Nirgendwo in Afrika - Stefanie Zweig - E-Book
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Stefanie Zweig

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Beschreibung

Der Bestseller der preisgekrönten Autorin. Ein bewegendes Stück Zeitgeschichte und eine Liebeserklärung an Afrika. Dieser autobiografische Roman schildert in unvergleichlicher Sprache die Odyssee von Walter, Jettel und Regina, die sich 1938 auf den Weg machen von Breslau nach Ostafrika, die ihre Heimat verlieren, eine neue gewinnen und doch zurück wollen. Stefanie Zweig erzählt die Geschichte Reginas, die sehr schnell dem Zauber Afrikas verfällt. Sie liebt die Gerüche und Farben, die überwältigende Natur, die Tiere und Menschen, die zu Freunden werden. Doch nach Kriegsende will ihr Vater zurück nach Deutschland. "Nirgendwo in Afrika" wurde von der preisgekrönten Regisseurin Caroline Link fürs Kino verfilmt. Der Film gewann 2002 sowohl den Bayerischen als auch den Deutschen Filmpreis, und bekam 2003 den "Oscar" für den besten ausländischen Film verliehen.

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Seitenzahl: 533

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© für die Originalausgabe: 2002 LangenMüller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München © für das eBook: 2013 LangenMüller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München Alle Rechte vorbehalten

Widmung

Im Andenken an meinen Vater

1

Rongai, den 4. Februar 1938

Meine liebe Jettel!

Hol Dir erst mal ein Taschentuch, und setz Dich ganz ruhig hin. Du brauchst jetzt gute Nerven. So Gott will, werden wir uns sehr bald wiedersehen. Jedenfalls viel früher, als wir je zu hoffen wagten. Seit meinem letzten Brief aus Mombasa, den ich Dir am Tag meiner Ankunft schrieb, ist so viel passiert, daß ich immer noch ganz wirr im Kopf bin. Ich war nur eine Woche in Nairobi und schon sehr niedergeschlagen, weil mir jeder sagte, daß ich mich hier ohne Englischkenntnisse gar nicht erst nach einer Arbeit in der Stadt umzusehen brauchte. Ich sah aber auch keine Möglichkeit, auf einer Farm unterzukommen, wie das hier fast jeder tut, um erst einmal ein Dach über dem Kopf zu haben. Dann wurde ich vor einer Woche zusammen mit Walter Süßkind (er stammt aus Pommern) zu einer reichen jüdischen Familie eingeladen.

Ich habe mir zunächst gar nicht viel dabei gedacht und nahm einfach an, die würden es hier auch nicht anders als meine Mutter in Sohrau halten, die ja immer irgendwelche armen Schlucker mit an ihrem Tisch sitzen hatte. Inzwischen weiß ich jedoch, was ein Wunder ist. Die Familie Rubens lebt schon seit fünfzig Jahren in Kenia. Der alte Rubens ist Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Nairobi, und die wiederum kümmert sich um die Refugees (das sind wir), wenn sie frisch ins Land kommen.

Bei Rubens (fünf erwachsene Söhne) war man ganz außer sich, als herauskam, daß Du und Regina noch in Deutschland seid. Hier sieht man die Dinge ganz anders als ich zu Hause. Du und Vater hattet also ganz recht, als Ihr nicht wolltet, daß ich allein auswandere, und ich schäme mich, daß ich nicht auf Euch gehört habe. Wie ich später erfuhr, hat mich Rubens schrecklich beschimpft, aber ich konnte ihn ja nicht verstehen. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie lange es gedauert hat, ehe ich kapierte, daß die Gemeinde für Dich und Regina die hundert Pfund für die Einwanderungsbehörden vorstrecken will. Mich hat man sofort auf eine Farm verfrachtet, damit wir alle drei erst mal eine Unterkunft haben und ich wenigstens etwas verdienen kann.

Das heißt, Ihr müßt so schnell wie möglich abfahren. Dieser Satz ist der allerwichtigste im ganzen Brief. Obwohl ich mich wie ein Schaf benommen habe, mußt Du mir jetzt vertrauen. Jeder Tag, den Du mit dem Kind länger in Breslau bleibst, ist verloren. Geh also sofort zu Karl Silbermann. Er hat die größte Erfahrung mit Auswanderungsproblemen und wird Dich zu dem Mann vom Deutschen Reisebüro bringen, der schon so anständig zu mir war. Er wird Dir sagen, wie Du am schnellsten an Schiffskarten kommst, und es ist ganz egal, was es für ein Schiff ist und wie lange es unterwegs sein wird. Wenn möglich, nimm eine Drei-Bett-Kabine. Ich weiß, das ist nicht angenehm, aber sehr viel billiger als die zweite Klasse, und wir brauchen jeden Pfennig. Hauptsache, Ihr seid erst mal an Bord und auf See. Dann können wir alle wieder ruhig schlafen.

Du mußt Dich auch sofort mit der Firma Danziger wegen unserer Kisten in Verbindung setzen. Du weißt, wir haben noch eine leer gelassen für Dinge, die uns einfallen. Sehr wichtig ist ein Kühlschrank für die Tropen. Wir brauchen auch unbedingt eine Petromaxlampe. Sieh zu, daß sie Dir zusätzlich ein paar Strümpfe mitgeben. Sonst haben wir die Lampe und sitzen trotzdem im Dunkeln. Auf der Farm, auf der ich gelandet bin, gibt es kein elektrisches Licht. Kaufe auch zwei Moskitonetze. Wenn das Geld reicht, drei. Rongai ist zwar keine ausgesprochene Malariagegend, aber man weiß ja nicht, wo wir noch landen werden. Wenn der Platz für den Kühlschrank nicht ausreicht, dann laß das Rosenthalgeschirr wieder auspacken. Wir werden es wohl in diesem Leben nicht mehr brauchen und haben uns schon von ganz anderen Dingen trennen müssen als von Tellern mit Blümchenmuster.

Regina braucht Gummistiefel und Manchesterhosen (Du übrigens auch). Wenn jemand ihr was zum Abschied schenken möchte, bitte um Schuhe, die ihr auch noch in zwei Jahren passen. Ich kann mir, jedenfalls heute, nicht vorstellen, daß wir einmal reich genug sein werden, um Schuhe zu kaufen.

Mach erst die Liste für das Auswanderungsgut, wenn Du alles beisammen hast. Es ist wichtig, daß jedes Stück aufgezählt wird, das mitgehen soll. Sonst gibt es schrecklichen Ärger. Und laß Dich bloß von keinem überreden, irgend jemandem etwas mitzunehmen. Denk an den armen B. Den Kummer mit dem Hamburger Zoll hat er nur seiner Gutmütigkeit zu verdanken. Wer weiß, ob er je nach England kommt und wie lange er unter Buchen wandern wird. Am besten Du sprichst so wenig wie möglich über Deine Pläne. Man weiß nicht mehr, was aus einem Gespräch werden kann und was aus Menschen geworden ist, die man ein Leben lang gekannt hat.

Von mir will ich heute nur kurz berichten, sonst schwirrt Dir auch der Kopf. Rongai liegt ungefähr tausend Meter hoch, ist aber sehr heiß. Die Abende sind sehr kalt (nimm also Wollsachen mit). Auf der Farm wächst hauptsächlich Mais, doch habe ich noch nicht herausgefunden, was ich mit ihm machen soll. Außerdem haben wir fünfhundert Kühe und jede Menge Hühner. Für Milch, Butter und Eier ist also gesorgt. Sieh zu, daß du ein Backrezept für Brot mitbringst.

Das, was der Boy bäckt, sieht aus wie Matze und schmeckt noch schlechter. Setzei kann er wunderbar, Rührei gar nicht. Und wenn er weiche Eier kocht, singt er ein ganz bestimmtes Lied. Leider ist das Lied zu lang, und die Eier werden immer hart.

Wie Du siehst, habe ich schon einen eigenen Boy. Er ist groß, natürlich schwarz (bitte mache Regina klar, daß nicht alle Menschen weiß sind) und heißt Owuor. Er lacht sehr viel, was mir bei meiner gegenwärtigen Unruhe guttut. Boys sind hier die Diener, aber es heißt gar nichts, wenn man einen Boy hat. Auf einer Farm hat man so viel Personal wie man will. Du kannst also Deine Sorgen um ein Dienstmädchen sofort einstellen. Es leben hier sehr viele Menschen. Ich beneide sie, weil sie nicht wissen, was in der Welt geschieht und weil sie ihr Auskommen haben.

Im nächsten Brief erzähle ich Dir mehr von Süßkind. Er ist ein Engel, fährt heute nach Nairobi und will die Post mitnehmen. Da gewinnt man mindestens eine Woche, und ein reger Briefwechsel ist für uns jetzt sehr wichtig. Wenn Du antwortest, numeriere Deine Briefe und schreib genau, auf welchen Du antwortest. Sonst kommt unser Leben noch mehr durcheinander, als es schon ist. Schreib, so bald Du kannst, an Vater und Liesel, und nimm ihnen die Angst um uns alle.

Mein Herz zerspringt bei dem Gedanken, daß ich vielleicht schon sehr bald Dich und das Kind in die Arme schließen kann. Und es wird schwer, wenn ich daran denke, daß dieser Brief Deiner Mutter sehr weh tun wird. Nun bleibt ihr von ihren beiden Mädels nur noch eins, und wer weiß, wie lange. Aber Deine Mutter ist immer eine großartige Frau gewesen, und ich weiß, daß sie Dich und ihr Enkelkind lieber in Afrika weiß als in Breslau. Gib Regina einen dicken Kuß von mir und verpimple sie nicht. Arme Leute können sich keine Ärzte leisten.

Ich kann mir denken, in welche Aufregung Dich dieser Brief stürzen wird, aber du mußt jetzt stark sein. Für uns alle. Es umarmt Dich voller Sehnsucht

Dein alter Walter

P.S. Die Söhne von Mr. Rubens hätten Dir gefallen, richtig fesche Burschen. Wie früher bei uns in der Tanzstunde. Ich hielt sie alle für unverheiratet, habe jedoch später erfahren, daß ihre Frauen sich immer zum Bridge treffen, wenn es um uns Refugees geht. Das Thema hängt ihnen zum Hals heraus.

Rongai, den 15. Februar 1938

Mein lieber Vater!

Ich hoffe, Du hast inzwischen von Jettel Nachricht bekommen und somit erfahren, daß Dein Sohn Farmer geworden ist. Mutter hätte bestimmt gesagt »schön, aber schwer«, doch Besseres kann sich ein gelöschter Rechtsanwalt und Notar nicht wünschen. Heute früh habe ich bereits ein neugeborenes Kalb aus dem Bauch einer Kuh gezogen und es Sohrau getauft. Ich hätte lieber bei der Geburt eines Fohlens Hebamme gespielt, denn Reiten habe ich ja bei Dir schon gelernt, ehe Du des Kaisers Rock angezogen hast.

Denk bloß nicht, daß es ein Fehler war, mich studieren zu lassen. Das scheint nur so im Augenblick. Wie lange mag es wohl dauern? Mein Chef, der nicht auf der Farm, sondern in Nairobi lebt, hat eine Menge Bücher im Schrank. Darunter die Encyclopaedia Britannica und ein lateinisches Wörterbuch. Ich könnte also hier in der Wildnis gar nicht Englisch lernen, wenn ich nicht Latein gelernt hätte. So aber kann ich mich bereits über Tische, Flüsse, Legionen und Kriege unterhalten und sogar sagen: »Ich bin ein Mann ohne Heimat.« Leider klappt das nur in der Theorie, denn hier auf der Farm sind nur Schwarze, und die sprechen Suaheli und finden es furchtbar ulkig, daß ich sie nicht verstehe.

Ich bin gerade dabei, im Konversationslexikon über Preußen nachzulesen. Wenn ich schon die Sprache nicht kann, muß ich mir ja Themen heraussuchen, die ich kenne. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie lange die Tage auf so einer Farm sind, aber ich will nicht klagen. Ich bin dem Schicksal dankbar, besonders seitdem ich die Hoffnung habe, Regina und Jettel bald hier zu haben.

Um Euch beide mache ich mir große Sorgen. Was ist, wenn die Deutschen in Polen einmarschieren? Die wird es nicht interessieren, daß Du und Liesel Deutsche geblieben seid und nicht für Polen optiert habt. Für die seid Ihr Juden, und glaub bloß nicht, daß Dir Deine Auszeichnungen aus dem Krieg etwas nutzen. Das haben wir ja nach 1933 erlebt. Andererseits dürftet Ihr, gerade weil Ihr nicht für Polen optiert habt, nicht unter die polnische Quote fallen, die ja überall die Auswanderung erschwert. Wenn Du das Hotel verkaufen würdest, könntest auch Du an Auswanderung denken. Vor allem für Liesel solltest Du es tun. Sie ist doch erst zweiunddreißig und hat bisher noch nichts vom Leben gehabt.

Ich habe einem ehemaligen Bankier aus Berlin (er zählt jetzt Säcke auf einer Kaffeefarm) von Liesel erzählt und daß sie noch in Sohrau ist. Der meinte, ledige Frauen seien bei den hiesigen Einwanderungsbehörden gar nicht ungern gesehen. Vor allem kommen sie gut als Kindermädchen bei den reichen englischen Farmersfamilien unter. Hätte ich die hundert Pfund, um für Euch beide zu bürgen, würde ich Dich noch ganz anders zur Auswanderung drängen. Es ist aber schon mehr als eine Gnade, daß ich Jettel und das Kind nachholen kann.

Vielleicht könntest Du Dich mal mit Rechtsanwalt Kammer in Leobschütz in Verbindung setzen. Der war bis zum Schluß hoch anständig zu mir. Als ich gelöscht wurde, sagte er mir zu, die Mandantengelder, die noch eingehen müßten, für mich in Verwahrung zu nehmen. Der würde Dir bestimmt helfen, wenn Du ihm erklärst, daß Du zwar immer noch ein Hotel, aber kein Geld hast. In Leobschütz weiß man ja, wie es den Deutschen in Polen all die Jahre ergangen ist.

Erst hier, wo ich so allein mit meinen Gedanken bin, kommt mir so richtig zu Bewußtsein, daß ich mich viel zu wenig um Liesel gekümmert habe. Sie hätte mit ihrer Herzensgüte und Opferbereitschaft nach Mutters Tod einen besseren Bruder verdient. Und Du einen Sohn, der Dir beizeiten gedankt hätte für alles, was Du für ihn getan hast.

Du brauchst mir wirklich nichts hierher zu schicken. Mit den freien Lebensmitteln von der Farm habe ich alles, was ich zum Leben brauche, und bin guter Hoffnung, daß ich eines Tages eine Stellung bekomme, bei der ich genug verdiene, um Regina zur Schule zu schicken (kostet hier enormes Geld, und Schulpflicht haben sie auch nicht). Über Rosensamen würde ich mich allerdings sehr freuen. Dann würden auf diesem gottverdammten Fleck Erde die gleichen Blumen blühen wie vor meinem Vaterhaus. Vielleicht kann mir Liesel auch ein Rezept für Sauerkraut schicken. Ich habe gehört, daß Kraut hier gedeihen soll.

Es umarmt Euch beide in Liebe

Euer Walter

Rongai, den 27. Februar 1938

Meine liebe Jettel!

Heute kam Dein Brief vom 17. Januar an. Er mußte mir erst aus Nairobi nachgeschickt werden. Daß das überhaupt klappt, ist ein Wunder. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was Entfernungen in diesem Land bedeuten. Von mir zur Nachbarfarm sind es fünfundfünfzig Kilometer, und Walter Süßkind ist auf den schlechten, teilweise verschlammten Straßen drei Stunden unterwegs zu mir. Trotzdem war er bisher jede Woche da, um mit mir Schabbes zu feiern. Er stammt aus einem frommen Haus. Er hat das Glück, daß ihm sein Chef ein Auto zur Verfügung gestellt hat. Meiner, Mr. Morrison, glaubt leider, daß seit der Wüstenwanderung alle Kinder Israels gut zu Fuß sind. Ich bin nicht mehr von der Farm weggekommen, seitdem mich Süßkind hierher gebracht hat.

Leider gibt es keine Pferde. Der einzige Esel auf dieser Farm hat mich so oft abgeworfen, daß ich grün und blau war. Süßkind hat schrecklich gelacht und gesagt, afrikanische Esel könne man nicht reiten. Die ließen sich nicht für so dumm verkaufen wie die in deutschen Seebädern. Wenn du herkommst, wirst Du Dich auch daran gewöhnen müssen, daß es direkt ins Schlafzimmer regnet. Man stellt einfach einen Eimer auf und freut sich über das Wasser. Das ist nämlich kostbar. Vorige Woche hat es überall gebrannt. Ich war entsetzlich aufgeregt. Zum Glück war Süßkind gerade zu Besuch und hat mich über Buschfeuer aufgeklärt. Die gibt es hier immerzu.

Es tut mir gut zu wissen, daß der größte Teil Deines Briefes überholt ist. Inzwischen wirst Du ja erfahren haben, daß Deine Tage in Breslau gezählt sind. Bei dem Gedanken, Euch beide hier zu haben, schlägt mein Herz wie einst im Mai, als wir uns eine große Zukunft ausmalten. Heute wissen wir beide, daß nur eines wichtig ist – das Davonkommen.

Unbedingt weitermachen solltest Du mit Deinen Englischstunden, und es spielt wirklich keine Rolle, daß Dir der Lehrer nicht gefällt. Mit Spanisch kannst Du sofort aufhören. Das war doch nur für den Fall gedacht, daß wir Visa für Montevideo bekommen hätten. Um mit den Menschen auf der Farm zu reden, muß man Suaheli lernen. Da hat es der liebe Gott mal ausgesprochen gut mit uns gemeint. Suaheli ist eine sehr einfache Sprache. Ich konnte kein Wort, als ich nach Rongai kam, und jetzt bin ich schon soweit, daß ich mich leidlich mit Owuor verständigen kann. Er findet es wunderbar, wenn ich auf Gegenstände zeige und er mir dann die Dinge beim Namen nennen darf. Mich nennt er Bwana. So redet man hier die weißen Männer an. Du wirst die Memsahib sein (der Begriff wird nur für weiße Frauen gebraucht) und Regina das Toto. Das heißt Kind.

Vielleicht kann ich bis zu meinem nächsten Brief schon genug Suaheli, um Owuor klarzumachen, daß ich die Suppe nicht gern nach dem Pudding esse. Pudding kann er übrigens wunderbar kochen. Beim ersten Mal habe ich viele schmatzende Geräusche gemacht. Er hat zurückgeschmatzt, und seitdem kocht er jeden Tag den gleichen Pudding. Eigentlich müßte ich mehr lachen, aber es lacht sich nicht gut allein. Nachts schon gar nicht, wenn man sich nicht gegen die Erinnerungen wehren kann.

Wenn ich bloß schon Nachricht von Dir hätte und ob Ihr Schiffskarten habt. Wer hätte je gedacht, daß es so wichtig werden könnte, aus der Heimat herauszukommen. Jetzt gehe ich zum Melken. Das heißt, ich sehe zu, während die Boys melken, und lerne die Namen der Kühe. Das lenkt ab.

Schreib bitte sofort, wenn Du meine Briefe bekommst. Und versuche, Dich so wenig wie möglich aufzuregen. Du kannst sicher sein, daß meine Gedanken Tag und Nacht bei Euch sind.

Einen dicken Kuß für Euch beide, Deine Mutter und Deine Schwester.

Dein alter Walter

Rongai, den 15. März 1938

Meine liebe Jettel!

Heute kam Dein Brief vom 31. Januar. Er hat mich sehr traurig gemacht, weil ich Dir gar nicht helfen kann in Deiner Angst. Ich kann mir gut vorstellen, daß Du jetzt sehr viel Trauriges hörst, aber das müßte Dir auch zeigen, daß das Schicksal nicht nur uns getroffen hat. Es stimmt übrigens nicht, daß nur ich allein ausgewandert bin. Hier sind viele Männer, die erst versuchen wollen, eine Existenz zu schaffen, ehe sie die Familie nachholen, und die sind nun in der gleichen Lage wie ich – nur ohne das Glück, daß ein rettender Engel wie Rubens eingegriffen hat. Du mußt fest daran glauben, daß wir uns bald wiedersehen. Das sind wir dem lieben Gott schuldig. Es hat auch keinen Zweck, darüber zu grübeln, ob wir besser nach Holland oder nach Frankreich gegangen wären. Wir hatten ja gar keine Wahl mehr, und wer weiß, wozu es gut ist.

Es ist nicht mehr wichtig, daß sie Regina nicht in dem Kindergarten nehmen wollen. Und es spielt auch keine Rolle für unser ferneres Glück, daß Dich Leute nicht mehr grüßen, die Du seit Jahren kennst. Du mußt jetzt wirklich lernen, Unwichtiges von Wichtigem zu unterscheiden. Unser Leben nimmt keine Rücksicht mehr darauf, daß Du als verwöhnte höhere Tochter aufgewachsen bist. In der Emigration zählt nicht das, was man war, sondern nur, daß Mann und Frau am selben Strang ziehen. Ich bin sicher, daß wir es schaffen. Wenn du nur schon hier wärst und wir damit beginnen könnten.

Einen ganz dicken Kuß für Euch beide

Dein alter Walter

Rongai, den 17. März 1938

Lieber Süßkind!

Ich weiß nicht, wie lange der Boy mit diesem Brief unterwegs sein wird. Ich habe vierzig Fieber und bin nicht immer klar im Kopf. Falls mir was passieren sollte, findest Du die Adresse von meiner Frau im Kästchen auf der Kiste neben meinem Bett.

Walter

Rongai, den 4. April 1938

Meine geliebte Jettel!

Heute kam Dein Brief mit der so sehnsuchtsvoll erwarteten guten Nachricht. Süßkind hat ihn von der Bahnstation mitgebracht und ist natürlich schrecklich erschrocken, als ich in Tränen ausbrach. Stell Dir vor, dann hat der lange Lulatsch von einem Mann mitgeweint. Das ist das Gute, wenn man ein Refugee und kein deutscher Mann mehr ist. Man braucht sich seiner Tränen nicht zu schämen.

Wie lang wird mir die Zeit bis Juni werden, bis Ihr an Bord geht. Wenn ich mich richtig erinnere, ist die »Adolf Woermann« ein Luxusschiff und fährt rund um Afrika. Das heißt, daß Ihr oft und lange in den Häfen anlegen und länger unterwegs sein werdet als ich mit der »Ussukuma«. Versuche, die Zeit so gut wie möglich zu genießen, aber es ist besser für Euch, wenn Ihr Euch an Menschen haltet, die Neujahr im September feiern. Sonst gibt es überflüssige Probleme. Ich habe mich auf der Reise zu sehr in meiner Kabine verkrochen, und es war doch die letzte Gelegenheit, mit Menschen zu reden.

Schade, daß Du meinem Rat mit der Drei-Bett-Kabine nicht gefolgt bist. Das hätte uns viel Geld gespart, das uns nun hier fehlen wird, und dem Kind hätte eine fremde Schlafgenossin bestimmt nicht geschadet. Sie muß lernen, daß sie zwar Regina heißt, aber keine Königin ist.

Ich will jedoch nicht mit dir in einem Moment rechten, in dem ich so dankbar und glücklich bin. Es ist jetzt wichtig, daß Du deine Sinne beisammen hast und zusiehst, daß die Kisten mit Euch reisen können. Nicht, weil wir die Dinge so nötig brauchen, doch habe ich von Leuten gehört, die sich ihr Auswanderungsgut haben nachschicken lassen und heute noch darauf warten. Ich fürchte, Du hast nicht verstanden, wie wichtig ein Kühlschrank für uns ist. In den Tropen braucht man den so nötig wie das tägliche Brot. Du solltest Dich doch noch mal bemühen, einen zu finden. Süßkind könnte mir Fleisch aus Nakuru mitbringen, ohne Kühlschrank ist es jedoch schon nach einem einzigen Tag verdorben. Und Mr. Morrison nimmt es als Chef sehr genau. Eins seiner Hühner darf nur dann geschlachtet werden, wenn er auf die Farm kommt. Ich bin froh, daß er mich wenigstens die Eier essen läßt.

Gratuliere zur Petromaxlampe. Da müssen wir nicht mit Mr. Morrisons kostbaren Hühnern zu Bett gehen. Das Abendkleid hättest Du nicht kaufen sollen. Hier wirst Du keine Gelegenheit haben, es zu tragen. Du bist nämlich gewaltig im Irrtum, wenn Du glaubst, Leute wie Rubens würden Dich zu ihren Gesellschaften einladen. Erstens besteht eine gewaltige Kluft zwischen den alteingesessenen, reichen Juden und uns mittellosen Refugees, und zweitens lebt die Familie Rubens in Nairobi, und das ist weiter entfernt von Rongai als Breslau von Sohrau.

Ich darf Dir Deine falschen Vorstellungen von Afrika jedoch nicht verübeln. Ich hatte ja auch keine Ahnung, was uns erwartet und staune immer noch über Dinge, die Süßkind nach zwei Jahren selbstverständlich findet. Suaheli kann ich schon recht gut und merke immer mehr, wie rührend sich Owuor um mich sorgt.

Ich war nämlich krank. An einem Tag hatte ich hohes Fieber, und da hat Owuor darauf gedrungen, daß ich nach Süßkind schickte. Der kam noch spät in der Nacht hier an und erkannte sofort, was mit mir los war. Malaria. Zum Glück hatte er Chinin dabei, und es ging mir schnell wieder besser. Du darfst jedoch nicht erschrecken, wenn Du mich siehst. Ich habe sehr abgenommen und bin ziemlich gelb im Gesicht. Du siehst, der kleine Spiegel, den mir Deine Schwester zum Abschied schenkte und der mir damals so überflüssig vorkam, ist doch sehr nützlich. Leider erzählt er meistens unerfreuliche Geschichten.

Durch meine Krankheit ist mir klargeworden, wie wichtig Medikamente sind in einem Land, in dem man nicht nach dem Arzt telefonieren kann und ihn auch gar nicht bezahlen könnte. Vor allem brauchen wir Jod und Chinin. Deine Mutter wird bestimmt einen Arzt kennen, der es noch gut mit Menschen wie uns meint und der Dir die Sachen verschafft. Laß Dir auch erklären, wieviel Chinin man einem Kind gibt. Ich will Dir keine Angst machen, aber in diesem Land muß man lernen, sich selbst zu helfen. Ohne Süßkind wäre es übel um mich bestellt gewesen. Und natürlich ohne Owuor, der nicht von meiner Seite gewichen ist und mich gefüttert hat wie ein Kind. Er will übrigens nicht glauben, daß ich nur ein Kind habe. Er hat sieben, aber, wenn ich ihn richtig verstanden habe, auch drei Frauen. Stell Dir vor, er müßte für die ganze Familie Bürgschaften besorgen! Aber er hat ja eine Heimat. Ich beneide ihn sehr. Auch, weil er nicht lesen kann und nicht mitbekommt, was in der Welt geschieht. Merkwürdigerweise scheint er jedoch zu wissen, daß ich eine ganz andere Art von Europäer bin als Mr. Morrison.

Erzähl Regina von mir. Ob sie ihren Papa noch erkennt? Was mag das Kind von den Dingen mitbekommen? Am besten Du sprichst erst auf dem Schiff mit ihr. Da macht es nichts mehr, wenn sie was ausplappert. Mach Du nicht zu viele Abschiedsbesuche. Sie brechen nur das Herz. Mein Vater wird auch Verständnis dafür haben, wenn Ihr nicht noch einmal nach Sohrau fahrt. Ich glaube, es wird ihm sogar recht sein. Und gib Deiner Mutter und Käte einen Kuß von mir. Es wird schlimm für die beiden sein, wenn der Tag der Trennung kommt. Manche Gedanken kann man gar nicht zu Ende denken.

Seid beide innigst umarmt

Dein alter Walter

Rongai den 4. April 1938

Meine liebe Regina!

Heute bekommst du einen eigenen Brief, weil dein Papa so glücklich ist, daß er Dich bald wiedersehen wird. Du mußt jetzt besonders artig sein, abends immer beten und Mama helfen, wo du nur kannst. Die Farm, auf der wir alle drei leben werden, wird Dir bestimmt gefallen. Es sind nämlich sehr viele Kinder hier. Du mußt nur ihre Sprache lernen, ehe du mit ihnen spielen kannst. Hier scheint die Sonne jeden Tag. Aus Eiern kriechen kleine, niedliche Küken. Zwei Kälber sind auch schon geboren worden, seitdem ich hier bin. Aber eins mußt du wissen: Es werden nur Kinder nach Afrika hereingelassen, die keine Angst vor Hunden haben. Üb also, tapfer zu sein. Mut ist im Leben viel wichtiger als Schokolade.

Ich schicke Dir so viele Küsse, wie auf Deinem Gesicht Platz haben. Gib Mama, Oma und Tante Käte welche ab.

Dein Papa

Rongai, den 1. Mai 1938

Mein lieber Vater, meine liebe Liesel!

Gestern kam Euer Brief mit Rosensamen, Sauerkrautrezept und den neuesten Sohrauer Nachrichten hier an. Wenn ich doch nur in Worte fassen könnte, was so ein Brief bedeutet. Ich komme mir wie der kleine Junge vor, dem Du, lieber Vater, von der Front geschrieben hast. In jedem Deiner Briefe kamen Mut und Vaterlandstreue vor. Nur kam damals keiner von uns auf den Gedanken, daß man den meisten Mut braucht, wenn man kein Vaterland mehr hat.

Ich mache mir noch größere Sorgen um Euch als zuvor, seitdem die Österreicher heim ins Reich geholt worden sind. Wer weiß, ob die Deutschen nicht ein ähnliches Glück für die Tschechen vorgesehen haben. Und was wird aus Polen? Ich habe mir immer vorgestellt, ich könnte etwas für Euch tun, wenn ich erst in Afrika bin. Aber natürlich habe ich nie geahnt, daß man im zwanzigsten Jahrhundert Menschen nur auf Kost und Logis anstellt. Bis Jettel und Regina hier sind, ist nicht an eine Veränderung zu denken. Auch danach wird es schwer sein, eine Stellung zu finden, bei der es zu Eiern, Butter und Milch zusätzlich noch ein Gehalt gibt.

Setzt Euch wenigstens mit einer jüdischen Stelle in Verbindung, die Auswanderer berät. Dafür lohnt sich auch die Reise nach Breslau. Da könntet Ihr Regina und Jettel noch einmal sehen. Ich wollte ja nicht, daß die beiden vor der Abfahrt noch einmal nach Sohrau kommen. Aus Jettels Briefen merke ich, wie nervös sie ist.

Vor allem, lieber Vater, mach Dir keine Illusionen mehr. Unser Deutschland ist tot. Es hat unsere Liebe mit Füßen getreten. Ich reiße es mir jeden Tag aufs neue aus dem Herzen. Nur unser Schlesierland will nicht weichen.

Ihr fragt Euch vielleicht, weshalb ich hier draußen so gut über die Welt Bescheid weiß. Das Radio, das mir Stattlers zum Abschied geschenkt haben, ist ein wahres Wunder. Ich bekomme Deutschland so klar wie zu Hause. Außer meinem Freund Süßkind (er lebt auf der Nachbarfarm und war schon in seinem ersten Leben Landwirt) ist das Radio der einzige Mensch, der mit mir Deutsch spricht. Ob es Herrn Goebbels gefallen würde, daß der Jude von Rongai den Durst nach Muttersprache mit seinen Reden stillt?

Den Genuß gestatte ich mir nur abends. Tagsüber rede ich mit den Schwarzen, was immer besser klappt, und erzähle den Kühen von meinen Prozessen. Die Tiere mit den sanften Augen haben für alles Verständnis. Erst heute morgen sagte mir ein Ochse, daß ich recht hatte, mich nicht von meinem BGB zu trennen. Trotzdem kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, daß es einem Farmer weniger nutzt als einem Rechtsanwalt.

Süßkind behauptet immer, ich hätte genau den Humor, um in diesem Land zu bestehen. Ich fürchte, er verwechselt da einiges. Übrigens würde Wilhelm Kulas hier große Karriere machen. Mechaniker nennen sich Ingenieure und finden schnell Arbeit. Wenn ich jedoch behaupten würde, ich sei zu Hause Justizminister gewesen, würde mich das auch keinen Schritt weiterbringen. Dafür habe ich meinem Boy beigebracht, »Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren« zu singen. Wenn einer so viel Mühe mit jedem Wort hat wie er, dauert das Lied genau viereinhalb Minuten und eignet sich wunderbar als Eieruhr. Meine weichen Eier schmecken jetzt wie zu Hause. Ihr seht, ich habe auch meine kleinen Erfolge. Schade, daß die größeren so lange dauern.

Voller Hoffnung, daß sich bei Euch doch etwas tun wird, umarmt Euch mit sehr viel Sehnsucht

Euer Walter

Rongai, den 25. Mai 1938

Meine liebe Ina, meine liebe Käte!

Wenn Euch dieser Brief erreicht, sind Jettel und Regina, so Gott will, schon unterwegs. Ich kann mir denken, wie Euch zumute ist, aber in Worte kann ich nicht fassen, was mich bewegt, wenn ich an Euch und Breslau denke. Ihr habt Jettel geholfen, die Zeit unserer Trennung zu ertragen, und wie ich meine verwöhnte Jettel kenne, hat sie es Euch bestimmt nicht leichtgemacht.

Sorgt Euch nicht um Jettel. Ich bin bester Hoffnung, daß sie sich hier einleben wird. Bestimmt hat sie durch die Erfahrungen der letzten Jahre und besonders der letzten Monate begriffen, daß nur eines zählt, nämlich, daß wir zusammen und in Sicherheit sind. Ich weiß, liebe Ina, daß Du Dir oft Sorgen machst, weil ich ein Hitzkopf bin und Jettel ein störrisches Kind ist, das schnell die Fassung verliert, wenn es nicht nach seinem Willen geht, aber mit unserer Ehe hat das nichts zu tun. Jettel war die große Liebe meines Lebens und wird es auch immer bleiben. So schwer sie es mir auch manchmal macht.

Du siehst, die ewige afrikanische Sonne öffnet Herz und Mund, aber ich finde, manche Dinge muß man beizeiten aussprechen. Und da ich gerade dabei bin: eine bessere Schwiegermutter als Du, meine geliebte Ina, gibt es nicht noch einmal. Ich spreche hier nicht von Deinen Bratkartoffeln, sondern von meiner ganzen Studentenzeit. Ich war neunzehn Jahre alt, als ich in Dein Haus kam und Du mir das Gefühl gabst, ich sei Dein Sohn. Wie lange scheint das her, und wie wenig habe ich Dir Deine Güte entgelten können.

Ihr braucht jetzt alle Kraft für Euch selbst. Große Hoffnung setzte ich auf Euren Briefwechsel mit Amerika. Nutzt jede Möglichkeit. Ich weiß, daß Du nicht viel vom Beten hältst, Ina, aber ich kann es nicht lassen, Gott um seinen Beistand zu bitten. Hoffentlich gibt er mir eines Tages Gelegenheit, ihm zu danken.

Jettel und Regina werden hier wie Fürsten empfangen werden. Für Regina habe ich ein wunderbares Bett aus Zedernholz mit einer Krone am Kopfende bauen lassen. (Ich habe hier zwar nichts zum Leben, darf aber so viele Bäume fällen, wie ich will.) Die Krone habe ich auf Papier gezeichnet, und Owuor, mein treuer Boy und Kamerad, hat einen fast nackten Riesen mit einem Messer angeschleppt, der unsere Krone schnitzte. So ein schönes Stück gibt es bestimmt in ganz Breslau nicht. Für Jettel haben wir den Pfad zwischen dem Wohngebäude und dem Plumpsklo mit Brettern gepflastert, damit sie nicht im Lehm versinkt, wenn sie in der Regenzeit muß. Hoffentlich erschrickt sie nicht zu sehr, wenn sie erlebt, daß man hier selbst die kleinsten Geschäfte genau berechnen muß. Zwischen Haus und Klo läuft man drei Minuten. Bei Durchfall weniger. Grüßt mir das Rathaus und alle, die den Meinen beigestanden haben. Und gebt gut auf Euch acht. Wie dumm komme ich mir vor, so etwas zu schreiben, aber wie soll man ausdrücken, was man empfindet?

In großer Liebe

Euer Walter

Rongai, den 20. Juli 1938

Meine geliebte Jettel!

Heute erhielt ich Deinen Brief aus Southampton. Kann ein einzelner Mensch so dankbar, glücklich und erleichtert sein? Endlich, endlich, endlich. Wir können uns wieder ohne Angst schreiben. Ich bewundere Dich sehr, daß du mir die Häfen angegeben hast, in denen die »Adolf Woermann« Post aufnimmt. Auf die Idee bin ich damals nicht gekommen. Dieser Brief geht also nach Tanger. Wenn die Post sich nach meinen Berechnungen richtet, müßte er Dich gut dort erreichen. Um Dir nach Nizza zu schreiben, wäre die Zeit zu knapp gewesen. Hoffentlich bist Du nicht zu enttäuscht. Ich weiß inzwischen sehr gut, wie es ist, wenn man auf Post wartet.

In Tanger wird Regina die ersten schwarzen Menschen sehen. Hoffentlich erschrickt unser kleiner Angsthase nicht zu sehr. Ich habe mich sehr gefreut, daß sie die Aufregungen der Abfahrt gut überstanden hat. Vielleicht haben wir sie immer für zarter gehalten, als sie ist. Wie es Dir zumute war, kann ich mir denken. Daß Deine Mutter Dich nach Hamburg begleitet hat, ist mir sehr nahegegangen. Daß ein Herz ohne Hoffnung immer noch an andere denken kann!

Laß Dir keine grauen Haare wachsen, weil Du nun doch nicht den Kühlschrank gekauft hast. Wir legen Fleisch und Butter einfach in Dein neues Abendkleid und hängen das Ganze in der prallen Sonne in den Wind. So kühlt man hier wirklich Lebensmittel, wenn auch nicht in Seidenstoffen, aber wir können es ja versuchen. Dann hast Du das Gefühl, daß so ein Abendkleid wenigstens zu etwas nutze ist. Gestern habe ich Bananen gekauft. Nicht ein Pfund und nicht ein Kilo, sondern einen ganzen Stamm mit mindestens fünfzig Stück. Regina wird staunen, wenn sie so etwas sieht. Von Zeit zu Zeit kommen Frauen mit riesigen Bananenstauden vorbei und bieten sie auf den Farmen an. Beim ersten Mal sind alle Schwarzen zusammengelaufen und haben sich fast totgelacht, weil ich nur drei Stück kaufen wollte. Die Bananen sind sehr billig (selbst für Nebbiche) und ganz grün, aber sie schmecken wunderbar. Ich wollte, alles würde hier so gut schmecken.

Ich glaube, Owuor freut sich, daß Ihr kommt. Mit mir war er drei Tage lang böse. Als ich nämlich endlich genug Suaheli gelernt hatte, um ganze Sätze zu bilden, habe ich ihm verraten, daß ich nicht jeden Tag den gleichen Pudding will. Das hat ihn vollkommen aus der Fassung gebracht. Immer wieder warf er mir vor, daß ich seinen Pudding schon am ersten Tag gelobt hätte. Dabei ahmte er meine schmatzenden Geräusche von unserer ersten Puddingbegegnung nach und sah mich höhnisch an. Ich stand wie ein begossener Pudel da und wußte natürlich nicht, was Abwechslung auf Suaheli heißt, falls es dieses Wort überhaupt gibt.

Es dauert sehr lange, ehe man die Mentalität der Menschen hier versteht, aber sie sind sehr liebenswert und bestimmt auch klug. Vor allem kämen sie nie auf die Idee, Menschen einzusperren oder sie aus dem Land zu jagen. Ihnen ist es egal, ob wir Juden oder Refugees oder unglücklicherweise gleich beides sind. An guten Tagen glaube ich manchmal, daß ich mich an dieses Land gewöhnen könnte. Vielleicht haben die Schwarzen eine Medizin (heißt hier Daua) gegen Erinnerungen.

Jetzt muß ich Dir noch von einem ganz großen Erlebnis erzählen. Vor einer Woche stand plötzlich Heini Weyl vor mir. Genau der mit dem großen Wäschegeschäft am Tauentzienplatz, den ich damals auf Vaters Rat hin aufsuchte, als ich gelöscht wurde und nicht wußte, wohin wir auswandern sollten. Heini hat mir ja damals zu Kenia geraten, weil man ja nur fünfzig Pfund pro Kopf brauchte.

Er ist schon seit elf Monaten im Land und hat versucht, in einem Hotel unterzukommen, was jedoch nicht geklappt hat. Kellner zu sein gilt als nicht standesgemäß für Weiße, und für die besseren Positionen muß man Englisch können. Nun hat er eine Stellung als Manager (ist hier jeder, selbst ich) auf einer Goldmine in Kisumu gefunden. Seinen Optimismus hat er behalten, obwohl Kisumu ein schrecklich heißes Klima haben soll und als Malariagegend verrufen ist. Weil Rongai auf dem Weg von Nairobi nach Kisumu ist, hat Heini in einem Wagen, den er für sein letztes Geld gekauft hat, mit seiner Frau Ruth bei mir Station gemacht. Wir haben die ganze Nacht gequatscht und uns von Breslau erzählt.

Owuor vergaß seinen Puddingärger und kam mit einem Huhn an, obwohl die ja nur für Mr. Morrison geschlachtet werden dürfen. Er behauptete, das Huhn sei ihm direkt vor die Füße gelaufen und tot umgefallen.

Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was Besuch auf der Farm bedeutet. Man kommt sich wie ein Toter vor, der wieder zum Leben erweckt worden ist.

Leider haben Weyls erzählt, daß Fritz Feuerstein und die beiden Brüder Hirsch verhaftet worden sind. Wie ich aus einem Brief von Schlesingers aus Leobschütz weiß, haben sie auch Hans Wohlgemut und seinen Schwager Siegfried geholt. Ich weiß das schon lange, aber ich hatte Angst, Dir von Verhaftungen zu schreiben, solange Du noch in Breslau warst. So habe ich Dir auch nie berichtet, daß unser guter, treuer Greschek, der es sich ja bis zum Schluß nicht nehmen ließ, zu einem jüdischen Anwalt zu gehen, mich im Zug bis nach Genua begleitet hat. Und einen Brief hierher hat er mir auch geschrieben. Hoffentlich versteht er, daß ich ihm um seinetwillen nicht geantwortet habe.

Was sind wir doch für Glückskinder, daß wir uns wieder ohne Angst schreiben können. Was spielt es da für eine Rolle, daß Du Dir auf der »Adolf Woermann« anhören mußt, wie die Nazis an Deinem Tisch das Hitlerbild anschwärmen? Du mußt wirklich lernen, Kränkungen nicht mehr wichtig zu nehmen. Das können sich nur reiche Leute leisten. Es zählt allein, daß Ihr auf der »Adolf Woermann« seid, und nicht, wer mitfährt.

In einem Monat wirst Du die Leute, die Dir auf den Magen schlagen, nicht mehr sehen. Owuor weiß überhaupt nicht, wie man Menschen kränkt.

Süßkind ist bester Hoffnung, daß sein Chef ihm erlauben wird, mit dem Wagen nach Mombasa zu fahren. Dann können wir Euch beide abholen und direkt hierherbringen. Direkt bedeutet übrigens eine Reise von mindestens zwei Tagen auf ungeteerten Straßen, aber wir können eine Nacht in Nairobi bei einer Familie Gordon unterkommen. Gordons leben schon vier Jahre dort und sind immer bereit, Neuankömmlingen zu helfen. Sollte Süßkinds Chef nicht einsehen, daß ein Refugee nach Monaten der Todesangst das Bedürfnis hat, seine Frau und sein Kind in die Arme zu schließen, dann sei nicht traurig. Einer von der Jüdischen Gemeinde wird Euch in Mombasa in den Zug nach Nairobi setzen und dann für die Weiterfahrt nach Rongai sorgen. Die Gemeinden sind hier großartig. Schade, daß das nur für die Ankunft gilt.

Ich zähle nicht mehr die Wochen, sondern die Tage und Stunden, bis wir uns wiedersehen, und komme mir dabei wie der Bräutigam vor der Hochzeitsnacht vor.

Sei innigst umarmt von

Deinem alten Walter

2

Toto«, lachte Owuor, als er Regina aus dem Auto hob. Er warf sie ein kleines Stück dem Himmel entgegen, fing sie wieder auf und drückte sie an sich. Seine Arme waren weich und warm, die Zähne sehr weiß. Die großen Pupillen der runden Augen machten sein Gesicht hell, und er trug eine hohe, dunkelrote Kappe, die wie einer jener umgestülpten Eimer aussah, die Regina vor der großen Reise im Sandkasten zum Kuchenbacken genommen hatte. Von der Kappe schaukelte eine schwarze Bommel mit feinen Fransen; sehr kleine schwarze Locken krochen unter dem Rand hervor. Über seiner Hose trug Owuor ein langes weißes Hemd, genau wie die fröhlichen Engel in den Bilderbüchern für artige Kinder. Owuor hatte eine flache Nase, dicke Lippen und einen Kopf, der wie ein schwarzer Mond aussah. Sobald die Sonne die Schweißtropfen auf der Stirn glänzen ließ, verwandelten sie sich in bunte Perlen. Noch nie hatte Regina so winzige Perlen gesehen.

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