Nostalgie – Blues - Karin Antonie Arnst - E-Book

Nostalgie – Blues E-Book

Karin Antonie Arnst

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Beschreibung

Nackigmachen eines langen Lebens - vom tiefsten und schrecklichsten Erleben bis zur Ich-Findung mit Glücksexplosion. Gestern - heute - morgen -, verbunden mit erfrischenden Geschichten an Bord. Erlebt und geschrieben zu einer Zeit, als die Welt noch irgendwie ein bisschen lebenswerter war und wir alle noch nichts von einer weltweiten Viruserkrankung wussten. - Namen und Personen der Bordgeschichten sind frei erfunden -.

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Seitenzahl: 210

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Langsam öffne ich meine Augen und erwache aus einem wunderschönen Traum; ich lasse meine Augen kreisen und nein, es ist kein Traum, sondern Wirklichkeit.

Ich gucke auf mein großes Doppelbett und den Balkon und sehe das Wasser vorbeigleiten.

Ja, ich habe mir meinen größten Wunsch, ebendiese große Schiffsreise zum Kap Hoorn, erfüllt und finde mich nun in meiner Schiffskabine wieder.

Ich habe mit meinem Ehemann fast die ganze Welt bereist, da er als Kapitän der Handelsmarine zur See fuhr und ich sehr viel mitreiste. Alles habe ich gesehen, aber mein Traum, einmal zusammen das Kap Hoorn zu umfahren, das klappte nie.

Mein Mann sagte zu mir: »Du wirst enttäuscht sein«, denn er kannte die Ecke sehr gut, da er viele Male dort war.

Aber das Schicksal meinte es anders. Jetzt mache ich diese große Schiffsreise und mein Mann ist gedanklich immer dabei, deshalb habe ich mir auch die Doppelkabine genommen, damit ich dieses Gefühl der Zweisamkeit habe.

Ich investiere in Erinnerungen und wandle nostalgisch durch die Zeit, vergesse dabei jedoch nicht den Vergleich zu heute und das wunderschöne Bordleben.

Gestern bin ich angekommen und noch ganz durcheinander. Zuerst begucke ich mir die Kabine und den Außenbalkon. Am Anreisetag, also gestern, war ich viel zu müde und bin nur noch ins Bett gefallen. Ich mache mich fertig und gehe zur Rezeption, um alles Wissenswerte zu erfahren. »Ja, ich möchte einen festen Platz am Tisch haben, am besten mit Leuten, die auch diese lange Reise gebucht haben, sage ich zu der netten Dame hinter dem Tresen.« Sie guckt und dann sagt sie: »Hier haben wir drei Alleinreisende, die auch diese Tour machen.« »Prima, das passt«, antworte ich zufrieden; denn nichts hasse ich mehr, als sich einen Platz immer suchen zu müssen und meist sitzen Paare da und man kommt sich als Fremdkörper vor.

Es gibt ja hier an Bord sehr viele verschiedene Restaurants und gut zu wissen, wo man dann hingehen kann zu den festen Mahlzeiten.

Nun wird erst mal ein Rundgang gemacht. Ich staune, über die vielen Restaurants und Kaffees und die Geschäfte auf der Flaniermeile, den Swimming-Pool und die vielen Sporteinrichtungen und den großen Unterhaltungs- und Tanzsaal und, und, und … Und ich frage mich: Muss der Mensch das alles haben?

Na ja, ich räume ein, bei längeren Reisen kehrt schnell Langeweile ein und der Mensch muss unterhalten werden, denn die Konkurrenz auf diesem Sektor ist groß und einer will den anderen mit neuen Sachen übertrumpfen.

Da es inzwischen Mittagszeit ist, also 13.00 Uhr, ich auch schon hungrig und auch neugierig bin, mache ich mich auf zu dem mir zugewiesenen Platz im Restaurant. Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht verlaufe, alles ist noch so unbekannt.

Auch zu meiner Kabine habe ich mich schon verlaufen, obwohl alles farblich und gut beschildert ausgewiesen ist.

Na ja, Anfangsschwierigkeiten halt.

Ich steuere auf den mir zugewiesenen Platz zu und gucke in drei erwartungsvolle Gesichter.

Ich stelle mich nun vor und gehe reihum:

»Käthe Hansen«, sagt die eine; ich schätze sie so kurz über 60 Jahre. Später erzählte sie mir, dass sie 63 Jahre alt sei und Single, überzeugter Single!

Dann sagt die Nächste:

»Ich bin Maria Meier, mich nennen aber alle Mary«, und ungefragt führt sie weiter aus: »Ich bin Witwe und 58 Jahre alt.«

Dann steht als Letzter der einzige Mann am Tisch auf und sagt mit großem Getue und vielen Handbewegungen:

»Mein Name ist Wolf Wolke, ich bin 66 Jahre, da fängt ja bekanntlich das Leben an, und ich bin Künstler.« Dann macht er eine riesengroße Handbewegung, wie auf der Bühne, und verbeugt sich tief und sagt: »Lasset uns die Reise beginnen …«

Na, das kann ja lustig werden, denke ich und begucke ihn mir genauer.

Seiner Kleidung nach kann er nur Künstler sein, unmöglich angezogen und dieser Schal um den Hals gewürgt und dieser Pferdeschwanz, einfach alles wie in einem Film.

Man merkt, dass er Single ist, der hat sich irgendwas zum Anziehen gegriffen und fertig war er.

Ich finde ihn jetzt schon gut.

Nun sitzen wir vier da und tasten uns langsam heran.

Das Essen kommt, wir sind jetzt alle abgelenkt und genießen das wundervoll angerichtete Menü.

Dazu wird Wein gereicht; ich trinke ja keinen Wein zum Essen, der schmeckt mir nicht und ich werde auch gleich beschwipst und müde davon.

Wolf Wolke und Käthe Hansen lassen die Gläser klingen und sagen: »So jung kommen wir nicht mehr zusammen, also allen eine gute Reise und wir warten mal ab, was uns beim nächsten Etappenwechsel für Leute an unseren Tisch flattern und unsere Runde erweitern.«

So vergehen die ersten Tage und ich freue mich immer darauf, auf meiner Balkonkabine zu sitzen und aufs Meer zu schauen und zu träumen.

Bei den Mahlzeiten wird dann immer alles erzählt, was man so gemacht und erlebt hat. Besonders freue ich mich immer auf Wolf Wolke, den sehr zerstreuten Künstler; der mir erzählt hat, dass er Schauspieler am Theater ist und auch male – moderne Kunst. Er kommt immer theatralisch an den Tisch, sagt dann, die Hände weit ausbreitend und sich verbeugend, als wenn er auf der Bühne steht nach der Vorstellung und beim Applaus des Publikums: »Ich wünsche einen wunderschönen …« Was er uns wünscht, lässt er immer offen. Jeder kann sich das Passende für sich aussuchen.

Na, was hat er sich denn heute aus seinem Kleiderschrank gegriffen? Ein kariertes Hemd mit einer grellgelben Fliege und einer knallroten langen Hose und, oh Schreck, zwei verschiedene Strümpfe stecken in unmöglichen Schuhen. Und seine langen wenigen Haare trägt er heute offen.

Wieder eine Glanzleistung, denke ich; mir ist es ja egal, wie er rumläuft und auch auf ein paar Flecken irgendwo, da sehe ich drüber weg, denn er ist so ein liebenswerter Mensch, dass ich immer lachen muss.

Die mit am Tisch sitzende Käthe Hansen und er, die zicken sich immer an, denn die Käthe Hansen nimmt kein Blatt vor den Mund. Heute zum Beispiel sagte sie zu ihm: »Mensch Wolke, ich möchte auch mal Mäuschen in deinem Kleiderschrank sein.«

Er antwortet grimmig: »Da passt du mit deiner üppigen Figur ja gar nicht rein.«

Sie darauf schnippisch: »Na, Gott sei Dank bleibt mir dann so einiges erspart.«

So geht es öfters.

Ich habe mal am Abend mit Wolf Wolke zusammengesessen und er erzählte mir, dass das Theater auch immer schwieriger werde und sie sehen müssten, wie sie Leute ins Theater kriegten. Immer verrückter werde es und dabei sinke die Moral immer mehr.

»Ja«, sage ich, »eine Bekannte, die ein Theaterabonnement hat, hat mir erzählt, dass sie in einem Theaterstück war und sehr schockiert das Gebäude verlassen hat. Der Hauptdarsteller war nackt und hat auf der Bühne uriniert und die Leute haben auch noch geklatscht. Mich würde ja mal interessieren, ob die Leute auch klatschen würden, wenn der Urinstrahl auf sie in der ersten Reihe gerichtet wäre?«

Wolf Wolke sagt: »Mir wurden auch schon solche Rollen angeboten, aber ich habe abgelehnt.

Meine zweite Liebe ist ja die Malerei, die moderne Kunst«, führt er weiter aus, »nichts kann mir groß genug und bunt genug sein.«

Da ich auch die moderne Kunst liebe, haben wir uns noch lange unterhalten.

Großer Tanzabend ist heute angesagt, alle schmeißen sich in schöne Ballkleider und Anzug ist vorgeschrieben.

So lernte ich Ferdinand genannt »Freddy« kennen. Er fiel mir schon lange dadurch auf, dass er bei ähnlichen Veranstaltungen immer Damen, die allein reisten, zum Tanzen aufforderte.

Heute war ich fällig. Er forderte mich zum Tanz auf und ich ging wackelig mit den Schuhen mit Absatz, die ich sonst wenig trug, da ich immer mit Sportsachen unterwegs war, mit Freddy zur Tanzfläche. Ich tanze gerne, habe aber schon sehr lange dieses nicht gemacht. »Freddy«, sage ich, »ich muss erst mal meine Beine ausrichten. Ich stand, bildlich gesprochen, lange in der Garage und habe ewig lang nicht getanzt; der Motor muss erst mal warmlaufen.«

»Wird schon passen«, murmelt er und nimmt mich fest in den Klammergriff und ab geht die Post!

Tanzen verlernt man nie und bei so einer guten Führung, prima.

Der Abend war wunderbar und man fühlte sich wieder so jung, jung, jung!

Am nächsten Morgen traf ich Freddy beim Sportmachen und da er gerade fertig war und ich zum Frühstück wollte, gingen wir zusammen zum Frühstücken in die »Good Morning Bar«. Er erzählte, dass er Witwer und schon im Ruhestand sei; die Rente jedoch nicht so riesig ist und so hat er hier an Bord angeheuert. Die Reederei hat ihm einen Vertrag gegeben, und er bekommt monatlich einen Betrag. Alles ist seriös; man legt viel Wert auf das Äußere und man muss die Damen, die alleine reisen und meist älter sind, in Bewegung halten. Das bringt beiden Seiten was. Vertraglich ist vereinbart, dass keine Annäherung und Liebelei erfolgen soll und kein intimer Kontakt zu den Damen erwünscht wird; also alles stilvoll und seriös sei.

Ich habe schon Eifersuchtsdramen hier erlebt und einige Damen zählen sogar die Tänze mit, wie viel Tänze ich mit der einen und mit der anderen getanzt habe und mit ihr nur einen.

Aber damit kann ich umgehen. Mit viel Charme bekommt man alles hin.

Ein toller Mann, dieser Freddy!

Ich bin ganz begeistert von ihm.

Landausflüge stehen an. Alle, die gebucht haben, stehen parat.

Wolf Wolke steht da wie ein Papagei, alle erdenklichen Farben sind vertreten und diese Shorts; die blassen Beine stecken in weißen Socken und Latschen an den Füßen.

Als Käthe Hansen ihn sieht, sagt sie so laut zu ihm, dass alle das mithören können: »Mensch, Wolke, enger ging die Hose wohl nicht!«

Darauf er laut: »Na; Käthe Hansen, enger geht die Bluse bei dir ja wohl auch nicht, die Knöpfe der Bluse leisten ja jetzt schon Höchstarbeit!«

Es lagen noch einige Kreuzfahrtschiffe neben uns, viel größere, furchtbar dieser Anblick auch im Hinblick auf die Umweltverschmutzung. Ich meine, es dürften nur die Schiffe in die Häfen gelassen werden, die entsprechend umweltgerecht und streng kontrolliert fahren. Das müsste weltweit von der Politik durchgesetzt werden.

Diese Bedenken hatte ich schon vor Antritt der Reise. Aber man sagte mir, dass bei dieser Reederei umweltfreundlich gefahren wird.

Was heißt das?

Als ich dann die Massen sah, die von den ganzen Schiffen kamen, wurde mir richtig übel und als ich dann die arme Bevölkerung sah, bekam ich so ein schlechtes Gewissen und fragte mich: Warum leben einige in so einem Luxus und andere verhungern?

Aber wenn ich so pessimistisch an die Reise gehe, dann habe ich auch nichts davon.

Wir fuhren zu den Einheimischen, die ihre Tänze vorführten in ihren Gewändern und sie bekamen Geld dafür. Auch wurden Souvenirs gekauft und somit Geld dagelassen.

Mit einem ganz schlechten Gewissen ging ich wieder an Bord.

Abends saßen wir noch zusammen und diskutierten. Ja, was soll man machen?

Es muss sich ganz schnell was tun auf dieser Welt, sonst wars das mit der Erde; das war die einstimmige Meinung aller.

Witwe Maria Meier mischt sich ein. »Was ich noch sagen will, selbst in diesen armen Dörfern gibt es Plastikbeutel, die liegen überall in dem Dreck herum.

Ich habe ja in Spanien ein Ferienhaus und bei dem Thema Plastik könnte ich ausrasten. Überall in den Geschäften hängen Plastiktüten, die Brote werden einzeln in Plastiktüten verpackt und die Leute da, der Einkaufswagen voll mit Plastiktüten. Ob die alle nicht nachdenken, die haben doch auch Kinder, die sollen doch auch eine Zukunft haben. Ich verstehe auch nicht, wieso nicht sofort diese Plastiksachen, wie Tüten, Trinkhalme und Plastikeinweggeschirr verboten werden.«

»Ach«, seufzt sie, »ich könnte stundenlang Weiteres aufführen; aber eins stößt mir sauer auf, die Familienhausbesitzer zum Beispiel in Spanien, anderswo wird es nicht anders sein; da kenne ich einige, die fliegen im Jahr bestimmt vier- bis fünfmal zu ihren Häusern, weil das Fliegen ja so spottbillig ist. Ich bezahle für die Bahn oder für ein Taxi, das mich zum Flughafen bringt, mehr, als mich der Flug kostet. Das ist doch nicht normal!

Das Fliegen müsste sehr, sehr viel teurer werden.

Da lobe ich mir die Greta Thunberg und die Bewegung ›Fridays for Future‹. Sie und andere Jugendliche müssten noch viel mehr Möglichkeiten ausschöpfen und starken Druck ausüben, denn schließlich geht es ja um ihre Zukunft!«

»Da stimme ich zu«, sagt Käthe Hansen, »wieso müssen Eltern mit ihren Kindern, zum Teil mit Kleinstkindern, ins Ausland fliegen, allein schon dieser Stress und eventuelle Gefahrenquellen. Sollen die doch im Inland Ferien machen oder zu Hause bleiben und Tagesausflüge machen.

Aber billig, billig, billig soll es ja sein, und wenn dann was Unvorhergesehenes passiert, ist das Geschreie immer riesengroß.

Man müsste auch Druck auf die Reedereien ausüben, indem man nur eine Reise auf einem Kreuzfahrtschiff bucht, wenn es umweltgerecht betrieben und gefahren wird, das müsste von der Reederei vor Buchung der Reise bestätigt werden. Ich glaube, das würde einiges ins Rollen bringen und man wäre mit einem besseren Gewissen reisemäßig unterwegs.«

»Nun muss ich auch noch meinen Senf dazugeben«, sagt Wolf Wolke, »meiner Meinung nach müssten Großparkplätze oder Parkhäuser vor der Stadt vorhanden sein und man müsste dann kostenfrei mit umweltfreundlich fahrenden Bussen oder Bahnen in die Stadt fahren können. Die Städte wären dann autofrei. Das würde viele Probleme lösen.

Aber eins muss ich noch loswerden:

Das Benehmen der Mitreisenden ist teilweise unter aller Sau, das muss ich mal so krass sagen. Ich habe letztes Jahr auch eine Schiffsreise nach Griechenland gemacht und bei einem Ausflug war folgende Situation:

Um auf den Berg zu kommen, gab es zwei Möglichkeiten: einmal mit dem Lift und einmal auf Eselsrücken nach oben. Viele wollten nicht warten, obwohl Zeit genug da war, und stürzten sich auf die Esel.

Diese waren abgemagert, alt und hatten auch Verletzungsstellen, die noch gar nicht verheilt waren, blutverkrustet sozusagen.

Die Straße war eng, ging steil hoch in Serpentinen und es gab nur rutschiges Kopfsteinpflaster. Was taten diese Menschen?

Sie packten sich den nächsten Esel, fast gab es noch Schlägereien, wer zuerst einen Esel bekam, und setzten sich drauf.

Fette Frauen und fette Männer saßen auf diesen armen Eseln, ich hätte die alle runter reißen können. Wie kann man nur einem kleinen Esel, der auch nur ein bestimmtes Gewicht tragen kann, das zumuten und was sind das für Menschen?

Mir wollte man ja auch einen Esel zuweisen und ich habe abgelehnt wegen meines Gewichts sowieso und das wäre auch gar nicht in Frage für mich gekommen; auch bei weniger Gewicht nicht.

Ich habe beobachtet, nachdem die Esel ihre Arbeit gemacht hatten und die fürchterlichen Menschen abgestiegen waren, sie kurz angebunden wurden in praller Sonne und lange, lange stehen mussten, bis sie dann endlich, auch nach meinem Meckern, Wasser und wenig Fressen bekamen.

Mir hat das alles gereicht und ich habe meinen Frust abends losgelassen über diese Menschen. Geldverdienen hin und her, aber nicht so!

Das musste ich einfach loswerden.«

Alle am Tisch sitzenden haben schweigend zugehört. So viel Tierliebe habe ich ihm gar nicht zugetraut: Wer so denkt und handelt, der hat ein gutes Herz, denke ich mir und die anderen denken wohl ähnlich.

Wir haben nun alle unsere Ansichten und unseren Frust rausgelassen, wir verabschieden uns und jeder geht in seine Kabine oder auch nicht.

Heute habe ich Lust auf Schwimmen, also gehe ich zum Swimmingpool und setze mich erst mal auf eine Liege.

Gedankenlos gucke ich in die Gegend; plötzlich eine vertraute Stimme: »Hallo meine Schöne, darf ich wagen, mich daneben zu setzen? Da ist ja noch eine Liege frei.«

Ich gucke mich um und da steht Wolf Wolke, eingehüllt in einen weißen Bademantel, der allen Passagieren vom Schiff zur Verfügung gestellt wird. Seine Füße stecken in rosa Badelatschen.

»Na klar«, sage ich, »ich freue mich immer, wenn ich Unterhaltung habe.« Er zieht seinen Bademantel aus und ich muss innerlich so lachen.

Er trägt, so wie früher, ein enganliegendes knappes Badehöschen, das unter seinem dicken Bauch hängt, natürlich alles in knallbunten Farben.

Jetzt, wo er auf der Liege liegt, sehe ich nur noch Bauch und die Badehose ist irgendwo verschwunden.

Wir erzählen über das Bordleben, über die Aktivitäten hier an Bord, alles ist so friedlich und plötzlich, wie aus einem Vulkan, der ausbricht, sprudelt es aus ihm heraus:

»Also, diese Käthe Hansen, das ist ja ein Frauenzimmer, die benimmt sich so wie in der freien Wildbahn und wie auf dem Kriegspfad. Das ist ja eine Emanze wie im Lehrbuch und frech dazu.«

Ich höre zu und zeige Mitgefühl. Dann erzählt Wolke weiter:

»Gestern Abend saß ich mit der Witwe Maria Meier in ›Harrys Bar‹ und wir sprachen unter anderem über die Frauenbewegungen. Da kam doch diese Käthe Hansen dazu, setzte sich einfach zu uns und wollte ihren Senf dazugeben.

Als ich ausführte, ich fände es besser, dass der Staat die Frauen mit Kindern so lange zu Hause sein lässt, bis diese Kinder sie nicht mehr brauchten; natürlich müsste das finanziell vom Staat abgesichert sein und auch bei der Rente voll berücksichtigt werden; es würden dann auch sicherlich mehr Kinder geboren werden. Wir sterben ja aus, es gibt ja nur noch Berufstätigkeit der Frauen, wie in der früheren DDR, und die Frauen wollen keine Kinder, da sie sich das finanziell nicht mehr leisten können und wenn der Staat hier das Familienleben voll unterstützt, dann wäre die Bereitschaft der Frauen sehr viel größer, Kinder in die Welt zu setzen.

Ja, die Emanzipation kann Freiheit, aber auch sehr viel Unfreiheit bedeuten.«

Da sprang die Käthe Hansen wie eine Furie auf und schrie mich an: »Was für ein Blödsinn du da erzählst, Wolke, die ganze Emanzipation zurückdrehen zu wollen; wir Frauen wollen unsere Freiheit«, und verließ die Bar dann erbost.

Mein Mitgefühl hielt sich in Grenzen und ich sagte zu ihm: »Man muss die Menschen so nehmen, wie sie sind, aber man muss auch andere Meinungen gelten lassen. Man kann ja darüber diskutieren.«

Das letzte Wort dazu musste ja Wolf Wolke haben; er meinte nur ganz trocken: »Der Käthe Hansen, dieser Emanze, bekommt die viele frische Seeluft wohl nicht.«

Ich sagte dann zu ihm: »Wenn Sie sich so über diese Person ärgern, dann lassen Sie sich doch einen anderen Platz am Tisch zuweisen, dann hat das Elend ein Ende.« »Nie, nie im Leben gibt ein Wolf Wolke auf und schon gar nicht gegen eine Frau«, so seine Antwort, verbunden mit sehr vielen theatralischen Bewegungen, wie bei einem Drama.

»Dieser Frau gebe ich noch Zunder, die muss man doch zähmen können, diese Emanze«, murmelt er und wiederholt: »Niemals gibt ein Wolf Wolke auf – Punkt.«

»Lassen Sie uns eine Runde schwimmen, das macht den Kopf klarer«, sage ich.

Daraufhin lässt Wolf Wolke seinen Bademantel, den er inzwischen wieder angezogen hatte, schauspielerisch langsam an seinem Körper heruntergleiten und stand dann da in voller Pracht. Ein Blick zum Schreien. Er hatte so eine behaarte Brust, das habe ich vorher gar nicht gesehen; in der Behaarung hätte sich eine ganze Hamsterfamilie sehr wohl gefühlt. Wie ungerecht die Natur doch ist; auf dem Kopf hat er zu wenig Haare und auf der Brust zu viel davon, denke ich und grinse mir eins.

Aber irgendwie ist mir der Kerl ans Herz gewachsen!

Ich ziehe mich in meine Kabine zurück, setze mich auf meinen Balkon und lasse mir alles Gehörte vom Wind wegblasen.

Landausflüge stehen an und ich schäme mich immer gegenüber der armen Bevölkerung. Aber man muss auch bedenken, dass durch die vielen Menschen von den Schiffen viel Geld dort bleibt.

Was mich besonders nachdenklich macht, ist, dass so viel Essen an Bord weggeschmissen wird und anderswo wird gehungert. Aber, wie soll man das in den Griff bekommen?

Abends an der Bar haben sich die Buggyfahrer, die durch die Dörfer und Armenviertel rasten, gegenseitig auf die Schulter geklopft. Ob die nicht weitergedacht haben, was das bei der Bevölkerung auslöst? Na ja, die sagen sich, ich habe Urlaub und ich habe bezahlt und leiste es mir, was gehen mich die Probleme anderer Länder an!

Ich war nämlich mit einem Bus auch unterwegs auf dieser Strecke und habe diese erbärmlichen Dörfer und die Zustände dort gesehen. Auch diese hirnlosen Raser habe ich gesehen und schämte mich für sie gegenüber dieser sehr armen Bevölkerung; ich fand das sehr verachtend, dieses Verhalten.

Bei uns am Tisch war alles wieder Friede, Freude, Eierkuchen.

Wolf Wolke hatte ein lila Hemd an mit einem großen Rotweinflecken, das hatte er wohl genommen, weil er dachte, auf lila sieht man das Rot nicht so, und dazu trug er eine große rote Fliege, die an der einen Seite traurig herunterhing.

Er sagte ganz charmant, und dabei würdigte er Käthe Hansen keines Blickes, zu Maria Meier: »Also Maria, heute sehen Sie aber besonders hübsch aus; dieses Kleid steht Ihnen besonders gut.«

Maria antwortet: »Danke Wolke, das geht mir runter wie Öl, ich schwebe ja schon auf Wolke sieben und fühle mich pudelwohl mit meinen 58 Jahren und jetzt erst recht bei diesem Kompliment.«

So, denkt Wolke, jetzt habe ich es der Käthe Hansen, dieser Emanzen-Tussi, aber gegeben; dann setzt er sich gemütlich in seinen Stuhl und verspeist noch einen Nachtisch, den zweiten.

Ich bin immer wieder überwältigt von dem Schiff, dem Essen, der netten Crew, von den wundervollen Abenden und den Sonnenuntergängen, die ich immer besonders genieße und spätabends, wenn ich dann in meine Kabine komme, erzählte ich alles meinem in Gedanken mitfahrenden Ehemann, der sich bestimmt immer mit mir freut.

Es stehen heute Inselausflüge mit Tauchen an. Da ich das schon kenne, bleibe ich heute an Bord. Herrlich, diese Ruhe, nur wenige Menschen sind an Bord geblieben und das Personal natürlich.

Ich sitze auf dem Außendeck und lasse mir einen Drink servieren. Der Kellner, ein Filipino, serviert das Getränk und ich frage ihn, wie lange sein Vertrag läuft. Er antwortet mir, dass er noch diesen Monat nach Hause fliegen kann, da sein Vertrag dann endet. Er freue sich schon sehr auf seine Familie und auf meine Nachfrage, wie lange er bereits hinter sich hat, sagt er: »Sechs Monate«, aber nach dem Heimaturlaub kommt er wieder hier an Bord zurück.

Er sei der Reederei so dankbar, denn in seiner Heimat bekommt er keinen Job und mit dem hier verdienten Geld kann er gut seine Familie daheim ernähren, führt er weiter aus.

Ich erzähle ihm, dass ich die ganzen Problematiken kenne, da ich auch zur See gefahren bin, allerdings als Mitfahrerin. Wir nickten uns beide verständnisvoll zu und in dem restlichen Monat wurde ich immer besonders zuvorkommend von ihm bedient. Ich setzte mich noch in einen Liegestuhl, der Wind streichelte mein Gesicht und ich schlief ein.

Weihnachten, Weihnachten steht vor der Tür … ist das nicht wunderbar, denke ich; aber erst erfolgt noch ein Etappenwechsel und neue Passagiere steigen zu und alte gehen von Bord. Bei uns am Tisch bleibt alles beim Alten, es kommen jedoch neue dazu, aber erst in drei Tagen.

Heute steht noch eine Bustour an, die uns zu alten Orten führen soll.

Wir stehen alle erwartungsvoll vor dem Bus; Wolf Wolke hat sich heute in karierte Bermudas geschmissen, dazu trägt er ein orangefarbenes T-Shirt, wo Dagobert Duck drauf ist. Sehr lustig anzusehen!

Dann taucht Käthe Hansen auf mit einem großen Strohhut und einer sehr weiten schwarzen Baumwollhose und dann erscheint die Witwe Maria Meier; also Mary; Donnerwetter, denkt Wolf Wolke sich bei ihrem Anblick, sie trägt viel zu kurze weiße Shorts und dazu ein tief ausgeschnittenes Spaghetti-Hemdchen.

Beim Einstieg denkt Wolke, bloß nicht neben der Käthe Hansen sitzen. Er lässt sich Zeit und guckt erst mal, wo sich Käthe hinsetzt, dann nimmt er einen Platz weit weg von ihr und sagt zu der Witwe Maria Meier: »Komm mein Engelchen, hier machen wir es uns gemütlich.«

Ein schöner, interessanter und mit viel Kultur gefüllter Tag geht zu Ende.

Beim Ausstieg des Busses kann sich Käthe Hansen doch nicht verkneifen, zu Wolf Wolke zu sagen: »Na Wolke, noch alles fit im Schritt?«

»Bei mir schon, aber wie es bei dir ausschaut, will ich erst gar nicht wissen«, antwortet er trocken!

Wolke grummelt was in sich hinein und beide verlassen jetzt endgültig den Bus. Witwe Maria Meier läuft Wolke hinterher und beide vertiefen sich in ein Gespräch, das mit Wolf Wolkes Satz endet: »Also, die Käthe Hansen, die könnte ich mir auch gut als Domina vorstellen«, und dabei grinst er breit.

Witwe Maria Meier schreitet vor ihm die Gangway hinauf und er begutachtet ihre stolz zur Schau gestellten Beine.

Na, so knackfrisch für ihre immer so betonten 58 Jahre sehen die ja auch nicht mehr aus, denkt Wolke.

Nach einer Seereise von fast zwei Tagen laufen wir nun einen Hafen an, wo alte Passagiere aussteigen und neue eine Reise beginnen und zusteigen.

Bin schon ganz gespannt, was dann bei uns am Tisch landet.

An unseren Tisch werden zugewiesen:

Jupp und Hilde Schlämmer, ein Ehepaar aus dem Ruhrpott.

Sie führt das große Wort und er ist der Schweiger. Sie erzählt sogleich, dass sie Filialleiterin in einem großen Supermarkt sei und ihr Mann sei Betriebsleiter.

Weiter gesellt sich zu uns:

Ehepaar Hubertus und Gesine von der Höhe, er ist ein Studienrat i.R. und sie Hausfrau, immer gewesen.

Hier ist er bestimmend und sie duckt sich.

Man tauscht Höflichkeiten aus und wünscht sich gegenseitig eine gute Reise.