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Die Nr.1-NEW YORK TIMES-Bestsellerautorin von A GOOD GIRL'S GUIDE TO MURDER - aktuell ein Serienhit bei Netflix - veröffentlicht ihren ersten Roman für Erwachsene: einen atemberaubenden Thriller über eine junge Frau, die versucht, ihren eigenen Mord aufzuklären
In sieben Tagen wird Jet Mason tot sein.
Jet ist die Tochter einer der reichsten Familien in Woodstock, Vermont. Mit 27 Jahren wartet sie immer noch darauf, dass ihr Leben endlich beginnt. "Das kann ich später noch machen", sagt sie immer. Denn Jet hat Zeit.
Bis zu jener Halloween-Nacht, als sie von einem unsichtbaren Eindringling brutal angegriffen wird.
Dabei erleidet Jet eine schwere Kopfverletzung, und die Ärzte sind sich sicher: In spätestens einer Woche wird ein tödliches Aneurysma Jet umbringen.
Jet hätte nie gedacht, dass sie Feinde hat. Doch plötzlich sieht sie alle Menschen in ihrem Umfeld in einem neuen Licht: ihre Familie, ihre ehemalige beste Freundin, die jetzt ihre Schwägerin ist, ihren Ex-Freund.
Sie weiß, ihr bleiben höchstens sieben Tage. Tage, in denen sich ihr Zustand verschlechtert und nur Billy, ein Freund aus Kindertagen, an ihrer Seite ist. Dennoch ist sie fest entschlossen, endlich etwas zu Ende zu bringen:
Jet wird ihren eigenen Mord aufklären.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 572
Veröffentlichungsjahr: 2025
Die Nr.1-NEW YORK TIMES-Bestsellerautorin von A GOOD GIRL’S GUIDE TO MURDER – aktuell ein Serienhit bei Netflix – veröffentlicht ihren ersten Roman für Erwachsene: einen atemberaubenden Thriller über eine junge Frau, die versucht, ihren eigenen Mord aufzuklären.
In sieben Tagen wird Jet Mason tot sein.
Jet ist die Tochter einer der reichsten Familien in Woodstock, Vermont. Mit 27 Jahren wartet sie immer noch darauf, dass ihr Leben endlich beginnt. »Das kann ich später noch machen«, sagt sie immer. Denn Jet hat Zeit.
Bis zu jener Halloween-Nacht, als sie von einem unsichtbaren Eindringling brutal angegriffen wird.
Dabei erleidet Jet eine schwere Kopfverletzung, und die Ärzte sind sich sicher: In spätestens einer Woche wird ein tödliches Aneurysma Jet umbringen.
Jet hätte nie gedacht, dass sie Feinde hat. Doch plötzlich sieht sie alle Menschen in ihrem Umfeld in einem neuen Licht: ihre Familie, ihre ehemalige beste Freundin, die jetzt ihre Schwägerin ist, ihren Ex-Freund.
Sie weiß, ihr bleiben höchstens sieben Tage. Tage, in denen sich ihr Zustand verschlechtert und nur Billy, ein Freund aus Kindertagen, an ihrer Seite ist. Dennoch ist sie fest entschlossen, endlich etwas zu Ende zu bringen:
Jet wird ihren eigenen Mord aufklären.
Holly Jackson ist die preisgekrönte Autorin der NEW-YORK-TIMES-Bestsellerreihe A GOOD GIRL’S GUIDE TO MURDER, die mit Millionen verkaufter Exemplare weltweit für Aufsehen sorgte und auch als Netflix-Serie internationalen Erfolg feierte. Holly Jackson lebt in London, und wenn sie nicht gerade schreibt oder liest, spielt sie am liebsten Computerspiele oder schaut sich Dokumentationen über wahre Kriminalfälle an. NOT QUITE DEAD YET ist ihr erster Spannungsroman für eine erwachsene Zielgruppe.
Übersetzung aus dem Englischen vonRainer Schumacher
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Titel der englischen Originalausgabe:»Not Quite Dead Yet«
Für die Originalausgabe:Copyright © 2025 by Holly Jackson Ltd
Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2025 byBastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln, Deutschland
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten. Die Verwendung des Werkes oder Teilen davon zum Training künstlicher Intelligenz-Technologien oder -Systeme ist untersagt.
Textredaktion: Christiane Branscheid, Bremervörde
Umschlaggestaltung: www.buerosued.de unter Verwendung einer Covergestaltung von Erin Fitzsimmons und Scott Biel
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-8278-4
luebbe.de
lesejury.de
Für Jet
Fahle, graue Haut, verrottet, sodass man die sehnigen Muskelfasern darunter sehen konnte. Eingefallene, gummiartige Augenhöhlen mit funkelnden, haselnussbraunen Augen. Ihren eigenen Augen, und sie bewegten sich, während sie sich selbst betrachtete. Faulige Zähne, die an Maiskörner erinnerten, dazwischen Essensreste. Was fraßen Zombies gleich noch? Nur Hirn, aber vermutlich hatten sie auch nichts gegen Eingeweide. In jedem Fall hatten sie nichts für kandierte Äpfel übrig, wie sie vorhin einen gegessen hatte.
Jet betrachtete ihr Abbild im Zerrspiegel des Gruselkabinetts, ihr totes – Entschuldigung – ihr untotes Gesicht. Okay. Sie hatte das Ding jetzt ganze drei Minuten getragen. Mom konnte sich also nicht beschweren, und Jet konnte schlicht nicht mehr atmen. Sie zog die Maske aus und zerknüllte sie in der Hand. Was nun zum Vorschein kam, war zwar besser, aber nicht viel. Ihre Haut war noch immer blass, wenn auch nicht mehr ganz so grau, und ihr kurzes blondes Haar stand hoch. Sie spürte, dass es statisch aufgeladen war, als sie es mit der Hand platt drückte.
»Jet?«
»Verdammt!« Sie zuckte unwillkürlich zusammen. Der Spiegel verzerrte das Gesicht, das hinter ihr erschien, teilte es in einzelne Lamellen, doch sie erkannte seine Stimme. Scheiße, natürlich. JJ Lim. Wenn auch nicht wie üblich mit zurückgekämmtem schwarzen Haar und makelloser goldbrauner Haut. Dicke gezackte Narben waren jetzt auf sein Gesicht gemalt, und er trug eine grellrote Perücke sowie eine Jeanslatzhose und ein gestreiftes Shirt. Chucky. Sie hatten den Film zusammen gesehen.
»Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken«, schniefte JJ. Peinlich.
»Das ist doch der Sinn von Halloween, oder?« Das war ja noch peinlicher. Jet wandte sich ab, ohne den unverzerrten JJ eines Blickes zu würdigen und ging vorbei an einem Stand mit Kürbiskuchen und Apfelbrot. Nur 5 $!!!, schrie die Kreide auf der Schiefertafel.
»Es ist nur …« JJ ließ den Satz unvollendet. Er zog die Perücke aus und stolperte Jet hinterher, mitten durch eine Gruppe frisch geschminkter Kids. Warum folgte er ihr? Sie hatte ihnen beiden einen leichten Ausweg eröffnet. Wieder einmal. »Tut mir leid«, sagte er noch einmal. »Ich habe mich nur gefragt … Ich …«
Es war zum Totlachen. Was war Jet froh, dass sie auf den Halloween-Jahrmarkt gekommen war. Die ganze Stadt war auf dem Green des Woodstock Central Parks versammelt, und ihr war es gelungen, ausgerechnet der einen Person in die Arme zu laufen, die sie definitiv nicht sehen wollte.
»Süßes oder Saures!«, schrie ein kleiner Vampir zu ihr herauf.
Hoffentlich erstickt er an seinen wabbeligen Vampirzähnen, dachte Jet. Waren Kinder immer so nervig, oder war der viele Zucker schuld an dem Gekreische? Inzwischen war es bereits nach zehn. Wann brachten die Eltern ihre Kids heutzutage eigentlich ins Bett? Nicht scheiß früh genug jedenfalls.
Sie beschleunigte ihre Schritte, doch JJ gab nicht auf.
»Jet, bitte.« Er streckte den Arm nach ihr aus. »Ich muss mit dir über etwas reden.«
Jet blieb stehen und seufzte. Mit etwas meinte er ohne Zweifel uns. Und sie waren kein wir mehr, seit Monaten schon nicht.
»Ich kann gerade nicht.« Lüge. »Ich helfe meinen Eltern bei der Spendenaktion.« Große Lüge. »Hat Henry dir die Narben gemalt?« Themenwechsel.
JJ kniff die Augen zusammen und schaute sie scharf an. »Bitte, Jet. Es ist wichtig.«
»Es ist also wichtig, ja?« Jet schnaubte verächtlich. »So wie du auch gesagt hast, ich sei das Beste, was dir je passiert ist … jedenfalls in Woodstock. Du bist wahrlich ein Poet, JJ.«
»Du weißt doch, dass ich das nicht so gemeint habe. Und es geht nicht um uns. Es …«
»Hey, Kumpel. Ich glaube, du hast das fallen gelassen«, rettete eine Stimme hinter JJ sie. Ihr Bruder Luke, der sich nun bückte, um die rote Perücke im Gras aufzuheben. Die Lichterketten spiegelten sich in seinen Augen, die ihren so ähnlich waren, als er sich wieder aufrichtete und JJ die Perücke gab.
Der nahm sie entgegen, und endlich verstand er auch den Wink mit dem Zaunpfahl. Kurz darauf war er in der Menge verschwunden.
»Sieht so aus, als hätte ich dich gerettet«, bemerkte Luke.
Niemals hätte sie das zugegeben. Sie setzte gerade an, ihm das auch zu sagen, als Luke ihr gegen die Schulter boxte. Sie wusste genau, dass er dabei auf den Musikantenknochen zielte, doch er verfehlte sein Ziel. Und außerdem … Luke war dreißig und Vater, verdammt noch mal. Da sollte man doch annehmen, dass er mit diesen kindischen Spielchen langsam mal aufhörte.
Jet reagierte nicht darauf. Jede Schwester lernte früher oder später, dass sie ihren Bruder damit viel mehr ärgerte.
Luke grinste breit, sodass sein Kinn besonders kantig wirkte. Tatsächlich war sein ganzer Kopf irgendwie »kantig«. Er trug sein honigbraunes Haar wieder viel zu kurz, ein Bürstenschnitt, aber Sophia mochte das offenbar so. Und, na toll … Jetzt kam sie auch noch und das mit Baby Cameron auf der Hüfte, der als unglücklicher Kürbis verkleidet war.
»War das JJ?«, fragte Sophia und trat neben Luke. Hüfte an Hüfte beanspruchte sie ihn wieder für sich. Sie war als Catwoman verkleidet. Ihre große und schlanke Gestalt steckte in einem engen Lederanzug, der an Jets kleinerem, kurvigeren Körper mehr als nur unvorteilhaft gewirkt hätte. Als Teenager hatten sie sich ihre Klamotten immer geteilt, genau wie alles andere im Leben. Doch dann war Sophia immer größer geworden, und Jet hatte Brüste bekommen.
»Hat er es etwa immer noch nicht verstanden?« Luke ließ seinen Blick über den geschäftigen Jahrmarkt schweifen. Es war zwar nach wie vor viel los, leerte sich aber Gott sei Dank allmählich. »Der Typ ist auf die Knie gegangen, und du hast Nein gesagt. Wie deutlich musst du denn noch werden?«
»Deutlicher geht’s wirklich nicht«, fügte Sophia wenig hilfreich hinzu.
»So war das nicht«, erklärte Jet.
»So, Marge«, sagte Luke. »Als was gehst du dieses Jahr?«
»Oh.« Jet deutete auf ihren schwarzen Rollkragenpullover, die Jeansweste und die schwarze Hose und Stiefel. Ja, die Stiefel waren ebenfalls schwarz. »Ich dachte, das wäre eindeutig. Ich bin als Schulabbrecherin verkleidet, die mit siebenundzwanzig immer noch bei ihren Eltern lebt.« Besser sie selbst machte diesen Scherz, damit kein anderer sie damit verletzen konnte.
»Das ist definitiv das gruseligste Kostüm des Tages«, spottete Luke.
Sophie stieß ihn mit dem Ellbogen an.
Jet hatte sich geirrt. Es tat trotzdem noch weh, und ihre Wangen brannten.
»Du trägst ja auch kein Kostüm«, erinnerte sie ihren Bruder.
Luke räusperte sich. »Nein, denn ich bin als Repräsentant von Mason Construction hier. Wir sind schließlich der Veranstalter. Da muss ich professionell aussehen, professionell und volksnah.«
»Mit der Frisur?« Jet lachte über ihren eigenen schlechten Scherz. Vielleicht würde sie sich ja besser fühlen, wenn sie Luke mit runterzog. Nur ein bisschen wenigstens. »Noch gehört dir die Firma nicht, Luke.«
Ein Muskel zuckte in Lukes Kiefer.
»Nächstes Jahr«, sagte Sophia, und ihre roten Lippen formten sich zu einem breiten Lächeln. Nächstes Jahr, wenn Dad sich zurückzog. Nein, Entschuldigung, falls. Dad hatte bereits dreimal angekündigt, in den Ruhestand zu gehen, doch das war nie passiert. Sie sollten gar nicht darüber reden und Luke wusste das. Sie warf ihm ein grimmiges Grinsen zu, zeigte zu viele Zähne.
»Das ist Camerons erstes Halloween«, wechselte Sophia rasch zu einem Thema, über das sie reden durften. Ihr Baby. Tatsächlich war das seit Camerons Geburt das Einzige, worüber sie reden wollte. »Er ist ein Kürbis.« Sie ließ ihn auf ihrer Hüfte hüpfen.
»Oh, Scheiße. Echt?«, spottete Jet. »Ich dachte, er wäre ein Marmeladensandwich.«
»Jet!« Sophia drehte sich zu ihr um. »Könntest du es bitte unterlassen, vor dem Baby zu fluchen?«
»Kacke. Tut mir leid.« Jet schlug sich die Hände vor den Mund.
»Ernsthaft?«
»Das ist mir einfach so rausgeflutscht.« Das war gelogen.
»Schreibst du immer noch an … Was war das noch mal?«, fragte Sophia. »An diesem Drehbuch?«
Jet trat von einem Fuß auf den anderen und scharrte mit der Stiefelspitze im Laub. Darüber wollte sie nicht reden, aber Sophia und Luke starrten sie an, und ihr blieb keine andere Wahl. »Nein, das mache ich schon längst nicht mehr.«
Luke steckte die Hände in die Taschen. Und los geht’s. »Wie? Du hast schon aufgegeben?«, fragte er, und er genoss es sichtlich. »Das muss ein neuer Rekord sein.«
»Tatsächlich arbeite ich an etwas anderem.« Jet hielt ihre Stimme so ruhig wie möglich. Sie hatte ihre Mauern hochgezogen und presste die Zähne aufeinander. »An einer neuen Idee.«
»Es geht doch nicht um diese Dogwalking-App, oder?«, fragte Luke.
Dieses Gefühl brannte immer heller und zog ihr den Magen zusammen. Jets Augen nahmen einen harten Ausdruck an. Sie musste gar nicht fragen.
»Dad hat mir davon erzählt.«
»Nun«, sagte Jet in einem Tonfall, als wäre ihr das vollkommen egal. »Ich wünschte, ihr würdet endlich mal aufhören, über mich zu reden.«
»Nun«, erwiderte Luke. »Ich wünschte, das müssten wir nicht.«
»Fick dich, Luke.«
»Jet!«
»Er spricht doch noch gar nicht, Sophia.«
»Das ist der Unterschied zwischen dir und mir«, sagte Luke. »Wenn ich ein Ziel habe, dann erreiche ich das auch.«
Jet lachte. Es war ein tiefer, rauchiger Ton, der so gar nicht zu ihrem Gesicht passte, sagten die Leute immer. Es war das Lachen eines alten Mannes, der Jahrzehnte lang geraucht hatte. Dabei hatte Jet in ihrem Leben noch nicht einmal eine Zigarette angefasst.
»Ich habe alle Zeit der Welt«, erklärte sie. Das sagte sie sich auch selbst jeden Montagmorgen, wenn ihre Eltern zur Arbeit fuhren, sie aber nicht. Und sie wiederholte diese Worte so lange, bis sie sie selbst glaubte. Aber wie auch immer … In jedem Fall durfte sie nicht zulassen, dass Luke ihr so unter die Haut ging. »Und du hast wohl vergessen, dass ich mit nur zehn Jahren den Bezirksbuchstabierwettbewerb gewonnen habe.«
Luke senkte den Kopf. »Oh, nein. Daran erinnere ich mich.« Natürlich erinnerte er sich daran, denn das war nicht das Einzige, was an diesem Tag passiert war.
»Nun, denn«, sagte Sophia, die sich der düsteren Erinnerung nicht bewusst war, über die sie mit ihrer melodischen Stimme hinwegtrampelte. »Wir müssen jetzt los. Der kleine Kerl wird langsam quengelig.«
»Oh, Luke. Hast du heute nicht genug Protein bekommen?«
Verdammt. Luke hörte noch nicht einmal zu. Stattdessen reckte er den Hals, um über die Köpfe all der Hexen und Superhelden hinweg zu dem Stand zu schauen, an dem ihre Eltern arbeiteten.
»Ich muss jetzt Dad retten«, verkündete er ohne eine Verabschiedung.
»Stets der brave, kleine CFO«, murmelte Jet.
Das hörte Luke, drehte sich noch mal um und funkelte seine Schwester an.
»Wenigstens bin ich der Finanzchef und nicht der Chefversager«, sagte Luke und stapfte davon.
»Scheiße bleibt Scheiße.«
»Jet!«
»Was denn? Luke hat angefangen!«
Cameron wurde unruhig, und Sophia seufzte und schaute Luke hinterher.
»Ich wünschte, ihr würdet euch nicht ständig streiten«, sagte sie.
Jet schüttelte den Kopf. »Das war kein Streit, nur ganz normale Konversation. Das kennst du vermutlich nicht.«
»Er hat eine Menge Stress.«
»Luke ist eben Luke«, sagte Jet. »Er hat immer Stress. Und ich wette, er findet immer noch Zeit, mindestens zweimal die Woche Golf mit Jack Finney und David Dale zu spielen. Stress! Ich kenne ihn länger als du. Schon vergessen?«
Das war das eigentliche Problem, dieses kalte, stachelige Etwas zwischen Jet und Sophia. Da ging man weg, ans College, und auf einmal rief die beste Freundin nicht mehr an und antwortete auch nicht auf Nachrichten. Sie interessierte sich einfach nicht mehr für einen. Stattdessen nahm sie deinen Bruder ins Visier. Alles, um Teil der Masons zu werden. Jet wusste schlicht nicht mehr, wie sie mit Sophia reden sollte, und was das Baby betraf, das fand sie einfach nur stinklangweilig, auch wenn sie das so nie gesagt hätte.
»Nun, ich werde jetzt …« Sie beendete den Satz nicht, doch das war auch nicht nötig. Sophia wirkte schlicht erleichtert, als Jet sie einfach stehen ließ und in der Menge verschwand.
Nach und nach verließen die Leute jetzt den Jahrmarkt, und Jet wurde von Werwölfen und Serienmördern hin und her geschubst. Ein riesiges Katzenkostüm kam auf sie zu, aus dessen weiß und rot bepelzten Schultern ein nicht im Mindesten dazu passender menschlicher Kopf ragte. Den Katzenkopf trug das Ding unter dem Arm. Jet erkannte den menschlichen Teil: kahler Kopf und dunkelbraune Haut, die Augen durch eine runde Brille stark vergrößert. Das war Gerry Clay. Er saß mit Mom im Stadtrat. Tatsächlich war Gerry sogar der Vorsitzende und Mom seine Stellvertreterin. Mom sagte zwar immer, das sei ihr egal, doch sie war schon immer eine schlechte Lügnerin gewesen.
Katzen-Gerry ging zwischen zwei Polizeibeamten, und das waren keine Kostüme, sondern echte Uniformen. Sie trugen Abzeichen auf der Brust und Waffen am Gürtel. Das taten Lou Jankowski, der frisch ernannte Polizeichef, und Jack Finney immer, der den Masons gegenüber wohnte.
»Hallo, Jet.« Jack schenkte ihr ein vertrautes Lächeln. Er war groß und breitschultrig, und das Grau in seinem dunklen Haar schlich sich allmählich in seine Bartstoppeln. Sophia hatte ihn schon Silberfuchs genannt, als sie noch Teenager gewesen waren. Dabei war das Silber eher neu.
»Hi, Mr Finney.« Jet müsste ihn inzwischen eigentlich Sergeant oder so was nennen, doch daran konnte sie sich einfach nicht gewöhnen. Außerdem war Mr Finney schon viel besser als Billys Dad, und so hatte Jet ihn den größten Teil ihres Lebens genannt.
»Billy hat dich gesucht«, sagte er nun, als hätte er Jets Gedanken gelesen.
Wow! Heute Abend war sie ja richtig beliebt.
»Ach, tut mir leid, Lou«, wandte Jack sich an seinen Boss. »Das ist Jet. Die Tochter von Scott und Dianne. Kennt ihr euch?«
»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Lou, der Chief. Er schaute böse drein. Sein harter Blick passte nicht zu seiner Stimme. Sie klang viel zu weich. Sein Haar war gelbgrau, fast senffarben, und seine Wangen rot wie Ketchup. Der Mann hatte definitiv noch nie etwas von Retinol gehört. »Es war mir ein Vergnügen, mit Ihrer Mom zusammenzuarbeiten … und mit Gerry natürlich. Oh … Die Vogelscheuche, die da winkt, das ist meine Frau. Bitte, entschuldigen Sie mich.«
»Ein Vergnügen?«, sagte Jet und schaute dem Polizeichef hinterher. »Der muss eine andere Dianne Mason meinen.«
»Ha!«, rief Gerry mehr, als dass er lachte. »Du bist ja lustig.«
Ja, Jet war die Lustige. Manchmal war das alles, was ihr blieb.
»Was halten Sie eigentlich von Ihrem neuen Boss, Jack?«, fragte Gerry, die Halbkatze, und schaute Lou ebenfalls hinterher. »Sagen Sie es niemandem, aber Sie hätten der Polizeichef werden sollen«, fuhr Gerry fort. »Es ist schlicht sinnvoll, jemanden zum Polizeichef zu ernennen, der hier seit Jahrzehnten lebt, und nicht irgendjemanden von außerhalb, der hier niemanden kennt. Ich habe natürlich für Sie gestimmt. Ich weiß nicht, warum die anderen … Scheiße, sagen Sie auch niemandem, dass ich das gesagt habe. Aber egal … Sie hätten das werden sollen.«
Jack Finney ließ die Schultern hängen. Er wandte sich verlegen ab und fand die perfekte Ablenkung am Stand hinter ihnen, wo Jets Eltern frisches Popcorn verkauften und so Geld für die Grünflächen der Stadt sammelten. Natürlich alles gesponsert vom freundlichen Bauunternehmer aus der Nachbarschaft, von dem Bauunternehmer, der die großen Gebäude neben eben diesen Grünflächen errichtet hatte.
Jack hustete und kam wieder zurück. »Ich bin sicher, ihr habt den richtigen Mann für den Job gewählt.«
Wie konnte es nur passieren, dass Jet sich schon wieder in einem Gespräch wiederfand, das sie nicht führen wollte?
»Cool«, sagte sie in dem Versuch, die Atmosphäre aufzulockern. »Wenn Sie jemanden festnehmen wollen, um sich ein wenig aufzuheitern, Mr Finney, dann schlage ich meinen Bruder vor. Ich denke, wir wissen beide, dass er das verdient hat.«
Jack lächelte noch nicht einmal. Offenbar war er in Gedanken noch immer bei dem, was Gerry gesagt hatte.
»Oh«, rief Gerry. »Da ist ja mein Junge. Owen. Er knipst dahinten. Demnächst macht er einen Fotokurs. Lassen Sie uns ein Foto machen, Jack.«
Gerry hakte sich mit einem dicken Katzenarm bei Jack unter und zog den armen Mann weg.
»Hey, Jet.«
Verdammt noch mal … War ihr denn gar keine Ruhe vergönnt?
»Billy Finney.« Sie drehte sich zu ihm um und setzte das falscheste aller Lächeln auf. »Du hast mich gefunden. Gott sei Dank. Bis jetzt wollte niemand mit mir reden.«
»Wirklich?«, hakte er nach.
»Nein. Ich hab langsam genug von all den Leuten.«
»Bin ich auch einer dieser Leute?«
»Du siehst zumindest so aus.«
Billy war groß und hatte dunkelbraune Locken, die ihm in die wässrigen blauen Augen fielen. Sein Mund stand immer offen und war leicht schief, selbst wenn er nicht lächelte. Er hob die Augenbrauen. Jet kannte diesen Blick. Seit sie zehn waren, hatte Billy sich nicht mehr viel verändert.
»Was?«, fragte Jet.
»Ich habe gerade mit deiner Mom gesprochen, und sie hat mich nach meinem Namen gefragt.«
Jet schnaubte verächtlich.
»Dabei bin ich fast nebenan aufgewachsen und habe mehr Zeit bei euch als in meinem eigenen Haus verbracht.« Billy sackte leicht zusammen, doch auch so überragte er Jet noch. »Aber das war sicher nur ein Scherz, oder? Sie hat doch nicht wirklich vergessen, wer ich bin.«
Der arme, süße Billy.
»Nimm das nicht persönlich, Kumpel.« Jet tätschelte ihm den Arm. »Das tue ich auch nie.« Und das war vielleicht die größte Lüge heute Abend. »Hast du mich deshalb gesucht … äh … Wie heißt du noch?«
»Ich bin noch nicht bereit, darüber Witze zu machen.« Billy runzelte die Stirn. »Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du am Dienstag in die Bar kommst. Wir haben wieder Livemusik. Tatsächlich bin ich es, der da spielen wird. Aber ich glaube, das habe ich dir schon ein paarmal gesagt. Ich spiele Gitarre und singe einige Songs, die ich geschrieben habe.« Warum sprach er so schnell, und … Schwitzte er? »Ich habe mich nur gefragt, ob du diesmal vielleicht Zeit hast. Nein … äh … Kein Problem, wenn nicht.«
Jet sog die Luft ein. Sie konnte nicht – nicht das letzte Mal, als er sie gefragt hatte, und jetzt auch nicht. Denn was, wenn sie lachen musste, weil Billy furchtbar schief spielte, dann hatte sie ein Problem.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Ich kann diese Woche nicht. Ich habe wirklich viel zu tun. Vielleicht das nächste Mal.«
Billy ließ die Schultern hängen. »Ja. Cool.« Er nickte, und jetzt war es an ihm, ein falsches Lächeln aufzusetzen. »Es wird ja auch ein nächstes Mal geben. Mach dir keinen Kopf.«
Jet machte sich absolut keinen Kopf, doch sie hatte keine Gelegenheit, das auch zu sagen, denn ein Clown hüpfte auf sie zu, stolperte und fiel ins Gras. Es war ein betrunkener Clown, in der Hand eine Bierflasche.
»Alles okay?«, fragte Jet.
Jetzt erkannte sie den Mann. Er war nur vom Hals aufwärts ein Clown mit einer roten Nase und Perücke. Darunter war er einfach nur Andrew Smith. Er rappelte sich mühsam auf, wankte vor und zurück und sein unsteter Blick fiel auf Jet. Sofort erschien da ein Feuer.
»D… Du …«, lallte er und deutete mit der leeren Bierflasche auf sie. »Wo ist dein Bruder? Ich muss mit ihm reden.«
»Luke?« Jet zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, er ist gegangen.« Der glückliche Wichser.
Andrew lachte. Es war ein düsteres, pfeifendes Geräusch. »Ihr seid einfach nur eine beschissene Familie. Glaubt ihr wirklich, wenn ihr einmal im Jahr diese verdammte Party schmeißt, macht es das wieder gut?«
Billy trat näher zu Jet, in die Schusslinie.
»Ihr seid doch alle gleich. Ihr macht alles kaputt, was ihr anfasst!«, spie Andrew.
»Ich denke, du hast ein wenig zu viel getrunken, Andrew«, sagte Billy und hob die Hände. »Aber das ist schon okay. Wie wäre es, wenn ich dir etwas Wasser hole?«
»Sag mir nicht, was ich tun soll, Junge! Immer sagen mir die Leute, was ich tun soll.«
Andrew griff Billy halb an, halb fiel er in ihn hinein. Doch Billy wehrte sich nicht, sondern ließ sich wegschubsen.
»Ist schon okay, Mr Smith«, sagte er, während der Clown schwach auf seine Brust eindrosch.
Warum tat Billy nichts?
»Hey!«, rief Jet und wollte gerade einschreiten, doch jemand anderes kam ihr zuvor, bevor sie auch nur einen Fuß vor den anderen setzen konnte. Billys Dad – Scheiße, alte Gewohnheit – Jack war plötzlich bei ihnen, gefolgt von Chief Lou. Jack packte Andrew und riss ihn von Billy weg. Andrew stolperte über seine eigenen Füße und in Chief Lou hinein, der sofort die Arme um ihn schlang.
»Bitte, beruhigen Sie sich, Sir!«, bellte Lou Andrew ins Ohr. Jetzt klang seine Stimme ganz und gar nicht mehr sanft.
»Ich komme schon klar, Chief.« Jack packte einen von Andrews Armen. Der Kopf des Clowns fiel ihm auf die Schulter. »Alles okay, Billy?«, fragte Jack seinen Sohn über Andrews Kopf hinweg.
»Jaja. Alles gut, Dad«, antwortete Billy. »Das war nur ein Missverständnis. Er muss einfach nach Hause und sich ausschlafen. Bitte, nimm ihn nicht fest.«
»Sie kennen diesen Mann?«, fragte Chief Lou Billys Dad.
Jack nickte.
»Und wissen Sie auch, wo er wohnt?«
Jack nickte erneut. »Er lebt in der Wohnung neben Billy.«
»Okay.« Der Chief strich seine Uniform glatt. »Könnten Sie ihn dann heimbringen, Sergeant? Und sorgen Sie dafür, dass er ein Glas Wasser trinkt.«
»Jawohl.«
»Und das nächste Mal«, wandte Lou sich an den Clown, »bekommen Sie eine kostenlose Übernachtung im Knast und eine Anzeige wegen ungebührlichen Verhaltens.«
»Komm, Andrew«, sagte Jack und führte den Mann in Richtung Straße.
Der Chief drehte sich zu Billy um, und Jet huschte davon. Sie war den Halloween-Jahrmarkt und all die Leute einfach nur leid. Vielleicht sollte sie nächstes Jahr so tun, als wäre sie krank. Ach, das war ohnehin egal. Nächstes Jahr wäre sie schon nicht mehr hier. Dann wäre sie wieder in Boston, vielleicht an der Uni, vielleicht aber auch als Chefin ihrer eigenen, neuen Firma. Sie hatte schließlich noch Zeit bis dahin. Jede Menge.
»Was war da denn los?«, fragte ihr Dad, als Jet endlich den Stand ihrer Eltern erreichte.
»Andrew Smith.« Jet warf ihre Zombiemaske auf den Tisch. »Er ist wieder mal betrunken und depressiv.«
»Wegen seines Hauses?«, fragte Mom, die gerade Bargeld in eine Geldkassette zählte.
»Nein. Vermutlich, weil seine Tochter sich letztes Jahr umgebracht hat.«
Dianne sog zischend die Luft ein. »Jet, ich wünschte, das würdest du lassen.«
»Was soll ich lassen, Mom? Sprechen? Existieren?« Jets Mom starrte sie vorwurfsvoll mit ihren wilden grünbraunen Augen an, die dank der Brille noch größer wirkten, als sie ohnehin schon waren.
»Aaah«, stöhnte Dad plötzlich, drückte die Hände in die Seite und klappte nach vorn.
»Ist es wieder schlimm?« Mom drehte sich zu ihm um, in der Hand ein Bündel Zwanziger. »Nimm ein paar Schmerztabletten, wenn wir wieder zu Hause sind. Und sag nicht Nein, Scott. Du wirst dich noch mal untersuchen lassen.«
Dad konnte nur grunzen. Er schwitzte, und sein dünner werdendes Haar klebte an seinen Schläfen. Neue Falten erschienen in seinem Gesicht.
»Eine Wärmflasche und jede Menge Wasser«, sagte Jet und lächelte traurig. »Das funktioniert bei mir am besten. Du kannst meine haben.«
Jet verstand den Schmerz. Tatsächlich war sie die Einzige in der Familie, die das konnte. Mom und Luke hatten nie wochenlang Blut gepisst oder wegen der Schmerzen in der Seite nicht gehen können. Moms und Lukes Nieren waren normal.
»So.« Jet klatschte in die Hände. »Es war mir ein Vergnügen, aber ich gehe jetzt heim.«
»Du kannst nicht«, schnappte Dianne. »Du hast gesagt, du würdest bis zum Schluss bleiben und uns helfen aufzuräumen. Die Leute gehen jetzt. Du kannst dich nützlich machen und die Stühle ins Hotel bringen.«
Jet hatte dem nie zugestimmt, und sie hasste es, wenn ihre Mutter ihr sagte, sie solle sich nützlich machen, denn dann fühlte sie sich ganz und gar nicht »nützlich«, sondern klein.
»Das mache ich morgen«, sagte sie.
»Ah ja … Dein Lebensmotto«, seufzte ihre Mutter.
»Das ist nicht ihr Motto«, sagte Dad, aber in warmem Ton. »Ihr Motto ist: ›Was du heute kannst besorgen, das verschiebe ruhig auf morgen‹.«
»Morgen ist ein tolles Wort«, sagte Jet und wandte sich von ihren Eltern ab. »Das heißt, dass ich jetzt nicht nützlich sein muss. Ich sehe euch dann daheim.«
Mom war wieder abgelenkt, denn Gerry Clay war wieder da, diesmal ganz und gar als Katze.
»Buh!« Gerry sprang hinter dem Stand hervor. »Dianne, ich kenne dein finsterstes Geheimnis«, verkündete er mit tiefer, teuflischer Stimme.
»Du hast wohl viel Spaß, Gerry«, gab Dianne schnippisch zurück, während Jet über das Green und zur Straße dahinter ging. Es war zwar schon dunkel, aber nicht so spät, als dass man sich hätte Sorgen machen müssen. Die Stadt war noch voller Leben. Überall fuhren Autos, und die Untoten streunten umher. Eine Gruppe Teenager vor der kleinen Kirche war viel zu laut und ausgelassen, als dass man das allein auf zu viel Zucker schieben konnte. Jet würde wetten, dass sie die Hausbars ihrer Eltern geplündert hatten.
Vor den Häusern dahinter leuchteten noch die Halloween-Kürbisse und verfolgten Jet mit ihren bösen dreieckigen Augen. Nur einer hatte sich die Mühe gespart, sie zu schnitzen, und nur nackte Kürbisse vor die Tür gelegt.
Jet bog in die College Hill Road ein und salutierte einem Skelett vor dem Haus der Romanos. Das Ding tanzte und knarrte in der leichten Brise. Jet ging weiter den Hügel hinauf zur Nummer 10.
Nach Hause.
Dieses große, abscheuliche Haus, das Dad renoviert und immer wieder und wieder erweitert hatte. Es hob sich deutlich von den anderen Häusern in der Straße ab, auch von dem der Finleys direkt gegenüber, der Hausnummer 7. Jet könnte ihre eigene Familie auch hassen. Sie hatte das vollste Verständnis für.
Sie joggte die lange Einfahrt hinauf, vorbei an ihrem Pick-up, und klopfte liebevoll auf die Ladefläche. Es war ein blauer Ford F-150. Ihre Mom glaubte, Jet habe ihn nur gekauft, um sie zu ärgern, womit sie gar nicht mal so falsch lag.
Vor ihrer roten Haustür lag nur ein einsamer Halloween-Kürbis. Seine Augen waren leer, das Licht erloschen. Daneben stand ein Eimer auf den Stufen und dazu ein Schild mit der Aufschrift: Selbstbedienung. Nur eine Süßigkeit pro Person. In was für einer Welt lebte Jets Mutter eigentlich? Verdammt, der Eimer war leer. Arschlöcher.
Jet suchte in der Jackentasche nach ihrem Haustürschlüssel. Die Überwachungskamera beobachtete sie dabei, und sie streckte dem Ding die Zunge raus.
Jet schloss die Tür auf, und Reggie stürmte sofort auf sie zu, ein rotes Fellknäuel mit Helikopterschwanz, dessen glückliches Jaulen ausschließlich ihr galt. Er sprang an Jet hoch, setzte seine Pfoten auf ihre Knie.
»Ja, hallo, mein Hübscher. Braver Hund.«
Jet kraulte ihn hinter den Ohren. Hinter diesen lächerlich langen Cocker-Spaniel-Ohren.
Der Hund rannte um die Ecke davon und kehrte keine zwei Sekunden später wieder zurück.
»Oh, was hast du mir da für schöne, dreckige Socken gebracht«, sagte Jet und streichelte Reggie die Schnauze. Der Hund bebte vor lauter Aufregung ob dieser heiligen Opfergabe am ganzen Leib. »Vielen, vielen Dank. Das ist mein absolutes Lieblingsgeschenk.«
Jet schloss die Haustür und ging durch den Flur. Strahlend weiße Wände, marokkanische Teppiche auf dem Boden – alles war viel zu sauber und gestylt, wie in einem Musterhaus. Und immer, wenn Jet es wie ein echtes Zuhause behandelte, Krümel hinterließ oder mit den Stiefeln durch die Räume ging, bekam sie Schwierigkeiten. Jetzt marschierte Jet direkt in die Küche im hinteren Teil des Hauses, und Reggie trottete ihr hinterher.
Auf der Kücheninsel stand ein Teller mit Cookies, die Sophia gebacken und früher am Tag vorbeigebracht hatte. Sie waren wie Fledermäuse geformt, überzogen mit Zuckerguss, oder wie orangefarbene Kürbisse. Sophia machte so etwas. Backen. Jet griff nach einer Fledermaus und biss ihr den Kopf ab. Verdammt, die waren wirklich gut. Sie aß den Cookie und wischte sich die klebrigen Finger an einem der drei Geschirrspültücher über dem Herd ab. Sie zeigten kleine, marschierende Zitronen, Orangen und Avocados, und wie alles in diesem Haus passten sie perfekt zusammen. Jet drehte sich um und ging noch mal an den Cookies vorbei. Ach, scheiß drauf. Sie nahm sich auch noch einen der Kürbisse und wanderte durch den großen Türbogen ins Wohnzimmer.
Mit dem Cookie im Mund fischte sie ihr Handy aus der Hosentasche und entsperrte es. Ihr Daumen fand Instagram noch vor ihren Augen. Jet biss die Hälfte des Kürbisses ab, und der süße, mit Orange versetzte Zuckerguss klebte auf ihrer Zunge. Sie scrollte durch Bilder von Mädels, die sie aus der Schule oder dem College kannte, inzwischen verheiratet und mit Babys oder auch nicht, stattdessen bei aufwendigen Dinners, an Champagnerflöten nippend, um ihre neuen Jobs zu feiern. Genau das hätte Jet auch haben können: einen bescheidenen Posten, mit dem man prahlen konnte, und eine dicke Beförderung in einer Firma mit einem Akronym, das jeder vorgab zu kennen. Aber sie hatte einfach gekündigt und Boston über Nacht verlassen.
Jet aß den Cookie und ließ ihre nun wieder klebrigen Finger über das Display fliegen. Es war ihr egal. Sie hatte noch genügend Zeit, um sich das Richtige zu suchen, und wenn sie es gefunden hatte, dann würde sie das allen unter die Nase reiben. Sie würden schon sehen.
Plötzlich stand Reggie vor ihr und winselte.
»Tut mir leid, mein Hübscher. Das ist Menschenfutter.«
Das Winseln verwandelte sich in ein Knurren.
»W…?«
Eilige Schritte hinter ihr. Dann ein schneller Schlag auf den Hinterkopf, feuchtes Blut, als ihre Kopfhaut aufplatzte, und das Krachen des Schädels.
Jet fiel das Handy aus der Hand. Kein Knurren mehr, stattdessen ein Schrei. Jet hätte schreien sollen, aber …
Eine weitere Explosion, heftiger diesmal. Das Gefühl von Blut und das Geräusch von etwas, das in ihrem Kopf zerbrach.
Irgendjemand versuchte, sie zu töten.
Jet konnte den Gedanken fassen, aber als sie blinzelte, blieb alles schwarz und …
Woodstock Police Department, Woodstock, Vermont
Notruf, Aufzeichnung
Datum: 31.10.2025
Zeit: 23:09 Uhr
Leitstelle:Notruf. Was kann ich für Sie tun?Anrufer:Oh, mein Gott. Mein Gott, helfen Sie mir! Schicken Sie Hilfe!Leitstelle:Sir, bitte beruhigen Sie sich. Was genau brauchen Sie?Anrufer:Scheiße! Einen Rettungswagen. Schaffen Sie einen Rettungswagen her. Und Polizei. Sie bewegt sich nicht. Oh, mein Gott. Nein!(Schreie im Hintergrund)
Leitstelle:Können Sie mir die Adresse nennen, Sir?Anrufer:Ja. Scheiße. Nummer 10. College Hill Road … Oh, mein Gott, Jet. Nein. Sei nicht tot. Bitte, sei nicht tot. Ist sie tot?Leitstelle:Was ist da los?Anrufer:Jemand hat sie angegriffen. Da ist überall Blut. Ihr Kopf … Nein, nein, nein …(Schreie im Hintergrund)
Leitstelle:Ist da noch jemand bei Ihnen?Anrufer:Nein, nein, hier sind nur wir zwei. Ich habe sie gefunden. Sie war nicht …Leitstelle:Wer schreit denn da?Anrufer:Das ist der Hund. Das kann einfach nicht wahr sein. Nein! Jet! Jet! Bitte, sei nicht tot. Ich flehe dich an.Leitstelle:Können Sie feststellen, ob sie noch atmet?Anrufer:Nein, nein, nein. Jet, bitte.Leitstelle:Sir, wie heißen Sie?Anrufer:Billy. Billy Finney.Leitstelle:Jacks Sohn?Anrufer:Ja.Leitstelle:Okay, Billy. Ich bin’s. Debbie. Vom Revier. Ich möchte, dass du aufhörst zu schreien. Bleib ruhig. Bitte. Für mich. Der Rettungswagen ist auf dem Weg. Hilfe ist unterwegs. Aber du musst für mich nachsehen, ob sie noch atmet. Hat sie einen Puls?Anrufer:Da ist so viel Blut. Ich … Ich kann nicht … Oh, mein Gott, Jet. Nein! Bitte, Gott, nein! Sie ist tot. Jemand hat sie umgebracht. Sie ist tot. Sie ist tot …Jet blinzelte. Irgendetwas piepte. Jemand schnappte nach Luft.
»Sie ist wach! Doktor! Sie ist wach!«
Wer ist sie? Sprachen sie über sie? Der Raum war verschwommen, viel zu weiß und viel zu hell. Es tat ihr in den Augen weh, im Kopf. Sie blinzelte erneut, und Flecken aus Fleisch, Haaren und Zähnen erschienen über ihr.
»Luke! Hol den Arzt. Schnell! Lauf!«
Das war die Stimme ihrer Mutter, roh und unvertraut.
»Mom?«, krächzte Jet schlimmer denn je. Sie versuchte, sich aufzusetzen, doch ihr Körper schlief noch, gefangen in dünnen, rauen Laken, die ihr bis über die Ellbogen gezogen waren. Dazu trug sie einen weißen Kittel mit gelb-blauem Muster.
»Lass mich dir helfen.« Das war jetzt Dads Stimme. Die musste zu dem anderen Fleck gehören, dem neben Mom. Jet spürte warme Hände auf den Schultern, und sie setzte sich auf. Doch irgendetwas klebte an ihrem Kopf, blieb an dem Kissen hängen, und ein stechender Schmerz schoss durch ihren Leib.
Jet rieb sich die Augen und verfing sich dabei in einem Schlauch, der aus ihrem Handrücken ragte.
»Wasser?«, fragte Mom, und da war der Becher auch schon an Jets Lippen. Jet bekam den Winkel jedoch nicht hin. Sie schlürfte, und sie wusste, dass ihre Mom das hasste, aber vielleicht würde sie ihr dieses eine Mal vergeben, denn sie lag ja im Krankenhaus.
Und Jet wusste auch warum. Sie erinnerte sich. Der Raum mochte verschwommen sein, ihre Erinnerung jedoch nicht.
Irgendjemand hatte versucht, sie umzubringen, ihr auf den Kopf geschlagen. Das Krachen des Kürbiscookies und ihres Schädels und das seltsame Schreien des Hundes. Aber Jet war noch immer hier. Sie atmete, und sie nahm einen tiefen Zug, um sich dessen zu vergewissern. Das war real. Noch ein Blinzeln, um sicherzugehen. Ihr Körper lag vor ihr ausgestreckt, zwei Hände und zwei Beine, die sich bewegten, wenn sie es ihnen befahl. Und sie musste auch noch einen Kopf haben, denn sie sah, hörte und atmete damit.
Sie lebte.
Sie hatte überlebt.
Scheiße.
Danke, danke, danke.
»Jet.« Moms Gesicht war jetzt schon klarer, nur wenige Zentimeter von Jets entfernt. »Die Ärztin kommt jetzt. Sie wird dir alles erklären, und du musst ganz genau zuhören. Okay? Das ist sehr wichtig. Sie werden nichts tun, was du nicht willst. Du wirst schon wissen, was das Richtige ist, meine Süße.«
Mom setzte an, Jet das Haar zu streicheln, doch dann erstarrte ihre Hand. »Oh … Tut mir leid … Das habe ich ganz vergessen.«
»Hab sie!«, rief Luke atemlos, als er ins Zimmer stürmte. »Hey, Marge«, sagte er sanft und ganz und gar nicht wie er selbst. »Alles gut?«
»Ich habe ein wenig Kopfschmerzen.« Jet lächelte. Niemand aus ihrer Familie wollte ihren Blick erwidern. Ach, kommt schon. Sie wollte doch nur die Stimmung heben. Sie lebte immerhin noch.
Die Tür schwang wieder auf, und eine kleine Frau mit dunkler Haut und Braids betrat den Raum, unter dem Arm eine Akte. Sie lächelte ebenfalls nicht.
Die Frau räusperte sich und schaute aufs Bett. »Schön, Sie wieder wach zu sehen. Ihre Familie hat gesagt, sie werden gerne Jet genannt«, sagte sie. »Ich bin Dr. Lee.«
Jet wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Schön, Sie kennenzulernen? Warum schauten alle so verdammt elend drein? Sie lebte doch, und sie war wach.
»Darf ich …?«, begann Dr. Lee, kam näher und holte einen kleinen Lichtstift aus ihrem weißen Kittel. Und ja, sie durfte, denn sie tat es bereits. Sie leuchtete Jet in die Augen. Erst in das eine, dann in das andere. Licht aus. »Wie viel haben Sie ihr erzählt?« Die Ärztin drehte sich zu Mom um.
»Nichts«, antwortete Dianne und wich zurück. »Wir haben auf Sie gewartet.«
»Ist schon okay, Leute.« Jet seufzte. »Ich weiß es bereits. Ich erinnere mich an alles. Jemand hat mich auf den Hinterkopf geschlagen und versucht, mich umzubringen.«
Stille.
»Aber er hat keinen allzu guten Job gemacht«, fuhr Jet fort.
Dad schlug die Hand vor den Mund und unterdrückte ein Schluchzen. Eine stumme Träne lief ihm über die Knöchel.
»Mr Mason, bitte«, sagte Dr. Lee und zog einen Stuhl neben das Bett. »Jet. Ich bin Neurochirurgin, und Sie liegen im Dartmouth Hitchcock Medical Center.«
»Wie lange bin ich denn schon hier?«, fragte Jet. »Welchen Tag haben wir heute?« Welchen Tag oder welches Jahr? Scheiße. Hatte sie viel länger geschlafen als gedacht? Oh, fuck … Hatte sie vielleicht jahrelang im Koma gelegen? Benahmen sich deshalb alle so seltsam? Jet war doch noch nicht dreißig … oder? All die verlorene Zeit.
»Es ist Sonntag«, sagte Dr. Lee als Reaktion auf Jets panischen Blick mit ruhiger Stimme, »und wir haben zwei Uhr nachmittags. Sie sind seit sechsunddreißig Stunden hier.«
»Verdammte Scheiße!«, seufzte Jet. »Das ist eine Erleichterung. Ich dachte schon, ich wäre alt geworden.«
Dad drehte sich von ihr weg zur Wand.
»Jet, Sie waren in einem wirklich schlimmen Zustand, als man Sie in die Notaufnahme gebracht hat«, sagte Dr. Lee und spielte mit der Aktenmappe. »Sie waren auf Stufe 8 der Glasgow-Koma-Skala. Das heißt, sie waren komatös und mussten intubiert werden. Kurz darauf hatten Sie aufgrund des Blutverlusts einen Herzstillstand. Wir konnten Sie jedoch stabilisieren und in den OP bringen. Sie hatten ein subdurales Hämatom, da auf der linken Seite unter dem Verband. Das heißt, da hat sich Blut auf der Gehirnoberfläche gesammelt. Wir haben das Blut herausgeholt, und Sie schienen tatsächlich kein nennenswertes Hirntrauma davongetragen zu haben. Aber wir glauben, dass Sie dreimal geschlagen worden sind. Einmal da auf die linke Seite und zweimal auf den Hinterkopf, unmittelbar an der Schädelbasis.«
Das waren die Schläge, an die Jet sich erinnerte.
Dr. Lee schluckte.
»Ihr Schädel ist gebrochen. Sie haben einen Längsriss am Hinterkopf. Der erste Schlag hat den Bruch vermutlich verursacht, und der zweite hat den Knochen tiefer in ihr Gehirn getrieben.« Sie hielt kurz inne und senkte den Blick. »In Anbetracht der Stelle und der Brutalität des Angriffes ist es wahrlich ein Wunder, dass kein signifikanter Schaden an lebenswichtigem Gewebe entstanden ist. Gleiches gilt für die Hirngefäße. Sie können sich noch immer bewegen und klar denken. Alles funktioniert ganz normal. So etwas habe ich noch nie gesehen. Aber …«
Jet war klar gewesen, dass ein Aber kommen würde, denn wenn das einfach nur ein Wunder war, würde ihre Familie sie nicht so anschauen. Als wäre sie gar nicht aufgewacht.
Ihr Kopf pochte hinten und links. Jetzt wusste sie, wo die Quelle des Schmerzes war. Aber so schlimm er auch sein mochte, er war nur ein schwacher Abklatsch von dem, was sie während des Angriffs empfunden hatte. Da hatte sie geglaubt, ihr Schädel würde explodieren.
Dr. Lee klappte die Akte in ihrem Schoß auf.
»Die Fraktur ist während der Operation erfolgreich behoben worden. Wir haben die einzelnen Schädelteile mit Schrauben und einem Drahtnetz wieder zusammengefügt. Dann haben wir ihre Haut wieder zugenäht.«
Jets Kopfhaut juckte, als Dr. Lee das sagte.
»Und nach der OP haben wir dann noch einmal ein CT gemacht.«
Dr. Lee holte einen Scan aus der Akte und hielt das Plastik gegen das Licht der Nachmittagssonne, das durch das Fenster fiel. Der Hintergrund war schwarz, und in leuchtend weißer Schrift stand dort: Margaret Mason, Alter: 27, 01.11.2025. Dahinter folgten weitere Zahlen, die Jet nicht verstand. Darunter war eine Reihe von Bildern zu sehen. In einem seltsam blassen Blau zeigten sie ihr Gehirn aus verschiedenen Winkeln.
»Unten am Schädel, ganz tief und genau in der Mitte ihres Gehirns gibt es einen Knochen, den man Clivus nennt. Das Trauma in Ihrem Hinterkopf hat zu einer Fraktur dieses Knochens geführt.« Der Scan zitterte in Dr. Lees Hand und machte ein seltsames Geräusch. »Eine Fraktur des Clivus ist außerordentlich selten. Tatsächlich kommt sie nur bei 0,5 Prozent aller Schädeltraumata vor. Und wenn Sie hierher schauen …« Sie deutete auf den Scan, auf ein Bild, das von oben aufgenommen wurde, »… dann können Sie sehen, dass sich ein kleiner Knochensplitter vom Clivus gelöst hat.«
Dr. Lees Finger tippten auf einen winzigen weißen Fleck, der mitten in Jets Gehirn schwebte. Dann zeigte sie ihn in einer Seitenaufnahme. Er war wirklich kaum zu sehen.
»Okay«, sagte Jet. »Aber der ist doch winzig, oder? Und es geht mir gut. Schauen Sie.«
Luke zog auf der anderen Seite des Bettes einen Stuhl heran, damit ihre Mom sich setzen konnte.
»Jet«, sagte Dr. Lee, und sie klang, als würde sie am liebsten nicht weiterreden. »Dieser winzige Splitter drückt von außen auf die Basilararterie.«
Jet atmete tief durch. »Das klingt wichtig.«
»Das ist eine der Hauptarterien, über die Ihr Gehirn mit Blut versorgt wird.«
Jep. Wichtig.
»Normalerweise würde es als unmöglich gelten, solch einen Splitter operativ zu entfernen. Er sitzt so tief und ist so schwer zugänglich, dass wir unweigerlich andere Teile des Gehirns beschädigen würden. Es ist viel zu leicht, bei so einer OP eine Arterie zu verletzen, was zu einer katastrophalen Blutung führen würde. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie dabei sterben, ist viel zu hoch. Deshalb ist es besser, alles so zu lassen, wie es ist. Mit der Zeit könnte der Splitter nach außen wandern, und da könnte man ihn dann leichter entfernen. Aber …«
Noch ein Aber.
Das Pochen in Jets Kopf war jetzt ein Trommeln im Takt ihres Herzens, das Angst mit Angst beantwortete.
»Sie haben polyzystische Nieren, Jet.«
»Dessen bin ich mir durchaus bewusst.« Jet schnaufte. Alles kehrte wieder zurück: das Blutpissen, die Schmerzen, die so schlimm waren, dass man zusammenklappte, die Phantomblutergüsse, wie sie ihren Job gekündigt und wieder nach Hause gezogen war, weil alles zu viel für sie gewesen war, und die Pillen gegen Bluthochdruck, die sie jeden Tag nahm. Sie hatte nie geraucht und nie viel Salz gegessen, obwohl sie Pommes liebte. »Was hat das mit meinem Hirn zu tun?«
Dad stand jetzt hinter Mom, die Hände auf ihrer Schulter und die Lippen fest zusammengepresst, um nicht in Tränen auszubrechen.
Dr. Lee schluckte.
»Eine Nebenwirkung einer Zystenniere ist, dass die Patienten wesentlich dünnere Arterienwände haben als normal, im Herzen und … im Gehirn.«
»Ja und?«
»Tut mir leid, Jet, aber ich kann das nicht anders ausdrücken. Angesichts der Lage des Splitters und angesichts des zusätzlichen Drucks auf die ohnehin schon schwache Arterienwand, wird sich an dieser Stelle ein Aneurysma bilden. Und wenn dieses Aneurysma platzt, dann wird die daraus folgende Blutung … Nun ja, sie wird tödlich sein.«
»Okay«, sagte Jet und nickte. Das tat weh. »Und wie wahrscheinlich ist es, dass sich so ein Aneurysma bildet?«
»Das ist fast sicher, Jet. Und zwar schnell.«
»Wie schnell?«
»Das kann man unmöglich genau vorhersagen, vor allem, wenn sich das Aneurysma noch nicht gebildet hat.«
»Raten Sie einfach, Doc.«
»Jet!«, keuchte Mom.
Dr. Lee straffte die Schultern und schaute zu Boden anstatt zu Jet. »Angesichts der besonderen Umstände Ihres Falls würde ich sagen, wir haben es hier mit Tagen zu tun, bis es platzt. Vielleicht eine Woche.«
Jet schnalzte mit der Zunge, um das Rasen ihres Herzens zu übertönen. Das konnte doch nicht wahr sein. Passierte das wirklich? »Das … Das heißt also, dass ich in einer Woche tot sein werde, korrekt?«
Niemand antwortete darauf.
Dad konnte sich nicht länger zurückhalten. Er vergrub das Gesicht in der Armbeuge und schluchzte.
»Dad. Ist schon okay«, sagte Jet. Sie hatte ihren Dad bis jetzt nur einziges Mal weinen sehen. Es war ein gutturales, urtümliches Geräusch. Jet hatte gehofft, es nie wieder zu hören. Die siebzehn Jahre seit dem letzten Mal waren nicht annähernd genug.
»Das ist alles meine Schuld«, schluchzte er.
»Dad, das ist nicht deine Schuld. Das ist erblich. Die Chance war Fifty-fifty, dass ich, Luke oder Emily diese Krankheit erben.« Und offensichtlich hatte Jet die Arschkarte gezogen. Aber das hatte sie ja ohnehin, denn die anderen beiden hatten normale Namen, während sie als Margaret durchs Leben gehen musste. »Dann also die OP. Stimmt’s?« Jet schaute von Dr. Lee zu ihrer Familie.
Mom nickte und wischte sich über die geschwollenen Augen. Keiner von ihnen schien viel geschlafen zu haben, während Jet sogar zu viel geschlafen hatte. »Das ist die einzige Möglichkeit, Jet.«
»Bitte, Mrs Mason.« Dr. Lees Stimme nahm einen harten Tonfall an. »Ich muss noch etwas klarstellen, Jet, bevor Sie eine Entscheidung treffen. Wie gesagt, unter anderen Umständen würde man über so eine Operation noch nicht einmal nachdenken. Das Sterberisiko ist viel zu groß. Ich muss ehrlich zu Ihnen sein: Es war Dr. Fuller, mein Kollege, der die erste OP an Ihnen durchgeführt hat. Als die Situation nach dem zweiten CT klar wurde, hat Dr. Fuller sich rundheraus geweigert, auch nur in Betracht zu ziehen, den Splitter operativ zu entfernen. Ich wiederum habe gesagt, ich würde das nur tun, wenn Sie alle Informationen haben … wenn Sie das Risiko verstehen und sich selbstständig dafür entschieden haben.«
Das Trommeln in Jets Kopf wurde immer schneller, unnatürlich, wie ein Countdown.
»Was genau ist denn das Risiko?«, fragte Jet. »Können Sie das in Prozent ausdrücken?«
Dr. Lee zögerte. Ihre Zunge bewegte sich im Mund. Schließlich antwortete sie: »Ich würde sagen, die Chance, das zu überleben, beträgt weniger als zehn Prozent.«
Das Trommeln verstummte.
»Also ist die Wahrscheinlichkeit über neunzig Prozent, dass ich bei der OP über den Jordan gehe?« Jet fühlte sich vollkommen taub, wie losgelöst, als wäre das gar nicht sie in diesem Bett. Manchmal tat der Kopf sowas, nicht wahr? Um Schmerzen zu entkommen. Oder war das die Folge des Hirntraumas, eine Art von Verlust, die nicht auf einem CT zu erkennen war? »Ich bin zwar keine Spielerin, aber das klingt mir nicht nach einer guten Chance.«
Und was Chancen betraf, hatte Jet kein Glück. Sie hatte bereits die Nierenlotterie verloren, und da waren die Chancen nur Fifty-fifty gewesen. Nicht zehn Prozent … oder sogar noch weniger.
»Können Sie denn sonst nichts tun?«
»Tut mir leid, Jet«, antwortete Dr. Lee. Da war ein Zittern in ihrer Stimme, das sie mit einem Husten zu verdecken suchte. Wie oft musste sie wohl jemandem sagen, dass er bald sterben würde? Konnte man sich daran gewöhnen?
Jet schaute zu ihrer Familie. Luke war aschfahl und still, und ein Muskel zuckte in seinem Kiefer. Dad wiederum weinte, aber leise, und das war sogar noch beunruhigender, als hätte er laut geschluchzt. Mom hingegen beugte sich auf dem Stuhl vor, nahm Jets Hand und drückte sie.
»Okay.« Jet zögerte. Sie versuchte, wieder Ordnung in ihr Gehirn zu bringen, auch wenn die Ärztin das nicht konnte. »Ich stehe also vor der Wahl, entweder jetzt zu sterben oder in einer Woche, korrekt?«
Im Raum herrschte Stille, doch nicht in der Welt. Die Welt drehte sich weiter. Da waren das Piepen einer Maschine draußen und ein leiser Schrei im Flur. Auch das Sonnenlicht fiel weiter durchs Fenster, denn Jet und ihre kleinen Probleme kümmerten die Sonne nicht.
Was war das für eine Wahl? An den meisten Tagen konnte Jet sich ja noch nicht einmal entscheiden, was sie zum Frühstück essen sollte. Und nun hieß es, jetzt sterben oder in einer Woche? Toast oder Müsli? Beides?
Da war auch ein Summen, doch das war nicht draußen, sondern in Jets Kopf, hinter ihren Augen, und es spielte mit ihrem Herzen. Eine Symphonie der Verdammten. Jet zog sich der Hals zusammen. Sie würde nicht zulassen, dass auch die anderen das hörten.
»Verdammt«, knurrte Jet. »Sind Sie sicher, dass es da nicht noch ein Tor drei gibt?«
Ihre Mom kam der Ärztin mit der Antwort zuvor.
»Alles wird gut, meine Süße. Die Entscheidung ist doch offensichtlich«, schniefte sie und verstärkte den Griff um Jets Hand, bis es schmerzte. »Im einen Fall gibt es eine Chance, im anderen nicht. Ich kann dich nicht verlieren. Du musst dich für die OP entscheiden, Jet. Dr. Lee hat gesagt, jede Minute zählt.«
»Mrs Mason …«
»Eine tolle Chance ist das aber nicht.« Jet schaute ihre Mom an. »Weniger als zehn Prozent. Ich weiß ja, dass deine Highschoolzeit schon länger her ist, Mom, aber das ist wirklich keine hohe Zahl.«
»Mach das nicht zu einem Wettbewerb, Jet.«
»Wie mache ich das denn zu …?«
»Du musst dich operieren lassen, Kind.« Moms Augen füllten sich mit Tränen, aber sie weinte nicht. »Ich kann nicht noch eine Tochter verlieren. Das kannst du mir nicht antun.«
Das Summen im Kopf wurde zu einem Donnern. Normalerweise wäre Jet einer solchen Diskussion einfach aus dem Weg gegangen und hätte sie ignoriert, aber vielleicht hatte sie auch diese Fähigkeit durch das Trauma verloren.
»Ich habe mir nicht das verdammte Hirn eingeschlagen, Mom. Ich war das nicht. Nicht alles ist meine Schuld.«
Dad trat vor. »Jet, so hat deine Mutter das nicht gemeint. Sie will doch nur das Beste für dich. Das wollen wir alle, Baby.«
Baby … So hatte er Jet schon seit Jahren nicht mehr genannt.
»Ja«, sagte Luke schroff, als wäre das ein sinnvoller Diskussionsbeitrag.
»Aber du wirst dich doch für die Operation entscheiden«, sagte Mom. Jetzt ließ sie ihren Tränen freien Lauf. »Du weißt doch, dass das die richtige Entscheidung ist, nicht wahr? Scott, hilf mir.«
Dr. Lee mischte sich wieder ein. Sie stand auf. »Das ist einzig und allein Jets Entscheidung, und das muss auch so sein.« Ihre Stimme nahm einen sanften Tonfall an. »Sie müssen sie aber nicht direkt treffen. Die Polizei ist draußen. Sie haben darauf gewartet, dass Sie aufwachen. Bevor Sie sich entscheiden, wollen die Beamten Ihnen noch ein paar Fragen zu dem Überfall stellen.«
»Für den Fall, dass ich mich für die OP entscheide und nicht überlebe«, bemerkte Jet. Sie hatte die Ärztin sofort durchschaut. »Sie sind hier, um mich zu beee…« Was war das Wort noch mal? Ach, Scheiße, du weißt doch, welches Wort sie meint. Das machst du doch auch, wenn du einen Job haben willst. Es klingt wie … Jet konnte sich einfach nicht mehr daran erinnern, wie es klang. »Beee …« Verdammt!
»Befragen?«, bot Luke an.
»Ja. Befragen.« Jet schlug mit der flachen Hand aufs Bett. »Was habe ich gesagt?«
Dr. Lee kniff die Augen zusammen. »Fällt es Ihnen schwer, die richtigen Worte zu finden?«
»Nein.«
Ja. Aber nur ein paar, nicht: Scheiße, Scheiße, Scheiße. Ich werde sterben. Scheiße. Aber ihr wollte einfach nicht einfallen, wie das Ding hieß, das da um Dr. Lees Hals baumelte. Dieses lange Ding mit den Ohrstöpseln und einer Metallscheibe, mit der man das Herz abhören konnte. Zum Glück brauchte Jet das nicht. Ihr Herz war auch so schon laut genug.
Dr. Lee nickte, als könne sie Gedanken lesen.
»Einer der Schläge hat Sie hier an der Schläfe getroffen.« Dr. Lee deutete auf den Verband. »Das ist die linke Hirnhälfte, wo sich auch das Sprachzentrum befindet. Wenn man dort ein Trauma erleidet, dann kann das Probleme bei der Sprachfindung verursachen. Das nennt man Aphasie. Allerdings ist das in Ihrem Fall nicht so schlimm.« Sie hielt kurz inne. »Sie werden vielleicht Schwierigkeiten haben, bestimmte Worte zu finden, besonders solche, die Sie nicht oft verwenden. Das kann vorübergehend sein, nicht länger als ein paar Wochen oder Monate, und mit Sprachtherapie kann man das behandeln.«
Jet zuckte mit den Schultern. »Nur dass ich keine Wochen habe, nicht wahr? Von Monaten ganz zu schweigen.« Das war nicht wirklich eine Frage.
»Wenn du dich operieren lässt, Jet …«, begann Mom.
»Ich denke, wir sollten Jet jetzt mit der Polizei reden lassen.« Dr. Lee winkte mit Jets Krankenakte, und Dianne stand auf.
Luke stand an der Tür.
»Wer war das, Jet?«, fragte er und presste grimmig die Lippen aufeinander. »Wer hat dir das angetan?«
Jet atmete tief durch und antwortete mit vier Worten, die ihr leicht fielen: »Ich weiß es nicht.«
»Komm, Luke.« Dad klopfte ihm sanft auf den Rücken. »Lassen wir die Cops ihre Fragen stellen. Wir haben nicht viel Zeit.«
Mom drückte ihre Hand auf Jets Fuß unter der Decke. »Ich bin direkt vor der Tür, meine Süße.«
Die Ärztin ging als Letzte. An der Tür blieb sie noch einmal stehen und lächelte Jet traurig an. Das war das Lächeln eines He… eines Hen… Scheiße, wie hieß das Wort noch mal? Sie wissen schon: Diese Leute, die im Film immer Kapuzen trugen und eine Axt schwangen oder die Plattform runterklappten.
»Sie ist bereit für sie«, hörte Jet Dr. Lee sagen. »Bitte, setzen Sie sie nicht allzu sehr unter Druck. Ich habe sie gerade erst informiert.«
Informiert?
Ha!
Extrablatt! Extrablatt! Lesen Sie die ganze Geschichte! Nur hier! Jet Mason hat eine Zeitbombe im Kopf!
Die Tür würde sich jetzt jede Sekunde öffnen. Hatte sie noch Zeit genug zu schreien?
Die Scharniere knarrten. Nein. Keine Zeit mehr. Nicht zum Schreien und nicht zum Leben.
Als Erster kam ein Mann im Anzug, in der Hand eine Akte. All dieser Papierkram.
»Margaret Mason?«, fragte er sanft und überbetont. »Mein Name ist George Ecker. Ich bin Detective bei der Vermont State Police.«
»Das ist Jet«, sagte eine andere Stimme, eine Stimme, die Jet erkannte. Billys Dad – ach, verdammt – Jack Finney betrat den Raum. Seine Dienstmarke funkelte Jet an. »Sie wird lieber Jet genannt.« Sein Gesicht wirkte ausgemergelt, aber wenigstens war es ihr vertraut.
Chief Lou Jankowski kam als Letzter. Er schloss die Tür hinter sich. Dann nickte er. »Hallo, Jet.«
George Ecker räusperte sich. »Der Chief hat gesagt, dass Sie vermutlich gerne Sergeant Finney hier haben wollen. Dass Sie sich kennen.«
»Mein ganzes Leben schon«, erwiderte Jet.
Jack senkte den Kopf, als tue es ihm weh, Jet in die Augen zu schauen. Er betrauerte sie schon, obwohl sie den Löffel noch gar nicht abgegeben hatte. Für ihn war sie untot. Scheiße, sie war ein Zombie. Da bekam der Begriff »Vorahnung« eine ganz neue Bedeutung. Und Jet war überrascht, dass sie überhaupt darüber reden konnte. Hätte nicht wenigstens dieses Wort ein Loch in ihrem Kopf hinterlassen können? So viele Silben.
Die drei Beamten standen wie stumme Wachen um ihr Bett herum, und Jet reckte den Hals, um zu ihnen hinaufzuschauen.
»Bevor Sie fragen«, begann sie. »Ich habe nicht gesehen, wer das war. Er hat mich von hinten angegriffen. Ich hatte keine Zeit, mich umzudrehen.«
Detective Ecker holte einen Kugelschreiber aus der Tasche, klickte die Mine raus und schrieb etwas in die Akte. »Haben Sie vielleicht irgendetwas gesehen oder gehört, was uns bei der Identifizierung helfen könnte?«
Jet schluckte. »Dann wissen Sie also auch nicht, wer das war. Haben Sie keine Beweise oder so was?«
»Der Tatort wird noch immer untersucht«, erklärte der Detective. »Und? Nichts?«
»Schritte«, antwortete Jet. »Schritte, die sich mir von hinten genähert haben.«
»Schwere Schritte?«
»Ich weiß nicht.«
»Könnten Sie uns denn sagen, was für Schuhe das waren? Stiefel? Sneaker?«
»Ich weiß es nicht. Es waren einfach nur Schritte. Alles ging so schnell.«
»Von einer Person oder von mehreren?«
»Von einer.«
Detective Ecker blätterte zurück. »Wissen Sie, mit was man Sie geschlagen hat?«
»Nein.« Jet hielt kurz inne. »Moment mal … Sie haben auch keine Mordwaffe?«
Was das hieß, erkannte sie erst, als sie es aussprach. Die Mordwaffe. Und genau das war es doch, oder? Denn Jet war nicht einfach nur überfallen worden – was für ein viel zu allgemeines Wort –, sondern … ermordet. Jemand hatte sie getötet. Oder zumindest hatte er sie zu neunzig Prozent getötet, es sei denn Jet erlebte ein weiteres Wunder, und die OP funktionierte.
»Die Waffe ist am Tatort nicht gefunden worden«, erklärte Ecker und mied geflissentlich das Wort, das sie alle nervös machte.
Jack nahm die Mütze ab.
»Wer hat mich eigentlich gefunden?«, fragte Jet ihn und nicht den Fremden mit der Akte. »Mom und Dad?«
Jack hustete. »Nein. Billy.«
»Ist er okay?«, hakte Jet sofort nach, auch wenn das eine seltsame Frage für jemanden war, dem es selbst nicht gerade gut ging. Aber Jet war hart im Nehmen. Das sagten alle. Billy hingegen war weich. Er hatte sogar immer geweint, wenn Jet eine Spinne kaputtgetreten hatte.
Jack antwortete nicht darauf.
»Margaret … ’tschuldigung … Jet.« Der Detective rückte näher an sie heran, um wieder ihre Aufmerksamkeit zu erringen. »Können Sie sich einen Grund vorstellen, egal was, warum Ihnen jemand etwas würde antun wollen?«
Jet wollte einen Scherz machen, um das Trommeln in ihrem Kopf auszutricksen. Mir etwas antun? Warum? Ich bin doch einfach nur liebenswert. Aber diesmal konnte sie es nicht. Sie konnte die Angst nicht verdrängen.
»Nein«, antwortete sie dann schlicht, und ihr drohte, die Stimme zu versagen. »Mir fällt nicht ein einziger Grund ein, warum jemand mich tot sehen will.«
Aber jemand hatte einen Grund gehabt. Man schlug nicht grundlos auf den Schädel eines Menschen ein, vor allem nicht dreimal. Das Warum war fast genauso verwirrend wie das Wer. Würde Jet die Antwort je erfahren? Jedenfalls nicht, wenn sie sich für die OP entscheiden sollte, und wieder ging ihr die Chance durch den Kopf.
Der Detective schnalzte mit der Zunge, und Jet hätte sie ihm am liebsten rausgerissen.
»Können Sie uns sagen, wo sich Ihr Ex-Freund befindet?« Ecker hielt kurz inne und schlug den Namen in seiner Akte nach. »JJ Lim. Wissen Sie, wo er ist?«
Jetzt schnalzte auch Jet mit der Zunge. »Ich weiß ja nicht, ob Ihnen das jemand gesagt hat, aber ich lag bis gerade bewusstlos im Krankenhaus.«
Ecker hob die Augenbrauen.
»Nein, ich weiß nicht, wo er ist, Detective. Warum?«
»Wir können ihn nicht erreichen. Er geht nicht ans Telefon. Wir haben mit seinem Bruder gesprochen – Henry –, aber der weiß auch nicht, wo er ist. Allerdings hat er gesagt, JJ habe die Stadt am Freitagabend ganz plötzlich verlassen, an Halloween. Er hat aber nicht gesagt, wo er hinwollte.«
Jet richtete sich im Bett auf.
»Sie verdächtigen ihn doch nicht, oder?«
Dem Gesichtsausdruck der Beamten nach zu urteilen, taten sie genau das.
»Wie lange waren Sie zusammen?«, fragte der Detective.
Warum war das wichtig?
»Fast zwei Jahre. Schauen Sie … JJ war das nicht.«
»Sie haben doch selbst gesagt, Sie hätten den Angreifer nicht gesehen«, mischte sich nun auch der Chief ein.
»Nein. Ich meine, ja, ich habe ihn nicht gesehen. Aber …« Jet wusste nicht, worauf sie hinauswollte. Also ließ sie den Satz unvollendet.
»Eins noch«, sagte Ecker und blätterte zu einer anderen Seite. »Ihr Handy ist weg. Was für ein Modell ist das?«
»Der Täter hat mein Handy mitgenommen?«
»Sie hatten es jedenfalls nicht bei sich, und auch am Tatort findet sich keine Spur davon.«
»Es ist ein iPhone 14, glaube ich.«