Nordische Göttersagen - Waldtraut Lewin - E-Book
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Waldtraut Lewin

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Beschreibung

Odin, Thor und Freyja – diese Namen hat jeder schon einmal gehört. Aber nur die wenigsten kennen auch die Geschichten, die sich um die Göttergestalten aus Walhall ranken. Vom Anbeginn der Welt bis zu ihrem Untergang spannt sich der Bogen der hier versammelten nordischen Sagen. Sie erklären, warum Thor mit seinem Wagen am Himmel entlangfährt, was es mit dem Zaubertrank Dichtermet auf sich hat und welche Nachrichten die Raben Hugin und Munin dem weisen Göttervater Odin zutragen.

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Seitenzahl: 313

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INHALT

DAS WERDEN DER WELTEN

Wie die Welt entstand

ASEN UND VANEN

Das Göttergeschlecht der Asen

Odin erwirbt Wissen

Odins Runenlied

Frey und Gerd

Loki wird ein Gott

Loki und die Zwerge

Odin wettet mit Wafthrudnir

Asen und Vanen streiten

Odin holt den Met der Dichtkunst

Der betrogene Baumeister

Der Zweikampf zwischen Thor und Hrungnir

Lokis Kinder

ODIN UND DIE ERDENSÖHNE

Odin kümmert sich um die Menschen

Odin besucht einen Schmied

Odins Walhall

Odins Helden

Sein Pflegesohn Starkad

König Geirrod

Harald Kampfzahn

Harald Kampfzahns Ende

GESCHICHTEN VON THOR

Thor holt seinen gestohlenen Hammer zurück

Thor besucht einen Riesenkönig

Thor besorgt einen Braukessel

Thor besucht den Riesen Geirröd

Thors Vertraute

Rolf wird zu Thorolf

Der Kampf um den Thingplatz

Odin spielt Thor einen Streich

DAS GOLD DES ZWERGES ANDWARI UND SIGURDS ABENTEUER

Der verfluchte Goldschatz

Sigurd erwirbt den Goldschatz

Sigurd befreit Brynhild

Sigurds Ermordung

Gudrun nimmt Rache

GESCHICHTEN VON LOKI

Iduns Raub

Skadi wird versöhnt

Loki stiehlt Freyjas Halsschmuck

VORZEICHEN DER ENDZEIT

Balder träumt seinen Tod

Loki verhöhnt die Götter

Das Mühlenlied

BALDERS TOD UND DAS ENDE DER WELT

Balder wird ermordet

Balder wird bestattet

Hermod besucht das Totenreich

Loki wird von den Asen bestraft

Höd ereilt seine Strafe

Das Ende der Welt naht

Eine neue Welt entsteht

NACHBEMERKUNG

DAS WERDEN DER WELTEN

Wie die Welt entstand

In der Urzeit war an der Stelle, wo später die Welt entstehen sollte, nur ein riesig gähnender Abgrund, die Urschlucht. Es gab weder Himmel noch Erde. Alles war leer und tot. Nirgendwo war Leben.

Nördlich dieser Schlucht befand sich Niflheim, das war das Land des ewigen Eises. Kalt und dunkel war es dort, und die Nebel wallten und umschleierten die Gletscher. Aber aus den Nebeln tropfte Wasser und sammelte sich zu Quellen, und über Zeiten und Zeiten hinweg vereinigten sich die Wasser in einem riesigen brausenden Kessel. Als der Kessel gefüllt war, begann er überzuströmen. Elf Flüsse entstanden da, und sie alle bewegten sich auf die Urschlucht zu. Aber die Kälte war zu groß. Nicht weit von dem Kessel ihres Ursprungs entfernt, erstarrten sie bereits wieder zu Eis, und Gischt und Reif stürzten unterm Heulen des Sturmwinds wie riesige Lawinen in den Abgrund.

Im Süden der Urschlucht dagegen lag Muspelheim, die Stätte des unauslöschlichen Feuers. Von dort stob ein Funkenregen nordwärts, begleitet von glühend heißen Winden. Feuer und Eis prallten nun aufeinander, es zischte und sprühte, Dampf wallte auf, das Wasser kochte und brodelte.

Aus der vereinten Kraft von Feuer und Wasser, aus Widerstreit und Miteinander entstand ein Urwesen, ein Ungeheuer mit Namen Ymir. Dies Wesen war Mann und Frau zugleich.

Die Riesengestalt war nicht mit Vernunft begabt, Geist oder Klugheit gehörten nicht zu ihrem Wesen; Nahrung und Schlaf war alles, was sie wollte und brauchte. Aber während sie so vor sich hindämmerte, erwuchs neues Leben aus ihr, denn sie war fruchtbar. Aus dem Schweiß ihrer Achselhöhlen entstanden ein Mann und eine Frau, und ihre beiden Füße zeugten einen Sohn miteinander. Von diesen Erstgeborenen der Schöpfung, Mann und Frau, von Achselschweiß und Sohn der Füße, stammten alle Riesen ab, Frostriesen und Bergriesen.

Doch der Zusammenprall der Elemente brachte nicht nur das Ungeheuer Ymir hervor. Die Feuersäulen und Nebelbänke, das zischende, brausende Gemisch von Eis und Glut gebar alsbald ein zweites Wesen: Eine Kuh ohne Hörner mit Namen Audumla entstand.

Es gab ja noch kein Gras, und so ernährte sich diese Kuh von dem Salz der Eisblöcke, die sie umgaben. Aus ihrem Euter strömten milchreiche fette Ströme. Und Ymir, das gewaltige Urwesen, trank davon und wuchs und wuchs immer weiter.

Und die Kuh leckte das salzige Eis, und eines Tages, nach Zeiten und Zeiten, berührte ihre Zunge eine Haarflechte. Was war da eingeschlossen in den uralten Blöcken? Am zweiten Tag leckte Audumla einen Kopf frei und am dritten den ganzen Mann. Der war schön und ansehnlich, nicht so ein Ungeheuer wie Ymir vordem, und sah sich sehr bald nach einer Frau um in dieser Welt aus Feuer und Eis. Es gab aber nur Riesen und Riesinnen, und so nahm der Mann aus dem Eis eine Riesin zur Gattin.

Sie gebar den ersten jener Götter, die die Asen genannt wurden, der hieß Odin und hatte zwei Brüder, Vili und Ve. Nun gab es bereits Riesen und Götter.

Und noch einmal gebar das Chaos: Aus glänzenden Nebeln traten drei schöne, geheimnisvolle Frauengestalten hervor. Keiner weiß, woher sie kamen und wohin sie gehen würden. Es sind dies die drei Nornen, die Lenkerinnen des Geschicks von Göttern und Menschen, die Schicksalsfrauen, die über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Bescheid wissen. Sie sind älter als die Götter, denn sie kamen aus einer Tiefe, die den Göttern nicht bewusst war, und ihre Weisheit hält die Welt zusammen. Ihre Weissagungen sind unfehlbar. Sie stammen aus jener Urzeit, dem gähnenden Abgrund, bevor die Welt entstand und ihren ersten Atemzug tat.

Die drei jungen Götter, Odin, Vili und Ve, sie wuchsen heran so schnell wie der Wind. Nun wollten sie sich erproben und Neues schaffen, neue Welten erbauen. Aber die Frostriesen standen ihnen überall im Weg. Sie stapelten Eisblöcke auf den Pfaden der drei Brüder auf, ließen Gletscher entstehen und Flüsse gefrieren. Und Ymirs mächtiger Leib, genährt von der Kuh Audumla, wuchs und wuchs, er engte die Brüder ein und hemmte sie.

Da erschlugen sie kurzerhand den Ur-Riesen.

Aus seinen Wunden strömten unendliche Bäche Blut, die zu einer Sintflut anschwollen. In dieser Blutflut ertranken die ersten Riesen alle – bis auf einen einzigen. Der bestieg mit seiner Frau und seinem Hausgesinde einen ausgehöhlten Baumstamm und entkam der Vernichtung. Er wurde der Stammvater des neuen Riesengeschlechts, und dessen Hass gegen die Götter stammt aus dieser Zeit, denn hätten die drei Brüder Ymir nicht umgebracht, so würde das alte Riesengeschlecht das All beherrschen.

Die göttlichen Brüder indes warfen die Leiche Ymirs in die Urschlucht. Nun endlich hatten sie die Stoffe, die sie brauchten. Aus Ymir bauten sie die Welt. Sein Fleisch wurde die Erde, sein Blut die Ozeane, die wie ein Ring um die Erde liegen. Ymirs Schädel wurde die Wölbung des Himmels, an allen vier Ecken von Zwergen bewacht, deren Namen Osten, Westen, Süden und Norden waren.

Und die Götter formten und arbeiteten weiter: Ymirs Gebeine mussten zu Bergen werden, seine Kinnbacken und Zähne zu Steinen. Die Bäume wurden aus seinem Haar geschaffen, die Wolken aus seinem Hirn.

Dann schufen sie in der Mitte der tosenden ozeanischen Wasser Midgard, die bewohnte Welt der Menschen, und Odin umgab sie mit einem mächtigen Schutzwall aus den Augenbrauen und Wimpern des toten Ungetüms.

Alles, was außerhalb von Midgard liegt, heißt Utgard und ist eisig und unbewohnbar für Menschen und Götter, mit alles verschlingenden Sümpfen und baumlosen Gebirgen. Hier hausen die Nachkommen des Riesen, welcher der Sintflut entkam, dazu Trolle und andere Unholde.

Odin jedoch, der Machtvollste, der Schöpfergott, hauchte seinen Leben spendenden Atem über Midgard hin. Da begann das Gras zu sprießen, allerlei Pflanzen und Bäume schossen aus dem Boden empor, die Ähren wogten im Wind. Vögel sangen in den Bäumen, Tiere sprangen im Wald herum, und das klare Wasser bevölkerten Fische.

Und um die Nacht zu beleben, griff der Gott die Funken Muspelheims und besäte damit den dunklen Himmel. So entstanden die Gestirne.

Nachdem die Götter die Welt für die künftigen Menschen bewohnbar gemacht hatten, dachten sie auch an sich. In der Mitte der Erde, auf einem hohen Berg, errichteten sie ihren eigenen Wohnsitz, eine befestigte Stätte, die hoch in die Wolken ragt. Und weil sie das Geschlecht der Asen genannt wurden, erhielt ihr Wohnsitz den Namen Asgard.

ASEN UND VANEN

Das Göttergeschlecht der Asen

Die Asen, von denen es bald mehr geben wird als nur jene drei – sie waren weiterhin voll unbändigen Tatendrangs und voller Einfälle. Noch hatten sie sich nicht angewöhnt, den lieben langen Tag in der Halle zu sitzen, zu spielen und Met zu trinken, wie sie das später gern taten. Sie erbauten ihren Wohnsitz mit eigenen Händen. Sie brachen Steine und fällten Bäume, gruben Erz, bauten Öfen mit Blasebälgen und schmolzen aus taubem Gestein edle Metalle. Sie erfanden Amboss, Hammer, Zangen und andere Werkzeuge, stellten Hausgerät her und Speere, Äxte und Bögen, um das Wild zu jagen. Sie förderten auch Gold und fertigten kunstreichen Schmuck und Tafelgeschirr.

Und all diese Künste lehrten sie auch die Menschen, die sie nun ebenfalls geschaffen hatten, die immer zahlreicher wurden und mit denen sie in Freundschaft zusammenlebten.

Außerdem waren sie zauber- und sangeskundig, und vor allem Odin verstand es, Runen zu schnitzen, magische Schrift- und Symbolzeichen, die dem, der sie kannte, Macht über die Natur und über andere Lebewesen verliehen.

Die Asen schufen sich eine Versammlungshalle, wo sie auf erhöhten Sitzen zusammenkommen konnten, Bier, Wein und Met aus goldenen Gefäßen tranken bis zum Umfallen, ein Brettspiel mit goldenen Figuren spielten und sich vergnügten. Die Halle glänzte von edlen Steinen und kostbarem Metall.

Gleich daneben befindet sich Walhall, der Ort, wo sich die verstorbenen Krieger versammeln.

Jeder Gott besitzt außerdem seine gesonderte Wohnung, und in Odins Haus gibt es einen hohen Aussichtsturm, von dem aus er alles beobachten kann, was in der Welt geschieht.

Eine wunderbare Brücke, die Midgard und Asgard verbindet und auf der die Götter zu den Menschen gelangen, trägt den Namen Bifröst. Wenn es geregnet hat, kann jeder Sterbliche sie sehen: Es ist der Regenbogen.

Wenn die Götter jedoch Rat halten wollen, versammeln sie sich beim Weltenbaum, der Esche Yggdrasil. Das ist der Lebensbaum aller drei Welten, auch der von Utgard. Seine Krone stützt den Himmel, und seine Zweige geben weithin Schatten. Yggdrasil kann niemals welken, denn sie ist ein Heiligtum. Verdorrt ein Zweig, sprießen sofort neue hervor. Und wenn die Hirsche mit gebogenem Hals Blätter und Knospen abbeißen von diesem Baum – so wachsen sie sofort wieder nach, noch üppiger als vorher.

Mit drei starken Wurzeln ist die Weltesche besonders verankert: Eine reicht zu den Göttern und Menschen, die zweite zu den in Utgard hausenden Riesen, die dritte zum eisigen Norden, nach Niflheim. Und unter jeder Wurzel entspringt eine Quelle. Vielerlei Geheimnisse verbinden sich mit diesen Quellen oder Brunnen – von ihnen wird noch zu hören sein.

Vielerlei wundersame Tiere haben sich Yggdrasil als Wohnung ausgesucht: darunter ein Hahn, der auf der Spitze wacht, ein Adler, der Ausschau nach Feinden hält, und ein Habicht, der macht das Wetter.

Ein geschwätziges Eichhörnchen mit listigem Geist läuft am Stamm auf und nieder. Es erzählt den drei Wesen, die oben auf der Esche hausen, was unten geschieht, und umgekehrt. Dabei verdreht es häufig die Wahrheit, und so kommt Streit auf zwischen den Bewohnern Yggdrasils.

Unter der Wurzel, die nach Niflheim hinabführt wie ein gewaltiger Pfahl, wohnen unzählige Schlangen. Sie nagen an den zarteren Wurzeln des Baums, und mitten unter ihnen sitzt ein Drache namens Nidhögg, der sich bemüht, jene Pfahlwurzel zu zerbeißen. Aber die Weltesche, scheinbar unzerstörbar, senkt unermüdlich neue starke Wurzeln in die Erde.

Unter jener Wurzel, die zu den Riesen führt, liegt der Brunnen des Mimir. Das ist ein Wesen von unerschöpflicher Weisheit, und die Weisheit rührt daher, dass es täglich aus diesem geheimnisvollen Brunnen trinkt. Das Wasser des Brunnens verleiht die Gabe, das dunkelste Rätsel der Welt zu durchschauen.

Die dritte Wurzel aber, die zur Menschenwelt reicht, wölbt sich über dem Brunnen und dem Wohnsitz der drei Nornen. Jene weisen Schicksalsfrauen, von deren Ursprung nichts bekannt ist, sind älter als die Götter – und auch mächtiger. Sie sind diejenigen, die alles wissen, Gedeih und Verderb der Welt liegt in ihren Händen. Eine ist für die Vergangenheit, die zweite für die Gegenwart, die dritte für die Zukunft wissend. Die Nornen sitzen dort unten, tief in der Erde, und tränken die Weltesche mit heiligem Wasser und nähren sie mit Lehm. Und außerdem spinnen sie die Schicksalsfäden aller Wesen der Welt. Nur sie wissen, was einst geschieht.

Die Asengötter, deren Geschichten hier erzählt werden, sind so vielfältig und in ihrem Wesen so unterschiedlich, wie es nur geht. Die wichtigsten sind folgende:

Der oberste der Götter ist Odin. Er ist hochgewachsen und stattlich und liebt es, sich mit einem wallenden Mantel und einem großen Hut zu vermummen und in unterschiedlicher Gestalt aufzutreten. Als Meister der Zauberkunde kann er Runen schneiden und Krankheiten heilen, er ist fähig, dem einen Kraft und Verstand zu rauben und sie dem anderen zu verleihen. Von seinem Hochsitz aus überblickt er die ganze Welt und kann in die Geschicke der Menschen eingreifen, wann immer er es will. Niemand vermag ihn zu durchschauen.

Auf seiner Schulter sitzen zwei Raben, die sendet er jeden Tag zur Erkundung in die Welt hinaus. Wenn sie abends zurückkommen, flüstern sie ihm alles ins Ohr, was sie erfahren haben. Munin ist der, der die Erinnerung wachhält, Hugin regt den Gott zu neuen Entschlüssen an. Immer forscht Odin nach den Urgründen der Dinge, und ständig quält ihn ein Gedanke: Das ist die Götterdämmerung, Ragnarök genannt, von der er erfahren hat, ein Weltenbrand, in dem Menschen und Asen untergehen werden. Was er dagegen unternimmt, wird noch erzählt werden – ebenso, wie er zu einem berühmten und gefürchteten Speer gekommen ist und seinem Ross, und auch, warum er nur ein Auge hat, soll noch berichtet werden.

Odin liebt und beschützt die Menschen, vor allem Könige und Krieger, aber er ist auch den Freuden der Liebe nicht abgeneigt. Wenn er in Midgard unterwegs ist, können die Wissenden ihn an seinem dunkelblauen Mantel und seinem großen Schlapphut erkennen.

Auf seinen Hochsitz darf ihn nur seine Gattin Frigg begleiten, weil Odin behauptet, den anderen Göttern würde die Weisheit und der Überblick fehlen, das zu deuten, was sie sehen. Ansonsten schützt Frigg die Ehe und den häuslichen Herd. Oft hat Frigg Grund zur Eifersucht, denn Odin wirft gern einen Blick auf die schönen Töchter der Menschen.

Frigg hat die Gabe der Weissagung und wird oft befragt von den Menschen, wenn es darum geht, eine dunkle Zukunft durchschaubar zu machen. Mit einem Falkengewand kann sie sich in die Lüfte erheben.

Sie trägt ein Schlüsselbund am Gürtel wie eine gute Hausfrau und hat die Menschenweiber das Spinnen und Weben gelehrt. In der festlichen Halle der Götter, bei ihren Gelagen, darf sie auf dem Ehrenplatz an Odins Seite sein.

Bevor Frigg seine Gattin wurde, hatte Odin schon einmal eine Gefährtin, eine Erdgöttin namens Jörd. Mit ihr zeugte er den Donnergott Thor, den Zweitwichtigsten im Kreis der Asengötter. Er ist rothaarig und hat einen gewaltigen Bart. Wenn er auf seinem Gespann von Ziegenböcken daherkommt, rollt der Donner durch den Himmel. Er hat einen Kraftgürtel, der ihn nahezu unbesiegbar macht. Sein Hammer Mjöllnir zerschmettert nicht nur die Feinde, sondern ist auch ein Mittel des Segens. Mit ihm weiht man die Braut, damit die Ehe fruchtbar werde, man heiligt das Haus, mit seinem Wurf steckt man die Grenzen der Felder ab und segnet schließlich den Scheiterhaufen, auf dem die Toten nach Walhall fahren oder zur Hel hinab, die das Reich der ruhmlos Gestorbenen regiert.

Thor ist aufbrausend und jähzornig, aber auch schnell wieder zur Freundlichkeit geneigt. Er beschützt vor allem die Bauern, deren Freund er ist, und bekämpft für sie die mächtigen Bergriesen von Utgard, denen das fruchtbare Land nach und nach erst abgerungen werden muss, und die steinernen Ungetüme, die boshaften und menschenfeindlichen Trolle. Für Könige und stolze Krieger hat er nicht viel übrig.

Seine Gattin Sif ist berühmt wegen ihres goldenen Haares, das ihr aber auch ein Missgeschick einbringt (auch dies soll später erzählt werden).

Odins Frau Frigg indessen hat den schönen und freundlichen Lichtgott Balder geboren; ihm zur Seite steht sein Freund und Bruder, der blinde Höd. Mit ihm sitzt Balder bei den üppigen Gelagen zusammen, er reicht ihm die Speisen und füllt ihm das Trinkhorn. Auch führt er ihn spazieren oder besucht mit ihm die anderen Asen in ihren Wohnungen. Die beiden sind unzertrennlich, so gegensätzlich sie sind, denn Höd ist der froststarrende Winter, während Balder die aufgehende Sonne und den Frühling verkörpert.

In einem Lied wird Balder so beschrieben: »Er ist von allen der Beste, und alle Wesen loben ihn. Er ist schön von Angesicht und so herrlich, dass ein großer Glanz von ihm ausgeht. Seine Wimpern, Brauen und sein Haar sind fast weiß. Er ist der wohltätigste der Asen, redet wider den Streit, versöhnt die Kämpfer, verbreitet Milde. An ihm ist nichts Unreines, nichts Böses.«

Balder ist auch ein Freund der Elben, jener Lichtwesen, die ungekannt neben den Menschen in Midgard leben und die zu keiner Übeltat fähig sind.

Gern kehren Balder und Höd bei der blühenden Idun ein.

Sie ist die Bewahrerin der goldschimmernden Äpfel, von denen die Asen jeden Tag essen und die ihnen ewige Jugend verleihen. Diese Äpfel trägt sie in einem Korb mit sich, und jeden Tag ist der Korb mit neuen frischen Früchten gefüllt. Sie selbst strahlt ebenfalls vor Gesundheit und Kraft, und man bittet sie gern um Hilfe, wenn man erkrankt ist.

Ihr Mann heißt Bragi, er trägt einen langen Bart, und auf seiner Zunge sind Runen eingeritzt. Deshalb ist er redegewandt und sangeskundig. Von Schlachten versteht er nichts, und von Kämpfen hält er sich fern. Er kennt alle Geschichten aus grauer Vorzeit, und keiner kann sie vortragen wie er. So lauschen die Asen ihm gern, wenn sie feiernd in der Halle sitzen.

Tyr dagegen ist der Gott des Krieges und ein Bruder von Thor. Seinem Schwert kann nichts widerstehen. Aber er ist kein blindwütender Kämpfer, sondern gleichzeitig der Gott, der in der Welt für Recht und Gerechtigkeit steht. Wenn er seine Schwurhand, die Rechte, hebt zu einem feierlichen Eid, steht die Wahrheit stets auf seiner Seite. Darum rufen die Menschen ihn bei Kämpfen an, damit er dem Richtigen zum Siege verhilft, aber auch vor einer Schlacht, damit er unsichtbar in den Reihen der Erdensöhne mitkämpft und denen zum Sieg verhilft, auf deren Seite das Recht ist. Er ist auch auf dem Thingplatz zugegen, dem Ort, wo man sich versammelt, um Streitigkeiten zu schlichten und Gericht zu halten. Zornig straft er Meineidige und Verräter.

Forseti ist ein Sohn Balders, den er mit seiner frühlingshellen Frau Nanna zusammen hat. Auch Forseti hat mit der Rechtsprechung zu tun, er sorgt dafür, dass die Formen gewahrt werden und die Richter das rechte Wort finden, und nachdem Tyr, wie noch zu hören sein wird, seine Schwurhand verloren hat, muss er die Eidschwüre heiligen. Genau wie Hönir wacht er über die Formen der Gerechtigkeit, wobei Hönir sehr gern zwischen Menschen und Göttern vermittelt.

Dann gibt es da noch Heimdall. Er ist der scharfäugige Wächter an der gewaltigen regenbogenfarbigen Asenbrücke, er behütet Asgard, die Welt der Götter, und warnt vor Feinden – Riesen und Trollen und anderen Unholden, von deren Gefährlichkeit noch erzählt werden soll. Heimdall hört das Gras am Boden und die Wolle auf den Schafen wachsen, so scharf ist sein Gehör, seine Augen blicken Tag und Nacht gleich weit, und er braucht weniger Schlaf als ein Vogel im Fluge. Er ist der Klügste unter den Göttern.

Auch Heimdall ist strahlend schön und besitzt die Kraft, in die Zukunft zu schauen.

Loki hingegen ist wohl die zwiespältigste Gestalt im Reigen der Asengötter. Er ist das unstete Feuer, und seine Lust an Abenteuern, Streichen und tollkühnen Unternehmungen ist den Göttern bald lieb, bald leid. Boshaft kann er sein und voller Ränke; dabei ist er ebenfalls schön von Angesicht. Durch Blutsbrüderschaft ist er Odin verbunden. Loki ist zauberkundig, und er besitzt ein paar schnelle Schuhe, mit denen ihm die Flucht leicht gemacht ist, wenn er jemanden beleidigt oder verletzt hat.

Auch Loki ist verheiratet und hat zwei Söhne mit seiner Frau Sigyn, die treu zu ihm steht in guten und bösen Stunden.

Dann gibt es noch das Geschwisterpaar Frey und Freyja. Sie gehören ursprünglich dem Göttergeschlecht der Vanen an, sind aber jetzt ebenfalls Bewohner des Asensitzes Asgard.

Frey stammt von dem Beherrscher der Meere, dem obersten Vanen Njörd, ab. Er ist der Gott der Fruchtbarkeit, segnet die Felder der Bauern, aber auch den Schoß der Frau, auf dass sie viele Kinder gebären kann. Er ist stets friedfertig und heiter, und nach den harten und eisigen Wintern fährt er auf einem mit Kühen bespannten Wagen über das Land. Wo immer er auftaucht, ergrünen die Weiden und sprießt die Saat, und willig geben sich die Töchter der Menschen dem schönen, sinnenfrohen Gott hin.

Seine Schwester Freyja ist ebenfalls von großer Schönheit – kein Wunder, denn sie gilt als die Göttin der Liebe. Sie ist nicht wählerisch, was Menschen oder Götter betrifft, mit denen sie sich einlässt, aber das darf eine Liebesgöttin wohl auch gar nicht sein.

Freyja fährt über Land in einem Katzengespann, und wie Katzen kann sie fauchen und zornig werden, wenn man ihr zu nahe tritt und sie beleidigt. Nie trennt sie sich von ihrem berühmten Halsschmuck aus schwerem getriebenem Gold und riesigen Edelsteinen, gefertigt von den in allen Schmiedekünsten meisterhaften Zwergen.

Wegen ihrer Schönheit und ihrer Liebesfähigkeit wollen alle Freyja besitzen, nicht nur für eine Nacht, sondern für immer. Aber dafür ist die Schöne nicht geschaffen.

Wie die Göttermutter Frigg besitzt auch sie ein Falkengewand, wenn sie das anzieht, kann sie sich in die Lüfte aufschwingen, fliegen, wohin sie will, und allen entfliehen.

Freyja ist zauberkundig und lehrt die Asengöttinnen diese Künste, als sie selbst nach Asgard kommt. Außerdem ist sie die Mundschenkin der Asen und führt das Heer der Walküren an – Odins Kämpferinnen, die die toten Helden vom Schlachtfeld holen.

Odin erwirbt Wissen

Lange schon quälte es den obersten der Asen, dass er zwar von seinem Hochsitz aus die ganze Welt überblicken konnte, dass er die Weltmeere und den Himmel anschauen und den Lauf der Gestirne voraussagen konnte – aber das allertiefste Wissen, das Wissen um den Urgrund der Dinge, das fehlte ihm.

Aber er wusste, wo diese Weisheit zu erlangen war: Eine der Wurzeln jener Weltesche Yggdrasil führte zum Brunnen des Mimir – dem Geist, der alles wusste, denn die Urwelt war seine Amme gewesen.

Also beschloss Odin, diesen Geist aufzusuchen und ihn zu befragen.

Wild krächzend umkreisten ihn Hugin und Munin, seine beide Raben, und warnten ihn: »Unheil beschwörst du herauf, wenn du Dinge erfahren willst, die seit Urzeiten verborgen sind! Lass ab von deinem Vorhaben!«

Aber der Gott hörte nicht auf die Stimmen der Vögel und ließ sie zurück, während er weiter entschlossen zum Brunnen hinabstieg.

Tiefe Stille herrschte an Mimirs Brunnen. Es war, als würde die ganze Welt schlafen, kein Lüftchen regte sich, das Wasser plätscherte nicht.

Beklommen von der unendlichen Ruhe an diesem besonderen Ort stand der Gott ganz still und wagte nicht, sich bemerkbar zu machen. Aber da teilte sich lautlos der Spiegel des Brunnenbeckens, und obwohl niemand zu sehen war, fragte eine fahle Greisenstimme aus der Mitte des Wassers bestimmt: »Was willst du, Gott? Kommst du, weil du den Riesen zürnst, zu deren Stamm ich auch gehöre? Hier gibt es weder Hass noch Feindschaft. Kehre um. Mein Reich beginnt, wo deines endet.«

»Ich bin nur ein Wanderer«, erwiderte da Odin, der es liebte, sich als jemand anderer auszugeben. »Auf einer langen Reise bin ich hier vorbeigekommen und bin durstig vom Weg. Gönne mir einen erfrischenden Trunk aus deiner Quelle.«

»Ich erkenne dich«, antwortete Mimir. »Du kannst dich vor mir nicht verstellen. Du bist Odin. Und den Trunk aus meiner Quelle willst du nicht, weil du durstig bist, sondern weil du Wissen erlangen willst – mehr, als dir zusteht. Du bist der Gott, der oben im Licht wohnt. Ich wohne hier an den Wurzeln, und die Erkenntnis aus dieser Quelle steht dir nicht zu.«

»Ich will und muss dies Wissen erlangen!«, sagte Odin.

»So ohne Weiteres kannst du es nicht bekommen«, erwiderte Mimir. »Was bist du bereit, dafür zu geben?«

»Alles, was du willst!«

»Nun«, sagte das Urwesen, »dann reiß dir ein Auge heraus, und gib es mir. Versenke es im Brunnen, damit ich einen Schein vom Sonnenlicht bei mir habe. Dann darfst du dem lauschen, was die Quelle flüstert.«

Und Odin, getrieben vom heißen Drang nach Wissen, riss sich, wie verlangt, ein Auge heraus und sah es im stillen Wasser versinken, das nun bis zum Grunde heraus erhellt schien. Dann neigte er sein Ohr der Quelle entgegen und hörte zu.

Aber was ihm da zugeraunt wurde, davon hat nie jemand etwas zu erfahren bekommen. Finster und bedrückt verließ der Gott die Stätte, wo er erfahren hatte, was allen verborgen war – Anfang und Ende der Welt.

Seitdem ist Odin einäugig.

Odins Runenlied

Odin tut alles, um Wissen und Weisheit zu erlangen. Um die Kunst der Runen zu beherrschen, der geheimnisvollen Symbole der Macht über Natur und Menschen, ist er sogar bereit, sich selbst zu opfern. Die Zauberkunst der Runen geht ihm über alles, nicht nur, um selbst der Mächtigste von allen Wesen zu sein, sondern auch, um diese Kenntnisse an die Erdensöhne, die Bewohner Midgards, weiterzugeben.

Und so berichtet er den Menschen von seinem Leiden und dem erlangten Wissen mit eigenem Munde:

Neun lange Nächte hing ich am windigen Baum, von einem Speer durchbohrt, ein Opfer, Odin dem Odin geweiht, weder Brot noch Met gab man mir, und ich sann auf Rettung, sann auf die Weisheit der Runen, bis ich zur Erde fiel.

Da begann ich zu wachsen und zu gedeihen, fühlte mich wohl und fand, wonach ich suchte.

Stark sind die Ratestäbe, die Runenstäbe, große Macht verleihen sie. Götter schufen sie, einige ersann ich selbst und schnitzte sie ins Holz.

So frage ich dich, Erdensohn: Weißt du zu ritzen? Weißt du zu erraten? Weißt du zu finden und zu erforschen? Weißt du Opfer zu bringen?

Wer die Runen kennt, der hat Macht über die Dinge. Worte sind es, Zeichen sind es. Zauberkraft verleihen sie.

Runenlieder kenne ich, die weder Könige noch gewöhnliche Menschen wissen.

Hilfe verheißt das erste in Not und Nachstellung.

Ein zweites hilft heilen, alle brauchen es, die Wunden und Schmerzen vertreiben wollen.

Ein drittes fesselt die Feinde, macht stumpf ihre Waffen.

Ein viertes weiß ich, falls man mich fängt: Sobald ich es singe, fallen die Bande von mir ab.

Ein fünftes: Fliegt ein feindlicher Pfeil oder Speer in der Schlacht, so kann ich ihn hemmen, indem ich ihn nur ansehe.

Ein sechstes: Will jemand mir schaden mit Zauberwurzel, wendet der Zauber sich gegen ihn selbst.

Ein siebentes hemmt die Lohe des Feuers. Selbst wenn der Saal schon brennt, rette ich alle.

Ein achtes ist allen sehr nützlich: Wenn unter den Kämpfern ein Streit entsteht, kann ich ihn schlichten.

Ein neuntes hilft mir, den Sturm zu stillen, wenn ich auf hoher See bin – ich besänftige die Wellen.

Ein zehntes hilft gegen fliegende Zauberinnen.

Ein elftes kann ich, wenn ich Freunde zum Kampf führe. Ich raune in ihre Schilde, und heil kommen sie aus dem Gefecht zurück.

Ein zwölftes kann ich, wenn ich einen Gehängten treffe: Ich ritze die Runen, und der Tote spricht mit mir.

Ein dreizehntes macht einen Knaben, der das erste Mal in den Kampf zieht, gefeit gegen Schwerter und Speere.

Ein vierzehntes: Ich kann dem Menschenvolk die Namen aller Asen und Elben aufzählen, keiner, den ich nicht kenne. Wenige sind so weise wie ich.

Ein fünfzehntes verleiht Asen und Elben Stärke.

Ein sechzehntes schwächt den Willen von Frauen und wendet ihn, alle mache ich mir gefügig.

Mit dem siebzehnten mache ich mir auch jedes Mädchen geneigt, alle lieben mich.

Ein achtzehntes aber verrate ich nicht. Es ist besser, ich behalte diese Weisheit für mich, sage sie niemandem.

Zum Nutzen den Erdensöhnen und zum Verderben dem Riesenvolk habe ich dies Lied gesungen.

Wohl dem, der es kennt. Lange lebt, wer es erlernt, in die Stäbe zu ritzen, und es anzuwenden versteht.

Frey und Gerd

Im frühen Zeitalter der Welten, das man das Goldene nennt, gab es nicht nur das Göttergeschlecht der Asen, sondern ein zweites: die Vanen. Über ihre Herkunft herrscht Dunkel. Beide Göttergeschlechter waren miteinander befreundet.

Häufig besuchten sie sich gegenseitig, und weil die Vanen fröhlich und begabt für Spiele waren und es liebten, gut zu essen und zu trinken, waren sie gern gesehene Gäste in Asgard, der Wohnstätte der Asen. Oft gaben sich die sinnenfrohen Götter gemeinsam gewaltigen Trinkgelagen hin und vergaßen darüber ihre eigentlichen Aufgaben – Thor war übrigens der Trinkfreudigste unter den Asen.

Eines Tages war Njörd, der oberste der Vanen und Beschützer der Schifffahrt, gemeinsam mit seinem Sohn Frey zu Besuch in der Halle Odins, noch bevor Frey ein Bewohner Asgards wurde. Frey war der Gott der Fruchtbarkeit und Vermehrung und liebte die Frauen mehr als alles andere. Er kannte sich mit dem Genuss und der Liebesfreude aus, und nach den langen, harten Wintern fuhr er – wie schon berichtet – mit seinem Kuhgespann über das Land und brachte Fruchtbarkeit für die Saaten und die Weiden, und alle Mädchen, die er traf, gaben sich ihm bereitwillig hin.

Als sie nun bei Odin saßen, gemeinsam mit anderen Gästen, und reichlich Wein getrunken hatten, fing der Göttervater Odin an, eine Rede in Versen zu halten. Der junge Frey langweilte sich bei dem hochtönenden Gesang und verließ, unbemerkt von den anderen, das Fest. Er gelangte an Odins Hochsitz, jenen Ort, den nur der oberste der Götter selbst und dessen Frau besteigen durften. Von hier aus überblickte man die ganze Welt.

Frey trieb die Neugier. Obwohl er wusste, dass es verboten war, kletterte er hinauf und überblickte voller Staunen Osten, Westen, Süden und Norden. Weithin sah er über Land und Meer, sah, wie sich die Menschen am Pflug mit Ochsengespannen bemühten und ihre Langhäuser bauten, und er sah viele Riesen, manche boshaft und ungeheuerlich, andere wieder fast so gesittet wie die Menschen. In Utgard, dem Riesenheim im Norden, erblickte er ein prächtig umzäuntes Gehöft. Es gehörte dem Riesen Gymir. Ein Sonnenstrahl fiel auf den Hof, und im Licht der Sonne ging ein Mädchen von einem Gebäude zum anderen – ein Mädchen, wie Frey es noch nie gesehen hatte. Für ihn schien sie die schönste Frau der Welt zu sein.

An diesem Tag nun stieg Frey von Odins Hochsitz herab, kehrte zurück zu den Feiernden und sagte kein Wort mehr. Sogar den angebotenen Met wies er zurück.

Sein Vater Njörd machte sich Sorgen um seinen sonst so lebensfrohen Sohn. Er rief dessen Freund und Gefährten Skirnir zu sich und bat ihn, Frey auszuforschen, warum er so traurig und stumm herumhockte.

Dem Freund öffnete Frey sein Herz. Er sagte: »Keiner kennt meinen Schmerz! Die Sonne scheint auf jedes Grasbüschel, aber nicht auf meine Liebe!«

Skirnir lachte. »Frey, ich kenne doch deine Liebesabenteuer! Oft genug saßen wir beim Gelage beieinander, und du erzähltest mir von deinen Eroberungen.«

Aber Frey schwärmte weiter: »Als sie die Hand hob, um die Tür zu öffnen, leuchteten von ihren Armen Himmel und Meer, die Welt erstrahlte von ihrem Glanz. Des Riesen Gymir Tochter Gerd ist die schönste Frau der Welt. Wenn ich sie nicht bekommen kann, will ich nicht länger leben.«

Skirnir berichtete nun Njörd von der Liebeskrankheit seines Sohns, und der begriff, wie ernst es Frey war. So überlegte er sich, dass es vielleicht das Beste wäre, Skirnir als Brautwerber zu den Riesen zu schicken. Eine Heirat zwischen einem Vanen und einer Riesin würde für den Zusammenhalt der Welten ja auch förderlich sein.

Aber Skirnir wusste genau, wie heikel eine solche Aufgabe war. Mit den Riesen war nicht gut Kirschen essen! Und er wusste, dass es galt, gefährliche Abenteuer zu bestehen, um zu ihnen zu gelangen.

»Bitte, sei mein Brautwerber!«, flehte ihn Frey an. »Ich schenke dir auch mein unbezwingbares Schwert, das von selbst kämpft.«

»Und wie soll ich durch den Feuerwall gelangen, der das Gehöft Gymirs umgibt?«, fragte der Freund zweifelnd.

»Ich gebe dir auch mein Wunderpferd, das bringt dich durch die Lohe! Skirnir, hilf mir, diese Frau zu erringen!«

Schließlich ließ sich Skirnir überreden. Wohlgerüstet und reich ausgestattet mit Geschenken und mit starken Zaubermächten – darunter Iduns wunderbaren Äpfeln der Verjüngung –, ritt er nach Riesenheim. Die Nacht war finster, und das Gebirge sah drohend aus. Was würde ihn wohl erwarten? Er redete mit Freys Pferd und sagte: »Hilf mir bei diesem Auftrag! Entweder wir führen Gerd heim – oder Gymir macht uns beiden den Garaus!« Denn er hatte davon gehört, dass Gymir boshaft und streitsüchtig sein sollte.

Nach langen Wegen über Stock und Stein, vorbei an Wasserfällen und Gletschern, durch finstere Wälder und öde Heide gelangte er schließlich nach Riesenheim.

Auf einem Hügel vor Gymirs Hof saß ein Wächter, der Ausschau hielt, umgeben von kläffenden Hunden.

Skirnir zügelte das Pferd und sagte zu dem Wachenden: »Lass mich durch! Ich habe eine Botschaft für Gerd, die Tochter des Hausherrn!«

»Eine Botschaft? Die behalte nur für dich!«, sagte der Wächter höhnisch. »Niemals wirst du Gerd zu Gesicht bekommen, solange du lebst! Oder sitzt schon ein Toter im Sattel?«

»Die letzte Stunde meines Lebens wird von den Schicksalsfrauen, den Nornen, bestimmt«, erwiderte Skirnir, unbeeindruckt durch diese Drohung. »Ich werde tun, was mir aufgetragen wurde.«

Und ungeachtet der kläffenden Meute spornte er Freys Pferd und ließ es den Feuerwall überspringen.

Auf dem Hof lief ihm sogleich Gerds Bruder über den Weg, der die Schwester hütete, denn sein Vater war abwesend. Skirnir wollte ihn schonen, um durch seinen Tod nicht die Schwester zu erschrecken, aber der Riese drang brüllend mit solcher Gewalt auf ihn ein, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als das Zauberschwert zu ziehen. Die Klinge suchte von allein die Blößen des Gegners und fällte den Bergriesen in kürzester Zeit.

Das Klirren der Waffen war bis in die Halle Gerds gedrungen. So fragte sie ihre Magd: »Was bedeutet dieser Lärm? Der ganze Hof scheint ja zu beben.«

Die Magd spähte hinaus, und da sie den toten Riesen nicht sehen konnte, sagte sie: »Da draußen steht ein Mann mit einem Schwert in der Hand, er lässt sein Pferd grasen und wirkt sehr kühn.«

»So lass ihn in die Halle treten, und biete ihm Met als Willkommenstrunk«, sagte Gerd. Und Skirnir betrat den Saal und begrüßte die schöne Riesin.

»Du bist durch den Feuerwall gelangt«, redete ihn Gerd an. »Bist du ein Vane oder ein Ase, dass du dergleichen kannst?«

»Nein«, erwiderte Skirnir. »Ich bin nur ein Bote. Frey, der Vane, schickt mich und wirbt um dich. Als Zeichen seiner Liebe schickt er dir diese goldenen Äpfel der Verjüngung. Wenn du ihn zum Mann nimmst, kannst du jeden Tag davon essen und wirst unsterblich sein.«

»Nie beuge ich mich einem Werber, der vom Göttergeschlecht stammt!«, rief die Riesin zornig. »Behalte dein Geschenk!«

Da bot ihr Skirnir einen kostbaren Ring, wie ihn Frigg, Odins Frau, nicht schöner hatte. Aber Gerd wies auch diese Gabe zurück: »Mir fehlen keine Geschmeide und Juwelen. Drei Höhlen voll Schätze hat mein Vater gehortet für mich!«

Als Skirnir merkte, dass er im Guten nicht weiterkam, entschloss er sich, zur Gewalt zu schreiten. Er zog das Schwert und drohte: »Ich brenne dir die Schrift dieser Klinge ein! Den schönen Kopf schlag ich dir ab, wenn du nicht mit mir kommst!«

Doch Gerd lachte nur. »Was nützt Frey eine tote Braut? Warte nur, bald kommt mein Vater nach Haus. Er wird in die Halle stürmen und dir den Garaus machen.«

»Dies Schwert fällt jeden!«, rief der Bote. Aber Gerd blieb kalt wie Eis.

Nun half nur das Äußerste: Zauberei und Verwünschungen.

Er holte ein Zauberreis aus der Tasche und zog einen Kreis um die schöne Riesin.

»Zähmen wird dich mein Wille, Weib!«, beschwor er sie. »Hocken sollst du auf einer Felsklippe, nur Adler sollen dich besuchen. Alle Speise soll dir zum Ekel gereichen, aber der Hunger soll dich plagen, dass du schlapp und krank wirst. Trolle sollen dich quälen. Bei dreiköpfigen Ungeheuern sollst du hausen, alt und krumm, ohne je die Liebe eines Mannes genossen zu haben. Begierde soll dich quälen und Sehnsucht versengen. Verdorre wie eine Distel am Wegesrand. Nie wirst du einen anderen Mann bekommen!«

Verstört sah Gerd um sich, aber da war niemand, der sie aus dem Zauberkreis lösen konnte. Und Skirnir fuhr fort, sie zu verwünschen und mit harten Worten, wie es der Brauch war, zu sprechen: »Am Tor zum Totenreich sollst du hocken, und die scheußlichsten Ungeheuer sollen dir täglich zwischen die Schenkel gehen. Ziegenpisse sollst du trinken statt Met. Jetzt ritze ich die Zauberrunen, und dann wirst du für alle Zeit verurteilt sein, zu leben zwischen Liebesraserei und Geilheit und mit schmerzlicher Gewalt!«

Schon setzte er das Messer an, um die unfehlbaren Runen einzuschnitzen, da griff Gerd schnell den Pokal und rief: »Brautwerber, trinke den Met als Versöhnungstrunk! Gern will ich die Frau des schönen Frey werden!«

Danach gab sie ihm eine Botschaft für den künftigen Gemahl mit.

Skirnir machte sich auf den beschwerlichen Rückweg, über Stock und Stein, vorbei an Wasserfällen und Gletschern, durch finstere Wälder und über öde Heide, bis er zu Frey kam.

Frey stand schon vor der Tür und drängte auf eine Antwort, noch bevor der Freund den Sattel vom Pferd abgenommen hatte.

»Das war harte Arbeit«, sagte Skirnir, »und ich denke, ich habe mir dein Schwert verdient. In neun Nächten will die schöne Riesin mit dir in einem Kornfeld Hochzeit halten.«

»Wie soll ich neun Nächte des Wartens überstehen?«, rief der ungeduldige Gott. »Oft vergeht ein Mondumlauf rascher als eine Nacht der Sehnsucht.«

Aber was blieb ihm übrig? Er musste sich der Forderung der schönen Riesin beugen und ausharren.

Und Gerd hielt ihr Wort und wurde Freys Weib.

Skirnir aber behielt das Zauberschwert des Vanen. Später sollte der es sehr vermissen.

Loki wird ein Gott

Seltsames weiß die Geschichte zu berichten von Loki, der als der Gott des Feuers gilt.