen die Meere,

Vernimm, oh Mensch, ihr göttlich Wort.

NAPOLEON (winkt ängstlich, das Radio verstummt): Es ist auf die Dauer etwas langweilig im Olymp.

FRANZISKUS: Wir leben das Leben der Seligen. Es herrscht Friede.

NAPOLEON: Darum. (nach einer Pause.) Haben Sie die Zeitungen gelesen?

FRANZISKUS: Ich lese niemals Zeitungen.

NAPOLEON (zum Engel): Sind die irdischen Abendblätter gekommen?

ENGEL: Ja, Majestät.

NAPOLEON: Was gibt es in Paris?

ENGEL: Die Regierung wurde vom Parlament gestürzt.

NAPOLEON: Das ist auch nichts Neues. Was schreiben die Zeitungen über mich?

ENGEL: Der Name seiner Majestät wird nirgends erwähnt.

NAPOLEON: Hm. Die Pariser sind stets ein undankbares Volk gewesen.

FRANZISKUS: Vergessen Sie nicht, daß Sie seit mehr als hundert Jahren tot sind.

NAPOLEON: Was sind hundert Jahre … Was schreiben die Londoner Blätter?

ENGEL: Das Empire ist in Gefahr.

NAPOLEON: Wer greift an? Die Amerikaner? Die Japaner? Die Deutschen?

ENGEL: Die erste indische Fußballmannschaft hat die englische geschlagen.

NAPOLEON: Die Geschichte hat mich gerächt. Diese Niederlage wird das stolze England niemals verwinden. Das ist schlimmer, als wenn ich Indien besetzt hätte … Was schreiben die Berliner Zeitungen?

ENGEL: Die deutsche Regierung wünscht nichts sehnlicher als den Frieden.

NAPOLEON: Schauen Sie im Börsenteil nach. Wie stehn die deutschen Rüstungsaktien?

ENGEL: Die deutschen Rüstungsaktien sind um zehn Punkte gestiegen.

NAPOLEON: Das genügt mir … Was tut der Völkerbund?

ENGEL: Der Völkerhund hat einen neuen Tag im Kalenderjahr eingeführt.

ERANZISKUS: Welchem Heiligen zu Ehren?

ENGEL: Dem Frieden. Der Tag wird „Friedenstag“ genannt.

FRANZISKUS: Amen.

NAPOLEON; Dann stehen wir vor dem Krieg!

FRANZISKUS: Aber lieber Napoleon, der Krieg ist geächtet. Die Regierungen haben es beschworen. Die Minister halten Friedensreden.

Die Staaten schließen Friedenspakte.

NAPOLEON: Friedenspakte haben nur einen Sinn. Sie dienen der

Vorbereitung neuer Kriege.

FRANZISKUS: Sie glauben nur an das Böse im Menschen.

NAPOLEON: Sie glauben nur an das Gute im Menschen.

FRANZISKUS: Als ich auf Erden gelebt habe, waren nicht alle Menschen gut, gewiß nicht. Sie sprachen vom Guten, aber sie handelten nicht gut. Reiche, die in Prunk und Luxus schwelgten, lobten die Armut. Prasser und Schlemmer lobten die Entbehrung. Snobs, die sich dem Leiden der Mitmenschen versperrten, lobten die Einsamkeit. Wenn ein Bettler zu einem Mann kam, der zehn Kleider im Schrank hatte, und er bat ihn um ein Kleid, den frierenden Körper zu wärmen, verschloß der Mann seinen Schrank und jagte den Bettler mit Hunden vom Hof. Meinen Zeitgenossen fehlte die Einsicht, das Wissen um das Gute, sie dienten dem Satan und verdarben die Seele. Das war vor vielen, vielen Jahrhunderten. Heute sind die Menschen besser, wissender, geworden. Gott hat ihnen manch schreckliche Geißel geschickt, sie zu belehren und auf den rechten Weg zu führen.

NAPOLEON: Von wem sprechen Sie?

FRANZISKUS: Auch Sie waren ein Bote des Allmächtigen, lieber Napoleon.

NAPOLEON: Ich kenne die menschliche Natur. Ich glaube nicht an das Friedensgeschwätz.

FRANZISKUS: Haben Sie nicht selbst in Ihren Memoiren geschrieben:

Der Geist ist am Ende stärker als das Schwert.

NAPOLEON: Diesen Satz schrieb ich am Ende meiner Tage. Am Ende meiner Taten. Auf Sankt Helena.

FRANZISKUS: Ihre Biographen haben diesen Satz sehr ernst genommen.

FRANZISKUS: Bin ich verantwortlich für meine Biographen? Napoleon dachte am Morgen, Napoleon dachte am Mittag, Napoleon dachte am Abend. Wenn ich all die Gedanken gedacht hätte, die mir meine Biographen unterstellen, wäre ich nie zum Handeln gekommen. Der Handelnde denkt selten. Nein, ich glaube nicht an das Friedensgeschwätz. Wollen Sie einen gelehrten Deutschen hören, der Sein Leben lang die Gesellschaft und ihre Kämpfe studiert hat?

Sie kennen doch Marx? Karl Marx? Er sitzt zwar in der Hölle, aber der Allmächtige (kurz Orgelmusik.) wird ihm auf eine Stunde Urlaub geben. Bitten wir ihn hierher.

FRANZISKUS: Karl Marx? Ich habe ein Buch von ihm gelesen. Wie hieß es doch? Das Kapital. Es hat mir eigentlich nicht gefallen. Nein, ich danke.

NAPOLEON: Dieselben Menschen, die heute den Frieden preisen, werden morgen den Krieg rühmen. Ja, wenn man für den Frieden sich schlagen könnte!

FRANZISKUS: Es sind viele Märtyrer für den Frieden gestorben.

NAPOLEON: Als Märtyrer, als Leidende. Nicht als Helden, als Männer der Tat. Von den Märtyrern erzählt die Geschichte, von den Helden erzählen Radio, Filme, Zeitungen. Die Jugend, die Frauen, träumen von Helden, nicht von Märtyrern. Der Mensch liebt das Abenteuer, den romantischen Wechsel. Diese Chance bietet der Friede nicht.

(Leises Geläute von Glocken.)

FRANZISKUS: Hören Sie?

NAPOLEON: Ich höre nichts.

FRANZISKUS: Vielleicht sind meine Ohren für diese Töne feiner. Überall auf Erden läuten Friedensglocken.

NAPOLEON: Ich bin trotzdem nicht bekehrt.

FRANZISKUS: Ihnen fehlt der Glaube.

NAPOLEON: Schließen wir eine Wette.

FRANZISKUS: Ich wette niemals, lieber Napoleon.

NAPOLEON: Wählen Sie sich die friedlichste Stadt auf Erden. Ich werde dorthin ein Telegramm aufgeben, der Krieg ist erklärt.

FRANZISKUS: Doch nicht ein gefälschtes Telegramm?

NAPOLEON: Es wäre nicht das erste, das ich in meinem Leben verschickt habe.

FRANZISKUS: Die Männer werden beten und sich weigern zu kämpfen. Die Mütter werden ihre Söhne verbergen.

NAPOLEON: Warten wir ab. Bestimmen Sie eine Stadt.

(Napoleon geht zu einem Globus, dreht ihn, eine Spieluhr beginnt zu spielen.)

NAPOLEON: London? Paris? Rom? … Ich schlage Dunkelstein vor.

FRANZISKUS (ist aufgestanden, blickt zum Globus auf dem „Dunkelstein“ aufleuchtet): Warum Dunkelstein?

NAPOLEON: Das ist ein kleines Land zwischen Spanien und Frankreich. Die Hauptstadt ist berühmt. Die Einwohner zahlen keine Kapitalabgaben. Ein Eldorado. Alle europäischen Kapitalisten verschieben ihr Geld nach Dunkelstein. Jedes Haus beherbergt zwei Banken. Sie werden mir zugeben, daß diese Stadt der Furcht vor dem Kriege alles verdankt.

FRANZISKUS: Leider.

NAPOLEON: Das Wort sollten Sie, wenn vom Frieden die Rede ist, nicht sagen, lieber Franziskus.

FRANZISKUS (zum Engel): Liebe englische Schwester, was geschieht in Dunkelstein?

ENGEL: Ich höre Stimmen. Eine große Demonstration. Man feiert den Frieden.

FRANZISKUS (triumphierend): Amen. Ich bin einverstanden.

NAPOLEON: Fräulein, schalten Sie den Fernsehapparat auf Dunkelstein ein.

(Über dem Kamin, auf einer Wolkenwand wird Dunkelstein sichtbar. Man hört Chorgesang.)

Das Friedenslied

Wir sind die Soldaten des Friedens,

Bataillone der neuen Armee.

Wir sind die Soldaten der Liebe

Auf dem Land, in der Luft, auf der See.

FRANZISKUS: Aber das Radio wird Ihr Telegramm Lügen strafen, und die Menschen werden an die Kriegserklärung nicht glauben.

NAPOLEON (in der bekannten historischen Stellung, die rechte Hand im Westenschlitz): Fräulein, die zentrale Störungsstelle!

ENGEL: Am Apparat.

NAPOLEON: Alle Sendestellen nach Dunkelstein stören.

ENGEL: Ist geschehen.

NAPOLEON: Einstellen! (Prasselnde Geräusche, wie Granatenhagel.)

NAPOLEON: Die Töne höre ich.

(Dunkel.)

Zweites Bild

Saal in Dunkelstein

(Der Saal ist nach beiden Seiten offen, so daß später die handelnden Personen nach rechts und links abgehen können. In der Mitte eine Tribüne. Vor der Tribüne ein Tisch. Über der Tribüne ein gerahmtes Plakat. Inschrift:

Nie wieder Krieg!

James schmückt den Tisch mit einem schwarzen Tuch und einer umflorten

Kerze. Noah tritt ein.)

NOAH: Ist wer gestorben?

JAMES: Hier wird der Krieg begraben.

NOAH: So bist Du ein Leichengräber.

JAMES: Trottel!

NOAH: Bist Du ein Scheintotengräber? (lacht.)

JAMES: Lach nicht.

NOAH: Ist es zum Weinen?

JAMES: Scher Dich hinaus! Was suchst Du hier?

NOAH: Was wird der alte Noah schon suchen? Einen Frieden.

JAMES: Du glaubst wohl, Friede, das ist was zum Fressen?

NOAH: Ist Friede was zum Hungern?

JAMES: So seid Ihr. Ihr denkt nur ans Fressen. Fleisch und Brot und Wein.

NOAH: Wär garnicht schlecht. Aber ich glaubs nicht.

JAMES: Was glaubst Du nicht?

NOAH: Das mit einem Fleisch und einem Brot und einem Wein. An den Frieden glaub ich nicht.

JAMES: Ich habs gewußt.

NOAH: Freilich, lieber James.

JAMES: Was willst Du damit sagen? (Äfft Noah nach.) Freilich, lieber James, freilich, lieber James.

NOAH: Freilich, lieber James. Du bist der Kluge und ich bin der Dumme.

JAMES: Du Schandmaul sei vorsichtig. Ich hab eine Ehre.

NOAH: Reg Dich nicht auf. Wo ich eine Ehre nicht habe. Es könnte Dir schaden.

JAMES: Ihr verdient es garnicht, daß die Herren sich anstrengen und einen Frieden machen. Ihr hetzt ja doch weiter. Immer hetzt Ihr.

Krieger seid Ihr. Geborene Krieger. Immer müßt Ihr wen bekriegen.

Ihr gebt und gebt keine Ruh. Wenn Krieg ist, wollt Ihr Friede. Wenn Friede ist wollt Ihr Krieg. Weil Ihr nicht wißt was Ihr wollt.

NOAH: Du hast recht. Dein Herr weiß, was er will.

JAMES: Ihr verdient ihn garnicht, den Herrn von Laban. Der denkt immer nur an Euch und immer nur an Euch, und wie er Arbeit für Euch schafft und wie Ihr zu Eurem Gelde kommt, ganz blaß sieht er schon aus, der Herr von Laban, schlaflose Nächte hat er, der Herr von Laban.

NOAH: Wenns ihm zum Schlafen hilft, sag ihm, er soll nicht mehr an Noah denken. Ich bin auch ein Mensch. Ja, ja, Du darfst es mir glauben, ich bin kein Wolf, ich seh nur so aus. Ich tu nicht mehr arbeiten. JAMES: Aus lauter Übermut, aus freien Stücken gibt der Trottel seine Arbeit auf.

NOAH: No, nicht ganz so freiwillig. Ich bin zu alt, verstehst Du. Ich hab dreißig Jahre arbeiten dürfen, das ist genug für unsereinen. jetzt tu ich betteln.

JAMES: Darum siehst Du so abgerissen, so zerlumpt aus.