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Tobias Jawtusch

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Beschreibung

Eine böse Hexe entfesselt einen Krieg, der ganz Nimabarios in den Abgrund zu reißen droht. Drei junge Helden – eine Prinzessin, ein Pirat und eine Fleckenzwergin – müssen ihr Schicksal annehmen, um die drohende Dunkelheit abzuwenden. Doch Verrat lauert überall und die wahre Gefahr ist näher, als sie ahnen. Werden sie Nimabarios retten oder in den Flammen des Krieges untergehen?

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Seitenzahl: 438

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Tobias Jawtusch

Nimabarios

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Ein Autor berichtet von seinem Praktikum

Prolog I./II. – Der Anfang

Prolog II./II. – Die Wendung

Die Elvari-Prinzessin

Willkommen auf Inratand

Eine große Kriegerin

Intermezzo I

Troles, der weise Elvarikönig

Wer ist Captain Sattow?

Das Haus der Verrückten

Verirrt im Zauberwald

Intermezzo II

Der Fechtmeister

Die Rache des Schuldirektors

Zwischen Königsskorpionen und Glonks

Die letzte Prüfung

Intermezzo III

Ein verbotenes Experiment

Der erbärmliche Zyklop und der emotionale Waldelvari

Die Kanzlerin wird befreit

Ein Traum zerplatzt

Der Zauberer hinter dem Vorhang

Captain Sattow war nur der Anfang ...

Ein Blick in die Vergangenheit

Über den Autor

Impressum neobooks

Ein Autor berichtet von seinem Praktikum

Dieses Buch widme ich all den Autorinnen und Autoren sowie Spieleentwicklerinnen und Spieleentwicklern, die mir (und vielen anderen) unzählige Stunden Freude und Inspiration geschenkt haben.

Liebe Leserinnen und Leser,

bevor ich euch in die Tiefen von Nimabarios entführe, möchte ich euch kurz erzählen, wie dieses Buch, dass ihr gerade in euren Händen haltet, überhaupt entstanden ist. 

Es war vor ein paar Jahren. Ich studierte Lehramt und musste ein Pflichtpraktikum in einer Grundschule absolvieren. Die Klasse 4b hatte gerade herausgefunden, dass ich eigentlich Schriftsteller werden wollte und nur Lehramt studierte, um meine Eltern glücklich zu machen. Sie stürmten auf mich zu.

>>Herr Praktikant, du schreibst Geschichten?<<, fragte Sven, um sicherzugehen, ob dieses Gerücht auch wirklich stimmte, während sich die anderen erwartungsvoll um mich versammelten.

>>Ja, das stimmt.<<

>>Schreibst du gerade an einem Buch?<<, fragte Dennis weiter, während er von einem Fuß auf den anderen hüpfte.

>>Momentan nicht. Ich bin ja gerade bei euch und habe außerdem gerade keine Idee für ein spannendes Buch.<<

>>Wir haben Ideen!<<, strahlte mich Jasmin an.

Obwohl ich mit dem Kopf ganz woanders war, denn aus dem Augenwinkel sah ich, dass Sören und Anton schon wieder dabei waren, sich zu prügeln, wollte ich die Kinder nicht ignorieren, die sich anscheinend schon einige Gedanken darüber gemacht hatten, was ich als Nächstes schreiben könnte, und ich sagte: >>Okay, dann lasst mal hören.<<

>>Wir wollen was mit Fantasy.<< Die Antwort hätte ich mir denken können. Es gibt doch nichts Schöneres, als sich in fremde Welten zu begeben, mit Elben, Zwergen und einem Ring. Nur wollen wir mal ehrlich sein, Fantasybücher gibt es wie Sand am Meer. Und die meisten sind ... na ja ... vergessen wir das.

>>Okay, Fantasy soll es sein ... Aber es gibt doch schon ganz viele Fantasybücher ... und Filme ... und Serien ... und Spiele ... und Merchandise ... und noch mehr Bücher.<<

>>Aber du hast doch noch kein Fantasybuch geschrieben, oder?<<

Das stimmte tatsächlich. Leon bekräftigte die Idee: >>Wir wollen, dass du ein Fantasybuch für uns schreibst. Fantasy ist toll.<< Nun hatte mich die Klasse 4b da, wo sie mich augenscheinlich haben wollte. Aus dieser Diskussion kam ich erst mal nicht mehr raus. Und ehrlich gesagt war mir das sowieso lieber, als Sören und Anton davon abzuhalten, sich die Köpfe einzuschlagen.

>>Okay, und worum soll es in diesem Fantasybuch gehen, dass ich für euch schreiben soll?<<

>>Ich will was mit Drachen!<<, platzte es aus André heraus. Das überraschte mich nicht, denn André trug ein T-Shirt mit Drachenmotiv. Eine Brotdose mit genau demselben Motiv lag in seinem Ranzen mit aufgesticktem Drachen, und er hatte am Vormittag eine Zeichnung mit Drachen gemalt. Genau wie am Tag davor ... und davor ... ihr wisst, worauf ich hinauswill.

>>Zauberer und Hexen sollen vorkommen<<, forderte Lena ebenso energisch. >>Und eine Zauberschule, auf der sie zaubern lernen.<<

>>Aber das gibt es doch schon<<, antwortete ich. Lena dachte kurz nach und sagte dann: >>Mach es anders! Du musst eine böse Hexe einbauen.<<

>>Und Zwerge sollen vorkommen<<, wandte Achmed ein.

>>Ich will, dass es so ist wie in dem Computerspiel, das ich mit meinem Vater gespielt habe.<<

>>Und es soll so spannend sein, dass meine Mama mir das vorlesen will<<, warf Lena ein.

>>Okay, also auch für Erwachsene spannend?<<, fragte ich.

>>So wie ein Krimi. Mit Mord und viel Blut!<<

Ich schüttelte verwundert den Kopf und machte große Augen: >>Mord und viel Blut? Aber seid ihr dafür nicht noch ein bisschen zu jung?<<

Daraufhin regte sich lautstarker Widerstand: >>Nein, sind wir nicht!<<

>>Okay, okay ... ich muss es ja nicht ganz so brutal machen<<, schlug ich einen Kompromiss vor.

>>Ich will auch was mit Politik und so!<<, meldete sich Lena.

>>Aber Politik ist doch nicht spannend<<, bemerkte Leon, doch Lena entgegnete: >>Meine Mama findet Politik sehr spannend, und ich will, dass meine Mama es mir vorliest.<<

>>Ich will Drachen!<<, kam es wieder von André. Und ich fragte mich mal wieder, ob dieser Junge auch was anderes sagen konnte oder ob sein Kopf wirklich nur voller Drachen war.

>>Ich will, dass es wie ein Märchen ist. Mit Hänsel und Gretel und einer einsamen Hexe und so. Kommen die auch drin vor?<<, fragte Doro mit der schrillen Stimme – von dieser Stimme bekam ich immer eine Gänsehaut. An diese Stimme konnte ich mich nicht gewöhnen, egal wie sehr ich es versuchte.

>>Ich habe das Buch noch nicht geschrieben, also mal gucken. Noch was?<<

>>Böse Monster, Riesen und Trolle, die alles plattmachen<<, brüllte Dennis und schlug Achmed mit seiner Faust heftig auf die Schulter. Der lachte nur.

>>Aber nicht nur Monster, auch Tiere wie Hasen und Eichhörnchen ... so süße Tiere<<, sagte Jasmin, und André ergänzte: >>Ich will Drachen.<<

>>Ich möchte, dass Piraten dabei sind<<, sagte Achmed. >>Aber die Piraten sollen die Guten sein, wie in meinem Lieblingsfilm.<<

>>Ich will Drachen!<<, wiederholte sich André.

>>Ich will Elfen, so mit spitzen Ohren und so. An Karneval war ich eine Elfe<<, rief Paul, bei dem ich mich bis zu diesem Augenblick gefragt hatte, warum er noch nichts zu dem Thema beigesteuert hatte. Paul gab normalerweise zu allem seinen Senf ab.

>>Ich will, dass ein Mädchen die Heldin ist. Aber so ein cooles Mädchen, das alle anderen verprügelt<<, fuhr Doro fort und Jasmin ergänzte: >>Es soll vor allem witzig sein.<<

>>Find ich auch. Aber auch traurig und spannend. Und am Ende soll alles gut ausgehen<<, pflichtete ihnen Leon bei.

>>Ich will ein Casting dabeihaben, wie >Germany‘s next Topmodel< oder >The Voice<.<<

>>Ehrlich? Castingshows?<<, fragte ich skeptisch, doch alle nickten.

>>Okay, okay, das kommt also auch rein.<<, gab ich nach.

>>Und es muss unbedingt die Sache mit dem Passierschein aus diesem ganz, ganz, ganz alten Zeichentrickfilm vorkommen! Kennen Sie den?<<, warf Leon ein. Ich nickte. >>Ja, kenne ich.<< Leon nickte wissend.

>>Sicher, weil Sie auch schon sehr, sehr alt sind.<<

>>Dann fasse ich mal zusammen: ihr wollt Elfen, Zauberer, Hexen, Trolle, Riesen, Figuren aus Märchen, Mord mit viel Blut, Politik, irgendwas aus Computerspielen, Piraten, was Witziges, Traurig-spannendes, eine Castingshow mit Happy End, niedliche Hasen ...<<, André unterbrach mich: >>Ich will Drachen.<<

>>Und Drachen natürlich<<, seufzte ich. >>Ist das nicht etwas viel?<<

>>Nein, das wird ganz toll!<<, erklärte mir Lena.

>>Und wo soll das Ganze spielen?<<

>>Vor langer, langer Zeit ...<<

>>Auf einem fremden Planeten ...<<

>>In einer weit entfernten Galaxie<<, beendete Paul diese Ausführung. Auch das hatte ich irgendwo schon einmal gehört.

>>Kannst du das machen? Wir geben dir Zeit, solange du hier bist, und am Ende liest du es uns vor.<<, stellte Paul endgültig klar und die gesamte Klasse 4b sah mich auffordernd an. Ich hatte also keine andere Wahl mehr.

>>Ich kann es ja mal versuchen. Also, wie sollte es nochmal anfangen? ...<<

Prolog I./II. – Der Anfang

Es war einmal vor langer, langer Zeit in einer von der Erde weit entfernten Galaxie auf dem Planeten Nimabarios. Wir beginnen unsere Geschichte in Sibladon, dem Land, in dem die merkwürdigsten und geheimnisvollsten Wesen lebten: Elvari, Zauberer, Hexen, Pferdemenschen, Drachen, Riesen, Trolle, Oger, Gnoschen, Zwerge, die noch kleineren Fleckenzwerge und noch viele, viele weitere Geschöpfe. Sie alle lebten dort frei und glücklich zusammen. Wer sich nicht mochte, ging sich aus dem Weg, und Konflikte wurden mit Worten und nicht mit Gewalt gelöst. Jeder und jede hatte das Recht, seine eigene Meinung zu allem und jedem kundzutun, ohne eine Bestrafung zu erwarten, solange dabei niemand beleidigt wurde.

Nun aber erst einmal genug der Erklärungen. Fangen wir lieber mit der Geschichte bzw. dem Prolog an.

Ihr wisst sicher, was ein Prolog ist, oder? Für diejenigen unter euch, die es nicht wissen, werde ich diese Frage einmal in aller Kürze beantworten: Ein Prolog ist eine Einleitung oder Vorgeschichte, die der eigentlichen Geschichte voransteht und oft genug nur wenig mit dieser zu tun hat.

Klar könnt ihr jetzt die nächsten zwei Kapitel einfach vorblättern, aber wer gerne mehr darüber erfahren will, wie das Leben in Sibladon so war, bevor der große Krieg begann, sollte sich die folgenden Seiten nicht entgehen lassen.

Ihr habt euch offensichtlich entschieden, weiterzulesen, und diesen Mut will ich hiermit belohnen. Dieser Prolog beginnt in einer nicht gerade sehr aufgeräumten Wohnung, in der ein junger Zauberer namens Richie wohnte, der später einmal in die Geschichtsbücher Sibladons eingehen sollte, als >Richard der Mächtige< – an diesem Punkt sind wir allerdings noch lange nicht.

Richie hatte es vor wenigen Tagen zustande gebracht, seine Mitbewohnerin endgültig zu vertreiben. Wie genau er das geschafft hatte, konnte er freilich nicht sagen. Vor zwei Tagen war sie einfach ausgezogen und hatte nur einen Zettel hinterlassen, auf dem >>Ich bin dann mal weg!<< stand. Vielleicht, so vermutete Richie, war ihr die Wohnung für zwei Personen auf Dauer zu klein gewesen. Genauso gut könnte es möglich gewesen sein, dass die vielen Experimente und Explosionen, die geräuschvoll aus Richies Zimmer kamen, sie dazu veranlasst hatten, fluchtartig die Wohnung zu verlassen. Gegebenenfalls, und da begeben wir uns wahrlich ins Land der Spekulationen, ist sie auch mit einem Zauber vertrieben worden – doch wer hätte einen Grund gehabt, für so eine schändliche Tat? Wie wir alsbald erfahren sollten, gab es da tatsächlich jemanden ... Doch ich will noch nicht zu viel vorwegnehmen. Wie dem auch sei, ändern ließ sich das alles nicht mehr, und so musste sich Richie einen neuen Mitbewohner oder erneut eine Mitbewohnerin suchen. Allein konnte er sich die wunderschöne Dachgeschosswohnung in der Hauptstadt Sibladons mit Blick auf den Turm der Zauberer gewiss nicht leisten. Die Mietpreise in Nelp, der Hauptstadt Sibladons, waren in den vergangenen Jahren explodiert. Nicht zuletzt, weil Nelp ein beliebter Wohnort war. Eine Mietpreisbremse hätte eine Lösung sein können, doch die Mehrheit im Parlament hatte sich dafür noch nicht ausgesprochen. Also stiegen die Preise weiter ... und weiter ... und weiter ... ihr wisst doch schon, worauf ich hinauswill. Trotzdem wollte jeder, der etwas auf sich hielt, nach Nelp ziehen. Daher war es für Richie, der in einer Zeitungsannonce das freie Zimmer bewarb, wahrhaftig kein Problem, Interessenten für dieses Zimmer zu finden - Zauberer, Hexen, Zwerge, Kobolde, Pferdemenschen ... Alle standen an diesem Forttag (so heißt der achte der neun Wochentage auf Nimabarios) um den gesamten Block, in der Hoffnung auf ein freies Zimmer.

Der gänzlich übermüdete Richie hatte bereits den gesamten Vormittag damit verbracht, potenzielle Mitbewohnerinnen und Mitbewohner zu befragen. Jedoch war bisher niemand dabei, mit dem er sich auch nur im Ansatz eine Wohngemeinschaft hätte vorstellen können.

>>Ich sehe in der Kugel ...<<, der Zauberer, der Richie in diesem Augenblick gegenübersaß und gebannt in seine Zauberkugel blickte, sprach äußerst verschwörerisch. >>... Du wirst einen Vertrag unterschreiben.<<

>>Wie bitte?<<, schreckte Richie auf und wäre beinahe mit dem Kopf auf die Tischplatte geknallt. Er war kurz, den Kopf auf seine Hände gelehnt, eingenickt und hatte die letzten Minuten nicht mitbekommen. Der ältere Zauberer, dessen Bart beinahe über den Boden schleifte und der mit seinen Händen seltsame Bewegungen vollführte, hatte wohl nicht bemerkt, dass Richie bereits eine Weile nicht mehr zugehört hatte.

>>Ja, ich sehe eine Unterschrift, deine Unterschrift. Wir werden gemeinsam sehr viele Jahre verbringen!<< Der Zauberer wandte seinen Blick von der Kugel zu Richie und sah ihn erwartungsvoll an. Richie schüttelte sich und war sich nicht sicher, wie er auf diese Weissagung angemessen antworten sollte.

>>Okay.<< Er gab dem Zauberer, dessen Namen er schon vergessen hatte, die Hand. >>Die Zeit ist um ... Kumpel.<< Beide standen auf. >>Ich werde mich dann bei dir melden, gute Nacht.<<

Richie hatte schon die Wohnungstür aufgemacht, als der Zauberer sich noch einmal zu ihm umwandte, ihn fest an der Schulter packte und ihn mit großen Augen, beinahe hypnotisch ansah.

>>Ich sehe, dass du in Gefahr bist und eine große Enttäuschung auf dich zukommt. Erst wenn du diese Enttäuschung erfahren hast, wirst du dich an mich wenden. Aber es gibt noch einen Ausweg: Du darfst dich nicht für sie entscheiden!<<

>>Für wen darf ich mich nicht entscheiden?<<, fragte Richie stutzig, denn das soeben Gesagte fand er dann doch etwas zu viel des Guten – was die Leute so alles taten, nur um an ein Zimmer zu kommen, hatte gar abstruse Ausmaße angenommen.

>>Für sie, mein Junge. Aber meine Warnung wird vergebens sein. Wir werden uns wiedersehen.<< Mit wehendem Zauberumhang verließ der Zauberer die Wohnung und eilte die Treppe hinunter, vorbei an den anderen Interessenten. Entgeistert sah Richie ihm hinterher – dieser alte verhuschte Zauberer mit seiner gänzlich abwegigen Warnung war nicht einmal der verrückteste Interessent, den Richie an diesem Tag über den Weg gelaufen war. Die Wohnung war jetzt schon vollgestopft mit den verrücktesten Geschenken, die ihm bei der Entscheidungsfindung helfen sollten. Das meiste davon waren gekaufte Plätzchen aus der Sandmann-Bäckerei. Dort gab es die besten. Außerdem gab es auch noch ein mit goldenem Geschenkpapier verpacktes Geschenk, das merkwürdig vibrierte, wenn Richie auch nur die Hand danach ausstreckte.

Ihm entfuhr ein Seufzer, als er bemerkte, wie viele Personen, in der Hoffnung auf das freigewordene Zimmer, noch im Hausflur warteten.

>>Der nächste bitte!<< Richie saß schon wieder auf dem Stuhl, seinen Kopf müde auf seine Hand gelehnt, als eine Hexe die Wohnung betrat.

>>Ordentlich bist du ja immer noch nicht geworden, hm?<<, Richie blickte auf, denn die freundliche Stimme hatte er sogleich wiedererkannt, auch wenn er sie seit Jahren nicht gehört hatte.

>>Kat?<<, fragte er mit halb offenem Mund, denn er konnte es nicht fassen. Seine alte Schulfreundin Kat hatte soeben die Wohnung betreten. Sie trug einen langen Reisemantel und einen schwer aussehenden Koffer.

>>Ja, was denkst du denn, wer ich bin, Richie?<< Sie breitete erwartungsvoll die Arme aus. Richie war hastig aufgestanden, hatte mit schnellen Schritten den Tisch umkreist und Kat fest und lange umschlungen.

>>Du bist von deiner Reise zurück, nach so vielen Jahren! Das ist ...<< er konnte nicht in Worte fassen, wie erfreut er über ihre Heimkehr war. >>Du musst mir alles erzählen!<<

>>Nicht so schnell.<< Gemächlich öffnete Kat die Knöpfe ihres Mantels und warf ihn über einen Geschenkstapel, der unter dem Mantel anfing zu vibrieren. >>Ich bin vor allem erst mal hier, weil ich ein Dach über dem Kopf brauche. Sonst muss ich wieder bei meiner Mutter einziehen, und darauf habe ich ehrlich gesagt keine allzu große Lust<<, erwiderte sie augenzwinkernd.

>>Klar, das ist kein Problem<<, meinte Richie augenblicklich, marschierte zur Wohnungstür und brüllte ins Treppenhaus: >>Tut mir leid, das Zimmer ist belegt! Ihr könnt alle nach Hause gehen ... zieht ab, na los!<< Dann knallte er die Tür hinter sich zu und beachtete den Tumult nicht weiter, der draußen nach seiner Ankündigung entstand.

>>Das Problem haben wir erledigt.<< Beide strahlten sich an. Keiner hatte erwartet, den jeweils anderen noch mal wiederzusehen. Und doch fühlte sich alles gleich wieder so vertraut an, als hätten sie sich erst gestern das letzte Mal gesehen. >>Und jetzt erzähl mal, was hast du alles erlebt?<<

Kat begann zu erzählen: Direkt nach ihrem Abschluss wollte sie eigentlich nur ein paar Monate verreisen, doch ihre Reise wurde länger und länger, bis mehrere Jahre daraus wurden. Und es schien so, als hätte sie auf ihrer Reise fast ganz Nimabarios bereist und wahrlich die spannendsten Abenteuer erlebt. Richie hätte ihr noch tagelang zuhören können. Doch dazu kam es nicht.

Am Nachmittag klopfte es plötzlich an der Wohnungstür. Officer Buchanan, ein Pferdemensch (zu Pferdemenschen komme ich zu gegebener Zeit), stand atemlos im Flur.

>>Richie<<, er rang weiter nach Atem, >>es gab einen Leichenfund. Ein Kobold. Wir vermuten, dass ein Zauber dahintersteckt.<< Er betrat die Wohnung. >>Der Kommissar fragt nach deiner Expertise. Wir müssen sofort los.<< Richie zog sich bereits die Schuhe an, als er sich noch mal seiner neuen Mitbewohnerin zuwandte, die sichtlich verwundert und ein wenig misstrauisch dreinblickend immer noch am Tisch saß.

>>Kat?<<, begann er, und Kat sah ihn neugierig an. >>Möchtest du uns begleiten? Mit deiner Erfahrung könnte ich dich gut gebrauchen.<< Kat schüttelte verwirrt den Kopf. Bisher hatte niemand ihr den Grund genannt, warum Officer Buchanan sich wegen eines toten Koboldes ausgerechnet an Richie wandte.

>>Richie, bist du Gesetzeshüter?<<, fragte sie ihn, und Richie bemerkte erst jetzt, dass er noch gar nicht dazu gekommen war, ihr zu erzählen, was er die letzten Jahre gemacht hatte. Und offensichtlich hatte sie auf ihren Reisen keinerlei Zeitung gelesen, denn sonst hätte Kat sicher gewusst, warum Officer Buchanan ausgerechnet ihn in dieser Situation aufsuchte.

>>Nein, ich bin Berater der Gesetzeshüter. Sie wenden sich an mich, wenn bei Fällen irgendwie Magie im Spiel sein könnte.<< Und Richie war ziemlich gut darin. Das Gefängnis, tief unter dem Turm der Zauberer, war vor allem dank ihm gut gefüllt. Daher hatte er des Öfteren in der Zeitung gestanden und einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht, der über die Grenzen von Nelp hinausging.

>>Also Kat, hast du Lust, dir mal einen Tatort anzugucken?<< Das ließ sich Kat nicht zweimal sagen.

Wie sich schnell herausstellte, war Kat tatsächlich eine große Hilfe - gemeinsam konnten sie in kürzester Zeit belegen, dass der Tod des Kobolds kein Unfall war, sondern mit allergrößter Gewissheit durch einen Zauber herbeigeführt wurde. Abgesehen davon, dass er tot war, wies der Kobold keinerlei äußere und innere Verletzungen auf, und niemand, abgesehen von einer Hexe oder einem Zauberer, hätte in das von außen abgeschlossene Zimmer der Koboldbehausung eindringen können. Mit einem Zauber, den Kat auf ihrer Reise erlernt hatte, konnte sie auch zweifelsfrei belegen, dass noch Magie in der Luft lag – der Mord war also erst wenige Stunden zuvor geschehen.

>>Ich denke, das ist der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit.<< Richie sah Kat anerkennend an. Genau deswegen hatte er sie mitgenommen - sie war freilich die begabteste Zauberin seiner Generation.

>>Sehr beeindruckend<<, fand auch der Kommissar, ein älterer Pferdemensch, der ungeduldig mit den Hufen scharrte. >>Aber habt ihr auch einen Hinweis auf den Täter?<<

>>Noch nicht<<, kam es von Richie, der sich die nobel eingerichtete Koboldbehausung noch einmal genauer ansah. >>Wer auch immer den Mord begangen hat, hat keinerlei Spuren hinterlassen. Aber das Motiv ...<< Richie holte seinen Zauberstab hervor und richtete ihn auf die Holzwand - ein großes Brandloch entstand. Gespannt traten der Kommissar, Officer Buchanan und Kat an das Loch heran und blickten hindurch.

>>Gold<<, entfuhr es Officer Buchanan. Das Loch in der Holzwand gab den Blick auf eine beachtliche Menge Goldbarren frei. Sie waren zu mehreren halbhohen Türmen aufgestapelt worden. Doch die rechte Hälfte des Versteckes war leer.

>>Die andere Hälfte muss gestohlen worden sein<<, fasste Richie zusammen. >>Vermutlich eine Tat aus Habgier. Wir suchen daher nach jemandem, der in Geldschwierigkeiten steckt und sich eventuell auf illegale Geschäfte mit dem Kobold eingelassen hat. Auf jeden Fall können wir erst mal davon ausgehen, dass es sich um eine einmalige Tat handelt.<<

Officer Buchanan pflichtete ihm mit einem Kopfnicken bei und fuhr fort: >>Jetzt müssen wir nur noch der Spur des Geldes folgen und herausfinden, mit wem der Kobold seine Geschäfte gemacht hat.<<

Richie war schon einen Schritt weiter: >>Das dürfte kein Problem sein. Kobolde sind sehr genau. Ich wette, dass auch dieser hier seine Bücher ordentlich geführt hat ... Aha!<< Mit einem Schwung seines Zauberstabs schob er einige Zettel auf dem Schreibtisch zur Seite, und darunter erschien ein kleines, braunes Buch. Als er es aufschlug, war dort eine lange Liste mit Namen zu finden. Richie lächelte Kat triumphierend an: >>Machen wir uns auf die Suche!<< Dann wandte sich Richie selbstsicher an die umstehenden Gesetzeshüter: >>Meine Herren, ich versichere Ihnen, spätestens morgen wissen wir, welcher Zauberer oder welche Hexe dieses schreckliche Verbrechen begangen hat. Sie können sich wie immer auf mich verlassen.<<

Doch es kam anders. Auch am Ende des Tages hatten Richie und Kat noch immer keinen Verdächtigen. Niemand auf der Liste kam als Täterin oder Täter infrage. Und als wäre das nicht schlimm genug, wurde zwei Tage später ein Ghul tot in der Kanalisation gefunden. Auch bei ihm gab es keinen Zweifel daran, dass er durch Magie getötet wurde. Das Gleiche galt auch für den Pferdemenschen, der wenige Tage später leblos in seiner Bäckerei gefunden wurde. Das waren drei Tote durch Magie in nur einer Woche!

>>Das kann doch nicht wahr sein!<<, brach es aus Richie heraus, als er Herrn Sandmann leblos hinter seiner Theke liegen sah. Ausgerechnet Herr Sandmann. Er machte die besten Plätzchen der gesamten Stadt.

>>Wer würde ihm denn so etwas antun?<< Kat stand kopfschüttelnd neben Richie und schien es ebenfalls nicht glauben zu wollen. Richie ballte die Fäuste - in all seiner Zeit als Berater hatte es nie derart viele Morde in so kurzer Zeit gegeben. Und er schien einfach nichts tun zu können, um diese Morde zu verhindern. In der Stadt ging jemand um, der den Vertrag von Nelp mit einer Gleichgültigkeit brach, die Böses erahnen ließ.

>>Wir müssen dem Rat Bescheid geben. Jetzt ist endgültig klar, dass sich ein Serienmörder unter uns bewegt<<, fasste Richie zusammen. Es war nun an der Zeit, den Rat der Zauberer zu informieren. >>Ich schicke eine Nachricht an meinen Bruder, er wird Meister Behrens in Kenntnis setzen.<<

Die Nachricht an Richies Bruder zeigte rasch Wirkung. Innerhalb einer Stunde stand der gesamte Rat der Zauberer in der kleinen Bäckerei des Herrn Sandmann, die für so viele Leute eigentlich nicht genügend Platz bat.

>>Warum hast du den Rat nicht früher informiert, Bruder?<<, fragte Waldemar streng, nachdem Richie den Rat über alle drei bisherigen Morde informiert hatte und seine Vermutung aufstellte, dass diese wohl in einem, für ihn noch nicht erkennbaren Zusammenhang standen.

>>Als Officer Buchanan meinen Rat erfragte, habe ich nicht geahnt, dass es eine Serie von Morden wird<<, erwiderte Richie.

>>Du hättest den Rat spätestens informieren sollen, als der Ghul gefunden wurde<<, ermahnte ihn Waldemar streng.

>>Genug, Waldemar<<, kam es nun von Meister Behrens, einem hohen Ratsmitglied. >>Richie handelte so, wie er es für richtig hielt. Du kannst draußen warten, mein Schüler.<< Waldemar verbeugte sich griesgrämig vor seinem Meister und sah finster zu seinem Bruder Richie, bevor er die Bäckerei wortlos verließ.

>>Ganz schön stickig da drinnen, nicht wahr?<< Eine Stimme riss Waldemar aus seinen Gedanken. Er wirbelte herum, und sein Gesichtsausdruck erhellte sich schlagartig.

>>Kat! Ewig nicht gesehen. Du bist zurück! Warum hast du nicht Bescheid gesagt?<<, fragte er sie höchst erfreut und umarmte sie lange.

>>Ich hatte echt viel zu tun und habe dabei völlig vergessen, einem alten Freund zu sagen, dass ich wieder in der Stadt bin<<, zwinkerte sie ihm zu.

>>Aber? ... Aber was machst du hier? Das ist immerhin ein Tatort<<, fragte Waldemar. Er war ehrlich erfreut darüber, Kat nach so vielen Jahren so unerwartet wiederzusehen.

>>Das ich hier bin ist wirklich eher ein Zufall ...<<, fing Kat an. >>Ich habe ein Zimmer gesucht und habe zufällig Richies Annonce gesehen. Er hatte ein Zimmer frei und dann kam eines zum anderen und jetzt beraten wir irgendwie beide die Gesetzeshüter in dieser Mordserie ... ich bin da irgendwie so reingerutscht.<<

>>Oh<<, Waldemar sah deutlich weniger fröhlich aus. Er warf einen kurzen Blick durch das Fenster der Bäckerei zu seinem Bruder Richie. Er stand dort, umringt von dem Rat der Zauberer, die gespannt und zeitweise zustimmend nickend seinen Ausführungen folgten. Waldemar konnte nicht verhindern, dass sich Neid in seiner Brust breitmachte.

>>Wieso bist du denn hier?<<, fragte Kat. Waldemar wandte sich wieder ihr zu, fasste sich stolz an die Brust und zupfte dabei seinen purpurnen, brandneuen Zauberumhang zurecht.

>>Ich bin Schüler von Meister Behrens und werde hoffentlich bald dem Rat angehören.<<

Kat nickte verblüfft. Zwar kannte sie Waldemars Ehrgeiz noch aus der Schulzeit, doch dass er so schnell Karriere machen würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Es hatte sich so viel verändert, seit sie Nelp verlassen hatte.

>>Da hast du ja eine sehr steile Karriere hingelegt. Ich bin beeindruckt.<< Waldemar lief ein wenig rot an. Er wollte gerade antworten, doch ein Klopfen unterbrach ihn. Meister Behrens hatte an die Fensterscheibe geklopft und Waldemar zurück in die Bäckerei geordert.

>>Wir haben vielleicht ein andermal Zeit, uns eingehender über alles zu unterhalten, und du musst mir unbedingt von deinen Reisen berichten. Ich freue mich ehrlich, dass du wieder da bist.<< Hastig hatte Waldemar die Bäckereitür aufgemacht und war zu Meister Behrens geeilt.

>>Wir haben soeben beschlossen, Richie Zugang zum Haus der Voraussicht zu gewähren. Bitte gib Meister Numatymas Bescheid.<<

Waldemar machte große Augen, und es hatte nicht den Eindruck, als wäre er mit der Entscheidung des Rates einverstanden. >>Meister<<, sprach er unterwürfig. >>Nur Ratsmitgliedern ist es gestattet, das Haus der Voraussicht zu betreten. Richie ist kein Mitglied des Rates.<<

>>Noch nicht<<, verkündete ein weiteres, steinaltes Ratsmitglied. >>Aber das ist nur eine Frage der Zeit. Wir werden aufgrund der gegebenen Umstände für ihn eine Ausnahme machen.<<

Waldemar wollte erneut widersprechen, doch Meister Behrens ergriff vorher das Wort: >>Wir sind in Zeiten des Friedens und dürfen diesen nicht gefährden.<< Wertschätzend sah Meister Behrens zu Richie. >>Richie ist das Bindeglied zwischen unserer Gemeinschaft von Hexen und Zauberern und der einfachen Bevölkerung von Nelp. Seit vielen Jahren schon arbeitet er Hand in Hand mit den Gesetzeshütern dieser Stadt. Sie vertrauen ihm, und daher schenken auch wir ihm unser Vertrauen.<<

Damit war das letzte Wort gesprochen. Richie wirkte sichtlich stolz, dass der Rat ihm das Vertrauen ausgesprochen hatte, Waldemar hingegen konnte voller Neid nicht glauben, was er gerade gehört hatte, und doch widersprach er nicht mehr.

>>Ich werde Meister Numatymas eine Nachricht zukommen lassen und um eine Audienz für meinen Bruder bitten.<<

Ehrfürchtig standen Richie und Kat am darauffolgenden Tag vor dem Haus der Voraussicht. Es lag am Stadtrand von Nelp, nahe der äußersten Stadtmauer und war umzäunt von wildem Gestrüpp. Das dreistöckige Haus hatte ein halbrundes, verglastes Dach und wirkte auch sonst von der gesamten Architektur recht ungewöhnlich. Es stach vor allem dadurch heraus, dass es eine vergoldete Fassade besaß. Schon im Vorgarten war deutlich die Magie zu spüren, die das Haus umgab. Noch bevor Richie an die Tür klopfte, öffnete diese sich, und ein Gnosche trat heraus.

>>Meister Numatymas hat dein Kommen erwartet.<< Mit einer ausladenden Handbewegung bat er Richie hinein. Auch Kat wollte das Haus der Voraussicht betreten, doch der Gnosche hielt sie auf. >>Nur der Zauberer hat eine Erlaubnis.<< So musste Kat schulterzuckend draußen stehen bleiben. Schuldbewusst, auch wenn er nichts dafür konnte, wandte sich Richie noch einmal zu ihr um: >>Wir sehen uns gleich.<< Dann schloss der Gnosche die Tür.

>>Komm mit.<< Er watschelte, mit einer Kerze in der Hand, voraus. Richie folgte ihm in den dritten Stock. An den Wänden hingen riesige Gemälde von alten Hexen und Zauberern, die alle streng auf sie herabblickten.

Im dritten Stock hielt der Gnosche vor einer größeren, weißen Holztür. Dahinter, da war sich Richie sicher, befand sich der Kuppelsaal.

>>Meister Numatymas wartet schon, tritt ein.<< Vorsichtig griff Richie nach der goldenen, geschwungenen Türklinke und öffnete langsam die schwere Tür. Der Raum dahinter war hell erleuchtet. Die Sonne schien durch das runde Kuppeldach und gab dem Kuppelsaal einen goldenen Schein. Eine gigantische Kugel, die fast bis zur Decke reichte, stand auf mehreren Sockeln in der Mitte. Richie starrte fasziniert die Kugel an, die voll dunstigem Rauch gefüllt zu sein schien.

>>Unterschreib bitte zuallererst den magischen Vertrag der Verschwiegenheit.<< Die alte Stimme kam von der anderen Seite des Raumes. Richie sah sich um, doch erblickte er niemanden – derjenige, der gesprochen hatte, wurde wohl von der Kugel verdeckt. Jetzt erst bemerkte Richie den dreibeinigen Schemel, der neben ihm stand. Darauf lag ein Blatt Papier und eine goldene Feder. Er las in großer Schrift: >Der magische Vertrag der Verschwiegenheit<.

Richie nahm den Vertrag in die Hand und überflog ihn.

>>Wenn ich den Vertrag unterschreibe, kann ich mit niemandem über das reden, was Sie mir jetzt mitteilen werden, nicht wahr?<<

>>Das, was ich dir sage, ist nur für dich bestimmt. Für dich allein. Der magische Vertrag der Verschwiegenheit ist eine Absicherung, dass diese Informationen nicht in falsche Hände geraten.<<

Das klang alles nicht sehr vertrauenerweckend, aber die Umstände verlangten es von ihm, also setzte Richie seine Unterschrift unter den Vertrag, der, kaum hatte er ihn unterschrieben, in goldenen Flammen aufging.

>>Komm zu mir, mein Junge.<<

Richie ging auf die andere Seite der Kugel. Ein Zauberer mit einem sehr langen Bart stand direkt vor der gigantischen Kugel und sah gedankenverloren in den Nebel, der sich darin befand. Sein dunkelblauer Umhang reichte bis zum Boden. Richie erkannte ihn nicht sofort, aber dann kam die Erinnerung zurück.

>>Sie!<< Der Zauberer hatte seine Augen von der Kugel abgewandt und musterte Richie sehr genau und ein wenig traurig.

>>Manchmal hoffe ich noch immer, ich könnte die Geschehnisse unserer Welt verändern, doch erneut stelle ich fest, dass alles so geschehen muss.<<

Richie hatte das schlechte Gewissen gepackt.

>>Meister Numatymas, es tut mir leid, ich hatte Sie nicht erkannt, als Sie in meiner Wohnung aufgetaucht sind. Vergeben Sie mir.<<

Meister Numatymas lächelte nachsichtig.

>>Du konntest nicht wissen, wen du dort vor dir hattest. Auch wenn ich gestehen muss, dass du mir ein bisschen mehr Aufmerksamkeit hättest schenken können.<< Richie biss sich auf die Lippe und erinnerte sich daran, dass er eingeschlafen war, als Meister Numatymas angefangen hatte, aus seiner Glaskugel zu lesen.

>>Ich ... es tut ...<<, bevor Richie seine Entschuldigung zu Ende stammeln konnte, hatte Meister Numatymas ihn schon unterbrochen.

>>Es ist genauso gekommen, wie es passieren musste.<<

Eine eindringliche Stille folgte, in der Meister Numatymas Richie weiter neugierig beäugte und dabei seine Hände hinter seinem Rücken verschränkte. Richie war ein wenig verunsichert, da Meister Numatymas anscheinend darauf wartete, dass er etwas sagte.

>>Sie wissen, warum ich hier bin?<<

>>Gewiss. Es gab mehrere Mordfälle, und der Rat hat die Befürchtung, dass dies zu einem Bruch des Friedens führen könnte. Daher haben sie dich beauftragt, herauszufinden, wer hinter diesen Morden steckt.<<

Gemächlich ging Meister Numatymas um die Glaskugel und bat Richie mit einer Handbewegung, es ihm gleichzutun.

>>Wenn die Morde nicht bald aufgeklärt werden und die Bevölkerung von Nelp erfährt, dass die Morde mit Magie verübt wurden, wird sich Furcht ausbreiten. Gewalt gegen Zauberer und Hexen könnte die Folge sein. Das wäre das Ende des Vertrags von Nelp.<< Meister Numatymas seufzte tief.

>>Wird es das Ende des Vertrags von Nelp?<<, fragte Richie ganz direkt und doch voller Ehrfurcht.

>>Nein, diese Zukunft wird nicht geschehen. Der Frieden unter den Völkern von Sibladon wird gewahrt bleiben.<<

Erleichterung machte sich in Richie breit, denn das war fürwahr etwas Gutes.

>>Wer und was steckt denn hinter diesen Morden? Wer aus unserer Zauberergemeinschaft ist zu so etwas Grausamen fähig?<< Gebannt schaute Richie Meister Numatymas an, der die Augen geschlossen hatte. Der junge Zauberer wartete ungeduldig auf die Antwort, die der Meister der Voraussicht für ihn bereithielt.

>>Du wirst die Wahrheit erfahren, und diese Wahrheit wird dein Leben für immer verändern. Sie wird dir großes Leid bringen, aber alle Völker Sibladons vereinen, und das ist nötig, um den Krieg zu gewinnen.<< Meister Numatymas ging weiterhin, mit geschlossenen Augen, als hätte er das schon tausende Male so gemacht, um die Kugel herum und hatte dabei nicht bemerkt, dass Richie stehen geblieben war.

>>Was für eine Wahrheit? Welcher Krieg?<<, fragte er argwöhnisch.

>>Es ist mir nicht bestimmt, dir mitzuteilen, was kommen wird. Du musst es selbst sehen. Nur dann wirst du dein Schicksal annehmen<<, war die nebulöse Antwort von Meister Numatymas. Richie war ganz und gar nicht glücklich mit dieser Erklärung.

>>Ich kann und will nicht glauben, dass es zu einem Krieg kommt. Sie müssen sich irren. Es gab seit Hunderten von Jahren keinen Krieg.<< Richie wollte das Gehörte nicht wahrhaben – ein Krieg, das war geradezu absurd. Doch Meister Numatymas hatte die Gabe der Voraussicht, es musste also wahr sein.

>>Sind es die Pferdemenschen, die den Krieg beginnen, oder die Zaubererfamilien aus dem Schattenreich? Sie müssen es mir sagen, damit wir den Krieg verhindern können<<, flehte Richie den Zauberer an.

>>Den Krieg wirst du nicht verhindern. Alles muss genauso passieren, damit eine Elvari, ein Mensch und eine Fleckenzwergin ihren Bestimmungen folgen können und der Krieg ein Ende findet.<<

Richie war verzweifelt und wütend. Wie sollten ihm diese vagen Angaben weiterhelfen? Sie gaben ihm weder einen Hinweis darauf, wer die Morde begangen hatte, noch waren sie genau genug, um den Krieg zu verhindern. Eigentlich waren die Informationen, die Meister Numatymas ihm gegeben hatte, ganz und gar nicht hilfreich. Er kannte keine Elvari, keine Fleckenzwergin und keinen Menschen, die dazu in der Lage waren, einen wie auch immer gearteten Krieg zu beenden.

Dieses sehr kurze Treffen war bisher schlicht entsetzlich verlaufen, und er konnte nicht mal mit jemandem außerhalb des Kuppelsaals darüber reden.

>>Wieso bin ich hier?<<, fragte Richie geradeheraus, und die Unzufriedenheit war in jeder Silbe wahrzunehmen.

>>Tief in der Kanalisation, im verschlossenen Gewölbe der zehn Weisheiten, musst du dich deiner Bestimmung stellen.<<

>>Das Gewölbe der zehn Weisheiten wurde schon vor langer Zeit vernichtet, als die Herrschaft der Zauberer zu Ende ging<<, erwiderte Richie, denn was Meister Numatymas da sagte, ergab keinen Sinn. Wie konnte er sich seiner Bestimmung stellen in einem Gewölbe, das seit Jahrhunderten zerstört war? Und wenn das Unsinn war, vielleicht war auch der Rest, den Meister Numatymas von sich gab, nichts weiter als ein Hirngespinst.

>>Die Zukunft ist ein Nebel voller Unklarheiten, und ich selbst sehe nur Bruchstücke von dem, was geschehen wird. Ich habe dir gesagt, was ich dir sagen kann: Dein Schicksal wird im Gewölbe der zehn Weisheiten entschieden.<<

>>Was wird dort stattfinden?<<, fragte Richie weiter. So langsam wurde er doch ungehalten. Meister Numatymas sah ihn eindringlich an, doch eine direkte Antwort auf Richies Frage gab er nicht.

>>Folge der weißen Rotmaus.<<

>>Der weißen Rotmaus folgen?<<, wiederholte Richie ungläubig. Wo sollte er denn eine weiße Rotmaus finden? Rotmäuse waren erfahrungsgemäß rot und nicht weiß. Das, was Meister Numatymas redete, ergab immer weniger Sinn.

Meister Numatymas beantwortete Richies Frage nur durch ein stummes Nicken. Wie sollte Richie mit diesem Tipp etwas anfangen können? Er brauchte mehr Informationen, vor allem über diesen angeblich nicht abwendbaren Krieg – aber zu Recht befürchtete er, der Greis würde ihm keine geben.

>>Es tut mir leid, dass ich dir nicht mehr mitteilen kann. Du wirst irgendwann verstehen, wieso.<< Ohne, dass es Richie bemerkte, hatte Meister Numatymas sich zur Tür gewandt und diese geöffnet.

>>Du kannst den jungen Zauberer jetzt hinausbegleiten<<, wies er den Gnoschen an, der bereits draußen wartete. Damit war die Unterredung beendet, und Richie fühlte sich ein wenig verloren mit all seinen unbeantworteten Fragen.

Missgelaunt und widerwillig verließ Richie das Haus der Voraussicht. Kat hatte draußen, im Vorgarten, auf einer Bank auf ihn gewartet. Er setzte sich neben sie und atmete erst mal tief aus. Gespannt sah sie ihn an.

>>Und?<<, fragte sie, als er nicht einfach drauflosredete und ihr ausführlich alles von seiner Begegnung mit Meister Numatymas erzählte.

>>Ich bin ... verwirrt ... und sehr aufgebracht<<, war Richies wortkarge Antwort. >>Und ...<< er kratzte sich am Nacken, denn er wusste, er konnte Kats Neugier nicht befriedigen.

>>Du kannst nicht darüber reden, worüber ihr gesprochen habt, richtig?<< Kat hob missmutig eine Augenbraue, und Richie nickte.

>>Schon allein der Versuch, mit dir darüber zu reden, würde mir unerträgliche Schmerzen bereiten.<<

>>Aber weißt du denn wenigstens, wer die Morde zu verantworten hat?<<, bohrte Kat trotzdem weiter nach, die ebenfalls ihre Enttäuschung kaum verbergen konnte.

Richie hob nachdenklich die Schulter: >>Nicht wirklich<<, antwortete er ernüchtert. Dieser Besuch hatte zweifellos mehr Fragen als Antworten gebracht.

Prolog II./II. – Die Wendung

Die folgende Nacht war sehr lang, denn Richie fand keinerlei Schlaf. Immer wieder dachte er an Morde, Krieg und eine nicht enden wollende Dunkelheit – Meister Numatymas hätte ihm mehr dazu sagen müssen! Sein Mund war äußerst trocken, als er sich nach Stunden des Umherwälzens in seinem Bett kerzengerade aufrichtete. Er brauchte dringend etwas zu trinken. Leise schlich er in die Küche, an Kats Zimmer vorbei, die hoffentlich nicht durch sein Getrappel geweckt wurde. In der Küche nahm er ein Glas in die Hand und ging zum Wasserhahn. Er drehte an dem Hahn herum – kein Wasser kam heraus. Jemand hatte anscheinend das Wasser abgestellt. Verärgert und durstig zog Richie seine Hausschuhe an und stapfte mürrisch in den Keller. Mit einem Wisch seines Zauberstabs machte er sich Licht und musste feststellen, dass der Wasserhahn zugedreht war. Mit zwei Stupsern seines Zauberstabs sollte das Problem schnell behoben sein – doch dann gab es einen lauten Wumms, und mehrere Schrauben knallten aus den Rohren. Eine Wasserfontäne sprudelte nun aus dem Rohr und fing an, den Keller unter Wasser zu setzen. Richie hob seinen Zauberstab erneut, und mit einem Schnipsen war der Wasserhahn wieder zugedreht und die Schrauben fest in den Rohren verankert. Richie war komplett durchnässt. Als er sich im Keller nach einem Handtuch oder einer Decke umsah, erblickte Richie den Notizzettel, der an das Rohr gepinnt war: >Defekt! Techniker ist informiert.<

Als Richie kurz darauf, immer noch durstig und triefnass, wieder die Kellertreppe hinaufgehen wollte, krabbelte vor ihm etwas die Stufen hinauf. Im Lichte seines Zauberstabs erkannte er eine weiße Rotmaus. Richie folgte ihr ungläubig mit seinen Augen und seinem halb geöffneten Mund und dachte im ersten Augenblick, er bilde sie sich nur ein. Schließlich war er völlig übermüdet. Dennoch, es konnte keinen Zweifel geben: Das war eine weiße Rotmaus.

>>Das kann doch nicht ... Moment.<< Kaum hatte er sie erblickt, war sie auch schon im Flur verschwunden. Aufgeregt rannte er ihr hinterher, und von seiner Müdigkeit war schlagartig nichts mehr zu spüren. Durch einen Spalt in der Holzwand war die Rotmaus auf die Straße gelangt. Richie schloss die Haustür auf und trat hinaus in den frühen, nasskalten Morgen. Er sah gerade noch, wie der lange Schwanz der Rotmaus in einem Kanaldeckel verschwand. Wohl oder übel musste er ihr folgen. Mit einem Schwenker richtete er seinen Zauberstab auf den Kanaldeckel. Im nächsten Moment flog dieser hoch in die Luft und landete scheppernd auf dem Bürgersteig. Widerwillig kletterte Richie Sprosse für Sprosse in das Abwassersystem von Nelp hinunter. Dabei rutschten ihm beide Hausschuhe vom Fuß und fielen nacheinander ins Abwasser. Hier unten im Kanal stank es gewaltig, und Richie stand bis zu den Knien in einer Flüssigkeit, von der er lieber nicht wissen wollte, was genau es war. Mit dem Licht seines Zauberstabs leuchtete er die modrige Wand ab, und dort sah er sie erneut: die weiße Rotmaus. Im nächsten Moment war sie bereits um die Ecke geflitzt. Richie watete in seinem mittlerweile platschnassen Schlafanzug durch die Kanalisation von Nelp der Rotmaus hinterher. Seinen Zauberstab hielt er mit seinen Zähnen fest, um mit seinen Händen den größten Unrat vor sich wegzuschaufeln, damit er schneller vorankam. Wenn er sich nicht stark irrte, auch wenn es im labyrinthartigen Kanalsystem schwer zu sagen war, folgte er der Rotmaus in das Zentrum von Nelp. Er müsste nun gleich unter dem Turm der Zauberer sein. Nach einer weiteren Kurve stand Richie auf einmal vor einer Steinmauer. Er brauchte gar nicht erst Kats Zauber auszuprobieren, um zu wissen, dass hier Magie in der Luft lag. Die Rotmaus lief immer wieder mit ihrem kleinen Köpfchen gegen die Mauer. Etwas dahinter schien sie anzuziehen. Richie trat dicht an die Steinmauer heran und richtete seinen Zauberstab darauf. Ein neongrüner kreisförmiger Umriss erschien, und eine ebenfalls in Grün verfasste Notiz war genau in der Mitte des Kreises zu lesen. Sie war in einer Sprache, die nur noch im Schattenreich gesprochen wurde. Grob übersetzt stand dort: >Das Gewölbe der zehn Weisheiten. Wir sollten es zerstören, doch wir taten es nicht. Für den Frieden verborgen, für die Zukunft versteckt. Der Suchende findet hier das Wissen der Magie. Magie ist mit uns ...<

>> ... Und wir sind die Macht<<, ergänzte Richie unwillkürlich den unvollendeten Satz. Der Kreis verwandelte sich, kaum hatte er den Satz vollendet, in eine runde Tür, die im nächsten Moment zur Seite schwang. Die Rotmaus krabbelte augenblicklich hindurch. Richie folgte ihr, auch wenn er für einen Moment unschlüssig war, ob er das Richtige tat. Er machte einen Schritt hinein. Das Licht, das von der Spitze seines Zauberstabs ausging, konnte die vollkommene Dunkelheit, die hinter der Tür lag, kaum durchbrechen. Scheinbar endlos war das Gewölbe mit emporragenden Regalen, gefüllt mit Papierrollen. Wissen von tausenden von Jahren Zauberergeschichte, gesammelt an diesem verborgenen Ort. Richie kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Als er tiefer ins Gewölbe vordrang, kam er an Hunderten solcher Regalreihen vorbei, bevor er auf einmal vor einem gigantischen Spiegel stand.

>>Epikon.<< Einer von zwei legendären Spiegeln. >>Du wurdest zerstört.<<

Doch da stand er. Der Zauberspiegel war zu Richies großem Erstaunen unversehrt. Richie fuhr mit seinen Fingern ehrfürchtig über die goldverzierte Umrahmung.

>>Es war ein Duplikat. Nicht der echte Spiegel wurde zerstört, sondern lediglich eine Kopie.<< Eine Stimme hallte durch das Gewölbe. >>Ich wollte eigentlich gerade nach Hause gehen, aber schön, dass wir uns hier begegnen. So spare ich mir einen Weg.<< Zwischen zwei Regalreihen sah er das Licht eines Zauberstabs. Die Hexe, die den Zauberstab hielt, war ... Kat.

>>Du? Was machst du denn hier?<< Richie hätte vor Überraschung beinahe seinen eigenen Zauberstab fallen lassen. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, Kat im verbogenen Gewölbe der zehn Weisheiten vorzufinden. >>Woher kennst du diesen Ort?<<

>>Auf meinen Reisen habe ich erfahren, dass das Gewölbe nie zerstört wurde.<< Kat schwang ihren Zauberstab. Wie Glühwürmchen breiteten sich hunderte kleiner Lichtkugeln im gesamten Raum aus und erhellten ihn. Das Gewölbe der zehn Weisheiten hatte die Größe des Parlaments, und genau in der Mitte stand der Spiegel.

>>Selbst unser oberster Rat dachte, dass das Gewölbe zerstört wurde ... Immerhin war das eine nicht verhandelbare Bedingung im Vertrag von Nelp. Doch der Zauberer, der das Gewölbe zerstören sollte, brachte es nicht über sich, all dieses Wissen zu vernichten. Er verbarg das Gewölbe der zehn Weisheiten unter dem Garten der Sabirah für all jene, die irgendwann die Unterdrückung der Zauberergemeinschaft nicht mehr ertragen können!<< Mit den letzten Worten hatte sich Kats Stimme gewandelt. Sie klang jetzt anders – jegliche Wärme und Freundlichkeit war aus ihr gewichen. Das, was sie soeben gesagt hatte, wog schwer.

>>Nein!<< Richie schüttelte widerwillig den Kopf – das konnte und durfte nicht wahr sein. Nicht sie. Nicht Kat!

>>Richie, erinnerst du dich nicht? Du warst es, der vor Jahren gesagt hat, dass wir Zauberer und Hexen unterdrückt werden und wir nicht unsere wahre Macht entfalten können.<<

>>Ich war jung und wusste es nicht besser<<, erwiderte Richie, der nicht hören wollte, was sie ihm zu sagen hatte. Sicher war er in der Schulzeit rebellisch gewesen und hatte Sachen gesagt, die er so niemals mehr wiederholen würde, aber jetzt waren sie erwachsen und wussten doch, dass das nichts weiter als dummes Gerede war.

>>Du warst es, der mir die Augen geöffnet hat. Wegen dir bin ich auf die Reise gegangen, um herauszufinden, wie ich unsere Gemeinschaft aus der Knechtschaft befreien kann.<<

Richie starrte Kat an, als würde er sie zum ersten Mal klar sehen. Sie stand ganz ruhig da und sprach in einem kalten, sachlichen Ton, doch ihre Worte waren wie Gift, das langsam in ihn hineinfloss.

>>Ich wollte dir von meinen Plänen erzählen, als ich zurückkam, wollte bei dir sein, wollte mit dir zusammen Sibladon verändern. Deswegen habe ich dafür gesorgt, dass ein Zimmer bei dir frei wurde.<<

Richie stöhnte auf, denn jetzt wurde ihm klar, dass sie das alles geplant hatte.

>>Entsetzt musste ich dann aber feststellen, dass du mit ihnen zusammenarbeitest, mit den Pferdemenschen. Nein, nicht nur mit ihnen, du arbeitest für sie, für unsere Unterdrücker!<< Verzweifelt traten Tränen in Kats Augen. >>Ich bin so enttäuscht von dir. Du hast dich verändert.<< Es klang, als hätte sie das, was sie ihm nun sagte, die ganze Zeit schon loswerden wollen. >>Der Rat hat dich manipuliert. Ich weiß, tief in deinem Inneren, willst du auch, dass wir uns die Macht zurückholen, die uns zusteht. Und hier in dem Gewölbe der zehn Weisheiten haben wir all das Wissen, das wir dafür brauchen!<<

>>Nein, das will ich nicht!<<, schnitt ihr Richie aufgewühlt ins Wort. Mit seiner zitternden Hand umklammerte er fest seinen ausgestreckten Zauberstab. Noch immer hoffte er, dass dies alles ein schlimmer Albtraum war und er bald erwachen würde.

>>Ich hatte fest mit deiner Unterstützung gerechnet. Ich wollte, dass wir gemeinsam Magie wieder grenzenlos ausleben können.<<

>>Das wird niemals geschehen, das ist Wahnsinn. Du weißt genau, was passieren kann.<<

Kat schien ihn jedoch nicht hören zu wollen.

>>Richie, tief in dir drin, weißt du, dass ich recht habe. Du wurdest angelogen! Manipuliert! Erwache aus deiner Gefangenschaft!<<, schrie sie ihm entgegen.

>>Hör auf damit, Kat. Du redest wirres Zeug. Ich werde dem Rat Bescheid geben. Du bist eine Gefahr für uns alle!<<

>>Das kann ich leider nicht zulassen.<< Auch Kat hielt ihren Zauberstab fest in ihrer Hand. Sie hatte sich zwischen zwei Regalreihen gestellt, vor die runde Tür – bereit, sich mit ihm zu duellieren. Richie hingegen wollte nicht gegen sie kämpfen, nicht gegen Kat. Er konnte es nicht über sich bringen: Der Rat sollte über ihr Schicksal entscheiden.

>>Wenn du nicht auf meiner Seite bist, bist du gegen mich, und dann lässt du mir keine Wahl, als dich zu töten<<, brüllte sie wutverzerrt.

>>Du redest wie eine Hexe aus dem Schattenreich!<<, rief er traurig zurück und konnte gleichzeitig nicht fassen, dass er ausgerechnet Kat diese Worte entgegenschrie.

>>Ich komme aus dem Schattenreich! Und ja, da leben wir frei. Dort sind wir die Herrscher, nicht die Beherrschten. Und so sollte es überall sein!<<

Beide standen sich mit gezückten Zauberstäben gegenüber, doch keiner von ihnen war bereit, den ersten Fluch abzufeuern. Beide hofften sie noch, der jeweils andere würde Vernunft walten lassen und doch noch, kurz vor dem Unvermeidlichen, einsehen, Unrecht zu haben.

>>Du und ich, Richie, ich wollte nie, dass es so endet, aber nur einer von uns wird hier lebend das Gewölbe verlassen.<<

>>Du bist nicht bei Sinnen. Ich werde nicht gegen dich kämpfen, und du wirst mich nicht angreifen. Der Rat wird über dein Schicksal entscheiden.<< Der Zauberer wollte schon seinen Zauberstab fallen lassen, als Kat einen Fluch auf ihn schoss. Im letzten Moment hob er seinen Zauberstab und konnte diesen abwehren. Es folgte ein weiterer Fluch, auch diesen lenkte Richie mit einem Schwenk seines Zauberstabs ab. Die Explosionen, die dadurch entstanden, wirbelten die Papiere auf den Regalen auf, die im Gewölbe wild umherflatterten. Angriff um Angriff wehrte er Kat ab.

>>Greif mich an<<, zischte sie. Sämtliche ihrer Flüche konnte Richie mit seinen Schutzzaubern abblocken, doch hatte er noch keinen einzigen Fluch gegen sie abgefeuert. Das brachte sie beinahe zur Raserei. Doch etwas in Richie, seine Gefühle für Kat, ließen ihn weiter zögern, sie anzugreifen, doch dann sagte sie es, und ihre Worte veränderten alles: >>Falls du noch nicht draufgekommen bist: Ich war es, die den Kobold getötet hat. Ich brauchte schließlich das Gold, um die horrenden Mietkosten und die Kaution für das Zimmer zu bezahlen. Ich war es auch, die den Ghul getötet hat, als er mich hier im Kanal überraschte und sah, wie ich das Gewölbe betrat. Und ich war es, die den Sandmann umgebracht hat, denn ich wusste, dann würdest du den Rat informieren, schließlich ging es um deine heißgeliebten Plätzchen. Und dann war es nur eine Frage der Zeit, bis du auf meine Spur kommen solltest. Du warst schon immer so durchschaubar.<< Kat lachte, doch Richies Gesicht war bleich geworden. Ja, seit er sie hier angetroffen hatte, hatte er genau dies befürchtet, doch die Wahrheit aus ihrem Mund zu hören, war ein Stich ins Herz. Sie hatte ihn da, wo sie ihn haben wollte. Zornig stoben rote, glühende Funken aus seinem Zauberstab, den er vor Wut schreiend auf sie gerichtet hatte. Ihr Abwehrzauber brachte das Gewölbe zum Beben, und ein langer Riss in der Decke tat sich auf. Beide sahen sie erschrocken, wie große Steinbrocken um sie herum, auf die Regale, von denen ein Dutzend durch die Wucht des Abwehrzaubers umgefallen waren, herabfielen. Das brachte Richie wieder zur Vernunft.

>>Wenn wir uns weiter duellieren, werden wir in diesem Gewölbe begraben<<, rief er über den Lärm der herabbröckelnden Steine hinweg. >>Keiner von uns beiden wird das überleben! Es ist vorbei, Kat! Gib auf! Ich werde alles dafür tun, dass der Rat ein mildes Urteil fällt.<<

Kat hatte nicht zugehört, sie hatte ihren Zauberstab wie eine Peitsche geschwungen. Richie reagierte mit einer langen, fließenden Bewegung, und um ihn herum erschien ein blauer Lichtkreis, der den Zauber, einen langen blutroten Faden, abwehrte und auf ein Regal lenkte, das in zwei brach und in rotgoldenen Flammen aufging.

>>Der Rat kann mich nicht aufhalten. Du kannst mich nicht aufhalten.<< Die Flammen breiteten sich rasend schnell aus. Die staubtrockenen Papiere um sie herum entzündeten sich. Doch es war etwas anderes, was Kats Aufmerksamkeit vollkommen in Anspruch nahm. Sie spürte eine gewaltige Welle der Magie, die von Richie ausging. Das Feuer, das sich immer weiter ausbreitete und dabei all das Wissen verschlang, loderte in seinen Augen. So zornig hatte sie ihn nie zuvor gesehen. Kat konnte ihren Arm nicht bewegen, keinen Muskel rühren.

Der blaue Lichtkreis, der Richie umschloss, breitete sich aus und dann sprach er: >>Ich bin bereit, alles zu tun, bereit, Dinge zu tun, die sonst keine Hexe und kein Zauberer tun würden, um dich aufzuhalten. Wenn du willst, dass wir hier beide untergehen, bitte schön, dann werde ich dich auf keinen Fall enttäuschen.<<

Kat konnte immer noch keinen Finger rühren, eine unsichtbare Kraft, ein Zauber, hielt sie gefangen, wutverzerrt sah sie ihn an.

>>Nein, das ist großspuriges Gerede. Du bist auf der Seite derer, die uns unterdrücken, die uns in unserer Macht einschränken. Du hast verlernt, all deine Magie zu nutzen.<< Mit einem kräftigen Ruck hatte sie sich aus dem Zauber befreit, ihren Arm gehoben und gelbgoldene Blitze schossen aus ihrem Zauberstab, doch sie wurden von Richies Schutzschild abgeprallt, der sie an die Decke und Wände lenkte. Der Einsturz des Gewölbes schien sich dadurch noch weiter zu beschleunigen. Kat musste immer wieder der bröckelnden Decke ausweichen, während Richie ruhig unter seiner Lichtkugel stand, die all die Steinblöcke, die auf ihn abfielen, zu Staub zerfallen ließ, der auf ihn herabrieselte.

>>Ich mag auf der Seite derer sein, die verstanden haben, wie gefährlich Magie für alle Lebewesen Sibladons sein kann, aber glaube nicht, dass ich nicht notfalls bereit bin, alles zu tun, um diejenigen aufzuhalten, die unseren Frieden gefährden. Du weißt nicht, wozu ich fähig bin.<< Sie selbst hatte ihn dazu gezwungen, er wollte es nicht, aber sie ließ ihm keine Wahl. Der blaue Lichtkreis, der Richie umschloss, breitete sich weiter im Gewölbe aus, löschte die Flammen, die seinen Weg kreuzten, und verwandelte alles, was er erreichte, in Staub, so dass Kat mit großen Augen vor ihm zurückwich. Wieder und wieder versuchte sie anzugreifen, doch sie konnte der blauen, sich ausbreitenden Kugel nichts entgegensetzen.

>>Du kannst mich verhaften lassen, mich foltern, mich umbringen! Du bist trotzdem im Unrecht!<<, schrie sie verzweifelt, zwischen all dem Lärm hindurch, den sie verursacht hatten.

>>Gib auf, sonst wirst du sterben!<<, rief Richie, denn wenn sein Schutzschild sie erreichte, würde auch sie zu Staub zerfallen.

>>Niemals.<< Doch sie stand da, voller Angst in ihren Augen, einen Fluch nach dem anderen auf Richie abfeuernd, mit dem Rücken zur Wand, als sie vor Schmerz aufschrie. Richie sah, wie die weiße Rotmaus Kat in die Hand biss und sie ihren Zauberstab fallen ließ. Mit einer Handbewegung zauberte er Seile herbei, die sich um Kats Handgelenke schlossen. Ein weiterer Schlenker und Kat schloss starr und regungslos die Augen und rutschte bewusstlos an der Wand entlang zu Boden, wo sie liegen blieb. Dann hatte er sie mit in seine blaue Lichtkugel aufgenommen, während das Gewölbe endgültig einbrach und die Decke über ihnen zusammenstürzte. Mit all seiner Magie, mit jeder angespannten Faser seines Körpers, hielt Richie ihren Schutz aufrecht, während Erdbrocken über ihnen einstürzten und seinen Zauber beinah brachen. Die Lichtkugel schrumpfte wieder in sich zusammen – immer kleiner wurde der blaue Dunst, der die Hexe und den Zauberer umschloss – der sich schützend direkt vor Kat gestellt hatte. Und dann war es vorbei. Schutt und Erde hatten das Gewölbe unter sich begraben, nur ein kleiner Kreis war frei geblieben, in dem sich die Hexe und der Zauberer befanden. Im umherwirbelnden Staub schaute Richie hinauf, in die aufgehende Morgensonne. Er erkannte, dass der gesamte Garten der Sabirah über ihnen zusammengekracht war. Mehrere Köpfe interessierter und erschrockener Zauberer und Hexen, von dem Krach angelockt, schauten schockiert hinab in das tiefe Loch, was entstanden war.

>>Richie?<<, hörte Richie eine aufgebrachte Stimme. >>Komm unverzüglich hier rauf!<< Es war Waldemar und er war zutiefst bestürzt. Mit zusammengepressten, schmalen Lippen wartete er darauf, dass Richie aus dem eingestürzten Gewölbe hinaufkletterte.